3Unter der Lupe
24 18 12?
15Dossier
Schule der Zukunft:
Sieben
Handlungsoptionen
28 Recht§ausleger
Kuchensteuer?
6Im Brennpunkt
Am Puls des
Personals
Demokratiebildung in der Schule:
Zwischen Anspruch
und Wirklichkeit
Pädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf
1781 | Ausgabe 1/2024 | FEBRUAR | 68. Jahrgang
Foto: AdobeStock
INHALT
lehrer nrw ·
1/2024
2
UNTER DER LUPE
Sven Christoffer:
24 18 12? 3
AKTUELLES
Die nächste Kampagne 5
BRENNPUNKT
Sarah Wanders:
Am Puls des Personals 6
JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner: Lehrer werden?!
Traumberuf – oder etwa doch nicht? 8
PERSONALRATSWAHL 2024
Nicht zu Ende gedacht 9
MAGAZIN
Schülerwettbewerbe als Bildungsimpuls 10
TITEL
Demokratiebildung in der Schule:
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit 12
Demokratie (er)leben 14
DOSSIER
Prof. Olaf-Axel Burow: Schule der Zukunft:
Sieben Handlungsoptionen 15
SCHULE & POLITIK
Klimaschutz gewinnt 19
Auf dem Weg zu sich selbst 20
Ulrich Gräler: Personalgewinung? 22
FORTBILDUNGEN
Am Weltglückstag das Glück suchen 24
BATTEL HILFT
»2024 wird mein Jahr« 26
SENIOREN
Frühjahrsfahrt zur grünen Oase
an der Ruhr 27
Herbstfahrt nach Mallorca 27
»Fit, aktiv und gesund im Alter« 27
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange: Kuchensteuer? 28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Der Bildungskrisen-
Marathon 30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Frohes neues Jahr
in vielen Sprachen
Aufgabe 2: Codiertes Zitat
Aufgabe 3: Die Botschaft im Labyrinth 31
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
Geschäftsstelle
lehrer nrw e.V.
Nordrhein-Westfalen,
Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf,
Tel.: 0211/164 09 71,
Fax: 0211/164 09 72,
Web: www.lehrernrw.de
Redaktion
Sven Christoffer,
Ulrich Gräler,
Christopher Lange,
Jochen Smets,
Sarah Wanders,
Marcel Werner
Düsseldorf
Verlag und
Anzeigenverwaltung
PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
dphv-verlags-
gesellschaft mbH,
Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf,
Tel.: 0211/355 81 04,
Fax: 0211/355 80 95
Zur Zeit gültig:
Anzeigenpreisliste Nr. 22
vom 1. Oktober 2021
Zuschriften und
Manuskripte nur an
lehrer nrw
,
Zeitschriftenredaktion,
Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf
Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
24 18 12?
Am 1. November 2011 wurde die Dauer
des Vorbereitungsdienstes in Nordrhein-
Westfalen von 24 Monaten auf 18 Monate
verkürzt. Jetzt hat eine Expertengruppe eine
weitere Verkürzung auf 12 Monate vorgeschlagen –
deutschlandweit. Doch macht das wirklich Sinn?
A
Anfang Dezember hat eine Expertengruppe
erneut für Aufsehen gesorgt: die SWK. Hier-
bei handelt es sich um die ‘Ständige Wissen-
schaftliche Kommission der Kultusministerkonfe-
renz’. Sie ist ein autonomes wissenschaftliches Bera-
tungsgremium der Kultusministerkonferenz und
besteht aus sechzehn Bildungsforschenden aus
verschiedenen Fachbereichen. Die Aufgabe der SWK
besteht darin, die Bundesländer bei der Weiterent-
wicklung des Bildungswesens zu beraten. Am 8. De-
zember 2023 erschien ihr Gutachten zum Thema
‘Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für ei-
nen hochwertigen Unterricht’. Es geht also um ein
Problem, das in Nordrhein-Westfalen seit langer Zeit
unter den Nägeln brennt und auf das die Landesre-
gierung unter anderem mit dem ‘Handlungskonzept
Unterrichtsversorgung’ reagiert hat.
Elf Empfehlungen
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben
nach achtzehn Monaten Forschungszeit elf Empfeh-
lungen an die Kultusministerkonferenz herausgear-
beitet. Einige Vorschläge sind durchaus nachvoll-
ziehbar, wie zum Beispiel die Forderung nach einer
verlässlichen Datenerhebung, um perspektivisch die
Entwicklung des Lehrkräftebestands zu prognostizie-
ren. Die Frage, die hier aber trotzdem gestellt wer-
den muss, ist, warum dies nicht schon längst ge-
macht wird. Der Lehrkräftemangel ist ja kein neues
Problem, sondern schwebt schon seit vielen Jahren
wie ein Damoklesschwert über der Republik. Ausba-
den müssen dies die Kolleginnen und Kollegen an
den Schulen. Eine frühzeitige Abfrage zur Zielper-
spektive der Studierenden könnte abhelfen und Zeit-
fenster zur Reaktion auf zukünftige Probleme schaf-
fen.
Ausbildung aus einem Guss
Des Weiteren ist auch die Empfehlung, phasenüber-
greifende, verlässliche Abstimmungsstrukturen und
Verfahren des Qualitätsmanagements zu etablieren
sowie den Übergang zwischen erster Phase (Univer-
sität) und zweiter Phase (Referendariat) weiterzu-
entwickeln, als durchaus sinnvoll zu erachten. Eine
gute Kooperation auf Augenhöhe unter GLEICH-
BERECHTIGTEN Systemen führt zu einer Ausbildung,
die sich aus einem Guss präsentiert und zielgerichtet
durchlaufen werden kann. Wichtig ist hierbei aus
meiner Sicht die gegenseitige, wertschätzende Ak-
zeptanz. Beide Institutionen haben ihre Daseinsbe-
rechtigung und sorgen für eine bestmögliche Vorbe-
reitung auf den Lehrberuf. Leider kommen die ‘Prak-
tiker’ für meinen Geschmack meist zu kurz. Es ist
schon interessant, wenn man diese Forderung be-
trachtet, aber gleichzeitig bei einem Blick auf die
Mitgliederliste der SWK feststellt, dass es sich um
sechzehn (!) Professorinnen und Professoren han-
delt. Von einem ‘Miteinander’ sind wir also tatsäch-
lich noch ein ganzes Stück entfernt Es entsteht viel-
mehr der Eindruck einer eindimensionalen Betrach-
tungsweise.
Wichtig ist auf dem Platz und
nicht in der Kabine!
Sehr deutlich wird diese Eindimensionalität aus mei-
ner Sicht in der Empfehlung Nummer 8. Natürlich ist
die Forderung nach einer besseren Verknüpfung von
Theorie und Praxis sinnvoll, an diesen Punkt kann
ich ganz schnell einen Haken setzen. Diese Verknüp-
fung darf jedoch nicht so aussehen, dass die zweite
Phase auf zwölf Monate reduziert wird. Auch die
vorangegangene Reduzierung von 24 auf 18 Mona-
te stellte schon eine deutliche Verschlechterung für
die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter
dar. Ist diese Phase doch gekennzeichnet durch
3
1/2024 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von SVEN CHRISTOFFER
lehrer nrw ·
1/2024
4
UNTER DER LUPE
ein langsames Ankommen im Aufgabenfeld Schule
mit einer vierzehnstündigen Tätigkeit und einem
hohen Anteil guter Begleitung. Natürlich stellen die
Unterrichtsbesuche eine Herausforderung dar, aber
sind große Herausforderungen nicht auch im späte-
ren Berufsleben unsere ständigen Begleiter?
Konkret heißt es in dem Gutachten, dass die ‘Ge-
samtdauer der ersten und zweiten Phase auf sechs
Jahre mit einem Vorbereitungsdienst von in der Re-
gel zwölf Monaten [zu] vereinheitlichen’ wäre. Dies
bedeutet grob, dass sich in der ersten Phase zeitlich
nichts ändert, die zweite Phase jedoch – mal eben
so – um ein weiteres Drittel gekürzt würde. Wie war
das noch? Aus welchem Bereich kommen die Mit-
glieder der SWK? Honi soit qui mal y pense.
Wie bei einer solchen Verkürzung die eingeforder-
ten Qualitätsstandards erreicht werden sollen, hin-
terlässt viele Fragezeichen. Die nordrhein-westfäli-
sche Schulministerin Dorothee Feller hat sich zur
Verkürzung des Vorbereitungsdienstes recht schnell
und deutlich positioniert. Sie sagte hierzu am
14. Dezember 2023 im Rahmen einer Plenarsitzung,
dass eine Verkürzung des Referendariats
mit Blick auf die Ausbildungs-
qualität ihres Erach-
tens nach
nicht in Betracht komme. Es bleibt zu hoffen, dass
die Ministerin sich mit dieser Haltung durchsetzen
kann.
Learning by doing
Zudem wird eine Reduzierung der Unterrichtsver-
pflichtung (eigenverantwortlicher Unterricht) im Vor-
bereitungsdienst am unteren Ende der aktuell gel-
tenden Verpflichtungen vorgeschlagen (rund sechs
Stunden pro Woche). Widerspräche dies nicht dem
Lernmodell ‘learning by doing’? Ist denn nicht gera-
de der eigenverantwortliche Unterricht der Ort, an
dem sich junge Kolleginnen und Kollegen in einem
bewertungsfreien Raum ausprobieren können?
Weiter wird eine Forderung nach einer wissen-
schaftsbasierten Qualifizierung der Mentorinnen
und Mentoren sowie der Seminarausbilderinnen und
Seminarausbilder erhoben.
lehrer nrw
arbeitet be-
reits seit vielen Jahren sehr eng mit dem Netzwerk
der Fachleiter/innen NRW zusammen. Die vielen
Gespräche hinterließen bei mir nicht den Eindruck
einer fehlenden wissenschaftlichen Qualifizierung.
Wer jedoch einen Porsche haben will, der darf nicht
für eine Ente zahlen. Vielleicht sollten die schulpoli-
tisch Verantwortlichen hier dann doch zeitnah eine
Angleichung vornehmen, um die sehr guten Ausbil-
derinnen und Ausbilder im System zu halten.
Sven Christoffer ist Vorsitzender des
lehrer nrw
sowie Vorsitzender des HPR Realschulen
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
Wo will man da noch kürzen?
Die Vorschläge der SWK zur neuerlichen
Schrumpfung des Vorbereitungsdienstes sind
weltfremd und eine Gefahr für die Qualität der
Lehrkräfteausbildung.
Foto: AdobeStock/Alterfalter
AKTUELLES
5
1/2024 ·
lehrer nrw
Die nächste Kampagne
Das NRW-Schulministerium hat eine neue Kampagne zur
Lehrkräftegewinnung gestartet. Sie ist authentisch und seriös,
aber: Attraktive Arbeitsbedingungen sind die beste Werbung
für den Lehrberuf.
Dieses Logo ist das Wiedererkennungs-
merkmal der neuen Lehrer-
werbekampagne.
Grafik: MSB NRW
L
Louisa arbeitet als Musiklehrerin an
einer Förderschule. Warum sie sich für
diesen Beruf entschieden hat? Das
erklärt die 26-Jährige in einem Video: »Als
Lehrerin bin ich Musikerin, Pädagogin und
Vertrauensperson zugleich.« Vor der Klasse
setzt Louisa voll auf ihre ‘LehrKRÄFTE‘: Em-
pathie, Positivität und Flexibilität. Über eine
besondere ‘LehrKRAFT‘ verfügt auch Volker:
Als Seiteneinsteiger bringt der studierte Ar-
chitekt jede Menge Berufserfahrung in sei-
nen Bautechnik-Unterricht am Berufskolleg
ein. Wer sich wie er für den Seiteneinstieg in
den Schuldienst entscheidet, wählt, so sagt
er, »einen wunderbaren Beruf, der abwechs-
lungsreiche Arbeiten bietet und auch tolle
Rückmeldungen von den Schülerinnen und
Schülern mit sich bringt.«
Fünf Botschafterinnen
und Botschafter für
den Lehrberuf
Die Videos von Volker und Louisa sind Teil
einer Kampagne, in der fünf Lehrkräfte ge-
meinsam mit dem Schulministerium für den
Lehrerberuf werben. Mit dem Appell »Was
ist deine LehrKRAFT? Find’s raus!« setzt die
Kampagne auf eine gezielte und direkte An-
sprache in den Social-Media-Kanälen Face-
book
(@lehrkraftwerden.nrw)
und Instagram
(@lehrkraft_werden.nrw)
sowie auf YouTube
(@Lehrkraft_werden_nrw)
. Die Website
www.lehrkraft-werden.nrw
lässt Interessierte
ihre ‘LehrKRÄFTE‘ entdecken und führt sie
über einen Chancen-Rechner mit wenigen
Klicks zum Lehramtsstudium oder in den
Seiteneinstieg. Die neue Kampagne ist Teil
eines ersten Handlungskonzepts, mit dem
Schulministerin Dorothee Feller die Perso-
nalsituation an den Schulen kurz-, mittel-
und langfristig verbessern will.
Es braucht mehr als
hübsche Slogans und
sympathische Werbeträger
Aus Sicht von
lehrer nrw
ist die Kampagne
zur Lehrkräftegewinnung authentisch und
seriös. Schon allein dadurch hebt sie sich
wohltuend von
der missratenen Werbekampagne
der Vorgängerregierung ab, die 2018 mit
anbiederndem Jugendsprech vergeblich
versucht hatte, junge Menschen für den
Lehrberuf zu begeistern. Die aktuelle Ini-
tiative des Schulministeriums spricht ei-
nerseits Abiturienten und potenzielle Sei-
ten- bzw. Quereinsteiger an, drückt aber
andererseits auch Wertschätzung für Be-
stands-Lehrkräfte aus. Ob diese Aktion
aber wirksam den Lehrkräftemangel lin-
dern kann, bleibt fraglich. »Das eigentli-
che Problem an dieser Werbekampagne
ist, dass wir überhaupt eine Werbekam-
pagne brauchen«, sagte Sven Christoffer,
Vorsitzender von
lehrer nrw,
in einer Pres-
semitteilung. »Zweifellos ist der Lehrkräf-
temangel das drängendste Problem an
unseren Schulen. Um ihn zu beheben,
benötigen wir aber mehr als hübsche Slo-
gans und sympathische Werbeträger. Die
beste Werbung sind attraktive Arbeitsbe-
dingungen – und da liegt nach wie vor
einiges im Argen. Neben einer angemes-
senen Besoldung brauchen wir kleinere
Klassen, eine zeitgemäße Ausstattung
von Klassen- und Lehrerzimmern, weniger
Bürokratismus, eine geringere Unter-
richtsverpflichtung vor allem an den
Schulformen der Sekundarstufe I und eine
bessere Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf. Das wirkt besser als jede Werbekam-
pagne
lehrer nrw ·
1/2024
6
BRENNPUNKT
Am Puls
des Personals
Die Personalversammlungen haben eines deutlich gezeigt:
Die Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen sind am Limit – oder
schon darüber. Die Rahmenbedingungen sind schlecht. Hier
scheint
lehrer nrw
mit seiner Kampagne zur Personalratswahl
in diesem Jahr einen Nerv getroffen zu haben.
