3Unter der Lupe
Wider den
Mangel
15 Dossier
Deutschland im
Akademisie-
rungswahn
28 Recht§ausleger
Hey, teacher,
leave us kids
alone…
6Im Brennpunkt
Gewalt gegen
Lehrkräfte
§132c-Schulen
Das ewige
Provisorium
Pädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock/Klaus Eppele · Montage: Dömges
1781 | Ausgabe 4/2022 | JUNI | 66. Jahrgang
INHALT
lehrer nrw ·
4/2022
2
UNTER DER LUPE
Sven Christoffer: Wider den Mangel 3
MAGAZIN
A13-Kampagne beeindruckt die Politik 5
lehrer nrw
auf der didacta 5
BRENNPUNKT
Sarah Wanders: Gewalt gegen Lehrkräfte 6
MEINUNG
Peer Brändel: Es muss sich etwas ändern 8
JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner: Lehrer-Nachwuchs
diskutiert Zukunftsthemen 11
TITEL
Das ewige Provisorium 12
Jochen Smets: Schule mit Geburtsfehler 14
DOSSIER
Prof. Hans-Peter Klein: Deutschland
im Akademisierungswahn 15
SCHULE & POLITIK
Olaf Korte: Ein (zu) langer Weg 19
Daphne Bieletzki: Sprecht über
den Elefanten im Raum! 20
Ulrich Gräler: Endlich…
Arbeitswirklichkeit anerkannt! 22
FORTBILDUNGEN
Gutes Klima, guter Unterricht 24
BATTEL HILFT
Digitaler Worst Case 26
SENIOREN
Grachten, Leuchttürme, Wattenmeer 27
Sicherheit für Senioren im Alltag 27
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange: Hey, teacher,
leave us kids alone…! – Teil 1 28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Im Schleudersitz 30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Versteckte Farben
Aufgabe 2: Liebe im Garten
Aufgabe 3: Immer der Nase nach 31
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
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‘lehrer nrw’
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Nordrhein-Westfalen,
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Redaktion
Sven Christoffer,
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Christopher Lange,
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Marcel Werner
Düsseldorf
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Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
3
Wider den
Mangel
Über die bildungspolitischen Baustellen
der neuen Landesregierung.
»
»M
Machen, worauf es ankommt!«, dieser
Slogan war im Wahlkampf auf zahlrei-
chen Plakaten zu lesen. In der Bildungspolitik gibt
es für mich zwei große Herausforderungen, denen
sich eine neue Landesregierung zuwenden muss:
Es gilt, die Gleichwertigkeit von beruflicher und
akademischer Bildung durch konkrete Maßnahmen
zu befördern sowie die gleichwertige Bezahlung
des Personals, das berufliche und akademische
Bildung in unseren Schulen vermittelt, umzusetzen.
Ersteres wirkt dem Fachkräftemangel entgegen,
letzteres dem Lehrkräftemangel.
Anfang Februar hat mich das Ergebnis einer
Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und
Sozialökonomie stark beunruhigt. Demnach haben
Haupt- und Realschulabsolventen in Nordrhein-
Westfalen immer größere Schwierigkeiten, eine
Lehrstelle zu finden. Die Konkurrenz durch Abituri-
enten ist in NRW deutlich größer als im bundes-
weiten Schnitt. Das Abitur wird mehr und mehr
zum Nadelöhr für einen Ausbildungsplatz. Wäh-
rend in Nordrhein-Westfalen sechzig Prozent der
Real- und Hauptschulabsolventen und ein Drittel
derjenigen ohne Schulabschluss eine Ausbildung
beginnen, liegt dieser Wert laut Studie bundesweit
bei neunzig Prozent.
Ein Armutszeugnis
Was sind die Gründe für diese bedenkliche Ent-
wicklung? Zum einen sei trotz gravierenden Fach-
kräftemangels die Zahl der Ausbildungsplätze in
Nordrhein-Westfalen insgesamt gesunken, was
den Konkurrenzkampf anheize, zum anderen be-
ginnen in Nordrhein-Westfalen 55 Prozent der
Abiturienten eine Ausbildung, bundesweit sind es
nur 45 Prozent. Diese Zahl ist für mich ein Armuts-
zeugnis.
Mehr als die Hälfte aller
Abiturienten in Nordrhein-Westfalen
nutzen das Abitur nicht für ein Studium. Man
könnte auch so formulieren: Sie haben zwar das
Abitur, nicht jedoch die Studierfähigkeit erworben
und flüchten sich in eine Ausbildung. Das ’Abitur
für alle’ stößt an seine Grenzen, der Akademisie-
rungswahn erhält ein Realitätsupdate. Für die Wer-
tigkeit aller anderen schulischen Abschlüsse hat
das eine gefährliche Abwärtskaskade zur Folge.
Die Ergebnisse der Studie zeichnen ein bedenkli-
ches Bild vom Zustand der dualen Bildung in
Nordrhein-Westfalen.
Die Berufswahlorientierung und das Hinführen
zur Ausbildungsreife gehören deshalb zu den Zu-
kunftsaufgaben von Schule. Anders wird sich der
Fachkräftemangel in unserem Land nicht beheben
lassen.
Fehlentwicklungen korrigieren
Dafür müsste aber zunächst eine bildungspoliti-
sche Fehlentwicklung der vergangenen Jahre korri-
giert werden. Die Gleichwertigkeit von beruflicher
und akademischer Bildung ist
lehrer nrw
seit Jah-
ren ein Herzensanliegen. Eine Karriere in der beruf-
lichen Bildung muss wieder als gleichwertige Alter-
native zum Studium für jeden und jede erkennbar
sein. Wer die duale Ausbildung stärken will, muss
die Schulformen stärken, die in besonderer Weise
auf die Ausbildungsreife ihrer Schülerinnen und
Schüler hinwirken. Real- und Hauptschulen, Ge-
samt- und Sekundarschulen sind wichtige Kom-
passgeber. Sie bereiten vor auf das künftige Leben
und den Beruf. Um diese Schulformen nachhaltig
zu stärken, braucht es deshalb dringend ein über-
greifendes Konzept für die Sekundarstufe I.
Die Mutter aller Probleme
Und ein Weiteres: Wer sich für die Gleichwertigkeit
von beruflicher und akademischer Bildung ein-
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lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von SVEN CHRISTOFFER
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UNTER DER LUPE
setzt, der muss sich auch für die gleichwertige Be-
zahlung des Personals einsetzen, das berufliche und
akademische Bildung in unseren Schulen vermittelt.
Eine leistungsgerechte Bezahlung der Lehrkräfte an
Schulen der Sekundarstufe I sowie an Grundschulen
würde die Attraktivität des Lehrerberufs in Nord-
rhein-Westfalen erheblich steigern und zumindest
mittelfristig dazu beitragen, die ’Mutter aller Pro-
bleme’, nämlich den Personalmangel an diesen
Schulformen, zu beheben.
Laufbahn statt Laufstall
Die Definition des Begriffs ’Eingangsbesoldung’
lautet: »Besoldung der Beamtin/des Beamten beim
Eintritt in eine Laufbahn.« Demnach treten viele
unserer Kolleginnen und Kollegen offensichtlich seit
dreißig Jahren und mehr in ihre Laufbahn ein, da sie
unverändert im Eingangsamt A 12 verharren. Das
ist keine Laufbahn, sondern ein Laufstall.
Deshalb ist die Ankündigung von Ministerpräsi-
dent Hendrik Wüst im TV-Duell vor der Wahl grund-
sätzlich zu begrüßen, er würde die Angleichung der
Eingangsbesoldung für alle Lehrkräfte in den ersten
100 Tagen der neuen Legisla-
turperiode angehen. Ich kann
auch 150 Tage warten, wenn die
CDU dafür Abstand nimmt von
folgendem (Achtung: Euphemis-
mus) wenig durchdachten Baustein
ihres Wahlprogramms:
»Wir werden Bestandslehrerinnen
und -lehrern einen Aufstieg in die Besol-
dungsgruppe A 13 ermöglichen. Dafür werden
wir ihnen Angebote für die modulare Qualifikati-
on machen. Dies hat sich in der öffentlichen Verwal-
tung bewährt. Sie können so den Qualifikations-
nachteil ausgleichen, den sie durch ihre kürzere
Hochschulausbildung haben.«
Die Bildung von morgen sichern
Diesen Qualifikationsnachteil möchte ich in Abrede
stellen. Lehrkräfte, die vor dem Jahr 2009 ausgebil-
det wurden, hatten zwar eine kürzere Hochschulaus-
bildung, dafür aber ein längeres Referendariat. Das
wurde nämlich im November 2011 von 24 auf 18
Monate reduziert. Was den relevantesten Teil der
Lehrerausbildung angeht, haben Bestandslehrkräfte
demnach einen Qualifikationsvorteil. Abseits dessen:
Aufgrund ihrer wertvollen Praxiserfahrung sollen
nach dem Willen der CDU Lehrkräfte, die seit Jahren
im Dienst sind, nach A 13 besoldete Nachwuchslehr-
kräfte in den Schulen künftig anleiten, müssen sich
aber gleichzeitig »modular qualifizieren«, um selbst
in den Genuss von A 13 zu gelangen. Ein absurder
Gedanke! Jetzt ist nicht die Zeit des Zögerns und
Zauderns, jetzt ist die Zeit, die Bildung von morgen
durch Maßnahmen von heute zu sichern.
Sven Christoffer ist Vorsitzender des
lehrer nrw
sowie Vorsitzender des HPR Realschulen
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
Massen-
andrang:
Während an den
Unis viel zu viele
Abiturienten die
Gänge und Hör-
säle verstopfen,
nimmt der Fach-
kräftemangel
bedrohliche
Ausmaße an.
Foto: AddobeStock/Fotonomada
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lehrer nrw
MAGAZIN
A13-Kampagne
beeindruckt die Politik
lehrer nrw
auf der didacta
D
Die
lehrer nrw
-Kampagne zur Besol-
dungsgerechtigkeit war ein voller
Erfolg. Tausende Postkarten mit dem
Slogan ‘Ich verdiene A13!’ landeten in
den letzten Wochen auf dem Schreibtisch
von Ministerpräsident Hendrik Wüst. Der
war durchaus beeindruckt: Im Gespräch
mit dem
lehrer nrw
-Vorsitzenden Sven
Christoffer am Rande des Arbeitnehmer-
empfangs am 28. April in Düsseldorf zeig-
te sich Wüst erstaunt über die große Zahl
der Karten und würdigte die kreative Akti-
on.
Auch von anderer Seite kam viel positive
Resonanz: Zahlreichen politischen Entschei-
dungsträgern jedweder politischer Couleur
überreichte Sven Christoffer im Vorfeld der
Landtagswahl persönlich ‘ihre’ Karte und
nutzte die Gelegenheit, zum Thema Besol-
dungsgerechtigkeit ins Gespräch zu kom-
men. Dabei haben unter anderem Claudia
Schlottmann, schulpolitische Sprecherin der
CDU-Landtagsfraktion, der stellvertretende
FDP-Fraktionsvorsitzende Ralf Witzel, SPD-
Fraktionsvize Sven Wolf und die Grünen-
Fraktionsvorsitzende Verena Schäffer die
auch in den Wahlprogrammen niedergelegte
Absicht bekräftigt, das Thema in der kom-
menden Legislaturperiode anzupacken.
lehrer nrw
wird diese Zusagen beim Wort
nehmen und gegebenenfalls mit Nachdruck
daran erinnern. Denn im Sondierungspapier
von CDU und Grünen, das als Basis für die
Koalitionsverhandlungen (bei Redaktions-
schluss noch nicht beendet) dient, ist er-
schreckend unkonkret von einem Stufenplan
die Rede und erschreckend realitätsfern von
einem möglichen Aufstieg der Bestands-
Lehrkräfte in die Besoldungsgruppe A 13.
»Es ist geradezu absurd, dass Lehrkräfte,
die über jahrelange Praxiserfahrung verfü-
gen, künftig den nach A 13 / E 13 bezahlten
Lehrernachwuchs an den Schulen anleiten
und sich selbst zugleich qualifizieren sollen,
um in den Genuss der gleichen Besoldung
zu kommen. Wir erwarten von den angehen-
den Koalitionspartnern kein Zögern und
Lavieren, sondern klare Entscheidungen
für mehr Bildungs- und Besoldungsgerech-
tigkeit«, mahnt Christoffer.
Am Rande des
Arbeitnehmer-
empfangs am 28. April
übergab der
lehrer nrw-
Landesvorsitzende Sven
Christoffer eine Kampag-
nen-Postkarte an Minister-
präsident Hendrik Wüst und
kam mit ihm ins Gespräch
über das Thema Besol-
dungsgerechtigkeit.
Ein starkes Team: Die
lehrer nrw
-Standbesetzung mit dem Landesvorsitzenden Sven
Christoffer (rechts) und dem VDR-Bundesvorsitzenden Jürgen Böhm (4.v.l.).
Foto: Friedhelm Windmueller
N
Nach dreijähriger Corona-Pause konnte
die Bildungsmesse didacta vom 7. bis
11. Juni in Köln wieder in Präsenz stattfin-
den. Und mittendrin war
lehrer nrw
. Auf
einem Gemeinschaftsstand mit dem Dach-
verband VDR zeigte
lehrer nrw
auf der
größten Fachmesse für Bildungswirtschaft
in Europa Flagge. Viele Begegnungen am
Stand zeigten, wie groß das Bedürfnis
nach Austausch und Information ist. Daher
und nicht zuletzt auch wegen eines attrak-
tiven Gewinnspiels war die Besucherfre-
quenz am Stand durchweg hoch. Erfreuli-
cherweise nutzten mehrere Kolleginnen
und Kollegen bei einem Standbesuch die
Möglichkeit, Mitglied bei
lehrer nrw
zu
werden. Nicht nur deswegen war der
Messeauftritt für unseren Verband ein vol-
ler Erfolg. Großer Dank gebührt den zahl-
reichen Helferinnen und Helfern, die wäh-
rend der Messetage Standdienst versahen,
sowie ganz besonders den beiden ‘Chefor-
ganisatoren’ Thorsten Schmalt und Marcel
Werner.
lehrer nrw ·
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BRENNPUNKT
Gewalt gegen
Lehrkräfte
Das Thema Gewalt gegen Lehrkräfte gewinnt an
Dringlichkeit. Doch mit der Fürsorge des Dienstherrn
ist es nicht weit her. Es fehlt eine Kultur des
Hinsehens.
B
Bereits im Jahr 2018 schrieb unser Vor-
sitzender Sven Christoffer einen Arti-
kel zu diesem Thema in unserer Ver-
bandszeitschrift. Anlass war unter anderem
die Schilderung einer Gewalterfahrung eines
Kollegen auf der Personalversammlung im
Regierungsbezirk Köln im Dezember 2017,
die ihn sehr beeindruckt bzw. erschüttert
hatte. Dies nahm er zum Anlass, dieses The-
ma einmal näher zu beleuchten, da es sich
längst um keinen Einzelfall mehr handelte.
