3
Unter der Lupe
Lasst uns Kindern
Heimat geben!
15
Dossier
Die Bedeutung der
Beziehung für schulisches
Lehren und Lernen
20
Schule & Politik
Bielefelder Qualifizie-
rungsprogramm für
geflüchtete Lehrkräfte
4
Im Brennpunkt
Die Ketten
sprengen
1781 | Ausgabe 2/2018 | MÄRZ | 62. Jahrgang
Wie digital
soll Schule
werden?
Pädagogik & Hochschul Verlag
.
Graf-Adolf-Straße 84
.
40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
IMPRESSUM
l
ehrer nrw
G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
a
ls Zeitschrift des
lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
Geschäftsstelle
lehrer nrw
Nordrhein-Westfalen,
Graf-Adolf-Straße 84,
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Redaktion
Brigitte Balbach, Ulrich
Brambach, Sven Christoffer,
Frank Görgens,
Sarah Wanders,
Jochen Smets, Düsseldorf
Verlag und
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PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG –
dphv-verlags-
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Anzeigenpreisliste Nr. 18
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lehrer nrw
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Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
INHALT
lehrer nrw ·
2/2018
2
UNTER DER LUPE
Brigitte Balbach: Lasst uns
K
indern Heimat geben!
Die Umsetzung der schulpolitischen Ankündigungen
im Koalitionsvertrag lässt auf sich warten! 3
MAGAZIN
Für jedes Kind einen Schulabschluss 4
Neuer Justitiar für
lehrer nrw
5
BRENNPUNKT
Sven Christoffer: Die Ketten sprengen 6
JUNGE LEHRER NRW
Sarah Wanders: Sich im Verband
engagieren – Lust statt Last
8
FORUM
Soll man den Bildungsföderalismus
abschaffen?
Gastkommentar von Heinz-Peter Meidinger,
Präsident des Deutschen Lehrerverbandes
10
LESERBRIEF
Thorsten Schmalt:
Von der QA muss man mehr erwarten
11
TITEL
Jochen Smets:
Wie digital soll Schule werden?
12
Metastudie: Erfolgreicher Unterricht
ist digital – und analog
14
DOSSIER
Prof. Dr. Joachim Bauer:
Die Bedeutung der Beziehung
für schulisches Lehren und Lernen
Eine neurobiologisch fundierte Perspektive 15
SCHULE & POLITIK
Bielefelder Qualifizierungsprogramm
für geflüchtete Lehrkräfte
20
Reiner Werner: Vergötzung der Bildung 22
FORTBILDUNGEN
Binnendifferenzierung 26
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange: Die Schulfotoaktion:
Portraits und Probleme
28
SENIOREN
Besuch im Trainingsbergwerk 30
Einblicke in die Kölner Synagoge 30
HIRNJOGGING 31
Heike Loosen:
Aufgabe 1: Anagramme
31
Aufgabe 2: Geschichten erfinden 31
Lasst uns
Kindern
Heimat geben!
Die Umsetzung der schulpolitischen Ankündigungen
im Koalitionsvertrag lässt auf sich warten!
D
D
ie schwarz-gelbe Landesregierung hat Gro-
ßes vor in und für Nordrhein-Westfalen –
auch in der Bildung und für die Schulen. Das
ergibt sich übrigens folgerichtig aus der guten Op-
positionsarbeit, die CDU und FDP unter rot-grüner
Landesregierung in den letzten Jahren offenbar auch
für die Wähler überzeugend geleistet haben.
Diese viel versprechende Entwicklung, so erwar-
ten jetzt wir Wähler dieser Landesregierung, soll sich
künftig in aktivem Handeln und in konkreten Maß-
nahmen der einzelnen Ministerien fortsetzen. Und
wir denken dabei: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Der aktuelle Koalitionsvertrag lässt ja auch auf Eini-
ges hoffen: »Wir wollen die Gleichbehandlung aller
Schulformen wiederherstellen. Die Benachteiligung
von Realschulen und Gymnasien werden wir been-
den«
(Seite 10)
. Das ist einer der Hauptgründe der
schwarz-gelben Wählergruppe Bildung gewesen, die
alte Landesregierung abzuwählen. Als ebenso wich-
tig galten ihr die Themen Inklusion und Integration.
Insgesamt waren die Menschen, die mit Bildung zu
tun haben, egal ob als Eltern oder Lehrer, auch unzu-
frieden mit Bevorzugungen bestimmter Schulfor-
men, da diese Vorgehensweise nicht sachorientiert
war, sondern ideologiegeschwängert.
Weiter wie bisher
Das ist Schnee von gestern – und was ist heute?