I
In der Ausgabe 5/2023 dieser Zeitschrift
stellte der
lehrer nrw
-Vorsitzende, Sven
Christoffer, die Schwerpunktthemen für
unseren Verband (nicht nur) im neuen
Schuljahr vor. Diese lauten: Gewalt, Gesund-
heit, Gehalt. Mit dieser Ausgabe der Zeit-
schrift erhalten sie auch das dritte und letz-
te Plakat zu diesen drei Themen. Unabhän-
gig davon sind gerade die alljährlich im
Herbst stattfindenden Personalversammlun-
gen immer wieder der Zeitpunkt, in die Ba-
sis hineinzuhören und die Sorgen, Probleme
und Wünsche der Beschäftigten mitzuneh-
men und die Verbandsarbeit gegebenenfalls
neu auszurichten. Für
lehrer nrw
habe ich
an Personalversammlungen im Realschul-
und auch im Gesamtschulkapitel teilgenom-
men. Wenn eines ganz deutlich wurde: Wir
sitzen alle in einem Boot. Zwar unterschei-
den sich die Probleme in Nuancen, aber in
jeder Personalversammlung waren die Rah-
menbedingungen in Schule (auch bedingt
durch den Lehrkräftemangel), das Hand-
lungskonzept Unterrichtsversorgung – hier
vor allem die dienstrechtlichen Maßnahmen
–, die Be- und Überlastung der Beschäftig-
ten, die bisher ausgebliebene Besoldungs-
anpassung für das erste Beförderungsamt
A13 sowie für Funktionsstelleninhaber,
Schulleitungen und Fachleitungen und die
zunehmende Gewalt an Schulen Schwer-
punktthemen.
Gewalt:
Erschreckende Erfahrungen
In einigen Personalversammlungen waren
die Schilderungen erfahrener Gewalt mehr
als erschreckend. Erschreckend ist aber
auch, dass das keine neue Erkenntnis ist:
nicht für unseren Verband und sicher auch
nicht für die Verantwortlichen in den Be-
zirksregierungen und im Ministerium für
Schule und Bildung. Gewaltvorfälle an
Schulen gegen Beschäftigte nehmen in
beängstigendem Maße zu. Das ist nur
schwer zu ertragen. Auch deshalb hat
lehrer nrw
den Kampf gegen Gewalt zu
einem Schwerpunktthema der Verbandsar-
beit gemacht. Wir stehen für eine Null-
Toleranz-Politik. Ein Angriff auf Einzelne
muss immer auch als ein Angriff auf die
gesamte Schulgemeinde begriffen und
sanktioniert werden. Eine solche Haltung
braucht aber eine konsequente Rückende-
ckung durch den Dienstherrn – und so-
wohl juristische als auch seelsorgerische
Begleitung im Fall der Fälle. Diese Struktu-
ren müssen in allen Bezirksregierungen
und für alle Schulformen gleichermaßen
implementiert werden. Denn es kann nicht
sein, dass die Rückendeckung und Unter-
stützung nach erfahrener Gewalt im Dienst
davon abhängt, in welchem Bezirk und an
welcher Schulform man arbeitet.
von SARAH WANDERS
Die Belastungsgrenze
ist erreicht:
Das wurde bei den Personal-
versammlungen im vergange-
nen Herbst mehr als deutlich.
Foto: AdobeStock/Ralf Geithe
BRENNPUNKT
7
1/2024 ·
lehrer nrw
Gewalt gegen Lehrkräfte und anderes
Schulpersonal hat viele Facetten und
kommt von vielen Seiten. Dies symbolisiert
auch unser Plakat, das wir mit der Ausga-
be
lehrer nrw
6/2023 veröffentlicht haben.
Wir sehen Lehrkräfte, die in der Mitte des
Plakates zusammengedrängt stehen und
von aggressiven und lauten Schülerinnen
und Schülern sowie Eltern und deren
Rechtsvertretungen bedrängt werden.
Und auch das Cybermobbing ist symbo-
lisch dargestellt. Die Lehrkräfte sind diesen
Aggressionen schutzlos ausgeliefert, ob-
wohl sie doch jeden Schutz, jede Unter-
stützung, jede Solidarität verdient hätten.
Schließlich widerfährt den Kolleginnen und
Kollegen nicht als Privatperson Gewalt,
sondern in Ausübung ihres Dienstes.
Viele Kolleginnen und Kollegen berichte-
ten davon, mit ihrer Gewalterfahrung qua-
si alleingelassen worden zu sein. Dadurch
werden sie regelrecht zweimal traumati-
siert: Das erste Mal, wenn ihnen Gewalt
widerfährt und das zweite Mal, wenn sie
erleben müssen, dass sie mit dieser Ge-
walterfahrung allein gelassen werden.
Das ist beschämend und nicht hinnehmbar.
Gesundheit:
Belastungsgrenze erreicht
Die Überlastung vieler Kolleginnen und
Kollegen und die daraus erwachsene
Frustration, ihren eigenen Ansprüchen an
ihre Arbeit mit den Kindern und Jugendli-
chen und für sie nicht mehr gerecht wer-
den zu können, war in jeder Personalver-
sammlung eindrucksvoll spürbar. Viele
Beschäftigte, die sich zur Zeit noch in vo-
raussetzungsloser Teilzeit befinden,
machten sich Sorgen um ihre Zukunft.
Denn die Teilzeit wird nicht beantragt,
um die persönliche Work-Life-Balance zu
erhalten und sich nachmittags in zahlrei-
chen Hobbies selbst verwirklichen zu
können, sondern schlicht und ergreifend,
weil selbst bei einer reduzierten Pflicht-
stundenzahl die Belastungsgrenze er-
reicht ist. Die Kolleginnen und Kollegen
gehen in die Teilzeit, um ihren beruflichen
Ansprüchen an sich selbst noch genügen
zu können und ihre Gesundheit zu erhal-
ten. Wenn diese Lehrkräfte uns nun auch
noch wegbrechen, dann haben wir durch
diese Maßnahme nicht nur nichts gewon-
nen, sondern viel verloren. Das Ministeri-
um für Schule und Bildung hat im Herbst
eine erste Evaluation des Handlungskon-
zeptes zur Unterrichtsversorgung vorge-
legt. Zu einer ehrlichen Bestandsaufnah-
me gehört dann aber auch, nicht sinnvol-
le bzw. nicht wirkungsvolle Maßnahmen
zurückzunehmen. Lehrkräftemangel be-
hebt man nicht, in dem man den Beruf
unattraktiver macht.
Gehalt:
Nicht zu Ende gedacht
Das dieser Ausgabe beiliegende Plakat bringt
es auf den Punkt: Leider nicht zu Ende ge-
dacht!
lehrer nrw
begrüßte im Jahr 2022 die
stufenweise Überführung der Einstiegsbesol-
dung der Lehrkräfte im Bereich der Primarstu-
fe und der Sekundarstufe I in die Besoldungs-
gruppe A13 ausdrücklich. Angesichts des gra-
vierenden Personalmangels an den Schulen in
Nordrhein-Westfalen sowie der Konsequenzen
aus der Reform der Lehrkräfteausbildung
(2009) war dieser Schritt längst überfällig. In
diesem Zusammenhang kritisierte
lehrer nrw
,
dass die Landesregierung im Rahmen des Ge-
setzentwurfs lediglich in Aussicht stellte, »in
der Folge mögliche Auswirkungen der Neube-
wertung der Einstiegsämter der Lehrerinnen
und Lehrer auf die Beförderungs-, Funktions-
und Leitungsämter sowie auf die Besoldung
der Fachleitungen zu prüfen«. Ein Ergebnis
dieser Prüfung liegt bis heute nicht vor. Eine
Attraktivitätssteigerung für den Beruf und
Wertschätzung für die Kolleginnen und Kolle-
gen, die von dieser Schieflage betroffen sind,
sieht anders aus.
lehrer nrw
fordert von der
Landesregierung einen zeitnahen Abschluss
der Prüfung und ein zügiges Zu-Ende-Denken
der Besoldungsanpassung.
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende
des
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
1/2024
8
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: werner@lehrernrw.de
von MARCEL WERNER
Lehrer werden!?
Traumberuf – oder etwa doch nicht?
W
Wenn du dich heute in der Öffent-
lichkeit als Lehrer outest, be-
kommst du meistens zu hören:
»Heute um 12 Uhr schon Feierabend ge-
habt?«; »Geht’s morgen wieder auf Klas-
senfahrt?«; »Weißt du eigentlich, was Arbeit
ist?«
Sprüche fallen den Menschen viele ein,
doch selber Lehrer werden möchten die we-
nigsten von ihnen, leider. Durch die Politik
und die Medien wurde unsere Berufsgruppe
ins Abseits gestellt. Daher ist die von Schul-
ministerin Dorothee Feller am 22. Januar
vorgestellte Kampagne zur Lehrkräftege-
winnung im Grundsatz sehr zu begrüßen.
Es braucht mehr als Beihil-
fe, Ferien und eine Pension
Allerdings werden in allen Wirtschaftszwei-
gen und Berufsgruppen Fachkräfte gesucht
– und sie bekommen attraktive Jobangebo-
te mit sehr guten Rahmenbedingungen, wie
zum Beispiel voraussetzungslose Teilzeit,
modernste Ausstattung und so weiter. Na-
türlich bringt der Staatsdienst auch Verant-
wortung und gewisse Pflichten mit sich,
dennoch sollte er mehr Attraktivität bieten
als die Beihilfe, Ferien und eine Pension.
Stattdessen werden Lehrkräfte oft mit ma-
roden Arbeitsplätzen, veralteter Technik, de-
motivierten Eltern und überfüllten Klassen
konfrontiert. Das macht den Beruf nicht at-
traktiver und bringt nicht wenige junge
Menschen dazu, sogar ihre Planstellen zu-
rückzugeben und aus dem Schuldienst aus-
zutreten, um woanders ihr Glück zu suchen.
Warum investiert der Staat nicht in unseren
größten Rohstoff ‘Bildung’, in gut ausgestat-
tete Schulen und in attraktive Lern- und Ar-
beitsplätze für alle am Schulleben Beteilig-
ten? Wir brauchen Investitionen in die schu-
lische Infrastruktur und in bessere Rahmen-
bedingungen, zum Beispiel kleinere Klassen.
Hier sind Politik und Kommunen in der
Pflicht.
Auch fehlt es an Unterstützung der Eltern
für unseren Beruf. Denn für diese ist es ein-
facher, die Schuld für schlechte Noten und
schlechte Manieren in der Person des Leh-
rers oder der Lehrerin zu sehen. Kindererzie-
hung bedeutet auch, Kindern Liebe zu
schenken und sich um sie zu kümmern.
Daran fehlt es leider in vielen Elternhäusern
– auch wenn meist Geld dafür da ist, dem
Kind das neueste Handy oder die neuesten
Air-Pods zu kaufen. Sind wir zu einer über-
sättigten Gesellschaft geworden, die den
Wert von Bildung vergessen hat? Diese
Frage stelle ich mir des Öfteren, wenn ich
Eltern motiviere, konsequenter in der Erzie-
hung ihrer Kinder zu sein, damit ich meinen
Job machen kann.
Liebe Frau Ministerin
Feller…
Motivierte Schüler und öffentliche Wert-
schätzung würden auch die Attraktivität des
Lehrberufs steigern und mehr Menschen
motivieren, diesen Job anzutreten. Liebe
Frau Ministerin Feller, bitte sorgen Sie für
moderne Arbeitsplätze, kleine Klassen und
öffentliche Wertschätzung. Ihre Kampagne
ist ein guter Anfang dafür.
JUNGE LEHRER NRW
Zwischen Lust und Frust:
Viele Lehrkräfte brennen für ihren Beruf,
verzweifeln aber an den Rahmenbedingungen.
Fotos: AdobeStock/Andrej Zhuravlev
9
1/2024 ·
lehrer nrw
Das passt nicht zusammen:
Zwar hat das Land endlich die schrittweise Anhebung der Ein-
stiegsbesoldung in der Primarstufe und der Sekundarstufe I nach A 13 bzw. EG 13 beschlossen, dabei
aber gleich die nächste Baustelle aufgerissen.
PERSONALRATSWAHL 2024
Nicht zu Ende gedacht
Im Personalratswahlkampf setzt
lehrer nrw
Schwerpunkte bei den Themen Gewalt, Gehalt
und Gesundheit. Unser Plakat zum Thema Lehrkräftebesoldung liegt dieser Ausgabe bei.
Bitte
mitmachen!
Bitte helfen Sie mit, dass der Kampf
für bessere und gesündere Arbeitsbe-
dingungen an Schulen Wirkung entfal-
tet. Das Plakat von
lehrer nrw
zum The-
ma Lehrkräftebesoldung liegt dieser
Ausgabe bei. Bitte hängen Sie es
an Ihrer Schule aus.
I
Im Sommer 2023 hat das Parlament
endlich das Gesetz zur Anpassung der
Lehrkräftebesoldung verabschiedet, das
die schrittweise Anhebung der Einstiegs-
besoldung der Lehrkräfte im Bereich der
Primarstufe und der Sekundarstufe I nach
A 13 bzw. EG 13 regelt. Damit hat
lehrer
nrw
ein Ziel erreicht, das wir seit dem Jahr
2009 hartnäckig verfolgt haben.
Zwangsläufige Schieflage
Doch gut gemeint ist nicht immer gut ge-
macht: Denn leider hat die Landesregie-
rung sich nicht zu einer grundlegenden Re-
form der Lehrkräftebesoldung durchringen
können. Statt die Besoldungsarchitektur
komplett auf neue Füße zu stellen, hat
man einen singulären Baustein inner-
halb der Besoldungspyramide verän-
dert, was zwangsläufig zu einer Schief-
lage führt. Lehrkräfte in Funktions- und
Leitungsämtern fragen zu Recht: »Was
ist mit dem Abstandsgebot?«, Lehrkräfte
im ersten Beförderungsamt: »Wenn das
Eingangsamt jetzt A13 wird, was ist dann
mit mir?«. Und Fachleitungen in der Se-
kundarstufe I sowie in der Grundschule
weisen zu Recht darauf hin, dass ‘A13 für
alle’ zwar das Eingeständnis ist, dass die
Arbeit von Lehrkräften unabhängig von
der Schulform gleich wertvoll ist und künf-
tig deshalb gleich bezahlt wird, dass das
aber mitnichten für Fachleitungen gelte.
Besoldungsgerechtigkeit
(wieder)herstellen
Kurzum: Die Sache ist nicht zu Ende
gedacht.
lehrer nrw
fordert deshalb eine
Besoldungsanhebung für Lehrkräfte im
1. Beförderungsamt, in Funktions- und
Leitungsämtern sowie Funktionsstellen
für Fachleitungen im Sek-I-Bereich.
lehrer nrw ·
1/2024
10
MAGAZIN
Schülerwettbewerbe
als Bildungsimpuls
Von Herausforderungen zu Erfolgen: Ein guter Schülerwettbe-
werb macht Spaß, stärkt das soziale Miteinander und bietet viele
Lerngelegenheiten. Gerade läuft zum Beispiel der von der Floss-
bach von Storch Stiftung initiierte econo-me Wettbewerb, der
zum Ziel hat, die ökonomische Bildung zu fördern.
W
Wettbewerbe für Schülerinnen und
Schüler können fachliche, soziale,
personale und persönliche Kompe-
tenzen von Kindern und Jugendlichen stär-
ken. Sie fördern die Leistungsbereitschaft und
-fähigkeit und ermöglichen Erfolgserlebnisse.