Was ist seither geschehen?
Im März 2022 setzte der
lehrer nrw
geführte
Hauptpersonalrat (HPR) Realschule dieses
Thema auf die Tagesordnung der Gemein-
schaftlichen Besprechung (GB) mit Schul-
ministerin Yvonne Gebauer, da es erneut zu
Problemanzeigen aus den Bezirken gekom-
men war. Im Nachgang zu dieser GB erreich-
te den HPR Realschule sogar ein besonders
schwerer Fall, der mich persönlich tief er-
schüttert hat, auf den ich aber aus Daten-
schutzgründen nicht näher eingehen darf.
Die Hausspitze und die anwesenden
Vertreter der Dienststelle zeigten sich über-
rascht, denn bekannt waren die Fälle im
Ministerium nicht. Es drängt sich zuneh-
mend der Verdacht auf, dass dieses Problem
klein gehalten wird – auf verschiedenen
Ebenen und aus verschiedenen Gründen.
Einige Schulleitungen – zum Glück nicht alle
– haben Angst um den guten Ruf ihrer
Schulen, und die Bezirksregierungen haben
entweder keine Kenntnis von den Vorfällen
oder kein geschultes Personal. Zu Anzeigen
durch die Bezirksregierungen kommt es in
den seltensten Fällen.
Hilfe zur Selbsthilfe
reicht nicht
Im Bildungsportal ist zum Thema Gewalt
gegen Lehrkräfte Folgendes zu lesen: »Da-
mit sich Betroffene besser gegen Übergriffe
wappnen und mit den Folgen erlebter Ge-
walt umgehen können, hat die Bezirksregie-
rung Münster eine Handreichung erarbeitet,
die Hilfs- und Präventionsangebote auf-
zeigt. Die Broschüre ’Gewalt gegen Lehr-
kräfte’ bietet Handlungshilfen für den aku-
ten Fall, nimmt eine rechtliche Einordnung
vor, beschreibt Maßnahmen der Intervention
und Möglichkeiten zur Prävention. Die Bro-
schüre wurde gemeinsam mit Vertreterinnen
und Vertretern aus dem Arbeits- und Ge-
sundheitsschutz, der Unfallkasse NRW, der
B·A·D GmbH, Schulpsychologie, Förderschul-
pädagogik, Polizei und Personalrat erarbei-
tet. Sie richtet sich ebenso an Betroffene
wie an Schulleitungen und Mitglieder schu-
lischer Teams für Beratung, Gewaltpräventi-
on und Krisenintervention. Opfer von Ag-
gressionen oder Gewalt finden Hinweise zur
akuten Hilfestellung und nachhaltigen Si-
cherheit. Die Handreichung kann kostenfrei
auf der Website der Bezirksregierung Müns-
ter heruntergeladen werden.«
Diese Broschüre existiert schon seit Jah-
ren und ist Opfern von Gewalt sehr zu emp-
fehlen. Aber reicht das aus? Hilfe zur Selbst-
hilfe? Zumindest konnte unter anderem der
HPR Realschule schon jetzt erreichen, dass
die AG ’Gewalt gegen Lehrkräfte’, in der
Vertreter aller HPRe, Hauptvertrauensperso-
nen, Vertreter des MSB und der BAD GmbH
gemeinsam das Problem angehen, ab dem
kommenden Schuljahr wieder reaktiviert
wird.
Die Rolle des Dienstherrn
Bei diesem Thema sehe ich unseren Dienst-
herrn ganz klar in der Pflicht. »Wird eine
Lehrperson im Zusammenhang mit ihrer
Arbeit beleidigt oder verletzt, kann sie
von SARAH WANDERS
Gewalt gegen Lehrkräfte, ob
physisch oder psychisch, kann
eine traumatisierende Erfahrung sein.
Dennoch fühlen sich die Betroffenen
nicht selten alleingelassen.
BRENNPUNKT
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lehrer nrw
grundsätzlich in eigener Sache Anzeige
(rechtlicher Begriff = Strafantrag) erstatten.
Unabhängig davon kann das Land von sich
aus Anzeige erstatten und einen eigenen
Strafantrag stellen, wenn eine Person in
Ausübung öffentlicher Aufgaben beleidigt
194 StGB) bzw. verletzt (§ 230 StGB) wor-
den ist. Das Antragsrecht des Dienstherrn
ergibt sich aus der Tatsache, dass mit der
Beleidigung oder Verletzung einer Person,
die öffentliche Aufgaben wahrnimmt, auch
‘der Staat’ angegriffen wird.« (Broschüre
’Gewalt gegen Lehrkräfte’, S.16/17)
Eine Anzeige durch den Dienstherrn wäre
ein ganz klares Signal an die von Gewalt
betroffenen Kolleginnen und Kollegen:
Wir schauen nicht weg; wir stehen an Eurer
Seite! Genau diese Rückendeckung hat der
HPR Realschule in der GB mit Frau Ministe-
rin eingefordert. Die Kultur des Wegsehens
muss ein Ende haben!
Eine Bezirksregierung
geht voran
Auf der Homepage der Bezirksregierung
Arnsberg ist neben dem Verweis auf die
bereits erwähnte Broschüre Folgendes zu
lesen: »Zu den psychosozialen Belastungen
im Lehrer*innenberuf liegt nun erstmalig
eine valide Basis vor, nachdem mit Hilfe der
COPSOQ-Befragung (Copenhagen Psycho-
social Questionnaire) Daten für die Gefähr-
dungsbeurteilung ’Psychosoziale Belastung’
erhoben werden konnten. Diese Daten ver-
deutlichen, dass Gewalt gegen schulisches
Personal nicht nur ein Medienthema, son-
dern auch ein zentrales Handlungsfeld für
die Prävention und Gesundheitsförderung
von Lehrpersonen und weiterem schuli-
schen Personal darstellt. Gewalttaten
können für die persönlich Betroffenen mit
weitreichenden und lang anhaltenden
negativen Beanspruchungsfolgen und
gesundheitlichen Beeinträchtigungen ver-
bunden sein. Ebenso können diese Gewalt-
handlungen negative Konsequenzen auf
das Schulklima und damit auf die Schulge-
sundheit haben.« Darüber hinaus wurde
ein Ansprechpartner für Beschäftigte be-
nannt, die Gewalt in Schule erlitten haben.
Nun könnte man annehmen »Gefahr er-
kannt, Gefahr gebannt«. Dass es einen
solchen Ansprechpartner nicht in allen
Bezirksregierungen gibt, zeigt jedoch, dass
das Problembewusstsein nicht allerorts in
gleichem Maße vorhanden ist. Der HPR
Realschule fordert ein einheitliches Vorge-
hen in allen Bezirksregierungen. Die Unter-
stützung für Kolleginnen und Kollegen darf
nicht vom Dienstort abhängen.
Ministerin Gebauer sicherte zu, sich das
’Arnsberger Modell’ anzuschauen, sodass
es auf alle Bezirksregierungen übertragen
werden könne. Des Weiteren solle das The-
ma im Nachgang auch noch einmal bei ei-
ner Dienstbesprechung mit den Bezirksre-
gierungen erörtert werden.
Es bleibt abzuwarten, ob das Thema
’Gewalt gegen Lehrkräfte’ inzwischen im
Bewusstsein unseres Dienstherrn so ange-
kommen ist, dass sich endlich etwas ändert.
Lehrkräfte benötigen und verdienen mehr
als Hilfe zur Selbsthilfe und warme aufmun-
ternde Worte. Sie benötigen und verdienen
Rückendeckung und Unterstützung durch
den Dienstherrn, denn ein Angriff auf einen
einzelnen Kollegen muss immer auch als
Angriff auf die gesamte Schulgemeinde ver-
standen werden. Das muss endlich im Kopf
unseres Dienstherrn, der eine Fürsorge-
pflicht für die Lehrerinnen und Lehrer hat,
ankommen!
lehrer nrw
wird sich weiter un-
ermüdlich dafür einsetzen, dass es auch bei
Gewalt gegen Lehrkräfte endlich zu einer
Kultur des Hinsehens kommt.
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende
des
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
Foto: AddobeStock/yavyav
Die Broschüre ’Gewalt gegen Lehrkräfte’
kann auf der Website der Bezirksregie-
rung Münster unter dieser Online-Adres-
se heruntergeladen werden: https://tiny-
url.com/gewalt-gegen-lehrkraefte
lehrer nrw ·
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MEINUNG
Es muss sich etwas ändern!
Die Realschule als eine Schulform von gestern für Herausforderungen
von heute – ein Zustandsbericht aus der Praxis.
Z
Zunehmend habe ich das Gefühl, in
einem System zu arbeiten, das von
Rahmenbedingungen ausgeht, die
es nicht mehr gibt. Analoger Unterricht bis
13:00 Uhr, Ausrichtung auf ein mittleres
Bildungsniveau in einem dreigliedrigen
Schulsystem, Schülerinnen und Schüler oh-
ne Förderbedarf aus überwiegend bil-
dungsaffinen Elternhäusern, Kenntnis der
deutschen Sprache und eine solide Allge-
meinbildung – das war
gestern
. Inklusion,
Auflösung der Hauptschulen, Migration
und eine Zunahme von Schulverweigerern
haben in den letzten Jahren zu einer sehr
heterogenen Schülerschaft beigetragen.
Schwierige Gemengelage:
Die zunehmende Heterogenität,
bedenkliche Lerndefizite, über-
bordende Verwaltungsaufgaben
und grassierender Lehrermangel
sind nur einige der proble-
matischen Rahmen-
bedingungen, die
im Berufsalltag von
Lehrkräften Frust und
Überforderung
verursachen.
MEINUNG
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lehrer nrw
Die Auswirkungen von Corona sind immer
noch spürbar, und wir stecken mitten im
digitalen Umbau. Die Bedingungen an
Realschulen entsprechen nicht mehr den
massiven gesellschaftlichen Herausforde-
rungen. Immer mehr KollegInnen gehen
auf dem Zahnfleisch.
Heterogenität
Vielen Schülerinnen und Schülern fehlt es
an Frustrationstoleranz, Impulsregulation
Selbstmotivation, Konzentration und Orga-
nisation, aber auch an motorischen Fähig-
keiten, wie zum Beispiel Körperwahrneh-
mung. Eine solide Allgemeinbildung und
die Vermittlung von Grundwerten einer so-
zialen Gesellschaft rücken in immer weite-
re Ferne. Sprachliche sowie grundlegende
Fachkenntnisse sind immer weniger vor-
handen. Viele sind mit den Anforderungen
des Mittleren Schulabschlusses (MSA)
überfordert. Die Leitlinie des Ministeriums
’Heterogenität als Chance nutzen’
wird zur
Utopie, weil die Anzahl der lernaffinen
Schülerinnen und Schüler längst nicht
mehr groß genug ist, um die mit Unter-
stützungsbedarf aufzufangen. Eine immer
geringere Lernprogression ist die Folge.
Abnahme des
Bildungsniveaus
Die Unterrichtswirklichkeit entfernt sich
also immer weiter von den Vorgaben
(MSA) des Bildungsministeriums. Es fehlt
an Basiskompetenzen; Defizite aus der
Grundschule verhindern eine Progression
in der Sekundarstufe I und später in der
Sekundarstufe II. Eine ungünstige Lehrer-
Schüler-Relation, die für eine Individuali-
sierung nötig wäre, sowie ein – bei einer
signifikanten Anzahl von Schülerinnen und
Schülern – bildungsfernes Elternhaus, in
dem Unterstützung immer weniger statt-
findet, machen die Lage noch prekärer.
Die Diskrepanz zwischen Anspruch und
Wirklichkeit wird deutlich, wenn man die
Vornoten mit den ZP-Noten und den da-
raus resultierenden Abschlussnoten in
Jahrgangsstufe 10 (am Beispiel Englisch)
von Schülerinnen und Schülern aller Schul-
formen, die einen MSA1 vergeben, von
20132 bis heute vergleicht. War im Landes-
durchschnitt in über 94 Prozent die ZP
Note schlechter als die Vornote, so waren
es bei den Abschlussnoten nur 18 Prozent 3.
Und das bei einer paritätischen Ermittlung
der Abschlussnote.
Es existieren also faktisch
zwei
Niveaus:
Wirklichkeit und Anspruch. Das Ministeri-
um reagiert. Aber mit Lehrplänen4, die zum
Beispiel durch die Aufwertung der kogniti-
ven Kompetenz Sprachbewusstheit für
mehr Durchlässigkeit in die Sekundar-
stufe II sorgen sollen. Ausbildungsbetriebe
schätzen bei Bewerbungen zunehmend
den Nachweis außerschulischer Sprachen-
zertifikate, die ein
tatsächlich
existierendes
Sprachniveau bescheinigen5.
Die Beschulung einer Schülerschaft mit
multiplen Förderbedarfen ist also höchst
unbefriedigend, weil Lehrerinnen und
Lehrer weder den starken, noch den
schwachen Schülerinnen und Schülern,
geschweige denn den eigenen Ansprüchen
oder denen des Bildungsministeriums ge-
recht werden. Das führt zu großer Frustra-
tion. Die Einführung eines Hauptschulzwei-
ges, wie das Land sie ermöglicht, käme
vielen Kindern zugute, jedoch ist eine
gleichzeitige Anpassung der Wochenar-
beitszeit der Lehrkräfte von 28 auf 25,5
Stunden nicht vorgesehen. Diese Lösung
scheidet also aus.
Zur Herausforderung der zu beschulen-
den Kinder und Jugendlichen aus der
Ukraine teilt das Schulministerium lapidar
mit:
»Da in den vergangenen Jahren stetig
Zuwanderung erfolgte, liegen hier gute
Beratungspraxen und erprobte Konzepte
vor«
6.
Verwaltungsaufgaben
Diese Veränderungen erfordern auch einen
höheren administrativen Aufwand in Form
sozialer Intervention und Elternarbeit. ’Au-
ßerschulische’ Verwaltungsanforderungen
(zum Beispiel Bildung und Teilhabe, Koope-
rationsprozesse mit außerschulischen Part-
nern) werden immer stärker in die Verant-
wortung von Schule gegeben. Vermehrt
zeigen Regelschüler – ohne bescheinigten
Unterstützungsbedarf – Auffälligkeiten im
Sozial- und Lernverhalten. Sie tauchen in
keiner Statistik als beratungs- und betreu-
ungsintensiv auf, sind aber eine reale
Foto: AdobeStock/Elnur
lehrer nrw ·
4/2022
10
MEINUNG
Foto: AdobeStock/SimpLine
Herausforderung und ziehen unter ande-
rem zeitaufwändige Verwaltungsprozesse
(zum Beispiel die Erstellung von Berichts-
zeugnissen, Entwicklungsberichten, AO-SF
Verfahren, Eltern- und Hilfeplangespräche)
nach sich.
