3Unter der Lupe
Krise hoch 3
15 Dossier
Bürger mit gefühltem
Wissen sind leichter
manipulierbar
28 Recht§ausleger
Dienstfähig,
dienstunfähig
oder…
6Im Brennpunkt
Was lange währt,
wird endlich gut!
Warum junge
Menschen Lehrer
werden wollen
Pädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
1781 | Ausgabe 3/2023 | MAI | 67. Jahrgang
INHALT
lehrer nrw ·
3/2023
2
UNTER DER LUPE
Sven Christoffer: Krise hoch 3 3
BRENNPUNKT
Sarah Wanders: Was lange währt,
wird endlich gut! 6
JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner: Lehrernachwuchs
wichtiger denn je! 8
MAGAZIN
Petition für Fachleitungen unterstützen! 9
PERSONALRÄTE
Bezirkspersonalrat Arnsberg für
Realschulen: Mit Menschen,
für Menschen! 10
Bezirkspersonalrat Arnsberg für
Gesamt- und Sekundarschulen:
Situation der MPT-Fachkräfte
verbessern! 11
TITEL
Darum wollen junge Leute Lehrer werden 12
DOSSIER
Bürger mit gefühltem Wissen
sind leichter manipulierbar
Die MINT-Dämmerung im deutschen
Bildungswesen und ihre Folgen 15
SERIE HAUPTSCHULEN
Gemeinschaftshauptschule Benrath:
Hauptschule im Aufbruch 20
SCHULE & POLITIK
Jochen Smets: Vom Wiegen
wird die Sau nicht fett 22
FORTBILDUNGEN
Schwieriges Schülerverhalten
und Binnendifferenzierung 24
BATTEL HILFT
Die Perspektive wechseln 26
SENIOREN
Herbstfahrt nach Würzburg 27
Auf den Spuren mittelalterlicher Mönche 27
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange: Dienstfähig,
dienstunfähig oder 28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Nur trocken Tafelputzen 30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Einstein Zitat 31
Aufgabe 2: Sprichwort gesucht 31
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
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‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
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lehrer nrw e.V.
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Redaktion
Sven Christoffer,
Ulrich Gräler,
Christopher Lange,
Jochen Smets,
Sarah Wanders,
Marcel Werner
Düsseldorf
Verlag und
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PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
dphv-verlags-
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Für unverlangt eingesandte
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währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
Krise hoch 3
Lehrkräftemangel, fehlende Kompetenzen
am Ende der Grundschulzeit, zu viele Jugend-
liche, die die Schule ohne Abschluss verlassen,
marode Gebäude, schleppende Digitalisierung,
Lücken durch die Corona-Pandemie – die Bildung
in Deutschland steckt zweifelsohne in einer schweren Krise.
M
Man würde annehmen, dass die Bil-
dungsakteure – Bund, Länder und
Kommunen – den Schulterschluss su-
chen, um der prekären Lage mit vereinten Kräf-
ten Herr zu werden. Allein weit gefehlt! Statt-
dessen geht es um kommunale und föderale
Zuständigkeiten, es geht darum, mit dem Finger
auf den anderen zu zeigen und darum, die Auf-
gaben und Verantwortlichkeiten zwischen Bund,
Ländern und Kommunen hin- und herzuschie-
ben. Letztlich geht es um Geld und Kompeten-
zen. Einerseits wollen die Bundesländer nicht,
dass ihre Autonomie in der Bildungspolitik in
Frage gestellt wird, andererseits werden die Ru-
fe nach langfristiger Unterstützung seitens des
Bundes lauter. Das Denken von Förderprogramm
zu Förderprogramm greife zu kurz. Die Haltung
des Bundes lässt sich in etwa so zusammenfas-
sen: Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt auch bei
der Musik mit. Wie ist es also um die drei staat-
lichen Ebenen zurzeit bestellt? Eine Bestands-
aufnahme.
Bund
Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger hatte
Mitte März zu einem zweitägigen Bildungsgip-
fel nach Berlin eingeladen, um über die drän-
genden Probleme des Bildungssystems zu spre-
chen. Das Treffen hatten SPD, Grüne und FDP in
ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Doch die
Länder haben Stark-Watzinger vor die Wand
laufen lassen, denn nur zwei der sechzehn Kul-
tusministerinnen und -minister sind der Einla-
dung gefolgt. Die Bundesländer seien im Vorfeld
nicht in die Planungen einbezogen worden. Da-
her gebe es für die Zusammenkunft »keine ge-
meinsame Arbeitsgrundla-
ge«, hieß es beispielsweise aus dem
nordrhein-westfälischen Schulministerium.
Hier werden Befindlichkeiten deutlich, und si-
cherlich spielt auch politisches Kalkül eine Rolle.
Tragisch ist nur, dass die Zwistigkeiten auf dem
Rücken von Kindern und Jugendlichen ausgetra-
gen werden, die ein Recht auf Bildung haben.
Länder
Die Kultusministerkonferenz der Länder hatte
sich zuletzt selbst diskreditiert, denn die Emp-
fehlungen ihrer Ständigen Wissenschaftlichen
Kommission dienten ausschließlich dem Ziel,
Härten gegen das Bestandspersonal wissen-
schaftlich zu legitimieren. Abseits dessen geht
jedes Bundesland mit eigenen Maßnahmen ge-
gen den Lehrkräftemangel vor: Bayern will tau-
sende Lehrkräfte abwerben, Brandenburg verbe-
amtet auch beim Bachelor, Sachsen und Nord-
rhein-Westfalen schränken die Teilzeitmöglich-
keiten ein und in Sachsen-Anhalt sollen nach
den Osterferien alle Lehrkräfte für die kommen-
den fünf Jahre eine Stunde pro Woche mehr un-
terrichten. Die Stunde kann auf einem Arbeits-
zeitkonto gutgeschrieben, angespart und ab
dem Schuljahr 2033/34 abgebaut werden. Alter-
nativ können Lehrkräfte sich die zusätzlichen
Unterrichtsstunden monatlich auszahlen lassen.
Insgesamt hat es den Anschein, als sei die Län-
derebene in einen gegenseitigen Überbietungs-
wettbewerb eingetreten, um die Versäumnisse
und das Versagen der Politik in der Vergangen-
heit durch Maßnahmen zu Lasten der Beschäf-
tigten in der Gegenwart zu kompensieren.
Kommunen
Dringliche Themen auf kommunaler Ebene sind
der Schulplatzmangel und die Schulfinanzie-
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lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von SVEN CHRISTOFFER
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UNTER DER LUPE
rung. Der Investitionsstau an nordrhein-westfä-
lischen Schulen wird mittlerweile auf zehn Milli-
arden Euro geschätzt. Christof Sommer, Haupt-
geschäftsführer des Städte- und Gemeindebun-
des NRW, plädierte deshalb unlängst in der
Rheinischen Post für eine Reform der Schulfi-
nanzierung: »Das Modell stammt aus den 50er
Jahren. Die Kosten für die Schulträger sind im-
mer weiter ausgeufert und können oftmals nur
notdürftig durch Förderprogramme abgedeckt
werden. Ursache dafür ist, dass wir inzwischen
ganz andere Ansprüche an Schule entwickelt
haben. Früher kümmerten sich die Schulträger
um Tafel und Kreide. Heute reden wir über Digi-
talisierung, moderne Gebäude, Hilfen für Kinder
mit Förderbedarf, Integrationsarbeit, Schulsozi-
alarbeit, Nachmittagsbetreuung und so weiter.
All das kostet Milliarden, die die Kommunen
nicht haben. Es wird dringend Zeit, das System
der Schulfinanzierung an die Gegenwart anzu-
passen.«
Zeitenwende in der Bildung
Fazit: Bund, Länder und Kommunen kämpfen
mit je eigenen Problemen, deshalb handelt es
sich um eine Krise hoch 3. Darunter leidet auch
die Zusammenarbeit dieser drei staatlichen Ebe-
nen, die aber für die Zukunft der Bildung unab-
dingbar ist. Denn angesichts der Größe der
Herausforderungen bräuchte es auch in der
Bildung umgehend eine Zeitenwende.
Sven Christoffer ist Vorsitzender des
lehrer nrw
sowie Vorsitzender des HPR Realschulen
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
Mit dem Finger auf den anderen zeigen: Nach
dieser Devise schieben Bund, Länder und
Kommunen Aufgaben und Verantwort-
lichkeiten hin und her – auf Kos-
ten der Bildungsqualität.
Foto: AdobeStock/cristovao31
lehrer nrw ·
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BRENNPUNKT
Was lange währt,
wird endlich gut!
Die Dienstvereinbarung zum Einsatz digitaler Formate
in der Lehrerfortbildung ist endlich unterzeichnet worden.
Es war ein langer Weg zu einem lohnenden Ziel.
A
Auch bedingt durch die Corona-Pan-
demie ist die Digitalisierung in unse-
ren Schulen in rasender Geschwin-
digkeit – verglichen mit dem Tempo zuvor –
vorangeschritten. Von jetzt auf gleich muss-
ten Kolleginnen und Kollegen ihre Schülerin-
nen und Schüler digital unterrichten, Konfe-
renzen und sogar Fortbildungen fanden per
Video statt. Verbindliche Vorschriften und
feste Regeln zum Einsatz digitaler Formate
gab es zunächst nicht. Die erwartete ständi-
ge Erreichbarkeit in dieser Zeit führte zu ei-
ner massiven Entgrenzung der Arbeitszeit
und zu einer Überlastung bei nicht wenigen
Lehrkräften. Dies nahmen die Hauptperso-
nalräte aller Schulformen beim Ministerium
für Schule und Bildung NRW zum Anlass, ei-
ne Dienstvereinbarung zum Einsatz digitaler
Formate in der Lehrerfortbildung auf den
Weg zu bringen. Bereits im Jahr 2021 fan-
den erste Arbeitsgruppentreffen zu diesem
Thema statt. Da eine solche Dienstvereinba-
rung natürlich weitreichende Konsequenzen
für die Beschäftigten in Schule hat, galt es,
genau auf Formulierungen zu achten und
manchmal auch in harten Verhandlungen
das Beste für die Kolleginnen und Kollegen
‘herauszuholen’. Zentrale Aspekte für die
HPRe waren in diesem Zusammenhang der
Schutz vor Mehrbelastung und Arbeitsver-
dichtung, der Schutz vor Leistungs- und Ver-
haltenskontrolle durch diese neuen Formate
sowie die Sicherheit der persönlichen Daten.
Zeitlicher Rahmen für
digitale Fortbildungs-
veranstaltungen
Dieser Punkt der Dienstvereinbarung dient
ganz klar dem Schutz vor Mehrbelastung
und Arbeitsverdichtung und trägt den oben
genannten Problemanzeigen einiger Lehr-
kräfte Rechnung. Auszüge:
»Die Nutzung digitaler Formate findet in
der Regel in den Umfängen und zu den Zei-
von SARAH WANDERS
Digitale Fortbildungen sind im
Bereich Schule mittlerweile gang
und gäbe. Was fehlte, war eine
Dienstvereinbarung, die den Rahmen
absteckt. Die gibt es nun endlich.
Foto: AdobeStock/nenetus
BRENNPUNKT
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lehrer nrw
ten statt, die zur Durchführung von Fortbil-
dungsveranstaltungen in Präsenz vorgese-
hen sind. Dies gilt verbindlich für Phasen
einer synchronen, d.h. zeitlich festgelegten
Zusammenarbeit. Nicht-synchrone Forma-
te, zum Beispiel Selbstlernphasen, können
von Lehrkräften zeitlich flexibel wahrge-
nommen werden. Asynchrone Arbeitspha-
sen werden genauso bewertet wie Arbeits-
phasen in synchronen Formaten oder in
Präsenz. Zur Anrechnung auf die Unter-
richtsverpflichtung für die Teilnahme an
Fortbildungsveranstaltungen siehe BASS
20-22 Nr. 8, Abs. 7.1. Pausen sind analog
zu Präsenzveranstaltungen einzuplanen
und darüber hinaus den besonderen An-
sprüchen digitaler Formate entsprechend
anzupassen. Pausen, die aufgrund der be-
sonderen Beanspruchung durch digitale
Formate zusätzlich notwendig sind, erhö-
hen nicht die Gesamtdauer der Fortbil-
dung, sondern sind deren integraler Be-
standteil. Die Belange von Teilzeitkräften
sind zu berücksichtigen, um eine Teilnah-
me an der Fortbildung zu ermöglichen.«
Datenschutz, Informations-
sicherheit, Leistungs-
und Verhaltenskontrolle
»Das Land verpflichtet sich und die Anbie-
ter von Lehrerfortbildungen, nur Systeme
für die Durchführung einzusetzen, welche
datenschutzkonform und informationssi-
cher betrieben werden können. In der Re-
gel soll bei der Umsetzung auf die landes-
eigenen Systeme zurückgegriffen werden.«
Da LOGINEO NRW in den Hauptpersonal-
räten mitbestimmt wurde, ist bei diesem
landeseigenen System der Schutz vor Leis-
tungs- und Verhaltenskontrolle unter ande-
rem Voraussetzung für die Zustimmung ge-
wesen. Aus diesem Grund bietet sich an die-
ser Stelle natürlich die Nutzung an. Auch für
alle anderen Systeme, die beim Einsatz digi-
taler Formate in der Lehrerfortbildung zum
Tragen kommen, gibt es nun klare Vorgaben:
»Insbesondere dürfen weder eingesetzte
Produkte/Tools noch die damit einherge-
hende notwendige Administrierung zum
Zwecke einer unzulässigen Leistungs- und
Verhaltenskontrolle eingesetzt werden (vgl.
