3Unter der Lupe
Schulorganisation
neu denken
15 Dossier
Der schöne Schein –
Die triste Wirklichkeit
28 Recht§ausleger
Wieviel Meinung
ist erlaubt?
6Im Brennpunkt
Qualität im Gemeinsa-
men Lernen – Standards
oder fromme Wünsche?
Meinungsfreiheit für Lehrkräfte:
Wieviel Meinung
ist erlaubt?
Pädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
1781 | Ausgabe 3/2022 | MAI | 66. Jahrgang
INHALT
lehrer nrw ·
3/2022
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UNTER DER LUPE
Sven Christoffer:
Schulorganisation neu denken 3
BRENNPUNKT
Sarah Wanders: Qualität im
Gemeinsamen Lernen –
Standards oder fromme Wünsche? 6
JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner:
Darf’s ein bisschen mehr sein? 8
TITEL
Jochen Smets: Starke Stimme
im VDR-Bundesvorstand 10
Bildung und Freiheit 12
DOSSIER
Anton Huber: Der schöne Schein –
Die triste Wirklichkeit
Die Politische Bildung in der Schule
steckt in der Krise! 15
BATTEL HILFT
Was ist wirklich wichtig? 19
SERIE HAUPTSCHULEN
Jochen Smets: Für jeden das Richtige 20
SCHULE & POLITIK
Ulrich Gräler: Gesunde Führung,
gesunde Schule! 22
FORTBILDUNGEN
Suchtprävention in der Klasse 24
SENIOREN
Erfolgreiches IT-Seminar 26
Ein besonderes Museum 26
Resolution gegen Nachteile für Senioren 27
Präventionskurs: Sicher im Alltag 27
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange:
Wieviel Meinung ist erlaubt? 28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Sommer befohlen 30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Einkaufen
Aufgabe 2: Tierische Vergleiche
Aufgabe 3: Suchbild mit Hirn 31
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
Geschäftsstelle
lehrer nrw e.V.
Nordrhein-Westfalen,
Graf-Adolf-Straße 84,
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Web: www.lehrernrw.de
Redaktion
Sven Christoffer,
Ulrich Gräler,
Christopher Lange,
Jochen Smets,
Sarah Wanders,
Marcel Werner
Düsseldorf
Verlag und
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PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
dphv-verlags-
gesellschaft mbH,
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vom 1. Oktober 2021
Zuschriften und
Manuskripte nur an
lehrer nrw
,
Zeitschriftenredaktion,
Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf
Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
Schulorganisation
neu denken
Am 5. April 2022 fand im Düsseldorfer Landtag
ein Werkstattgespräch der CDU-Landtagsfraktion
statt. Thema war, wie Schulorganisation neu gedacht
und zeitgemäß aufgestellt werden kann.
lehrer nrw
war im Vorfeld um einen Impulsvortrag gebeten worden.
D
Dieser Bitte bin ich sehr gerne nachgekom-
men, ermöglichte sie es mir doch, der trüben
Schulgegenwart für ein paar Stunden zu ent-
fliehen. Dabei habe ich mich bemüht, möglichst kon-
krete Punkte zu benennen, die bei entsprechendem
Willen zeitnah umgesetzt werden könnten.
Führung ausweiten
Schulorganisation und Schulentwicklung brauchen
Führung und Steuerung. Schulen sind Systeme mit
einer extrem flachen Hierarchie, dies gilt insbeson-
dere für kleine Systeme wie Grund- und Förderschu-
len, aber auch für Haupt- und Realschulen. Ein Ver-
gleich mit der Privatwirtschaft macht das deutlich:
Ich kenne kein Unternehmen, das über fünfzig, sech-
zig oder siebzig Mitarbeitende verfügt, von denen
sich nur drei in einer herausgehobenen Funktion mit
besonderen Aufgaben und Befugnissen befinden,
während alle anderen Mitarbeitenden auf einer Ebe-
ne angesiedelt sind. Um es in ein anschauliches Bild
zu kleiden: Eine Armee, die ausschließlich aus Gene-
rälen und Fußsoldaten besteht, wird schwerlich er-
folgreich sein!
In den letzten Jahren ist die Anzahl der Aufgaben,
die Schule zu bewältigen hat, deutlich gestiegen. In-
tegration, Inklusion und die digitale Transformation
seien beispielhaft genannt.
Die Verantwortung für diese Aufgaben muss auf
mehr Schultern verteilt werden, als das heute der
Fall ist. Dabei geht es um die Herausbildung größt-
möglicher Expertise auf jedem einzelnen Aufgaben-
feld. Deshalb braucht es als Schnittstelle zwischen
Schulleitungen und Kollegium Expertinnen und Ex-
perten, die als Koordinatorinnen und Koordinatoren
fungieren – beispielsweise für die Inklusion oder die
Digitalisierung. Für zielführend halte ich es auch,
wenn diese Koordinatorinnen und Koordinatoren
wiederum an der Spitze einer kleinen Steuergruppe
stehen, die alle Aktivitäten und Anstrengungen der
Schule im Hinblick auf das definierte Aufgabenfeld
aufeinander abstimmt und miteinander in Einklang
bringt. Dass diese Neustrukturierung zu einer nicht
unerheblichen Ausweitung an Funktionsstellen füh-
ren würde, ist evident. Hier sind wir wieder beim
Ausgangspunkt meiner These: Zeitgemäße Schulor-
ganisation und fortschrittliche Schulentwicklung
brauchen mehr Führung und Steuerung.
Kommunikationsstrukturen
professionalisieren
Schulorganisation und Schulentwicklung brauchen
professionelle Kommunikationsstrukturen. In den
letzten Jahren ist die Schule nicht nur mit einer Viel-
zahl von neuen Aufgaben konfrontiert worden, sie
hatte auch eine Vielzahl neuer Professionen zu inte-
grieren. Die traditionelle Schule, in der der Bildungs-
und Erziehungsauftrag ausschließlich von Lehrkräf-
ten wahrgenommen wurde, existiert nicht mehr.
Heute finden wir an unseren Schulen neben der
’klassischen’ Lehrkraft die Sonderpädagogin und
den Sonderpädagogen, die Sozialarbeiterin und
den Sozialarbeiter, die Diplompädagogin und den
Diplompädagogen, die Sozialpädagogin und den
Sozialpädagogen, die Erzieherin und den Erzieher,
die Handwerksmeisterin und den Handwerksmeister
sowie die Integrationshelferin und den Integrations-
helfer. Zum Ausdruck gebracht wird diese neue Viel-
falt durch den Begriff der multiprofessionellen
Teams, der an unseren Schulen längst etabliert ist.
Wenn unterschiedliche Professionen in einer Institu-
tion zusammenwirken und die Aufgaben teilweise
überlappend sind, braucht es Kollaboration. Kollabo-
ration wiederum kann ohne etablierte Kommunikati-
onsstrukturen nicht gelingen. Und hier sehe ich eine
der zentralen Organisationsherausforderungen
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lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von SVEN CHRISTOFFER
lehrer nrw ·
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UNTER DER LUPE
für unsere Schulen: Dem Ausbau der Professionen
muss ein adäquater Ausbau institutionalisierter Kom-
munikation folgen. Warum das bisher nicht passiert
ist, hängt mit dem nächsten Punkt zusammen.
Systemzeit bereitstellen
Dem an Schulen tätigen Personal muss eine zeitliche
Ressource für innerschulische Kommunikation, Kolla-
boration, Unterrichts- und Schulentwicklung sowie
Konzept- und Programmarbeit zur Verfügung gestellt
werden. Diese zeitliche Ressource fasse ich unter
dem Begriff ’Systemzeit’. Um es an einem Beispiel
deutlich zu machen:
Der Lockdown im März 2020 hat die Schulen aus
ihrem digitalen Dornröschenschlaf geweckt. Aller-
dings war das kein sanfter Weckruf.
Getrieben durch die Erfordernisse des
Distanzunterrichts wurden unter enor-
mem Zeitdruck Lernplattformen instal-
liert, Kommunikationsmöglichkeiten
geschaffen und Konzepte aus dem
Boden gestampft. Vor wenigen Mona-
ten hat Schulministerin Yvonne Gebauer dann die
Digitalstrategie Schule NRW vorgestellt. Innerhalb
von fünf Jahren werden in Nordrhein-Westfalen in
das Lehren und Lernen mit digitalen Medien stolze
zwei Milliarden Euro investiert.
Ohne Geld ist alles nichts, aber Geld allein ist eben
auch nicht alles. Ob die Digitalstrategie Schule NRW
ein Erfolg wird, hängt maßgeblich von der Umset-
zung vor Ort ab und von den Umsetzungsmöglichkei-
ten, die man dem schulischen Personal einräumt. Die
meisten Schulen sind schon jetzt personell am Limit
oder darüber hinaus. Um ein sinnvolles und pädago-
gisch-didaktisch passgenaues Digitalkonzept zu im-
plementieren, brauchen die Schulen zeitliche Res-
sourcen: Digitalisierung nebenbei geht nicht.
28 Stunden unterrichten, en passant ein brillantes
Konzept auflegen, selbiges implementieren, nachmit-
tags das Netzwerk administrieren und abends die
Endgeräte warten, funktioniert nicht. Den Kollegin-
nen und Kollegen müssen zeitliche Ressourcen in
Form konkreter Entlastungsstunden eingeräumt wer-
den, um den digitalen Transformationsprozess ihrer
Schule unter pädagogischen und didaktischen Aspek-
ten voranzutreiben. Die Bewältigung administrativer
sowie technisch-handwerklicher Aufgaben gehört
jedoch in die Hände externen Fachpersonals. Und in
dieser letzten Bemerkung ist die Überleitung zum
letzten Punkt bereits angelegt.
Fokussierung ermöglichen
Schule muss so organisiert sein, dass das pädagogi-
sche Personal sich auf das pädagogische Kernge-
schäft – Unterrichten und Erziehen – fokussieren
kann. Zu den Lehrerfunktionen gehören das Unter-
richten, das Erziehen, das Diagnostizieren und För-
dern, das Leistung messen und beurteilen, das Bera-
ten, das Evaluieren, das Innovieren und Kooperieren,
das Organisieren und Verwalten. Die Zunahme unter-
richtsfremder Aufgaben in den letzten Jahren hat den
Bereich des Organisierens und Verwaltens aufge-
bläht. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass weniger
Zeit für das Kerngeschäft, nämlich die sorgfältige Pla-
nung, Vor- und Nachbereitung von Unterricht, übrig
bleibt. Gleiches gilt für die mit Blick auf Schulorgani-
sation und -entwicklung elementaren Teilbereiche In-
novieren und Kooperieren. Schulen, in denen Organi-
sation und Verwaltung Innovation und Kooperation
erdrücken, werden nicht vorankommen!
In Zeiten gravierenden Lehrkräftemangels muss
die ’Ressource Lehrkraft’ deshalb fokussiert und ziel-
gerichtet eingesetzt werden. Alle Aufgaben, die kei-
nen pädagogischen Hintergrund haben und keinen
pädagogischen Horizont erfordern, müssen so weit
als möglich outgesourct werden. Die Bereiche ’Schul-
verwaltungsassistenz’ und ’Systemadministration
durch externes Fachpersonal’ sind hier nur zwei Bei-
spiele.
Unabhängig davon darf auch die Institution Schule
beim Thema Entbürokratisierung nicht außen vor
bleiben. Insbesondere Schulleitungen verbringen ihre
Arbeit zu einem Gutteil mit der Bewältigung aufwän-
diger Dokumentationspflichten. Auch hier bedarf es
dringend einer Fokussierung auf das Wesentliche.
Sven Christoffer ist Vorsitzender des
lehrer nrw
sowie Vorsitzender des HPR Realschulen
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
Die wichtigste Ressource
im System Schule sind
Lehrerinnen und Lehrer. Wer gute
Schule will, muss die Lehrkräfte
entlasten, damit sie sich auf ihr
Kerngeschäft konzentrieren können.
Foto: AdobeStock/Andrey Popov
lehrer nrw ·
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BRENNPUNKT
Qualität im Gemeinsamen Lernen –
Standards oder fromme Wünsche?
Zu Beginn der Legislaturperiode der jetzigen Landesre-
gierung herrschte Konsens zwischen allen Beteiligten,
dass die Qualität der inklusiven Bildung an allgemeinen
Schulen spürbar gesteigert werden müsse. Doch inzwi-
schen ist Ernüchterung eingekehrt.
I
Im Zuge der Neuausrichtung der Inklusion
sollten zum einen die personellen Res-
sourcen aufgestockt und gezielter einge-
setzt werden. Zum anderen sollte das Ge-
meinsame Lernen an Qualitätsstandards
ausgerichtet sein. Das Konzept von Schwarz-
Gelb klang durchaus vielversprechend:
»Die Landesregierung hat sich daher für
intensive zusätzliche Investitionen in die In-
klusion an den Schulen entschieden. Für
die Unterstützung des Gemeinsamen Ler-
nens in der Sekundarstufe I stellt die Lan-
desregierung bis zum Jahr 2024/2025 min-
destens 6000 Stellen mehr als die Vorgän-
gerregierung zur Verfügung.
Zur spürbaren Verbesserung der Qualität
wird die schulische Inklusion in der Sekun-
darstufe I an Schulen des Gemeinsamen
Lernens gebündelt. Schrittweise aufwach-
send wird an diesen Schulen das neue In-
klusionskonzept nach der Berechnungsfor-
mel 25 – 3 – 1,5 eingeführt. Das heißt: In
einer Eingangsklasse mit 25 Schülerinnen
und Schülern sollen im Durchschnitt drei
Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an
sonderpädagogischer Unterstützung ler-
nen. Für jede dieser Klassen erhält die
Schule eine halbe zusätzliche Stelle.