Die Wettbewerbssituation bietet einen Rah-
men, der so in der Schulzeit selten ist: Schüle-
rinnen und Schüler treten aus dem geschütz-
ten Raum Klassenzimmer hervor und präsen-
tieren ihre Ergebnisse, zum Beispiel vor einer
Jury. Wettbewerbe ermöglichen Schülerinnen
und Schülern, ihre individuellen Talente ein-
zusetzen, Verantwortung zu übernehmen und
im Team zusammenzuarbeiten. Schülerinnen
und Schüler erhalten Wertschätzung und
Preise nicht für Noten, sondern für neue,
kreative, innovative Ideen und Ergebnisse.
Die Arbeit der Zukunft
Neben den allseits bekannten Bundesju-
gendspielen, dem Känguru-Wettbewerb der
Mathematik, dem Vorlesewettbewerb, gibt
es für den Bereich Wirtschaft den jährlich
stattfindenden econo-me Wettbewerb Wirt-
schaft und Finanzen. Das Thema der Runde
2023/24 ist Arbeit der Zukunft: »Die Arbeit
der Zukunft hat schon begonnen«.
Während sich ganze Lebens- und Arbeits-
bereiche verändern, stehen wir als Lehrerin-
nen und Lehrer vor der spannenden Heraus-
forderung, unsere Schülerinnen und Schüler
bestmöglich auf ihr zukünftiges Leben vorzu-
bereiten: Zum einen auf ihre auch wirtschaft-
lich geprägte alltägliche Lebenswelt, zum
anderen auf einen guten Einstieg in die Ar-
beitswelt.
Das Erkennen und Verstehen von wirt-
schaftlichen Zusammenhängen, das Wissen
um die eigenen Bedürfnisse und Ziele sowie
die Auseinandersetzung mit ganz unter-
schiedlichen Einflüssen auf die Arbeitswelt
– Demografie, technischer Fortschritt etc. –
helfen jungen Menschen bei der Berufsorien-
tierung und Berufswahl – und ganz allge-
mein: im Leben zurechtzukommen.
Eine Möglichkeit, sich im oder außerhalb
von Unterricht, in Vertretungsstunden oder
bei Projekttagen mit der Arbeit der Zukunft
zu beschäftigen, bietet der econo-me-Wett-
bewerb Wirtschaft und Finanzen 2023/24.
Dort können die Schülerinnen und Schüler in
eigenen Beiträgen Antworten auf die folgen-
den Fragen entwickeln:
Welche Folgen hat der Fach-
und Arbeitskräftemangel für
Unternehmen und uns alle?
Schulwettbewerbe
machen Spaß, stiften
Gemeinschaft, erwei-
tern den Horizont
und prägen die
Persönlichkeit.
Foto: AdobeStock/Studio Romantic
MAGAZIN
11
1/2024 ·
lehrer nrw
Welche Wünsche haben Schülerinnen
und Schüler als zukünftige Arbeitskräfte
an Unternehmen?
Wie versuchen Unternehmen, Arbeits-
kräfte zu finden und an sich zu binden?
Fachwissen vertiefen
und soziale
Kompetenzen stärken
Mit dem econo-me-Wettbewerb können
Schülerinnen und Schüler ihr Fachwissen
vertiefen, indem sie sich intensiv und mehr-
perspektivisch mit dem Thema Arbeit der Zu-
kunft auseinandersetzen. Sie können ihre
fachlichen, sozialen und digitalen Kompeten-
zen stärken und kreative Lernprodukte, wie
beispielsweise Videos, Websites oder digitale
Zeitschriften erstellen. Dadurch können jun-
ge Menschen individuelle Stärken zeigen,
die sonst im Schulalltag wenig Raum haben.
Durch die praxisorientierte Aufgabenstellung
INFO
Weitere Wettbewerbe mit Fokus auf Ökonomische Bildung
Young Economic Solutions (https://young-economic-solutions.org)
JUNIOR (https://iwjunior.de/unsere-angebote/create/junior-schuelerfirmen/wettbewerbe)
MACH WAS! Der Handwerkswettbewerb für Schulteams
(www.handwerkswettbewerb.de/de/handwerk/startseite/in)
können die Jugendlichen während der Bei-
tragserstellung unter anderem wertvolle
Kontakte zu Unternehmen vor Ort aufbau-
en. Die Jury differenziert bei der Bewertung
der Beiträge zwischen der Sekundarstufe I
und II. Schülerinnen und Schüler der Sek-I-
Schulformen haben valide Gewinnchancen.
Unterstützung
für Lehrkräfte
econo-me unterstützt Lehrkräfte im Schul-
alltag mit einem umfangreichen Material-
paket, einem Recherche-Bereich auf der
Website sowie mit Online-Impulsen –
auch für Schülerinnen und Schüler.
Der econo-me-Wettbewerb Wirtschaft
und Finanzen findet jährlich statt. Der
Einsendeschluss der Runde 2023/24 ist
der 29. Februar 2024.
Die neue Runde beginnt im August 2024.
Weitere Informationen:
www.econo-me.de
Julia Hehl
Referentin bei der Flossbach von Storch Stiftung
lehrer nrw ·
1/2024
12
TITEL
Demokratiebildung in der Schule:
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Politische Bildung sollte schon bei jungen Menschen ansetzen –
Schule ist einer der wenigen Orte, der diese in großer Zahl
erreicht. Doch wie viel Platz lässt der deutsche Schulalltag für
Demokratiebildung – angesichts von Herausforderungen wie
Lehrkräftemangel, Inklusion oder Integration?
E
Eine bundesweit erstarkende AfD, die
Aiwanger-Affäre in Bayern, geschei-
terte Umsturzpläne der Reichsbürger-
bewegung: Die Liste der jüngsten antidemo-
kratischen Entwicklungen und Vorfälle in
der Bundesrepublik ist lang – und lässt auch
Schulen nicht außen vor. Im Frühjahr wur-
den beispielsweise rechtsextreme Fälle an
einer Grund- und Oberschule in Branden-
burg bekannt. Zwei Lehrkräfte berichteten
in einem Brandbrief von demokratiefeindli-
chen Parolen und der Verbreitung rechtsex-
tremer Symbole und Musik durch Schülerin-
nen und Schüler. Beide geben an, tagtäglich
mit der Vermittlung demokratischer Grund-
werte beschäftigt zu sein, haben aber letzt-
lich ihre Versetzung beantragt.
»Demokratiebildung ist besonders auf-
grund der vielfältigen Gefahren, die aktuell
auf die Demokratie einwirken, noch stärker
auf die bildungspolitische Agenda gerückt«,
sagt Daniel Maus, Lehrbeauftragter am For-
schungs- und Nachwuchskolleg der Pädago-
gischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, im
Interview mit bildungsklickTV. Ihren Wert hat
auch die Kultusministerkonferenz der Länder
erfasst und in der Empfehlung ‘Demokratie
als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-
politischer Bildung und Erziehung in der
Schule’ verankert. Dort heißt es: »Die gelebte
Demokratie muss ein grundlegendes Quali-
tätsmerkmal unserer Schulen sein.«
Ein steiniger Pfad: Von der
Theorie in die Praxis
Wie und in welchem Maß Demokratiever-
ständnis vermittelt wird, unterscheidet sich
in Bildungseinrichtungen mitunter stark, Ex-
pert/innen sind sich aber einig: Insbesondere
Antidemokratische Ent-
wicklungen haben zuletzt
viele Menschen in Deutsch-
land auf die Straßen getrie-
ben, um gegen Rechtsex-
tremismus und rechtspopu-
listische Stimmungsmache
zu demonstrieren. Das
zeigt, dass Demokratiebil-
dung wichtiger denn je ist,
gerade in der Schule.
Foto: AdobeStock/Animaflora PicsStock
TITEL
13
1/2024 ·
lehrer nrw
die politische Bildung an Schulen muss ei-
nen höheren Stellenwert bekommen. Dabei
geht es sowohl um den Unterricht und das
Fach Politik, als auch um die Strukturen an
Schulen.
Ein Best Practice-Beispiel ist die Schiller-
Schule in Bochum. Für sein umfassendes
Demokratiekonzept wurde das Gymnasium
mehrfach ausgezeichnet, etwa 2019 mit
dem Deutschen Schulpreis. Hier gibt es einen
monatlichen Klassenrat: Anliegen, die dort
besprochen werden und die ganze Schule
betreffen, werden per Antrag an das Schüler-
parlament gestellt und einmal im Quartal
diskutiert. Mehrheitlich verabschiedete An-
träge werden dann der Schulleitung und der
Schulkonferenz zur Umsetzung vorgelegt.
Neben diesen demokratischen Grundstruktu-
ren gibt es zusätzlich Aktionen wie Umfra-
gen, Wahlsimulationen oder Podiumsdiskus-
sionen mit Politikvertretern vor verschiede-
nen Wahlen. In puncto Lehrplan können
Schülerinnen und Schüler über Medienaus-
wahl, Lern- und Präsentationsmethoden
oder die eigene Schwerpunktsetzung mit-
entscheiden.
Doch die Schiller-Schule ist nicht die Re-
gel. Demokratie werde an vielen Schulen
nicht gelebt, bilanziert Karim Fereidooni im
didacta-Bildungspodcast. Letztlich sei es die
Lehrkraft vorne am Pult, die über alles ent-
scheide, so der Juniorprofessor für Didaktik
der sozialwissenschaftlichen Bildung an der
Ruhr-Universität Bochum. Das Ergebnis: »In
einer eher undemokratischen Institution sol-
len die Schüler/innen demokratische Spielre-
geln lernen«.
Demokratiebildung
als Feigenblatt?
Über diese Problematik hat der Bildungsfor-
scher Klaus Zierer jüngst ein Buch geschrie-
ben, gemeinsam mit dem Philosophen Julian
Nida-Rümelin. Es heißt: »Demokratie in die
Köpfe. Warum sich unsere Zukunft in den
Schulen entscheidet«. In der Forschung gebe
es eigentlich eine Vielzahl von Ansätzen, von
denen man wisse, dass sie für die Vermitt-
lung demokratischer Werte funktionieren,
erklärte Zierer im Juli gegenüber dem WDR.
»Leider müssen wir feststellen, dass in der
Schulwirklichkeit häufig Demokratiebildung
wie so ein Feigenblatt wirkt. Jeder sagt: Das
ist wichtig. Aber letztendlich passiert nichts
Systematisches
Als beispielhaft für Demokratiebildung
nennt er vieles, was die Schiller-Schule be-
reits eingeführt hat: ob Schülerparlamente,
Klassenräte oder Projektunterricht, Epo-
chenunterricht sowie Dilemmadiskussion.
Doch im SWR-Interview stellt er einen As-
pekt ganz besonders heraus: die Lehrpläne.
»Die sind zum Teil veraltet, die gehören re-
formiert. Ich spreche gerne von einer Ent-
rümpelung und einer Neugewichtung, und
ich glaube, das sind wichtige Elemente, um
schnellstmöglich hier im Bildungssystem
eine Veränderung herbeiführen zu können.«
Tatsächlich kommt eine Demokratiestudie
der Hertie Stiftung zu einem ähnlichen Er-
gebnis. Eine Analyse der Lehrpläne in den
einzelnen Bundesländern zeigt: Für komple-
xe Themenfelder im Kontext demokratischer
Bildung steht eher wenig Zeit zur Verfü-
gung. Politikunterricht werde zudem in
unterschiedlichem Umfang angeboten.
Am stärksten sei er an Gymnasien vertreten,
am schwächsten an Berufs- und Berufsfach-
schulen. Nicht zuletzt hat auch die Corona-
Pandemie die Demokratieförderung an
Schulen verlangsamt, weil sich demokra-
tisch gewählte schulische Gremien nicht
treffen konnten und ihre Handlungsmöglich-
keiten eingeschränkt waren. Eine Befragung
von Schulleitungen im Rahmen der Demo-
kratiestudie legt zudem »die Vermutung na-
he, dass es mehr Raum für die Schulleitun-
gen gäbe, sich der Demokratiebildung zu
VERANSTALTUNGSTIPP
Bei der didacta in Köln, die vom 20. bis 24. Februar stattfindet, spielt das Thema Demo-
kratiebildung ebenfalls eine wesentliche Rolle. So dreht sich ein ‘Forum Schulpraxis’ um
diesen Komplex. Der Titel lautet: ‘Demokratiekompetenzen fördern – Schule partizipativ
entwickeln’.
Termin: 22. Februar 2024 · 13:45 Uhr bis 14:15 Uhr
Nähere Informationen zu den Veranstaltungen der didacta 2024:
www.didacta-koeln.de
widmen, wenn die Rahmenbedingungen in
den anderen Bereichen, die aktuell als vor-
rangig wahrgenommen werden (Personal-
ausstattung, digitale Infrastruktur und Aus-
stattung, Schulbau), bereits vorhanden wä-
ren«.
Priorität
Demokratiebildung?
Die Aufgabe der Lehrkräfte ist dabei durch-
aus umfassend: Kinder und Jugendliche hät-
ten teilweise gravierende Wissenslücken bei
Themen wie dem Holocaust, betont Cahit
Başar, Oberstudienrat am Kölner Georg-
Büchner-Gymnasium, gegenüber Bildungs-
klickTV. »Obwohl wir das tatsächlich immer
wieder aufarbeiten, […] kämpfen wir hier
nicht nur einerseits mit Wissenslücken und
mit historischem Desinteresse, sondern auch
mit Fake News.« Unterstützung bietet Lehr-
kräften beispielsweise die Bundeszentrale für
politische Bildung (bpb). Auf deren Website
finden sich unter anderem multimediale Bei-
träge über Bildung und Demokratie und frei
verfügbare Materialien zum Lehren und Ler-
nen. So werden beispielsweise begleitende
Materialien für den Einsatz des ‘Wahl-O-
Mats’ im Unterricht bereitgestellt. Mit einem
downloadbaren Workshop-Konzept lernen
Schülerinnen und Schüler in einfacher Spra-
che verschiedene Möglichkeiten kennen, wie
sie im Alltag und bei politischen Themen bis
hin zu Wahlen mitbestimmen können. Die
App ‘HanisauLand’ wiederum soll Kindern
zwischen 8 und 14 Jahren vermitteln, wie ein
demokratisches Zusammenleben trotz unter-
schiedlicher Lebensentwürfe aussehen kann.
Dieser Beitrag erschien zuerst im didacta Themendienst.
lehrer nrw ·
1/2024
14
TITEL
Demokratie
(er)leben
Das NRW-Schulministerium startet mit der Deutschen Kinder-
und Jugendstiftung einen Beteiligungsprozess für Schülerinnen
und Schüler zur Förderung der Demokratiekompetenz.
W
Wie können wir Schülerinnen und
Schüler noch besser am Schulle-
ben beteiligen und ihnen dadurch
Demokratiekompetenz vermitteln? Darum
geht es bei einem neuen Programm, wel-
ches das Ministerium für Schule und Bil-
dung des Landes Nordrhein-Westfalen ge-
meinsam mit der Deutschen Kinder- und
Jugendstiftung (DKJS) startet. In den kom-
menden zwei Jahren sollen neue Beteili-
gungsformate zur Stärkung der Demokratie-
kompetenz von Schülerinnen und Schülern
für Schülerinnen und Schüler geschaffen
werden.
Prozess von unten
»In unserer Demokratie können die Men-
schen in Frieden und Freiheit auf der Grund-
lage des Rechts miteinander leben. Das ist
keine Kleinigkeit und selbstverständlich ist
es auch nicht. Damit das auch in Zukunft so
bleibt, wollen wir die demokratischen Kom-
petenzen der jungen Menschen stärken. Wir
beginnen damit in unseren Schulen. Hier
können Kinder und Jugendliche früh lernen,
ihre eigenen Interessen zu vertreten, aber
auch andere Meinungen zu respektieren.