Nicht aufschiebbare Gespräche bzw. die
Klärung von Konflikten bedeuten eine Ab-
nahme von Pausen, krankheitsbedingte
Ausfälle einen erhöhten
Vertretungsbedarf, der die verbleibenden
KollegInnen weiter belastet. Hinzu kom-
men traditionelle Verwaltungsaufgaben,
sowie die Weiterentwicklung des eigenen
Schulprofils.
Digitalisierung
Die Digitalisierung der Schulen erfordert
einen hohen organisatorischen und damit
zeitlichen Aufwand (Beschaffung/Einrich-
tung/Einarbeitung/technischer Support).
Fachspezifische und -übergreifende Curri-
cula müssen digital adaptiert und weiter-
entwickelt werden. Eine landesweit ein-
heitliche Arbeitsplattform gibt es nicht.
Es steht zu befürchten, dass mit LOGINEO
ein kostengünstiges, aber in der Arbeits-
welt unbedeutendes Tool eingeführt wird.
Die ständige Verfügbarkeit führt zu
Grenzüberschreitungen zwischen Privat-
und Berufsleben und weicht Ruhezeiten
auf. Die digitale Umstellung erfordert Ein-
arbeitungszeit, die oft in der Freizeit und
zum Teil über privat angeschaffte Medien
stattfindet. Häufig ist doppelte Unterrichts-
planung (analog & digital) notwendig, um
Inhalte für erkrankte Schülerinnen und
Schüler bereitzustellen oder den Ausfall
des WLAN-Netzes zu kompensieren.
Was tun?
Systemische Veränderungen in der Real-
schule sind unerlässlich. Es braucht eine
Besinnung auf Kernbereiche, das heißt eine
solide Grundbildung, die die Beherrschung
der deutschen Sprache einschließt. Es
braucht fokussierte Kernlehrpläne und eine
verbesserte räumliche Ausstattung, die ei-
ne Arbeit in lernförderlicher Atmosphäre
ermöglicht. Der Fächerkanon am Nachmit-
tag und Arbeitsschwerpunkte müssen im
Hinblick auf ihren Lernertrag überprüft
und angepasst, letztere gegebenenfalls
eingestellt werden. Die Wochenarbeits-
zeit muss feste Zeiträume zum Beispiel
für die Abstimmung in multiprofessio-
nellen Teams, Schüler- und Eltern-
beratung oder die Absprache
mit KollegInnen beinhalten.
Schulleitungen brau-
chen Entlastung, bei-
spielsweise durch die
Einrichtung von Zwischen-
hierarchien, deren Verant-
wortliche weisungsbefugt sind.
Eine Absenkung der Arbeitszeit bzw.
eine Aufstockung des gesamten Personals
in Schule ist unerlässlich.
Ändert sich nichts, fehlt uns dringend
nötiger Lehrernachwuchs, was bei Lehr-
kräften ein Gefühl des Ausgebrannt-Seins
verursacht und nicht zuletzt die Bildung
unserer Kinder gefährdet.
Peer Brändel
Fachlehrer für Englisch und Biologie
an einer Realschule in Gütersloh
Fachberater für die Bezirksregierung Detmold
Fachleiter am Zfsl Paderborn
Fachmoderator für Englisch
1 RS, SK_E-Kurs, GE- E-Kurs, ARS, HS-TypB
2 SK erst ab 2015
3 https://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/
cms/zentrale-pruefungen-10/ergebnisrueckmeldung/
ergebnisberichte/
4 https://www.schulministerium.nrw/08032021-
kernlehrplaene-fuer-die-fremdsprachen-der-
sekundarstufe-i-hs-rs-ge-sk vgl. KLP Englisch, S.13
5 Diese Prüfungen orientieren sich im Gegensatz zum
MSA des Landes Nordrhein-Westfalen am international
gültigen Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen
(GeR)
6 Rundmail des Ministeriums am 8. März 2022
Die Diskrepanz
zwischen ministeriel-
lem Anspruch und
schulischer Wirklich-
keit ist groß und
driftet zusehends
weiter auseinan-
der.
von MARCEL WERNER
Lehrer-Nachwuchs diskutiert
Zukunftsthemen
Die VDR-Jugend traf sich zu einer Arbeitssitzung in Königswinter.
Das breit gefächerte Themenspektrum reichte von gerechter Be-
zahlung über schlechtere Karrierechancen von nordrhein-westfä-
lischen Lehrkräften im Ländervergleich bis hin zur Notwendig-
keit einer schlagkräftigen Lobbyarbeit.
D
Die Jugendverbände des Verbandes Deut-
scher Realschullehrer haben sich in
Königswinter zum gemeinsamen Austausch
getroffen. Dabei wurden insbesondere die
Eingruppierung der einzelnen Lehrkräfte in
den jeweiligen Bundesländern, Karrierechan-
cen und die Mitgliedergewinnung in den
Fokus genommen.
Nach einer kurzen Einführung durch den
VDR-Bundesvorsitzenden Jürgen Böhm zu
den unterschiedlichen Eingruppierungen
waren sich alle Jugendverbände sehr schnell
einig, dass eine Gleichbehandlung aller Lehr-
kräfte zwingend notwendig ist. Böhm beton-
te: »Es ist unabdingbar, dass Lehrkräfte für
gleiche Arbeit auch das gleiche Geld verdie-
nen.« Weiterhin wurde deutlich, dass auch
die Mindeststundenzahl für eine Vollzeitkraft
in den einzelnen Bundesländern unterschied-
lich gehandhabt wird. Die von
lehrer nrw
ini-
tiierte Aktion ’Ich verdiene A13!’ wurde von
den anderen Verbänden sehr positiv aufge-
nommen und fand sehr großen Zuspruch.
Ungleich verteilte
Karrierechancen
Diskutiert wurde auch über die Karriere-
chancen im Schulsystem. Nach einer intensi-
ven Betrachtung der einzelnen Bundeslän-
der stellte die Jugendvereinigung sehr
schnell fest, dass es hier große Defizite auf
Landesebene gibt. Viele Länder sparen an
Funktionsstellen, und für die wenigen Stel-
len gibt es unterschiedliche Voraussetzun-
gen. Beispielsweise wird für eine Stelle als
2. Konrektor in Nordrhein-Westfalen und in
Rheinland-Pfalz jeweils eine Erfahrung von
vier Berufsjahren vorausgesetzt, allerdings
zählt unser Nachbarbundesland bereits ab
dem Tag der Verbeamtung auf Probe. In
Nordrhein-Westfalen wird erst nach der
Verbeamtung auf Lebenszeit begonnen.
Außerdem gibt es in Rheinland-Pfalz weit-
aus mehr Funktionsstellen in der Schullei-
tung, was bei der immer größeren Arbeits-
belastung zwingend notwendig ist. Die Fol-
ge im Grenzgebiet sind Abwanderungen von
guten Kolleginnen und Kollegen. Hier muss
die neue NRW-Landesregierung zwingend
nachbessern. Eine weitere Möglichkeit der
Karrierechancen sind mehr Funktionsstellen
(A13 Zulage) für schulinterne Aufgaben. Die
Jugendvereidigung fordert insbesondere im
Bereich der Lehrerausbildung die Schaffung
solcher Stellen, um eine qualitativ hochwer-
tige Ausbildung zu gewährleisten.
Herausforderung
Mitgliedergewinnung
Die größte Herausforderung in den nächsten
Jahren wird es für die einzelnen Landesver-
bände sein, wieder mehr
aktive
Mitglieder
zu gewinnen. Das gewerkschaftliche Arbei-
ten muss ein Teil der Lehrerausbildung sein.
Unsere Kolleginnen und Kollegen müssen
verstehen, dass unsere Berufsgruppe eine
starke Lobby benötigt. Die Notwendigkeit
unserer Personalräte und unseres Verbandes
darf nicht nur erkannt werden, wenn die
einzelne Lehrkraft ein Problem mit ihrem
Arbeitgeber hat. Dazu müssen wir als Basis
gemeinsam kämpfen und unsere Stärken
und Vorteile unseren Kollegen nahebringen.
Die Jugendverbände möchten dazu ein Pro-
gramm aufstellen, um gemeinsam an den
Universitäten aufzutreten, denn dort wird
der Grundstein für das gewerkschaftliche
Arbeiten gelegt. Sollten Sie junge und enga-
gierte Kollegen haben, geben Sie ihnen bitte
meinen Kontakt weiter.
Die VDR-Jugendvertreter mit dem VDR-Vorsitzenden
Jürgen Böhm (2.v.r.) bei der Tagung in Königswinter.
JUNGE LEHRER NRW
11
4/2022 ·
lehrer nrw
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: werner@lehrernrw.de
Lehrer-Nachwuchs diskutiert
Zukunftsthemen
lehrer nrw ·
4/2022
12
TITEL
Das ewige
Provisorium
Paragraf 132c des Schulgesetzes gibt Schulträgern unter be-
stimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, Realschulen mit
einem Hauptschulbildungsgang einzurichten. So sollen über-
gangsweise Schullaufbahnen in einzelnen Kommunen gesi-
chert werden. Aus der Interimslösung scheint aber ein »in
perpetuum« geworden zu sein. Dabei hatten die 132c-Schulen
von Anfang an einen schweren Stand. Daran hat sich nichts
geändert, wie ein aktuelles Beispiel aus Krefeld zeigt.
D
Dieser Brief birgt schulpolitischen
Sprengstoff. Geschrieben hat ihn
die Schulkonferenz der Albert-
Schweitzer-Schule in Krefeld, die 2017 ei-
nen Hauptschulbildungsgang eingerichtet
hat. Das an Krefelds Oberbürgermeister
Frank Meyer gerichtete Schreiben haben
die Unterzeichner, die Vorsitzende der
Schulpflegschaft, der Vorsitzende des Leh-
rerrats und die Schülersprecherin, mit
’Verlorene Kinder’ betitelt. Es ist ein Hilfe-
ruf. Wir drucken ihn hier im Wortlaut ab:
»Seit 2017 hat die Albert-Schweitzer-
Schule ab Klasse 7 Kinder im Hauptschul-
bildungsgang. Es zeigt sich, dass es der
Schule trotz aller Bemühungen der Lehr-
kräfte und der Elternschaft nicht gelingt,
die Hauptschülerinnen und Hauptschüler
ihren Bedürfnissen entsprechend zu unter-
stützen.
Die Realschulen mit Hauptschulbil-
dungsgang nach § 132c des Schulgeset-
zes NRW sollen dieselben Aufgaben be-
wältigen wie andere Schulformen des
’längeren gemeinsamen Lernens’,
allerdings unter sehr viel
schlechteren Rahmenbe-
dingungen als diese
Schulformen:
Die 132c-Schulen haben (genau wie die
regulären Realschulen) die schlechteste
Schüler-Lehrer-Relation aller Sekundar-
stufe I-Schulformen. Die einzelne Lehr-
kraft muss sich folglich um mehr Kinder
kümmern als an jeder anderen Schul-
form.
Die Bezirksregierung versucht, die Zahl
der Lehrer durch Zuweisung zusätzli-
cher Stellen zu erhöhen, diese können
jedoch nicht besetzt werden, da junge
Lehrkräfte zum einen rar sind und zum
anderen häufig Schulen in weniger
’problematischen’ Lagen bevor-
zugen.
Die Lehrkräfte dieser
Schulen erteilen
wie an
Haupt-
schulen die meisten wöchentlichen
Pflichtstunden aller Sekundarstufe I-
Schulformen, haben also noch mal
weniger Zeit für das einzelne Kind.
Der Klassenfrequenz-Richtwert ent-
spricht dem ’regulärer’ Realschulen,
während an Hauptschulen und Sekun-
darschulen, die dieselben Aufgaben er-
füllen, kleinere Klassen gebildet wer-
den dürfen.
Das System der Neigungsdifferenzie-
rung der Realschule bedingt Einschrän-
kungen in der Erstellung der Stunden-
pläne, die die angedachte Bildung von
G-Kursen für Hauptschülerinnen und
-schüler unmöglich macht.
Nachdem nun die ersten Jahrgänge
mit Hauptschülerinnen und
-schülern ihre Schullaufbahn
an der Albert-Schweitzer-
Schule durchlaufen
haben, zeigt sich
ein ernüch-
Notdürftig
zusammen-
gehalten:
Der Hauptschulbil-
dungsgang an Realschu-
len ist seit der Einführung
ein ewiges Provisorium ge-
blieben. Die Leidtragenden
sind die Schülerinnen und Schüler
sowie die Lehrkräfte.
TITEL
13
4/2022 ·
lehrer nrw
terndes Bild: Die Schülerinnen und Schüler
im Hauptschulbildungsgang erreichen häu-
fig keinen Schulabschluss. So haben
im Sommer 2021 vier Hauptschü-
lerinnen und -schüler aus
Klasse 7, zehn aus Klas-
se 8 und fünfzehn
aus Klasse 9
werden
können.
Die Real-
schulen mit Haupt-
schulbildungsgang
sind bei der Umsetzung
des Hauptschulbildungsgan-
ges erheblich überfordert, zumal
sie ja ohnehin erhebliche Heterogeni-
tät durch die Inklusion und die Integrati-
on der DAZ-Kinder, durch LRS und Dyskal-
kulie bewältigen müssen. In den kommen-
den Jahren wird sich die dargestellte Pro-
blematik eher noch verschärfen. Es scheint
daher dringend geboten, nach besseren
Lösungen für die Kinder zu suchen.
Die angemessene Betreuung der Kinder
mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist
an vielen Schulen jetzt schon nicht gege-
ben. Eine Zuweisung weiterer Kinder –
ohne die personellen und räumlichen
Ressourcen zu verbessern – wäre verant-
wortungslos.
Die Realschulen mit § 132c sind an ihrer
Belastungsgrenze angekommen. Unter den
derzeitigen Rahmenbedingungen werden
die Schulen weder den Realschülerinnen
und -schülern noch den Inklusionsschüle-
rinnen und -schülern noch den DAZ-Kin-
dern oder den der Schule anvertrauten
Hauptschülerinnen und Hauptschülern
gerecht. Die Erfüllung des Erziehungs-
und
Bildungs-
auftrages in
der Schule ist
massiv gefährdet.
Dies ist auch den Eltern
der originären Realschü-
ler:innen bewusst, die deshalb
besorgt sind und das Gespräch mit
der Schulleitung suchen. Sie befürchten
erhebliche Nachteile für ihre Kinder.
Die Hauptschülerinnen und -schüler, die
Realschulen mit Hauptschulbildungsgang
besuchen, haben deutlich schlechtere Bil-
dungschancen als an anderen Schulfor-
men. Die Kollegien dieser Realschulen, die
nach Kräften versuchen, allen ihnen anver-
trauten Kindern gerecht zu werden, stehen
vor einer unlösbaren Aufgabe. Somit ist
der Versuch, die Krefelder Hauptschülerin-
nen und Hauptschüler im Hauptschulbil-
dungsgang an Realschulen zu versorgen,
aufgrund der völlig unzureichenden Rah-
menbedingungen gescheitert.
