Dass die Digitalisierung im schulischen Alltag nur schleppend vorankommt, hat nicht zwangsläufig mit schlecht ausgestatteten Schulen zu tun. Aus Sicht von Thorsten Schmalt, Konrektor und Personalratsmitglied, hat das Distanzlernen in Corona-Zeiten gezeigt, dass es in vielen Elternhäusern Defizite gibt – und zwar nicht dort, wo man es erwartet hätte.

Riesig groß war die Vorfreude bei meinen Kolleginnen und Kollegen und mir, als wir endlich nach gefühlt unendlich langer Zeit unsere Schülerinnen und Schüler wieder persönlich in der Schule begrüßen durften. Klar, die Umstände waren und sind schon etwas merkwürdig und gewöhnungsbedürftig, aber es funktioniert insgesamt ganz gut.

Woran es beim digitalen Lernen hapert

Seit Wochen wird uns Lehrkräften und den Schulträgern vorgehalten, wir seien nicht gut vorbereitet, um Lernen auf Distanz in digitalisierter Form anbieten und umsetzen zu können. Meines Erachtens wird dabei ein ganz wesentlicher Punkt viel zu wenig beachtet und offen diskutiert. Meine Schule zum Beispiel war und ist sehr gut auf digitalen Unterricht vorbereitet. Schon lange ist unser gesamtes Gebäude mit leistungsstarkem, stabilem LAN und WLAN verbunden. Alle Schülerinnen und Schüler haben individuelle schulische Mailadressen. Dennoch funktioniert die Sache mit dem digitalen Lernen von zu Hause höchst unterschiedlich; und das lag und liegt nicht in erster Linie an fehlender Ausstattung in den Elternhäusern.

Unter der Schülerschaft meiner Schule sind eine ganze Reihe Kinder, die mit Ihren Eltern vor den Grauen des Krieges in Syrien geflüchtet sind. Es ist unvorstellbar, was diese jungen Seelen erleben und durchmachen mussten, und wir sind froh und glücklich, dass sie es gesund zu uns geschafft haben. Diese Kinder fallen dennoch besonders auf; und zwar im positiven Sinne! Natürlich sind meine Erkenntnisse nicht repräsentativ, sie treffen allerdings für meine Schule zu. Diese Kinder sind sehr gut erzogen, und sie sind positiv ehrgeizig. Wenn man sich mit ihnen unterhält, stellt man sehr schnell fest, dass sie es verstanden haben, dass sie nur dann eine reelle Chance auf ein »besseres Leben« haben, wenn sie fleißig sind, gute Schulabschlüsse schaffen und wenn sie über ein hohes Maß an emotionaler Kompetenz verfügen. Daran arbeiten diese Kinder und deren Eltern unermüdlich. Waren die Möglichkeiten zum digitalen Lernen zu Hause nicht gegeben, wurde um Hilfe gebeten, und es ließen sich Lösungen finden. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!

Erschreckende Motivations-Defizite

Nahezu erschreckend sind allerdings Beobachtungen in Haushalten sogenannter ’biodeutscher’ Familien. Von 23 Kindern in einer Klasse 8 schaffen es sieben nicht, innerhalb von vierzehn Tagen eine einfache Aufgabe zu lösen: Sie sollten für den Deutschunterricht eine Lektüre kaufen. Sie machen es einfach nicht! Da mir deren Elternhäuser bekannt sind, scheiden finanzielle Probleme als Erklärungsansatz gänzlich aus. Auch weiß ich von jenen Schülerinnen und Schülern, dass sie zu Hause bestens ausgestattet sind um theoretisch an digitalen Lernangeboten in vollem Umfang teilnehmen zu können. Als Klassenlehrer telefoniere ich also in der folgenden Zeit beinahe täglich mit den Eltern der Kinder um zu erfahren, warum Aufgaben nicht bearbeitet werden, Antworten nicht fristgerecht an die Kolleginnen und Kollegen verschickt werden, warum nach vierzehn Tagen immer noch keine Lektüre vorliegt. Ein hartes Geschäft! Immer wieder hört man Ausflüchte und Ausreden. Allerdings auch die Beteuerung, dass es von nun an besser werden wird. Nur, umgesetzt werden diese Versprechen leider nicht. Es ist extrem frustrierend! Sogar als die Kinder jener achten Klasse erstmalig wieder zum Präsenzunterricht in der Schule erschienen, hatten sechs Kinder immer noch keine Lektüre dabei. Weitere sieben haben sie zwar gekauft, jedoch nicht eine einzige Seite gelesen. Ganz anders die syrischen Kinder!