Diese Fähigkeiten wollen wir mit unserem
neuen Programm gezielt fördern. Dabei le-
gen wir großen Wert darauf, dass Schülerin-
nen und Schüler ihre eigenen Wege gehen
können. Wir geben keine Themen und For-
mate vor, sondern setzen auf einen Prozess
von unten. Das Signal lautet: Wir hören
Euch und wir nehmen Euch ernst!«, erklärt
Schulministerin Dorothee Feller.
Argumente austauschen, Kompromisse finden:
So funktioniert Demokratie – auch in der Schule. Diese Kompetenz will das NRW-
Schulministerium in einem breit angelegten Beteiligungsprozess fördern und stärken.
Foto: AdobeStock/Halfpoint
Ziel des Prozesses zur Stärkung der
Demokratiekompetenz ist es, bis zum Jahr
2026 neue demokratische Foren an Schu-
len zu installieren, die weit über die Ver-
mittlung von Fachwissen über Staatsfor-
men im Unterricht und die Organisation
von Schülerparlamenten hinausgehen. Zu
diesem Zweck sammeln das Schulministe-
rium und die DKJS zunächst Ideen und
Themen, die Schülerinnen und Schüler im
ganzen Bundesland beschäftigen. Was ist
ihnen wichtig? Was erwarten sie von Poli-
tik? Wie soll die Schule von morgen aus-
sehen? Und wo möchten sie gerne mitge-
stalten? Antworten auf diese und andere
Fragen sollen eine neue Mitbestimmungs-
praxis an den Schulen prägen.
Bis zu 250 Schulen
können teilnehmen
Im Zeitraum von 2024 bis 2026 soll ein
umfangreicher Beteiligungsprozess zur
Stärkung der Demokratiekompetenz an
bis zu 250 Schulen in Nordrhein-Westfa-
len durchgeführt werden. Das Programm
richtet sich zunächst an Schülerinnen und
Schüler der 6. bis 8. Jahrgangsstufe von
allgemeinbildenden Schulen aller Schul-
formen in Nordrhein-Westfalen. Ein mo-
dulares Konzept bietet unterschiedliche
Bausteine, um Schülerinnen und Schüler
individuell nach ihren Bedürfnissen und
Kapazitäten an dem Prozess zu beteili-
gen. Im nächsten Schritt werden ab März
2024 alle Schulen der Sek I durch Mai-
lings, eine digitale Informationsveranstal-
tung und eine Website über das Vorhaben
informiert und zur Teilnahme eingeladen.
Als Höhepunkt des Beteiligungsprozes-
ses und als Ausdruck der Wertschätzung
ist im Jahr 2026 ein Jugendkongress im
nordrhein-westfälischen Landtag geplant.
Dazu werden etwa 200 Schülerinnen und
Schüler eingeladen, ihre Ideen vorzustel-
len, mit anderen Schülerinnen und Schü-
lern zu diskutieren und die erarbeiteten
Ideen weiterzuentwickeln. Die Ergebnisse
sollen dann in weitere Dialogformate auf
regionaler und landesweiter Ebene ein-
fließen.
Schule der Zukunft:
Sieben Handlungsoptionen
Sieht so die Schule der Zukunft aus?
Dieses Bild zeigt einen futuristischen Klassenraum.
Es wurde generiert mit Künstlicher Intelligenz.
15
1/2024 · lehrer nrw
von PROF. OLAF-AXEL BUROW
Während die fortgeschrittenen Gesellschaften
weltweit sich mit der Notwendigkeit eines
schnellen, fast alle Bereiche umgreifenden
Transitionsprozesses konfrontiert sehen und zukunfts-
orientierte Politiker deshalb radikale Eingriffe in fast
alle Bereiche der Gesellschaft und unser Alltagsleben
vorantreiben, verharren die Kultusbürokratie und zu
viele Schulen in einer eher abwartenden Position. Da-
bei sollte angesichts der Zuspitzung des Klimawan-
dels, der wachsenden Schere zwischen arm und reich
sowie zuletzt der Corona-Krise klar sein: Wenn es uns
gelingen soll, den Übergang von einer ressourcenüber-
spannenden expansiven Wachstumsgesellschaft zu
einer das Naturkapital schützenden oder sogar erwei-
ternden, sozial gerechten Nachhaltigkeitsgesellschaft
zu gestalten, dann muss es uns schnell gelingen,
Heranwachsende mit den entsprechenden Zukunfts-
kompetenzen auszustatten. Dieser Anspruch lässt sich
nicht mit einer Reparatur oder Ergänzung einzelner
Bereiche erreichen, sondern die Zukunft der Schule
bedarf eines grundlegenden Neuentwurfs, der alle
Bestandteile umfasst. In ‘# Schule der Zukunft’ (Burow
2022) arbeite ich mit Verweis auf einschlägige Studien
„sieben Handlungsoptionen“ heraus, die eine Orientie-
rung für den anstehenden Wandel geben. Dabei han-
delt es sich um folgende Punkte:
1. Digitalisierung kreativ nutzen
2. Talente und Neigungen stärken
3. Neue Bildungsräume erschließen
4. Agile Schulkultur gestalten
5 Gesundheit, Glück und Resilienz sichern
6. Demokratie und Gerechtigkeit leben
7. Zukunftskompetenz fördern
Foto: AdobeStockKanisorn
Digitalisierung
Digitalisierung ist der Megatrend, denn alles was digitali-
sierbar ist, wird in absehbarer Zeit digitalisiert werden.
Wie Kevin Kelly, der Google-Vordenker in seiner Studie ‘The
Inevitable’ (2017) ausführt, bestimmen schon heute und in
Zukunft noch stärker insbesondere zwölf technologische
Kräfte unser Leben und Lernen:
So sind wir mitten im Übergang von Produkten zu Prozes-
sen (‘becoming’); bekommen alle materiellen Dinge mittels
Sensoren und Online-Verbindung Zugriff auf künstliche In-
telligenz (‘cognifying’); wird alles zu einem Strom von Infor-
mation (‘flowing’), aus dem wir direkt oder über Algorith-
men zugreifen; bekommt alles einen Bildschirm (‘scree-
ning’); wird weniger der Besitz von Dingen, als eher das
Zugriffsrecht (‘accessing’) entscheidend; werden wir immer
mehr zusammenarbeiten und teilen (‘sharing’); werden
Produkte, Dienstleistungen und damit auch Unterrichtsan-
gebote auf die einzelne Person passend zugeschnitten
(‘filtering’); eröffnet sich die Möglichkeit, alles miteinander
zu verbinden (‘remixing’); wird alles beginnend bei der
Sprach-, über die Gesten-, bis hin zur Gedankensteuerung
interaktiv (‘interacting’); steuern wir auf einen Überwa-
chungskapitalismus zu, denn unsere Datenspuren werden
permanent verfolgt (‘tracking’); wird es immer wichtiger,
dass wir fähig sind, dem Computer gute Fragen zu stellen
(‘questioning’). Dies alles, so Kelly, sei der Beginn eines erd-
umspannenden Systems, das alle Menschen und Maschi-
nen in eine Verbindung treten lasse und zur Ausbildung
von Künstlicher Intelligenz und eines Superorganismus füh-
re. Auch wenn man diesen visionären Trendausblick nicht
völlig teilt, so kann man doch ahnen, welche Konsequen-
zen der technologisch gestützte und kulturell verstärkte
Wandel für Schule und Unterricht hat.
So wird sich neben der dringend gebotenen Fokussierung
auf die Ausbildung von Medienkompetenz die Lehrerrolle
insgesamt grundlegend ändern: Schon heute geht es im-
mer weniger allein um Wissensvermittlung, da wir durch
digitale Technologien mit Wissen umstellt sind und wir die
reine Wissensvermittlung und das Üben immer stärker an
Lernplattformen, neuerdings sogar an KI-Bots abgeben kön-
nen. Durch innovative medienpädagogisch fundierte Kon-
zepte gewinnen wir so mehr Zeit für persönliche Begeg-
nung, Lerncoaching und die Entwicklung auf die einzelne
Person zugeschnittener Lerndesigns. Mehr noch: Mit Hilfe
digital unterstützter Systeme ist nicht nur der Abschied vom
Zeitalter der nivellierenden Massenpädagogik möglich, et-
wa indem wir digital unterstützte personalisierte Lehr-/Lern-
angebote entwickeln, sondern damit eröffnet sich auch ein
dringend benötigtes Zeitfenster, um uns mit den derzeit un-
terwickelten Bereichen von Kunst, Theater und Musik zu be-
fassen. Denn in dem Maße, in dem wir immer mehr Zeit hin-
ter Flachbildschirmen und vor Displays verbringen, werden
direkter Kontakt, Bewegung und die Befähigung zu aktivem
Handeln, auch zu handwerklichem und kreativ-künstleri-
schem Gestalten – etwa in Designwerkstätten, Tanz-, Thea-
ter- und Musikprojekten oder Makerspaces – wichtiger. Aus
dieser Perspektive sind digital und analog keine Gegensät-
ze: Sie können einander ergänzen und erweitern den schuli-
schen Möglichkeitsraum, indem sie die engen Grenzen ein-
seitig kognitiv orientierter Wissensvermittlung überwinden
und Raum für die Entdeckung und Förderung von Neigun-
gen bzw. Talenten schaffen und zu leidenschaftlicher Bil-
dung (Burow 2024) beitragen.
Talente und Neigungen stärken
In einer arbeitsteilig organisierten, ausdifferenzierten Gesell-
schaft geht es – anders als zu Zeiten der industriellen Massen-
produktion – immer weniger darum, dass alle das gleiche
können, sondern dass jeder etwas Besonderes kann. Wie der
englische Theaterpädagoge Ken Robinson in seinen millio-
nenfach geklickten Youtube-Videos belegt, zeichnet es erfolg-
reiche Persönlichkeiten aus, dass sie das Glück hatten, frühzei-
tig ihr „Element“ zu finden und sie darin systematisch unter-
stützt wurden. Sein Begriff des ‘Elements’ beschreibt ein Talent
oder eine Neigung, etwas das mir ‘liegt’, das meine ‘innere
Bestimmung’ ausdrückt und quasi intrinsisch einen Wunsch
nach Vervollkommnung erzeugt, der die entscheidende
Voraussetzung bildet für die Befähigung zu dem jetzt immer
stärker geforderten eigenständigen, lebenslangen Lernen.
Wie ich in ‘Team-Flow’ (Burow 2015) anhand der Nachver-
folgung von Lebensläufen erfolgreicher Teams gezeigt ha-
be, bedarf es neben der Talent- bzw. Neigungsförderung
auch der Schaffung entwicklungsförderlicher Umgebungen,
in denen man in Projekten mit geeigneten Synergiepart-
nern Problemlösungs- und Gestaltungskompetenz entwi-
ckeln kann. Eine bislang zu wenig umgesetzte Vorausset-
zung dafür ist – wie Beutel & Pand (2020) gezeigt haben, der
Abschied von lernfeindlichen Bewertungssystemen und de-
ren schrittweise Ersetzung durch personalisierte, lernförderli-
che Rückmeldungen. Auch hier bieten Lernplattformen und
KI-Bots, wenn man sie angemessen einsetzt, viele Chancen
für eine optimierte Lern- und Unterrichtsgestaltung.
Neue Bildungsräume erschließen
Die auf militärische Kasernenbauten zurückgehende Flur-
schule, mit vom Gang abgehenden Klassenzimmern, der
inflexiblen Standardeinrichtung mit frontal auf die Tafel
und die Lehrkraft ausgerichteter Zentrierung, wird den neu-
en Anforderungen nicht gerecht. Wenn Lernen in digitali-
sierten Welten zeit- und ortsunabhängig mithilfe eines inter-
aktiven digitalen Gerätes jederzeit und vielfältig vernetzt
möglich ist, dann erfordert dies veränderte Lehr-/Lernde-
signs, die geeignet sind, die sich rasant entwickelnden neu-
en Möglichkeiten zu nutzen und darüber hinaus die sich
verändernden Lernwege Heranwachsender berücksichti-
gen. Mehr noch: Es geht darum, sie zu befähigen, sich die
16 1/2024 · lehrer nrw
Möglichkeiten der neu entstehenden Lernwelten nicht
nur aktiv zu erschließen, sondern sie auch aktiv mitzu-
gestalten.
Wie eine neue, flexible Schularchitektur und Lernum-
gebungsgestaltung aussehen könnte, kann man auf
den Seiten der Montags-Stiftung (https://schulen-pla-
nen-und-bauen.de), auf www.lern-landschaft.de sowie
wegweisend bei der schwedischen Architektin Rosan
Bosch (www.youtube.com/watch?v=dRMJvmOoero) und
Otto Seydels (2023) gerade erschienener Überblickstu-
die ‘Anforderungen an ein Schulgebäude’ sehen. Doch
‘neue Bildungsräume’ meint mehr als Architektur und
Mobiliar, sondern bezieht sich auch – etwa im Rahmen
eines rhythmisierten Ganztags um die Nutzung außer-
schulischer Lernorte, seien sie analoger oder digitaler
Art – auf Kooperation mit Partnern aus unterschiedli-
chen gesellschaftlichen Umfeldern.
Agile Schulkultur gestalten
Ob es um den Ausbau der digitalen Infrastruktur oder
die Bewältigung der Coronakrise etwa durch die An-
schaffung von Filtersystemen geht – der Amtsschimmel
wiehert in Deutschland und behindert Lösungsversu-
che aus eigener Kraft. Wie Andreas Schleicher in einer
OECD-Studie dargestellt hat, können deutsche Schulen
nur in ca. einem Fünftel aller Fragen selbstständig ent-
scheiden. Allerdings zeigen seine Studien, dass in
Schulsystemen, in denen Schulleitungen, Lehrkräfte
und auch Lernende über ein hohes Maß an Gestal-
tungsautonomie verfügen, sehr viel bessere Ergebnisse
erzielt werden als in Systemen, in den fast alles durch
enge Vorschriften geregelt ist. Von daher scheint es, ne-
ben der dringend gebotenen Entbürokratisierung, sinn-
voll, geeignete Elemente agiler Führung, die aus dem
Managementbereich stammen, auch auf die Leitung
von Schulen zu übertragen. Dabei handelt es sich um:
Arbeit in selbstorganisierten und multifunktionalen
Teams
‘Produktentwicklung’ mit der Konzentration auf
schnelle und sichtbare Erfolge
Optimierung von ‘Produkten’ im laufenden Betrieb
durch kurzfristige Zyklen, mit denen man sich schrittwei-
se an die beste Lösung annähert (iteratives Vorgehen)
Entwicklung von Lösungen aus ‘Kundensicht’
Regelmäßige Kommunikation auf Augenhöhe im
Team und mit dem ‘Kunden
Die Umsetzung dieser Prinzipien wird durch
‘agile Techniken’ unterstützt:
Projektboard mit einer Übersicht aller Aufgaben und
dem Stand der Bearbeitung nach Kanban-Methode:
Zerlegung eines Projektes in Teilpakete und Sichtbar-
machen des Fortschritts durch die Verschiebung der
Pakete von ‘to do’ in ‘work in progress’ bzw. in ‘done
Regelmäßige ‘Stand-Up-Meetings’ zur effizienten Be-
sprechung des Status der Bearbeitung von Aufgaben
‘Use Cases’ zur Beschreibung der Anforderungen an
eine Entscheidung aus unterschiedlichen Perspektiven
Osmotische Kommunikation, d.h. gleicher Informati-
onsstand für alle Mitwirkenden
‘Backlog’ bzw. ‘Warteschleifendokument’ zur Samm-
lung weiterer wichtiger Themen
Die anstehende ‘Große Transformation’ der Gesell-
schaft macht es notwendig, dass Schule stärker als bis-
her zu einer permanent sich wandelnden ‘Lernenden
Organisation’ wird, indem die Beteiligten am schritt-
weisen Aufbau einer agilen Schulkultur arbeiten.