Gern möchten wir gemeinsam mit
Schulträger, Bezirksregierung, Lokalpolitik
und Verbänden auf die Landespolitik ein-
wirken, damit sich schnellstmöglich die
Rahmenbedingungen der Realschule mit
Hauptschulbildungsgang verbessern und
zumindest denen der Schulformen des
’längeren gemeinsamen Lernens’ ange-
passt werden. Ansonsten drohen abgebro-
chene Bildungslaufbahnen, vergebene
Lebenschancen und somit letztlich auch
Kosten für den Sozialstaat.
Mit Blick auf das für die nächsten Jahre
prognostizierte Anwachsen der Schüler-
zahlen in Krefeld in der Sekundarstufe I
appellieren wir dringend an die Verant-
wortlichen aus Lokalpolitik und Verwal-
tung, Lösungen zu finden, die die Situation
der Schülerinnen und Schüler an den Real-
schulen mit Hauptschulbildungsgang ver-
bessern.«
Foto: AdobeStock/Klaus Eppele
unsere
Schule ohne
einen Abschluss
verlassen. Das sind
mehr als die Hälfte aller
unserer Kinder im Hauptschul-
bildungsgang.
Neben den oben beschriebenen
Rahmenbedingungen spielt hierbei auch
die soziale Herkunft der Krefelder Haupt-
schülerinnen und -schüler eine Rolle: Viele
der Familien haben nicht die finanziel-
len, sprachlich-kulturellen und sozialen
Voraussetzungen, um ihre Kinder unter-
stützen zu können. Somit sind häufig ne-
ben schulischer Förderung in hohem Maße
auch sozialpädagogische und jugendpfle-
gerische Maßnahmen erforderlich, die vom
Personal der Schulen allein nicht geleistet
lehrer nrw ·
4/2022
14
TITEL
F
Für
lehrer nrw
ist die dramatische Situa-
tion an der Albert-Schweitzer-Schule
in Krefeld keine Überraschung. Unser Ver-
band hat von Anfang an auf den Geburts-
fehler des Konstruktes ’Realschule mit
Hauptschulbildungsgang’ hingewiesen –
nämlich die unzureichende Ausstattung
mit personellen, zeitlichen und strukturel-
len Ressourcen.
Darauf weist auch Krefelds Oberbürger-
meister Frank Meyer hin. Alarmiert von
dem Brandbrief aus der Albert-Schweitzer-
Schule, hatte er sich mit der Bitte um Un-
terstützung an
lehrer nrw
gewandt. Ver-
bandsvorsitzender Sven Christoffer nahm
den Ball gern auf und hat seinerseits in ei-
nem Schreiben an die bildungspolitischen
Sprecher von CDU, SPD, Grünen und FDP
erneut einen konstruktiven und ergebnis-
offenen Dialog angeboten, um das Kon-
strukt der 132c-Schulen in Gänze zu über-
denken. »Aus meiner Sicht ist der Haupt-
schulbildungsgang an Realschulen in sei-
ner derzeitigen Ausgestaltung nicht tragfä-
hig«, so seine schonungslose Bestandsauf-
nahme.
Derzeit gibt es in Nordrhein-Westfalen
insgesamt achtzehn Realschulen, die einen
Hauptschulbildungsgang nach § 132c an-
bieten. Dies hatte die damalige rot-grüne
Landesregierung 2015 durch eine umstrit-
tene Änderung des Schulgesetzes ermög-
licht. Als systemische Ressource zur Um-
setzung wurden den betreffenden Schulen
jeweils 0,5 Lehrerstellen (!) zugewiesen.
Das konnte nicht funktionieren und bedeu-
tete eine von der rot-grünen Koalition, die
eine Stärkung der Schulen des längeren
gemeinsamen Lernens propagierte, billi-
gend in Kauf genommene Schwächung der
Realschulen – letztlich auf Kosten der Kin-
der. De facto degradierte Rot-Grün die
132c-Schulen zu Schulen des längeren
gemeinsamen Lernens – mit dem Haken,
dass diese unter erheblich schlechteren
Rahmenbedingungen arbeiten mussten.
Auch auf Druck von
lehrer nrw
und des
Hauptpersonalrats Realschulen gelang es
unter der schwarz-gelben Nachfolgeregie-
rung immerhin, die systemische Ressource
von 0,5 auf 2,5 Lehrerstellen anzuheben.
Ansonsten zeigte aber auch die CDU/FDP-
Regierung keinen übersteigerten Ehrgeiz,
die Situation der 132c-Schulen zu verbes-
sern. Und so blieben die Rahmenbedingun-
gen dort miserabel – und sind es weiter-
hin.
Das aufrüttelnde Alarmsignal aus Kre-
feld zeigt: Die 132c-Schulen bedürfen einer
grundlegenden Neuausrichtung. Das The-
ma muss dringend und prominent auf die
schulpolitische Prioritätenliste.
lehrer nrw
wird den Dialog suchen. Jochen Smets
Schule
mit
Geburts-
fehler
Nein, auch bei wohlwollender
Betrachtung wird das Glas nicht voller:
Die 132c-Schulen in Nordrhein-Westfalen leiden nach wie vor
an einer miserablen personellen und strukturellen Ausstattung.
Foto: AdobeStock/lassedesignen
Deutschland im
Akademisierungswahn
Eklatanter Fachkräfte- und Handwerkermangel bedrohen den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Ein Grund dafür ist die Vernachlässigung des dualen Ausbildungssystems. Es ist politisch ge-
wünscht, dass möglichst jeder das Abitur erreicht. Doch der Akademisierungswahn der deut-
schen Bildungspolitik gefährdet Wohlstand und Fortschritt.
15
4/2022 · lehrer nrw
von PROFESSOR HANS-PETER KLEIN
In der Talkshow ’Hart aber Fair’ griff Frank Plas-
berg kürzlich ein für den Wirtschaftsstandort
Deutschland immer bedrohlicher werdendes
Szenario auf dem Arbeitsmarkt auf: »Die neue Arbei-
ter-Losigkeit: Warum gehen Deutschland die Fach-
kräfte aus?« Ob Pflegekraft, Kellnerin oder Handwer-
ker – in Deutschland fehlten überall Fachkräfte. Die
Unis seien voll, doch der Handwerkermarkt sei trotz
oft guter Bezahlung leer. Was kann man da tun?
Sind Fachkräfte aus dem Ausland die Lösung, wo-
möglich die Menschen aus der Ukraine eine Hilfe?
Darüber diskutierten die Gäste mehr oder weniger
diffus an diesem Abend.
Schauen wir uns die für diese Entwicklung ursäch-
lichen Fakten einmal näher an. Fakt ist, dass die
Hochschulen seit etwa einem Jahrzehnt von immer
mehr Studierwilligen geflutet werden. Fast alle Uni-
versitäten haben binnen kürzester Zeit ihre Studen-
tenzahlen um mehr als fünfzig Prozent erhöhen
müssen, wie beispielsweise die Goethe-Universität
Frankfurt von noch knapp unter 30 000 Studenten
zu Beginn des letzten Jahrzehnts bis hin zu rund
Foto: AdobeStock/Tom Bayer
:
Ein Königreich für
einen Handwerker:
Während der Akademisierungs-
wahn grassiert, fehlen in nahezu
allen Branchen Fachkräfte.
Eine Stärkung des dualen
Ausbildungssystems tut Not.
47 000 nur wenige Jahre später.
Die schon in den neunziger
Jahren befürchteten Massen-
universitäten mit deutlich ver-
schlechterten Lernbedingen
sind heute Realität. Was aber
ist der Grund und was sind die
Folgen dieser Entwicklung?
Spätestens seit der PISA-Stu-
die 2000 wurde insbesondere
Deutschland kontinuierlich auf
die Anklagebank des PISA-
Chefs der OECD in Paris, Andreas Schleicher, gesetzt. Im
internationalen Vergleich sei die Abiturientenquote viel
zu gering. Der Wirtschaftsstandort Deutschland sei in
Gefahr, wenn nicht entsprechend gegengesteuert werde.
Bildungsökonomen rechneten gleich vor, wie viele Pro-
zente an zukünftigen Bruttosozialprodukten jährlich ver-
loren gingen, wenn hier nicht sofort gegengesteuert wür-
de.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) begab sich fatalerweise frühzeitig in die Gefan-
genschaft der empirischen Bildungsforschung, die ab
der Jahrtausendwende wie ein Phoenix aus der Asche
emporstieg. Frühzeitige Kritik vor allem aus den Erzie-
hungswissenschaften an der bildungsökonomischen
Entwicklung wurden als unerwünschtes Störfeuer abge-
tan, ihre Einsprüche schlichtweg missachtet. Die meisten
Eltern waren allerdings durchaus erfreut, bedeutete dies
doch das relativ si-
chere Abitur für ihre
Zöglinge und die
Aussicht auf deren
Akademikerstatus.
Fakt ist weiterhin,
dass in den neunzi-
ger Jahren die Abi-
turientenquote in
den einzelnen Bundesländern noch zwischen knapp
zwanzig Prozent und knapp unter dreißig Prozent lag,
je nach Bundesland. Schon damals wurde von Kritikern
der Niveauverlust im Abitur gegenüber früheren Jahren
kritisiert. Gut zwanzig Jahre später hat sich geradezu ein
Wunder vollzogen: Bereits 2015 betrug die Abiturienten-
quote zwischen 40 Prozent und 55 Prozent je nach Bun-
desland, bei immer besser werdenden Durchschnittsno-
ten und einer exponentiellen Zunahme an Einser-Abitu-
ren. Aktuell Spitzerreiter der Entwicklung ist Nordrhein-
Westfalen. Die Zahl der Abiturienten mit Endnote 1,0 ex-
plodiert – zumindest in NRW. Der nordrhein-westfälische
Philologenverband hat fünfzehn Jahre nach Einführung
des Zentralabiturs eine Bilanz gezogen, schrieb die
’Rheinische Post’ am 31. Mai 2022 ihrer Dienstagausga-
be. »In jedem Jahr wurden und werden die Durch-
schnittsnoten der Abiturienten besser«, heißt es in dem
Bericht. Gleichzeitig begrüßten nicht nur die Kultusmi-
nisterien der Länder die inflationäre Vergabe des Abi-
turs. Bildungs- und Gewerkschaftsverbänden und auch
so manchem Reformpädagogen kam diese politische
Stoßrichtung gerade recht, war doch schon immer die
als elitär betrachtete geringe Abiturientenquote ein
Dorn in deren linkem Auge.
Wie aber ist es möglich,
die Abiturientenquote bin-
nen kürzester Zeit fast zu ver-
doppeln? Sind wir also in
Deutschland doppelt so
schlau wie noch vor zwan-
zig Jahren? Wohl kaum. Die Antwort auf diese Frage
liegt auf der Hand: Man hat einfach insbesondere die
fachlichen Anforderungen selbst an den Gymnasien
auf politischen Druck hin teils massiv abgesenkt. Zahl-
reiche Vergleiche der Zentralabituraufgaben der ein-
zelnen Bundesländer im Laufe der Jahre konnten dies
zweifelsfrei nachweisen. Mathematische Leistungen,
die in Baden-Württemberg noch in den siebziger Jah-
ren jeder Realschüler in seiner Abschlussprüfung zu
bearbeiten hatte, fehlen heute in diesem Schwierig-
keitsgrad weitgehend, selbst in den Leistungskursen.
Jährliche Rekorde bei den Durchschnittsnoten werden
selbst in der Presse meist nur noch mit ironischen Kom-
mentaren versehen.
Als Folge dieser
Entwicklung strömen
immer mehr nicht
studierfähige Abituri-
enten an die Hoch-
schulen. Auch dem
BMBF in Berlin ist die-
se Entwicklung
durchaus bekannt.
Um nun die Durch-
fall- und Abbrecher-
quoten nicht ins Ufer-
lose ansteigen zu las-
sen, wurden die
Hochschulen ange-
halten, eine Art Nachhilfekurse für nicht studierfähige
Studierwillige vor Aufnahme des Studiums anzubieten,
in denen thematisch fachliche Grundlagen in den
Fächern zu lehren sind, deren Vermittlung vormals die
genuine Aufgabe der abiturvergebenden Schulformen
16 4/2022 · lehrer nrw
»Das Bundesminis-
terium für Bildung
und Forschung be-
gab sich fatalerwei-
se frühzeitig in die
Gefangenschaft der
empirischen Bil-
dungsforschung,
die ab der Jahrtau-
sendwende wie ein
Phoenix aus der
Asche emporstieg.«
»Wie aber ist es möglich,
die Abiturientenquote
binnen kürzester Zeit
fast zu verdoppeln?«
»Bereits 2015 betrug die Abiturien-
tenquote zwischen 40 Prozent und
55 Prozent je nach Bundesland, bei
immer besser werdenden Durch-
schnittsnoten und einer exponentiel-
len Zunahme an Einser-Abituren.«
»Um nun die Durchfall- und Ab-
brecherquoten nicht ins Uferlo-
se ansteigen zu lassen, wurden
die Hochschulen angehalten,
eine Art Nachhilfekurse für
nicht studierfähige Studierwilli-
ge vor Aufnahme des Studiums
anzubieten, in denen thema-
tisch fachliche Grundlagen in
den Fächern zu lehren sind,
deren Vermittlung vormals die
genuine Aufgabe der abiturver-
gebenden Schulformen war
war. Dass diese vom Steuerzahler durch das BMBF
finanzierten Kurse in der Öffentlichkeit nicht so hei-
ßen dürfen, liegt auf der Hand. »Ein starker Start ins
Studium« beispielsweise klingt doch sehr viel positi-
ver, und nur für derartige Wortkreationen gibt’s
dann Geld. Allein an der Goethe-Universität Frank-
furt schlägt dies mit einem zusätzlichen Budget von
42 Millionen Euro über einen Zeitraum von zehn
Jahren zu Buche. Weiterhin wurden die klammen
Hochschulen mit weiterem Geld zwecks Senkung
der Misserfolgsquoten geködert:
Für jeden in der vorgesehenen
Studienzeit zum Abschluss ge-
brachten Studenten gibt es be-
reits seit 2015 in fast allen Bun-
desländern Prämien von rund
4000 Euro und mehr (etwa in
Nordrhein-Westfalen).
