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lehrer nrw
In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist jedenfalls,
dass das neue Pflichtfach in Baden-Württemberg von einer
grün-roten Landesregierung beschlossen wurde, in Nord-
rhein-Westfalen dagegen von einer schwarz-gelben. Dies
darf wohl als ein Indiz dafür gewertet werden, dass ein par-
teiübergreifender Konsens über die Notwendigkeit eines ei-
genständigen Faches Wirtschaft grundsätzlich möglich ist.
Sollte man es in Nordrhein-Westfalen demnach nicht auf
d
en Versuch ankommen lassen, einen solchen parteiüber-
greifenden Konsens herbeizuführen?
Dieser stellte eine starke Legitimation der pädagogischen
Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer des Faches dar und wäre
für sie mutmaßlich von großem Wert. Von einer solchen le-
gitimatorischen Entlastung würden am Ende die Schülerin-
nen und Schüler profitieren, um derentwillen das Fach ein-
gerichtet wird.
Was 2013/2014 zum Ende des Modellversuchs Wirtschaft
an Realschulen geschah, hat viele Akteure frustriert. Alle
dürften dieses Schlusskapitel vor Augen haben, wenn sie für
das neue Fach Mehrarbeit leisten sollen. Eine gewisse Zu-
rückhaltung und eine abwartende Haltung wären nur zu
verständlich. Ein starkes Signal, wie es beispielsweise von je-
nem parteiübergreifenden Konsens ausginge, würde solche
Dämme brechen lassen und Energien freisetzen, weil unwi-
derruflich klar wäre, dass sich der Einsatz lohnen wird.
Die Evaluation des Modellversuchs ergab keine Hinweise
auf gravierende, gar unlösbare Implementationsprobleme
oder Konfliktpotenziale in den Schulen. Im Gegenteil: Die
Zustimmung aller Anspruchsgruppen war enorm hoch und
gefestigt. Wenn der Konflikt also nicht von außen in die
Schulen hineingetragen wird, wenn den Schulen die Ge-
wissheit gegeben und den Lehrerinnen und Lehrern der Rü-
cken gestärkt wird, darf man gewiss sein, dass dort gute pä-
dagogische Arbeit geleistet werden wird.
Das Fach braucht gute Rahmenbedingungen
Die junge Generation hat die bestmögliche ökonomische
Bildung verdient, die wir ihr bieten können, damit sie in die
Lage versetzt wird, ihr Leben in ökonomischer Hinsicht
selbstbestimmt, kompetent und verantwortlich zu gestalten.
Die Einführung des Faches Wirtschaft ist dafür ein notwen-
diger Schritt. Notwendig, aber nicht hinreichend. Weitere
politische Weichenstellungen sind erforderlich.
Es wird eine Bildungsinfrastruktur gebraucht, wie sie für
etablierte Fächer selbstverständlich ist. Das Fach Wirtschaft
braucht nicht mehr als andere Fächer, verträgt aber auch
nicht weniger.
Dazu gehört eine facheinschlägige Lehrerbildung. Quali-
tät in der schulischen Bildung ist nur durch Professionalität
der Lehrenden zu erlangen. Das belegen viele wissenschaft-
liche Studien. Die Landesregierung muss die Hochschulen
auffordern, grundständige Studiengänge einzurichten. Bis
der erste Absolvent an den Schulen ankommt, vergehen al-
lerdings Jahre. Die Zwischenzeit muss mit wissenschaftli-
cher Weiterbildung überbrückt werden. Das ist kein vollwer-
tiger Ersatz, dafür aber kurzfristig wirksam. Die Einstellung
qualifizierter Quereinsteiger, die zudem Praxiserfahrungen
vorweisen können, ist eine weitere Option.
Mit der Ausarbeitung von Kernlehrplänen sollte schleu-
n
igst begonnen werden. Diese sollten anspruchsvolle Kompe-
tenzziele und horizonterweiternde Inhalte vorsehen, die auch
zur ökonomischen Verbraucherbildung beitragen und im Be-
sonderen zur finanziellen Bildung. Sie sollten den fachspezifi-
schen Beitrag zur Orientierung in der Berufs- und Arbeitswelt
präzisieren und die Option unternehmerischer Selbstständig-
keit nicht unerwähnt lassen. Besonderer Wert sollte gelegt
werden auf eine in toto ausgewogene Berücksichtigung ver-
schiedener legitimer Interessen, zum Beispiel von Konsumen-
ten und Produzenten, Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Der Koalitionsvertrag sieht die Einführung des Faches an
allen weiterführenden Schulen vor. Das ist gegenüber dem
Modellversuch Wirtschaft an Realschulen ein bedeutsamer
Unterschied, der viele Anschlussfragen aufwirft, zum Bei-
spiel wie sich die ökonomische Bildung in der Sekundarstu-
fe II des Gymnasiums etwa im Hinblick auf die Wissen-
schaftsorientierung von derjenigen in den Schulen der Se-
kundarstufe I abheben soll.
Zeitgleich mit dem Start des Unterrichts im Fach Wirt-
schaft könnten Längsschnittuntersuchungen starten, um
wissenschaftliche Erkenntnisse über die erzielten Lernerfol-
ge zu erlangen.
Davor steht allerdings die politische Tat.
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