23
1/2022 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
KOMMENTAR
Digitalisierung
und Schule
Der Begriff der Digitalisierung wird in den
meisten öffentlichen Diskussionen viel zu
undifferenziert und rein plakativ verwen-
det, ohne dass die konkrete Anwendung
bzw. pädagogische Sinnhaftigkeit weiterge-
hend bedacht wird.
Die Digitalisierung in Schulen betrifft zum
einen vor allem die organisatorischen und
verwaltungstechnischen Abläufe der Institu-
tion. Zum anderen bezieht sie sich auf deren
Nutzung für den Unterricht. In Zukunft soll
allen Schülerinnen und Schülern eine digita-
le Grundbildung das informatorische Rüst-
zeug für ihre Schullaufbahn bieten. Dazu ge-
sellt sich dann noch die fachspezifische Nut-
zung digitaler Inhalte und Formate, je nach
Fach mehr oder weniger umfangreich, mehr
oder weniger didaktisch begründet.
Die pädagogische und didaktische Dis-
kussion digitaler Anteile im Unterricht war
auf der Ebene des dbb-Forums nicht zu er-
warten, ist aber eine unerlässliche, die vor
dem Einsatz umfangreich und hinreichend
tiefgründig zu führen wäre, und zwar auf
allen Ebenen mit allen Beteiligten des
Schullebens. Wer Verantwortung dafür
trägt, welche Bildung der nächsten Genera-
tion zugutekommen soll, muss diesen Fra-
gen vorab vertieft nachgehen.
Wer dann den bisweilen maßlosen Kon-
sum digitaler Medieninhalte beobachtet,
muss sich auch mit den Auswirkungen dieser
Verhaltensänderung der Kinder und Jugendli-
chen befassen. Und er muss sich darum küm-
mern, wie er künftig Persönlichkeitsbildung
mit dem Ziel der Autonomie des Menschen
sicherstellen will. Dadurch könnten für die
Institution Schule neben der sinnvollen Nut-
zung des Digitalen ganz andere pädagogi-
sche Inhalte zur Förderung der psycho-sozia-
len Entwicklung in den Vordergrund rücken,
die eine wesentliche Voraussetzung für den
Erhalt und die Stärkung des gesellschaftli-
chen Zusammenhalts bilden. Ulrich Gräler
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
Dienst zum Ausdruck zu bringen, gleichzeitig
aber Hoffnungen auf materielle Verbesserun-
gen, die diese honorieren könnten, zu dämp-
fen. An nur sehr wenigen Stellen wurde er-
kennbar, wo sich die Bundesinnenministerin
vorstellen könnte, kleine Schritte substanziel-
ler Umsetzungen zu wagen, zum Beispiel bei
der Einführung/Entwicklung von Arbeitszeit-
modellen, beim Ausbau der Unterstützungs-
leistungen für die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf oder bei der Rückkehr zur Pensi-
onswirksamkeit von Zulagen.
Alles kleine Stellschrauben, die belegen,
wie in der Vergangenheit auch noch so klei-
ne Entgelt- bzw. Besoldungsbestandteile ge-
nutzt wurden, um beim öffentlichen Dienst
Geld einzusparen. Der Vorsitzende des dbb,
Ulrich Silberbach, wies zu Recht darauf hin,
dass die aktuell zutage tretenden Defizite
sich seit Jahren aufgebaut hätten, weil der
Staat notwendige Investitionen in diesem
Bereich vermieden habe. Staatliche Einspa-
rungen, die sich auch auf dessen Ansehen
als Arbeitgeber ausgewirkt haben und die
sich nun rächen.
Dass der öffentliche Dienst in diesen Kri-
senzeiten nicht zum besten aufgestellt war,
läge nicht an seinen Mitarbeitern, sondern
an der Politik, die ihn sächlich und personell
nicht ausreichend ausgestattet habe. Erst
seit wenigen Jahren wandele sich das
Image wieder, und jüngere Menschen inte-
ressierten sich vermehrt für eine Tätigkeit
im Staatsdienst.
Streitpunkt Bildungshoheit
Die Verwaltungsmodernisierung stand bei
dieser Tagung ganz überwiegend im Vorder-
grund, der Bildungsbereich blieb zumeist
hintenan, schließlich haben die Bundeslän-
der auf diesem Feld die Hoheit. Nur zu ger-
ne würde der Bund stärker in den Bildungs-
sektor hineinregieren, erst recht unter dem
Blickpunkt der Einführung der Digitalisie-
rung in den Schulen. Wer das Geld dazu
gibt, möchte auch über die Nutzung mitre-
den. Woher aber die pädagogische und di-
daktische Expertise auf Bundesebene dafür
kommen soll, blieben alle Redner zu diesem
Thema schuldig.
Auch wenn das Wort ’Digitalisierung’
eine hochinflationäre Verwendung in allen
Diskussionsrunden fand und der Zuhörer
es schon bald nicht mehr hören konnte, so
erfreulich war es, doch einmal zu erleben,
wie engagiert in manchen Kommunen der
Umsetzungsprozess im Detail hin zu einer
digital organisierten Verwaltung erarbeitet
und für den Bürger nutzbar gemacht wird.
Die Diskussionsrunde zu diesen Umset-
zungsvorhaben legte in ganz konkreten
Beispielen die Zielsetzungen, Möglichkei-
ten und Schwierigkeiten nachvollziehbar
offen.
Dabei wurde auch deutlich, dass der
verbesserte ’Bürgerservice’ nur einen klei-
nen Teil des notwendigen Digitalisierungs-
prozesses bildet, der weitaus größere be-
trifft Bereiche der öffentlichen Verwal-
tung, mit denen der Bürger nur sehr selten
in Berührung kommt, die aber ganz we-
sentlich zu den Grundlagen und zur Funk-
tionsfähigkeit unseres Gemeinwesens hin-
zugehören.
Gesprächsfäden
aufnehmen
und verknüpfen
Alles in allem hielt die dbb-Jahrestagung
das, was sie seit Jahren verspricht, nämlich
die Themen und Diskussionen anzustoßen,
die es politisch und gesellschaftlich aktuell
zu verfolgen gilt. Allen Vertretern der Poli-
tik war anzumerken, wie sie sich vorsichtig
herantastend an die Formulierung von Po-
sitionen und Haltungen wagten, um in den
vielfältig neuen politischen Konstellationen
Gesprächskontakte und -fäden konstruktiv
und vertrauensvoll aufzunehmen. Das Be-
wusstsein war allgegenwärtig, dass die
gesamtgesellschaftlichen Herausforderun-
gen der Zeit viel zu groß sind, als dass die-
se einen kleinlichen oder unnötigen politi-
schen Streit rechtfertigen könnten. Das
nennt man dann wohl auch einen ’Auftakt
nach Maß’.
Fehlt nur noch das Motto der Tagung:
’Einfach machen!’