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1/2024 ·
lehrer nrw
die politische Bildung an Schulen muss ei-
nen höheren Stellenwert bekommen. Dabei
geht es sowohl um den Unterricht und das
Fach Politik, als auch um die Strukturen an
Schulen.
Ein Best Practice-Beispiel ist die Schiller-
Schule in Bochum. Für sein umfassendes
Demokratiekonzept wurde das Gymnasium
mehrfach ausgezeichnet, etwa 2019 mit
dem Deutschen Schulpreis. Hier gibt es einen
monatlichen Klassenrat: Anliegen, die dort
besprochen werden und die ganze Schule
betreffen, werden per Antrag an das Schüler-
parlament gestellt und einmal im Quartal
diskutiert. Mehrheitlich verabschiedete An-
träge werden dann der Schulleitung und der
Schulkonferenz zur Umsetzung vorgelegt.
Neben diesen demokratischen Grundstruktu-
ren gibt es zusätzlich Aktionen wie Umfra-
gen, Wahlsimulationen oder Podiumsdiskus-
sionen mit Politikvertretern vor verschiede-
nen Wahlen. In puncto Lehrplan können
Schülerinnen und Schüler über Medienaus-
wahl, Lern- und Präsentationsmethoden
oder die eigene Schwerpunktsetzung mit-
entscheiden.
Doch die Schiller-Schule ist nicht die Re-
gel. Demokratie werde an vielen Schulen
nicht gelebt, bilanziert Karim Fereidooni im
didacta-Bildungspodcast. Letztlich sei es die
Lehrkraft vorne am Pult, die über alles ent-
scheide, so der Juniorprofessor für Didaktik
der sozialwissenschaftlichen Bildung an der
Ruhr-Universität Bochum. Das Ergebnis: »In
einer eher undemokratischen Institution sol-
len die Schüler/innen demokratische Spielre-
geln lernen«.
Demokratiebildung
als Feigenblatt?
Über diese Problematik hat der Bildungsfor-
scher Klaus Zierer jüngst ein Buch geschrie-
ben, gemeinsam mit dem Philosophen Julian
Nida-Rümelin. Es heißt: »Demokratie in die
Köpfe. Warum sich unsere Zukunft in den
Schulen entscheidet«. In der Forschung gebe
es eigentlich eine Vielzahl von Ansätzen, von
denen man wisse, dass sie für die Vermitt-
lung demokratischer Werte funktionieren,
erklärte Zierer im Juli gegenüber dem WDR.
»Leider müssen wir feststellen, dass in der
Schulwirklichkeit häufig Demokratiebildung
wie so ein Feigenblatt wirkt. Jeder sagt: Das
ist wichtig. Aber letztendlich passiert nichts
Systematisches.«
Als beispielhaft für Demokratiebildung
nennt er vieles, was die Schiller-Schule be-
reits eingeführt hat: ob Schülerparlamente,
Klassenräte oder Projektunterricht, Epo-
chenunterricht sowie Dilemmadiskussion.
Doch im SWR-Interview stellt er einen As-
pekt ganz besonders heraus: die Lehrpläne.
»Die sind zum Teil veraltet, die gehören re-
formiert. Ich spreche gerne von einer Ent-
rümpelung und einer Neugewichtung, und
ich glaube, das sind wichtige Elemente, um
schnellstmöglich hier im Bildungssystem
eine Veränderung herbeiführen zu können.«
Tatsächlich kommt eine Demokratiestudie
der Hertie Stiftung zu einem ähnlichen Er-
gebnis. Eine Analyse der Lehrpläne in den
einzelnen Bundesländern zeigt: Für komple-
xe Themenfelder im Kontext demokratischer
Bildung steht eher wenig Zeit zur Verfü-
gung. Politikunterricht werde zudem in
unterschiedlichem Umfang angeboten.
Am stärksten sei er an Gymnasien vertreten,
am schwächsten an Berufs- und Berufsfach-
schulen. Nicht zuletzt hat auch die Corona-
Pandemie die Demokratieförderung an
Schulen verlangsamt, weil sich demokra-
tisch gewählte schulische Gremien nicht
treffen konnten und ihre Handlungsmöglich-
keiten eingeschränkt waren. Eine Befragung
von Schulleitungen im Rahmen der Demo-
kratiestudie legt zudem »die Vermutung na-
he, dass es mehr Raum für die Schulleitun-
gen gäbe, sich der Demokratiebildung zu
VERANSTALTUNGSTIPP
Bei der didacta in Köln, die vom 20. bis 24. Februar stattfindet, spielt das Thema Demo-
kratiebildung ebenfalls eine wesentliche Rolle. So dreht sich ein ‘Forum Schulpraxis’ um
diesen Komplex. Der Titel lautet: ‘Demokratiekompetenzen fördern – Schule partizipativ
entwickeln’.
Termin: 22. Februar 2024 · 13:45 Uhr bis 14:15 Uhr
Nähere Informationen zu den Veranstaltungen der didacta 2024:
www.didacta-koeln.de
widmen, wenn die Rahmenbedingungen in
den anderen Bereichen, die aktuell als vor-
rangig wahrgenommen werden (Personal-
ausstattung, digitale Infrastruktur und Aus-
stattung, Schulbau), bereits vorhanden wä-
ren«.
Priorität
Demokratiebildung?
Die Aufgabe der Lehrkräfte ist dabei durch-
aus umfassend: Kinder und Jugendliche hät-
ten teilweise gravierende Wissenslücken bei
Themen wie dem Holocaust, betont Cahit
Başar, Oberstudienrat am Kölner Georg-
Büchner-Gymnasium, gegenüber Bildungs-
klickTV. »Obwohl wir das tatsächlich immer
wieder aufarbeiten, […] kämpfen wir hier
nicht nur einerseits mit Wissenslücken und
mit historischem Desinteresse, sondern auch
mit Fake News.« Unterstützung bietet Lehr-
kräften beispielsweise die Bundeszentrale für
politische Bildung (bpb). Auf deren Website
finden sich unter anderem multimediale Bei-
träge über Bildung und Demokratie und frei
verfügbare Materialien zum Lehren und Ler-
nen. So werden beispielsweise begleitende
Materialien für den Einsatz des ‘Wahl-O-
Mats’ im Unterricht bereitgestellt. Mit einem
downloadbaren Workshop-Konzept lernen
Schülerinnen und Schüler in einfacher Spra-
che verschiedene Möglichkeiten kennen, wie
sie im Alltag und bei politischen Themen bis
hin zu Wahlen mitbestimmen können. Die
App ‘HanisauLand’ wiederum soll Kindern
zwischen 8 und 14 Jahren vermitteln, wie ein
demokratisches Zusammenleben trotz unter-
schiedlicher Lebensentwürfe aussehen kann.
Dieser Beitrag erschien zuerst im didacta Themendienst.