Gleichzeitig wurde das duale
berufsbildende System vor al-
lem dadurch weiter ausgehöhlt,
indem in einem vorher nicht gekannten Akademi-
sierungswahn berufliche Ausbildungsgänge gleich
massenhaft akademisiert wurden. Bereits 2018 bo-
ten 78 Universitäten, Hochschulen und Akademien
149 verschiedene Studiengänge allein in der Pflege
an, davon 105 mit einem Bachelor- und 44 mit ei-
nem Masterabschluss. Laut ’Studycheck’ gibt es der-
zeit 20.185 Studiengänge an 585 Hochschulen in
Deutschland. Blumige Beschreibungen klingen
eher wie Realsatire: Dentalhygiene und Präventi-
onsmanagement, Service-Center-Management,
Cruise-Management, Golf- Management, Acces-
soire Design, Coffee-Management, Citizenship, Civic
Engagement oder Culinary Arts und Food Manage-
ment. Für derartige Studiengänge kennt man im
anglo-amerikanischen Raum einen zutreffenden
Namen: ’Micky-Maus-Studiengänge, die schon al-
lein wegen ihrer geringen Nachhaltigkeit letztlich
ins Nichts führen. Die Absolvierenden sitzen in der
oftmals zitierten ’Bachelor-Falle. Über- und Fehlqua-
lifikationen sind die Folge.
Für das berufsausbildende System bleibt dann
nur noch eine Restpopulation an Bewerbern übrig,
die aufgrund der Absenkung der Ansprüche teil-
weise nicht mal über die grundlegenden Kompe-
tenzen des Lesens, des Schreibens oder des basalen
Rechnens verfügen. Das Ergebnis liegt auf der
Hand: ein eklatan-
ter Fachkräfte- und
Handwerkerman-
gel.
Das Beispiel der
Schweiz widerlegt
zudem die Aussa-
gen der Bildungs-
ökonomen für eine
derartige Entwick-
lung. Man ist dort nicht auf die Propaganda der
OECD hereingefallen und hat weiterhin eine Abitu-
rientenquote von rund zwanzig Prozent. Entspre-
chend der OECD müssten dort die Lichter längst
ausgegangen sein. Das Gegenteil ist der Fall. Mit
ihrer ausgeklügelten und stark geförderten berufli-
chen Ausbildung im dualen System hat die Schweiz
die niedrigste Arbeitslosen- und Jugendarbeitslo-
sigkeitsquote und eines der höchsten Pro-Kopf-Ein-
kommen. Ganz im Gegensatz dazu haben Länder
ohne duales System zwar deutlich höhere Akademi-
kerquoten, wie etwa Großbritannien oder die südeu-
ropäischen Länder, aber auch eine deutlich höhere
Jugendarbeitslosigkeit. Nicht nur in südeuropäi-
schen Ländern, auch in China und Australien ist
längst von einem akademi-
schen Prekariat die Rede.
Fakt ist auch, dass sich die
Schere zwischen den Einkom-
men von Akademikern und
Handwerkern und Fachkräften
zusehends schließt. Das liegt
schon allein an der Nachfrage
und dem Angebot, dass auf
Jahrzehnte hin knapp bleiben
dürfte. In der Sendung ’Hart
aber Fair’ wurde vor der ’Londo-
nisierung’ gewarnt. Mittlerweile
sind dort Headhunter vielfach
unterwegs, um Handwerker
ausfindig zu machen. Diese
17
4/2022 · lehrer nrw
Prof. Dr. Hans Peter Klein
hatte bis 2018 den Lehrstuhl
für Didaktik der Biowissen-
schaften der Goethe Univer-
sität Frankfurt inne, war
Mitbegründer der Gesell-
schaft für Bildung und
Wissen und ist Präsident
der Gesellschaft für Didak-
tik der Biowissenschaften
DER AUTOR
»Bereits 2018 bo-
ten 78 Universi-
täten, Hochschu-
len und Akade-
mien 149 ver-
schiedene Studi-
engänge allein
in der Pflege an.«
»Mit ihrer ausgeklügelten und
stark geförderten beruflichen
Ausbildung im dualen System
hat die Schweiz die niedrigste
Arbeitslosen- und Jugendarbeits-
losigkeitsquote und eines der
höchsten Pro-Kopf-Einkommen.«
»Jeder, der im
Ahrtal oder
der Eifel vom
Hochwasser
heimgesucht
wurde, weiß,
dass der Wie-
deraufbau kei-
ne Frage des
Geldes, son-
dern der nicht
vorhandenen
Handwerker
und Fachkräf-
te im Baube-
reich ist.«
18 4/2022 · lehrer nrw
können aufgrund der enor-
men Nachfrage finanziell ver-
langen, was sie wollen. Teil-
weise finden Bietverfahren
statt. Jeder, der im Ahrtal oder
der Eifel vom Hochwasser
heimgesucht wurde, weiß,
dass der Wiederaufbau keine
Frage des Geldes, sondern
der nicht vorhandenen Hand-
werker und Fachkräfte im Baubereich ist. Es wird noch
viele Jahre dauern, bis alle Schäden auch an der Infra-
struktur behoben sein werden. Ohne die teilweise aus
dem Osten stammenden und dort angemeldeten
Handwerkerkolonnen geht derzeit in diesen Regionen
gar nichts. Auch der politisch binnen kürzester Zeit ein-
geforderte Ausbau der erneuerbaren Energien, der
Hausdämmung, der Solardächer, der Wärmepumpen
u.a. wird weniger am Geld als an den nicht vorhande-
nen Kapazitäten im Handwerker- und Fachkräftebe-
reich scheitern.
Zu glauben, dass jetzt in großem Maße Hilfe aus der
Ukraine kommt, ist wenig empathisch. Die Menschen
aus der Ukraine haben andere Sorgen, als Lückenbüßer
für eine verfehlte Bildungspolitik in Deutschland zu
sein. Da müssen wir uns schon an die eigene Nase fas-
sen. Außerdem hat uns 2015 gezeigt, dass diese Lücke
durch die mehr als 800 000 syrischen Flüchtlinge von
damals, die ja der Bevölkerung als bestens ausgebildet
präsentiert wurden, nicht geschlossen werden konnte
(laut ZEIT vom 23. September 2021 bedürfen immer noch
67 Prozent der staatlichen Unterstützung). Auch hier ist
möglicherweise ein Déjà-vu zu erwarten. Denn auch
zwischen einem Bachelor oder Master einer Eliteuni aus
den USA, Großbritannien, Ecuador, Syrien, der Ukraine,
Marokko oder auch aus Deutschland liegen Welten im
Anforderungsniveau. Dies ist einer der wesentlichen
Gründe für die unterschiedliche Prosperität der entspre-
chenden Volkswirtschaften. Dies scheint sich bis in die
obersten Kreise des BMBF, der Kultusministerien der Län-
der und der Politik generell noch nicht herumgespro-
chen zu haben.
Was ist zu tun? Man wird diese jahrzehntelange Fehl-
entwicklung nicht in wenigen Jahren in eine vernünfti-
ge Richtung leiten können. Eine sofortige 180-Grad-Dre-
hung der Bildungspolitik durch die entsprechenden In-
stitutionen des Bundes und der Länder ist gefordert, die
allerdings jahrelang der Bevölkerung ins Ohr geflüstert
haben, man könne nur als Akademiker ein zufriedenes
und finanziell abgesichertes Dasein fristen. Zusammen
mit der deutschen Wirtschaft, den Handwerker- und
Fachkräfteverbänden muss sofort ein Bewerbungspro-
gramm in den Schulen und der Öffentlichkeit gestartet
werden, das dem dualen berufsausbildenden System
eindeutig den Vorrang einräumt. Auch eine Umsteue-
rung in der finanziellen Zuwendung ist oberstes Gebot.
Anstatt im Bildungsbereich weiterhin meist nutzlose
Studien – dazu gehören auch die PISA-Studien und alle
ihre Abkömmlinge, mit denen die Schulen heimge-
sucht werden – mit zweifachen Millionenbeträgen pro
Jahr auszustatten, ist dieses Geld in der Förderung der
dualen Ausbildung in allen notwendigen Schritten
sehr viel besser angelegt. Eine Thematisierung in den
Schulen ist Voraussetzung dafür, dass die Schüler hier
die verschiedensten Möglichkeiten der dualen Ausbil-
dung vorgestellt bekommen. Gerade auch die digitale
Transformation des Handwerks hin zu einer zuneh-
mend digitalen Arbeitswelt
darf in den Schulen nicht zu
kurz kommen.
Dann werden auch die
Hochschulen entlastet und
können sich mit deutlich gerin-
geren Studentenzahlen und
wesentlich verbesserten Be-
treuungsverhältnissen der For-
schung und Lehre wieder erfolgreicher widmen, um im
internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Seit
Jahren schafft es keine deutsche Universität im Shang-
hai-Ranking unter die ersten 50! (Aktuell erreicht die
die LMU Platz 48 (!), die TUM Platz 54, Heidelberg 57 und
Bonn den Platz 87.) Die ETH-Zürich – von vielen deut-
schen Bildungsexperten lange belächelt – zeigt, wie es
geht, einen der Plätze unter den ersten 20 zu erreichen.
Die ersten zehn Plätze sind stets den bekannten acht
amerikanischen Elitehochschulen und den beiden
bekannten britischen Hochschulen Oxford und Cam-
bridge vorbehalten.
Mit ’Hart aber Fair’ hat dieser Beitrag begonnen und
soll damit auch enden. Frank Plasberg stellte in seiner
Sendung leider erst zum Schluss einen Videoclip vor, in
dem der Präsident des Zentralverbandes des deut-
schen Handwerks, Joseph Wild, vor 50 Jahren zu Wort
kam: »Wir haben einen kolossalen Mangel an Fachar-
beitern, und man soll doch mit dem Irrtum aufhören,
dass man aus dem letzten Dorftrottel einen Hochschul-
professor machen kann.«
Dieser Beitrag ist zuerst
in Cicero Online am
9. April 2022 erschie-
nen und am 15. April
2022 in den Condorcet
Bildungsperspektiven
in der Schweiz
INFO
H.P. Klein: Abitur und Bachelor für alle – wie ein Land
seine Zukunft verspielt. ZuKlampen (2018)
LITERATURTIPP
»Seit Jahren
schafft es keine
deutsche Univer-
sität im Shang-
hai-Ranking un-
ter die ersten 50!«
19
4/2022 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
Ein (zu) langer Weg
Das Anmeldeverfahren für weiterführende Schulen muss
reformiert werden. Dies fordert
lehrer nrw
seit langem und
sieht sich dabei im Einklang mit zahlreichen Parteien- und
Ministeriumsvertretern. Doch in der vergangenen Legislatur-
periode wurde diesbezüglich eine große Chance vertan.
I
In der Ausgabe 2/2020 unserer Verbands-
zeitschrift wurde unter dem Titel ’Unfai-
rer Wettbewerb’ über die ungleichen
Bedingungen beim Anmeldeverfahren für
weiterführende Schulen berichtet. Auf der
Grundlage der Verwaltungsvorschrift 1.1.2
zu §1 der APO SI dürfen Schulen in einem
vorgezogenen Anmeldeverfahren vor den
anderen Schulen ihre Türen für die Anmel-
dungen öffnen, wenn der Schulträger dies
erlaubt.
Im Februar 2020 wurde der Hauptperso-
nalrat (HPR) Realschulen von zahlreichen
Schulleiterinnen und Schulleitern darum
gebeten, sich für die Abschaffung des vorge-
zogenen Anmeldeverfahrens einzusetzen.
Da die Änderungen von Verwaltungsvor-
schriften durch das zuständige Ministerium
erfolgen können, war die Hoffnung auf eine
schnelle Änderung groß.
Es hat aber mehrere Anläufe gebraucht.
Der HPR hat das Anliegen auf der nächst
folgenden Gemeinschaftlichen Besprechung
der Ministerin und dem Staatssekretär vor-
getragen. Parallel dazu hat Sven Christoffer
als Vorsitzender von
lehrer nrw
zudem
mehrfach Gespräche mit den schulpoliti-
schen Sprecherinnen und Sprechern unter-
schiedlicher Fraktionen geführt.
Viele Gespräche,
ernüchternde Ergebnisse
Schließlich wurde auf der letzten Gemein-
schaftlichen Besprechung am 7. März 2022
an das Thema erinnert. Es kam nochmal
Bewegung in die Angelegenheit, erneut
wurden auf unterschiedlichen Ebenen Ge-
spräche geführt. Am Ende der Legislaturpe-
riode fand noch ein kurzfristig terminiertes
Gespräch am 27. April 2022 mit Sven Chri-
stoffer und Schulministerin Yvonne Gebauer,
Staatssekretär Mathias Richter, der schul-
politischen Sprecherin der CDU, Claudia
Schlottmann, der Vorsitzenden des Schul-
ausschusses, Kirstin Korte, und der schulpo-
litischen Sprecherin der FDP, Franziska Mül-
ler-Rech, statt. Das Ergebnis war ernüch-
ternd: Zum einen wollte das Ministerium
die Entscheidung nicht ohne Beteiligung der
kommunalen Spitzenverbände als überge-
ordnete Instanz der Schulträger treffen. Zum
anderen wurde das Thema auch durch die
Nachrichten zu den Anmeldungen in Köln
begleitet. Hier waren auf Grund einer Ent-
scheidung des Oberverwaltungsgerichts
gleichzeitige Anmeldungen an verschieden
Schulen möglich. Nach der Anmeldung wa-
ren viele Eltern lange Zeit unsicher, welche
Schule ihr Kind nach Klasse 4 besuchen
wird.
Vertane Chance
Am Ende waren sich wohl alle einig, dass
das Anmeldeverfahren insgesamt überarbei-
tet werden muss. Eine solche Änderung ist
aufgrund des OVG-Urteils allerdings nur
über eine Rechtsverordnung im Parlament
möglich. Sowohl CDU als auch FDP haben
angekündigt, bei der Neuordnung des An-
meldeverfahrens die Abschaffung der vorge-
zogenen Anmeldungen einzubeziehen. Die-
jenigen, die eine Änderung hätten herbei-
führen können, haben ihre Chance vertan,
und die Enttäuschung darüber ist groß.
Nach der Landtagswahl ist nun die CDU
in der Position, mit einem Koalitionspartner
das Anmeldeverfahren zu überarbeiten. Wir
vertrauen darauf, dass die CDU zu ihrer Zu-
sage steht und die Abschaffung des vorge-
zogenen Anmeldeverfahrens in eine wahr-
scheinlich neue Rechtsverordnung einbringt.
Ich hoffe, den Verantwortlichen ist bewusst,
dass die Anmeldungen jedes Jahr nach der
Ausgabe der Halbjahreszeugnisse erfolgen
und parlamentarische Entscheidungen meist
Zeit brauchen. Soll das kommende Anmel-
deverfahren bereits durch eine neue Rechts-
verordnung geregelt werden, bleibt nicht
viel Zeit! Olaf Korte
Leiter des Referats ‘Schulleitung’
des Verbandes
lehrer nrw
Foto: AdobeStock/vectorfusionart
Wohin führt der Weg?