§ 72 Abs. 3 LPVG). Administratorinnen und
Administratoren der Angebote der staatli-
chen Lehrerfortbildung unterliegen einer
Administratorenverpflichtung, die sie über
ihre Rechte und Pflichten aufklärt. Modera-
tion der Angebote und Administration der
eingesetzten Systeme dürfen nicht in einer
Hand liegen. Vorhandene Logdateien kön-
nen nur von dazu berechtigten Personen im
Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung eingese-
hen werden. Bei allen Angeboten sind die
Betroffenen über die sie angehenden Da-
tenverarbeitungen hinreichend und trans-
parent im Sinne der gesetzlichen Vorgaben
gem. Art. 13, 14 DSGVO zu informieren.
Falls Einverständniserklärungen erforder-
lich sind, wird darauf frühzeitig hingewie-
sen. Bei einer Nichterteilung des Einver-
ständnisses dürfen der betreffenden Person
keine Nachteile entstehen.«
»Andere Anbieter«
Ein letzter wichtiger Punkt, der nur durch
Intervention und Beharren der Hauptperso-
nalräte zustande kam, ist die Anlage zur
Dienstvereinbarung. Diese bezieht sich auf
Fortbildungsangebote ‘anderer Anbieter’.
Den Hauptpersonalräten war es wichtig,
dass das Erreichte nicht nur für Angebote
der staatlichen Lehrerfortbildung gilt, son-
dern für alle Fortbildungen bzw. Anbieter.
Aus diesem Grund wurde eine Kriterienlis-
te zur Auswahl von Fortbildungsangeboten
anderer Anbieter entwickelt, »die in staatli-
chen Angeboten berücksichtigt sind und
entsprechend auch von anderen Anbietern
zu erfüllen sind. Der jeweilige Auftragneh-
mer sichert die Umsetzung der Kriterien im
Rahmen des Vertragsschlusses zu.«
Auch wenn der Weg lang war, so hat
sich die Arbeit zum Schutz der Kolleginnen
und Kollegen am Ende gelohnt. Gerade
deshalb ist und bleibt es wichtig, dass wir
auch in Zukunft starke Personalräte haben
werden, die sich für Ihre Interessen einset-
zen.
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende
des
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
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JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: werner@lehrernrw.de
von MARCEL WERNER
Lehrernachwuchs
wichtiger denn je!
In den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung haben
in den letzten Wochen die Vereidigungsfeiern für die
Lehramtsanwärterinnen und -anwärter stattgefunden.
V
Viele Hochschulabsolventinnen und
-absolventen starten in diesen Ta-
gen in einen neuen Lebensab-
schnitt. Am 1. Mai begann für sie der Vor-
bereitungsdienst, an dessen Ende die
Staatsprüfung wartet. Der Lehrermangel
ist in aller Munde, und der Beruf des Leh-
rers scheint so unattraktiv wie nie zu sein.
Leider erfährt unsere Berufsgruppe aktuell
weder politisch noch gesellschaftlich die
Wertschätzung, die ihm gebührt – obwohl
der Beruf heutzutage deutlich herausfor-
dernder als vor einigen Jahrzehnten ist.
Genau aus diesem Grund war es für un-
sere Verbandsmitglieder eine Freude, die
jungen neuen Lehramtsanwärterinnen und
-anwärter an den Zentren für schulprakti-
sche Lehrerausbildung begrüßen zu dürfen.
In den Gesichtern der angehenden Lehr-
kräfte war die Freude über den nächsten
Schritt zu ihrem Traumberuf zu sehen. Auch
heute ist es für viele noch eine Berufung,
Lehrerin oder Lehrer zu werden, denn die
Welt der Schule ist nicht nur dunkel und
trist, sondern auch in der Zeit des Lehrer-
mangels bunt und vielfältig. Leider wird
dies von der Öffentlichkeit und auch der
Politik nicht vermittelt. Bildung gestalten
macht Freude und schafft Zufriedenheit im
Beruf des Lehrers! Doch dazu bedarf es ei-
ner qualifizierten Ausbildung.
Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass
Lehrkräfte ein auf den Beruf zugeschnittenes
Studium und im Anschluss einen praxisna-
hen und inhaltlich hochwertigen Vorberei-
tungsdienst genießen können. Denn nur mit
sehr gut ausgebildetem Personal kann eine
Schule auch in Zukunft jedes Kind optimal
fördern, es zu Freiheit und Leistung erziehen
und motivieren. Die Schule der Zukunft wird
für uns alle eine Herausforderung, und um
sich dieser stellen zu können, kämpfen wir
für eine qualifizierte Ausbildung!
Nicht nur in dieser Hinsicht ist es gut, ei-
nen starken Partner wie
lehrer nrw
an seiner
Seite zu wissen. Begrüßen Sie also Ihre neu-
en Lehramtsanwärterinnen und -anwärter
an Ihrer Schule und werben Sie für einen
starken Verband, der sie in stürmischen
Zeiten unterstützt.
Wir wünschen allen Lehramtsanwärterin-
nen und -anwärtern einen guten Start in
den Vorbereitungsdienst.
Im ZfsL Jülich begrüßten Tanja Heinrichs, Christoph Fahle
und Martin Dittrich nebst zwei Mitarbeitern des
Kooperationspartners Swiss Life Select die neuen LAA.
Elena Schulz und ihr Team gaben den angehen-
den Lehrkräften im ZfsL Paderborn wertvolle
Tipps und Informationen mit auf den Weg.
Michael Freise und Doreen
Preiß hießen die Lehramtsan-
wärterinnen und -anwärter in
Leverkusen willkommen.
MAGAZIN
Petition für Fachleitungen
unterstützen!
G
Gemeinsam mit dem Netzwerk Fach-
leiter/innen NRW unterstützt
lehrer
nrw
eine vom Bundesarbeitskreis Lehrer-
bildung initiierte Online-Petition an den
Landtag NRW für eine gerechtere Bezah-
lung der Fachleitungen im Sekundarbe-
reich I. Die Petition fordert ein Ende der
eklatanten Ungleichbehandlung von
Fachleitungen im Sekundarbereich I ge-
genüber den Kolleginnen und Kollegen
im Sekundarbereich II, die bei gleicher
Arbeit erheblich besser bezahlt und zu-
dem durch eine geringere Pflichtstunden-
zahl entlastet werden (HRSGe und G:
A12Z - A13Z bei 28 Std. Unterrichts-
verpflichtung gegenüber GyGe/BK:
A15 bei 25,5 Std.).
lehrer nrw
hat stets darauf hingewie-
sen, dass diese Ungleichbehandlung durch
nichts zu rechtfertigen ist. Denn die Tätig-
keit der Fachleitungen ist unabhängig von
der Schulform identisch. In Nordrhein-
Westfalen allerdings werden Fachleitungen
in der Sek I und an Grundschulen mit einer
schmalen Zulage von 153 Euro abgespeist,
während sich die Kolleginnen und Kollegen
im Sekundarbereich II bei gleicher Arbeit
über ein üppig besoldetes Beförderungs-
amt freuen können. Unter dem Strich er-
gibt das einen Gehaltsunterschied von bis
zu 1700 Euro.
Im Gleichklang mit dem Netzwerk Fachlei-
ter/innen NRW fordert lehrer nrw daher eine
adäquate Bezahlung und die Schaffung eines
Beförderungsamtes für Fachleitungen im Se-
kundarbereich I. Fachleitungen übernehmen
an der Schnittstelle zwischen universitärer und
schulpraktischer Lehrerausbildung eine im-
mens wichtige Aufgabe. Wegen miserabler Be-
zahlung und mangelnder Wertschätzung sind
allerdings immer weniger Lehrkräfte in der
Sek I bereit, diese Arbeit auf sich zu nehmen.
Das gefährdet die Qualität der Lehrerausbil-
dung insgesamt. Gerade vor dem Hintergrund
des Lehrkräftemangels und des hohen Bedarfs
an zusätzlich auszubildenden Seiteneinstei-
gern ist das eine fatale Entwicklung.
INFO
lehrer nrw
ruft dazu auf, die Petition zu
unterstützen. Sie kann unter dem fol-
genden Link völlig unkompliziert online
unterschrieben werden:
http://www.openpetition.de/Seminarausbildung
PERSONALRÄTE
10
Bild: AdobeStock/fba_designs
Bezirkspersonalrat Arnsberg für Realschulen
Mit Menschen,
für Menschen!
D
Der Bezirkspersonalrat Arnsberg für
Realschulen steht als Interessenvertre-
tung, vergleichbar dem Betriebsrat in
Unternehmen der Wirtschaft, für die Belange
der Beschäftigten ein. Im Schulbereich für die
Beamten und Angestellten, von der Schullei-
tung über die Lehrkräfte bis hin zum weiteren
pädagogischen Personal an den Schulen.
Das Gremium besteht aus derzeit 17 Mit-
gliedern, die an unterschiedlichen Realschu-
len des Bezirks Arnsberg tätig sind und unter-
schiedlichen Verbänden und Gewerkschaften
angehören. Damit sind sämtliche Regionen
und verschiedene schulpolitische Positionen
im Personalrat vertreten. Diese regionale und
organisatorische Vernetzung ist eine hervor-
ragende Grundlage, um weitreichende Infor-
mationen und Kontakte für die alltägliche
Arbeit des Personalrats sicherzustellen.
Denn Aufgabe des Personalrats ist es, dass
sämtliche Beschäftigten in allen Angelegen-
heiten, die der Mitwirkung (des Personal-
rats) unterliegen, nach Recht und Gesetz be-
handelt werden. Dies ist nicht immer eine
Selbstverständlichkeit, erst recht in Berei-
chen, in denen Sachverhalte erst klar und
eindeutig eruiert und/oder einer sachgerech-
ten rechtlichen Einordnung zugeführt wer-
den müssen.
Neben diesen grundsätzlichen Angelegen-
heiten, die als Tatbestände im Landesperso-
nalvertretungsgesetz (LPVG) aufgeführt sind,
ist es dem Personalrat ein großes Anliegen,
in allen weiteren relevanten Bereichen des
Berufslebens der Lehrkräfte deren Anliegen
zu vertreten, zum Beispiel beim Gesundheits-
schutz, bei Konfliktsituationen, bei besonde-
ren persönlichen Anlässen etc. Dabei gilt zu-
meist, Ziele bzw. Entscheidungen zwischen
diesen individuellen wie auch (teil-)kollekti-
ven Bedürfnissen und den dienstlichen Inte-
ressen des Dienstherrn abzuwägen.
Dem Personalrat ist sehr bewusst, dass die
derzeitige Gemengelage insbesondere die
letztgenannten Bereiche zu einem Schwer-
punkt der Personalratsarbeit gemacht haben,
die Möglichkeiten aber auf der Ebene der
Bezirksregierungen eher beschränkt sind.
Dennoch ist der Umgang mit diesen Fragen
vor Ort einer der Schlüssel, der maßgeblich
zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz führen
kann. Dazu bedarf es dann aber auch, dass
die Bezirksregierung in gleichem Sinn und in
vergleichbarem Maß zur Lösung beiträgt.
Da in diesen Fragen zumeist am Ende
auch die Frage der Erhaltung der Gesundheit
des Beschäftigten steht, gilt diesem Bereich
die ganz besondere Aufmerksamkeit des
Gremiums. Ulrich Gräler
Ulrich Gräler, BPR-Vorsitzender
PERSONALRATSWAHLEN 2024
Im kommenden Jahr finden wieder die Personalratswahlen statt.
Zur Einstimmung auf diese wichtige Wahl berichtet
lehrer nrw
in
einer kleinen Serie über die Arbeit der Personalräte auf Bezirks- und
Landesebene, in denen
lehrer nrw
vertreten ist. Diesmal sind die
beiden Spitzenkandidaten der Arnsberger Bezirkspersonalräte für
Realschulen sowie für Gesamt- und Sekundarschulen an der Reihe.
PERSONALRÄTE
11
Bezirkspersonalrat Arnsberg für Gesamt- und Sekundarschulen
Situation der MPT-
Fachkräfte verbessern!
Dirk Meyer, BPR-Mitglied
M
Multiprofessionelle Teams (MPT)
sind für viele Schulen eine un-
verzichtbare Hilfe geworden.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang,
dass die Arbeitsbedingungen stimmen.