Gleichzeitig hat die Landesregierung
konkrete Qualitätskriterien für die schuli-
sche Inklusion benannt. Schulen des Ge-
meinsamen Lernens müssen über ein pä-
dagogisches Konzept zur inklusiven Bil-
dung verfügen, eine pädagogische Konti-
nuität durch Lehrkräfte für sonderpädago-
gische Förderung gewährleisten, ihre
Lehrerinnen und Lehrer systematisch fort-
bilden sowie über die sächlichen, vor allem
die räumlichen Voraussetzungen für das
von SARAH WANDERS
Foto: AdobeStock/kristina rütten
Inklusion
Das System hängt: Der Inklusionsprozess
kommt nicht voran, weil es in den Schulen an Personal,
sonderpädagogischer Expertise und Kontinuität fehlt.
BRENNPUNKT
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lehrer nrw
Gemeinsame Lernen verfügen.«
(www.schulministerium.nrw/schule-
bildung/bildungsthemen/inklusion)
Große Hoffnung,
große Ernüchterung
Diese Pläne hat unser Verband seinerzeit
ausdrücklich begrüßt, waren schließlich
mit der Setzung von Qualitätsstandards
auch große Hoffnungen bei den Kollegin-
nen und Kollegen vor Ort verbunden. Lei-
der erreichen sowohl unseren Verband als
auch die Personalräte zunehmend ernüch-
ternde Rückmeldungen aus den Schulen:
Es gibt immer noch zu wenig sonder-
pädagogische Expertise an den Schulen
des Gemeinsamen Lernens, viele Stel-
lenausschreibungen laufen leer.
MPT-Fachkräfte leisten eine gute und
wertvolle Unterstützung, können aber
Sonderpädagoginnen und -pädagogen
nicht ersetzen.
Wechselnde Abordnungen von Sonder-
pädagoginnen und -pädagogen bieten
keine pädagogische Kontinuität, die
gerade Schülerinnen und Schüler mit
Förderbedarf dringend benötigen.
Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort
fühlen sich überfordert und nicht aus-
reichend fortgebildet.
Selbst Schulen, die die Qualitätsstan-
dards nicht annähernd erfüllen, werden
Schulen des Gemeinsamen Lernens,
weil der Bedarf groß ist.
Die Not in den Schulen
wird größer
Die Liste der Probleme im Gemeinsamen
Lernen ist sicherlich nicht abschließend.
Vieles ist dem Mangel an Sonderpädago-
ginnen und -pädagogen geschuldet, der
sich nicht von heute auf morgen beheben
lässt. Die Not der Kolleginnen und Kolle-
gen vor Ort wird zunehmend größer. Dies
schildern sie immer wieder zum Beispiel in
den Personalversammlungen eindrücklich.
Viele haben das Gefühl, unter den jetzigen
Bedingungen keinem Kind mehr gerecht
werden zu können, weder den Kindern
und Jugendlichen ohne sonderpädagogi-
schen Unterstützungsbedarf, noch denen
mit Förderbedarf. Das belastet neben den
ohnehin schon immensen Herausforderun-
gen die Kolleginnen und Kollegen, die na-
türlich jedes Kind optimal fördern wollen,
massiv.
Der
lehrer nrw
geführte Hauptpersonal-
rat Realschulen hat in seiner Gemein-
schaftlichen Besprechung mit Schulminis-
terin Yvonne Gebauer Anfang März genau
diese Probleme, Sorgen und Nöte vorgetra-
gen und um Abhilfe gebeten. Falsch, Abhil-
fe gefordert. Die Hausspitze versicherte,
die Probleme zu kennen und auch alles zu
versuchen, endlich angemessene Rahmen-
bedingungen für das Gemeinsame Lernen
zu schaffen. Man habe auch seit der Neu-
ausrichtung der Inklusion viele zusätzliche
Stellen ins System gegeben und die Studi-
enplatzkapazitäten erhöht. Leider greifen
diese Maßnahmen noch nicht, und wir alle
wissen, dass der Lehrkräftemangel an den
Schulen der Primarstufe und der Sekundar-
stufe I ohnehin enorm ist. Stellen allein
sind wenig wert, wenn sie nicht besetzt
werden können. Auch wenn man die Mise-
re des Schulministeriums verstehen kann –
Lehrkräfte kann man nicht aus dem Hut
zaubern –, so darf dies trotzdem nicht zu
einer weiteren Überlastung der Kollegin-
nen und Kollegen vor Ort führen – und ich
spreche von dem gesamten pädagogi-
schen Personal.
Inklusion gibt es
nicht zum Nulltarif
Das Gemeinsame Lernen von Kindern mit
und ohne Förderbedarf erfordert, dass zu-
nächst einmal die entsprechenden Rah-
menbedingungen geschaffen werden. In-
klusion zum Nulltarif, vor allem ohne son-
derpädagogische Expertise an allen Schu-
len, ist zum Scheitern verurteilt und wird
den Schülerinnen und Schülern, die in be-
sonderem Maße Unterstützung benötigen,
nicht gerecht.
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende
des
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
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JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: werner@lehrernrw.de
von MARCEL WERNER
Darfs ein bisschen
mehr sein?
Eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist nicht nur in
persönlicher Hinsicht wichtig, sondern auch im Hinblick
zum Beispiel auf Tierschutz und Klimaschutz. Daher sollte
das Thema Ernährungs- und Verbraucherbildung auch in
der Schule einen höheren Stellenwert bekommen.
E
Ernährungs- und Ver-
braucherbildung ist
ein Prozess, den unse-
re Schülerinnen und Schüler
von Geburt an durchleben.
Allerdings merken wir vermehrt,
dass unsere Schülerinnen und
Schüler inzwischen sehr unter-
schiedliche Wissensniveaus in
den lebenswichtigen Bau-
steinen besitzen. Daher ist
es zwingend erforderlich,
dass dieser gesamte
Themenbereich ver-
mehrt in den schulinter-
nen Lehrplänen auftaucht.
Ich befürworte zwar ein ei-
genständiges Fach Ernäh-
rungs- und Verbraucherbildung,
gleichwohl sich die Inhalte auch
sehr gut in unseren ’klassischen’ Schul-
fächern widerspiegeln.
Enger Bezug zur
Lebenswirklichkeit
Die Ernährungs- und Verbraucherbildung er-
möglicht den Kompetenzerwerb mit den In-
halten und der Herkunft der Produkte, die
wir essen und trinken, im Kontext sozialer
Gemeinschaften und im Umgang mit Le-
bensmitteln als Konsument. Dieser Lebens-
weltbezug, den der gesamte Themenbereich
automatisch mit sich bringt, erzeugt eine
hohe Schüleraktivierung Ihres Fachunter-
richtes. Natürlich können Sie auch eine Pro-
jektwoche zu diesem Thema gestalten. Denn
die Ernährungs- und Verbraucherbildung
passt ideal in jedes Leitbild einer Schule und
kommt sehr gut bei den Eltern unserer
SchülerInnen an.
NÜTZLICHE LINKS
zum Referat Ernährungsbildung: https://bzfe.de/info/
ueber-das-bzfe/referat-ernaehrungsbildung/
zum Unterrichtsmaterial: https://bzfe.de/bildung/unterrichtsmaterial/
zu den Lehrerfortbildungen: https://bzfe.de/bildung/fortbildungen/
zum Bildungsnewsletter: https://bzfe.de/bildung/bildungs-newsletter/
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b
l
i
s
s
Apfel oder Burger?
Gesunde oder ungesunde Ernäh-
rung ist nicht nur eine
persönliche Frage.
Reichhaltiger Ideenpool,
umfangreiche
Materialsammlung
Eine Hilfe, die Inhalte kreativ und fachlich
korrekt zu vermitteln, bietet das Bundeszen-
trum für Ernährung (BZfE). Hier finden Sie
Ideen und Materialien, die zum Großteil
kostenfrei zur Verfügung stehen. Das BZfE
sieht seine Aufgabe darin, Akteure in diesen
Settings zu unterstützen, damit Ernährungs-
bildung in der Kita, Schule oder anderen Bil-
dungseinrichtungen ganzheitlich gedacht
und gelebt werden kann. Mit dieser Arbeit
unterstützt das BZfE Schülerinnen und Schü-
ler beim Erwerb von Ernährungs- und Ver-
braucherbildungskompetenzen für selbstbe-
stimmte, verantwortungsvolle, gesundheits-
bewusste und nachhaltige Lebensstile.
Sie müssen das Rad daher nicht neu er-
finden, nutzen Sie einfach den Material-
pool des BZfE. Ich persönlich arbeite
sehr oft mit diesen Materialien,
welche der Lehrperson einen
kurzen inhaltlichen Überblick
verschaffen und gleichzeitig
Ideen für einen kreativen
Unterricht geben. Die Ma-
terialien sind sehr an-
sprechend gestaltet
und direkt einsetz-
bar. Natürlich kön-
nen sie auch nur als
Impulsgeber für das Errei-
chen eines anderen Unter-
richtszieles dienen. Weiterhin
werden viele Methoden geliefert, die in
jedes Unterrichtsfach passen. Ich nutze bei-
spielsweise gerade das ’Autorenlernen’ und
drehe mit meinen Schülerinnen Erklärvideos
zu einem Unterrichtsinhalt.
lehrer nrw ·
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Starke Stimme
im VDR-Bundesvorstand
Sven Christoffer und Ingo Lürbke werden die Interessen von
lehrer nrw
künftig auch im Bundesvorstand des Verbandes
Deutscher Realschullehrer (VDR) vertreten. Beide wurden bei
der VDR-Delegiertentagung mit herausragenden Ergebnissen
gewählt.
lehrer nrw
ist im neu gewählten Bundes-
vorstand des Verbandes Deutscher Real-
schullehrer (VDR) weiter mit starker Stim-
me vertreten. Bei den Vorstandswahlen
anlässlich der Delegiertenversammlung
des VDR im Rahmen des Bundesrealschul-
tages vom 31. März bis 2. April in Mann-
heim erzielten Sven Christoffer und Ingo
Lürbke herausragende Ergebnisse. Als
neuer stellvertretender Bundesvorsitzen-
der erhielt
Christoffer 99
Prozent der
Stimmen. Als
neuer Schatz-
meister des
VDR erreichte
Lürbke 95 Pro-
zent. Wie bis-
her hat lehrer
nrw damit zwei
wichtige Pos-
ten im VDR-
Bundesvor-
stand inne.
Sven Chri-
stoffer warb in
seiner Vorstel-
lungsrede in
Mannheim für
die Gleichwer-
tigkeit von be-
ruflicher und
akademischer
Bildung: »Das ‘Abitur für alle‘ stößt an
seine Grenzen, der Akademisierungs-
wahn erhält ein Realitätsupdate«. Er plä-
Ebenso wie bei lehrer nrw
bekleidet Ingo Lürbke nun
auch beim VDR das Amt des
Schatzmeisters.
Der neue geschäftsführende VDR-Bundesvorstand (v.l.): Ingo Lürbke
(Schatzmeister, NRW), Sven Christoffer (stellvertretender Bundesvorsitzender, NRW), Jürgen
Böhm (Bundesvorsitzender, Bayern), Bernd Bischoff (stellvertretender Bundesvorsitzender,
Bayern), Waltraud Eder (Pressesprecherin, Bayern), Dirk Meußer (stellvertretender Bundes-
vorsitzender, Schleswig-Holstein), Ralf Neugschwender (Geschäftsführer, Bayern). Auf dem
Foto fehlt Anna Katharina Müller (Schriftführerin, Sachsen-Anhalt).
Der lehrer nrw Vorsitzende
Sven Christoffer wurde in
Mannheim mit 99 Prozent der
Stimmen zum stellvertreten-
den Bundesvorsitzenden des
VDR gewählt.
Foto: lehrer nrw
101 Delegierte wählten in Mannheim
den neuen Bundesvorstand des Verbandes
Deutscher Realschullehrer.
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lehrer nrw
TITEL
dierte für eine Stärkung der Schulformen,
die in besonderer Weise auf die Ausbil-
dungsreife ihrer Schülerinnen und Schü-
ler hinwirken.
Viel Zuspruch für
A13-Kampagne
von
lehrer nrw
Auf ein sehr positives Echo unter den 101
Delegierten beim Bundesrealschultag in
Mannheim stieß die von
lehrer nrw
gestar-
tete Kampagne »Ich verdiene A13!«, die
unmittelbar zuvor angelaufen war. Es sei
ein unhaltbarer Zustand, dass Lehrkräfte
an den Schulen der Sekundarstufe I deut-
lich weniger verdienen als ihre Kolleginnen
und Kollegen im Sekundarbereich II,
obwohl sie gleichwertige Arbeit leisten,
betonte Christoffer. Es dürfe keine Lehr-
kräfte erster und zweiter Klasse geben.
Der als Bundesvorsitzender des VDR im
Amt bestätigte Jürgen Böhm unterstrich,
dass der VDR die Forderung einer Ein-
gangsbesoldung/-vergütung nach A13
bzw. E13 für alle grundständig ausgebilde-
ten Lehrkräfte mit Nachdruck unterstützt –
auch über die Grenzen von Nordrhein-
Westfalen hinaus. Jochen Smets
Fotos (4x): VDR
Starke Gruppe: Die Delegierten aus NRW nutzten beim Bundesrealschultag die
Gelegenheit, nochmals für die lehrer nrw Kampagne »Ich verdiene A13!« zu werben.
lehrer nrw ·
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TITEL
Bildung
und
Freiheit
Vom hohen Wert der Freiheit handelte die Rede des VDR-
Vorsitzenden Jürgen Böhm beim Bundesrealschultag in
Mannheim. Er betonte, dass Freiheit mehr denn je vertei-
digt werden und mehr denn je Teil von Bildung sein müsse.