Das wissen viele Grundschulab-
solventen oft selbst nicht, weil
das derzeitige Anmeldeverfahren
für die weiterführenden Schulen
in Nordrhein-Westfalen viele Un-
wägbarkeiten produziert.
lehrer nrw ·
4/2022
20
SCHULE & POLITIK
Sprecht über den
Elefanten im Raum!
Wer sich noch erinnert, der
weiß ganz genau: Dem ge-
lobten Weg des Erwachsen-
werdens wird nicht der
rote Teppich ausgerollt.
Es ist ein richtig harter Par-
cours – mit Höhen und Tie-
fen. Wie dankbar wären wir
wohl damals über Angebo-
te wie KindSpace gewesen.
W
Wenn das Herz zum ersten Mal
bricht, Selbstzweifel ihnen die
Kraft rauben, es zuhause kracht
und sie kaum noch Schritt halten können,
an wen wenden sich die Jugendlichen
dann? In einer Gesellschaft, die sich immer
noch schwer damit tut, das lästige Tabu
aufzuheben, das über mentale Gesundheit
gelegt wurde, kostet es den jungen Men-
schen viel Überwindung, sich Unterstüt-
zung zu holen. Und das ist richtig proble-
matisch. Schließlich entwickeln sich viele
psychische Krankheiten eben genau in
dieser Lebensphase.
Hilfe muss früher greifen und eben nicht
erst dann, wenn sich die anfänglichen
Schwierigkeiten bereits zu großen Proble-
men aufgetürmt haben. Man sollte nicht
warten müssen, bis man krank wird, um
professionellen Rat zu bekommen.
Ein sicherer Ort
Carlotta Glatzel ist überzeugt: Mit den
Stolpersteinen der Jugend muss niemand
allein fertig werden. Sie trat mit Lehrer:in-
nen, Schulpsycholog:innen und Eltern in
den Dialog und entwickelte dann mit Ju-
gendlichen das Konzept hinter KindSpace.
Dabei fand sie heraus, dass das Bedürfnis
zwar da ist, vielen aber der Raum fehlt,
um ihre Sorgen und Ängste zu äußern.
Doch daran soll sich was ändern. Im
Sommer 2021 gründet Carlotta KindSpace.
Es ist ein junges Team mit engagierten
Psychotherapeut:innen i.A., Psycholog:in-
nen und Studierenden aus ganz Deutsch-
land. Alle arbeiten ehrenamtlich und tun’s
für die Sache: gemeinsam möglichst vielen
Nicht allein: Wenn sich auf dem Weg ins Erwachsenwerden Probleme auftürmen,
finden Jugendliche bei KindSpace professionelle Unterstützung auf Augenhöhe.
Foto: Canva
SCHULE & POLITIK
WEITERE INFOS
Web: www.kindspace.me
Instagram: kindspace.me
Jugendlichen einen sicheren Ort anzubie-
ten, unkompliziert und kostenlos.
Gut gewappnet
KindSpace bietet Jugendlichen online
Gruppensessions für die mentale Gesund-
heit – angeleitet durch geschulte Psycho-
logiestudierende, die regelmäßig supervi-
diert werden. Die Sessions finden online
statt und sind somit von jeder Couch aus
erreichbar. Hier bekommen die Jugendli-
chen Verständnis und Anerkennung von
Gleichaltrigen. Es erleichtert, zu wissen,
dass sie mit ihren Anliegen nicht allein
sind. Die Moderator:innen laden dazu ein,
gemeinsam zu reflektieren und bringen
ein vielseitiges Curriculum aus Achtsam-
keitsübungen und Bewältigungsstrategien
mit.
Präventive Unterstützung
Damit sich bei KindSpace alle wohlfühlen,
gibt es grundlegende Umgangsregeln.
Wie anonym die Jugendlichen bleiben und
in welchem Umfang sie sich einbringen
möchten, ist ihnen dabei selbst überlassen.
Hier ist es auch okay, einfach nur zuzuhö-
ren oder über den Chat zu kommunizieren.
KindSpace bietet präventive Unterstüt-
zung. Wenn Jugendliche mehr Unterstüt-
zung benötigen, vermittelt KindSpace an
weiterführende Anlaufstellen, damit alle
Jugendlichen die Unterstützung bekom-
men, die sie benötigen.
Resilient werden
Was KindSpace wirklich besonders macht,
sind die Achtsamkeitsübungen – Atem-
übungen, Meditationen und Affirmationen,
die in die Sessions eingebettet werden.
Das zeigt Wirkung. Die Jugendlichen be-
schreiben eine direkte Erleichterung nach
der Session, und langfristig wird dadurch
ihre Resilienz gesteigert.
Empowerment
Neben den KindCafes leistet KindSpace
auch auf Social Media wichtige Aufklä-
rungsarbeit über mentale Gesundheit. In
die Reizüberflutung beliebter Plattformen
wie Instagram und TikTok streut das Pro-
jekt regelmäßig Posts, die dazu anregen,
kurz innezuhalten. Der ’Struggle’ soll ent-
stigmatisiert werden. Wer mehr mag, fin-
det auf dem KindSpace-Blog liebevolle Ge-
dankenschnipsel unseres Teams mit einer
Menge Hintergrundwissen und vor allem
richtig guten Tipps für ein selbstbestimm-
teres und leichteres Leben.
Daphne Bieletzki
Autorin bei KindSpace, Sprach- und
Kommunikationswissenschaft, Aachen
lehrer nrw ·
4/2022
22
SCHULE & POLITIK
Endlich…
Arbeitswirklichkeit anerkannt!
Der Tarifabschluss für kommunale Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst
dreht an den richtigen Stellschrauben. Doch noch ist es ein weiter Weg zu einer
Balance der Arbeitsbedingungen und der beruflichen Lebensqualität.
N
Nach langen Jahren hoffnungsvoller
Erwartung, dass die kommunalen
Arbeitgeber (VKA) die Realität be-
ruflicher Tätigkeiten zur Kenntnis nehmen
und in Tarifverträgen einmal berücksichti-
gen, scheint nun mit dem Tarifvertrag für
den Sozial- und Erziehungsdienst nach äu-
ßerst schwierigen Verhandlungen erstmalig
ein Abschluss erzielt worden zu sein, der
unter anderem den konkreten Arbeitsbedin-
gungen Rechnung trägt.
Verbände und Gewerkschaften hatten
wiederholt angemahnt, dass sich nicht nur
am Entgelt, sondern ebenso an den Rah-
menbedingungen etwas ändern müsse,
wenn man ausreichend junge Menschen für
diese Berufsbereiche gewinnen wolle. Denn
die nachfolgenden Generationen sind
scheinbar nur bedingt bereit, Lebensqualität
unbegrenzt für Arbeit und Karriere zu op-
fern. Das gilt nicht nur für den Bildungssek-
tor, sondern für zahlreiche Branchen, in de-
nen der psychische Druck und Stress das
Privatleben übermäßig belasten, wie zum
Beispiel auch im medizinischen Bereich.
Die Arbeitgeber haben nun wohl endlich
verstanden, dass der ’Nachwuchs’ schlicht
wegbleibt, sollte sich an den Arbeitsbedin-
gungen nichts ändern. Im medizinischen Be-
reich steigt die Teilzeitquote unaufhörlich,
weil Menschen nicht mehr bereit sind, diese
übermäßigen Belastungen auf Kosten des
Privatlebens hinzunehmen. Manche steigen
sogar nach wenigen Jahren ganz aus dem
Beruf aus.
Mehr Aufgaben,
weniger Wertschätzung
Auch im Bildungssektor sind derartige Kon-
sequenzen zu beobachten. Das Image des
Lehrerberufs leidet seit Jahren unter den Ver-
werfungen einer Bildungspolitik, die der In-
stitution Schule zunehmend neue Aufgabe
zuweist, ohne am Deputat noch an der Be-
zahlung grundlegend etwas zu ändern. Dies
betrifft auch das so genannte zusätzliche
(sonder-)pädagogische Personal, das ver-
mehrt das System ’Schule’ unterstützen soll,
aber bei der Fülle der ’neuen’ sozialen und
erzieherischen Aufgaben nur unzureichend
leisten kann. Mit der Folge, dass zu wenige
in dieses System eintreten wollen und davon
nicht wenige dem System nach kurzer Zeit
wegen der hohen Arbeitsbelastung schon
Wie wichtig Schulen und Kitas als Bildungs- und Erziehungs-
einrichtungen sind, wurde vielen erst klar, als sie wegen der Corona-Pandemie
zeitweise schließen mussten. Ihre Bedeutung spiegelt sich aber weithin noch nicht in
wertschätzenden Arbeitsbedingungen und angemessener Bezahlung wider.
von ULRICH GRÄLER
23
4/2022 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
wieder den Rücken kehren. Von der zielge-
nauen Qualifikation ganz zu schweigen.
Tarifvertrag
als Umkehrsignal
Umso wichtiger war es, dass der neue Tarifver-
trag für kommunale Beschäftigte im Sozial-
und Erziehungsdienst eine Umkehr signali-
siert, hin zu mehr Rücksichtnahme auf die Be-
dürfnisse der Menschen, die für den Arbeitge-
ber den ’Dienst am Menschen’ tun. Ein Dienst,
der gesellschaftlich unverzichtbar ist, und der
durch nichts ersetzbar wäre. Eine Digitalisie-
rungsrendite oder anderweitig erwirtschaftete
Rendite gibt es hier nicht. Und auch die Zu-
nahme der Klassengröße auf über dreißig Kin-
der und Jugendliche ist es jedenfalls nicht.
Im Gegenteil, in einem Land mit einer sehr
hohen Beschäftigtenquote bricht seit Jahr-
zehnten die erzieherische Unterstützungs-
leistung des Elternhauses stetig mehr weg.
Ein Defizit, das nur mit mehr Personal und ei-
ner den erzieherischen Bedürfnissen ange-
passten Erziehungs- und Bildungsstruktur
aufzufangen wäre. Doch davon sind wir der-
zeit noch weit entfernt. Deshalb war es auch
so entscheidend, dass sich im Tarifergebnis
erstmalig Elemente der allseits gewünschten
Work-Life-Balance wiederfinden.
Gute Ergebnisse für
330 000 Beschäftigte
Mit dem Tarifergebnis vom 18. Mai 2022 für
den Sozial- und Erziehungsdienst (SuE), der
eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2026
hat, wurde für die rund 330000 Beschäftig-
ten bei den Kommunen ein Abschluss erzielt,
der neben Verbesserungen beim Entgelt auch
die Möglichkeit der Umwandlung von Ent-
geltbestandteilen vorsieht. Zu den wesentli-
chen Ergebnissen zählen insbesondere:
Die Beschäftigten in den Entgeltgruppen
S2 bis S11 erhalten ab 1. Juli 2022 eine
monatliche Zulage von 130 Euro, Sozial-
arbeiter und Sozialpädagogen in den
Entgeltgruppen S11b bis S12 und S14
und S15 (Fallgruppe 6) eine monatliche
Zulage von 180 Euro.
Die Stufenlaufzeiten werden ab dem
1. Oktober 2024 an die Stufenlaufzeiten
im allgemeinen öffentlichen Dienst
(TVöD) angepasst. Dies ermöglicht
schnellere Stufenaufstiege.
Beschäftigte erhalten nun ab 2022 pro
Kalenderjahr über den Urlaubsanspruch
hinaus pauschal zwei Entlastungstage
(zur Regeneration) und zudem die Opti-
on, zwei weitere Tage auf Kosten von
Entgeltbestandteilen (zum Beispiel für
Freizeit etc.) zu nehmen.
Aus schulischer Sicht ist des Weiteren zu be-
grüßen, dass der Tarifvertrag nun insgesamt ei-
nen großen Teil der pädagogischen Tätigkeiten
im ’Ganztag’ in der Entgeltordnung abbildet.
Der Weg ist noch weit
Alles in allem zeugt das Ergebnis von einer in
Ansätzen neuen Wertschätzung für erzieheri-
sche Berufe sowie von einem Anerkenntnis
der besonders belastenden Tätigkeit. Die Ver-
bände und Gewerkschaften wissen, wo dem
Personal der Schuh drückt, und haben an den
richtigen Stellschrauben gedreht. Noch ist der
Weg allerdings sehr weit, will man die Ar-
beitsbedingungen und die berufliche Lebens-
qualität in Einklang bringen. Zu groß sind die
Versäumnisse der Vergangenheit.
KOMMENTAR
Schade!
Es wurde allerhöchste Zeit,
vielfach ist es schon zu spät.
Die Arbeitgeber hatten jahre-
lang die Zeichen der Zeit
nicht sehen wollen, aus ei-
gennützigen Erwägungen
heraus, das Geld für andere
Zwecke auszugeben. Das
rächt sich nun, und zwar
nachhaltig. Tätigkeiten im er-
zieherischen Bereich haben
schon längst nicht mehr den
gesellschaftlichen Stellen-
wert, der ihnen gebühren
müsste.
Bildung und Erziehung
sind jedoch Staatsaufgaben,
die nicht mehr erfüllt werden
können, wenn das Personal
ausbleibt. Diese Sorge und
Gefahr ist real. Mit allen
möglichen Konsequenzen für
die Wirtschaft und Arbeits-
welt. Der Corona-Lockdown
hat deutlich vor Augen ge-
führt, was passiert, wenn die
Bildungseinrichtungen ’au-
ßer Dienst’ sind.
Dass die Arbeitgeber jetzt
bereit sind umzusteuern, ist
leider vor allem der Hartnä-
ckigkeit der Beschäftigten im
Sozial- und Erziehungsdienst
zu verdanken. Die große Ein-
sicht hat nicht dazu geführt,
längst überfällige Kompo-
nenten tarifvertraglich zu
verankern. Erziehung und
Bildung kosten nun einmal
Geld, ob privat oder staat-
lich. Das sollte es uns wert
sein.
Die Rendite ist nicht nur
im besten Fall: ein mündiger
Bürger.
Ulrich Gräler
Foto: AdobeStock/bluedesign
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
4/2022
24
FORTBILDUNGEN
Gutes Klima,
guter Unterricht
Ein gutes Classroom-Management ist Voraussetzung für gelingende
Bildung. Wie das erreicht werden kann, ist Thema einer Fortbildung
von
lehrer nrw
. Eine nicht darauf aufbauende, aber inhaltlich ver-
wandte Fortbildung bietet die Referentin Dorthe Leschnikowski-
Bordan zum Thema ’Umgang mit schwierigem Schülerverhalten’ an.
C
Classroom Management meint das
Schaffen einer produktiven Lernatmo-
sphäre und ist somit ein Merkmal guten
Unterrichts. Konsequent angewandt, redu-
ziert es kleine Störungen von Anfang an,
damit sie gar nicht erst zum Problem wer-
den. Die Mittel hierzu sind äußerst vielsei-
tig, jedoch geht es immer darum, die Bau-
steine für ein produktives Lernklima zu
erarbeiten, um somit entspannter und
wirksamer unterrichten zu können.