Gesundheit, Glück und
Resilienz sichern
Schule ist nur dann zukunftsfähig, wenn sie so verfasst
ist, dass sie zur Gesundheit der Beteiligten beiträgt,
17
1/2024 · lehrer nrw
Olaf-Axel Burow war bis 2017 Professor für Allgemeine
Pädagogik an der Universität Kassel. Er ist Autor zahl-
reicher Bücher zur Zukunft des Lehrens und Lernens.
Mit dem ‘Institute for Future Designwww.if-future-
design berät er Bildungseinrichtungen und Unterneh-
men. Im November 2023 hielt er beim Mülheimer
Kongress einen Vortrag zum Thema dieses Dossiers.
Letzte Veröffentlichungen:
Burow OA. (2016): Wertschätzende Schulleitung.
Der Weg zu Engagement, Wohlbefinden und
Spitzenleistungen. Weinheim: Beltz.
Burow O.A. (Hg.) (2019): Schule digital – wie geht das?
Weinheim: Beltz.
Burow O.A. (2020): Future Friday. Warum wir das
Schulfach Zukunft brauchen. Weinheim: Beltz.
Burow O.A. (2021): Die Corona-Chance. Sieben
Schritte zur ‘Resilienten Schule’. Weinheim: Beltz
Burow O.A. (2021,2): Postive Pädagogik.Weinheim: Beltz.
Burow O.A. (2022): # Schule der Zukunft:
Sieben Handlungsoptionen. Weinheim Beltz.
Burow O.A. (2024): Durch KI zu leidenschaftlicher Bildung.
Ein Manifest. Weinheim Beltz (Januar 2024)
DER AUTOR
Foto: Smets
18 1/2024 · lehrer nrw
die Erfahrung von Wohlbefinden, Sinn und bisweilen auch
Glück ermöglicht sowie die für unsichere Zeiten benötigten
Resilienzfähigkeiten vermittelt. Schon vor Corona haben Un-
tersuchungen immer wieder belegt, dass zu oft das Gegen-
teil der Fall ist: So gefährdet die traditionelle Form des Schu-
lehaltens nicht nur die Gesundheit von zu vielen Lehrkräf-
ten, sondern auch das Wohlbefinden von überforderten
und einseitig belasteten Schülerinnen und Schülern – ohne
dass daraus bislang die notwendigen Konsequenzen gezo-
gen wurden. Studien zur Lehrer- und Schülergesundheit so-
wie zum Erleben von Unterricht, die ich in ‘# Schule der Zu-
kunft’ referiere, belegen in dramatischer Weise, dass zu vie-
le Lehrkräfte und auch Schülerinnen und Schüler durch die
derzeitige Art des Schuleveranstaltens nicht nur überlastet
werden, sondern dass auch mit Fortdauer des Schulbesuchs
Motivation und Lernfreude verschwinden: So assoziieren
laut einer neuen Telekomstudie (Allensbach 2020) 51 Pro-
zent der Befragten Schülerinnen und Schüler mit Schule
Zwang und Druck, 44 Prozent Frust und nur 23 Prozent erfah-
ren ‘Spaß’. Und welchen pädagogischen Ratschlag gibt uns
der frisch gebackene Chemie-Nobelpreisträger Benjamin
List (Die Zeit 9.12.21.S. 21):
»Natürlich arbeiten wir hart. Aber ich ermuntere meine
Leute immer, ihrem Enthusiasmus zu folgen. Ich sage Ihnen:
Macht im Leben das, was Ihr mit Leidenschaft macht. Es soll
sich nicht anfühlen wie harte Arbeit. Und das kann man ei-
gentlich jedem Menschen als Rat mitgeben.«
Demokratie und Gerechtigkeit leben
Da Manipulation durch Fakenews und soziale Plattformen
unser politisches System durch Fehlinformationen bedro-
hen, werden Demokratisierung und die Förderung kriti-
schen Bewusstseins in Form von zukunftsgestaltenden Parti-
zipationsprojekten wie auch der Vermittlung von Demokra-
tiepädagogik zentral. Die Fridays-for-Future-Bewegung hat
gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler sich für eine lebens-
werte Zukunft engagieren wollen. Hierfür brauchen wir Zeit-
fenster, in denen man Zukunftsgestaltung lernt, etwa ein
Schulfach Zukunft (Burow 2020) oder einen Frei Day (Rasfeld
2021). Schließlich geht es um eine Rückbesinnung auf
grundlegende Ziele von Bildung. Eine zukunftsorientierte
Bildung sollte die Befähigung zur Führung eines gelingen-
den Lebens ermöglichen und umfassende Teilhabe für alle
ermöglichen. Wie Klaus Klemm in einer aktuellen Studie für
den DGB (Klemm 2020) zeigt, ist es uns nicht nur nicht ge-
lungen, die seit Jahrzehnten bestehende Bildungsunge-
rechtigkeit zu reduzieren, sondern sie hat sich unter Corona
noch dramatisch verschärft.
Zukunftskompetenz fördern
Schülerinnen und Schüler, die medienmündig sind und ge-
lernt haben, digitale Medien souverän zu nutzen, die in ih-
ren Talenten und Neigungen erkannt und gestärkt wurden,
die neue Bildungsräume erschlossen und genutzt haben,
die mitgestaltender Teil einer agilen, lernenden Schulkultur
geworden sind, die Gesundheitskompetenz und Resilienzfä-
higkeiten erworben haben, denen erweiterte Bildungs- und
Teilhabechancen offeriert wurden und die an ihrer Bil-
dungseinrichtung Demokratie als Lebensform erfahren und
gelebt haben, sind ausgezeichnet ausgestattet für ein Le-
ben in einer immer schneller sich wandelnden, von zuneh-
mender Unsicherheit geprägten Welt. Damit sie darüber
hinaus in der Lage sind, aktiv auf die Gestaltung ihrer Welt
Einfluss zu nehmen, benötigen sie – und dies ist meine sie-
bente Begründung für die Notwendigkeit einer Neuerfin-
dung von Schule – spezielle Zukunftskompetenzen, die Fa-
del et.al. (2017) mit den Kernpunkten Kritisches Denken und
Problemlösen, Kommunikation und Kollaboration, Kreativi-
tät und Innovation umrissen haben. Dabei gilt es, einen
Grundirrtum der alten Schule zu überwinden: die Annah-
me, Wissen sei eine Kompetenz. Wir alle kennen Personen,
die viel wissen, aber sich im Alltagshandeln als inkompe-
tent erweisen. Wie Arnold und Erpenbeck (2016) herausge-
arbeitet haben, entsteht Kompetenz erst durch die Verbin-
dung von Wissen, Haltung, Handeln sowie die Befähigung
zu Metareflexion.
Die von mir hier knapp zusammengefassten sieben
Handlungsoptionen zielen im Sinne einer Ausbildung die-
ser Zukunftskompetenzen darauf ab, die ‘#Schule der Zu-
kunft’ schrittweise in einen Ort zu verwandeln, an dem He-
ranwachsende nicht nur Wissen anhäufen, um es in forma-
lisierten Prüfungen zu reproduzieren, sondern vor allem ihre
Talente und Neigungen entwickeln, um zu einem aktiv mit-
gestaltenden Leben in einer krisenhaften, schnell sich wan-
delnden Weltgesellschaft voller unvorhersehbarer Überra-
schungen beitragen zu können.
LITERATUR
Arnold R. & Erpenbeck J.(2016): Wissen ist keine Kompetenz. Baltmannsweiler:
Schneider Verlag-Hohengehren.
Beutel, S.-I. & Pant, H. A. (2020): Lernen ohne Noten.
Alternative Konzepte der Leistungsbeurteilung. Stuttgart: Kohlhammer.
Burow, O.A. (2024): Durch KI zu leidenschaftlicher Bildung. Ein Manifest. Weinheim: Beltz.
Burow O.A. (2022): # Schule der Zukunft: Sieben Handlungsoptionen. Weinheim Beltz.
Burow O.A. (2020): Future Friday. Warum wir das Schulfach Zukunft brauchen.
Weinheim: Beltz.
Burow, O.A. (2015): Team-Flow: Gemeinsam wachsen im Kreativen Feld. Weinheim: Beltz.
Fadel C., Bialik M. & Trilling B. (2017). Die vier Dimensionen der Bildung. Was Schülerin-
nen und Schüler im 21. Jahrhundert lernen müssen. Hamburg: Verlag ZLL21 e.V.
Kelly K. (2017): The Inevitable. Understanding the 12 Technological Forces
that will Shape our Future. New York: Penguin Books.
Klemm K. (2022): Ist eine Rückkehr zur alten Normalität wünschenswert?
In: Pädagogische Führung 1,2022, S. 8-11
OECD (Hrsg.) (2021a): Lernkompass 2030. www.oecd.org/education/
2030-project/contact/OECD_Lernkompass_2030.pdf [11.08.2021].
Rasfeld M. (2021): Die Welt verändern lernen. Für eine Schule im Aufbruch.
München: oekom-verlag.
Telekomstiftung (2021): Wie Kinder und Jugendliche lernen. https://www.telekom-
stiftung.de/aktivitaeten/wie-lernen-kinder-und-jugendliche - Zugriff 15.12.21
Seydel, O. (2023): Anforderungen an ein Schulgebäude. Lernräume –
Arbeitsräume – Lebensräume. Hannover: Kallmeyer mit Klett.
SCHULE & POLITIK
19
1/2024 ·
lehrer nrw
Klimaschutz
gewinnt
Energiesparmeister-Wettbewerb für Schulen
in Nordrhein-Westfalen gestartet
ma: Das eingereichte Projekt sollte kreativ,
nachhaltig und effizient sein. Den besten
Schulen in jedem Bundesland winken
Geld- und Sachpreise im Wert von
insgesamt 50.000 Euro. Bewerben
können sie sich bis zum 20. März 2024 auf
www.energiesparmeister.de.
Der bundesweite Energiesparmeister-
Wettbewerb ist eine Aktion der gemeinnüt-
zigen Beratungsgesellschaft co2online und
wird unterstützt durch das vom Bundesmi-
nisterium für Wirtschaft und Klimaschutz
geförderte Projekt ‘Online-Klimaschutzbera-
A
Ab sofort wird wieder das beste Klima-
schutzprojekt an Schulen in Nordrhein-
Westfalen gesucht. Beim Energiesparmeis-
ter-Wettbewerb können sich Schüler und
Lehrer aller Schulformen und Alters-
klassen bewerben. Ob Solar-
anlage, Nachhaltigkeits-
Messe oder Schülerfir-
tung für Deutschland’. Bundeswirtschaftsmi-
nister Robert Habeck hat die Schirmherr-
schaft übernommen.
Welche Schule
wird Energiespar-
meister in NRW?
Bis zum 20. März können sich
Schulen aus ganz Deutsch-
land bewerben. Eine
Jury mit Experten aus
Politik und Gesellschaft
kürt aus jedem Bundes-
land das beste Projekt.
Die 16 Landessieger er-
halten je 2.500 Euro Preis-
geld und die Auszeichnung
‘Energiesparmeister 2024’.
Zusätzlich übernimmt ein
renommiertes Unternehmen
aus der Region die Paten-
schaft für die Gewinnerschu-
le. Alle 16 Gewinnerschulen
haben zudem die Chan-
ce auf den Bundessieg
via Online-Voting und
weitere 2.500 Euro.
Vorbildlicher Klimaschutz:
Schule aus Wuppertal
Landessieger des letzten Jahres ist die Erich-
Fried-Gesamtschule in Wuppertal-Ronsdorf.
Die Schüler haben eine Klima-AG eingerich-
tet, ein Klimaschutzkonzept erstellt und ei-
nen Klimagipfel veranstaltet. Die Ergebnisse
haben sie in der Kinderkommission im Bun-
destag in Berlin vorgestellt. Gemeinsam mit
dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt,
Energie stellten sie einen Antrag an den
Wuppertaler Hauptausschuss für die ener-
gieeffiziente Sanierung des Schulgebäudes.
lehrer nrw ·
1/2024
20
SCHULE & POLITIK
Auf dem
Weg zu
sich selbst
Wie können Jugendliche heute erwachsen werden? Wer kann ihnen dabei helfen? Und was
bedeutet es in unserer modernen Gesellschaft überhaupt, erwachsen zu sein? Diesen Fragen
geht der Gymnasiallehrer a.D., Autor und Initiations-Mentor Peter Maier in seinem neuen
Buch nach. Darin stellt er das Initiations-Ritual des ‘WalkAway’ vor.
F
Fälschlicherweise besteht die Meinung,
dass Jugendliche mit ihrem 18. Ge-
burtstag gleichsam über Nacht er-
wachsen sind. Welch großer Irrtum! Das
Erwachsenwerden geht nicht von selbst, es
ist ein jahrelanger, bisweilen auch gefährli-
cher Prozess, der die Jugendlichen in den
Raum der Erwachsenen führen soll. Alle in-
digenen Völker, wie etwa afrikanische Stäm-
me, die Indianer Nord- und Südamerikas
oder die Aborigines in Australien und Neu-
seeland, wussten über diesen fundamental
wichtigen Prozess Bescheid und führten für
ihre Heranwachsenden in der Natur recht-
zeitig geeignete Initiationsrituale – soge-
nannte »rites of passage« – durch, bei de-
nen die Jugendlichen ansatzweise erleben
konnten, was das Erwachsensein bedeutet:
Allein sein können, Ängste und Entbehrun-
gen aushalten, sich wichtigen Fragen nach
dem Woher und dem Wohin in ihrem Le-
ben stellen, über die eigenen Stärken und
Schwächen Bescheid wissen, in das eigene
Innere der Persönlichkeit schauen, Verant-
wortung übernehmen können usw.
In Europa aber hat man das Wissen um
Initiation und um Initiationsrituale hinein
in die nächste Lebensphase des Erwachsen-
seins weitgehend verloren.
Das naturpädagogische
Übergangsritual
des WalkAway
Welche Möglichkeiten gibt es, die man den
Jugendlichen heute in ihrer Pubertätszeit
und Adoleszenzphase anbieten könnte,
gerade wenn sie noch in die Schule gehen,
um ihren Prozess der Persönlichkeitsent-
wicklung anzufachen, zu begleiten und zu
bestätigen? Für diesen Prozess hat sich das
naturpädagogische Übergangsritual des
‘WalkAway’ hervorragend bewährt, durch
das 14- bis 18-jährige Jugendliche entschei-
dende Impulse zu mehr Selbstvertrauen,
Selbstständigkeit und Selbstverantwortung
auf ihrem Weg hin zum Erwachsenwerden
bekommen können.
