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4/2022 ·
lehrer nrw
Lehrkräfte und andere, die Maßnahmen
verhängen wollen, müssen dabei streng auf
deren rechtmäßige Anwendung achten. Dies
folgt daraus, dass regelmäßig nur eine recht-
mäßig verhängte und vollzogene Maßnahme
ihre beabsichtigte Wirkung zeigen kann. Nicht
außer Acht gelassen werden sollte dabei aber
auch, dass sich eine nicht rechtmäßige Maß-
nahme durchaus als Bumerang für denjenigen
erweisen kann, der sie in der dann meistens
vorliegenden Ausnahmesituation unter Um-
ständen vorschnell veranlasst hat.
Denn wehrt sich beispielsweise ein Eltern-
teil gegen die Sanktion gegen ihren Spröss-
ling, muss unter Umständen nicht nur die
Maßnahme zurückgenommen werden, son-
dern kann im Endeffekt auch eine Dienst-
pflichtverletzung der die Maßnahme veran-
lassenden Lehrkraft oder anderen Personen
drohen. Dem ’wasserdichten’ Einsatz von
Maßnahmen dient diese Artikelreihe.
Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit
Alle Maßnahmen müssen dabei letztlich als
Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips nach Arti-
kel 20 Absatz 3 Grundgesetz dem Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit genügen: Jede
Maßnahme muss, erstens, ein geeignetes
Mittel sein, um die erwünschten Zwecke zu
erreichen. Sie muss, zweitens, erforderlich
sein und damit das mildeste zur Verfügung
stehende Mittel darstellen. Drittens muss
die Maßnahme in einem angemessenen
Verhältnis zu dem erzielten Zweck stehen,
das heißt verhältnismäßig im engeren Sinne
sein.
Neben den eigentlichen Voraussetzungen
für eine Maßnahme ist darauf zu achten,
wer – das heißt die zuständige Lehrkraft
oder das zuständige Gremium – für die
Maßnahme verantwortlich zeichnet.
Anspruch auf angst-
und gewaltfreies
Lernen in der Schule
Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass
eine Maßnahme sich nur gegen schulisches
Fehlverhalten richten darf3. Dazu muss die-
ses nicht zwingend beispielsweise während
des Unterrichts und auf dem Schulgelände
geschehen sein. Es reicht, wenn zwischen
dem Verhalten und dem Schulverhältnis ein
direkter Zusammenhang besteht, was ins-
besondere der Fall ist, wenn durch das Ver-
halten das Zusammenleben der am Schulle-
ben beteiligten Personen zumindest gefähr-
det wird. Geht es um die Schaffung von
Verbindungen zu Rauschgiftverkäufern in
Schulnähe, ist der Zusammenhang offen-
sichtlich. Ebenso kann es bei Gewalttätig-
keiten an einer Bushaltestelle in Schulnähe
sein. Die hier maßgebliche Verletzung des
Anspruchs auf ein angst- und gewaltfreies
Lernen in der Schule ist aber genau zu prü-
fen, wenn es zum Beispiel um Beleidigun-
gen unter Schülerinnen und Schülern in
sozialen Medien geht4.
Ausgeschlossen sind zudem Kollektiv-
maßahmen, es sei denn, mehrere Schülerin-
nen und Schüler haben sich ein Fehlverhal-
ten geleistet, was jeder und jedem Einzel-
nen konkret zurechenbar ist. Dies verdeut-
licht auch die Unerlässlichkeit einer genau-
en Sachverhaltsaufklärung. Natürlich ist
dies schwierig, wenn sich Dinge sprich-
wörtlich hinter dem Rücken einer Lehrkraft
abspielen, dennoch kann ein im etwaigen
anfänglichen Zorn geäußertes »Wer war‘s?
Keiner? Also, alle!« niemals in Betracht
kommen.
Vorgegebenes
Instrumentarium
So kreativ, wie die Schülerschaft bisweilen
ist, wenn es darum geht, sich nicht an
schulische Regeln zu halten, dürfen dieje-
nigen, die für die Wahl und Ausgestaltung
der konkreten Sanktionen und Maßnah-
men im Zusammenhang mit Fehlverhalten
zuständig sind, ohnehin nicht sein, seien
sie aus dem Kreis der Lehrkräfte, der
Schulleitungen oder der Schulaufsicht.
Denn ihr Instrumentarium ist insbesondere
von der Struktur her gesetzlich vorgege-
ben. In Betracht kommen in der Praxis vor
allem erzieherische Einwirkungen und Ord-
nungsmaßnahmen nach § 53 SchulG. Au-
ßerdem ist an die zwangsweise Anhaltung
zur Einhaltung der Schulpflicht nach § 41
SchulG und an die Verhängung einer Geld-
buße nach § 126 SchulG zu denken. Bei
Täuschungsversuchen ist zwischen den an-
zuordnenden Folgen nach § 6 Absatz 7
Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekun-
darstufe I (APO-SI) wie Anordnung der
Wiederholung des Leistungsnachweises
und einer gegebenenfalls zusätzlich ver-
hängten Ordnungsmaßnahme zu unter-
scheiden5.
1 van den Hövel, Schulrecht NRW – Was Lehrerinnen
und Lehrer wissen müssen, 5. Auflage 2020, S. 202
2 Jülich, van den Hövel, Schulrechtshandbuch NRW,
§ 53, RN 1
3 van den Hövel, Schulrecht NRW – Was Lehrerinnen
und Lehrer wissen müssen, 5. Auflage 2020, S. 203
4 Jülich, van den Hövel, Schulrechtshandbuch NRW,
§ 53, RN 24
5 Jülich, van den Hövel, Schulrechtshandbuch NRW,
§ 53, RN 23
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
Gewalt gegen Mitschüler ist
ein absolutes ‘No Go’.
Bei der Sanktionierung solcher oder
anderer Vergehen müssen sich Lehr-
kräfte an ein gesetzlich vorgegebenes
Instrumentarium halten.
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