Was sind hierbei die Voraussetzungen
im Bereich des Lehrerverhaltens, die nötig
sind, damit der Unterricht reibungslos
funktionieren kann? Welche Rolle spielen
Regeln und Konsequenzen? Wie können
wir mit Konflikten umgehen? Welche Be-
deutung hat die Raumgestaltung? Wie
sieht es mit dem Sozialen Lernen aus?
Zu diesen und weiteren Fragen gibt
Trainerin und Coach Dorthe Leschni-
kowski-Bordan Antworten.
Der Umgang mit schwierigem Schüler-
verhalten steht ebenfalls auf dem Seminar-
plan von
lehrer nrw
. Hier geht es darum,
auffälliges Schülerverhalten zu verstehen
und dabei handlungsfähig zu bleiben. Da-
bei werden mögliche Verhaltensursachen
aus der Sicht der Lern- und Entwicklungs-
psychologie beleuchtet und Interaktionen
innerhalb von Unterrichtssituationen the-
matisiert. Dorthe Leschnikowski-Bordan
vermittelt Strategien, wie man sich als
Lehrkraft in akuten, als auch ’langfristigen’
Situationen souverän verhalten kann.
Weitere mögliche Handlungsfelder sind
Regeln, Konsequenzen, Unterrichtsgestal-
tung, Elternarbeit, Rituale und Abläufe.
INFOS
Classroom-Management, Seminar-Nr.: 2022-0925, Ort: Ringhotel Drees, Hohe Straße
107, 44139 Dortmund, Termin: Montag, 26. September 2022, Uhrzeit: 9:00 Uhr bis
16:00 Uhr, Kosten: 130 Euro
lehrer nrw
-Mitglieder, 180 Euro sonstige Teilnehmer,
Anmeldung: bis 15. August 2022 online: Fortbildungsübersicht – Lehrer NRW
’Umgang mit schwierigem Schülerverhalten’, Seminar-Nr. 2022-1024, Ort: Ringhotel
Drees, Hohe Straße 107, 44139 Dortmund, Termin: Montag, 24. Oktober 2022, Uhrzeit:
9:00 Uhr bis 16:00 Uhr, Kosten: 130 Euro
lehrer nrw
-Mitglieder, 180 Euro sonstige Teil-
nehmer, Anmeldung: bis 12. September 2022 online: Fortbildungsübersicht – Lehrer NRW
Für die Bewirtung mit Speisen und Getränken sorgt
lehrer nrw
. Die Übernahme von Fort-
bildungskosten können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an ihren Schulen beantra-
gen. Reisekosten können Sie auf dem Dienstweg bei Ihrer Bezirksregierung beantragen,
um die verauslagten Reisekosten aus einem gesonderten Budget erstattet zu bekommen.
Foto: AdobeStock/WavebreakmediaMicro
So besser nicht:
Wie Lehrkräfte ein gutes
Unterrichtsklima herstel-
len und mit schwierigen
Schülern umgehen kön-
nen, zeigen zwei Fortbil-
dungen von
lehrer nrw.
25
4/2022 ·
lehrer nrw
FORTBILDUNGEN
Seminar
Nr. Titel Kurzinhalt Referenten Wo Wann Uhrzeit
Gebühr
lehrer nrw-
Mitglied
Gebühr
sonst.
Teilnehmer
Anmelde-
schluss
2022-0907 Wie wirken sich der pandemie-
bedingte zeitweilige Verlust
pädagogischer Beziehungen und
das mangelnde Erleben von Freude
der Kinder untereinander auf das
kognitive Lernen aus?
Lösungsstrategien zur Förderung emotionaler und sozialer Entwick-
lung von Schülerinnen und Schülern: Wie können wir Kinder in ihrer
psychischen Entwicklung, beim Lernen und Arbeiten nach der
schwierigen Zeit der Pandemie durch psychomotorische und
soziomotorische Aktivitäten und Inhalte unterstützen?
Anita
Zimmermann,
Jutta
Packenius,
Susanne
Röck-Uhlrich
Leonardo Boutique Hotel
Oststraße 128
40210 Düsseldorf
Mittwoch
07.09.2022
09:00 bis
16:30 Uhr
130 EUR 180 EUR 04.08.22
2022-0925 Classroom Management Classroom Management meint das Schaffen einer produktiven Lern-
atmosphäre. Konsequent angewandt, reduziert es kleine Störungen,
bevor sie zum Problem werden.
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Montag
26.09.2022
09:00 bis
16:00 Uhr
130 EUR 180 EUR 15.08.2022
2022-0926 Tanz mit dem Widerstand Sie erweitern Ihre theoretischen Kenntnisse über Widerstand, fügen
Ihrem Handlungsrepertoire weitere Interventionen hinzu, erlangen
eine erhöhte fachliche Distanz zu herausforderndem Widerstand und
erleben in der Lehrgruppe Unterstützung.
Tanja
Schmitz-
Remberg
Intercity Hotel Düsseldorf
Graf-Adolf-Straße 81-87
40210 Düsseldorf
Montag
26.09.2022
09:00 bis
16:30 Uhr
120 EUR 170 EUR 15.08.2022
2022-1024 Umgang mit schwierigem
Schülerverhalten
Souverän mit auffälligem Schülerverhalten umgehen. Im Mittelpunkt
stehen Strategien, wie man sich als Lehrkraft sowohl in akuten als
auch in langfristigen Situationen souverän verhalten kann.
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Montag
24.10.2022
09:00 bis
16:00 Uhr
130 EUR 180 EUR 12.09.2022
2022-1025 Wege in den Ruhestand Beamtenversorgung und Altersteilzeit Horst
Joosten
GDL Sitzungsraum 1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Dienstag,
25.10.2022
15:00 bis
18:00 Uhr
50 EUR 80 EUR 27.09.2022
2022-1026 Zeitmanagement und
Arbeitsorganisation
Zeit ist ein hohes Gut – man hat nie genug davon. Deshalb ist es um-
so wichtiger, den eigenen Alltag so zu gestalten, dass die wichtigsten
Dinge erledigt werden und der Stress nicht zu groß wird.
Kerstin
Grigoleit
Hotel NH Oberhausen
Düppelstraße 2
46045 Oberhausen
Di. bis Mi.
25.10. bis
26.10.2022
14:00 bis
12:15 Uhr
100 EUR 150 EUR 12.09.2022
2022-1027 Wenn's brodelt, hilft es den
Deckel anzuheben! – von gruppen-
dynamischen Herausforderungen
nach der Pandemie
Sie lernen, ’hinter die Kulissen’ von Gruppendynamiken zu schauen,
sich die Theorie zur Hilfe zu nehmen und sich Praktisches aus der
lösungsorientierten Arbeit anzueignen.
Tanja
Schmitz-
Remberg
Intercity Hotel Düsseldorf
Graf-Adolf-Straße 81-87
40210 Düsseldorf
Donnerstag
27.10.2022
09:00 bis
16:30 Uhr
120 EUR 170 EUR 15.09.2022
2022-1121 Binnendifferenzierung Professioneller Umgang mit den Herausforderungen heterogener
Klassen. Praktische Methoden bieten die Möglichkeit, den eigenen
Unterricht phasenweise differenziert zu gestalten.
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Montag
21.11.2022
09:00 bis
16:00 Uhr
130 EUR 180 EUR 26.09.2022
Digitaler Worst Case
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in
seiner Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem
Lehreralltag. Diesmal geht es um ein kleines Malheur mit
vermeintlich großen Folgen.
E
Einfach mal eine Auszeit genommen,
eine Woche Kreta. Erster Tag bei 29°C,
ein Sprung in das wunderbar postkar-
tenähnlich aufschäumende Meer. Nach ei-
ner halben Stunde entspannter Glückselig-
keit bemerkte ich einen harten Gegenstand
in meiner rechten Tasche meiner erst kurz
zuvor erworbenen Badehose (früher gab es
keine Taschen, nur aufgenähte Ehrenabzei-
chen von erworbenen Schwimmkenntnis-
sen). Da ich nicht rauche und der Strandab-
schnitt nur aus Sand und keinerlei Steinen
bestand, konnte dieser Gegenstand eigent-
lich nur mein Handy sein. Eine halbe Stunde
Meerwasser, wohl temperiert aber nass,
hält selbst das neueste Handy (an dieser
Stelle keine Produktwerbung) nicht aus. Eine
somatisch bedeutsame Körperreaktion ließ
nicht lange auf sich warten, und gefühlt im
Stile eines 100-Meter-Sprinters gelangte ich
zum sicheren und vor allem trockenen Ufer.
Doch trotz aller Versuche, das Handy zu
retten (Mikrowelle, Salz etc.) blieb das
Handy hartnäckig inaktiv. Und nun? All
meine Nachrichtendienste, Apps, Social
Media, YouTube waren auf einmal nicht
mehr existent. Meine täglichen Minuten
(nicht wenige), die ich mit dem Inhalieren
der neuesten Nachrichten über Krieg,
Krankheiten etc. nun in deren Aktualität
beraubt wurde, ließen in mir ein Gefühl von
Panik aufkommen. Kein Ersatz, auch nicht
das Handy meiner Frau, welches sich seit
langer Zeit nicht auf dem neuesten Stand
der Technik befand (mein Gott, wie klischee-
haft). Also kurz die Familie per Anruf infor-
miert, dass mein Handy außer Gefecht ge-
setzt wurde (den wahren Grund zunächst
verheimlicht). Dann versucht, die nächsten
Tage zu genießen, was auch gelungen ist.
Nein, ich mache hier keine Werbung für
»Verzichten Sie mal auf das Handy und
gehen Sie den Jakobsweg und Sie sind ein
neuer Mensch«. Irgendwie habe ich das
hinbekommen und konnte mich auch gut
den Alltagsanforderungen mit gelegentli-
chen Stressanteilen entziehen.
Jetzt sitze ich am Flughafen, und mir
graut davor, in fünf Stunden zuhause zu
sein, das Vorgängerhandy zu starten und
unendlich viele Mails (meist Werbung),
Nachrichten etc. nicht unter zehn Stunden
zu bearbeiten bzw. Wichtiges von nicht
Wichtigem trennen zu können.
Es ist geschehen – und jetzt? Ich wünsche
Ihnen jedenfalls schöne Sommerferien,
verbunden mit dem Hinweis, alle Taschen,
wenn vorhanden, vor dem Gang ins Wasser
zu kontrollieren und das Rauchen aufzuge-
ben.
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan
Battel ist seit 2007
niedergelassener
Facharzt für Kinder-
und Jugendpsychia-
trie und -psychothe-
rapie mit eigener
Praxis in Hürth bei
Köln und seit 2012
systemischer Famili-
entherapeut (DGSF).
Im Rahmen des
lehrer nrw
-Fortbil-
dungsprogramms
greift er in einer Vor-
tragsreihe regelmä-
ßig verschiedene
Themen aus dem
Bereich der Jugend-
psychologie auf.
Foto: Andreas Endermann
Ausschließlich für Mitglieder von
lehrer nrw
bietet Dr. Stefan Battel
einmal pro Woche eine Telefonsprechstunde an. Lehrkräfte, die Infor-
mation, Rat und Hilfe im Umgang mit schwierigen Schülern oder Eltern
brauchen oder selbst in einer psychisch belastenden beruflichen Situa-
tion stecken, können dieses Angebot nutzen.
Die Hotline ist jeden Dienstag von 15 Uhr bis 16 Uhr freigeschaltet
und unter der Telefonnummer 0 22 33 / 961 01 20 erreichbar.
lehrer nrw ·
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BATTEL HILFT
Foto: AdobeStock/
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lehrer nrw
SENIOREN
Grachten,
Leuchttürme,
Wattenmeer
Vom 10. bis 14. Mai konnten die
lehrer nrw
-Senioren nach
längerer Pause wieder eine gemeinsame Reise durchführen.
Ziel war die norddeutsche Küstenstadt Emden, die als Basis
zur Erkundung der Schönheiten Ostfrieslands diente.
E
Eröffnet wurde das Reiseprogramm mit
einer Grachtenfahrt unter dem Motto
’Romantik auf grünen Wasserwegen’. Hier
konnte die Gruppe aus Nordrhein-Westfalen
die Stadt Emden von ihrer Wasserseite be-
trachten. Die Vielzahl der Kanäle verzauberte
mit ihrem maritimen Flair.
Am zweiten Tag besuchten wir Delfzijl,
das wir mit der Fähre ’Ems-Dollart’ erreich-
ten. Dort war Markttag, und es gab die Mög-
lichkeit, mit dem Zug nach Appingendam,
bekannt durch seine ’Hängenden Küchen’,
zu fahren. Der nächste Tag startete mit ei-
nem Ausflug nach Greetsiel. Die Hinfahrt
wurde genutzt, um einige Schönheiten Ost-
frieslands zu besichtigen, dazu gehörten die
Leuchttürme von Wybelsum, Rysum, Campen
und Pilsum. Rysum gefiel durch seine ge-
pflegten Vorgärten und die liebevoll restau-
rierte Ziegelmühle, die auch
heute noch mit Nordseewind
betrieben werden kann. In
Campen mit dem höchsten
Leuchtturm Deutschlands,
besuchten wir die aus dem
13. Jahrhundert stammende
Kreuzkirche. In Greetsiel
begrüßten uns die bekann-
ten Zwillingsmühlen.
Am Freitag war die Hoch-
seeinsel Borkum das Ziel.
Für die Hinfahrt hatten wir
den Katamaran gebucht, der
zügig über das Wasser glitt
und uns sicher auf die Insel
brachte. Die traditionelle Inselbahn führte
uns zum Zentrum. Bei sonnigem Wetter
konnten wir uns den kräftigen Wind um die
Nase wehen lassen und das angenehme
Hochseeklima auf der Insel genießen. Zu
sehen gab es viel, das Wattenmeer, sogar See-
hunde und Kegelrobben, den alten Leucht-
turm, die Walknochenzäune und die herrliche
Dünenlandschaft. Die Rückfahrt
erfolgte mit der normalen Fähre
zum letzten Abendessen in un-
serem wunderschönen Hotel.
Am Samstag hieß es Ab-
schied nehmen mit einer letz-
ten Rundfahrt durch den Emde-
ner Hafen. Die Rundfahrt war
sehr informativ und zeigte die
heutige Bedeutung des Hafens
für das Umland und die Aufga-
ben, die im Hafen anfallen, wie
zum Beispiel das Verschiffen
von tausenden von Autos nach
Großbritannien. Der Hafen in
Emden ist tidenunabhängig
und hat dadurch enorme Vorteile. Vor dem
bekannten ’Feuerschiff’ nahmen wir Abschied
voneinander und von Emden.