Wir geben seine Rede hier in Auszügen wieder.
M
Mehr Bildung! Mehr Realität!
Mehr Schule! – Bereits 1950, als
der erste Bundesrealschultag in
Köln stattfand – ein Jahr nach der Grün-
dung der jungen Bundesrepublik, fünf Jah-
re nach der Beendigung der Katastrophe
des Zweiten Weltkrieges und damals 1950
angekommen in der Spaltung unseres Lan-
des und der Welt mit zwei konkurrierenden
Gesellschaftsideen – hätte dieses Motto
von 2022 bereits gepasst.
Auf der einen Seite der Weltkugel (vor
dem Eisernen Vorhang) stand damals real,
die Idee der Freiheit, der individuellen Ent-
wicklung, der Entfaltung der Persönlichkeit
– und auf der anderen Seite des Globus, die
der ideologischen Vorgabe von Lebenswe-
gen, der Diktatur eines scheinbaren Ideals,
das die Welt vereinheitlicht, scheinbare
Gleichheit vor Freiheit. Zwei Vorstellungen
von Gesellschaft, Wirtschaft und Bildung
standen sich 1950 unversöhnlich gegenüber.
Bis 1989/1990 friedliche Revolutionen in
Deutschland und Europa die Diktatoren
vom Tisch wischten, und wir glaubten
schon das Ende der Geschichte sei er-
reicht, wie es der amerikanische Historiker
Francis Fukuyama schon in dem im Som-
mer 1989 veröffentlichten Artikel in der
Zeitschrift ’The National Interest’ und in
seinem Buch mit diesem Titel – ’The End of
History and the Last Man’, 1992 behaupte-
te.
Fukuyama vertrat die These, dass sich
nach dem Zusammenbruch der UdSSR und
der von ihr abhängigen sozialistischen
Staaten bald die Prinzipien des Liberalis-
mus in Form von Demokratie und Markt-
wirtschaft endgültig und überall durchset-
zen würden. Die Demokratie habe sich
deshalb als Ordnungsmodell durchgesetzt,
weil sie das menschliche Bedürfnis nach
sozialer Anerkennung relativ gesehen bes-
ser befriedige als alle anderen Systeme.
Mit dem Sieg dieses Modells ende der
Kampf um Anerkennung, und es entfalle
das Antriebsmoment der Geschichte.
Bildung, Leistung
und Individualität
Teilweise entfiel wohl in den letzten drei-
ßig Jahren auch das Antriebsmoment zu
glauben, dass zum Erhalt der Freiheit Bil-
Vom Wert der
Freiheit: Der VDR-
Bundesvorsitzende Jür-
gen Böhm bei seiner
Rede auf dem Bundes-
realschultag in Mann-
heim.
TITEL
13
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lehrer nrw
dung, Leistung und Individualität gehören.
Sehr leichtfertig hechelte man teilweise
ideologischen Bildungsphantasien hinter-
her. »Abitur für alle« – titelte eine Partei
zum Bundestagswahlkampf 2005.
Wir konnten es uns nicht mehr vorstel-
len, dass die demokratische Grundordnung
in Europa jemals wieder erschüttert oder
in Frage gestellt werden kann. Trotz der
Balkankriege der neunziger Jahre und der
zunehmenden Aggressionen autoritär ge-
führter Staaten im Nahen Osten, in der
Kaukasusregion und in Mittel- und Ost-
asien wurden die Zeichen der Unfreiheit
und Diktatur auch von uns Deutschen gern
übersehen. Sicherungssysteme zur Vertei-
digung unserer Freiheit, wie die Bundes-
wehr, wurden vernachlässigt, und oft spiel-
te die Wunschvorstellung von gefühlter
Sicherheit und scheinbar unverzichtbarer
wirtschaftlicher Erweiterung und Globali-
sierung die entscheidende Rolle.
Bis hin zur Energiepolitik verließ man
sich bis zum Ende der Illusion auf lupenrei-
ne Autokraten, machte gerne gute Ge-
schäfte und sonnte sich in der Zufrieden-
heit, ja nur von Freunden ’umzingelt’ zu
sein. Nun scheint die Zeit des Imperialis-
mus zurück – ’Putin-Russland’ versucht
sich in der Wiederherstellung eines rus-
sisch dominierten ’Neu-Sowjetreiches’,
und China steht schon in den Startlöchern
zum ’Sprung’ nach Taiwan. Und die Ampel-
koalition inklusive des neuen Kanzlers und
der Koalitionspartner muss nun von liebge-
wonnenen Narrativen in der Sicherheitspo-
litik, in der Energiepolitik und auch in der
Finanzpolitik Abschied nehmen.
Vom Wert der Freiheit
Auf die Bildung im Land wird das Auswir-
kung haben. Jungen Menschen muss der
Wert der Freiheit wieder klar vor Augen
geführt werden, der Wert der individuellen
Entwicklung – nicht die ideologisierte
Gleichheit zählt, sondern Freiheit der Ent-
scheidung. Hatten wir es eventuell schon
vergessen oder es dem scheinbaren Luxus
der globalen Märkte geopfert? Wir sind
sehr brutal aufgerüttelt worden und in
der harten Realität der Angriffe auf unser
demokratisches System aufgewacht.
Wir können nicht wegschauen, es nicht
ignorieren und uns nicht freikaufen. Ange-
sichts Tausender Toter, Millionen von
Flüchtlingen in Europa, dem Angriff auf
unser europäisches Haus mit Millionen von
zerstörten Biografien müssen wir handeln
und Farbe bekennen. Nicht nur in den
Schulen! Wir müssen helfen – und wir wer-
den helfen! Solidarität mit einem freien
Land – wir müssen mit der freien Ukraine
die Freiheit von uns allen verteidigen. Am
27. Februar bezeichnete es Kanzler Scholz
im Bundestag als Zeitenwende – und es
darf definitiv nicht das Ende der Geschichte
sein.
Brauchen wir eine solche Zeitenwende
nicht auch in der Bildungspolitik oder bes-
ser in unserem Verständnis von Bildung?
Ja, wir müssen die Bildung in unserem
Land wieder an den Realitäten ausrichten!
Nein, es gibt keine Königswege in der
Bildung!
Nein, es gibt keine minderwertigen oder
zu vernachlässigende Schulabschlüsse!
Nein, die Akademisierung der Gesell-
schaft ist nicht die Lösung.
Alle Schulabschlüsse
sind wichtig
Bildung steht als Begriff oder in Zusammen-
setzungen fast 200 mal im Koalitionsvertrag
der Ampel vom Herbst 2021 – scheinbar ist
angekommen, dass wir gerade in der Bil-
dung einiges versäumt haben. Wir jammern
über zu lange Ausbildungszeiten, wir jam-
mern über zu wenig Interesse an der dualen
Berufsausbildung, jammern über den Fach-
kräftemangel, fehlende Bewerber im öffent-
lichen Dienst, und wir schaffen es einfach
nicht, allen Jugendlichen einen qualitativen,
allgemeinbildenden Schulabschluss zu er-
möglichen. Und ich meine dabei alle drei
Abschlüsse, die in Deutschland erreicht wer-
den können – den Hauptschulabschluss, den
Realschulabschluss und das Abitur! Alle drei
sind wichtig – in der öffentlichen Darstel-
lung kommt oft leider nur das Abitur vor.
Wir haben differenzierte und berufliche
Bildungswege schlecht geredet oder abqua-
lifiziert – den Menschen in unserem Land
wurde die Lösung aller Probleme in der
Akademisierung versprochen. Die realen
Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Stichwort Fachkräftemangel, Generation
Praktikum, enttäuschte Jungakademiker mit
unerwartet niedrigen Einkommen, babyloni-
sches Studiengangwirrwarr. Wir dürfen in
der Bildung keine Wege erzeugen, die von
Fehlanreizen und Umwegen gekennzeich-
net sind.
Foto: VDR
lehrer nrw ·
3/2022
14
TITEL
Talente werden auf verschiedenen, diffe-
renzierten Wegen gefördert und motiviert.
Leistung muss wieder ein klares Kriterium
für Bildung werden, und Leistung kann
nicht einfach wegdiskutiert werden – Ab-
schlüsse und Übertritte können nicht nach
Quote, ohne Leistung und nur mit ’gutem
Willen’ erfolgen. Wir verzeichnen zu viele
Abbrüche in den akademischen Studien-
gängen und in der dualen Berufsausbil-
dung.
Rendite im Bildungsbereich zu sprechen
und den entsprechenden Lehrkräftenach-
wuchs nicht zu generieren – entsprechen-
de Anreize für das Lehramt zu schaffen.
Der Lehrkräftemangel trat nicht nur in der
Coronakrise zu Tage – er verstärkt sich nun
bei der Aufgabe, Tausende von ukraini-
schen Kindern in den Schulen aufzufan-
gen. Wir haben keine personellen Ressour-
cen an unseren Schulen, und on top geht
es einfach nicht mehr! Seit Jahren fordert
meinwesen, unsere freie Gesellschaft
kaputt.
Es war unverantwortlich, dass teuer
bezahlte Gutachten, wie die der Bertels-
mann-Stiftung mit ideologisierten Bil-
dungsansätzen und falschen Anleihen an
internationale Bildungsvergleiche, differen-
zierte Strukturen in Deutschland verteufel-
ten und den gesamten Bereich der berufli-
chen Bildung einfach abqualifizierten. Bil-
dungsverlierer wurden definiert, wenn ein
Kind aus einer Akademikerfamilie keinen
akademischen, sondern einen beruflich-
fachlichen Weg einschlägt. Völlig unrealis-
tisch und akademisch abgehoben.
Genau das diskreditiert die Vielfalt der
Bildung – erzeugt Frustrationen – und
führt zu den Fehlentwicklungen wie Fach-
kräftemangel, Demotivation und Qualitäts-
abbau. Wir brauchen wieder klare Inhalte
in der Bildung und eine Ausrichtung am
realen gesellschaftlichen Leben.
Neben den Kernfächern, die wir nicht
verwässern oder in Kombifächern verhül-
len wollen, gehören Digitalisierung, ökono-
mische Bildung, die Orientierung an den
technischen und wissenschaftlichen He-
rausforderungen unserer Zeit zur Real-
schulbildung.
Als Mitbegründer und Bündnispartner
des Bündnisses für Ökonomische Bildung
steht der VDR klar dafür, dass jungen Men-
schen ökonomische Zusammenhänge ver-
mittelt werden, dass sie diese ökonomi-
schen Grundlagen als Grundlagen der Frei-
heit verstehen – damit sie als mündige
Bürger damit umgehen können.
Die Chance,
Freiheit zu stärken
Es wird sich zeigen, dass die Kräfte der
Freiheit, der Vielfalt, der Kreativität überle-
gen sind gegenüber den Despoten, Auto-
kraten, Ideologen und Gleichmachern. Wir
leben in einer Zeitenwende und es ist
längst nicht das Ende der Geschichte – es
ist eine Chance, diese Freiheit zu stärken –
gerade mit den großartigen Möglichkeiten
einer vielfältigen Bildung. Lassen Sie uns
das gemeinsam gestalten!
Der VDR-Bundesvorsitzende Jürgen Böhm (r.) und lehrer nrw-Landeschef
Sven Christoffer im Schulterschluss für eine gerechte Besoldung:
Der VDR unterstützt die lehrer nrw-Kampagne ‘Ich verdiene A13!’
Schule und Bildung
sind hoheitliche Aufgaben
Die Rahmenbedingungen an unseren Schu-
len im Land müssen verbessert werden. Es
ist unverantwortlich, dass die Lehrerausbil-
dung ein Schattendasein an den Universitä-
ten fristet und die Qualitätsoffensive Lehrer-
bildung des Bundes völlig unterfinanziert ist.
Es ist unverantwortlich, dass der Beam-
tenstatus der Lehrkräfte so lange diskutiert
werden musste, bis jetzt selbst des Land
Berlin diesen wieder umsetzen muss. Ich
verweise auf den Präsidenten des Bundes-
verfassungsgerichtes Prof. Dr. Andreas Voß-
kuhle, der bei seiner Urteilsbegründung am
18. Juni 2018 in Karlsruhe klar herausstell-
te – Schule und Bildung sind eindeutig ho-
heitliche Aufgaben.
Es war unverantwortlich, in den vergan-
genen Jahren von einer demographischen
der VDR eine bessere Personalausstattung
der Schulen mit einer integrierten Lehrer-
reserve.
‘Ich verdiene A13!’
Es war und ist unverantwortlich, Lehrkräfte
nicht mit der Einstiegsbesoldung A13 aus-
zustatten – und wir unterstützen aus-
drücklich die Initiative unseres Landesver-
bandes
lehrer nrw,
gerade um die Ein-
gangsbesoldung A13 zu kämpfen. Just in
dieser Woche gehen tausende Karten mit
dem Slogan ‘Ich verdiene A13!’ an die po-
litisch Verantwortlichen in Nordrhein-
Westfalen.
