neue hinzu. Chancen und Risiken sind aber im Prinzip die
gleichen, außerdem wäre Vieles in dem Moment, wo ich es
tippe, bereits wieder veraltet.
Recherche auf der Rasierklinge
Der Kern nicht nur jedes wissenschaftlichen Arbeitens, son-
dern jeder Form von Fortschritt überhaupt, ist das Misstrau-
en. Wo blinder Glaube herrscht, ist Misstrauen ganz beson-
ders notwendig, und wer solchen einfordert, hat in der Re-
gel keine schlüssigen Argumente. Deshalb ist es so immens
wichtig, Input aus unterschiedlichen Richtungen wahrzu-
nehmen, Urteile und Aussagen nicht einfach nur zu über-
nehmen, sondern auch herauszufinden, wie kommt dieses
Urteil zustande und wie wird es begründet?
Chat-GPT suggeriert, dass es genauso vorgeht. Man be-
kommt wohlklingende Erklärungen, mit Belegen und Ver-
weisen auf Webseiten, Literatur, Produkte, je nachdem, was
gesucht wurde. Aber wie so oft im Leben kann der Anschein
täuschen. So revolutionär das Potenzial ist, es handelt sich
um eine sehr junge Technologie, die noch überaus fehleran-
fällig ist. Meine stichprobenartigen Überprüfungen bei Er-
klärungs- oder Recherchefragen über KI sind sicherlich
nicht empirisch belastbar, aber wenn 10 bis 50 Prozent der
als Beleg genannten Links tot, immer wieder Erklärungen
schlicht falsch sind (zum Beispiel Verwechslung von Quel-
lentexten und Autoren) und dieselbe Frage an verschiede-
nen Tagen sehr unterschiedlich beantwortet wird, ist was
faul im Staate Chat GPT.
Zudem ist es reichlich naiv anzunehmen, dass es irgend-
eine frei zugängliche Technologie gäbe, die Beeinflussun-
gen gegenüber resistent ist, allen voran politisch-ideologi-
schen und ökonomischen. Und anders als bei herkömmli-
chen Informationsquellen fehlen uns aufgrund der vorge-
gebenen Gleichförmigkeit der Ergebnisse externe Bewer-
tungskriterien wie Sprachstil, Druckbild, Querverlinkungen,
Vita und Reputation des Autors oder des Verlags, Qualität
der Homepage etc.
Schüler tendieren ganz besonders dazu, sich vorschnell
mit den ersten angebotenen Lösungen zufrieden zu geben.
Nicht nur, dass ‘Internet’ oft als ausreichende Quellenanga-
be angesehen wird, häufig erfolgt die Auswahl der verwen-
deten Informationsquelle (Singular!) anhand der Treffer-Rei-
henfolge bei Google. Die Nutzung von KI bei Recherche und
Problemlösung kann dies forcieren, weil Antworten nicht
nur noch schneller gegeben werden, sondern bereits ausfor-
muliert sind, also im Zweifelsfall nicht einmal mehr gelesen,
sondern nur übertragen werden müssen.
Deshalb ist es wichtig, die oben genannte Problematik
mit Schülern ausdrücklich zu thematisieren. Mittels geziel-
ter Recherche- und Überprüfungsaufgaben über Chat
GPT mit Dokumentation des Vorgehens kann ich sie sensi-
bilisieren und die KI-Nutzung gezielt in den Unterricht ein-
binden.
KI als Helfer, nicht Ersatz-Hirn
Es ist schon verführerisch. Ich muss einen Text durcharbei-
ten. Da habe ich keine Lust zu. Und dann gibt es da eine
Maschine, der kann ich diesen Text geben, und dann
spuckt sie mir in wenigen Sekunden eine Zusammenfas-
sung aus. Arbeit erledigt! Cool, was? Da sind wir genau
beim größten Problem der Arbeit mit KI. Sie kann uns eine
Vielzahl von Arbeiten abnehmen, die wir als lästig empfin-
den. Warum soll ich mir den Tag versauen, wenn ich die In-
halte so präsentiert bekomme und ohne mich angestrengt
zu haben, im Unterricht mit famoser Textkenntnis glänzen
kann, die ich gar nicht habe?
Aber das ist ja nicht der Punkt. Die Erarbeitung des In-
halts von Texten, Statistiken oder Schaubildern ist im Rah-
men jeder Ausbildung ein Mittel zum Zweck. Es gilt Fach-
wissen UND Methodenkompetenz zu erwerben. Und vor al-
lem Letzteres geht völlig verloren, wenn die KI nicht als Hel-
fer, sondern als Ersatz-Hirn verwendet wird.
Warum müht sich der Sportler damit ab, schwere Gewich-
te zu stemmen, wenn es doch Flaschenzüge und Gabelstap-
ler gibt? Warum joggst Du kilometerlang, wenn Du dieselbe
Strecke mit dem Bus fahren kannst? Natürlich ist es anstren-
gender, den eigenen Körper zu nutzen, aber genau das ist
es schließlich, was Muskelzellen und Kondition aufbaut!
Das gleiche gilt für die Fähigkeit des Gehirns, neuronale
Verknüpfungen herzustellen, das Verstehen, Strukturieren
und Abspeichern von Wissen, kurz, die intellektuelle Leis-
tungsfähigkeit zu trainieren.
Schüler haben diese Weitsicht normalerweise nicht, und
je nach Altersstufe können sie diese auch gar nicht haben.
Um so wichtiger ist es, ein Problembewusstsein zu schaffen –
nicht mit erhobenem Zeigefinger, als vielmehr auf die Vor-
teile deutend, die ich mir langfristig verschaffe, wenn ich
das Gehirn trainiere.
Der Midas-Effekt: Aufs Detail kommt es an
Wie war das noch mit König Midas? Er hatte dem Gott Dio-
nysos geholfen, welcher ihm daraufhin zusagte, einen
Wunsch zu erfüllen. Midas wünschte sich, dass alles, was er
anfasse, zu Gold werden würde. Die erste Freude währte nur
kurz: Nachdem er sich von seinem unermesslichen Reich-
tum berauscht zum Essen begeben hatte, stellte er fest, dass
sich auch alle Speisen und Getränke in Gold verwandelten,
folglich ungenießbar wurden. Er wäre elend verhungert
und verdurstet, hätte Dionysos – eine absolute Seltenheit für
griechische Götter – nicht Erbarmen gehabt und ihm ge-
zeigt, wie er sich von dem Segen, der sich als Fluch ent-
puppte, befreien konnte.
Die Schuldfrage ist schnell geklärt: Der Gott kann nichts
dafür. Dionysos hat exakt das gemacht, was sich Midas ge-
wünscht hatte. Ein »Ich meinte das aber anders« nützt nichts,
wenn das nicht auch klar und unmissverständlich geäußert
wird.
14 4/2025 · lehrer nrw