WalkAway bedeutet: Gehe deinen Weg
allein hinaus in die Natur, konfrontiere dich
mit dir selbst und finde heraus, wer du bist
und was du tun willst! Der WalkAway ist ein
viertägiges Ritual mit drei Phasen. In der
ersten zweitägigen Phase, die der Vorberei-
tung dient, werden die Jugendlichen täglich
mehrmals mit konkreten Naturaufgaben al-
lein in den Wald geschickt, um sie mit dem
Ritual-Raum vertraut zu machen, vor allem
aber, um sie auf die zweite Phase, die ei-
gentliche Kernphase des WalkAway, einzu-
stimmen: auf die sogenannte ‘Solozeit’.
Foto: AdobeStock/Aleksandr Bryliaev
Allein mit sich und der Natur:
Im Initiationsritual des ‘Walk Away’
gewinnen Jugendliche Impulse zu mehr
Selbstvertrauen, Selbstständigkeit und
Selbstverantwortung auf ihrem Weg
hin zum Erwachsenwerden.
DAS BUCH
WalkAway – gehe deinen Weg allein hinaus in die Natur, kon-
frontiere dich mit dir selbst und finde heraus, wer du bist und
was du tun willst! Dieses naturpädagogische Ritual kann
Jugendlichen Selbstbewusstsein geben, ihre Selbstverantwor-
tung und Selbstständigkeit auf ihrem Weg hin zum Erwach-
sensein fördern. Dies zeigen auch die ergreifenden Erfah-
rungsberichte von zehn Jungen und Mädchen, die sich mu-
tig dieser Zeremonie gestellt haben.
Bibliografische Angaben
(für Printbook und eBook)
:
‘WalkAway – Jugendliche auf dem Weg zu sich selbst’
(Softcover)
ISBN: 978-3-757560-66-9 | Preis: 16,99 Euro | Epubli Berlin 2023 | 1. Auflage
‘WalkAway – Jugendliche auf dem Weg zu sich selbst’
(eBook)
ISBN: 978-3-757560-28-7 | Preis: 9,99 Euro | Epubli Berlin 2023 | Erhältlich bei Tolino,
Apple, Kobo, B&N, Skoobe, Amazon, epubli-Shop
Nähere Infos und Buch-Bezug
(für Printbook)
: www.initiation-erwachsenwerden.de
SCHULE & POLITIK
21
1/2024 ·
lehrer nrw
24 Stunden allein mit
sich und der Natur
Dazu wird jeder Junge und jedes Mädchen
am Morgen des dritten Tages einzeln von
den Ritualleitern in einer kleinen Zeremonie
verabschiedet und anschließend allein in
den Wald geschickt – ohne Essen, ohne Zelt
und vor allem ohne Smartphone. Für 24
Stunden gelten die Initianden jetzt als un-
sichtbar und vermeiden daher jeden Kontakt
mit Menschen. Mit dabei haben sie nur fünf
Liter Wasser, eine Regenplane, eine Matte,
einen Schlafsack, einen kleinen Rucksack
mit Wechselwäsche und ein Tagebuch, um
sich alle Gedanken und Gefühle während
dieser Auszeit in der Natur’ notieren zu kön-
nen. In dieser ‘Anderswelt’ der Natur und
des Alleinseins sind die Jugendlichen nun
sich selbst und den Wesen der Natur ausge-
setzt: den eigenen Dämonen, Ängsten, Ge-
danken und Gefühlen ebenso wie Wind,
Wetter, Hitze und Kälte sowie den Tieren,
Pflanzen und Landschaftsformationen, de-
nen sie nun begegnen können. Natürlich
wird vorher ein Sicherheitssystem mit den
Leitern und untereinander aufgebaut, aber
die ‘Helikoptereltern’ stehen nun eben nicht
mehr hinter dem nächsten Baum und halten
Wache.
Jetzt sind die Jugendlichen ganz auf sich
gestellt und mit sich allein – Chance und Ri-
siko zugleich, in jedem Fall aber eine sehr
ungewohnte Lebenssituation wie noch nie
zuvor. Dadurch werden bei vielen der Teil-
nehmer in der Regel wesentliche Grundfra-
gen unseres Menschseins ausgelöst: Wer bin
ich? Woher komme ich? Was soll ich tun?
Welche Stärken und Schwächen habe ich?
Wie kann ich der Gemeinschaft dienen?
Welchen Beruf soll ich einmal ergreifen?
Am Morgen des dritten Tages beginnt
dann die dritte Phase: die ‘Rückkehr und
Wiedereingliederung in die Gemeinschaft’,
wenn die Jugendlichen im Beisein der ange-
reisten Eltern, Geschwister und Angehörigen
aus dem Wald getrommelt und anschließend
rituell wieder sichtbar gemacht werden. Die
jungen Initianden berichten nacheinander
von ihren Erfahrungen »allein da draußen
im Wald«. Stundenlang kann man jetzt eine
Stecknadel fallen hören. Als Leiter wird man
Zeuge, wie sich in den Familien ein funda-
mentaler Schritt ereignet: Wenn im Beisein
der Eltern und mit deren ausdrücklicher Zu-
stimmung bei den jungen Initianden soeben
ein Stück Kindheit stirbt und ein wesentli-
cher Schritt zu mehr Selbstständigkeit und
Selbstverantwortung hin zum Erwachsenen
geschieht. Dieser Vorgang ist oft sehr ergrei-
fend. Sind alle Geschichten erzählt und ‘ge-
spiegelt’, endet das ganze WalkAway-Semi-
nar mit einem feierlichen und fröhlichen
Essen, das die Eltern mitgebracht haben.
Schulischer Rahmen für
das WalkAway-Projekt
Ich selbst habe dieses wertvolle naturpäda-
gogische Übergangsritual jahrelang sowohl
als Schulprojekt als auch als privaten Ferien-
kurs angeboten. Die Lehrpläne aller Schular-
ten in den meisten Bundesländern fordern
heute zum Teil sogar verpflichtend ein fä-
cherübergreifendes Unterrichtsprojekt, das
meist am Ende der 9. oder 10. Klasse durch-
geführt werden kann und oft für einen Zeit-
raum von einer Woche angesetzt wird.
Dieser Rahmen in den Lehrplänen stellt
eine sehr gute Möglichkeit dar, ein viertägi-
ges WalkAway-Seminar als solches Unter-
richtsprojekt durchzuführen, am besten in
Zusammenarbeit mit einem externen Anbie-
ter aus der naturpädagogischen oder erleb-
nispädagogischen Szene. Ein solches Projekt
erfordert aber eine gute Zusammenarbeit
zwischen den Schülern, ihren Lehrkräften,
der Schulleitung und den Eltern. Natürlich
sollte der WalkAway auf Freiwilligkeit beru-
hen. Ich habe mit dem WalkAway-Projekt
nur gute Erfahrungen gemacht. Für meine
Schülerinnen und Schüler war es ein ein-
schneidendes und bleibendes Erlebnis,
durch das ihre Persönlichkeitsentwicklung
sehr angefacht und tiefere Lebensfragen ge-
stellt und beantwortet wurden – vom enor-
men Zuwachs an ökologischer Erfahrung
und Bildung ganz zu schweigen.
DER AUTOR
Peter Maier ist
Gymnasiallehrer
a.D., Initiations-
Mentor und Autor.
Er unterrichtete
seit 1981 an Gym-
nasien in Bayern. Er ist Autor mehrerer
Fachbücher zum Thema Pädagogik und
Lehrergesundheit.
lehrer nrw ·
1/2024
22
SCHULE & POLITIK
Personalgewinnung?
Über die Versäumnisse bei der jüngst erzielten
Tarifeinigung für den öffentlichen Dienst der Länder.
D
Das größte Defizit des aktuellen Tarifer-
gebnisses besteht darin, dass die so
genannte ‘Lehrerentgeltordnung’ kei-
ne Weiterentwicklung erfahren hat. Der seit
2015 eingeleitete Anpassungsprozess mit
dem Ziel der so genannten ‘Paralleltabelle’
tritt somit seit Jahren auf der Stelle.
Seiteneinsteiger
vernachlässigt
Diese Lage ist umso gravierender, da gerade
der Bereich des ‘Seiteneinstiegs’ im Bereich
der Schulen bei immer weniger grundständig
ausgebildeten Lehrkräften einen stetig um-
fangreicheren Anteil am Personal bildet.
Dass man dann aber diesen Bereich vernach-
lässigt, stößt nicht nur die aktuell davon
Betroffenen vor den Kopf, sondern schreckt
gleichzeitig auch potenzielle Bewerber ab,
auf die das Land dringend angewiesen ist.
Bei einem Einstieg oder Wechsel in den öf-
fentlichen Dienst haben Interessenten jedoch
nicht selten auch tarifrechtliche Hürden zu
überwinden, die den Start zusätzlich erheb-
lich belasten können. Denn deren Qualifika-
tionen oder berufliche Vorerfahrungen pas-
sen nicht eins zu eins in das System der ori-
ginären Lehrerausbildung. Aus dieser Dis-
krepanz entsteht dann bei der Eingruppie-
rung die Schwierigkeit, sowohl dem System
als auch dem Bewerber mit seiner Berufs-
laufbahn gerecht zu werden.
Lehrerentgeltordnung
stockt
Bei der vor wenigen Jahren entwickelten
Lehrerentgeltordnung ist zwar eine sachlo-
gische und nachvollziehbare Systematik ent-
standen, die je nach Qualifikation abgestuf-
te Eingruppierungen berücksichtigt, die jetzt
aber mit der neuen Besoldung der Lehrkräf-
te nach A13 eine deutliche Unwucht erfährt,
so dass sich ‘Seiteneinsteiger’ in diesem
Prozess zu Recht zurückgesetzt fühlen.
Der Weg zur Paralleltabelle, der hier für
Abhilfe sorgen sollte, ist nun zum wieder-
holten Mal ins Stocken geraten, so dass Be-
troffene wieder mehr als zwei Jahre auf eine
mögliche Weiterentwicklung warten müs-
sen. Dies ist für die Beschäftigten jedoch
völlig unzumutbar, schließlich holen sie seit
Jahren mit ihrer Expertise in den schwer zu
besetzenden Stellen für das System »die
Kohlen aus dem Feuer«.
Berufserfahrung nicht
voll anerkannt
Eine weitere Schwierigkeit tut sich häufig
auch bei der Anerkennung der beruflichen
Vorerfahrungen auf. Und zwar sowohl bei -
tigkeiten als Lehrkraft, die dann als einschlä-
gige Berufserfahrung gewertet werden könn-
ten, als auch bei anderweitigen Berufserfah-
rungen ohne Lehrtätigkeit, die dann zumin-
dest als förderliche Zeiten anerkannt werden
könnten. Die Bandbreite der tatsächlichen
Anerkennung durch die Behörden ist schon
erheblich und nicht immer nachvollziehbar.
Zwar sollte auch in diesem Bereich eine
Systematik erkennbar bleiben, aber dennoch
eine Anerkennung stets großzügig umgesetzt
werden. Denn eines steht doch fest: Die Per-
sonen wurden gerade wegen dieser Qualifi-
kation bzw. Berufserfahrung von einer Aus-
wahlkommission für die Belange und Aufga-
ben der Schule als geeignet angesehen und
deshalb für eine Einstellung vorgeschlagen.
Tarifliches Lockangebot
Neuerdings kommt in diesem Zusammen-
hang ein tarifrechtliches Instrument zum Ein-
KOMMENTAR
Nur mit Gewinn!
Es darf doch niemanden ver-
wundern, wenn Menschen in
ihrem beruflichen Werdegang
davor zurückschrecken, eine Ar-
beit anzunehmen, bei der man
weniger verdient als vorher. Da
gehört dann schon sehr viel En-
thusiasmus und Ethos dazu, um
in einem beruflichen Umfeld tä-
tig zu werden, das zudem noch
ganz andere Herausforderungen
bereithält. Dass aber jahrelange,
zum Teil sogar jahrzehntelange
Berufserfahrung bei einem Sei-
teneinstieg beispielsweise mit
einem Entgelt in Stufe 3 hono-
riert werden soll, ist für die Be-
troffenen schon enttäuschend
bzw. erschreckend.
Dass dieser öffentliche Dienst,
dem die Bürger dieses Landes in
Umfragen wiederholt ihre große
Wertschätzung bekundet haben,
der jedoch die neu zu gewin-
nenden Mitarbeiter mit ihrer
von einer Auswahlkommission
für sinnvoll und dienlich erach-
teten Berufserfahrung beim Ent-
gelt dermaßen gering würdigt,
sich über Fachkräftemangel be-
klagt, kann einen nur wundern.
Das Land Nordrhein-Westfa-
len ist gefragt, die vom Tarif-
recht nicht bzw. nur unzurei-
chend geklärten Bedingungen
der Eingruppierung und Einstu-
fung, die mit über die Attraktivi-
tät und Wertschätzung des Ar-
beitsplatzes entscheiden, mög-
lichst umgehend mit eigenen
Regelungen auszugestalten und
nachzubessern. Denn:
Ohne ‘Gewinn für Personal’
gibt es nur ‘Verlust an Personal’!
Ulrich Gräler
23
1/2024 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
satz, das man zuvor nur aus der Privatwirt-
schaft kannte und dort stärker praktizierte,
nämlich finanzielle Anreize zu schaffen, was
im Tarifrecht durch die Vorwegnahme von
Erfahrungsstufen zum Zweck der Personal-
gewinnung möglich ist. Dieses Instrument
erscheint auf den ersten Blick modern und
flexibel, zeigt aber auf den zweiten Blick,
dass damit nur die Nachteile eines allzu
starren Systems ansatzweise kompensiert
werden (können).
Wenn nämlich Interessenten aus anderen
Bereichen in den Landesdienst wechseln
möchten, bedeutet dies zunächst einmal
den Wechsel des Arbeitgebers. Der neue Ar-
beitgeber ist jedoch nicht verpflichtet, alle
bisher erworbenen oder gewohnten Ansprü-
che des Bewerbers, auch dessen vorheriges
Entgelt zu akzeptieren. Wenn er nun aber
dennoch ein besonderes Interesse an dessen
Einstellung hegt, kann er mit diesem Instru-
ment dem Bewerber die nächsthöhere Ent-
geltstufe versprechen.
Keine Feinjustierung
Für den ein oder anderen Bewerber kann
dies dazu führen, dass er das so versproche-
ne Stellenangebot als attraktiv für sich
ansieht. Für andere Bewerber mag dies im
Vergleich zum bisherigen Entgelt aber nicht
attraktiv sein, weil sie keinen oder kaum
Zugewinn haben.
Zudem ist dieses Instrument der Perso-
nalgewinnung nicht besonders fein jus-
tiert, da alle Bewerber mit dem Sprung
auf die nächsthöhere Stufe angeworben
werden sollen. Wer jedoch in seiner Stu-
fenlaufzeit bereits so weit fortgeschritten
ist, dass er die nächsthöhere Stufe bald er-
reichen würde, sieht sich im Nachteil zu
dem Bewerber, der mit dem Sprung gleich
mehrere Jahre an Stufenlaufzeit über-
schreitet.
Länder in der Pflicht
Da das gesamte Feld der Eingruppierung
und angemessenen Einstufung den Betrof-
fenen mit den Vorgaben des Tarifvertrags
aktuell nicht mehr gerecht wird, sind die
Länder, auch Nordrhein-Westfalen, aufgeru-
fen, mit landesspezifischen Regelungen
Verbesserungen herbeizuführen, die den
Prinzipien der Gerechtigkeit und Attraktivi-
tät mehr Geltung verschaffen.