Darum ist es ein Anliegen des Bezirksper-
sonalrats Arnsberg für Gesamt- und Se-
kundarschulen, die Situation der MPT-
Kräfte zu verbessern. Daher lud der BPR
zu einer Teilpersonalversammlung ein. Am
22. März fanden sich rund siebzig MPT-
Kräfte der Gesamt-, Sekundar- und PRI-
MUSschulen im Regierungsbezirk Arns-
berg in den Räumlichkeiten der Agnes-
Wenke-Sekundarschule in Arnsberg ein.
Nach einem Impulsvortrag eines HPR-Vor-
standsmitglieds konnten sie sich in von
Bezirkspersonalräten moderierten Arbeits-
gruppen über die positiven und negativen
Erfahrungen ihrer bisherigen Tätigkeit
austauschen.
Geschätzt wurde oft die Selbstständig-
keit in der Tätigkeit, die sich gelegentlich
auch auf den Einsatz erstreckt. Vor allem in
der Probezeit ist aus Personalratssicht zu
empfehlen, den eigenen Arbeitsplan der
Schulleitung vorzulegen bzw. die geleiste-
ten Stunden zu notieren.
Zur Sprache kamen die Fragen nach der
Rechtmäßigkeit des Einsatzes im Unter-
richt beim Ausfall der Lehrkraft und bei
Pausenaufsichten. Ein von der ausgebilde-
ten Lehrkraft unabhängiger Vertretungsun-
terricht (‘eigenständiger’ Unterricht) ist
nicht zulässig, sehr wohl aber eine »zeit-
weise Fortführung von gemeinsam geplan-
tem Unterricht (…) bei kurzfristigem Aus-
fall einer Lehrkraft«. Eine Betreuung mit
dem Arbeitsmaterial der Lehrkraft ist dem-
nach genauso möglich wie Pausenaufsich-
ten.
Unsicherheiten gab es auch hinsichtlich
der Einsatzgebiete von MPT-Kräften. Die
Aufgabenfelder sind im Inklusionskonzept
der jeweiligen Schule festgelegt. Dem ge-
äußerten Wunsch nach dienstlichen Endge-
räten kann nur auf Schulebene nachge-
kommen werden.
Der deutlichste Unterschied zwischen
den nach dem Erlass vom 19. Juli 2018
und den nach dem Erlass vom 5. Mai 2021
eingestellten MPTs besteht hinsichtlich der
durch die Alters- und Schwerbehinderten-
ermäßigung reduzierten Arbeitszeit. Wäh-
rend die MPT-21-Beschäftigten die glei-
chen Alters- und Schwerbehindertenermä-
ßigungen wie die Lehrkräfte in Anspruch
nehmen können, erhalten die MPT-18-
Kräfte lediglich die ermäßigte Arbeitszeit
bei einer Schwerbehinderung ab GdB 80
gemäß TV-L.
Einen schnellen Überblick und Vergleich
bietet nicht nur diesbezüglich die Broschü-
re der Bezirksregierung Detmold,
in der auch der aus Personalratsperspekti-
ve wichtigste Satz steht: »Eine weitgehen-
de Angleichung der Arbeitsbedingungen
für Fachkräfte im MPT der ersten und
zweiten Generation ist möglich (und wün-
schenswert).« Dirk Meyer
https://bit.ly/42nkEhx
lehrer nrw ·
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12
TITEL
Darum wollen
junge Leute
Lehrer werden
Wenn es um das Thema Lehrer-
mangel geht, wird der Ton in der
politischen Debatte in Nordrhein-
Westfalen schnell schrill bis alar-
mistisch. Es gibt viele Schuldzu-
weisungen und wenig konstruktive
Ansätze zur Frage, wie man junge
Menschen gewinnen kann, die
eben nicht Lehrerin oder Lehrer
werden wollen. Eher selten stehen
die im Fokus, die sich mit voller
Überzeugung und viel Leiden-
schaft für den Lehrerberuf ent-
scheiden. Höchste Zeit, das zu
ändern! Was sie bewegt und be-
geistert, erzählen zwei junge Lehr-
kräfte und eine Lehramtsstudentin.
»Das ist mein Traumberuf«
Sarah Bosson, 29
Wahrscheinlich wäre aus Sarah Bosson auch eine passable Eventma-
nagerin geworden. Doch dass das nicht ihr Weg ist, hat sie schnell
gemerkt und die kurz nach dem Abitur begonnene Ausbildung
nach nur zwei Monaten wieder beendet. Und das war eine gute Entschei-
dung. Das werden die Kinder und die Kolleginnen und Kollegen an der
Gottfried-Kinkel-Realschule in Erftstadt sicher gern bestätigen. Dort ist
Sarah Bosson seit 2020 tätig – zunächst als Referendarin und inzwischen
als Lehrerin. Sie unterrichtet Mathe, Englisch, Informatik und Wirtschaft.
»Das ist mein Traumberuf«, sagt die 29-Jährige mit voller Überzeugung.
Lehrerin zu werden, das konnte sich schon die
Schülerin Sarah Bosson vorstellen. Damals
gab sie bereits Nachhilfe und merkte,
dass sie eine didaktische Ader hat-
te. Freunde und Bekannte gaben
ihr früh mit auf den Weg: »Du
bist die geborene Lehrerin.«
Was sie an ihrem Beruf reizt:
»Die Arbeit mit den Kindern.
Wenn man es mit Leidenschaft
macht, kommt unheimlich viel
positive Energie zurück.«
Natürlich gibt es auch schlech-
te Tage. Wenn die Klasse durch-
Sarah
Bosson
TITEL
13
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lehrer nrw
»Ich säe,
und die Schüler ernten«
Rene Müller, 28
Die erste Arbeitsstelle von Rene Müller ist eine mit Herausforderun-
gen. Die Gesamtschule Nordstadt in Neuss sieht sich als Schule, die
allen Kindern und Jugendlichen gerecht werden will und muss – un-
abhängig davon, wie ihre Startsituation ins Leben im Einzelfall auch sein
mag. Hier hat der 28-Jährige sein Referendariat absolviert, hier will und wird
er bleiben. Zum 1. Mai hat er an seiner Wunsch-Schule seine erste volle Stelle
angetreten. Biologie und Sport sind seine Fächer.
Blauäugig ist Rene Müller nicht: »Meinen Praxisschock hatte ich schon«, sagt er. Entmu-
tigt hat ihn das nicht, eher bestärkt. Gerade weil die Arbeitsbedingungen so herausfordernd sind, reizt ihn die
Rene
Müller
dreht. Wenn renitente Schüler nerven. Wenn Eltern unsachlich wer-
den. Wenn das Abendprogramm nach einem stressigen Schultag aus
einem dicken Stapel unkorrigierter Klassenarbeiten besteht. Wenn
das Hamsterrad Tempo aufnimmt. Diese und andere Schattenseiten
hat auch die Jung-Lehrerin bereits kennengelernt. Was ihr dann hilft,
ist eine gute Portion Gelassenheit – und ein starkes Team, das hinter
ihr steht. »Ich bin an unserer Schule keine Einzelkämpferin. Ich be-
komme viel Unterstützung aus dem Kollegium«, sagt Sarah Bosson.
In diesem Bewusstsein ist es leichter, auch mal unpopuläre Ent-
scheidungen zu treffen, die der Lehrerberuf zwangsläufig mit sich
bringt. Schlechte Noten verteilen, zum Beispiel. »Ich versuche, das
als Motivation zu vermitteln, Ansätze aufzuzeigen, es beim nächsten
Mal besser zu machen. Und ganz wichtig ist es mir, den Schülern
immer das Gefühl zu geben: ‘Dass Du eine schlechte Note hast,
heißt nicht, dass Du schlecht bist‘.«
Sarah Bosson hat ihren Weg gefunden. Was sie jungen Menschen
raten würde, die noch auf der Suche sind und nicht sofort Schnapp-
atmung beim Gedanken an eine Lehrer-Laufbahn bekommen: Aus-
probieren! Reinschnuppern! »Ein Praktikum ist ein guter Einstieg.
Ich habe im Masterstudium eine Klassenassistenz gemacht. Das war
sehr hilfreich. Im Referendariat das erste Mal vor einer Klasse zu
stehen, ist zu spät.« jos
Foto: AdobeStock
Wie man es nicht macht, hat Chantal Diener während ihrer eigenen Schulzeit
zur Genüge erlebt. Da war zum Beispiel der Geschichtslehrer, einer vom
alten Schlag, der stoisch die Französische Revolution runterbetete. Unter-
richtsgespräch? Nicht vorgesehen. Nachfragen? Nicht erwünscht. Nicht nur, aber
auch wegen solcher Erlebnisse möchte die 20-Jährige
Lehrerin werden. Vier bis fünf Jahre wird es
noch dauern, ehe sie als ausgebildete Lehr-
kraft ihre Vorstellung von gutem Unter-
richt umsetzen kann – kreativ, span-
nend, modern, neue Lernmittel und
-methoden nutzend. Ihr Wunsch-Ar-
beitsplatz wäre an einer Realschule
oder Gesamtschule.
Derzeit studiert sie an der Uni
Köln Geschichte und Geografie auf
Lehramt, wird aber in Kürze Ge-
schichte gegen Deutsch eintauschen.
Der Gedanke, Lehrerin zu werden, keimte
schon früh, denn es gab in ihrer Schullauf-
bahn nicht nur den drögen Geschichts-Pauker,
sondern auch andere Lehrer-Typen: Leuchtende Vorbilder,
die begeistern konnten, weil sie selbst begeistert waren. Erste konkrete Berüh-
rungspunkte mit dem Lehrerberuf hatte Chantal Diener schon im neunten Schul-
jahr, als sie im Rahmen der Berufsorientierung ein Praktikum in einer Grundschule
lehrer nrw ·
3/2023
14
TITEL
»Ich möchte eine gerechte,
nahbare Lehrerin sein«
Chantal Diener, 20
Aufgabe: »Ich möchte helfen, Kindern mit den unterschiedlichsten
Startvoraussetzungen eine Perspektive für ihren Lebensweg zu er-
öffnen.« Die Rahmenbedingungen sind durchaus schwierig, denn
der Lehrkräftemangel macht sich auch an seiner Schule bemerk-
bar. Derzeit sind mehrere Stellen nicht besetzt. Kompensiert wird
das durch ein ausgeprägtes Miteinander im Kollegium und durch
ein überragendes Schulleitungsteam, betont Rene Müller.
Die schönsten Momente sind für den jungen Lehrer, wenn es
bei seinen Schützlingen ‘klick’ macht. »Manchmal kann man das
buchstäblich hören«, schmunzelt er. Zum Beispiel, wenn ein Schü-
ler im Praktikum im Rahmen der beruflichen Orientierung merkt,
dass er etwas richtig gut kann. Oder wenn eine Schülerin im Un-
terricht die Kurve kriegt: Das sind für die Kinder, aber auch für den
Lehrer echte Aha-Erlebnisse – und für beide Seiten enorm moti-
vierend. »Ich säe, und die Schüler ernten«, formuliert Rene Müller
sein Selbstverständnis. Ein Gedanke, den seine Schule auch ganz
praktisch in die Tat umsetzt, seit gemeinsam mit der ‘Ackerdemie’
ein schuleigener Acker bepflanzt und gepflegt wird.
Seine Herangehensweise beschreibt er als ‘freundliche Stren-
ge’: Locker und authentisch sein, aber auch klare Grenzen ziehen.
Eine dieser Grenzen ist Ehrlichkeit, sagt er: »Ich möchte nicht an-
gelogen werden. Wenn einer Mist baut, soll er zu seinem Fehler
stehen. Mir ist es wichtig, offen und fair mit meinen Schülerinnen
und Schülern umzugehen. Das Gleiche erwarte ich auch umge-
kehrt. Dann macht die Arbeit Spaß.«
Rene Müllers Antrieb ist die Sinnhaftigkeit seines Tuns, wie er
es selbst umschreibt: »Als Lehrkräfte können wir durch unser
Handeln die Zukunft junger Menschen mitgestalten. Das empfin-
de ich als sehr anspruchsvolle, aber auch ungeheuer reizvolle und
bereichernde Aufgabe jos
Chantal
Diener
machte. Spätestens danach war der Berufswunsch
‘Lehrerin’ unumstößlich. Ein Eignungs- und Orien-
tierungspraktikum im vergangenen Semester bestä-
tigte ihr, auf dem richtigen Weg zu sein.
Was sie an ihrem künftigen Beruf reizt, ist die
Arbeit mit und für Kinder und Jugendliche: »Ich
möchte junge Menschen begleiten und fördern,
indem ich ihnen Wissen vermittle und ihnen zeige,
dass Lernen auch mit Spaß zusammenhängen kann.