Es war unverantwortlich, dass Un-
ternehmensberatungen wie McKinsey
in den vergangenen Jahren über die
Effizienz von Schule bestimmten – Ren-
diten errechneten. Wer an der Bildung
spart, der spart das demokratische Ge-
Der schöne Schein –
Die triste Wirklichkeit
Die Politische Bildung in der Schule steckt in der Krise!
Informationsflut:
In der modernen Medien-
und Kommunikations-
welt sind Menschen sehr
unterschiedlichen Ein-
flussfaktoren ausgesetzt.
Die unüberschaubare
Vielfalt verursacht Anfäl-
ligkeit für ’alternative
Fakten, Manipulation
und Verschwörungstheo-
rien. Dies macht politi-
sche Bildung in der Schu-
le umso wichtiger, aber
auch umso schwieriger.
15
3/2022 · lehrer nrw
Die Bundeszentrale für politische Bildung be-
schreibt den Zustand der Politischen Bil-
dung in den deutschen Schulen in ihrem In-
ternetauftritt zum Thema ’Bildungsaufgabe und
Schulfach sehr drastisch mit den Teilüberschriften:
’Der schöne Schein: Politische Bildung als fest
etablierte schulische Bildungsaufgabe
’Die triste Wirklichkeit: Der Politikunterricht als
randständiges Schulfach
Argumente zur Beschwichtigung: Politische Bil-
dung findet doch nicht nur im Fachunterricht statt!’
(www.bpb.de/gesellschaft/bildung/politische-bildung/
193595/bildungsaufgabe-und-schulfach?p=0)
Wenngleich diese provokanten Aussagen von
Dr. Joachim Detjen (Politikwissenschaftler) bereits
aus dem Jahr 2015 stammen, macht die Corona-Kri-
se unverblümt deutlich, dass sich in den zurücklie-
genden Jahren daran nichts zum Besseren verän-
dert hat. Im Gegenteil: In der Pandemie drängt sich
angesichts der Zweifler, der Negierer, der Querden-
ker und Querulanten und anhaltender Demonstra-
tionen, auch gegen ’Großprojekte, immer mehr die
Frage auf, ob die Politische Bildung in der Schule
versagt hat und ob wir – schlimmer noch! – nicht in
einer tiefen Krise der repräsentativen Demokratie
selbst stecken?
Blumige Prosa über Auftrag und Ziel
der Politischen Bildung reicht nicht aus!
Der Auftrag für die Politische Bildung in den allge-
meinbildenden Schulen ist in Nuancen je nach
Bundesland unterschiedlich beschrieben. Alle Be-
schreibungen stützen sich auf einen Konsens, der
von der KMK als ’Demokratieerziehung’ unter ’weite-
re Unterrichtsinhalte im Bildungsauftrag zusam-
mengefasst ist. Sie, die Demokratieerziehung, steht
dabei eher nebensächlich bzw. gleichrangig neben
Anliegen wie Berufliche Orientierung, Bildung
Foto: photoschmidt/AdobeStock
für nachhaltige Entwicklung, Europabildung, Gesund-
heitserziehung, Holocaust und Nationalsozialismus,
Interkulturelle Bildung.
Pädagogen fragen sich seit Jahrzehnten, ob man da-
mit dem Anliegen der Politischen Bildung als zentralem
Bestandteil der Allgemeinbildung mit dem Ziel, junge
Menschen zu einem eigenverantwortlichen, selbstbe-
stimmten Handeln zu führen, gerecht wird. Nicht wenige
Pädagogen verneinen den Erfolg dieses Konzepts. Selbst
wenn man in Rechnung stellt, dass in allen Bundeslän-
dern Leitfächer für die Politische Bildung wie Geschichte,
Geschichte/Sozialkunde, Geschichte/Politik/Geographie,
Wirtschafts- und Sozialkunde, Wirtschaft und Recht beste-
hen und eigenständige Fächer – etwa Sozialkunde – ein-
gerichtet wurden, stellen Lehrkräfte immer wieder einen
übergroßen Mangel an Möglichkeiten fest, dem zentra-
len Anliegen der Politischen Bildung gerecht zu werden.
Vor allem monieren Lehrkräfte die fehlende Unterrichts-
zeit für das überaus bedeutsame Bildungsanliegen.
Natürlich ist den Verantwortlichen in den Schulen be-
wusst, dass die Schule nur eine Instanz politischer Sozia-
lisation neben vielen anderen ist. Klar ist aber auch,
dass insbesondere die Schule alle Schüler erreicht und
dem Neutralitätsgebot, beschrieben im Beutelsbacher
Konsens, besonders verpflichtet ist. Aber die Schule steht
unter den Bedingungen der modernen Medien- und
Kommunikationswelt in wachsender Konkurrenz zu vie-
len anderen Einflussfaktoren (’heimliche Erzieher’) wie
(soziale) Medien, aber auch zu NGOs (Non-governmen-
tal organisations) u.v.m. Eine wachsende Zahl an welt-
anschaulich unterschiedlich ausgerichteten Institutio-
nen beeinflusst heute die politische Bildung in Deutsch-
land und trägt zur politischen Willensbildung positiv
wie negativ bei. Die kaum noch überschaubare Vielfalt
verursacht Unsicherheit sowie Anfälligkeit für ’alternati-
ve Fakten, Manipulation und Verschwörungstheorien.
Fatale Entwicklungen sind: Fundamentalopposition,
linker wie rechter Extremismus, Antisemitismus oder in
diesen Tagen im Sammelbecken der Corona-Leugner so
genannte ’Querdenker.
Pädagogen, die sich dem sehr wichtigen Ziel der Poli-
tischen Bildung bzw. der Demokratieerziehung (KMK)
verpflichtet fühlen, können die in der bpb-Publikation
verwendeten Ausdrücke »Der schöne Schein« – »Die triste
Wirklichkeit« nur bestätigen. Die Wirklichkeit ist nicht nur
trist, sie ist besorgniserregend.
Die Fehlentwicklungen in der Politischen Bil-
dung haben sich über Jahrzehnte angedeutet!
Will man die Situation der politischen Bildung heute be-
urteilen, ist ein kritischer Blick auf die politischen Ver-
hältnisse in den gut siebzig Jahren im Nachkriegs-
deutschland unverzichtbar. West-Deutschland hat sich
mit dem Grundgesetz von 1949 für die Herrschaftsform
der repräsentativen Demokratie in Form eines parla-
mentarischen Regierungssystems entscheiden. Politi-
sche Entscheidungen und die Kontrolle der Exekutive
(Regierung) gehen dabei nicht unmittelbar vom Volk
aus, sondern von einer Volksvertretung (Parlament). Die
Bevölkerung kann ihre demokratischen Rechte über die
Beteiligung an Wahlen und die Mitwirkung in Parteien,
Verbänden und Initiativen umsetzen – so war es ur-
sprünglich gedacht. Das bedeutet: Unmittelbare Ent-
scheidungsbefugnisse haben nicht die Bürger selbst,
sondern die Volksvertretungen.
Die repräsentative Demokratie hat in Deutschland im
Vergleich eine relativ kurze Geschichte. Kaum schien sie
in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gefes-
tigt, geriet sie am Ende des 20. Jahrhunderts in eine
ernsthafte Krise, die in der Corona-Pandemie offener als
je zuvor zu Tage tritt. Jetzt in der Krisensituation zeigt
sich für jedermann sichtbar, wie verletzlich die repräsen-
tative Demokratie in den westlichen Staaten ist – sogar
im oft gepriesenen Mutterland USA.
So lässt sich für Politische Bildung, für Demokratieer-
ziehung in der Schule im Jahr 2021 ein höchst diffuses
Umfeld konstatieren, welches über Jahrzehnte bewusst
und unbewusst geschaffen wurde. Für die repräsentati-
ve Demokratie und ihre Akzeptanz sind geschürtes
Misstrauen gegenüber den staatlichen Einrichtungen,
schwindende Autorität staatlicher Organe, laute Rufe
nach Instrumenten der direkten Demokratie und fehlen-
de Akzeptanz für politische Entscheidungen (in einem
demokratischen Prozess entstanden) geradezu existenz-
bedrohend.
Kein gesellschaftlicher Konsens
für Politische Bildung
Gerade in einem wie oben beschriebenen Umfeld, in
welchem die Grundsätze unseres freiheitlichen Rechts-
staates in Frage gestellt werden, ist Politische Bildung in
der Schule zum Scheitern verurteilt. Wenn die Klarheit in
der Beurteilung gesellschaftlicher Vorgänge fehlt, wenn
demokratisch getroffene Entscheidungen keine Gültig-
keit haben, wenn in den Medien fortlaufend vermittelt
wird, man müsse den Bürger vor dem Staat schützen
(nicht vor Rechtsbrechern), beispielsweise wenn Polizis-
ten das Recht durchsetzen, dann ist es unmöglich, junge
Menschen für den freiheitlichen demokratischen Staat
zu gewinnen. Oder wie die KMK das formuliert: »Ziel der
Schule ist es daher, das erforderliche Wissen zu vermit-
teln, Werthaltungen und Teilhabe zu fördern sowie zur
16 3/2022 · lehrer nrw
rungslosigkeit und Unsicherheit zudem durch
die Gefälligkeitswissenschaft, die Politikern und
Medien bzw. Meinungsmachern zuarbeitet.
Eine aktuelle Analyse zum Stand
der Politischen Bildung macht Mut –
schreckt aber auf!
Die angedeutete Krise des demokratischen Systems
macht sich nicht nur in der praktischen Politik be-
merkbar. Sie wird begleitet von äußerst bedenkli-
chen Strömungen in der Wissenschaft. Das zeigte
sich bei der Vorstellung des jüngsten vbw-Gutach-
tens vom Aktionsrat Bildung am 28. März 2020.
Der Präsident der Vereinigung der Bayerischen
Wirtschaft (vbw), Wolfram Hatz, führte angesichts
der Corona-Krise unter anderem aus:
»Demokratien hingegen setzen in der Krise da-
rauf, dass die Bürger umfassend informiert werden,
Verständnis für staatliche Maßnahmen zeigen und
aus Überzeugung mit den Behörden zusammenar-
beiten.
Information statt Indoktrination,
Kenntnisvermittlung statt Kontrollwahn,
Einsicht anstatt Einschüchterung.
Das ist die Devise der Demokratie!
Als vbw sind wir überzeugt: Die Demokratie ist die
beste politische Ordnung, um die Corona-Krise
auch ökonomisch nachhaltig zu überwinden und
die großen Zukunftsherausforderungen zu meistern!
Auch deshalb werden wir uns weiterhin für
unser demokratisch-freiheitliches System stark
machen. Gerade heute zeigt sich: Wir müssen in
unserer Gesellschaft
kritisches Denken fördern,
bürgerschaftliches Engagement forcieren,
und dazu auch die Demokratiebildung
fortentwickeln.
Jetzt ist die richtige Zeit dafür!«
Das zehnköpfige, bundesweite Expertengremium
des Aktionsrats Bildung kritisiert vor allem ein man-
gelndes Demokratieverständnis sowohl bei Kindern
und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen. Das
sei gefährlich, »denn die fehlende demokratische
Kompetenz mache junge Menschen empfänglich
für Fake-News oder populistische Parteien und The-
sen von links und rechts«. Deshalb habe man sich
mit der Thematik befasst und fordere einen besse-
ren Politikunterricht, sowohl in der Quantität als
auch in der Qualität.
Für die Sekundarstufe gab der Aktionsrat folgen-
de Handlungsempfehlungen:
17
3/2022 · lehrer nrw
Anton Huber war bis April 2022
stellvertretender Bundesvorsit-
zender des Verbandes Deut-
scher Realschullehrer und ist
Ehrenvorsitzender des Bayeri-
schen Realschullehrerverban-
des. Als Realschullehrer und
langjähriger Schulleiter war er
bis 2016 im Schuldienst tätig.
DER AUTOR
Übernahme von Verantwortung und Engagement
in Staat und Gesellschaft zu ermutigen und zu befä-
higen.«
Hinzu kommt, dass Politische Bildung in unserer
demokratisch verfassten Ordnung fortwährend in
die Ecke des Misstrauens gerät, weil der repräsen-
tativen Demokratie als solcher tiefes Misstrauen
entgegengebracht wird, besonders geschürt über
Misstrauen gegenüber den Entscheidungsprozes-
sen sowie gegenüber den staatlichen Institutio-
nen, die für ihre Umsetzung sorgen sollen. Auch
Lehrkräfte geraten zusehends in derartige Konflik-
te, ohne dass ihnen der Rücken gestärkt wird (Bei-
spiel: Durchsetzen der Maskenpflicht im Unter-
richt). Ebenso wie Polizisten haben Lehrkräfte
kaum Rückhalt bei vielen Verantwortlichen der
Exekutive und schon gar nicht bei bestimmten
Parteien. Immer mehr fehlt den staatlichen Ein-
richtungen, ob Jugendamt, Schule, Polizei oder
Kommunalverwaltung die Unterstützung dafür,
dass in einem demokratischen Rechtsstaat Geset-
ze auch dann vollzogen werden müssen, wenn sie
den eigenen Vorstellungen widersprechen. Viel-
fach bleibt es bei Lippenbekenntnissen, rechts-
freie Räume (No-Go-Areas) entstehen, Clan-Krimi-
nalität bleibt annähernd unbehelligt, Hausbeset-
zungen, Waldbesetzungen, das Stürmen von In-
dustrieanlagen, das Eindringen in fremdes Eigen-
tum (zum Beispiel Tierschützer) wird nicht nur
toleriert, sondern als heldenhaft dargestellt. Die
schleichende ’Entmachtung’ staatlicher Einrich-
tungen setzt sich weiter fort.