Es hapert bei der Feinjustierung:
Gerade im Zusammenhang mit der Lehrerent-
geltordnung müssen in NRW nach der Tarifeini-
gung noch einige Stellregler betätigt werden.
Foto: AdobeStock/gorgowski
lehrer nrw ·
7/2023
24
FORTBILDUNGEN
Am Weltglückstag das Glück suchen
Wie Lehrkräfte mit Aspekten der Glücksforschung und der Positiven Psychologie ihr Wohlbefinden
stärken können, ist Thema eines
lehrer nrw
-Seminars am 20. März. Weitere Fortbildungs-Highlights
finden Sie in der Tabelle rechts. Anmeldungen sind online möglich.
‘Herr Rossi sucht das Glück’
Alle Menschen streben irgendwie nach Glück. Doch im beruf-
lichen und privaten Alltag ist es nicht immer ganz einfach,
Glücksgefühle zu spüren. Zufriedener und glücklicher leben,
die eigenen Stärken einsetzen, stressresistenter werden –
dafür bietet die Positive Psychologie, auch Glücksforschung
genannt, hilfreiche und gut erforschte Ansätze. Die Teilneh-
menden lernen im Seminar praxisnahe Übungen der Positiven
Psychologie kennen, die leicht für sich selbst und mit anderen
im Alltag integriert werden können.
Übrigens: Der 20. März, der Tag des Seminars, ist zugleich
der alljährlich von den UN an diesem Datum ausgerufene
Weltglückstag. Wenn das kein Omen ist…
Seminarinhalte
Was ist Glück überhaupt?
Was macht uns Menschen glücklich?
Welche Eigenschaften und Strukturen sind dazu nötig?
Welche positiven Auswirkungen hat Glück?
Was können wir aktiv tun,
um ein höheres Wohlbefinden zu erlangen?
Wie können wir Schülerinnen und Schüler beim Heran-
wachsen zu glücklichen, gesunden Menschen begleiten?
Das Seminar richtet sich an alle, die dem Glück auf die Spur
kommen und sowohl ihr eigenes Wohlbefinden als auch das
ihrer Mitmenschen stärken möchten. Referentin ist die Diplom-
Sozialpädagogin Yvonne Michel. In ihrer Funktion als Fach-
kraft für Suchtprävention bei der Suchthilfe Aachen beschäf-
tigt sie sich seit einigen Jahren mit den Themen Glück, Zufrie-
denheit, Achtsamkeit und Resilienz.
Referentin: Yvonne Michel
Seminar-Nr.: 2024-0320
Ort: Leonardo Boutique Hotel,
Oststraße 128, 40210 Düsseldorf
Termin: Mittwoch, 20. März 2024
Uhrzeit: 9:30 Uhr bis 17:00 Uhr
Kosten: 140 Euro
lehrer nrw
Mitglieder,
190 Euro sonstige Teilnehmer (inklusive Tagesverpflegung)
Foto: AdobeStock/Jenny Sturm
ANMELDUNG
www.lehrernrw.de/lehrernrw-de-fortbildungen/lehrernrw-de-fortbildungsuebersicht/
Was ist Glück und was
macht uns glücklich?
Diesen Fragen gehen die Teilneh-
menden des
lehrer nrw
-Seminars
am 20. März nach und lernen, was
man aktiv tun kann, um ein höhe-
res Wohlbefinden zu erlangen.
25
1/2024 ·
lehrer nrw
FORTBILDUNGEN
Seminar
Nr. Titel Kurzinhalt Referenten Wo Wann Uhrzeit
Gebühr
lehrer nrw-
Mitglied
Gebühr
sonst.
Teilnehmer
Anmelde-
schluss
2024-0311 Elterngespräche konstruktiv
gestalten
Ziel der Veranstaltung ist es, auch schwierige Elterngespräche souverän,
zielorientiert und erfolgreich führen zu können. Dazu ist es erforderlich,
unterschiedliche ‘Elterntypen’ und die damit verbundene Motivation zu
erkennen und eigene Kommunikationsstrategien zu entwickeln.
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Ringhotel Drees
Hohe Straße 10
44139 Dortmund
Montag
11.03.2024
09:00 bis
16:00 Uhr
140 EUR 190 EUR 05.02.2024
2023-0313 Wege in den Ruhestand Beamtenversorgung und Altersteilzeit Horst
Joosten
Stadthotel am Römerturm
St. Apern-Straße 32
50667 Köln
Donnerstag
14.03.2024
15:00 bis
18:00 Uhr
55 EUR 85 EUR 09.02.2024
2024-0314 Die Präsenz einer Lehrkraft –
persönlicher Erfolgsfaktor für
gelungenen Unterricht
Die Präsenz einer Lehrkraft ist das Tor zur Aufmerksamkeit der Schülerin-
nen und Schüler. Die Stärkung des Persönlichkeitsfaktors ‘Präsenz’ ist also
eine lohnenswerte Investition, die Ihre Wirksamkeit als Lehrkraft deutlich
erhöhen kann.
Gabi
Schmidt
Leonardo Düsseldorf
City Center
Ludwig-Erhard-Allee 3
40227 Düsseldorf
Do. bis Fr.
14.03. bis
15.03.2024
10:00 bis
16:30 Uhr
300 EUR 350 EUR auf
Anfrage
2024-0318 Resilienz Was die einzelnen Resilienzaspekte für Menschen bedeuten, die
unterrichten, erziehen und begleiten, wird mit Hilfe des Dynamischen
Resilienzkonzeptes nach Gruhl/ Körbächer in diesem Seminar näher-
gebracht. Des Weiteren wird seine Wirkung in individuellen Alltags-
und Schulsituationen erörtert.
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Mo. bis Di.
18.03. bis
19.03.2024
10:00 bis
16:30 Uhr
300 EUR 350 EUR auf
Anfrage
2024-0320 ‘Herr Rossi sucht das Glück’ –
wie Sie mit Aspekten der
Glücksforschung das Wohl-
befinden stärken
Zufriedener und glücklicher leben, die eigenen Stärken einsetzen,
stressresistenter werden … dafür bietet die Positive Psychologie –
auch Glücksforschung genannt – hilfreiche und gut erforschte Ansätze.
Yvonne
Michel
Leonardo Boutique Hotel
Oststraße 128
40210 Düsseldorf
Mittwoch
20.03.2024
09:30 bis
17:00 Uhr
140 EUR 190 EUR 14.02.2024
2024-0409 Fit, aktiv und gesund im Alter –
Lebensqualität erhalten und
verbessern mit körperlicher
Aktivität, gesunder Ernährung
und Achtsamkeit
Welche körperlichen Aktvitäten sollte ich ausüben, welche Strategien zur
Stärkung der Resilienz sind angesagt, und wie sieht eine ausgewogene
Ernährung aus?
Patricia
Braun
Leonardo Düsseldorf
City Center
Ludwig-Erhard-Allee 3
40227 Düsseldorf
Di. bis Mi.
09.04. bis
10.04.2024
14:00 bis
12:30 Uhr
150 EUR 200 EUR 27.02.2024
2024-0410 Mit Klarheit Konflikte gestalten:
Wie Sie gut vorbereitet in ein
anstehendes Konfliktgespräch
gehen
Im Rahmen der zahlreichen Aufgaben an Schulen stehen ebenfalls
terminierte Gespräche zum Beispiel mit Schülerinnen und Schülern, Eltern
oder Kolleginnen und Kollegen an. Je klarer Sie sind, desto zufrieden-
stellender wird das Gespräch verlaufen. Je sicherer Sie sich sind, desto
leichtfüßiger wirkt das Gespräch.
Tanja
Schmitz-
Remberg
Leonardo Düsseldorf
City Center
Ludwig-Erhard-Allee 3
40227 Düsseldorf
Mittwoch
10.04.2024
09:30 bis
16:00 Uhr
140 EUR 190 EUR 06.03.2024
2023-0415 Wege in den Ruhestand Beamtenversorgung und Altersteilzeit Horst
Joosten
GDL Sitzungsraum 1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Dienstag
16.04.2024
15:00 bis
18:00 Uhr
55 EUR 85 EUR 18.03.2024
»2024 wird mein Jahr«
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne
regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag. Diesmal geht es um die
Frage, wie man sich trotz unterschiedlicher Meinungen respektvoll begegnen kann.
2024 wird mein Jahr. So oder so ähnlich
habe ich all meine Imaginationskräfte zu-
sammengelegt und gegen 4 Uhr morgens
am 1. Januar den Silvester-Abend hinter
mir gelassen. Was will ich nun 2024 anders
machen? Hierzu ein Beispiel: Am Silvester-
abend bin ich einem Menschen begegnet,
den ich vorher noch nie gesehen hatte.
Nach einem Gespräch über Berufsstand,
Familie etc. erwähnte mein Gegenüber
nebenbei, »wenn das alles so weitergeht,
trete ich in Partei XY ein«. Von meiner
Grundhaltung her hätte ich zu diesem Zeit-
punkt sagen können, o.k., das war’s, suche
nach einem Vorwand, den Tisch zu verlas-
sen und verschwinde in der sich auf der
Tanzfläche amüsierenden Partygesell-
schaft.
Da nun aber die Zeit vor dieser Aussage
ein sehr angenehmer Kontakt war und wir
sehr ähnliche Ideen hatten von Familienle-
ben etc., gebot mir meine Haltung, am
Tisch zu verweilen und weiter über ver-
schiedenste Dinge ins Gespräch zu kom-
men. Das Thema XY stand nicht weiter im
Vordergrund. Wir unterhielten uns noch ei-
ne ganze Weile, verabschiedeten uns dann
frühmorgens sehr freundlich und bekunde-
ten, dass es schön war, miteinander ge-
sprochen zu haben.
Genau das will ich für 2024, einen
respektvollen Umgang, auch trotz unter-
schiedlicher Einstellung zu bestimmten
öffentlichen Themen. Sich wirklich kennen-
lernen und nicht einordnen, nicht disquali-
fizierende unbequeme Adjektive benutzen.
Wie in einer vorherigen Kolumne meiner-
seits schon erwähnt, gilt für mich als Le-
benshaltung: »respektlos gegenüber Ideen
von Menschen, jedoch immer Respekt vor
den Menschen«.
Ich erlebe es zunehmend in Diskussio-
nen der letzten Zeit, egal aus welcher
Richtung sie kommen, eine zunehmende
Verachtung von Menschen und weniger
ein Verständnis ihrer Meinung gegenüber.
Natürlich gibt es auch für mich die viel zi-
tierte rote Linie – gleichwohl habe ich mir
vorgenommen, vieles zu hinterfragen,
auch mein Gegenüber zu hinterfragen,
warum für ihn die Person X oder Y kein
Recht hat, dieses oder jenes zu sagen
oder zu tun. Ich will verstehen lernen
bzw. erkunden, warum zunehmend Men-
schen, auch die aus dem aufgeklärt-intel-
lektuellen Milieu, andere Menschen mit
Adjektiven beschreiben, die mich erschre-
cken. Ich möchte Diskussionen führen,
wo ich nicht erst einen Disclaimer voran-
schicken muss mit den Inhalten, was ich
alles nicht bin, um dann diskutieren zu
dürfen.
In diesem Zusammenhang ist mir wieder
ein Zitat von Hannah Arendt in den Sinn
gekommen »Niemand, dem Du beibringst
zu denken, kann danach wieder so gehor-
chen wie zuvor. Nicht aus rebellischem
Geist heraus, sondern wegen der Ange-
wohnheit, im Zweifel alle Dinge zu prü-
fen.« Das will ich 2024 noch mehr als zu-
vor machen: Zweifeln und prüfen, das Bei-
bringen von Denken ist hier der schwie-
rigste Part in diesen Zeiten.
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan
Battel ist Facharzt
für Kinder- und Ju-
gendpsychiatrie
und -psychothera-
pie (tätig in einer
Praxis in Bonn) und
seit 2012 systemi-
scher Familienthe-
rapeut (DGSF). Im
Rahmen des
lehrer
nrw
-Fortbildungs-
programms greift
er in einer Vor-
tragsreihe regel-
mäßig verschiede-
ne Themen aus
dem Bereich der
Jugendpsychologie
auf.
Foto: Andreas Endermann
lehrer nrw ·
1/2024
26
BATTEL HILFT
27
1/2024 ·
lehrer nrw
SENIOREN
Frühjahrsfahrt zur grünen Oase
an der Ruhr
D
Die Frühjahrsfahrt der Seniorinnen und Senioren des
lehrer nrw
führt vom 3. bis 5. Mai
nach Mülheim an der Ruhr, der grünen Oase im Ruhrgebiet. Der Anreisetag, 3. Mai,
beginnt mit einer Altstadtbesichtigung. Am zweiten Tag stehen unter anderem eine Besichti-
gung des historischen Rathauses (mit Besuch der ‘Camera Obscura’) und eine Bootspartie
mit der ‘Weißen Flotte’ nach Essen-Kettwig-Unterwasser auf dem Programm. Am letzten Tag
der Frühjahrstour ist ein Besuch von Schloss Broich geplant.
Bestens untergebracht sind die Teilnehmenden der Frühjahrs-
fahrt im Hotel Holiday Inn Express Mülheim/Ruhr im Herzen der
Innenstadt. Im Reisepreis von 357 Euro (EZ) bzw. 258 Euro
(½ DZ) sind enthalten: 2x Hotel/Ü/F, 1x Pizza-Mittagsmahlzeit
im Hotel, Schiffstour, Stadt-, Rathaus- und Schlossbesichtigung,
Eintrittsgelder für Camera Obscura.
»Fit, aktiv und gesund im Alter«
Blick über die Ruhr auf die Hafenpromenade von Mülheim.
Foto: AdobeStock/Ernst Pieber
Herbstfahrt
nach Mallorca
D
Dem deutschen Herbst entfliehen kön-
nen die Seniorinnen und Senioren
des
lehrer nrw
auf einer Flugreise nach
Cala Millor auf der Sonneninsel Mallorca
vom 30. September bis 7. Oktober 2024.
Die Hauptattraktion des an der Ostküste
gelegenen Ortes ist der 1,8 Kilometer
lange und bis zu 35 Meter breite Strand,
der mit der
blauen Flag-
ge ausge-
zeichnet
wurde. Auf
dem Pro-
gramm stehen unter anderem Fahrten
nach Palma de Mallorca (mit Besichti-
gung der Kathedrale), nach Valldemossa,
zum Nachbarort Son Servera mit der un-
vollendeten Gaudi-Kirche sowie zu wei-
teren faszinierenden Zielen und Aus-
sichtspunkten.
Die Reiseteilnehmenden wohnen im
4-Sterne-Hotel Sabina, unmittelbar am
Strand und der Fußgängerzone gelegen.
Im Reisepreis von 1.250 Euro (EZ) bzw.
1.152 Euro (½ DZ) sind enthalten
(gemäß Flugticketpreis vom Nov. 2023):
7x Hotel/Ü/HP, Flug, Hoteltransfer vom
und zum Flughafen, 1x Bustour nach For-
mentor, 1x Bustour nach Palma und Vall-
demossa, 1x Taxifahrt nach Son Servera.
Die Inselhauptstadt Palma mit der berühmten Kathedrale
gehört zum Ausflugsprogramm auf der Mallorca-Reise.