Nach etwa einem halben Jahr hat sich noch nicht
viel geändert. Das Ministerium für Schule und Bil-
dung macht so weiter wie bisher. Manchmal ist es
wirklich schwer, älter zu werden und über zahlreiche
Erfahrungen zu verfügen – man schaut nicht mehr
so unbeschwert in die Zukunft, sondern mit Blick auf
die Vergangenheit eher sorgenvoll. Die Ministerin-
nen Behler (SPD), Schäfer (SPD), Sommer (CDU) und
Löhrmann (Grüne) habe ich live erleben dürfen. Das
stählt fürs Leben, das kann ich Ihnen sagen! Viel
mehr aber auch nicht. Es frustriert eher.
Meine Abschiedsworte in meiner letzten HPR-Sit-
zung im Ministerium für Schule und Bildung fielen
mitten in einer gemeinschaftlichen Besprechung des
Hauptpersonalrats Realschulen mit der neuen Minis-
terin Gebauer und ihrem neuen Staatssekretär Rich-
ter wohl auch deshalb etwas desillusionierend aus:
»Frau Ministerin, diese Haus hat bisher jeden Minis-
ter überlebt.« Immerhin zeigten sich die Vertreter
des Hauses etwas empört – scheinbar empört. Letzt-
lich fühlten sie sich sicherlich gebauchpinselt ob die-
ser Würdigung. Aber es ist ein Faktum!
Neues nur in geringen Dosen
Wo liegen die Gründe für diese Wahrnehmung in
den letzten Jahrzehnten? Zum einen darin, dass
nach jeder Wahl eine Person das Ministerium betritt,
die neu und frisch ans Werk geht, zwangläufig über
relativ wenig Sachkenntnisse des jeweiligen Ministe-
riums verfügt und interne Abläufe erst kennenlernen
muss. Dieser Neuling hat sich erfolgreich im politi-
schen Gewitter durchgeboxt und will nun voller Ta-
tendrang und mit ganzem politischen Elan an die
‘Sachen’ herangehen – und das ‘mit Schmackes’.
Und dann muss derjenige am eigenen Leib erfahren,
dass in dem jeweiligen ‘Haus’ Unsägliches (aus Sicht
des bisherigen Kämpfers) hingenommen wird, Neues
nur in geringen Dosen akzeptiert wird und überdies
ein systemisch festgeschriebenes Verwaltungshan-
deln das Haus mit hektischem Leben erfüllt, dessen
Sinn und Ziel ihm sich nicht sofort erschließt. Das ist
ein Problem! Denn schnell wird jedem neuen Minis-
ter klar, dass die Möglichkeiten, das, wofür er oder
sie steht, möglichst bald umzusetzen, nur sehr ge-
ring sind und manchmal auch dem Willen des
von BRIGITTE BALBACH
3
2/2018 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
Spenden-
übergabe
an der Ge-
meinschafts-
hauptschule
Bernburger
Straße: Die
M
erck Finck
Stiftung un-
terstützt die
Arbeit der
Teach first-
Fellows an
mehreren
Schulen in
Düsseldorf
mit 3000
Euro.
lehrer nrw ·
2/2018
4
UNTER DER LUPE
Brigitte Balbach
ist Vorsitzende des
lehrer nrw
E-Mail:
info@lehrernrw.de
Hauses und seiner ureigenen Schaffenskraft und Philo-
s
ophie entgegenstehen. Ups!
Kampf ums Ministerium
S
pätestens an dieser Stelle höherer Erkenntnis beginnt
die eigentliche Arbeit im Haus, nämlich die Aktivie-
rung der eigenen Durchsetzungsfähigkeit, der Count-
down der eigenen Philosophie, der Startup immerwäh-
render Überzeugungsarbeit gegenüber den eigenen
‘Untergebenen’ und das Sammeln von aktiven Mit-
streitern und Vertrauten um das eigene Minister-Ich.
Manche Ministerinnen gewannen das Haus, was für
die eigene Politik und für eine mögliche Wiederwahl
immer gut ist, andere mussten sich gegen das Haus
durchsetzen. Ein Kampf bleibt immer ein Kampf. Und
Viele sind mehr als ein Einziger!
Wenn man die Gnade hat, das Haus für sich zu ge-
winnen, ohne dass dieses sich heimlich absondert oder
sich verselbstständigt, kann man für die Menschen im
Land vieles tun – und bleibt »primus inter pares«.