Man kann die Erfolge der Schülerinnen und Schüler
hautnah miterleben und ihnen helfen, ihre Poten-
ziale zu entdecken und zu nutzen. Das empfinde ich
auch für mich sehr motivierend und bereichernd.«
Die Studentin Chantal Diener hat klare Vorstel-
lungen, wie die künftige Lehrerin Chantal Diener
sein soll. Gerechtigkeit ist dabei eine ganz zentrale
Eigenschaft. »Ich habe mich in der Oberstufe von
einer Lehrerin ungerecht behandelt gefühlt, habe
mich aber nicht getraut, sie darauf anzusprechen,
weil ich Angst hatte, dadurch erst recht Nachteile
zu haben«, erinnert sie sich. Diese Angst sollen Kin-
der in ihren Klassen nie haben. »Ich möchte eine
gerechte, nahbare Lehrerin sein, die ein offenes Ohr
für alle Schülerinnen und Schüler hat.« jos
Bürger mit gefühltem Wissen
sind leichter manipulierbar
Die MINT-Dämmerung im deutschen Bildungswesen und ihre Folgen
Fragmentiertes Wissen:
Die kompetenzorientierte
Bildung vermittelt weniger
fundierte Grundlagen,
sondern eher prüfungs-
relevante Wissensbausteine.
15
3/2023 · lehrer nrw
Betrachtet man das deutsche Bildungswesen
über einen längeren Zeitraum, so hat es zwei-
fellos eine Zäsur in den Jahren 1999 mit der
Einführung des Bologna-Prozesses in die deut-
schen Hochschulen als auch 2000 mit der ersten PISA
Studie für das Schulwesen gegeben. Die Einführung ei-
nes modularen Studiums mit der Vergabe von Credit
Points, der Berechnung von Workloads verbunden mit
dem ständigen Abprüfen teilweise nicht verstandener
Inhalte in den entsprechenden Modulabschlussprüfun-
gen brachte nicht nur den ein oder anderen Reform-
dagogen ins Grübeln. Heute ist die Umstellung trotz aller
Kritik weitgehend abgeschlossen, wenn auch keines der
hochgesteckten Ziele erreicht wurde. Weder die ange-
strebte Senkung von Durchfall- und Abbrecherquoten,
die Vervielfachung von Auslandssemestern, die Verkür-
zung der Studienzeiten, die ‘Entrümpelung’ von Inhalten
in den Studiengängen, noch die Vergabe eines ersten
akademischen Abschlusses in Form des Bachelors – letz-
terer ist in seiner Bewertung komplett gescheitert – kann
als Erfolg gebucht werden. Darüber täuschen auch die
nunmehr kompetenzorientiert beschriebenen Module in
den einzelnen Studiengängen nicht hinweg. Denn diese
entsprechen dem üblichen ‘BlaBla’ der kompetenzorien-
tierten Lehrpläne für Schulen, die dem deutschen Schul-
wesen im Rahmen von Bildungsstandards übergestülpt
wurden. Den Schülerinnen und Schülern fehle es an
Kompetenzen, so das Fazit der Bildungsexpertise von
2003. (1) Da der Kompetenzbegriff von jeher als eher dif-
fus empfunden und durchaus unterschiedlich interpre-
tiert wurde, hat man sich auf den Kompetenzbegriff
nach Weinert geeinigt (2), der in seinen Kernaussa-
Foto: AdobeStock/pinkeyes
gen ganz allgemein formuliert das Wollen, Können und die
Anwendungsbezogenheit thematisiert.
Der Aufstieg und Fall der MINT-Fächer
Viele Erziehungswissenschaftler und Kritiker aus nahezu
allen Bildungsbereichen brachte allein die hinter diesen
Konzepten stehende ‘Ökonomisierung der Bildung’ auf die
Palme. (3-5) Nicht wenige sprachen von ‘Ware Bildung’ (6).
Nicht wenige Wissenschaftler selbst im anglo-amerikani-
schen Raum hielten diese Entwicklung in Deutschland von
Anfang an für desaströs (7). Dahinter steckte die von der
OECD schon immer wieder vorgetragene Kritik am Bildungs-
wesen im deutschsprachigen Raum, es sei mit dem anglo-
amerikanischen sowohl von den Inhalten als auch von den
Abschlüssen her nicht kompatibel. (8) Das duale Bildungswe-
sen sei einzigartig in der Welt, völlig veraltet und würde
Deutschland in den kommenden Jahren auch ökonomisch
gegenüber den allseits in anderen Ländern erhöhten Aka-
demikerzahlen ins Verderben führen. Auch die in den Bil-
dungsstandards festgeschriebene Kompetenzorientierung
traf auf weitgehende Kritik. (9-12)
Ohne auf diese Prozesse weiter einzugehen, ist es mehr
als offensichtlich, dass im Rahmen der Ökonomisierung den
MINT-Fächern allein zur Erhaltung des Wohlstandes eine
zentrale Bedeutung beigemessen wurde. Schließlich habe
die PISA Studie von 2000 und auch vorhergehende TIMS-
Studien gezeigt, dass hier entsprechender Handlungsbe-
darf nötig sei.
In Folge des nunmehr seit 2000 gestarteten Bildungsmoni-
torings – in Deutschland war die Vermessung von Bildungser-
gebnissen bis dahin weitgehend unbekannt und wurde
auch hier der Kritik unterzogen (13,14) – sollten engmaschige
Überprüfungsszenarien an den Schulen gestartet werden, die
in der Folge die festgestellte Mängellage nachhaltig in bes-
sere Ergebnisse umwandeln könne. Das hörten die teilweise
nichts von der Materie verstehenden Bildungsminister (vor-
mals Kultusminister) gerne und ließen in den letzten zwanzig
Jahren eine Vielzahl von Studien durch die Schulen laufen,
um im ‘Bildungsranking’ – dem für Politiker einzig interessan-
ten Ergebnis – wieder die vorderen Plätze belegen zu können.
Kritiker fragen zu Recht nach den Ergebnissen dieser Vorge-
hensweise. Vom vielen Wiegen scheint die Sau nicht fetter zu
werden. Ganz im Gegenteil: gerade die aktuelle Grundschul-
studie von 2021 zeigt im internen Vergleich der Studien von
2010 und 2015 eine starke Beschleunigung des negativen
Trends seit 2015 an. Davon sind als Abnehmer der Absolven-
ten natürlich alle Schulformen nachhaltig betroffen. Eine ak-
tuelle Studie des Neuseeländers John Hattie weist zwar da-
rauf hin, dass es weltweit zu einer Leistungsminderung vor-
nehmlich durch Corona gekommen sei. (15) Allein dies erklärt
nicht den in Deutschland schon seit 2015 zu beobachtenden
dramatischen Absturz.
Jetzt kann man die Frage stellen, was dies alles mit den
MINT-Fächern zu tun habe. Thematisiert wurde in all diesen
Studien nur Mathematik, Deutsch und allgemein die Natur-
wissenschaften. Von einem generellen Bildungsmonitoring
kann daher kaum die Rede sein, da die meisten der für eine
ehemals grundlegende Bildung verantwortlichen Fächer
überhaupt nicht überprüft wurden und werden: Geschichte,
Geographie, Sprachen, Musik, Kunst und andere geistes-
wissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Fächer.
Die MINT-Fächer und ihre Entwicklung seit Einführung
der Bildungsstandards
Betrachten wir aber nun unter der Themenstellung die MINT-
Fächer im Speziellen. Nur die TIMS-Studien enthielten in klei-
neren Untersuchungsteilen einige wenige Fragen zur Physik,
Chemie oder den Biowissenschaften. Von Kritikern wurde so-
gar deren Aussagekraft generell in Zweifel gesetzt. (16) Letzt-
endlich geht es in den Studien nur um Mathematik, Fragen
zur Anwendung und dem Verständnis von Sprache. Nicht
überraschend ist, dass eine Korrelation in den erzielten Kom-
petenzen zwischen dem Sprachverständnis und der Mathe-
matik in allen Studien geradezu auffällt. Das mag Praktikern
vor Ort in den Schulen erst einmal wenig nachvollziehbar
sein, denn viele der Schülerinnen und Schüler, die in Mathe-
matik, Chemie und Physik sehr gute Leistungen erzielen, sind
im Fach Deutsch nicht gerade als Überflieger bekannt (und
umgekehrt).
Bei näherem Hinsehen lässt sich dieser Widerspruch zur
gängigen Studienlange aber leicht erklären. Alle mathema-
tischen Aufgabenstellungen in den einschlägigen Studien
sind kompetenzorientiert formuliert. Auch die Abituraufga-
ben wurden bereits in den Nuller Jahren entsprechend um-
gestellt. In der Praxis bedeutet dies, dass es weniger auf die
Beherrschung der zugrunde liegenden Fakten und Techni-
ken des Rechnens ankommt – die übernimmt selbst im
Abitur der meist im Einsatz befindliche grafikfähige Taschen-
rechner – sondern auf die Entkleidung eines teilweise schwer
verständlichen Textes auf seine grundlegende mathemati-
sche Anforderung.
Kompetenzorientierte Schulmathematik auf Abwegen
Nun hätte niemand etwas gegen die Vermittlung eines
mathematischen Verständnisses. Davon kann aber ganz
offensichtlich keine Rede sein. Denn die Hochschulen müss-
ten ja frohlocken, derart gut ausgebildete Studienanfänger
zu bekommen. Das Gegenteil ist der Fall. Es betrifft längst
nicht nur die Mathematik: Ingenieurwissenschaften, Natur-
wissenschaften, Volks- und Betriebwirtschaft, Teile der Sozial-
und Politikwissenschaften oder die vielfältigen Business-Stu-
diengänge an Fachhochschulen sind von dieser negativen
Entwicklung massiv betroffen. Nicht einmal die mathemati-
schen Kenntnisse der Mittelstufe seien vorhanden, so die viel-
16 3/2023 · lehrer nrw
fältigen Klagen. Extrem hohe Durchfall- und Abbrecher-
quoten zwangen dann auch die Politik dazu, mit viel
Geld die Hochschulen auszurüsten, um in einer Art
Nachhilfekurse die Mathematik zu vermitteln, die für die
erfolgreiche Absolvierung eines Studiengangs nun ein-
mal nötig ist. Geschätzte 90 Prozent der Schülerinnen
und Schüler sind aber darauf angewiesen, den fehlen-
den mathematischen Schulstoff im Schnelldurchgang
vor der Aufnahme des Studiums vermittelt zu bekom-
men. Ganz offensichtlich ist die Kohärenz zwischen
Schule und Hochschule weitgehend abhandengekom-
men, obwohl das Abitur nach wie vor die Studienbe-
rechtigung darstellt.
Viele Mathematiker an den Hochschulen waren und
sind entsetzt über diese Entwicklung. ‘Von allen guten
Geistern verlassen, (17) ‘Denken darf hier nur der Ta-
schenrechner (18) oder ‘Die Erhöhung der Abiturienten-
quote als Form der alchemistischen Goldherstellung’ (19)
sind nur einige der Kommentierungen. Dass die Ent-
wicklung gerade in den MINT-Fächern in Deutschland
negativ verläuft, weist auch der aktuelle Eurydice Re-
port von 2022 nach, der von der Europäischen Kommissi-
on herausgegeben wird (20): Increasing achievement
and motivation in mathematics and science learning
in schools. Der Bericht bescheinigt Deutschland schlech-
te Leistungen in Mathematik und den Naturwissen-
schaften. »In Deutschland lag der Anteil der Schülerin-
nen und Schüler mit schlechten Leistungen unter den
15-Jährigen 2018 in Mathematik bei 21,1 und Naturwis-
senschaften 19,6 Prozent. Damit landet Deutschland auf
Platz 17 von insgesamt 37 ausgewerteten Ländern. Auf
den ersten drei Plätzen bei Grundkenntnissen in Mathe-
matik und Naturwissenschaften rangieren Estland,
Dänemark und Polen.« (21)
Der Stifterverband berichtet mit Zitierung aus der
gleichen Studie, dass Deutschland bezogen auf den
Informatikunterricht abgehängt sei. Während fast alle
anderen europäischen Länder Informatikunterricht
verpflichtend in ihre Curricula übernommen hätten,
friste der Informatikunterricht in Deutschland nach
wie vor ein Mauerblümchendasein. Demnach gehört
Deutschland zu den 9 von 37 europäischen Staaten,
die keine informatische Grundbildung garantieren
können. (22)
Auch in den Naturwissenschaften wird die Kluft
zwischen Schule und Hochschule immer größer
Diese Entwicklung gepaart mit der Abkopplung schuli-
scher Inhalte von denen der Hochschule zeigt sich
längst nicht nur in der Mathematik. Auch in den Bio-
wissenschaften werden schon Erstsemestern knallharte
Fakten auch in den chemischen Grundlagen abver-
langt. Die Entwicklung des Faches Biologie an der Schu-
le deutet eher auf das Gegenteil hin. Projektunterricht
mit fachübergreifenden Themen, wie beispielsweise Kli-
mawandel und Artenvielfalt, werden in Gruppenarbeit
oftmals internetbasiert ohne tiefgreifendes Grundlagen-
wissen abgehandelt. Man ist durchaus biologisch inte-
ressiert, ist aber mehr als verwundert, dass vor allem im
grundlegenden Bachelor-Studiengang mehr oder weni-
ger ausschließlich knallharte Fakten vermittelt und re-
produziert werden müssen, an denen viele scheitern. Als
Beispiel zu dem konträren Verlauf zwischen Schule und
Hochschule können die kompetenzorientierten Abitur-
aufgaben dienen, zu deren Lösung man zwar ein Text-
verständnis benötigt, aber so gut wie kein Faktenwissen
nachweisen muss. Dies haben die Untersuchungen des
fachlichen Schwierigkeitsgrades von Abituraufgaben
im Fach Biologie in verschiedenen Bundesländern ein-
deutig ergeben. (23-26) Nicht zuletzt die Streifenhörnchen
gelangten dadurch zu einem fragwürdigen Ruf. Sie
waren nämlich das Thema einer entsprechenden Leis-
tungskursaufgabe in NRW 2009, die selbst von Neunt-
klässlern ohne größere Probleme zu lösen war. (27) Solche
Aufgabenstellungen gibt es an den Hochschulen nicht!