Sicherheit für Senioren im Alltag
Zum Thema ‘Sicherheit
für ältere Menschen’ bie-
tet das Referat Senioren
im
lehrer nrw
Präventi-
onskurse und Informa-
tionen in Zusammenar-
beit mit der Polizei an.
Aktuell gibt es zwei An-
gebote, die kostenlos ge-
nutzt werden können.
Präventionskurs’
’Sicher im Alltag’
Termin: Donnerstag
18. August 2022, 11:00 Uhr
Ort: Polizeipräsidium Dortmund,
Markgrafenstraße 102
44139 Dortmund
Anmeldung: per E-Mail bis 7. August an:
berretz@lehrernrw.de
Kriminalprävention sowie neue Betrugs-
maschen und Opferschutz für Senioren
Termin: Mittwoch, 28. September 2022, 11.00 Uhr
Ort: Moers, im ’Kleinen Reichstag’
Uerdingerstraße 64, 47441 Moers
Anschließend gemeinsames Mittagessen im Restaurant ’Kleiner
Reichstag’. Danach Besichtigung des Moerser Schlosses, eventuell
Stadtrundgang und gemütlicher Abschluss in einem Café.
Anmeldung: per E-Mail bis 30. August an: holder@lehrernrw.de
Malerisch: Blick auf die
Zwillings-Windmühlen von
Greetsiel.
Die lehrer nrw-
Reisegruppe vor dem
Leuchtturm von Pilsum.
Foto: AdobeStock/greenpapillon
lehrer nrw ·
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Hey, teacher,
leave us kids alone …!
TEIL 1
Fehltritte von Schülerinnen und Schülern sind so alt wie
die Schule selbst. Das Spektrum reicht von vergleichsweise
harmlosen Streichen bis hin zu Gewaltexzessen. Welche
Sanktionsmöglichkeiten Lehrkräfte haben und was bei der
Anwendung zu beachten ist, erläutert
lehrer nrw
Justitiar
Christopher Lange in einer kleinen Artikelreihe.
»
»H
Hey, teacher, leave us kids alone…!«
– Lehrer, lasst uns Kinder in Ruhe!
heißt es im berühmten Lied ’Another Brick
in the Wall’ der Rockband Pink Floyd. Genau
das mag der eine oder andere Pennäler den-
ken, wenn er für sein Verhalten in der Schu-
le zur Rechenschaft gezogen werden soll. So
sehr man die Abwehrhaltung von Schülerin-
nen und Schülern nachvollziehen mag, so
wenig können Lehrkräfte aber in der Praxis
ihren Schützlingen in der Schule »alles
durchgehen lassen«. Dazu reicht schon ein
Blick in §§ 42 Absatz 3, 43 Schulgesetz
NRW (SchulG). Denn eine Schule kann nur
dann ihren Auftrag erreichen, Schülerinnen
und Schüler zu bilden und zu erziehen,
wenn diese ihrer Pflicht nachkommen, da-
ran mitzuwirken, wie es in den genannten
Normen beschrieben ist1. Dies bedeutet die
regelmäßige Teilnahme an Unterricht und
sonstigen schulischen Veranstaltungen, die
Vorbereitung auf den und die Beteiligung im
Unterricht, die Anfertigung von Klassen- und
anderen Arbeiten sowie Hausaufgaben
ebenso wie die Befolgung der Schulordnung
und der Anordnungen insbesondere von
Schulleitung und Lehrerschaft. Nur so kann
wiederum dem Anspruch auf Bildung und
Erziehung nach Artikel 8 der Landesverfas-
sung NRW entsprochen werden2.
Pädagogische Maßnahmen
gegen Fehlverhalten
Dies bedeutet, dass bei einem Fehlverhal-
ten, das heißt einem Verstoß gegen die ge-
nannten Pflichten durch eine Schülerin oder
einen Schüler Maßnahmen veranlasst wer-
den können. Diese sollen dem pädagogi-
schen Zweck dienen, die Betroffenen vor der
Wiederholung des Fehlverhaltens zu bewah-
ren und zur Erfüllung ihrer Pflichten anzu-
halten, wozu auch die Verhinderung der
Störung des allgemeinen Schulbetriebs
gehört.
RECHT§AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
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4/2022 ·
lehrer nrw
Lehrkräfte und andere, die Maßnahmen
verhängen wollen, müssen dabei streng auf
deren rechtmäßige Anwendung achten. Dies
folgt daraus, dass regelmäßig nur eine recht-
mäßig verhängte und vollzogene Maßnahme
ihre beabsichtigte Wirkung zeigen kann. Nicht
außer Acht gelassen werden sollte dabei aber
auch, dass sich eine nicht rechtmäßige Maß-
nahme durchaus als Bumerang für denjenigen
erweisen kann, der sie in der dann meistens
vorliegenden Ausnahmesituation unter Um-
ständen vorschnell veranlasst hat.
Denn wehrt sich beispielsweise ein Eltern-
teil gegen die Sanktion gegen ihren Spröss-
ling, muss unter Umständen nicht nur die
Maßnahme zurückgenommen werden, son-
dern kann im Endeffekt auch eine Dienst-
pflichtverletzung der die Maßnahme veran-
lassenden Lehrkraft oder anderen Personen
drohen. Dem ’wasserdichten’ Einsatz von
Maßnahmen dient diese Artikelreihe.
Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit
Alle Maßnahmen müssen dabei letztlich als
Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips nach Arti-
kel 20 Absatz 3 Grundgesetz dem Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit genügen: Jede
Maßnahme muss, erstens, ein geeignetes
Mittel sein, um die erwünschten Zwecke zu
erreichen. Sie muss, zweitens, erforderlich
sein und damit das mildeste zur Verfügung
stehende Mittel darstellen. Drittens muss
die Maßnahme in einem angemessenen
Verhältnis zu dem erzielten Zweck stehen,
das heißt verhältnismäßig im engeren Sinne
sein.
Neben den eigentlichen Voraussetzungen
für eine Maßnahme ist darauf zu achten,
wer – das heißt die zuständige Lehrkraft
oder das zuständige Gremium – für die
Maßnahme verantwortlich zeichnet.
Anspruch auf angst-
und gewaltfreies
Lernen in der Schule
Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass
eine Maßnahme sich nur gegen schulisches
Fehlverhalten richten darf3. Dazu muss die-
ses nicht zwingend beispielsweise während
des Unterrichts und auf dem Schulgelände
geschehen sein. Es reicht, wenn zwischen
dem Verhalten und dem Schulverhältnis ein
direkter Zusammenhang besteht, was ins-
besondere der Fall ist, wenn durch das Ver-
halten das Zusammenleben der am Schulle-
ben beteiligten Personen zumindest gefähr-
det wird. Geht es um die Schaffung von
Verbindungen zu Rauschgiftverkäufern in
Schulnähe, ist der Zusammenhang offen-
sichtlich. Ebenso kann es bei Gewalttätig-
keiten an einer Bushaltestelle in Schulnähe
sein. Die hier maßgebliche Verletzung des
Anspruchs auf ein angst- und gewaltfreies
Lernen in der Schule ist aber genau zu prü-
fen, wenn es zum Beispiel um Beleidigun-
gen unter Schülerinnen und Schülern in
sozialen Medien geht4.
Ausgeschlossen sind zudem Kollektiv-
maßahmen, es sei denn, mehrere Schülerin-
nen und Schüler haben sich ein Fehlverhal-
ten geleistet, was jeder und jedem Einzel-
nen konkret zurechenbar ist. Dies verdeut-
licht auch die Unerlässlichkeit einer genau-
en Sachverhaltsaufklärung. Natürlich ist
dies schwierig, wenn sich Dinge sprich-
wörtlich hinter dem Rücken einer Lehrkraft
abspielen, dennoch kann ein im etwaigen
anfänglichen Zorn geäußertes »Wer war‘s?
Keiner? Also, alle!« niemals in Betracht
kommen.
Vorgegebenes
Instrumentarium
So kreativ, wie die Schülerschaft bisweilen
ist, wenn es darum geht, sich nicht an
schulische Regeln zu halten, dürfen dieje-
nigen, die für die Wahl und Ausgestaltung
der konkreten Sanktionen und Maßnah-
men im Zusammenhang mit Fehlverhalten
zuständig sind, ohnehin nicht sein, seien
sie aus dem Kreis der Lehrkräfte, der
Schulleitungen oder der Schulaufsicht.
Denn ihr Instrumentarium ist insbesondere
von der Struktur her gesetzlich vorgege-
ben. In Betracht kommen in der Praxis vor
allem erzieherische Einwirkungen und Ord-
nungsmaßnahmen nach § 53 SchulG. Au-
ßerdem ist an die zwangsweise Anhaltung
zur Einhaltung der Schulpflicht nach § 41
SchulG und an die Verhängung einer Geld-
buße nach § 126 SchulG zu denken. Bei
Täuschungsversuchen ist zwischen den an-
zuordnenden Folgen nach § 6 Absatz 7
Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekun-
darstufe I (APO-SI) wie Anordnung der
Wiederholung des Leistungsnachweises
und einer gegebenenfalls zusätzlich ver-
hängten Ordnungsmaßnahme zu unter-
scheiden5.
1 van den Hövel, Schulrecht NRW – Was Lehrerinnen
und Lehrer wissen müssen, 5. Auflage 2020, S. 202
2 Jülich, van den Hövel, Schulrechtshandbuch NRW,
§ 53, RN 1
3 van den Hövel, Schulrecht NRW – Was Lehrerinnen
und Lehrer wissen müssen, 5. Auflage 2020, S. 203
4 Jülich, van den Hövel, Schulrechtshandbuch NRW,
§ 53, RN 24
5 Jülich, van den Hövel, Schulrechtshandbuch NRW,
§ 53, RN 23
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
Gewalt gegen Mitschüler ist
ein absolutes ‘No Go’.
Bei der Sanktionierung solcher oder
anderer Vergehen müssen sich Lehr-
kräfte an ein gesetzlich vorgegebenes
Instrumentarium halten.
Foto: AdobeStock/motortion
lehrer nrw ·
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ANGESPITZT
W
Was haben Kampfflugzeuge und
das Schulministerium gemein-
sam? Klar, den Schleudersitz. Es gibt al-
lerdings einen nicht unerheblichen Un-
terschied: Wenn es eng wird, betätigt
der Kampfflugzeug-Pilot selbst den
Schleudersitz, um sich aus dem hava-
rierten Fluggerät zu entfernen. Im ande-
ren Fall hingegen betätigt der Wähler
den Schleudersitz, um die jeweilige
Schulministerin oder den Minister aus
dem havarierten Ministerium zu entfer-
nen.
So erging es 2017 zum Beispiel der
damaligen Schulministerin Sylvia Löhr-
mann, die beim Thema Unterrichtsaus-
fall eine recht optimistische Darstellung
der bestehenden (Miss-)Verhältnisse an
den Tag legte. Sagenhafte 1,7 Prozent
Unterrichtsausfall fanden die Wähler
dann doch ein wenig zu optimistisch.
Als Kollektivstrafe wurde dann gleich
die gesamte rot-grüne Landesregierung
entfernt.
Ähnlich wie ihrer Vorgängerin erging
es kürzlich Yvonne Gebauer. Sie hatte
eine klitzekleine Pandemie zu managen.
Das fällt nach einschlägiger fiskaljuristi-
scher Expertise nicht unter die Vergnü-
gungssteuerpflicht. Gar nicht vergnüg-
lich fanden die Eltern daher auch das
von der MSB-Kommandozentrale ver-
ordnete Lockdown-, Test- und Masken-
Pingpong. Und noch weniger vergnüg-
lich fanden die Schulleitungen und Leh-
rerkollegien die gern am Freitagnach-
mittag verkündeten und bis Montag-
morgen umzusetzenden Hygienemaß-
nahmen und Distanzunterrichtskonzep-
te. Der daraus resultierende Gebauer-
sche Schleudersitzabgang katapultierte
die vormals propere Regierungspartei
FDP in kleinstoppositionelle Sphären.
Was lernen wir daraus? Mit Schulpo-
litik können Wahlen gewonnen – und
noch öfter verloren werden. Nun dürfen
sich die künftigen Koalitionspartner
vom schwarzen und grünen Geschwa-
der über die Besetzung des Schleuder-
sitzes an der Völklinger Straße verstän-
digen. Für Menschen mit einem robus-
ten Nervenkostüm, einem Faible für ge-
pflegten Nervenkitzel und einer leichten
Tendenz zum Masochismus ein sehr
reizvolles Betätigungsfeld. Dem Verneh-
men nach reißen sich aber beide Koali-
tionäre nicht um diese ein wenig an-
spruchsvolle, aber auch sehr erfüllende
Aufgabe. Warum nur?
Jochen Smets
Im Schleudersitz
Über Feedback zu meinen Gehirnjogging Übungen würde ich mehr sehr freuen: mail@heike-loosen.de Heike Loosen
Versteckte Farben
In diesen Speisen sind Farben
versteckt. Dabei müssen Sie
die Buchstaben, wie bei
einem Anagramm zusammen-
suchen und neu sortieren.
Liebe im Garten
Können Sie diesen bezaubernden Text lesen?
niE fpoklhoK dnats neben menie kcotsnesoR
dnu etuahcs tbeilrev eiw nie kcobnegeiZ
hcilgätgat red esoR ednehülb thcarP.
dnU senie segaT– sad tßieh ieb thcaN,
ad tleih red fpoklhoK se thcin rhem sua,
se etssum sua menies zrehlhoK suareh!
rE eteink redein, re etzfues, re rowhcs:
»hcI ebeil hciD esoR!– hciD ebeil hci run«!
dnU tah, eiw sad os uz nehehcseg tgelfp,
red esoR nies zrehlhoK uz neßüF tgeleg.
dnU eid esoR?
mI nleknuD s’tah dnamein n’heseg.
mI netshcän rhaJ– saw raw ad lhow?
dnats neben red esoR
lhoknesoR
Immer der Nase nach
Es gibt viele Redewendungen die, wie die Überschrift, das Wort ’Nase’ enthalten.
Finden Sie die entsprechenden Redewendungen zu den folgenden Beschreibungen.
1. Hochmütig/eingebildet sein
2. Jemanden rüde abweisen
3. Selbstkritisch sein
4. Etwas direkt vor sich haben
5. Schadenfroh sein
6. Pro Person
7. Seinen Unwillen zum Ausdruck bringen
8. Lesen
9. Jemanden auf etwas hinweisen
10. Jemanden überlisten
Überlegen Sie sich weitere Redewendungen, die das Wort Nase enthalten und umschreiben Sie diese.
Beispiel: Mortadella = Rot
Frühlingsrolle
Schweineschnitzel
Gänseleberpastete
Tortellini
Bandnudeln
Lauchgratin
Grießbrei
Vanillepudding
Weintrauben
Trockenfrüchte
Zwetschgenwasser
AUFGABE 1:
AUFGABE 2:
AUFGABE 3:
HIRNJOGGING
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lehrer nrw
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