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3/2024 ·
lehrer nrw
Da stellt sich doch die Frage, warum es
der drittgrößten Volkswirtschaft nicht ge-
lingt, das eigene Bildungswesen so aufzu-
stellen, dass die nachfolgende Generation
für die künftige Gesellschafts- und Wirt-
schaftsordnung angemessen vorbereitet ist.
Verspielt die Politik durch unzureichende
Investitionen in das Bildungssystem und
unangemessene Bildungsstrukturen gerade
die Zukunftsfähigkeit der jungen Menschen
in diesem Land?
Unübersehbare Personalnot
Der Befund ist offenkundig, allerorten
schlägt der akute Fachkräftemangel durch.
Nach einer aktuellen Studie des Instituts für
Arbeitsmarktforschung (IAB) und des Deut-
schen Roten Kreuzes (DRK) trifft das beson-
ders auf den zum Teil auch für die Schulen
bedeutsamen sozialen Sektor zu, dem »im
günstigen Fall ein kontrollierter Kollaps«
bevorstehe
(zum Beispiel Siegener Zeitung,
19. März 2024)
.
Im gesamten Bildungs- und Erziehungsbe-
reich wird dies schon jetzt mehr als deutlich.
Es finden sich viel zu wenig Bewerber für fast
alle Bildungsinstitutionen, von der Kita bis hin
zum Berufskolleg. Die Folgen, die jahrelang
durch Arbeitsverdichtung und -ausweitung
aufgefangen wurden, zu Lasten der Betroffe-
nen, greifen nun real in die Funktionsfähigkeit
der Systeme. Der Staat ist für alle spürbar
nicht mehr in der Lage, seinen Bildungsauftrag
quantitativ und qualitativ so zu erfüllen, wie
es von Gesetzes wegen her geboten wäre.
Schulorganisatorische
Defizite
Seit Jahren beklagen alle Verbände unhalt-
bare Zustände in unseren Schulen, von zu
großen Klassen bis hin zu stetig zunehmen-
den sozialen Defiziten. Zustände, die die
Effektivität des Unterrichts beeinträchtigen,
ganz zu schweigen von der Erfüllung des
schulischen Erziehungsauftrags. Unzurei-
chende Lernvoraussetzungen auf den jewei-
ligen Stufen des Bildungsgangs, unangemes-
sene Gruppenstrukturen für den Unterricht
und fehlendes Personal bilden eine Gemen-
gelage, die den Arbeitsplatz als immer weni-
ger sinnstiftend erscheinen lassen. Die stei-
gende Zahl an Kündigungen, selbst Entlas-
sungen aus dem Beamtenverhältnis auf ei-
genen Wunsch, sollten ein alarmierendes
Warnsignal sein.
Schlechtere Arbeits-
bedingungen:
Handlungskonzept etc.
Die Unterrichtsversorgung gerät somit insge-
samt immer weiter in Gefahr. Um dem zu
begegnen, greift das Land zu personellen
‘Notmaßnahmen’, die den Arbeitsplatz noch
unattraktiver machen. Reduzierung der
voraussetzungslosen Teilzeitmöglichkeit,
Verschlechterungen für die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf. Darüber hinaus Ver-
setzungen und Abordnungen aus dienstli-
chen Gründen, auch wenn davon bestimmte
Regionen bzw. Schulformen unterschiedlich
stark betroffen sind.
Notwendige Trendumkehr!
Die grundlegende und entscheidende Frage
für die Zukunft der Bildung in diesem Bun-
desland ist daher: Wie kann dieser Teufels-
kreis von schlechten Arbeitsbedingungen
und Personalmangel durchbrochen werden?
Welche Maßnahmen könnten zu einer Trend-
wende beitragen, um mehr Menschen für ei-
ne Tätigkeit im System Schule zu gewinnen?
Neue Eingangsbesoldung
war überfällig!
Die deutlich höhere, für alle erkennbare
Wertschätzung durch die neue Eingangsbe-
soldung A13 (EG13) war der erste, längst
überfällige Schritt. Die politischen Bestre-
bungen und nachdrücklichen Forderungen
von
lehrer nrw
hatten letztlich doch zum
Erfolg geführt, so dass die sukzessive Einfüh-
rung der neuen Eingangsbesoldung seit
2022 pensionswirksam umgesetzt wird.
Besoldungs- und Entgelt-
struktur anpassen!
Gleichzeitig war damit jedoch die gesamte
Besoldungsstruktur in ihrer Systematik be-
rührt, ohne dass die Landesregierung die
entsprechenden Anpassungen in die Wege
geleitet hat. Die Abstände zu Beförderungs-
und Funktionsämtern werden mit den weite-
ren Besoldungsschritten zum neuen Ein-
gangsamt zunehmend aufgezehrt, umgekehrt
vergrößern sich jedoch mit diesem Prozess
gleichzeitig auch die Lohnabstände zu den
Entgeltgruppen der tarifvertraglich Beschäf-
tigten aus dem Bereich des ‘Seiteneinstiegs’
und des sonstigen pädagogischen Personals.
Eine Weiterentwicklung sowohl im Besol-
dungssystem als auch in der Lehrerentgelt-
ordnung ist daher dringend geboten, will
man durch die neu entstehenden ‘Ungerech-
tigkeiten’ nicht auch eine neue, massive Un-
zufriedenheit schüren.
Arbeitsplatz schnell und
nachhaltig gestalten!
Gleichzeitig steht für die Beschäftigten an
den Schulen eine bessere Ausgestaltung ih-
res Arbeitsplatzes im Vordergrund. Weitere
Verbesserungen auf dem Gebiet der konkre-
ten Arbeitswirklichkeit müssen ebenso fol-
gen, sonst wirken auch eine höhere Besol-
dung bzw. ein höheres Entgelt nicht.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
eine zeitgemäße Ausstattung des Arbeits-
platzes sowie eine Reduzierung der psycho-
physischen Belastung, zum Beispiel durch
kleinere Klassen und eine Reduzierung des
Unterrichtsdeputats, stehen seit Jahren ganz
oben auf der Agenda.
Hinzu kommt als vordringliche Maßnah-
me, die zunehmend an Brisanz gewinnt, ein
deutlich verbesserter Gesundheitsschutz,
der Lehrkräfte vor jeglicher Gewalt am Ar-
beitsplatz bewahrt, von der einfachen Belei-
digung bis hin zur massiven körperlichen
Bedrohung.
Einfach alternativlos:
zukunftsfähige Schulpolitik!
lehrer nrw
unterstützt daher mit Nachdruck
alle Bestrebungen, die den Arbeitsplatz
Schule attraktiver machen. Und damit das
Bildungssystem im Land zum Wohl der
nachwachsenden Generation stützen.
Wir sind es ihr schuldig!
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
SCHULE & POLITIK