BRENNPUNKT
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2/2022 ·
lehrer nrw
Defizitäre Lösungen
Die Lösungen dazu sind, gemessen am
Idealzustand, wenn man das eigene Ausbil-
dungssystem des Landes NRW für Lehrkräf-
te zum Maßstab nimmt, stets defizitär. Sie
reichen von Lehrkräften, die einen Zertifi-
katskurs in dem Mangelfach absolviert
haben, über fachfremd erteilten Unterricht
unbefristet eingestellter regulärer Lehrkräf-
te bis hin zu so genannten Seiteneinstei-
gern, befristet oder unbefristet, mit mehr
oder minder fachspezifischer Qualifikation.
Die Bandbreite der ’Seiteneinsteiger’ be-
ginnt per definitionem bei Gym/Ge-Lehr-
kräften, die zwar auch am Gymnasium bzw.
einer Gesamtschule in der Sekundarstufe I
unterrichten sollen, dennoch aber wegen
des ’falschen’ Lehramtes unter die Katego-
rie ’Seiteneinsteiger’ fallen. Die Modelle
des Landes NRW, überzählige Bewerber
aus dem Gym/Ge-Bereich mit einem Garan-
tieversprechen auf einen späteren Arbeits-
platz an einem Gymnasium oder einer Ge-
samtschule zunächst in der Sekundarstufe I
einzusetzen, erwies sich als qualitativ und
quantitativ sehr erfolgreich.
Die Einstellung von Hochschulabsolven-
ten mit einem unterrichtsaffinen Fach als
Seiteneinsteiger, die Anspruch auf eine ein-
jährige Qualifizierungsmaßnahme in Form
einer ’Pädagogischen Einführung’ haben,
trug ebenfalls in hohem Maße zur quali-
tätsorientierten Bedarfsdeckung bei, da
von Bewerbern aus diesen Berufsfeldern
vielfach der praktische Anwendungsbezug
des Faches überzeugend und glaubwürdig
mit eingebracht werden konnte.
Quadratur des Kreises
Nun ist die ’Not’ an den Schulen jedoch so
groß, dass die Rekrutierung von Ersatzein-
stellungen auf diesem Qualifikationsniveau
in immer mehr Fällen nicht mehr gelingt,
vor allem im Vertretungsbereich. Schulen
sehen sich gezwungen, auf Bewerber zu-
rückzugreifen, die entweder als Student für
das Lehramt mit wenigen Fachsemestern
oder als anderweitig ausgebildete Fach-
kraft eine noch deutlich größere Distanz
zum originären Arbeitsplatz Lehrer aufwei-
sen. Und die dann auch immer häufiger mit
voller Stundenzahl zum Einsatz kommen
sollen.
Personalräte schlagen bei dieser ’Quadra-
tur des Kreises’ Alarm. Denn für Bewerber
mit diesen Voraussetzungen gibt es weder
ausreichende Unterstützungs- noch Qualifi-
zierungsmaßnahmen. Diese wären aber
dringend geboten, will man auch nur annä-
hernd ein Qualitätsniveau für den zu ertei-
lenden Unterricht sicherstellen, der nicht nur
bei einer Qualitätsanalyse den Anforderun-
gen genügen sollte, sondern der vor allem
auch vor einer Elternschaft zu rechtfertigen
wäre, die im Hinblick auf den weiteren
Lebensweg einen Anspruch auf einen lehr-
plankonformen Unterricht für ihre Kinder
und Jugendlichen hat.
Anspruch auf
bestmögliche Vorbereitung
Um es klar herauszustellen: Schulen wenden
enorme Anstrengungen auf, geeignetes Per-
sonal zu finden, und sie sind äußerst dank-
bar für jeden Interessierten, der sich der
Aufgabe von Unterricht und Erziehung stel-
len will und sich diese auch zutraut. Diese
sollten dann aber auch den Anspruch haben
dürfen, dass sie auf diese Aufgabe bestmög-
lich vorbereitet werden.
Es liegt in der Verantwortung der aktuel-
len und vorherigen Landesregierungen, die-
sen Bereich des Schulpersonals wenig bis
gar nicht in den Blick genommen zu haben.
Er darf jedoch keinesfalls allein der Verant-
wortung oder der bisweilen wirklich ehren-
werten Improvisationskunst der Schullei-
tung vor Ort überlassen bleiben.
Den Arbeitsplatz Schule
attraktiver machen
Die quantitative Absicherung von Unterricht
kann nicht das Ziel von Schule sein, sondern
nur der sowohl quantitativ als auch qualita-
tiv hinreichende Unterricht. Und von diesem
Ziel entfernen wir uns seit Jahren stetig
mehr. Die Gründe dafür sind seit langem
bekannt. Getan und geleistet für eine Abhil-
fe wurde jedoch zu wenig. Es gilt nach wie
vor: Eine Trendumkehr wird nur gelingen,
wenn die auch von
lehrer nrw
stets einge-
forderten Bedingungen des Arbeitsplatzes
Schule insgesamt attraktiv werden. Nur
dann werden sich wieder mehr Bewerber
für dieses Berufsfeld interessieren und finden.
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
KOMMENTAR
Sich ehrlich machen!
Die Politik wird zu sehr
vom Disput über Zahlen
bestimmt, derweil sich die
Lage nicht zum Guten
wendet. Vor allem im
Sek-I-Bereich, der in den
Medien viel zu wenig Auf-
merksamkeit erfährt. Doch
gerade dieses ’schwierige’
Alter sowie die Aufgabe
der Berufsfindung und
-vorbereitung sollten ein
vordringliches Interesse
der Gesellschaft bekom-
men. Denn gerade hier
gibt es Reibungsverluste,
zahlreiche gelingende oder
vertane Chancen sowie
viele persönliche Entschei-
dungen der Kinder und
Jugendlichen.
Dazu bedarf es mehr
Personal, für mehr Flexibili-
tät bei der Bildung von
Lerngruppen, für mehr
Qualitätsanspruch bei den
Ergebnissen. Dass dieses
derzeit nicht genügend zur
Verfügung steht, ist offen-
kundig. Insofern bedarf es
’unkonventioneller’ Lösun-
gen, dieses Personal zu fin-
den und zu gewinnen. Da-
zu gehört dann aber auch,
dieses Personal mit Hilfs-
angeboten und Qualifizie-
rungsmaßnahmen massiv
zu unterstützen und zu
begleiten, damit deren Ein-
satz im Unterricht einen
größeren Nutzen für alle
Schülerinnen und Schüler
nach sich zieht. Alles ande-
re wäre fahrlässig!
Ulrich Gräler