Was läuft schief und warum?

Bei genauerem Hinsehen und weiteren Untersuchungen stellt man dann fest, dass es auch nicht dran gelegen hat, dass zu Hause keine physische Unterstützung gegeben war. Erfährt man dann noch im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, dass trotz voll ausgebauter technischer Grundausstattung von schulischer Seite und bester Voraussetzungen in den Elternhäusern flächendeckend die gleichen Beobachtungen zu machen sind, dann folgt zwangsläufig die Frage, warum das denn alles nicht besser funktioniert?

Kolleginnen und Kollegen unterbreiten unendlich viele, motivierende, altersgerechte und anregende Angebote. Sie chatten und sind in Videokonferenzen mit ihren Klassen unterwegs. Sie sitzen Stunden um Stunden vor ihren Computern, um abwechslungsreiche und attraktive Angebote zu posten. Sie beantworten Mails und geben Hilfestellungen. Dennoch werden diese Angebote insgesamt nur eher bescheiden angenommen und noch weniger umgesetzt. Was ist da also los?

Zumindest in meinem Kollegium fällt die Antwort auf diese Frage eindeutig und einhellig aus: Bildung und Schule haben (leider) einen viel zu geringen Stellenwert in den Köpfen der Eltern. Ob sie nun nicht wollen oder nicht können, das lässt sich nur schwer beurteilen. Geld für neueste Handys, teure Bekleidung und Hobbys ist jedenfalls in gigantischem Maße vorhanden bei den Eltern unserer Schülerinnen und Schüler. Was fehlt, ist die Erkenntnis, dass nur durch Bildung ein erfülltes, zufriedenes und erfolgreiches Leben möglich ist. Diese grundlegende Einstellung zu Schule und Bildung scheint abhanden gekommen zu sein. Da kann man als Lehrkraft noch so viel motivieren und schülerorientierten Unterricht anbieten, wenn Schülerinnen und Schüler nicht mitziehen, geht gar nichts!

Milliardeninvestitionen allein helfen nicht

Wer nun also glaubt, dass Milliardeninvestitionen in die Digitalisierung der Schulen zu besseren Ergebnissen und motivierteren Schülerinnen und Schülern führen werden, der irrt gewaltig. Wir brauchen dringend ein Umdenken in den Köpfen der Eltern und darüber eine breite gesellschaftliche Debatte. Ohne Eltern funktioniert nämlich überhaupt nichts! Natürlich weiß ich, dass in unserer Zeit in vielen Elternhäusern beide arbeiten müssen. Darum geht es aber nicht. Es geht darum, dass Eltern ihren Kindern sehr deutlich aufzeigen müssen, dass Schule und alle damit verbundenen Anforderungen oberste Priorität im Leben der Kinder haben müssen. Knapp dreizehn Wochen Ferien im Jahr lassen da noch genügend Freiraum für Freizeit, Spielen, Erholung und den Erwerb anderer, lebensnotwendiger Kompetenzen.

Zunehmend wird die gigantische ’Wohlstandsverwahrlosung’ großer Teile unserer heutigen Jugend, ausgelöst durch deren Eltern, zu einem gewaltigen Problem werden. Da hilft es überhaupt nicht, wenn ich jedem Schüler und jeder Schülerin einen Laptop auf Staatskosten überreiche, die Schulgebäude mit Glasfaser verkabele und die Kolleginnen und Kollegen moderne Unterrichtsangebote unterbreiten.

Ich wünsche mir mehr intrinsische Motivation für Schule und Bildung, ausgelöst durch Lehrerinnen und Lehrer, aber eben auch und in erster Linie durch Eltern. Ganz so wie wir es bei unseren geflüchteten Schülerinnen und Schülern erleben dürfen.

Thorsten Schmalt
Konrektor der Realschule Hückeswagen · Mitglied des Hauptpersonalrates und des Bezirkspersonalrates Köln

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