Weitere Gründe für die Dämmerung
in den MINT-Fächern
Nun ist die Kompetenzorientierung in den Schulen nicht
der einzige Grund für zurückgehende Lernleistungen.
Ein weiterer Grund ist die allmähliche Absenkung der
Ansprüche, die zwar zur vermeintlichen Mehrvergabe
an Zertifikaten führt, die Leistungsansprüche aber stän-
dig absenkt. (28) Die inflationäre Vergabe von Abitur und
Bachelor mag zwar so manchem Verantwortlichen al-
lein aus sozialpolitischen Gründen gerecht erscheinen,
bedeutet jedoch deren Abwertung und wird selbst im
ökonomischen Sinne den Wohlstand kosten, den wir bis-
her im internationalen Vergleich erreicht haben. Nicht
unter den Teppich zu kehren ist auch ein aktuell vielsei-
tig diskutiertes ‘Migrantenproblem’ im Bildungssek-
17
3/2023 · lehrer nrw
Prof. Dr. Hans Peter Klein
ist Präsident der Gesell-
schaft für Didaktik der
Biowissenschaften, hat-
te bis 2018 den gleich-
namigen Lehrstuhl an
der Goethe Universität
Frankfurt inne, ist Mitbe-
gründer der Gesellschaft für Bildung und Wissen und
war in den 80er und 90er Jahren Gymnasiallehrer
am Städtischen Gymnasium in Rheinbach/NRW.
DER AUTOR
18 3/2023 · lehrer nrw
tor als Folge einer unkontrollierten Einwanderung aus bil-
dungsfernen Schichten seit 2015 (29, 30). Dass deren Kinder oft
auch wegen fehlender elterlicher Unterstützung und/oder
Unzulänglichkeiten in der deutschen Sprache massiv von
dieser negativen Entwicklung betroffen sind, ist mehr als of-
fensichtlich und wird durch die aktuelle Studienlage eindeu-
tig bestätigt. Die vielfach hoch gelobte Diversität der Lernleis-
tungen von Schülerinnen und Schülern ist derart eklatant an-
gewachsen, dass ein allen förderlicher Unterricht kaum noch
möglich ist, besonders in Brennpunktschulen mit hohen Mig-
rantenanteilen. Bildungsinteressierte Eltern, die über genü-
gend Kleingeld verfügen, wechseln den Stadtteil oder geben
ihr Kind gleich in die Obhut von boomenden Privatschulen.
Das wiederum vergrößert das Problem.
Faktenwissen als Grundlage von mündigen Bürgern?
Die Vermittlung und das verstehende Lernen von grundle-
genden Wissensbestandteilen, die einen Heranwachsenden
erst zu einem mündigen Menschen machen, sind eine der
vornehmsten Aufgaben von Schule. Informationen zu goo-
geln, von denen man nicht einmal weiß, ob sie denn stim-
men, ist keinesfalls mit Wissen zu verwechseln. Dazu werden
sie erst nach fachlicher und pädagogischer Aufarbeitung
durch qualifiziertes Lehrpersonal. Betrachtet man heute bei-
spielsweise die Klimaaktivisten von Fridays for Future,
Extinction Rebellion oder auch die der Letzten Generation ist
es erschreckend, mit welchen grundlegend fehlenden Fach-
kenntnissen sie in öffentlichen Talkshows kokettieren. Ge-
schätzte 95 Prozent verfügen über kein fundamentales
Grundlagenwissen zu den chemischen oder biologischen
Sachverhalten des Klimawandels oder gar der Biodiversität.
Man setzt sich für den Artenschutz ein, obwohl man kaum
Arten kennt, setzt sich für die Decarbonisierung ein, obwohl
man nicht einmal die chemischen Grundlagen von Kohlen-
stoffdioxid oder Methan kennt, ja nicht einmal weiß, was
überhaupt ein Dipol-Molekül ist oder ob es noch andere treib-
hausrelevante Effekte gibt. Auch die vielfältigen Reaktions-
möglichkeiten dieser und anderer Gase sind für die meisten
Vertreter dieser Gruppierungen böhmische Dörfer. Man
schließe sich vielmehr der Meinung der Wissenschaft an,
ist das Credo. Anscheinend weiß man nicht einmal, dass
Wissenschaft der Streit um die Wahrheit ist. Wo der Streit ab-
handengekommen ist, gibt es keine Wissenschaft mehr. Teile
der Politik und auch der Medien scheinen den mündigen
Bürger nicht mehr auf ihre Fahnen geschrieben zu haben.
Denn Bürger mit gefühltem Wissen sind leichter mit Worten
manipulierbar.
Quellen
(1) Klieme, Eckhard; Avenarius, Hermann; Blum, Werner; Döbrich, Peter; Gruber, Hans;
Prenzel, Manfred; Reiss, Kristina; Riquarts, Kurt; Rost, Jürgen; Tenorth, Heinz-Elmar;
Vollmer, Helmut J.; Bundesministerium für Bildung und Forschung: Zur Entwicklung
nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Bonn, Berlin: BMBF 2003, 224 S. -
(Bildungsforschung; 1) - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-209019
(2) Weinert, F. (2002). Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – Eine umstrittene
Selbstverständlichkeit. In: Weinert, F. (Hrsg.): Leistungsmessung in Schulen. 2.,
unveränderte Auflage, Beltz: Weinheim, Basel, 17-31.
(3) Reichenbach, Roland: Editorial. Bildungsreform und Reformkritik - Einleitende
Bemerkungen - In: Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 34 (2012) 1, S. 5-12
(4) von Kuehnheim, Eberhard (2011) Wider die Ökonomisierung der Bildung. FAZ 87,
S N5, 13.04. Frankfurt
(5) Liessmann, K. (2007) Theorie der Unbildung. Zsolany, Wien
(6) Krautz, J. (2007): Ware Bildung. Schule und Universität unter dem Diktat
der Bildungsökonomie. München: Diederichs.
(7) Young, C./Gumbrecht, H.U. (2012): Eine deutsche »akademische Königsklasse«?
In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 153, N5.
(8) Niemann, D. (2010): Changing Patterns in German Education Policy Making –
The Impact of International Organizations. TranState Working Papers No. 99. Sfb 597
»Staatlichkeit im Wandel« − »Transformations of the State«, Bremen
(9) Begegnung (2018) „Kompetenzorientierung ist nicht eine Erfindung von
Pädagogen, sondern von der OECD in Paris. Andreas Gruschka im Interview
mit Stefany Krath, – Deutsche schulische Arbeit im Ausland, Heft 1
(10) Klein, H.P. (2021) Ist das Kompetenz oder kann das auch weg? In: Lehren aus
dem Bildungswesen für den außerschulischen Bereich. Punktum 1/21, S. 4-9
(11) Ladenthin, V. (2011): Kompetenzorientierung als Indiz pädagogischer
Orientierungslosigkeit. In: Profil Nr. 9, 1-6
(12) Gruschka, Andreas (2016): Entsachlichung. Wie man die Sache der Pädagogik
zum Verschwinden bringt zum Zweck ihrer Kolonisierung. In: Pädagogische
Korrespondenz, Heft 53, S. 47-57.
(13) Dammer, K.H. (2015) Vermessene Bildungsforschung. Pädagogik und Politik,
Bd. 8, Schneider Verlag
(14) Meyerhöfer, Wolfram (2013) Empirische Gewissheit gibt es nicht.
In. FAZ v. 27.09.2013, Frankfurt
(15) Hattie, J. und Zierer, K im Interview mit News4Teachersv. 02.01.2023
https://www.news4teachers.de/2019/03/star-bildungsforscher-john-hattie-im-
news4teachers-interview-es-gibt-nicht-die-unterrichtsmethoden-die-per-se-eine-
hohe-wirksamkeit-haben/
(16) Klein HP, Jahnke Th, Kühnel W, Sonar T, Spindler M (2014) Sind Hamburgs
Abiturienten mathematisch und naturwissenschaftlich klüger geworden? Nach
welchen Maßstäben übertrifft das achtjährige Gymnasium das neunjährige?
Qualitative Analyse der in den Studien KESS 12 und KESS 13 eingesetzten Testinstru-
mente im Bereich Mathematik/Naturwissenschaften. In: Vierteljahrsschrift für
wissenschaftliche Pädagogik. 89. Jg. Heft 4. Paderborn: Schöningh
(17) Wittmann, Erich Ch. (2014) Von allen guten Geistern verlassen. Fehlentwicklungen
des Bildungssystems am Beispiel der Mathematik. Profil, Nr. 6, Düsseldorf
(18) Bandelt Hans Jürgen und Matschull, Hans Jürgen (2016) Denken darf hier nur
der Taschenrechner. In: FAZ, 28.05 Nr. 122
(19) Klein HP, Jahnke T, Kühnel W, Sonar T, Spindler M (2015) Die Erhöhung der Abituri-
entenrate als kognitive Form der alchemistischen Goldherstellung. Profil 3. Das Maga-
zin für Gymnasium und Gesellschaft. Pädagogik und Hochschulverlag Düsseldorf
(20) Eurydice
(21) Europäische Kommission. Vertretung in Deutschland. Pressemitteilung vom
30.06.2022 https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eurydice-bericht-
schlechte-leistungen-mathematik-und-naturwissenschaften-2022-06-30_de
(22) Stifterverband (2023): Informatikunterricht: Deutschland abgehängt in Europa.
Eine Vergleichsstudie zu Informatik in Europa. Heinz Nixdorf Stiftung.
https://www.stifterverband.org/sites/default/files/informatikunterricht_
deutschland_abgehaengt_in_europa.pdf
(23) Klein HP (2010) Bildungsstandards auf dem Prüfstand – Der Bluff der Kompetenz-
orientierung. Vierteljahreszeitschrift für wissenschaftliche Pädagogik 3. Schöningh,
Paderborn
(24) Klein, H.P.& Dietz, C. Die Hamburger See-Elefanten. Eine vergleichende qualitative
Analyse von zwei Zentralabituraufgaben im Fach Biologie von 2005 und 2010. Journal
für Didaktik der Biowissenschaften (JfdB) 5,(2014) 72-90
(25) Klein, H.P. (2023) Die Hamburger Abituraufgaben von 2005 bis 2015.
Journal für Didaktik der Biowissenschaften (F), in press
(26) Klein, Hans Peter (2016) Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen.
Das deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel. ZuKlampen, Springe
(27) Klein, Hans Peter (2010): Die neue Kompetenzorientierung. In: Journal für
Didaktik der Biowissenschaften (F) 1, 1-8.
(28) Klein, Hans Peter (2018) Abitur und Bachelor für alle. Wie ein Land seine
Zukunft verspielt. ZuKlampen, Springe
(29) HP Meidinger im Interview mit Focus Online 2023): Integration in der Schule.
Lehrerverband zur Merz-Triade: »Wir haben ein Integrationsproblem«. 12.01.
(30) Kraus, J (2023): Nicht nur ein Silvesterproblem. Tichys Einblicke. 06.01.
Dieser Beitrag ist ein leicht gekürzter Nachdruck aus ‘Blickpunkt Schu-
le’ (Ausg. 1/2023), der Zeitschrift des Hessischen Philologenverbandes.
INFO
lehrer nrw ·
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20
SERIE HAUPTSCHULEN
Hauptschule
im Aufbruch
Mit einem hochmodernen Schulneubau setzt die Stadt Düssel-
dorf ein Zeichen der Wertschätzung für die Schulform Haupt-
schule im Allgemeinen und für die Arbeit der Gemeinschafts-
hauptschule Benrath im Besonderen.
Fotos (3x): GHS Benrath
D
Das Happy End für die GHS Benrath
ist eigentlich kein Ende, sondern ein
Neuanfang. Dem ging eine lange
Leidenszeit voraus. Der Altbau an der Me-
lanchthonstraße war völlig marode, einige
Klassen waren gar einsturzgefährdet. Zehn
Jahre lang wurde in Containern unterrich-
tet. Dem Image der Schule war das nicht
zuträglich. Die hervorragende pädagogi-
sche Arbeit wurde in der Außendarstellung
immer wieder überlagert von der miserab-
len Raumsituation. »Es war ein stetiger
Kampf für die Schulgemeinschaft, ob unse-
re Schule erhalten bleibt«, erinnert sich
Schulleiter Tobias Steiger, der vor zwei Jah-
ren die Schulleitung übernommen hat.
