SCHULE & POLITIK
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4/2023 ·
lehrer nrw
U
Um nicht den Eindruck ei-
ner negativ orientierten
Einstellung aufkommen
zu lassen, beleuchten wir die Änderungen
zunächst von der positiven Seite her. Die
neue Fassung der OVP ermöglicht die
Durchführung des ersten Perspektivgesprä-
ches innerhalb des ersten Quartals. Dies
führt zu einer Entlastung aller am Ge-
spräch beteiligten Personen. Diese Ände-
rung kann nur ausdrücklich begrüßt wer-
den. Bisher war hierfür ein Zeitraum von
sechs Wochen vorgesehen. Ebenso ist die
Möglichkeit der Wiedereinstellung in den
Vorbereitungsdienst nach einem eigenen
Antrag auf Entlassung ohne wichtigen
Grund zu begrüßen. Hierdurch wird den
unterschiedlichen Lebensentwürfen Rech-
nung getragen.
Tja, jetzt sind wir dann aber auch fast
schon durch mit den positiven Aspek-
ten…
Es bleiben viele
Fragezeichen
Die Lehramtsanwärterinnen und -anwärter
(LAA) sollen nach § 10 Satz 4.2 »in selbst-
organisierten Lerngruppen einschließlich
kollegialer Fallberatung« arbeiten. Sollte
die Arbeit der ‘selbstorganisierten Lern-
gruppen’ innerhalb der Seminarzeit statt-
finden, ist zu befürchten, dass dies zu einer
inhaltlichen Ausdünnung führt. Die vermit-
telten Inhalte der Kern- und Fachseminare
unterliegen bereits durch die Reduzierung
des VD auf achtzehn Monate einer großen
Dichte. Selbstorganisiertes Lernen in Grup-
pen mag für den Lernprozess förderlich
sein, benötigt jedoch bei dem Ziel der Auf-
rechterhaltung des Anspruches schlicht-
weg mehr Zeit.
Zudem wird – fast nebenbei – der Be-
griff der ‘Kollegialen Fallberatung’ verwen-
det. Ein Konzept, zu dem im Normalfall ei-
gens Fortbildungen durchgeführt werden.
Wer qualifiziert die LAA für effektive, ziel-
gerichtete Durchführungen?
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berichtet regelmäßig über die
herausfordernde Situation der Fachleitun-
gen an den ZfsL. Eines der vielen Proble-
me stellt die unterjährige Fluktuation der
Anrechnungsstunden dar. Leider wird auch
in dieser OVP nicht die Möglichkeit eines
umfänglich geringen Überstundenkontos
oder eine Aufstockung der Anrechnungs-
stunden geboten. Dies zwingt Schulleitun-
gen dazu, unter Umständen im laufenden
Betrieb die Unterrichtsverteilung neu zu
erstellen.
Zweites Perspektiv-
gespräch zum
ungünstigsten Zeitpunkt
Die größten Fragezeichen hinterlässt wohl
die Änderung im § 15 der OVP, die auch
Auswirkungen auf das Staatsexamen nach
sich zieht. So wird ein zweites Perspektiv-
gespräch für das fünfte (!) Quartal, jedoch
spätestens vier Wochen vor dem Prüfungs-
termin, anberaumt. Ziel dieses Gespräches
ist es, weitere Perspektiven zu entwickeln,
um Ziele des eigenen »Professionalisie-
rungsprozesses« zu formulieren. Die Unter-
stützung auf diesem Wege soll durch die
Schule und das ZfsL erfolgen. Grundsätz-
lich ist dies eine gute Idee, aber in diesem
Zeitraum vor der Staatsprüfung gehen den
LAA sicherlich ganz andere Gedanken
durch den Kopf.
Enormer Mehraufwand
für Ausbilderinnen und
Ausbilder
Perspektivwechsel: Was bedeutet dies für
die Ausbilderinnen und Ausbilder an den
ZfsL? Die zeitlichen Ressourcen der Ausbil-
derinnen und Ausbilder sind schon jetzt
erschöpft. Bei einer angenommenen Zahl
von 130 neu eingestellten grundständigen
LAA ergeben sich für diesen Jahrgang 130
zusätzliche Termine. Ebenso verhält es sich
bei den gemäß OBAS eingestellten Lehr-
kräften (Anhebung von 2 auf 3 Ausbil-
dungsplanungsgespräche). Gehen wir hier
von 40 Lehrkräften aus, kommen wir ins-
gesamt auf 170 zusätzliche Termine. Die
Umsetzung in den Lehrämtern HRSGe,
G und SF mit oft nur einer/einem LAA pro
Schule werden zu einer logistischen
Herausforderung und reduzieren weiter die
Attraktivität der Tätigkeit und somit die
Chance auf die Besetzung der vielen offe-
nen Stellen.
Behalten wir dies im Hinterkopf und
wenden wir uns der Staatsprüfung zu. Die
ausschließliche Besetzung der Prüfungs-
kommission durch Fremdprüfer konnte ver-
hindert werden.
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hat sich hierzu
im Bereich der Stellungnahme der Verbän-
de sehr deutlich positioniert.
Zensur des Prüfungstages
Ratlos machen die Neuerungen des Kollo-
quiums. Dieses soll auf sechzig Minuten
ausgedehnt werden, was jedoch nicht das
eigentliche Problem ist. Jedes einzelne
Element des Prüfungstages führt zu der
Zensur des Prüfungstages. Dazu gehört
auch das Kolloquium als Prüfungsleistung.
Die neue OVP sieht nun vor, dass »der
Prüfling zuerst den eigenen professionsbe-
zogenen Entwicklungsprozess reflektiert«
(§ 33 Satz 2). Hier stellen sich folgende
Fragen: WOZU? Wie soll die Prüfungskom-
mission hieraus eine Note generieren?
Welche Aussagekraft hat die Darstellung
des Prozesses? Wie kann die Richtigkeit
überprüft werden? Was geht es die Prü-
fungskommission an? Werden nicht auch
Lebensentscheidungen mit privaten Cha-
rakterzügen Gegenstand der Leistungsbe-
wertung?
Wir wollten doch etwas im Hinterkopf
behalten… richtig: das zweite Perspektiv-
gespräch. Im § 33 (Kolloquium) ist zu le-
sen: »Der Prüfling kann sich auf Aspekte
aus den Perspektivgesprächen beziehen.«
Wenn diese Aspekte (evtl. gerade mal vor
vier Wochen) ausführlich besprochen und
mit Rückmeldungen bedacht wurden, kann
dann noch von einer eigenständigen Leis-
tung des Prüflings ausgegangen werden?
Mit Spannung erwarten die Fachleitun-
gen die noch ausstehenden Hinweise des
Landesprüfungsamtes und sind auf die fol-
gende OVP gespannt, die durchs Dorf ge-
trieben wird. Hardi Gruner
Referat Fachleitungen im
lehrer nrw,
Mitglied des Netzwerks Fachleiter/innen NRW