Foto: AdobeStock/radekcho
INFO / ANMELDUNG
Klüber Touristik GmbH
Tel. 05251 6879990
info@reisen-joamar.de
www.reisen-joamar.de
Klüber Touristik GmbH
Tel. 05251 6879990
info@reisen-joamar.de
www.reisen-joamar.de
INFO / ANMELDUNG
V
Viel Wissenswertes wer-
den die Teilnehmer und
Teilnehmerinnen dieses
zweitägigen Seminars spe-
ziell für Senioren am 9. und
10. April erfahren. So wird
ein Themenbereich ‘Fitness
und Mobilität’ im Alter lau-
ten, bei dem auch Hilfen zur
Sturzprophylaxe mit Übun-
gen für den Alltag gegeben
werden. Referentin des Se-
minars im Leonardo Hotel
Düsseldorf City Center ist
die Heilpraktikerin und
Sportwissenschaftlerin
Patricia Braun. Ernährung
im Alter sowie Kenntnisse
und Übungen zur Resilienz
und Achtsamkeit sind weite-
re Themen.
Kurzinfo
Titel: »Fit, aktiv und gesund im Alter – Lebensqualität erhalten und verbessern mit körperlicher Aktivität, ge-
sunder Ernährung und Achtsamkeit« · Referentin: Patricia Braun, Heilpraktikerin und Sportwissenschaftlerin
Termin: Dienstag, 9. April, 14:00 Uhr, bis Mittwoch, 10. April, 12:30 Uhr · Ort: Leonardo Hotel Düsseldorf City
Center, Ludwig-Erhard-Allee 3, 40227 Düsseldorf · Teilnahmegebühr: 150 Euro für Mitglieder von
lehrer nrw,
200 Euro für sonstige Teilnehmer (inkl. Übernachtung und Vollverpflegung) · Anmeldeschluss: 27. Februar
2024 ·
lehrer nrw
Seminar-Nr.: 2024-0409 · Online Anmeldung: www.lehrernrw.de/lehrernrw-de-fortbildun-
gen/lehrernrw-de-fortbildungsuebersicht
lehrer nrw ·
1/2024
28
D
Da sage einer, die Schule bereite
nicht ausreichend auf das Leben
vor. Landauf, landab wird zur Zeit
viel über überbordende Bürokratie und
Überregulierung in Wirtschaft und unzähli-
gen anderen Bereichen des Lebens durch
die EU oder deutsche Regierungen und
Verwaltungen geschimpft. Wer hätte dabei
gedacht, dass man dazu lehrreiche Lebens-
erfahrungen ausgerechnet auch in den
Schulen und Kitas unserer Republik ma-
chen kann – und zwar auf zunächst ganz
ungeahnte Weise. So ist im Zusammen-
hang mit Kuchen oder ähnlichen Leckerei-
en für Schulfeste oder ähnliche Veranstal-
tungen, die Schülerinnen, Schüler oder El-
tern im Regelfall nicht nur mit den klassi-
schen vier Grundzutaten, sondern auch mit
viel Engagement und Liebe gebacken und
gefertigt haben, deutlich geworden, wie-
viel Bürokratie mit der Umsetzung der
EU-Mehrwertsteuerrichtlinie einhergeht.
Keine Umsatzsteuerpflicht,
wenn…
Tatsächlich steht die Frage im Raum, ob
beziehungsweise inwieweit der Verkauf
RECHT§AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
Das Kuchenbuffet ist ein Klassiker auf jedem Schulfest
und in der Regel kein Fall fürs Finanzamt.
Kuchensteuer?
Der Staat ist bekanntlich klamm. Kann es da noch jemanden wundern, wenn der
Fiskus die Waffel und den Marmorkuchen beim Schulfest in den Blick nimmt?
Und zwar nicht zum Zwecke des Genusses, sondern der Steuereinnahme? Aber
es gibt Entwarnung: Der Landesfinanzminister will doch kein Stück vom Kuchen.
29
1/2024 ·
lehrer nrw
von Kuchen auf Schulfesten sowie entgelt-
lich angebotene Schüleraufführungen oder
sonstige Schülerleistungen gegen Bezah-
lung nach deutschem Recht der Umsatz-
steuer unterliegen. Schulpersonal, Eltern
und auch Schülerinnen und Schüler, zumin-
dest im verständigen Alter, tun gut daran,
die gültigen Grenzen und Umstände, ab
denen Steuern anfallen, zu kennen. So gilt
dem Landesfinanzminister zufolge dies1:
Ein Verkauf durch wechselnde Schüler-
gruppen bzw. Klassen, Elterninitiativen
oder die Schülervertretungen ist auch
künftig nicht umsatzsteuerpflichtig, wenn
die Leistungen nicht der Schulträgerkom-
mune zugerechnet werden, sondern der je-
weiligen Schülergruppe oder Elterninitiati-
ve. Dies ist der Fall, wenn diese nach au-
ßen zum Beispiel auf Aushängen, Plakaten
und Handzetteln oder mittels elektroni-
scher Medien auftritt und insoweit neben
der Schule als selbstständiges unterneh-
merfähiges Gebilde anzusehen ist.
Für den Kuchenverkauf im Rahmen von
Schulfesten fällt somit in aller Regel keine
Umsatzsteuer an, da die einzelne Schüler-
gruppe oder Elterninitiative nicht nachhal-
tig tätig wird und damit nicht als Unter-
nehmer anzusehen ist. Diese Regel gilt
auch für andere gelegentliche Verkäufe
von Schülern oder Eltern wie zum Beispiel
für den Pizzaverkauf. Auch Eintrittsgelder
für Aufführungen von Schülergruppen in
Schulen wie der Theater-AG oder des
Schulchors unterliegen in diesen Fällen
nicht der Umsatzsteuer.
Die Regelung gilt auch für Kindertages-
stätten oder andere Bildungseinrichtun-
gen. Ausnahmen gelten aber, wenn die
entsprechende Gruppe regelmäßig und
nachhaltig, zum Beispiel wöchentlich, sol-
che Veranstaltungen durchführt. Allerdings
entsteht auch in diesen Fällen keine Um-
satzsteuer, wenn die Einnahmen im voran-
gegangenen Jahr weniger als 22000 Euro
betragen haben und im laufenden Jahr
voraussichtlich 50 000 Euro nicht überstei-
gen werden.
Keine Konkurrenz für den
Bäcker nebenan
Der dahinterstehende Sinn und Zweck ist
an sich nachvollziehbar – eine Schule soll
weder dem benachbarten Bäcker noch
dem örtlichen Theater übermäßige Konkur-
renz machen. Die EU will vermeiden, dass
die Privatwirtschaft wettbewerblich be-
nachteiligt wird. Diese Gefahr wird darin
gesehen, dass Privatunternehmen Umsatz-
steuern zahlen müssen, während dies die
öffentliche Hand bislang regelmäßig nicht
muss. Daher hat die EU mit einer Richtlinie
bestimmt, die auch in deutsches Recht um-
gesetzt werden muss, dass auch der Staat,
das heißt Körperschaften des öffentlichen
Rechts, so zum Beispiel Länder und Kom-
munen, Umsatzsteuer zu entrichten haben.
Dies soll nur dann nicht gelten, wenn keine
Wettbewerbssituation vorliegt.
Die öffentliche Hand muss danach nun
genau überprüfen, welche ihrer wahrge-
nommenen Leistungen nachhaltig Einfluss
auf den Wettbewerb im entsprechenden
Betätigungssektor haben. Dies ist im Allge-
meinen bei hoheitlichen Aufgaben im Sin-
ne von Artikel 33 Absatz 4 Grundgesetz,
die die ureigensten Aufgaben des Staates
darstellen, nicht der Fall.
Auch Kommunen müssen daher nun jede
einzelne Leistung daraufhin überprüfen, ob
sie nicht auch durch einen privaten Anbie-
ter erbracht werden kann. Klar zuzuordnen
ist dies beispielsweise bei der Feuerwehr:
Wenn diese kommt, um das sprichwörtli-
che Kätzchen aus dem Baum zu holen,
wird in Zukunft wohl regelmäßig Umsatz-
steuer zu zahlen sein, denn dies könnte
ohne rechtliche oder tatsächliche Hürden
auch eine private Firma erledigen. Rückt
die Feuerwehr dagegen zu einem Löschein-
satz aus, handelt es sich um eine umsatz-
steuerfreie Tätigkeit.
Der Beigeschmack
von Bürokratie
Bei den genannten Aktivitäten im Schulbe-
reich ist es, wie dargestellt, dagegen nicht
so eindeutig. Letztlich hat eine Kommune
als Schulträger die beschriebenen Grenzen
zu beachten. So ist es für Schulträger rat-
sam, wenn sie die relevanten Akteure, die
Schulleitungen, Lehrkräfte und weitere Un-
terstützer einerseits sowie Eltern und Schü-
lerinnen und Schüler andererseits, schon
bei der Planung von Verkaufsaktionen oder
Aufführungen und Darbietungen entspre-
chend aufklären. Dann mundet ein zuhau-
se gebackener Kuchen auch nicht nur bes-
ser, weil er nach der eigenen Kreation duf-
tet und schmeckt und aus eigener Herstel-
lung stammt, sondern auch, weil er keinen
faden Beigeschmack von Bürokratie hat.
1 Dazu Presseinformation 1018/12/2023 der
Landesregierung NRW vom 28. Dezember 2023
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
Foto: AdobeStock/Janet Layher
lehrer nrw ·
1/2024
30
ANGESPITZT
2023 brachte einige nicht wirklich
überraschende Erkenntnisse: Deutsch-
land ist schwach im Fußball, schwach
im Regieren und schwach bei Bil-
dungsstudien. Ob IQB, PISA oder IGLU:
Der Nachwuchs, auf dem die Hoffnun-
gen des Landes der Dichter und Denker
sowie des Wirtschaftsstandorts D ru-
hen, offenbart ein paar Lücken beim
Leseverständnis, bei der Rechtschrei-
bung, bei den Grundrechenarten und
bei der Allgemeinbildung. Nun könnte
man ja einwenden, dass das im Zeital-
ter von Google, wikipedia und Künstli-
cher Intelligenz nicht so dramatisch ist.
Ein paar Klicks und Wischs – und
schon hat der junge Mensch Multipli-
kation und Prozentrechnung gebändigt
oder eine astreine Erörterung zum
Atomausstieg, zur Klimakrise, zur
Monarchie oder zum Weltbild von
Donald Trump fabriziert.
Dummerweise mussten die Eleven bei
den genannten Bildungsstudien ohne
digitale Helferlein auskommen. Natür-
lich ist die analoge Abfrage von Wissen
irgendwie gestrig – so achtziger Jahre
ungefähr. Dennoch brach jeweils nach
Veröffentlichung der eingangs genann-
ten Studien hektische Betriebsamkeit
aus. Bildungsforscher wagten sich mit
der steilen These an die Öffentlichkeit,
dass es jungen Menschen auch im Zeit-
alter der Künstlichen Intelligenz nicht
schaden könne, über ein wenig natürli-
che Intelligenz zu verfügen. In der Politik
forderte die Opposition radikale Konse-
quenzen, mindestens aber den Rücktritt
des ministeriellen Spitzenpersonals.
Selbiges raunte schuldbewusst von
Versäumnissen der Vergangenheit (vor
allem aus der Regierungszeit der heuti-
gen Opposition), die man aber jetzt
wirklich und zügig aufarbeiten werde.
Nun ist es so, dass die allermeisten
Bildungsforscher und die allermeisten
politisch Verantwortlichen seit ihrer
eigenen Schulzeit keine Schule mehr
von innen gesehen haben. Deshalb kön-
nen sie nicht wissen, dass die allermeis-
ten Schulgebäude in Deutschland maro-
de, die Klassen überfüllt, die Lehrkräfte
überlastet und die technische und digi-
tale Ausstattung vorsintflutlich sind.
So sehen wir mit einem gesunden
Fatalismus der nächsten Bildungsstudie
entgegen. NRW-Schulministerin Doro-
thee Feller hat ja schonmal vorsorglich
klargestellt, dass die Behebung der Bil-
dungskrise einem Marathonlauf gleich-
kommt. Leider hat sie nicht gesagt, an
welchem Punkt der Strecke wir uns ge-
rade befinden. Bleibt zu hoffen, dass
alle den Startschuss gehört haben.
Jochen Smets
Der Bildungskrisen-Marathon
Frohes neues Jahr in
vielen Sprachen
Können Sie »Frohes neues Jahr« den angegebenen Sprachen zuordnen?
Codiertes Zitat
LÖSUNG Aufgabe 1:
A - 7, B - 11, C - 10, D - 4, E - 8, F - 13, G - 3, H - 5, I - 12, J - 1, K - 2, L - 9, M - 6 |
Aufgabe 2:
Das Neujahr und seine Feier ist so was wie eine Theaterpause – man geht ans Buffet auf ein
Gläschen und kommt auf seinen Platz zurück. Die Optimisten hoffen dabei, dass der nächste Akt besser
sein wird als die vorigen. Gabriel Laub (1928-1998), poln.-dt. Schriftsteller, Satiriker und Essayist
In diesem sprachlichen Vergleich von Gabriel Laub spielen die Buchstaben verrückt. Zwischendurch haben sich Ziffern eingeschlichen
und einige Buchstaben machen sich größer oder kleiner, als es sich gehört. Welchen Vergleich zieht Herr Laub?
D2a5S 7Ne1uJ2a1hr 1uNd s3eIne 1Fe3i7E2r i1sT s4o 1wA5s 3wIe e1iNe 8TH2e1atErp3aUs5e - 3maN g1eHt a2nS b3uf5fEt 5auF 1Ein
g2lÄsCh4en 3unD 3Kom9Mt a4uf s5eiNen 6pL3atT1z 7zU1rüCk. D6ie o5ptiM8is9ten 2hofF1eN d1Ab4ei, 7das4s 8dEr 9näChs2tE 1AKt
1beSse5r 1sein 2w3iRd 1AlS 3diE 4voRi5gen.
Die Botschaft
im Labyrinth
Nach der Neujahrsfeier steht schon die nächste große Party an. Wenn Sie sich nun mit einem dicken Stift den Weg durch das Labyrinth
bahnen, offenbart sich wie von Zauberhand ein Text, der uns auf die nächsten Tage einstimmt. Damit es nicht zu schwierig wird, habe
ich den Weg mit kleinen Pfeilen vorgezeichnet.
Tipp: Zeichnen Sie den Weg mit einem Bleistift vor. Sobald Sie den Ausgang gefunden haben, zeichnen Sie den gefundenen Weg mit
einem sehr dicken Stift nach, so dass der zurückgelegte weiße Weg fast vollständig überzeichnet wird.
HIRNJOGGING
31
1/2024 ·
lehrer nrw
A Gezuar vitin e ri! 1 Italienisch
B Godt Nytar! 2 Türkisch
C sale no mobarak 3 Japanisch
D Bonne Année 4 Französisch
E Voorspoedige Nuwejaar 5 Arabisch
F An nou fericit 6 Hebräisch
G Akemashite Omedetou 7 Albanisch
H Kul 'aam u antum salimoun 8 Afrikaans
I Feliz Año Nuevo 9 Niederländisch
J Buon Capodanno 10 Farsi
K Yeni yılınız kutlu olsun! 11 Dänisch
L Gelukkig nieuwjaar 12 Spanisch
M Shana Towa! 13 Rumänisch
LÖSUNG Aufgabe 3:
AUFGABE 1:
AUFGABE 2:
AUFGABE 3:
Über Feedback zu meinen
Gehirnjogging-Übungen würde ich mehr sehr freuen: mail@heike-loosen.de
Heike Loosen