30,6 Millionen Euro
Investitionsvolumen
Dieser Kampf ist einstweilen gewonnen:
Denn am 31. Mai 2022 bezog die GHS
Benrath nach dreijähriger Bauzeit und
vorübergehender Unterbringung in einem
Interimsgebäude an der Kappelerstraße ihr
neues Domizil am alten Standort. Die Stadt
Düsseldorf als Schulträgerin hatte sich für
die große Lösung entschieden: 30,6 Millio-
nen Euro nahm die Stadt in die Hand und
errichtete damit nicht nur ein hochmoder-
nes Schulgebäude, sondern setzte zugleich
ein Zeichen für die Schulform Hauptschule.
Das Entree bildet eine imposante, licht-
durchflutete Eingangshalle, die sich über
drei Geschosse erstreckt. Sie bildet den so-
genannten Markplatz der Schule und dient
als Ort der Begegnung im Schulalltag. Die
freistehende Zweifeldsporthalle mit Tribüne
hat eine Fläche von knapp 2.000 Quadrat-
metern und eröffnet ganz neue Möglichkei-
ten für den Schulsport. Auf dem weitläufi-
gen Schulhof finden sich unter anderem ei-
ne moderne Calisthenics-Anlage, ein Basket-
Die lichtdurchflutete
Eingangshalle bildet das
imposante Entree der neuen
Gemeinschaftshauptschule Benrath.
Über 30 Millionen Euro investierte die Stadt
Düsseldorf in den Hauptschul-Neubau,
der 320 Kinder beherbergt.
SERIE HAUPTSCHULEN
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3/2023 ·
lehrer nrw
ballfeld und ein Soccer-Platz. Die Offenheit
und Transparenz, die der Neubau nach in-
nen und außen vermittelt, spiegelt sich auch
in den Unterrichtsräumen wider. Diese sind
in einer Clusterstruktur angeordnet: Um ei-
nen zentralen Mehrzweckraum gruppieren
sich jeweils vier Klassenräume und ein klei-
nerer Differenzierungsraum. Das gewährleis-
tet ein enges Miteinander und einen ständi-
gen Austausch zwischen den Lehrkräften so-
wie den Schülerinnen und Schülern. Die ruhi-
ge Lernatmosphäre in den Differenzierungs-
räumen ermöglicht darüber hinaus eine
optimale individuelle Förderung. Nach innen
sind die Klassenräume mit Glaswänden aus-
gestattet. Diese architektonische Besonder-
heit steht sinnbildlich für die Offenheit des
Bildungsgedankens in der GHS Benrath.
Familiäre Atmosphäre
Doch die Hauptschule im Düsseldorfer Sü-
den überzeugt nicht nur durch ihre bauli-
chen Qualitäten. Auch pädago-
gisch-didaktisch ist die GHS
Benrath auf der Höhe der Zeit.
Ein 40-köpfiges Kollegium, zu
dem unter anderem drei Schul-
sozialarbeiterinnen und eine
Berufseinstiegsbegleiterin ge-
hören, bereitet rund 320 Schü-
lerinnen und Schüler aufs Le-
ben vor. Die familiäre Atmo-
sphäre zählt für Schulleiter
Tobias Steiger zu den großen
Stärken seiner Schule: »Wir
sind ein kleines System, jeder
kennt jeden. Bei uns sind die einzelne Schü-
lerin und der einzelne Schüler keine Num-
mer.« Großen Wert legt Steiger darauf, dass
die GHS Benrath nicht nur Bildung vermit-
telt, sondern auch Werte und Tugenden wie
Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft
und Toleranz.
Smartphones verboten!
Eine Besonderheit ist das strikte Smartpho-
ne-Verbot in der Schule und auf dem Schul-
gelände. Kinder, die dennoch mit einem Ge-
rät erwischt werden, müssen ihr Smartpho-
ne abgeben und bekommen es am Folgetag
zurück. Was freilich nicht heißt, dass sich
die GHS neuen Entwicklungen verschlie-
ßen würde, im Gegenteil: Für jede Lehr-
kraft und alle Schülerinnen und Schüler
steht ein eigenes iPad zur Verfügung. Alle
Unterrichtsräume sind mit Beamern und
Smartboards ausgestattet. Zeitgemäße
IT-Ausstattung ist für Steiger jedoch kein
Selbstzweck: »Ich bin kein Verfechter der
Devise ‘Tablet statt Kreide‘. Digitale Me-
dien können das Lernen sinnvoll unterstüt-
zen, aber niemals den direkten Unterricht,
den persönlichen Kontakt zwischen Leh-
rern und Schülern ersetzen.« Das zahlt sich
aus: Die Abbrecherquote ist sehr gering,
und in der Regel führt die GHS eine zehnte
Klasse zum Hauptschulabschluss und eine
zum Realschulabschluss.
Stark bei Berufs-
orientierung und
Integration
Zu den Stärken der GHS Benrath gehört
auch ein breites Angebot zur Berufsorien-
tierung, erklärt Konrektorin Miriam Füller,
die zugleich Stubo-Koordinatorin für die
Berufliche Orientierung ist. Das beginnt in
Klasse 9 mit einem zweiwöchigen Block-
praktikum, gefolgt von einem Langzeit-
praktikum in Klasse 10. Eine Berufsein-
stiegsbegleiterin bietet Unterstützung zum
Beispiel bei der Praktikums- und Ausbil-
dungsplatzsuche oder bei Bewerbungsver-
fahren. Das endet übrigens nicht mit Ende
der Schullaufbahn: Im ersten Jahr nach
Verlassen der Schule gibt die Berufsein-
stiegsbegleiterin den Jugendlichen Halt
und Stabilität und hilft ihnen, sich in der
neuen Azubi-Rolle zurechtzufinden.
Stark ist die GHS Benrath darüber
hinaus in der Integration. Kinder aus
38 Nationen lernen hier gemeinsam. Viele
kommen nicht alphabetisiert in den Seiten-
einsteigerklassen an und werden Schritt
für Schritt an die Regelklassen herange-
führt, berichtet Steiger. In diesem Schuljahr
werden zum Beispiel zwei junge kurdische
Mädchen ihren Realschulabschluss ma-
chen. Sie waren vor sechs Jahren an die
GHS Benrath gekommen, ohne ein Wort
Deutsch zu sprechen.
Jochen Smets
INFO
In Nordrhein-Westfalen gibt es (immer noch) rund 170 Hauptschulen, etwa 6.100 Haupt-
schul-Lehrkräfte und 48.000 Hauptschüler. Und doch bewegt sich die Hauptschule in der
öffentlichen Wahrnehmung und beim Image unter dem Radar. Aber gerade in Zeiten, da
Schlagworte wie Fachkräftemangel, individuelle Förderung oder Integration die (schul-)
politische Diskussion prägen, kann die Hauptschule ihre Stärken ausspielen. Höchste Zeit
also, die vermeintlich vergessene Schulform wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein zu
rücken.
lehrer nrw
tut dies mit einer Serie, in der wir in loser Folge Hauptschulen vorstel-
len, die mit innovativen Konzepten und guter Arbeit erfolgreich sind.
Die Unterrichtsäume sind
in einer Cluster-Struktur
angeordnet. Glaswände
unterstreichen die Offen-
heit des Bildungskonzepts.
lehrer nrw ·
3/2023
22
SCHULE & POLITIK
Vom Wiegen wird
die Sau nicht fett
Der Unterrichtsausfall ist ein beliebtes Thema der jeweiligen
Opposition. Diese pflegt der jeweiligen Landesregierung dann
vorzuwerfen, sie tue entweder gar nichts gegen das Problem
oder das falsche – oder beides zusammen. Diesmal gibt es rot-
gelbes Unterrichtsausfall-Bashing gegen schwarz-grün.
G
Grund der aktuellen Attacken:
Schulministerin Dorothee Feller
hatte Anfang Februar noch einmal
bekräftigt, dass es bei ihrer Ankündigung
vom September 2022 bleibe: Nämlich,
dass die systematische Erfassung des
Unterrichtsausfalls auch für das gesamte
Schuljahr 2022/23 ausgesetzt bleibe, um
die Schulen in der Corona-Pandemie zu
entlasten. Aufgrund der inzwischen recht
entspannten Corona-Lage sah die SPD
indes keinen Grund mehr, die Wiederauf-
nahme der Unterrichtsstatistik ‘UntStat’
weiter aufzuschieben.
Ein Ministeriumssprecher verwies laut
einem Bericht der Rheinischen Post unter
anderem auf den russischen Angriffskrieg
gegen die Ukraine, in dessen Folge die
Schulen vor der neuen Herausforderung
stünden, viele geflüchtete Schülerinnen
und Schüler aufzunehmen und zu integrie-
ren. Vor diesem Hintergrund und im Inte-
resse einer verlässlichen Kommunikation
habe die Landesregierung entschieden, an
der zugesagten Entlastung bis zum Beginn
des neuen Schuljahres festzuhalten. Die
Schulen würden rechtzeitig vor Beginn des
neuen Schuljahres über die Details zur
Wiederaufnahme der Erhebung informiert,
heißt es in dem RP-Bericht weiter.
Der FDP war das nicht genug. Sie gab
sogar eine Umfrage in Auftrag. Ein Mei-
nungsforschungsinstitut hatte dazu 1.800
Personen ab achtzehn Jahren befragt.
Demnach seien knapp neunzig Prozent der
Befragten für eine sofortige systematische
Erfassung der Fehlstunden gewesen und
lediglich 4,8 Prozent dagegen.
Nutzlose Scheindebatte
Aus Sicht von
lehrer nrw
ist das Gezänk
um den Zeitpunkt der Wiederaufnahme
der Unterrichtsausfall-Statistik eine nutzlo-
se Scheindebatte. »Selbstverständlich ist
die Erfassung des Unterrichtsausfalls ein
wichtiges Instrument und steht grundsätz-
lich auch überhaupt nicht in Frage«, be-
tont Verbandsvorsitzender Sven Christoffer.
»Doch das eigentliche Problem ist der
Unterrichtsausfall und nicht die Statistik.
Die Ursache des Ausfalls ist hinlänglich
bekannt und heißt: Lehrkräftemangel. Wir
brauchen konstruktive Lösungsvorschläge
zu diesem Problem und keine Pseudo-
Debatten, ob die Unterrichtsausfall-Statis-
tik nun gegen Ende des alten oder zu
Beginn des neuen Schuljahres wiederauf-
genommen wird. Allein vom Wiegen wird
die Sau nicht fett.«
Zudem müssten die Schulen unbedingt
von zeitraubenden Dokumentationspflich-
ten und Verwaltungsaufgaben entlastet
werden. »Schulleitungen und Lehrkräfte
arbeiten angesichts des dramatischen
Personalmangels permanent am oder
über dem Limit – durch ihre Mehrarbeit
tragen sie übrigens maßgeblich dazu bei,
den Unterrichtsausfall nicht noch weiter
anwachsen zu lassen. Die Schulen brau-
chen jetzt Planungssicherheit und Verläss-
lichkeit. Gerade während der Corona-Zeit
hat die teils extreme Kurzfristigkeit der
Kommunikation seitens des Schulministe-
riums das Vertrauensverhältnis zwischen
dem Haus und den Schulen nachhaltig
beschädigt. Deshalb begrüßen wir aus-
drücklich, dass die neue Schulministerin
Dorothee Feller frühzeitig die Wiederauf-
nahme der Unterrichtsausfall-Statistik für
das Schuljahr 2023/24 angekündigt hat.
Dabei muss es jetzt auch bleiben!«, so
Christoffer. Jochen Smets
Foto: AdobeStock/Corri Seizinger
Ob man den Unterrichtsausfall nun auf die Nachkommastelle genau quantifizieren kann
oder nicht: Das Kernproblem ist und bleibt der Lehrermangel. Daran ändert auch die
schönste Statistik nichts.
lehrer nrw ·
3/2023
24
FORTBILDUNGEN
Schwieriges Schülerverhalten
und Binnendifferenzierung
Der richtige Umgang mit schwierigem Schülerverhalten sowie Wege zur Binnendifferenzierung
sind Thema zweier Fortbildungen am 21. August und am 18. September. Weitere Fortbildungs-High-
lights der kommenden Wochen finden Sie in der Tabelle rechts. Anmeldungen sind online möglich.
Umgang mit schwierigem Schülerverhalten
Ziel dieser Fortbildung ist es, auffälliges Schülerverhalten zu verste-
hen und dabei handlungsfähig zu bleiben. Dabei werden mögliche
Verhaltensursachen aus der Sicht der Lern- und Entwicklungspsy-
chologie beleuchtet und Interaktionen innerhalb von Unterrichtssi-
tuationen thematisiert. Im Mittelpunkt stehen Strategien, wie man
sich als Lehrkraft in akuten als auch ‘langfristigen’ Situationen
souverän verhalten kann.