Verschärft wird das Problem dadurch, dass die
vierte Macht im Staat, die Medien, eine Machtfülle
angehäuft hat, die in ihrem Ausmaß und unkontrol-
lierten Einfluss von den Vätern des Grundgesetzes
nicht vorhersehbar war. Die vierte (mittlerweile zen-
trale) Macht im Staat bestimmt ganz massiv politi-
sche Prozesse und Entscheidungen, sie bestimmt
den Mainstream. Geschürt werden Skepsis, Orientie-
18 3/2022 · lehrer nrw
1. Bildung zu demokratischer Kompetenz als Schul-
prinzip und als fächer-übergreifendes Prinzip.
2. Erhöhung der Qualität des Fachunterrichts.
3. Professionalisierung des Personals.
4. Etablierung eines systematischen Monitorings.
Prof. Hannover beschrieb in ihren Ausführungen die ent-
wicklungspsychologischen Aspekte der Förderung de-
mokratischer Kompetenz. Sie führte unter anderem aus,
dass demokratische Kompetenz »erst relativ spät in der
Biografie eines Menschen vollständig erworben (werde)«
… »Erst im Alter zwischen vier und neun Jahren können
sich die Kinder mental in die Perspektive einer anderen
Person hineinversetzen. Perspektivübernahme ist eine
Voraussetzung demokratischer Kompetenz, denn Demo-
kratie bedeutet immer, dass wir verschiedene Sichtwei-
sen anerkennen und versuchen miteinander zum Aus-
gleich zu bringen.« Eng verknüpft sei damit die Fähig-
keit zur Empathie, »d.h. das Vermögen, die Gefühle einer
anderen Person nachzuempfinden«.
In der mittleren Kindheit komme, so Hannover, eine
weitere Voraussetzung hinzu, nämlich moralische Urteils-
und Handlungsfähigkeit. »Äußere Normen und Vorga-
ben werden zu inneren Normen und Vorgaben, an de-
nen die Person ihr Handeln ausrichtet und ihr Handeln
bewertet.« In der späten Kindheit und im Jugendalter er-
reichen die Menschen das sogenannte konventionelle
Niveau moralischen Urteilens und Handelns. »Kinder
und Jugendliche richten sich in dieser Altersphase nach
sozialen Konventionen aus, in moralischen Konfliktsitua-
tionen achten sie also darauf, was ihre soziale Gruppe
meint oder was nach ihrer Auffassung in der Gesell-
schaft für richtig gehalten wird.« In dieser Zeit setzt auch
in der Schule der Fachunterricht in Politischer Bildung
ein (7. bzw. 8. Jahrgangsstufe), das Ziel: »Vermittlung poli-
tischen Wissens und dessen Berücksichtigung im eige-
nen Argumentieren und Schlussfolgern. Erste Formen po-
litischer Einstellungen und politisch aktiven Verhaltens
entstehen.« Ein weiteres Ziel der Politischen Bildung sei
es dabei aber auch, die moralische Entwicklung der
jungen Leute voranzutreiben.
Das ’höchste’, das sogenannte postkonventionelle
Niveau moralischen Urteilens und Handelns werde, so
Hannover, nur von rund dreißig Prozent der Erwachse-
nen erreicht. »Die Menschen machen universell gültige
Prinzipien oder Werte zur Richtschnur ihres Handelns,
Beispiele sind Gerechtigkeit, Gleichheit, Würde des Ein-
zelnen, also letztlich demokratische Werte.« Ein Großteil
der Erwachsenen bleibe auf dem Niveau des konventio-
nellen Urteilens und Handelns, das sei nach Hannover
kritisch zu sehen, weil sie in moralischen Konfliktsituatio-
nen ihr Verhalten an sozialen Konventionen ausrichten.
Die Basis der Demokratie
Dem interessierten Beobachter und Pädagogen sei hier
die Frage erlaubt, ob diese Bewertung von Prof. Hanno-
ver und offensichtlich des Expertengremiums insgesamt
akzeptabel ist. Beruht eine Demokratie nicht gerade da-
rauf, dass nicht eine jede Person für sich selbst entschei-
det, was gerecht und gleich ist und was die Würde des
Einzelnen ausmacht, sondern die Gesellschaft insge-
samt darüber befindet?
Einem Pädagogen/einer Pädagogin, welche(r) im
Rahmen der Politischen Bildung für die repräsentative
Demokratie mit Dreiteilung der Staatsgewalt, dem staat-
lichen Gewaltmonopol, Parlamentarismus werben soll,
fällt es schwer zu akzeptieren, dass bei der Vorbereitung
junger Menschen für ein erfülltes Leben in unserer Ge-
sellschaft die höchste Form der demokratischen Kompe-
tenz in einem postkonventionellen Niveau moralischen
Urteilens und Handelns liegt. Mit dieser wissenschaftli-
chen Aussage stellt man das System der Demokratie,
aber auch das Grundgesetz auf den Kopf. So urteilend
würde auch der Sturm auf das Kapitol in Washington
am Nachmittag des 6. Januar 2021 zu rechtfertigen sein.
Denn wer bestimmt das postkonventionelle Niveau mo-
ralischen Urteilens und Handelns?
Offensichtlich nimmt der Aktionsrat Bildung hierbei
– wie so viele in unserer Gesellschaft fälschlicher Weise –
Bezug auf das Widerstandsrecht, welches in Artikel 20,
Abs. 4 des Grundgesetzes festgeschrieben steht. Es postu-
liert ein naturrechtlich gegebenes Recht jedes Men-
schen, sich unter bestimmten Bedingungen gegen staat-
liche Gesetze oder Maßnahmen aufzulehnen bzw. ihnen
den Gehorsam zu verweigern. Aber diese Gehorsams-
verweigerung hat sehr enge Grenzen und ist nur dann
anzuwenden, wenn gegen die in den Absätzen 1 bis 3
beschriebene Ordnung beseitigt würde. Das ist jedoch in
Deutschland bisher nie der Fall gewesen.
Ja, »Die triste Wirklichkeit« der Politischen Bildung in
Deutschland, in den westlichen Demokratien insgesamt,
macht nachdenklich. Die Krise der Politischen Bildung ist
zugleich eine Krise der Demokratie, die Herrschaftsform,
die wir selbst zunehmend aushöhlen, weil vielen in
Deutschland in Politik und Gesellschaft – getrieben vom
Motiv der Machterhaltung oder des Machterwerbs – das
Verständnis für die Grundlagen der repräsentativen De-
mokratie abhandengekommen ist – leider! Anton Huber
Dies ist die gekürzte Fassung eines Beitrags, der als Erst-
veröffentlichung in ’Bildung real’, der Zeitschrift des Ver-
bandes Deutscher Realschullehrer (VDR), erschienen ist.
INFO
BATTEL HILFT
19
3/2022 ·
lehrer nrw
Was ist
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne
regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag.
Diesmal geht es um die Frage, worauf es wirklich ankommt im Leben.
E
Ein Philosophieprofessor stand vor
seinen Studenten und hatte ein paar
Dinge vor sich liegen. Als der Unter-
richt begann, nahm er ein großes leeres
Mayonnaise-Glas und füllte es bis zum
Rand mit großen Steinen. Anschließend
fragte er seine Studenten, ob das Glas voll
sei. Sie stimmten ihm zu.
Der Professor nahm eine Schachtel mit
Kieselsteinen und schüttete sie in das
Glas und schüttelte es leicht. Die Kiesel-
steine rollten natürlich in die Zwischen-
räume der größeren Steine. Dann fragte
er seine Studenten erneut, ob das Glas
jetzt voll sei. Sie stimmten wieder zu und
lachten.
Der Professor seinerseits nahm eine
Schachtel mit Sand und schüttete ihn in
das Glas. Natürlich füllte der Sand die
letzten Zwischenräume im Glas aus.
»Nun«, sagte der Professor zu seinen Stu-
denten, »ich möchte, dass Sie erkennen,
dass dieses Glas wie Ihr Leben ist! Die
Steine sind die wichtigen Dinge im Leben:
Ihre Familie, Ihr Partner, Ihre Gesundheit,
Ihre Kinder. Dinge, die – wenn alles ande-
re wegfiele und nur sie übrigbleiben – Ihr
Leben immer noch erfüllen würden. Die
Kieselsteine sind andere, weniger wichti-
ge Dinge, wie zum Beispiel Ihre Arbeit,
Ihre Wohnung, Ihr Haus oder Ihr Auto. Der
Sand symbolisiert die ganz kleinen Dinge
im Leben. Wenn Sie den Sand zuerst in
das Glas füllen, bleibt kein Raum für die
Kieselsteine oder die großen Steine. So ist
es in Ihrem Leben: Wenn Sie all Ihre Ener-
gie für die kleinen Dinge in Ihrem Leben
aufwenden, haben Sie für die großen kei-
ne mehr. Achten Sie daher auf die wichti-
gen Dinge, nehmen Sie sich Zeit für Ihre
Kinder oder Ihren Partner, achten Sie auf
Ihre Gesundheit. Es wird noch genug Zeit
geben für Arbeit, Haushalt, Partys usw.
Achten Sie zuerst auf die großen Steine –
sie sind es, die wirklich zählen. Der Rest
ist nur Sand.«
Nach dem Unterricht nahm einer der Stu-
denten das Glas mit den großen Steinen,
den Kieseln und dem Sand – bei dem mitt-
lerweile sogar der Professor zustimmte, dass
es voll war – und schüttete ein Glas Bier hi-
nein. Das Bier füllte den noch verbliebenen
Raum im Glas aus; dann war es wirklich
voll.
Die Moral von der Geschichte: Egal, wie
erfüllt Dein Leben ist, es ist immer noch
Platz für ein Bier oder einen Pfefferminztee.
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan
Battel ist seit 2007
niedergelassener
Facharzt für Kinder-
und Jugendpsychia-
trie und -psychothe-
rapie mit eigener
Praxis in Hürth bei
Köln und seit 2012
systemischer Famili-
entherapeut (DGSF).
Im Rahmen des
lehrer nrw
-Fortbil-
dungsprogramms
greift er in einer Vor-
tragsreihe regelmä-
ßig verschiedene
Themen aus dem
Bereich der Jugend-
psychologie auf.
Foto: Andreas Endermann
Ausschließlich für Mitglieder von
lehrer nrw
bietet Dr. Stefan Battel
einmal pro Woche eine Telefonsprechstunde an. Lehrkräfte, die Infor-
mation, Rat und Hilfe im Umgang mit schwierigen Schülern oder Eltern
brauchen oder selbst in einer psychisch belastenden beruflichen Situa-
tion stecken, können dieses Angebot nutzen.
Die Hotline ist jeden Dienstag von 15 Uhr bis 16 Uhr freigeschaltet
und unter der Telefonnummer 0 22 33 / 961 01 20 erreichbar.
wirklich
wichtig?
lehrer nrw ·
3/2022
20
SERIE HAUPTSCHULEN
FFüürr jjeeddeenn ddaass RRiicchhttiiggee
Was mit einem innovativen Konzept, gelebter Inklusion
und einer intensiven Berufswahlorientierung möglich ist,
beweist die St. Georg Hauptschule Hopsten.
I
In einem Imagefilm auf der Homepage
der St. Georg Hauptschule Hopsten ist
ein kurzer Satz zu hören, der das Kon-
zept der Schule ziemlich treffend auf den
Punkt bringt: »Nicht für jeden das Gleiche,
sondern für jeden das Richtige.« Die Hops-
tener Hauptschule ist ein gutes Beispiel da-
für, was diese Schulform leisten kann, wenn
man sie lässt. Mit den Schwerpunkten ge-
meinsames Lernen, Berufsorientierung und
Digitalisierung hat sie sich über die Grenzen
der westfälischen Gemeinde hinaus einen
Namen gemacht – und zwar nicht nur bei
Schülern und Eltern, sondern auch bei der
lokalen Wirtschaft.
Wie viele andere Hauptschulen auch,
läuft die Hopstener Schule in den Eingangs-
klassen meist einzügig. Zum Schuljahr
2021/2022 haben sich zwanzig Fünftklässler
angemeldet. Durch Rückläufer von anderen
Schulformen kommen in der Regel ab Klasse
6 weitere Schülerinnen und Schüler hinzu,
so dass in den Abschlussjahrgängen meist
Zweizügigkeit erreicht ist. Bei aktuell 172
Schülerinnen und Schülern gibt es kaum
Klassen mit mehr als 20 Kindern. Das hat
sich die St. Georg Hauptschule zunutze
gemacht, sagt Timo Donnermeyer, der 2018
die Schulleitung übernommen hat. Das,
gemessen an der Schülerzahl, recht üppige
Raumangebot wurde anders zugeschnitten
und neu gestaltet.
Hauptschule mit
Top-Ausstattung
So entstand ein breit gefächertes Spektrum
an Fach- und Differenzierungsräumen sowie
Beratungsräumen. Dazu zählen moderne
naturwissenschaftliche Räume, darunter ein
top-ausgestatteter Technikraum und ein vor
zwei Jahren fertig gestellter Chemie- und
Physikraum, der mit Mitteln aus dem NRW-
Landesprogramm ’Gute Schule’ gefördert
wurde. Es gibt einen Streitschlichter-Raum,
ein Berufsorientierungsbüro sowie einen
eigenen Raum für die beiden Schul-Sozial-
pädagogen Silvia Kruse und Jörg Brös-
kamp. Sämtliche Klassenzimmer sind mit
LCD-Boards samt separatem Bildschirm
am Lehrerpult sowie leistungsfähigen
Breitbandanschlüssen ausgerüstet. Für alle
Schülerinnen und Schüler stehen Laptops
und/oder iPads zur Verfügung. Das hat, ne-
benbei bemerkt, maßgeblich dazu beige-
tragen, dass die St. Georg Hauptschule gut
durch die Corona-Zeit gekommen ist. Wäh-
rend des Lockdowns konnte digital Unter-
richt nach Plan erteilt werden, weil jeder
Schüler ein eigenes Online-Konto besitzt.
