Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag. Diesmal geht es um die Frage, wie Lehrkräfte mit den Herausforderungen im Schulalltag umgehen.

»Ich habe noch 27 andere Schüler, von denen auch nicht alle gerade die motiviertesten sind…« Das sind nicht selten Aussagen von Lehrern, die im Zusammenhang mit einer Erstvorstellung in unserer Praxis bei einem gemeinsamen runden Tisch bzw. durch einen Austausch mit dem Lehrer des jeweiligen Schülers, der zu uns in die Praxis kommt, geäußert werden.

Klar, absolut nachvollziehbar! Ich versuche dann gemeinsam mit meinem Team, das Ganze aus einer Art Metaperspektive zu betrachten. In Zeiten von Lehrermangel, der Schließung von Förderschulen, Inklusionsentwicklung, Zunahme bzw. Druck, schnell zu digitalisieren und Umgang mit Flüchtlingstraumata etc., die sich in unseren heutigen Zeiten neu bzw. in anderer Form abbilden und Familien vor ’neuere’ Herausforderungen stellen, wird die Schule als wahrgenommener öffentlicher Raum zunehmend für gesellschaftspolitische Diskurse bzw. für deren Lösung immer mehr in Verantwortung genommen.

Ich frage mich, welche Konsequenz für uns Psychotherapeuten/ Pädagogen diese Entwicklung eigentlich in unserem jeweiligen professionellen Alltag hat. Lassen wir es so, wie es ist und fügen uns? Schwimmen wir mit dem Strom – auch auf die Gefahr hin, immer weniger achtsam mit uns selbst und auch mit den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen umzugehen und letztlich in einen Burn out zu flüchten? Oder schwimmen wir gegen den Strom, was auch gewinnbringend im Selbsterleben sein kann? Oder verlassen wir den Strom und suchen alternative Berufsfelder, wo wir unsere Leidenschaften in diesem neuen beruflichen Kontext erleben können? All diese Dinge muss jeder für sich selbst entscheiden und dabei versuchen, achtsam mit eigenen Bedürfnissen einen Spagat zwischen Berufsleben und Privatleben ausbalanciert hinzubekommen.

Mir gelingt es zunehmend besser, im Rahmen ’meines Stroms’ nicht in eine Art Problemtrance zu fallen und all die anstehenden Herausforderungen in ein ’Außen’ zu delegieren. Zunehmend gelingt es mir, kleinere Schritte einer größeren Bedeutung zukommen zu lassen, beispielsweise durch einen gemeinsamen runden Tisch mit Lehrern und Eltern sowie Kindern/Jugendlichen zwecks Knüpfung eines roten Fadens, um in guter Kooperation Entwicklung anzuregen.

Was bleibt sonst? Systemveränderung! Auf die Straße gehen, das System kollabieren lassen, weil man hofft, dass es dann besser wird? Vielleicht! Überschneidende Herausforderungen in unserer therapeutischen/ pädagogischen Professionalität gibt es viele. Ein zurzeit in der Praxis sehr aktuelles Thema ist die Schulvermeidung von einzelnen Schülern, die auf unterschiedlichen Ebenen Konflikte impliziert. Schulanwesenheitspflicht, Bußgeld und juristische Konsequenzen versus individueller Blickwinkel und Lösungen. Ja, wir haben noch 27 andere Schüler…

 

Zur Person…

Dr. med. Stefan Battel ist seit 2007 niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit eigener Praxis in Hürth bei Köln und seit 2012 systemischer Familientherapeut (DGSF).

Im Rahmen des lehrer nrw-Fortbildungsprogramms greift er in einer Vortragsreihe regelmäßig verschiedene Themen aus dem Bereich der Jugendpsychologie auf.

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