Referentin: Dorthe Leschnikowski-Bordan
Seminar-Nr.: 2023-0821
Ort: Ringhotel Drees, Hohe Straße 107, 44139 Dortmund
Termin: Montag, 21. August 2023
Uhrzeit: 9:00 Uhr bis 16:00 Uhr
Kosten: 130 Euro
lehrer nrw
Mitglieder, 180 Euro sonstige
Teilnehmer (inkl. Bewirtung mit Speisen und Getränken)
Anmeldung: www.lehrernrw.de/lehrernrw-de-
fortbildungen/lehrernrw-de-fortbildungsuebersicht/
Anmeldeschluss: 16. Juni 2023
Bedingt aufnahmebereit: Wie der Umgang mit ‘schwierigen’ Schülern
gelingen kann, ist Thema einer Fortbildung von
lehrer nrw.
Foto: AdobeStock/simoneminth
‘Binnendifferenzierung’
Binnendifferenzierung anzuwenden, heißt, den Umgang mit he-
terogenen Klassen zu erleichtern. Praktische Methoden bieten
die Möglichkeit, den eigenen Unterricht phasenweise differen-
ziert zu gestalten. Ziel ist es, dass Lehrkräfte die für sie geeigne-
ten Methoden finden, die ihnen selbst den täglichen Umgang
mit den sehr unterschiedlichen Schülerinnen und Schülern er-
leichtern und diese zugleich fördern.
Referentin: Dorthe Leschnikowski-Bordan
Seminar-Nr.: 2023-0918
Ort: Ringhotel Drees, Hohe Straße 107, 44139 Dortmund
Termin: Montag, 18. September 2023
Uhrzeit: 9:00 Uhr bis 16.00 Uhr
Kosten: 130 Euro
lehrer nrw
Mitglieder, 180 Euro sonstige
Teilnehmer (inkl. Bewirtung mit Speisen und Getränken)
Anmeldung: www.lehrernrw.de/lehrernrw-de-
fortbildungen/lehrernrw-de-fortbildungsuebersicht/
Anmeldeschluss: 7. August 2023
25
3/2023 ·
lehrer nrw
FORTBILDUNGEN
Seminar Nr. Titel Kurzinhalt Referenten Wo Wann Uhrzeit
Gebühr
lehrer nrw-
Mitglied
Gebühr
sonst.
Teilnehmer
Anmelde-
schluss
2023-0531 Lehrkräfte am Limit –
kreative Stressbewältigung
in schwierigen Zeiten
Lehrkräftemangel, hohe Krankenstände, wachsende Zusatz- und Integrati-
onsaufgaben – Lehrende sind im Schulalltag oft bis an die Grenzen der
Belastbarkeit gefordert. In dieser Fortbildung lernen Sie nicht nur, wie Sie
psychische Entlastung, körperliche und geistige Entspannung, sondern
auch mehr Freude, Verbundenheit und Sinnhaftigkeit erfahren können.
Gabi Schmidt acom Hotel Cologne
Hansaring 97
50670 Köln
Mittwoch
31.05.2023
9:00 bis
16:30 Uhr
130 EUR 180 EUR auf Anfrage
2023-0821 Umgang mit schwierigem
Schülerverhalten
Souverän mit auffälligem Schülerverhalten umgehen. Im Mittelpunkt
stehen Strategien, wie man sich als Lehrkraft sowohl in akuten als
auch in ‘langfristigen’ Situationen souverän verhalten kann.
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Montag
21.08.2023
9:00 bis
16:00 Uhr
130 EUR 180 EUR 16.06.2023
2023-0914 Präsenz in Konflikten Dieses Seminar wird Ihnen konstruktive Handlungsmöglichkeiten
aufzeigen, mit denen Sie durch konsequentes und gleichzeitig
wertschätzendes Verhalten Konflikte wirksam bewältigen und
Regeln leichter durchsetzen können.
Gabi Schmidt acom Hotel Köln
Hansaring 97
50670 Köln
Donnerstag
14.09.2023
9:00 bis
16:00 Uhr
130 EUR 180 EUR 10.08.2023
2023-0918 Binnendifferenzierung Professioneller Umgang mit den Herausforderungen heterogener Klassen.
Praktische Methoden bieten die Möglichkeit, den eigenen Unterricht
phasenweise differenziert zu gestalten.
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Montag
18.09.2023
9:00 bis
16:00 Uhr
130
EUR
180
EUR
07.08.2023
2023-0920 Recht im Schulalltag –
speziell für Berufsanfänge-
rinnen und -anfänger
Junge Kolleginnen und Kollegen sind mit Rechtsfragen oft überfordert.
Die Fortbildung beantwortet die wichtigsten Fragen aus dem Schulalltag.
Christopher
Lange
GDL Sitzungsraum
1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Mittwoch
20.09.2023
14:00 bis
17:00 Uhr
25 EUR 50 EUR 04.09.2023
2023-0926 Rente: Wer? Wann? Wie(viel)? Sie erhalten erste Informationen zur Rente für Angestellte und haben
die Möglichkeit, im Anschluss persönliche Beratungsgespräche mit
der Deutschen Rentenversicherung zu vereinbaren.
Ria
Weinbrenner
GDL Sitzungsraum
1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Dienstag
26.09.2023
15:00 bis
17:00 Uhr
20 EUR 40 EUR 29.08.2023
2023-1023 Recht im Schulalltag Diese Fortbildung informiert über wichtige rechtliche Grundlagen,
die Lehrkräfte für ihren Berufsalltag benötigen.
Christopher
Lange
GDL Sitzungsraum
1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Montag
23.10.2023
14:00 bis
17:00 Uhr
25
EUR
50
EUR
27.09.2023
2023-1025 Unterrichtsstörungen?
Durchschauen, vorbeugen,
entschärfen
Zeitgemäße Störungskompetenz zielt auf eine präventive Haltung: die
Lerngruppe umsichtig und souverän zu führen (classroom management)
sowie ‘schwierige’ Schüler in ihrer individuellen Motivlage zu verstehen
und ermutigend zu unterstützen.
Michael Felten Leonardo Hotel Köln
Waldecker Straße 11-15
51065 Köln
Mittwoch
25.10.2023
9:00 bis
16:30 Uhr
130 EUR 180 EUR 13.09.2023
Die Perspektive
wechseln
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne
regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag.
Diesmal geht es um die kommunikative Technik des ‘Reframing’.
H
Heute würde ich Ihnen gerne die
Technik des Positive Reframing
darstellen. Der Begriff Umdeutung
(von englisch Reframing), seltener auch Neu-
rahmung oder Referenztransformation, be-
zeichnet eine Technik, die aus der Systemi-
schen Familientherapie bekannt wurde. Durch
Umdeutung wird einer Situation oder einem
Geschehen eine andere Bedeutung oder ein
anderer Sinn zugewiesen, und zwar dadurch,
dass man versucht, die Situation in einem
anderen Kontext (oder ‘Rahmen’) zu sehen.
Einem in der Umdeutung geschulten
Menschen ist es durch Kommunikation
möglich, Szenen in einem anderen Blickwin-
kel (Rahmen) erscheinen zu lassen, sodass
er es Beteiligten erleichtert, mit der Situati-
on umzugehen. So kann es im schulischen
Kontext unter Umständen gelingen, die de-
struktive Selbstwahrnehmung eines entmu-
tigten Schülers (»das kapiere ich eh nicht«)
in einen anderen Rahmen zu setzen, indem
ich diese Aussage umdeute: »Aha, du willst
mir sagen, dass du meine Unterstützung
benötigst. Denn Du weißt, ich bin der festen
Überzeugung, dass du das auf jeden Fall
verstehen wirst.« Oder ein weiteres Bei-
spiel: »Ihr Unterricht ödet mich an!« –
»Aha, ich habe es also noch nicht geschafft,
dich aus der Reserve zu locken und deine
Fähigkeiten, von denen ich weiß, dass sie
sehr groß sind, herauszufordern. Was meinst
du bräuchte es, dass du das Gefühl hast,
gefordert zu werden und aus der Einöde
herauszukommen?«
Unter Umständen entwickelt sich aus die-
ser Szenerie ein ergebnisoffenes konstrukti-
ves Gespräch in Bezug auf Inhalte eines Un-
terrichts zu gewissen Themen. Ich kann also
Eine Aussage in einen positiveren Rah-
men setzen, birgt auch immer eine neue
Dynamik in der Selbstbeobachtung und
kann so die zu erwartenden klassischen,
oftmals schwierigen Kommunikationsstrate-
gien zwischen Schülern und Lehrern positiv
beeinflussen. Auf jeden Fall wirkt das Refra-
ming für viele überraschend, da alte Muster
unterbrochen werden und somit eine neue
Aufmerksamkeitsfokussierung generiert
wird.
Folgende Reframingaufgabe: Aggressivi-
tät ist die Fähigkeit… (positiv!)
In diesem Sinne, viel Spaß beim Üben!
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan
Battel ist Facharzt
für Kinder- und Ju-
gendpsychiatrie
und -psychothera-
pie (tätig in einer
Praxis in Bonn) und
seit 2012 systemi-
scher Familienthe-
rapeut (DGSF). Im
Rahmen des
lehrer
nrw
-Fortbildungs-
programms greift
er in einer Vor-
tragsreihe regel-
mäßig verschiede-
ne Themen aus
dem Bereich der
Jugendpsychologie
auf.
Foto: Andreas Endermann
lehrer nrw ·
3/2023
26
BATTEL HILFT
sowohl eine destruktive Selbstwahrneh-
mung als auch eine externalisierte Destruk-
tion in einen positiven Rahmen setzen. Zum
Üben kann es sinnvoll sein, klassische Aus-
sagen von Schülern und Schülerinnen im
schulischen Kontext gemeinsam mit Kolle-
gen und Kolleginnen vielleicht in kleinen
Gruppen auf einen Zettel zu schreiben und
zu üben, diese in einen positiven Rahmen
zu setzen. Das kann mitunter, so die Erfah-
rung aus Supervisionsgruppen, fast zu ei-
nem Gesellschaftsspiel werden, was sich
auch schnell im eigenen Privatleben frucht-
bar auswirken kann.
27
3/2023 ·
lehrer nrw
SENIOREN
Herbstfahrt nach Würzburg
D
Die diesjährige Herbstfahrt der
lehrer nrw
-Seniorinnen und -Senioren führt vom 22. bis zum 25. Oktober nach Würzburg. Am ersten Tag
steht eine Schifffahrt auf dem Main nach Veitshöchheim auf dem Programm. Nach dem Mittagessen an Bord sollte man sich den
Besuch des wunderschönen Rokokogartens nicht entgehen lassen. Am zweiten Tag folgt eine Besichtigung der Residenz, die zum UNESCO
Weltkulturerbe zählt. Anschließend gibt es eine Stadtrundfahrt mit dem Stadtbähnchen. Am dritten Tag wird eine Führung durch die Festung
Marienberg angeboten, anschließend kann jeder den Nachmittag nach eigenem Gusto gestalten.
Am vierten Tag geht es zur Wallfahrtskirche Käppele, einem Juwel der sakralen Baukunst.
Die Reise wird durchgeführt ab fünfzehn Teilnehmer/innen. Im Reisepreis von 500 Euro (EZ)
bzw. 376 Euro (½ DZ) sind enthalten: drei Hotel/Ü/F, 1x Schiffstour mit Mittagessen, 1x Brotmahl-
zeit mit Weinverkostung, 1x HP im Hotel, drei Führungen in der Residenz, in der Festung und im
Käppele, 1x Stadtrundfahrt per Kleinbahn. Im Reisepreis nicht enthalten: Indiv. An- und Abreise,
Fahrten vor Ort, Abendessen im Restaurant ‘Der Auflauf’, Mittagsmahlzeiten vom 23. bis 25.
Oktober 2023, zusätzliche Hotelübernachtungen sowie weitere persönliche Ausgaben.
Auf den Spuren mittelalterlicher Mönche
INFO/ANMELDUNG
Klüber Touristik GmbH, Haarener
Straße 18, 33178 Borchen
Tel: 05251 6879990
Mail: info@reisen-joamar.de
Web: www.reisen-joamar.de
Die Festung Marienberg in Würzburg
mit der alten Mainbrücke.
Foto: AdobeStock/Franz Gerhard
A
Am 21. März haben 29 Seniorinnen
und Senioren des
lehrer nrw
die
Abtei Brauweiler mit ihrer einzigarti-
ge romanischen Abteikirche aus dem Jahr
1028 in Pulheim bei Köln besichtigt. Bei
dem Rundgang durch die Klosteranlagen
gelang es unserem Fremdenführer, den
Besuchern die Geschichte des Klosters
anschaulich nahe zu bringen und einen
Eindruck vom Leben der Mönche im Mittel-
alter zu vermitteln.
Zeiten hoher Blüte des geistigen Lebens
wechselten im Laufe der Klostergeschichte
mit schwierigen Situationen, Seuchen, Krie-
gen und Missernten ab. Gegen Ende des
18. Jahrhunderts wurde das Kloster durch
einen barocken Anbau modernisiert. Nur
wenige Jahre nach Fertigstellung zogen
1794 französische Revolutionstruppen ins
Rheinland, ehe Napoleon 1802 alle Klöster
und Stifte auflöste.