Möglich ist die exzellente Ausstattung
auch dank eines Schulträgers, der weiß,
was er an seiner Hauptschule hat: »Die
Im Lernstudio können Kinder mit Förder-
bedarf nach individuell zugeschnittenen
Förder- und Entwicklungszielen gezielt
lernen. Zur Unterstützung und Begleitung
gibt es ein multiprofessionelles Team.
SERIE HAUPTSCHULEN
21
3/2022 ·
lehrer nrw
Gemeinde Hopsten unterstützt uns zu
100 Prozent«, lobt Schulleiter Timo
Donnermeyer.
Neue Wege im
gemeinsamen Lernen
Nun macht eine gute Ausstattung noch
keine gute Schule. Darum freut sich Don-
nermeyer, dass er ein 25-köpfiges Kollegi-
um hinter sich weiß, dass das Schulkon-
zept mit Leben füllt. Dabei spielt vor allem
das gemeinsame Lernen eine zentrale Rol-
le. Die St. Georg Hauptschule hat Kinder
mit unterschiedlichen Förderbedarfen,
meist in den Bereichen Lernen sowie emo-
tionale und soziale Entwicklung. Allein
acht der zum laufenden Schuljahr an die
Schule gekommenen Kinder bringen einen
sonderpädagogischen Förderbedarf mit.
Um sie optimal zu fördern, hat die St.
Georg Hauptschule neue Wege beschrit-
ten, erklärt Kathrin Richter, Ansprechpart-
nerin für das gemeinsame Lernen im
Schulleitungsteam.
Das verbreitete und oft mit Stigmatisie-
rung verbundene Prozedere, dass der För-
derschullehrer mit im Klassenraum ist,
situativ einen Schüler mit Förderbedarf
herausgreift und in einem separaten Raum
mit ihm gesondert arbeitet, gibt es an der
Hopstener Hauptschule nicht mehr. Statt-
dessen wurde im Zuge der Neugestaltung
des Raumprogramms ein Lernstudio einge-
richtet.
Gelebte Inklusion
im Lernstudio
Dort sind immer zwei bis drei Mitglieder des
multiprofessionellen Teams für die Schüle-
rinnen und Schüler da. Unter ihrer Beglei-
tung können die Kinder gemäß individuell
zugeschnittener Förder- und Entwicklungs-
ziele arbeiten. Die Besonderheit des Kon-
zepts, erklärt Kathrin Richter: Der Besuch
des Lernstudios ist freiwillig. Die Schülerin-
nen und Schüler kommen auf Einladung
oder sogar aus Eigeninitiative. Manchmal
nutzen sogar Kinder ohne Förderstatus das
Lernstudio – auch darin zeigt sich gelebte
Inklusion. Wegen des freiwilligen Ansatzes
herrscht im Lernstudio eine offene, produkti-
ve Atmosphäre, die ein intensives individu-
elles Arbeiten möglich macht, schwärmt
Sonderpädagogin Nicole Ciezki.
Das Beispiel des Lernstudios zeigt die Stär-
ke der St. Georg Schule im Besonderen, aber
auch der Schulform Hauptschule im Allge-
meinen, sagt Schul-Sozialarbeiter Jörg Brös-
kamp, der zwischenzeitlich auch an einer Ge-
samtschule tätig war, sich aber bewusst wie-
der für eine Hauptschule entschieden hat:
»Hier ist ein kleines System, das individuelle,
passgenaue Angebote möglich macht.«
Erfolgreiches Berufs-
orientierungs-Konzept
Neben dem gemeinsamen Lernen ist die be-
reits in der Jahrgangsstufe 7 einsetzende
Berufswahlorientierung ein weiterer Erfolgs-
faktor. Eine jährliche Ausbildungsplatzbörse
mit mehr als vierzig Unternehmen aus unter-
schiedlichen Branchen, die Berufewoche,
dreiwöchige Betriebspraktika, Berufsfeld-
erkundungstage, Praxiskurse, Berufsein-
stiegsbegleitung, Bewerbungstrainings oder
Langzeitpraktika sind hier nur einige Stich-
worte. Für alle Fragen rund um den Über-
gang von der Schule in einen Beruf oder
einen weiterführenden Bildungsgang ist das
StuBo-Team mit Silvia Kruse und Martina
Mersch für die Schülerinnen und Schüler da.
Die St. Georg Schule ist sehr gut vernetzt
mit den Betrieben und Unternehmen in der
Region. Nicht selten wird ein Praktikum zum
Sprungbrett für eine Ausbildung. Von jährlich
etwa vierzig Absolventen finden mehr als ein
Drittel unmittelbar eine Lehrstelle im Rah-
men der dualen Ausbildung. Die übrigen
Schülerinnen und Schüler entscheiden sich
meist für weiterführende Bildungsgänge als
Anschlussperspektive. Erfreulicherweise wird
durch die früh einsetzende und individuelle
Berufswegeplanung jährlich eine hundert-
prozentige Versorgerquote gewährleistet, so
Schulsozialpädagogin Silvia Kruse. Die Erfah-
rung zeige: »Unsere Schülerinnen und Schü-
ler haben einen guten Ruf Jochen Smets
INFO
In Nordrhein-Westfalen gibt es (immer
noch) 175 Hauptschulen, rund 6300
Hauptschul-Lehrkräfte und über 52000
Hauptschüler. Und doch bewegt sich die
Hauptschule in der öffentlichen Wahr-
nehmung und beim Image unter dem
Radar. Aber gerade in Zeiten, da Schlag-
worte wie Fachkräftemangel, individuel-
le Förderung oder Integration die (schul-)
politische Diskussion prägen, kann die
Hauptschule ihre Stärken ausspielen.
Höchste Zeit also, die vermeintlich ver-
gessene Schulform wieder stärker ins öf-
fentliche Bewusstsein zu rücken.
lehrer
nrw
tut dies mit einer Serie, in der wir in
loser Folge Hauptschulen vorstellen, die
mit innovativen Konzepten und guter Ar-
beit erfolgreich sind.
Fotos: Hauptschule Hopsten
172 Schülerinnen und Schüler besuchen aktuell die St. Georg Hauptschule.
Die Hopstener Schule hat über die Gemeindegrenzen hinaus einen guten Ruf.
22
SCHULE & POLITIK
Gesunde Führung,
gesunde Schule!
»Wird die Führungskraft schnell aufbrausend,
hat das Team oft nichts zu lachen!«
A
Arbeitsausfälle durch psychische Er-
krankungen erreichen von Jahr zu
Jahr neue Höchststände, denn die
Belastungen in der Arbeitswelt verdichten
sich zunehmend, zum Beispiel durch die
Digitalisierung mit ständiger Erreichbar-
keit, durch
den Konkur-
renz- und
Leis-
tungs-
nente Interaktion mit Lerngruppen, d.h.
mit bis zu dreißig Individuen, die alle den
Anspruch erheben, jederzeit angemessen
berücksichtigt und gerecht behandelt zu
werden. Eine hochintensive Arbeitssituati-
on, die über Stunden höchste Konzentrati-
on erfordert, ohne ausreichende Pausen.
Das allein stellt bereits eine Belastungssi-
tuation dar, die sehr viele als eine Überlas-
tung einstufen.
Aus diesem Grund hat zum Beispiel der
Kreis Herford ein Präventionsprogramm ins
Leben gerufen, das Lehrkräften Hilfen und
Unterstützung anbietet, mit diesen Heraus-
forderungen besser umgehen zu können.
Ziel des bereits vor fünfzehn Jahren an der
Philipps-Universität Marburg entwickelten
Programms ’AGiL – Arbeit und Gesundheit
im Lehrerberuf’ ist es, dass Lehrkräfte in
ihren berufsbezogenen Belastungen unter-
stützt werden, »ihre Lebensqualität so-
wie ihre Freude am Lehrerberuf
erhalten und gestärkt
werden«.
Foto: gradt/AddobeStock
von ULRICH GRÄLER
Lautstark, aber nicht
führungsstark:
In einem solchen Arbeitsklima
gedeihen Unzufriedenheit,
Demotivation und
gesundheitliche Risiken.
druck im Unternehmen bzw. gegenüber
Mitbewerbern. Wenn dann noch psycho-
sozialer Druck im Betrieb aufgrund einer
mangelnden Führungskultur hinzukommt,
dann entstehen nicht selten Überforde-
rungssituationen, die sich gesundheitsge-
fährdend bis hin zu krankheitsauslösend
auswirken können.
Hochintensive
Arbeitssituation
Im Bereich der Schulen kommen noch
weitere spezifische Belastungsfakto-
ren hinzu, zum Beispiel die perma-
23
3/2022 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
auf allen Ebenen zutage, von oben nach un-
ten, aber auch umgekehrt, individuell oder
kollektiv. Manches Vorkommnis liegt in der
Natur der Sache, wenn Menschen mit Men-
schen umzugehen haben. Manches wäre
nicht nötig oder dürfte nicht sein, wenn man
seine Aufgabe an seiner Stelle im System so
wahrnähme, wie es geboten wäre.
Personalräte erreichen im schlimmsten
Fall immer wieder auch Klagen von Lehr-
kräften darüber, dass ’unter dem Schullei-
ter/der Schulleiterin’ eine Fortsetzung der
beruflichen Tätigkeit nicht möglich sei. Die
Frage bzw. Notwendigkeit einer Versetzung
steht dann zumeist sofort im Raum. Die
Gründe, die für diesen angeblich unauflös-
baren Konflikt angeführt werden, liegen
häufig in der Art der Ausübung der Funkti-
on als Dienstvorgesetzter oder in besonde-
ren persönlichkeitsstrukturellen Merkmalen.
Der BAD hat sich dieser Thematik der
’Gesunden Führung’ mit mehreren Work-
shops angenommen, der Bedarf scheint vor-
handen zu sein. Diese Workshops sollen da-
zu dienen, im Schulalltag den Fokus auf ge-
sundheitsfördernde Methoden zu legen. Die
Angebote richten sich sowohl an Schullei-
tungen (zum Teil verpflichtend) als auch an
Lehrkräfte/Kollegien. Ein Weg, der helfen
könnte, besonders belastende oder sogar
krankmachende Strukturen aufzudecken
und, wenn möglich, aufzubrechen.
Psychische Erkrankungen
als Ursache für
Arbeitsunfähigkeit
Wer die statistischen Untersuchungen der
Krankenkassen zur Kenntnis nimmt, stellt
einen hohen Anteil an psychischen Erkran-
kungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit
fest. Erkrankungen, die zumeist einen lang-
fristigen Genesungsprozess zur Folge ha-
ben, mit sehr persönlichen Konsequenzen
für den Betroffenen. Und volkswirtschaft-
lich einen hohen Schaden anrichten, nicht
nur im Schulbereich. Leisten kann man sich
das in Zeiten des Fachkräftemangels ei-
gentlich nicht.
KOMMENTAR
»Bleiben
Sie gesund!«
Es kann und darf nicht sein, dass derart
viele Menschen im Schulsystem über
hohe bis hin zu überfordernden psy-
chischen Belastungen klagen. Vorüber-
gehende oder dauerhafte Dienstunfä-
higkeit sind häufig die Folge. Gegenüber
dem einzelnen Individuum ist diese Tat-
sache wie ein Verstoß des Arbeitgebers
gegen seine Fürsorgepflicht zu werten.
Denn die Arbeitsbedingungen sind so zu
gestalten, dass alle Beschäftigten ihren
Dienst unter Wahrung der eigenen kör-
perlichen Unversehrtheit ausüben kön-
nen.
Neben der Sinnhaftigkeit und Umset-
zungsmöglichkeit politischer Vorgaben
sowie der Angemessenheit schulischer
Strukturen zählen die Führungsqualitä-
ten zu den Bausteinen, die über diese
gesundheitsfördernde Arbeitssituation
ganz wesentlich mitentscheiden. Das
reicht von politischen Entscheidungen
im Schulministerium in Düsseldorf über
den Umgang der Schulaufsicht mit Lehr-
kräften und Schulleitungen bis hin zur
Schulebene, wo alle Belastungsfaktoren
zusammenlaufen und im Kollegium aus-
getragen werden.
Was fehlt, ist der institutionalisierte
Weg von unten nach oben, der direkten
Kommunikation von der Basis an die
Spitze, des Austauschs, auch der Be-
schwerde. Denn ohne diese intensive
Rückkopplung entfernen sich die Politik
und die Schulaufsicht von den realen
Zuständen, nehmen sie das wahre
Schulleben nicht mehr wahr. Und lassen
die Lehrkräfte damit allein!
Der Gesundheits- und Schuldezernent
des Kreises Herford hat recht: »Wenn
wir unseren Kindern eine gute Bildung
und Betreuung ermöglichen wollen,
müssen wir auf die Verantwortlichen,
unsere Lehrkräfte, Acht geben.«
Ulrich Gräler
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
ebene poli-
tischer Vorgaben vor Ort
dar. Sie sitzt bildlich ’zwischen den Stühlen’.
