lehrer nrw ·
3/2025
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TITEL
KOMMENTAR
Es braucht mehr
als einen Leitfaden
Der Leitfaden ‘Sicher handeln bei
Gewalterfahrungen von Beschäf-
tigten an Schulen’ zeigt betroffenen
Personen Möglichkeiten der Interven-
tion in drei Phasen auf. Die erste Pha-
se richtet sich hauptsächlich an die
unmittelbar betroffene Person und an
mögliche Unterstützende, um einen
Angriff oder eine Bedrohung abzu-
wehren oder gibt Empfehlungen, wie
in einer solchen Situation reagiert
werden soll. Selbstverständlich soll
bzw. muss die Schulleitung bereits in
dieser Phase über einen Vorfall infor-
miert werden, um letztlich auch der
Fürsorgepflicht nachkommen zu kön-
nen.
Die Bedeutung der Schulleitung
wird in den beiden anschließenden
Phasen dadurch deutlich, dass sie bei
jedem Schritt als Beteiligte aufgeführt
ist. Ebenso ist der Abschnitt ‘Weitere
Maßnahmen’ schwerpunktmäßig an
Schulleitungen adressiert und soll ih-
nen bei der weiteren Aufarbeitung
helfen. Der Schulleitung kommt somit
eine verantwortungsvolle Aufgabe zu,
die einerseits Empathie und anderer-
seits auch professionellen Umgang er-
fordert. Da Schulleitungen sehr eng
mit dem Kollegium arbeiten, kann die-
se Nähe auch für Schulleitungen eine
emotional herausfordernde Ausnah-
mesituation darstellen. Zur Herstel-
lung einer Handlungssicherheit bedarf
es mehr als eines Leitfadens. Um als
Schulleitung den von Gewalt betroffe-
nen Kolleginnen und Kollegen eine
hilfreiche professionelle Unterstützung
sein zu können, sollten Möglichkeiten
angeboten werden, solche Situationen
professionell vorzubereiten.
Schulleitungen brauchen
Handlungssicherheit
Die Ausführungen zu den weiteren
Maßnahmen und zu den Ordnungs-
maßnahmen zeigen primär den juristi-
schen Blick auf den weiteren Umgang
mit einem Gewaltvorfall. Statt die Schu-
len bzw. die Schulleitungen bei der An-
wendung § 53 (3) Nr. 5 ‘die Entlassung
von der Schule’ zu stärken, erfolgt der
Hinweis, dass zu prüfen ist, ob erzieheri-
sche Maßnahmen ausreichen würden.
Zwar wird im weiteren Text festgestellt,
dass im Fall von Gewalt gegen an Schu-
len beschäftigte Personen Ordnungs-
maßnahmen, wegen der Schwere der
Tat, regelmäßig angebracht sein dürf-
ten. Doch vor der Anwendung der Ent-
lassung von der Schule muss diese dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspre-
chend zunächst angedroht werden. Im
Leitfaden wird dann zwar darauf ver-
wiesen, dass auf die Androhung der
Entlassung verzichtet werden kann, al-
lerdings wird dies durch die differenzier-
te Bewertung der Schwere der Tat wie-
der eingeschränkt. Den Schulleitungen
ist hier dringend zu empfehlen, vorab
Kontakt mit den Dezernaten 48 aufzu-
nehmen, um mögliche Maßnahmen
rechtssicher durchzuführen.
Wenn es das Ministerium ernst
meint, dann muss den Schulleitungen
über den Leitfaden hinausgehende
Unterstützung zur Verfügung gestellt
werden, um angemessen und hand-
lungssicher auf Gewalterfahrungen
von Beschäftigten an Schulen reagie-
ren zu können. Olaf Korte
Leiter der Realschule Kastanienallee, Velbert
Leiter des Referats Schulleitung im
lehrer nrw
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende des
lehrer nrw
sowie Vorsitzende des HPR Realschulen
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
Art von Gewaltvorfällen gegen Beschäftigte
an Schulen verfügt (weil es diese Daten auch
gar nicht erhebt), ist von einer enorm hohen
Dunkelziffer auszugehen. Deshalb fordert
lehrer nrw
schon seit Jahren ein landesein-
heitliches und niedrigschwelliges Meldever-
fahren. Dieses hätte ebenfalls dem Leit-
faden zum Beispiel in Form eines Meldebo-
gens anhängen können. Das Ministerium
darf nicht die Augen vor dem Ausmaß des
Problems verschließen.
Kritische Rückmeldungen erreichten uns
bereits von Beschäftigten bezüglich der
Handlungsempfehlungen zum Bereich ‘Akute
Intervention (Gefahrenabwehr)’. Hier wird
den Angegriffenen unter anderem geraten,
das Gesichtsfeld des Angreifers zu verlassen
und diesen nicht zu provozieren. Objektiv
betrachtet, sind solche Empfehlungen natür-
lich korrekt. Subjektiv betrachtet, empfinden
Beschäftigte berechtigterweise Befremden
darüber, vor Schülerinnen und Schülern
flüchten zu sollen. Dies war sicherlich nicht
Bestandteil ihrer pädagogischen Ausbildung.
Ergänzend hat das Ministerium die Ver-
antwortlichen in den Bezirksregierungen
durch Andreas Müller, Richter am Verwal-
tungsgericht Düsseldorf, zum Thema ‘Erzie-
herisches Einwirken und Schulordnungsmaß-
nahmen’ schulen lassen. Einen entsprechen-
den Podcast mit Richter Andreas Müller zu
diesem Thema finden Sie auch im Bildungs-
portal.
Dieser Leitfaden ist ein nächster Schritt in
die richtige Richtung. Er erfüllt eine langjähri-
ge Forderung von
lehrer nrw
, auch wenn er
sicherlich nicht alle Fragen der Beschäftigten
beantwortet. Im Optimalfall sind unsere
Schulen sichere Orte für alle am Schulleben
Beteiligten, frei von Gewalt. Solange wir aber
diesen Optimalzustand nicht herstellen kön-
nen – Schule ist schließlich ein Spiegelbild
der Gesellschaft –, benötigen unsere Kolle-
ginnen und Kollegen umfangreiche Unter-
stützung und absolute Rückendeckung durch
den Dienstherrn bei erfahrener Gewalt.
Wir werden uns weiterhin für Sie einset-
zen und Sie nicht im Stich lassen!