Die Gebäudeanlagen wurden in der Fol-
gezeit unterschiedlicher Nutzung unterwor-
fen, zum Beispiel als Arbeits- und Erzie-
hungsanstalt. In der Zeit des Nationalsozia-
lismus übernahm die Gestapo die Zellen-
bauten für ihren Terror. Nach dem Zweiten
Weltkrieg befand sich in den Anlagen eine
Fachklinik für Psychiatrie, die 1978 ge-
schlossen wurde. Die Prunkräume des baro-
cken Prälaturgebäudes werden heute für
Vorträge, Konzerte und Hochzeiten genutzt.
Im Anschluss an die Führungen traf sich
die Gruppe im nahegelegenen Gasthof Mül-
ler zum Aufwärmen und Mittagessen – und
natürlich zum angeregten
Austausch.
Interessiert folgten die Exkursionsteilneh-
menden der Führung durch die Abtei
Brauweiler.
Kongress der
VDR-Seniorenvertretungen
Vom 17. bis 19. April fand in Fulda der Kongress der Senio-
renvertretungen der Bundesländer im VDR statt. Unter der
bewährten Führung von Christa Nicklas, Bundesseniorenver-
treterin des VDR, und deren Stellvertreter Wilfried Rausch
beschäftigten sich die Seniorenvertreter mit den Schwer-
punktthemen Seniorenpolitik, Pflege und Verkehrssicherheit
für Seniorinnen und Senioren.
Ausführlichere Informationen zu der VDR-Senioren-
fortbildung folgen im nächsten Senioren-Infobrief.
lehrer nrw ·
3/2023
28
Dienstfähig,
dienstunfähig
oder
Beamtinnen und Beamte können insbesondere bei länger
andauernden, sich auf die Arbeitsleistung auswirkenden
gesundheitlichen Problemen für teildienst- beziehungsweise
für begrenzt dienstfähig erklärt werden. Über damit verbun-
dene Vor- und Nachteile klärt der folgende Beitrag auf.
F
Früher war doch alles noch so einfach!
Diese vielgehörte Binsenweisheit
könnte man auch auf die Konsequen-
zen länger andauernder gesundheitlicher
Probleme von Beamtinnen und Beamten
beziehen. Entweder man war dienstfähig
oder eben dienstunfähig. ‘Dazwischen’ gab
es nichts. Vor mittlerweile auch mehr als
zwanzig Jahren kamen Bundes- und Landes-
gesetzgeber dann aber vermutlich darauf,
dass diese grobe Einteilung nicht der Le-
benswirklichkeit entspricht. Denn es muss
nicht zwingend sein, dass eine gesundheit-
lich angeschlagene Beamtin oder ein ge-
sundheitlich angeschlagener Beamter zu
keinerlei Dienst mehr fähig ist. Zudem wi-
derspricht die Einteilung dem grundsätzli-
chen Interesse eines jeden Dienstherrn, sei-
ne Bediensteten möglich lange und umfas-
send im Dienst zu behalten und ihnen nicht
nur Versorgung ohne die ‘Gegenleistung’
der Arbeitsleistung zukommen zu lassen.
Teildienstfähigkeit und
begrenzte Dienstfähigkeit
Um vorzeitige Pensionierungen möglichst zu
vermeiden, wurde die Kategorie der Teil-
dienstfähigkeit bzw. der begrenzten Dienst-
fähigkeit eingeführt. Diese greift in Fällen,
in denen eine Beamtin oder ein Beamter aus
gesundheitlichen Gründen langfristig nur im
verminderten Umfang ihr bzw. sein Amt
ausüben kann. Die für die Landesbedienste-
ten in Nordrhein-Westfalen maßgeblichen
Rechtsgrundlagen finden sich in § 27 Beam-
tenstatusgesetz, § 46 Landesbeamtengesetz
NRW und §§ 8 Absatz 1, 9 sowie 71 Landes-
besoldungsgesetz NRW (LBesG).
Teildienstfähigkeit setzt konkret voraus,
dass die Beamtin oder der Beamte das
Amt noch mindestens zur Hälfte auf Dauer
ausüben kann. Das Verfahren zur Anerken-
nung der Teildienstfähigkeit kann sowohl
vom Dienstvorgesetzten als auch von der
Beamtin oder dem Beamten selbst angesto-
ßen werden. Eine Entscheidung über die An-
erkennung fällt die Bezirksregierung nach
Anhörung der Amtsärztin bzw. des Amtsarz-
tes, die die Lehrkraft im Hinblick auf ihre
RECHT§AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
Dienstfähigkeit untersuchen. Eine Teildienst-
beziehungsweise begrenzte Dienstfähigkeit
kann auch festgestellt werden, wenn die
Beamtin oder der Beamte damit nicht ein-
verstanden ist. Geht die Initiative von der
Lehrkraft selbst aus, weil sie sich nicht mehr
für vollständig dienstfähig hält, kann sie
Gutachten ihrer behandelnden Ärzte bei-
bringen, sofern diese Aussagekraft für die
Untersuchung der Dienstfähigkeit haben
können.
Volldienstfähigkeit muss
ausgeschlossen sein
Die Teildienst- bzw. begrenzte Dienstfähig-
keit kommt nur dann in Frage, wenn eine
Volldienstfähigkeit ausgeschlossen ist, das
heißt die Möglichkeit der Ausübung eines
anderen Amtes oder auch eine geringer
wertige, nicht dem Amt entsprechende
Tätigkeit überprüft und für nicht ausführ-
bar betrachtet wurde. Im Schulbereich ist
allenfalls die Einsetzung von Schuleiterin-
nen und Schulleitern als Lehrkräfte aus-
sichtsreich. Die verbleibende Dienstfähig-
keit darf nicht durch den festgelegten Um-
fang der Teildienst- beziehungsweise be-
grenzten Dienstfähigkeit gefährdet wer-
den. Daher darf die beziehungsweise der
Teildienstfähige auch nicht zur Mehrarbeit
herangezogen werden.
Dienstbezüge sinken
analog zur Arbeitszeit
Hinsichtlich der Besoldung und Versorgung
gilt bei Teildienst- bzw. begrenzter Dienst-
fähigkeit, dass die Dienstbezüge im glei-
chen Verhältnis wie die Arbeitszeit gekürzt
werden (§ 8 Absatz 1 in Verbindung mit
§ 9 LBesG). Hinzu kommt noch ein Zu-
schlag, der allerdings nicht ruhegehaltsfä-
hig ist. Der Zuschlag beträgt fünfzig Pro-
zent des Unterschiedsbetrags zwischen
den aufgrund der begrenzten Dienstfähig-
keit gekürzten Dienstbezügen und den
Dienstbezügen, die sie bei Vollzeitbeschäf-
tigung erhalten würden. Ist oder wird die
Arbeitszeit über die begrenzte Dienstfähig-
keit hinaus aufgrund einer Teilzeitbeschäf-
tigung ermäßigt, wird der errechnete Zu-
schlag anteilig in Höhe des Quotienten aus
der insgesamt ermäßigten Arbeitszeit und
der aufgrund der begrenzten Dienstfähig-
keit ermäßigten Arbeitszeit gewährt (§ 71
Absatz 1 LBesG). Der Umfang der ruhege-
haltsfähigen Dienstzeit ist bei Teildienst-
bzw. begrenzter Dienstfähigkeit nur derje-
nige, der dem Verhältnis der ermäßigten
zur bisherigen Arbeitszeit entspricht. Die-
ses rechnerische Verhältnis ist auch für die
Höhe der Zahlung der vermögenswirksa-
men Leistungen maßgeblich.
Teilzeitbeschäftigung
oder Teildienstfähigkeit?
Interessant könnten die vorstehenden Aus-
führungen gerade für Lehrkräfte sein, die
mit persönlicher Rücksicht auf ihre Gesund-
heit teilzeitbeschäftigt sind oder eine Stun-
denreduzierung ins Auge fassen. Denn es
sollte sich mittlerweile rumgesprochen ha-
ben, dass es zum Handlungskonzept zur
Verbesserung der Unterrichtsversorgung in
Nordrhein-Westfalen gehört, Anträge auf
Teilzeit künftig nicht mehr so einfach zu ge-
währen. Außerdem ist bei Teildienst- bzw.
begrenzter Dienstfähigkeit die Arbeitszeit ja
ebenso vermindert wie bei einer Teilzeitbe-
schäftigung, es wird sogar noch ein Zu-
schlag zur Besoldung gezahlt. Wem mag
man es da verübeln, wenn er anstelle eines
Antrages auf Teilzeitbeschäftigung einen
Antrag auf Anerkennung einer Teildienst-
bzw. begrenzten Dienstfähigkeit stellt?
Auch wenn dies zunächst als sicherer Ha-
fen für erschöpfte Lehrkräfte erscheint, darf
dabei aber nicht übersehen werden, dass
über den Status der Teildienst- bzw. be-
grenzten Dienstfähigkeit eine Amtsärztin
beziehungsweise ein Amtsarzt maßgeblich
mitentscheidet. Kommen sie zum Ergebnis,
dass eine Einschränkung der Dienstfähig-
keit vorliegt, die das Maß einer Teildienst-
bzw. begrenzten Dienstfähigkeit über-
schreitet, muss man davon ausgehen, dass
das amtsärztliche Gutachten zum Ergebnis
‘dienstunfähig‘ kommt. Die Folge wäre die
Versetzung in den Ruhestand. Zurück in
den Dienst führt in diesem Fall dann letzt-
lich lediglich die spätere Nachprüfung nach
Wiederherstellung der Dienstfähigkeit.
Wer über Teildienst- bzw. begrenzte Dienst-
fähigkeit nachdenkt, sollte daher seine
gesundheitliche Verfassung möglichst gut
kennen.
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
Bei chronischen Erkrankungen,
wiederkehrenden Schmerzen,
psychischen Problemen oder
anderen gesundheitlichen Ein-
schränkungen kann eine Teil-
dienst- bzw. begrenzte Dienst-
fähigkeit in Frage kommen.
Foto: AdobeStock/DDRockstar
lehrer nrw ·
3/2023
30
ANGESPITZT
I
In Duisburg kümmert sich der Schul-
träger endlich mal um die wirklich
wichtigen Dinge. Das Amt für schulische
Bildung in der Ruhrmetropole hat an
die Duisburger Schulen geschrieben,
dass Tafeln nur noch trocken geputzt
werden sollen. Wegen des Rostschutzes.
Ja, richtig gelesen! In der Mail des
Schulamtes wurde angeregt, »bei der
Reinigung der Tafeln in Zukunft nur
noch trockene oder feuchte Schwämme
und Tücher zu benutzen. Durch nasses
Reinigen der Tafeln können diese
schnell und vermehrt Rost ansetzen«,
heißt es in dem Schreiben, aus dem die
WAZ zitierte.
Es ist erfreulich, dass endlich mal
jemand dieses heiße Eisen anpackt:
Denn der volkswirtschaftliche Schaden,
der durch durchgerostete Schultafeln
infolge unkontrollierter Nassreinigungs-
Exzesse entsteht, dürfte in die Billionen
gehen. Genau dieses Geld fehlt dann
natürlich an anderer Stelle. So erklärt es
sich, dass die technische Ausstattung an
den Schulen nach wie vor im digitalen
Mesozoikum festhängt oder dass die
hygienischen Zustände in Schultoiletten
häufig unter die UN Biowaffenkonventi-
on fallen.
Auch der Lehrermangel hat hier eine
seiner Ursachen: Wer will als junger
Mensch schon freiwillig mit einem
optisch und olfaktorisch fragwürdigen
Feucht-Feudel die Tafel wischen?
Wie angenehm ist dagegen doch ein
Näschen feinen Kreidestaubs, der sich
sanft auf die Lungenbläschen legt.
Konsequent weitergedacht, sollte der
mutige Duisburger Vorstoß zugleich
Anlass geben, über weitere versteckte
Gefahren in unseren Schulen nachzu-
denken. Schwitzen im Sportunterricht
zum Beispiel ist für die hochsensible
Hallenelektrik ein unkalkulierbares Risi-
ko. Kilometerweise korrodierte Kabel,
Kurzschlüsse am laufenden Band – und
das alles nur wegen menschlicher Aus-
dünstungen bei irgendwelchen unkoor-
dinierten Leibesübungen.
Schon eine einzelne Person gibt
selbst ohne körperliche Aktivität täglich
bis zu 1,5 Liter Feuchtigkeit über die
Haut und die Atemluft an die Umge-
bung ab. Allein während eines durch-
schnittlichen Schultages fällt da pro
Person mindestens ein halber Liter an.
Das sind bei einer dreizügigen weiter-
führenden Schule rund 300 Liter – pro
Tag! Macht pro Schuljahr locker 50.000
Liter. Was da alles passieren kann an
der Gebäudesubstanz!
Da besteht dringender Handlungs-
bedarf! Wir warten hoffnungsfroh auf
die nächste Schulmail aus Duisburg!
Jochen Smets
Nur trocken Tafelputzen!
Über Feedback zu meinen Gehirnjogging Übungen
würde ich mehr sehr freuen: mail@heike-loosen.de
Heike Loosen
AUFGABE 1:
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3/2023 ·
lehrer nrw
Lösung