Der psychische Druck, der auf dem System
lastet, wird dann von ganz oben über die
Schulleitungen bis auf die unterste Ebene
durchgereicht, ohne dass dem Einzelnen
ausreichend Mitsprache- und Gestaltungs-
recht zugebilligt wird.
Führungsqualität
auf allen Ebenen
Wer daher ’Führungsqualität’ in den Blick
nehmen will, der muss die Führungsstruktur
insgesamt in den Blick nehmen, von der Spit-
ze des Ministeriums bis hinunter zur Basis
mit den Lehrkräften und dem sonstigen pä-
dagogischen Personal. Denn gesundheitsbe-
lastendes Verhalten zu Lasten anderer tritt
Gesunde Führungskultur
Ein wesentlicher Aspekt für eine nachhalti-
ge Gesundheitsförderung im Lehrerberuf ist
aber auch eine gesunde Führungskultur in
der Schule, die nicht unwesentlich über den
Gesundheitsstatus eines ganzen Kollegiums
mitentscheidet.
Schule ist ein kompliziertes System und
kaum vergleichbar mit anderen Bereichen
der Arbeitswelt. Das liegt auch am speziel-
len hierarchischen Aufbau mit seinen be-
sonderen Aufgaben und Zuständigkeiten.
Und dem besonderen Dienstrecht, das einen
Arbeitsplatzwechsel unwahrscheinlicher
macht.
Schulleitung steht als Führungspersonal
häufig im Fokus, wenn es um Fragen der
Führungsqualität geht. Dabei stellt Schullei-
tung ’lediglich’ das Bindeglied zwischen
Schulaufsicht und schulischer Umsetzungs-
lehrer nrw ·
3/2022
24
FORTBILDUNGEN
Suchtprävention in der Klasse
Riskantes Suchtverhalten insbesondere bei Jugendlichen hat
während der Corona-Pandemie deutlich zugenommen. Dies kann
sich auch im Klassenzimmer bemerkbar machen. Wie man Anzei-
chen erkennen und welche Schritte man gehen kann, ist Thema
eines Seminars von
lehrer nrw
am 23. Mai.
D
Die Pandemie führt zu vermehrtem
Konsum von Online-Spielen, lega-
len und illegalen Substanzen und
zu Beeinträchtigungen der seelischen Ge-
sundheit bei Schülerinnen und Schülern.
Zeit, die Prävention nicht nur den Fachstel-
len zu überlassen, sondern selbst auf an-
sprechende Weise diese sensiblen Themen
zu enttabuisieren.
Eine wirksame Suchtprävention geht
über die Vermittlung von Sachwissen
hinaus und bindet die jungen Menschen
aktiv und umfassend ein. Eine vielleicht
entfremdete Klasse kann somit wieder
aufeinander zugehen und – fast nebenbei
– ein konstruktives Lernklima gestalten.
Die Diplom-Sozialpädagogin Tanja
Schmitz-Remberg vermittelt den Teilneh-
menden Wissen um evidenzbasierte Sucht-
prävention, erläutert ihnen die für die je-
weilige Klasse passende Methode und
deren Umsetzung. Dabei stehen sowohl
Methoden zu substanzspezifischen und
-unspezifischen Süchten im Fokus. Erarbei-
tet wird das Thema im Plenum, in Klein-
gruppenarbeit und in interaktiven Grup-
penübungen.
SEMINAR-INFO
Titel: Süchte auf dem Vormarsch dank der Pandemie? –
Interaktive Möglichkeiten der Suchtprävention in Klassen,
Seminar-Nr.: 2022-0523, Referentin: Tanja Schmitz-Remberg
(Diplom-Sozialpädagogin), Ort: Intercity Hotel Düsseldorf, Graf-
Adolf-Straße 81-87, 40210 Düsseldorf, Termin: Montag, 23. Mai
2022, Uhrzeit: 9:00 Uhr bis 16:30 Uhr, Kosten: 120 EUR für
lehrer
nrw
-Mitglieder, 170 EUR für sonstige Teilnehmer, Anmeldung:
online unter www.lehrer nrw.de/fortbildungen/fortbildungs
uebersicht.html. Für die Bewirtung mit Speisen und Getränken
sorgt
lehrer nrw
. Die Übernahme von Fortbildungskosten können
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an ihren Schulen beantra-
gen. Reisekosten können Sie auf dem Dienstweg bei Ihrer Be-
zirksregierung beantragen, um die verauslagten Reisekosten
aus einem gesonderten Budget erstattet zu bekommen.
Sucht und Suchtverhalten
unter Jugendlichen hat viele
Facetten: Ein ’Klassiker’ ist der exzessive
Medienkonsum, der gerade in der Corona-Zeit dras-
tisch zugenommen hat und in eine Online- oder Spiel-
sucht münden kann. Aber auch Essstörungen oder stoff-
gebundene Suchtmittel können ein Thema sein.
Foto: Anastassiya/AdobeStock
25
3/2022 ·
lehrer nrw
FORTBILDUNGEN
Seminar
Nr. Titel Kurzinhalt Referenten Wo Wann Uhrzeit
Gebühr
Mitglied
Gebühr
Nicht-
mitglied
Anmelde-
schluss
2022-0523 Süchte auf dem Vormarsch dank
der Pandemie? – Interaktive
Möglichkeiten zur Suchtprävention
in Klassen
Sie erlangen umfassendes Wissen über Suchtprävention,
wodurch Sie die für sich und Ihre Klassen passenden
Methoden auswählen können.
Tanja
Schmitz-
Remberg
Intercity Hotel Düsseldorf
Graf-Adolf-Straße 81-87
40210 Düsseldorf
Montag
23.05.2022
09:00 bis
16:30 Uhr
120 EUR 170 EUR Teilnahme
anfragen
2022-0530 Präsenz in Konflikten Dieses Seminar wird Ihnen konstruktive Handlungsmöglichkeiten
aufzeigen, mit denen Sie durch konsequentes und gleichzeitig
wertschätzendes Verhalten Konflikte wirksam bewältigen und Regeln
leichter durchsetzen können.
Gabi
Schmidt
Leonardo Boutique Hotel
Oststraße 128
40210 Düsseldorf
Dienstag
31.05.2022
09:00 bis
16:30 Uhr
130 EUR 180 EUR Teilnahme
anfragen
2022-0905 Wie wirken sich der pandemie-
bedingte zeitweilige Verlust
pädagogischer Beziehungen und
das mangelnde Erleben von Freude
der Kinder untereinander auf das
kognitive Lernen aus?
Lösungsstrategien zur Förderung emotionaler und sozialer Ent-
wicklung von Schülerinnen und Schülern: Wie können wir Kinder in
ihrer psychischen Entwicklung, beim Lernen und Arbeiten nach der
schwierigen Zeit der Pandemie durch psychomotorische und sozio-mo-
torische Aktivitäten und Inhalte unterstützen?
Anita
Zimmermann,
Jutta
Packenius,
Susanne
Röck-Uhlrich
Leonardo Boutique Hotel
Oststraße 128
40210 Düsseldorf
Mittwoch
07.09.2022
09:00 bis
16:30 Uhr
130 EUR 180 EUR 24.06.2022
2022-0925 Classroom Management Classroom Management meint das Schaffen einer produktiven Lern-
atmosphäre. Konsequent angewandt, reduziert es kleine Störungen,
bevor sie zum Problem werden.
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Montag
26.09.2022
09:00 bis
16:00 Uhr
130 EUR 180 EUR 15.08.2022
2022-0926 Tanz mit dem Widerstand Sie erweitern Ihre theoretischen Kenntnisse über Widerstand, fügen
Ihrem Handlungsrepertoire weitere Interventionen hinzu, erlangen
eine erhöhte fachliche Distanz zu herausforderndem Widerstand und
erleben in der Lehrgruppe Unterstützung.
Tanja
Schmitz-
Remberg
Intercity Hotel Düsseldorf
Graf-Adolf-Straße 81-87
40210 Düsseldorf
Montag
26.09.2022
09:00 bis
16:30 Uhr
120 EUR 170 EUR 15.08.2022
2022-1024 Umgang mit schwierigem
Schülerverhalten
Souverän mit auffälligem Schülerverhalten umgehen. Im Mittelpunkt
stehen Strategien, wie man sich als Lehrkraft sowohl in akuten als
auch in langfristigen Situationen souverän verhalten kann.
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Montag
24.10.2022
09:00 bis
16:00 Uhr
130 EUR 180 EUR 12.09.2022
2022-1025 Wege in den Ruhestand Beamtenversorgung und Altersteilzeit Horst
Joosten
GDL Sitzungsraum 1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Dienstag
25.10.2022
15:00 bis
18:00 Uhr
50 EUR 80 EUR 27.09.2022
2022-1027 Wenn’s brodelt, hilft es, den
Deckel anzuheben! – von gruppen-
dynamischen Herausforderungen
nach der Pandemie
Sie lernen, ’hinter die Kulissen’ von Gruppendynamiken zu schauen,
sich die Theorie zur Hilfe zu nehmen und sich Praktisches aus der
lösungsorientierten Arbeit anzueignen.
Tanja
Schmitz-
Remberg
Intercity Hotel Düsseldorf
Graf-Adolf-Straße 81-87
40210 Düsseldorf
Donnerstag
27.10.2022
09:00 bis
16:30 Uhr
120 EUR 170 EUR 15.09.2022
lehrer nrw ·
3/2022
26
SENIOREN
Ein besonderes
Museum
Am 15. März trafen sich siebzehn Senioren und Seniorinnen in Bielefeld,
um die St. Jodokuskirche und das Fächermuseum zu besichtigen.
S
Schnell läuft man an der Jodokuskirche im Zen-
trum Bielefelds vorbei, da sie keinen Kirchturm
besitzt. Trotzdem erklingen die Glocken, denn sie
sind in einem Dachreiter angebracht. Die Kirche
wurde von Franziskanern gegründet, die ihr erstes
Kloster auf dem Jostberg (Jost = Jodokus) hatten
und später in die Stadt übergesiedelt sind. Bemer-
kenswert im Kirchenraum sind die Tabernakelkapel-
le, der Levitenstuhl im Chorraum und die umfassen-
de Orgel. Der größte Kunstschatz ist die schwarze
Madonna aus dem 13. Jahrhundert.
Nach einem ausgezeichneten Mittagessen be-
suchte die
lehrer nrw
-Gruppe das Deutsche Fächer-
museum, Barisch Stiftung, eines von drei Fächermu-
seen weltweit. Die derzeitige Ausstellung ’Zwischen
Rokoko und Jugendstil (europäische Fächer um
1900/10)’ zeigte uns eine große Anzahl an Fächern,
die sich in Material, Design, Thematik und künstle-
risch-handwerklicher Gestaltung sehr unterschie-
den. Sie wurden alle ganz individuell nach den
Wünschen der Kundinnen hergestellt und zeigten
den Status der jeweiligen Trägerin. Das Fächermu-
seum war für uns alle eine Überraschung, da wir die
Schönheit, den Wert und das handwerkliche Ge-
schick, das die Fächer widerspiegelten, so nicht er-
wartet hatten. Christine Arnsfeld
Die Museumsbesucherinnen und -besucher zeigten sich sehr beeindruckt
von der kunstvollen Gestaltung der gezeigten Fächer.
Erfolgreiches
IT-Seminar
Neues und Nützliches in
Sachen Bildbearbeitung
und Office-Anwendungen
erfuhren die neun Teilneh-
merinnen und Teilnehmer
der IT-Schulung vom 20. bis
22. April in der dbb-Akade-
mie Königswinter.
Unter Leitung der uns seit
vielen Jahren bekannten
und immer wieder angefor-
derten Trainerin Pia di Lauro
haben vier Frauen und fünf
Männer die ’Seminarbank’
gedrückt und zahlreiche
Kniffe, Steuerungselemente
und Anwendungsmöglich-
keiten des Foto-Bearbei-
tungs-Programms GIMP
2.10, Neuigkeiten der Pro-
gramme Word, Excel sowie
PowerPoint 2019 erfahren
und erarbeitet. Besonders
die Schaffung ’intelligenter’
Tabellen mit Excel sowie
das Erstellen von Videos hat
stark beeindruckt. Die un-
endlichen Bildbearbeitungs-
möglichkeiten unter GIMP
brachten die Teilnehmerin-
nen und Teilnehmer zum
Staunen und regten an, die
aufgenommenen Informa-
tionen durch eigene Übun-
gen weiter zu vertiefen.
Manfred Berretz
Die traditionelle IT-Schulung
brachte den Teilnehmerinnen
und Teilnehmern wieder viele
Anregungen und Tipps.
Präventionskurs: Sicher im Alltag
I
Immer wieder hören oder lesen wir, dass gerade
Seniorinnen und Senioren Opfer krimineller
Handlungen werden. Um die unterschiedlichen
Gefährdungspotenziale im Alltag leichter erken-
nen und sicherer gegensteuern zu können, lädt
das
lehrer nrw
-Referat Senioren zur Teilnahme
an der etwa eineinhalbstündigen Vortragsveran-
staltung ’Sicher im Alltag – Sicherheit im priva-
ten, öffentlichen und Cyberraum’ ein. Die Teil-
nahme ist kostenlos.
Termin: Donnerstag, 18. August 2022, 11:00 Uhr
Ort: Polizeipräsidium Dortmund, Markgrafenstraße 102, 44139 Dortmund
Am Nachmittag steht zusätzlich noch ein Besuch des Westfalenparks – dreimaliger Standort
von Bundesgartenschauen – auf dem Programm.
