18 5/2024 · lehrer nrw
Eine tiefgreifende Modernisierung tut Not
KOMMENTAR
Die jüngste Umfrage zur Lehrkräfte-
ausbildung in Nordrhein-Westfa-
len offenbart erhebliche Defizite und
macht klar: Es besteht dringender
Handlungsbedarf, insbesondere in
Bezug auf die Praxisnähe und Reali-
tätsbezogenheit der ersten Ausbil-
dungsphase.
Der Vorbereitungsdienst (VD) am
Zentrum für schulpraktische Lehrer-
ausbildung (ZfsL) wird von den meis-
ten Lehramtsanwärterinnen und -an-
wärtern (LAA) als unverzichtbar und
weitaus effektiver als die universitäre
Ausbildung empfunden. Erschreckend
sind Rückmeldungen von LAA, dass
sie nach nur zwei Monaten im VD
mehr gelernt haben als in vier Jahren
Studium. Diese erste Phase, die eigent-
lich das Fundament der Lehrerausbil-
dung legen sollte, wird massiv kriti-
siert.
Auch wenn unter anderem ‘unrea-
listische Ansprüche’ bei Unterrichtsbe-
suchen bemängelt werden, zeigt sich
dennoch: Nur im Rahmen des VD kön-
nen sich LAA so intensiv mit den Lern-
prozessen der Schülerinnen und Schü-
ler auseinandersetzen, den Unterricht
gründlich durchdenken, Rückmeldun-
gen erhalten und sich professionalisie-
ren. Die geringe Unterrichtsverpflich-
tung im VD und die dadurch frei wer-
denden Vorbereitungszeiten ermögli-
chen es den LAA, sich selbst und neue
Methoden in den Unterrichtsbesuchen
zu erproben und wertvolle praktische
Erfahrungen zu sammeln. Dieser an-
spruchsvolle Lern- und Entwicklungs-
prozess, der von Beratung, Rückmel-
dung und Bewertung begleitet wird,
ist herausfordernd, aber unerlässlich.
Schließlich ist das spätere Tätigkeits-
feld ebenfalls von vielen Herausforde-
rungen geprägt.
lehrer nrw fordert daher eine tief-
greifende Modernisierung der Lehr-
kräfteausbildung. Es ist unerlässlich,
zusätzliche praxisbezogene Anteile in
die universitäre Phase zu integrieren,
jedoch nur unter der strikten Leitung
der ZfsL, um sicherzustellen, dass diese
Inhalte realitätsnah gestaltet werden
und den Anforderungen des Schulall-
tags entsprechen. Dies bedeutet nicht,
dass das Anspruchsniveau der Phase
reduziert werden soll.
Ein Orientierungspraktikum ist ein
guter Start. Ein Praxissemester einzu-
führen, das mit wissenschaftlichen
Aufgaben überladen wird, setzt jedoch
falsche Schwerpunkte. Die Studieren-
den benötigen den Raum, sich voll-
ständig auf die Herausforderungen
des Unterrichtens und des schulischen
Alltags zu konzentrieren, anstatt sich in
theoretischen Aufgaben zu verlieren.
Nur so lässt sich der ‘Praxisschock’ mil-
dern, und die unnötig hohen Abbruch-
quoten können gesenkt werden.
Es ist zudem fragwürdig, dass die
universitäre und die zweite Ausbil-
dungsphase in der Gesamtnote gleich
gewichtet werden, wenn der VD als
deutlich relevanter für die spätere Be-
rufspraxis angesehen wird. Gleiches
gilt für die Gewichtung der Unter-
richtspraktischen Prüfung (UPP) in Be-
zug auf die zweite Ausbildungsphase.
Eine zeitliche Verkürzung des Vorbe-
reitungsdienstes, um dem Lehrkräfte-
mangel entgegenzuwirken, wäre ein
fataler Fehler und würde die Qualität
des Unterrichts erheblich gefährden.
Die klare Positionierung von Schulmi-
nisterin Dorothee Feller gegen eine
Verkürzung ist der richtige Schritt.
Was jetzt gebraucht wird, ist eine
universitäre Ausbildung, die die ange-
henden Lehrkräfte in den Vorlesungen
endlich auf die Realität des Berufs vor-
bereitet – alles andere ist am Ziel vor-
bei. Hardi Gruner
Leiter Referat Fachleitungen im lehrer nrw
Mitglied des Netzwerkes
Fachleiter*innen NRW
■
■»Der Druck entstand, weil man in der Zeit der Lehrerschwemme
einen sehr guten Abschluss brauchte, um noch eine Einstellungs-
chance zu bekommen. Zum einen gab es den Leistungsdruck,
den man sich selbst machte, zum anderen den Konkurrenzdruck.«
■
■»Mehr Zeit im VD würde Druck abbauen!«
■
■»Erwartungen an einzelne »Showstunden«, die acht Zeitstunden
Planung voraussetzen, sind völlig realitätsfern.«
■
■»Die Unterrichtsreihen wurden so aufgebaut, dass sie allen
Schülerinnen und Schülern gerecht werden. Der Zeitumfang
und die Arbeitszeit, die in dieser Vorbereitung liegen, sind
enorm hoch und entsprechen in keinem Fall der Realität!«
■
■»Hohe Erwartungen auch seitens der Seminarleiter – der
Vergleich untereinander – zu viele Unterrichtsbesuche in
der kurzen Zeit«
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende des
lehrer nrw
sowie
Vorsitzende des HPR Realschulen · E-Mail: wanders@lehrernrw.de