Anmeldung: per E-Mail bis 7. August 2022 an: berretz@lehrernrw.de
WEITERE INFOS
www.lehrernrw.de/2021/10/18/praeventionskurs-fuer-seniorinnen-und-senioren/
Resolution
gegen Nachteile
für Senioren
I
Im Rahmen des Seniorenseminars des
VDR vom 24. bis 27. März informierte
Dr. Horst Klitzing, Vorsitzender der dbb Bun-
desseniorenvertretung, über aktuelle The-
men. Die Teilnehmenden des Seminars unter
Leitung von Christa Nicklas übergaben Klit-
zing eine Resolution, in der die VDR-Senioren-
vertreter von der dbb Bundesvertretung for-
dern, sich für die Mitglieder einzusetzen. Die
Resolution kritisiert zum einen, dass der Ge-
neration 65+ die Einmalzahlung von 300
Euro im Rahmen des Maßnahmenpakets des
Bundes zur Abfederung der hohen Energie-
kosten nicht zugutekommt. Zum ande-
ren monieren die Seniorenvertreter,
dass die Sonderzahlung in Höhe
von 1300 Euro (Corona-Prämie)
für Pensionäre nicht vorge-
sehen ist.
SENIOREN
Foto: AdobeStock/Krakenimages.com
lehrer nrw ·
3/2022
28
Wieviel
Meinung
ist
erlaubt?
Sowohl aktuelle extremistische Strömungen als auch die
Auswirkungen des furchtbaren Kriegs in der Ukraine geben
Anlass, die Reichweite der Meinungsfreiheit für Lehrkräfte
im beruflichen Umfeld zu beleuchten.
H
Hätte man vor einiger Zeit die Be-
hauptung aufgestellt, in unserer
Gesellschaft greife das Phänomen
der Politikverdrossenheit stärker um sich,
hätte man dies kaum umfassend widerlegen
können. Inzwischen – und nicht erst, seit-
dem die Bundesregierung von einer »Zei-
tenwende« spricht – ist dies anders: Gesell-
schaftliche, staatstragende und politische
Themen bewegen die Menschen immer
mehr, auch und in Teilen berufsbedingt gera-
de Lehrkräfte. Spätestens seit der Fridays-
for-Future-Bewegung und den Debatten
über den Klimawandel stellt sich für viele
Lehrkräfte verstärkt die Frage, inwieweit sie
ihre eigene Meinung auch im schulischen
Kontext äußern dürfen.
Grenzen der
Meinungsfreiheit
Die Meinungsfreiheit gemäß Artikel 5 Ab-
satz 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) verkörpert
ein jedermann zustehendes Grundrecht und
hohes Gut unserer Verfassung. Dennoch
wird sie nach Artikel 5 Absatz 2 GG nicht
schrankenlos gewährleistet. So können auch
die Pflichten aus dem Beamten- oder tarifli-
chen Arbeitsverhältnis beschränkend wir-
ken.
Gemäß § 7 Absatz 1 Nummer 2 Beamten-
statusgesetz (BeamtStG) ist schon für die
Berufung zur Beamtin oder zum Beamten
erforderlich, dass man für die freiheitlich de-
mokratische Grundordnung eintritt. Auch
danach, das heißt während und nach der
Ausübung ihres Dienstes müssen nach § 33
Absatz 1 Satz 3 BeamtStG Beamtinnen und
Beamte sich jederzeit zur freiheitlich demo-
kratischen Grundordnung unseres Grundge-
setzes bekennen und für deren Erhaltung
eintreten. Das Bundesverwaltungsgericht
führte dazu bereits vor über 35 Jahren aus,
dass weder das inner- noch das außer-
dienstliche Verhalten den Verdacht aufkom-
men lassen darf, dass eine Beamtin oder ein
Beamter sich mit verfassungsfeindlichen
Zielen identifiziert oder mit Vertreterinnen
oder Vertretern derartiger Ziele oder Bestre-
bungen sympathisiert1.
Neutralität und
politische Zurückhaltung
Daneben besteht eine allen Beamtinnen und
Beamten auferlegte Pflicht zur politischen
Zurückhaltung. § 2 Absatz 8 Schulgesetz
NRW (SchulG) und § 7 Allgemeine Dienst-
ordnung für Lehrerinnen und Lehrer, Schul-
leiterinnen und Schulleiter an öffentlichen
Schulen (ADO) formen diese zu einer Pflicht
zu politischer, religiöser und weltanschauli-
cher Neutralität der Lehrkräfte gegenüber
den ihnen anvertrauten Schülerinnen und
Schülern. Danach ist bei der Behandlung
RECHT§AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
Foto: Wordley Calvo Stock/AdobeStock
Die Meinungsfreiheit
stößt für Lehrkräfte dort
an Grenzen, wo sie die Pflicht zur
politischen, religiösen und weltanschauli-
chen Neutralität berührt. Das bedeutet
sicherlich keinen Maulkorb, erfordert aber
im Einzelfall eine sorgfältige Abwägung.
und Besprechung politik- und gesellschafts-
relevanter Themen die Unparteilichkeit der
Schule zu wahren. Ziel ist es, dass der Schul-
frieden nicht gefährdet oder gestört wird.
Der Beutelsbacher Konsens aus dem Jahr
1976 legt dabei die Grundsätze für politi-
sche Bildung auch für Nordrhein-Westfalen
fest (Überwältigungsverbot, Kontroversität,
Schülerorientierung).
Tarifbeschäftigen Lehrerinnen und Lehrern
gegenüber gelten die allgemeinen Pflichten
der Beamtinnen und Beamten entsprechend,
wie sich im Allgemeinen aus den Arbeitsver-
trägen, aus § 3 des Tarifvertrags für den öf-
fentlichen Dienst der Länder und insbesonde-
re durch § 3 Absatz 4 ADO ergibt.
Drastische Konsequenzen
bei Verstoß gegen
Verfassungstreue
Die Missachtung der Verfassungstreue kann
durchaus drastische Konsequenzen haben.
Sie führte kürzlich dazu, dass das Oberver-
waltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) in
einem Verfahren einer ehemals im Dienst
von Rheinland-Pfalz tätigen, pensionierten
Lehrerin bestätigt hat, dass ihr das Ruhege-
halt abzuerkennen ist2. Die Lehrerin hatte
etwa zehn Jahre nach Versetzung in den
Ruhestand im Jahr 2006 in Büchern und
Schriftstücken an Behörden die Bundes-
republik Deutschland unter anderem als
»Scheinstaat« beziehungsweise »Nicht-
staat« bezeichnet und die Verfassungsord-
nung als »ungültig« abgelehnt. Das Land
hatte Disziplinarklage erhoben. Die zustän-
dige Disziplinarkammer des Verwaltungsge-
richts Trier hatte der Lehrerin das Ruhege-
halt aberkannt, weil sie sich im Ruhestand
aktiv gegen die freiheitlich demokratische
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes
betätigt habe. Die Berufung hatte keinen Er-
folg, obwohl die Frau geltend gemacht hat-
te, sich als Wissenschaftlerin und »kritische
Demokratin« geäußert zu haben. Nach An-
sicht des OVG komme in den Äußerungen
eine Verachtung für den deutschen Staat
und seine Institutionen zum Ausdruck.
Durch die Ablehnung der Verfassungsord-
nung als »ungültig« habe die Lehrerin
gegen ihre auch über den aktiven Dienst
hinausgehende Treuepflicht verstoßen.
Dies lasse sich auch nicht durch die Mei-
nungs- oder gar Wissenschaftsfreiheit
rechtfertigen.
Ukraine-Krieg
und Schulfrieden
Besondere Herausforderungen für die Ar-
beit der Lehrkräfte und die Wahrung des
Schulfriedens erwachsen zur Zeit als Konse-
quenz des furchtbaren Krieges in der Ukrai-
ne. Über den sind auch Schülerinnen und
Schüler informiert – leider zum Teil auch
durch Fake News und irreführende Posts in
sozialen Medien. Wie sollen sich Lehrkräfte
da verhalten? Wenn die Wahrung des
Schulfriedens eine der obersten Maximen
ist – wie kann dies am besten gelingen und
inwieweit kann man seine Meinung in dem
Zusammenhang kundtun?
Das Schulministerium führt schon in der
Schulmail vom 1. März 2022 folgendes aus:
Bei der Auseinandersetzung mit dem, was in
der Ukraine geschehe, könne es zu kontro-
versen Bewertungen und Konfliktmustern
kommen. Dies sei auch vor dem Hintergrund
gegebenenfalls unterschiedlicher familiärer
oder sonstiger Beziehungen zu den Konflikt-
parteien zu betrachten. Es gelte, den Krieg
durchaus, wenn auch behutsam zu themati-
sieren, insbesondere auch, um Schülerinnen
und Schülern sozialen und psychischen Halt
zu geben. Es müsse dabei im Geiste unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung
und der Haltung erzogen werden, dass De-
mokratie und Völkerrecht unverhandelbare
Grundwerte unserer Verfassung sind. Daraus
lassen sich nicht nur die Notwendigkeit ei-
ner besonderen Feinfühligkeit bei der Darle-
gung eigener Meinungen von Lehrkräften,
sondern auch die Richtung ableiten, in der
Äußerungen unverfänglich sind.
1 BVerwG Urteil vom 12. März 1986,
Az. BVwerG 1 D 103.84
2 OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom
11. März 2022, Az. 3 A 10615/21. OVG
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
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lehrer nrw
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ANGESPITZT
D
Das Schöne an der Politik ist die ge-
stalterische Freiheit. Man be-
schließt qua ministerieller oder staats-
sekretärischer Autorität Dinge, und die
müssen dann gemacht werden. Das ist
ein bisschen wie früher bei der Bun-
deswehr. Dort konnte zwischen dem
1. April und dem 30. September ‘Som-
mer befohlen’ werden. Wenn Sommer
befohlen ist, müssen alle die Ärmel des
Soldatenhemdes aufkrempeln – auch
bei leichtem Bodenfrost oder mittlerem
Gewitterhagel. Befehl ist Befehl. Wo
kommen wir denn da hin, wenn jeder
mit seinen Soldatenhemdsärmeln
macht, was er will?
Nun ist ein Ministerium nach relativ
gesicherten Erkenntnissen keine Kaser-
ne. Aber trotzdem hat die Kommando-
zentrale an der Völklinger Straße kürz-
lich Sommer befohlen. Der Sommer ist
bekanntlich die Jahreszeit, in der Coro-
na vorbei ist. Das ist empirisch erwie-
sen. (Das hartnäckige Gerücht, dass es
Richtung Herbst eine geringfügige sta-
tistische Prävalenz für ein Corona-
Comeback gibt, können wir an dieser
Stelle als irrelevant einstufen.)
Während es also vom Marineunter-
stützungskommando Glücksburg bis zur
Edelweiß-Kaserne Mittenwald »Ärmel
hoch« heißt, bedeutet »Sommer befoh-
len« für die Schulen in Nordrhein-West-
falen: »Masken runter«. Die lästige
Maskenpflicht entfällt und das um-
ständliche Testprozedere gleich mit. Die
Corona-Regeln wandern in den Schred-
der.
Wir wissen nicht, welche disziplinari-
schen Konsequenzen es für den han-
delsüblichen Soldaten nach sich zieht,
das Ärmel-hoch-Kommando zu miss-
achten. Allerdings zeigt sich die Stabs-
stelle MSB vergleichsweise gnädig mit
Schülern und Lehrkräften, die sich in ei-
nem Akt zivilen Ungehorsams weigern,
die Maske abzunehmen. Wer das für
nötig halte, könne die Maske gern wei-
tertragen, beschied Oberbefehlshaberin
Gebauer großmütig. Auch in der Frage,
ob die Ärmel in der Schule hoch- oder
runtergekrempelt getragen werden, ha-
ben alle am Schulleben Beteiligten ma-
ximale individuelle Freiheit.
Demokratie ist doch was Feines – vor
allem im Sommer!
Jochen Smets
Sommer befohlen!
Über Feedback zu meinen Gehirnjogging Übungen würde ich mehr sehr freuen: mail@heike-loosen.de Heike Loosen
Einkaufen
Hier mal eine Übung für Ihr
Kurzzeitgedächtnis. Gehen
Sie einkaufen und stellen
Sie sich vor, dass Sie folgen-
de Dinge in Ihren Einkaufs-
wagen legen.
Hundefutter – Forellenfilet – Naturreis –
Lippenstift – Fernsehzeitschrift – Tee-
lichter – Apfelschorle – Kaminholz –
Gartenschuhe – Rote Bete – Quark –
Spülmittel – Schokolade – Küchen-
papierrolle – Zahnpasta
Überlegen Sie, was Sie vorgestern zu Mittag gegessen haben
und zählen Sie anschließend in Dreierschritten von dreißig
runter.
Ohne noch einmal zu spicken: Schreiben Sie auf,
was Sie eben in den Einkaufswagen gelegt haben.
Haben Sie sich an alle fünfzehn Dinge erinnert?
Tierische Vergleiche
Stark wie ein Bär oder schlau wie der Fuchs. Oft sprechen wir den Tieren bestimmte Eigenschaften zu.
A) Welche Tiere passen zu den folgenden Vergleichen? 1. Flink wie 2. Frei wie 3. Still wie 4. Langsam wie 5. Er hört wie
B) Finden Sie noch mindestens fünf weitere tierische Vergleiche.
Suchbild
mit Hirn
Auf diesem Bild finden Sie viele
Bildpaare mit Gehirn-Motiven.
Ein Gehirn-Symbol bleibt
ohne Partner. Welches ist es?
AUFGABE 1:
AUFGABE 2:
AUFGABE 3:
HIRNJOGGING
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