Niedergang pädagogischer
Grundelemente
Wo sitzen nun die hauptsächlich Fehlentwicklungen, die
sich im Schulsystem in den letzten Jahren herauskristal-
lisiert haben? Zum einen ist das die oben genannte Un-
gleichbehandlung der unterschiedlichen Schulformen in
Nordrhein-Westfalen: Einige wurden de facto bevorzugt
und mit Ressourcen gepusht, andere wurden den Kom-
munen als Manövriermasse in Zeiten klammer Kassen
zum ‘Fraß’ überlassen. Die Ideologie des längeren ge-
meinsamen Lernens machte ‘Schule’. Der Lehrer als
Lehrkraft hatte ausgedient, er drohte als Lernbegleiter
zu sterben. Ein ideologischer Niedergang pädagogi-
scher Grundelemente wurde initiiert. Eltern, Schüler
und Lehrer fanden sich mehrheitlich nicht mehr in dem
neuen Schulsystem beheimatet und standen auf: Die
rot-grüne Landesregierung wurde abgewählt. Jetzt gilt
es, diesen Menschen, Schülern mit ihren Eltern und Aus-
bildern, eine neue Heimat anzubieten, sie mitzunehmen
in eine neue Ära ohne Ideologie, sehr wohl aber mit ei-
ner tiefgründigen Philosophie, die Schulen zu Orten
macht, in denen Kinder und Jugendliche Heimat finden
können. Und das egal, woher und womit sie kommen.
Es ist jetzt an der Zeit, sich dafür stark zu machen!
Sichtbar!
Erlebbar!
Wir warten!
Für jedes Kind einen
D
D
ie Zahlen sind erschreckend: Fast
50 000 Jugendliche verlassen je-
des Jahr die Schule ohne einen Ab-
schluss, mehr als 11000 davon allein
in Nordrhein-Westfalen. Genau hier
setzt Teach First Deutschland an. Die
gemeinnützige Bildungsorganisation
zeigt, dass Jugendliche in sozialen
Brennpunkten erfolgreich sein kön-
nen. Dafür arbeiten Hochschulabsol-
venten verschiedener Studienrich-
tungen als sogenannte ‘Fellows’
bundesweit an Brennpunktschulen.
Mit 3000 Euro unterstützt die
Merck Finck Stiftung gemeinsam mit
den Zustiftungen ‘Schenck’, ‘Gente’
und ‘Franz-Josef Schicker’ den Fel-
low-Einsatz von Teach First Deutsch-
land in Düsseldorf – unter anderem
an der Gemeinschaftshauptschule
Bernburger Straße, an der Fellow
Alexandra Köster im Einsatz ist.
»Einen Einblick zu bekommen, mit
welchem Herzblut sich die Fellows
tagtäglich für ihre Schüler einsetzen,
finden wir einfach großartig. Und
der Erfolg gibt Teach First Recht. Bil-
dung zu fördern ist auch einer unse-
rer wichtigsten Stiftungszwecke«,
sagt Melanie Schmid-Strüngmann,
Vorstand der Merck Finck Stiftung.
Fellows sind persönlich und fach-
lich herausragende Hochschulabsol-
venten aller Fachrichtungen, die sich
in ihrem zweijährigen Vollzeiteinsatz
intensiv den besonderen Bedürfnis-
sen der Kinder und Jugendlichen
widmen. Fellows werden in einem
mehrstufigen Verfahren ausgewählt,
drei Monate für den zweijährigen
Schuleinsatz vorbereitet sowie im
Rahmen des Leadership-Programms
von Teach First Deutschland beglei-
tet und fortgebildet.
»Gemeinsam mit unseren Part-
nern und Förderern verfolgen wir
diese Vision: In Deutschland verlässt
jedes Kind die Schule mit einem Ab-
schluss und dem festen Glauben an
den eigenen Erfolg«, sagt Ruth-Anne
Damm, Leiterin der Region West bei
Teach First Deutschland.
Teach First Deutschland erreicht
allein in NRW im aktuellen Schuljahr
2017/ 2018 über 2500 Schüler mit
knapp 50 Fellows, die an Schulen in
sozial herausfordernden Umfeldern
in Vollzeit im Einsatz sind. Aktuell
widmen sich bundesweit rund 130
Fellows den Belangen der Schüler.
Neben NRW agiert Teach First in 6
weiteren Bundesländern.
MAGAZIN
5
2/2018 ·
lehrer nrw
Schulabschluss
Neuer Justitiar
für
lehrer nrw
Christopher Lange ist der ‘Neue’ in
der Rechtsabteilung von
lehrer nrw
.
Lange war viele Jahre als Büroleiter
im nordrhein-westfälischen Landtag
tätig. Er arbeite danach für ein inter-
nationales Unternehmen in London.
Mit vollem Elan widmet er sich nun
den Aufgaben in der Rechtabteilung
von
lehrer nrw
. Neben der Beratung
von Mitgliedern in Rechtsfragen
rund um das Thema ‘Schule’ gehört die Unterstützung bei Stellung-
nahmen und die Vertretung der Verbandsinteressen gegenüber der
Politik zu seinen Aufgaben.
ÜBER DIE MERCK FINCK STIFTUNG
Die im Jahr 2007 gegründete Merck Finck Stiftung ist eine
rechtlich selbstständige, gemeinnützige Stiftung mit Sitz in
München. Als Dachstiftung nimmt die Merck Finck Stiftung
Zustiftungen auf. Seit Gründung ist das Stiftungsvermögen
durch 25 Zustiftungen und fünf Erbschaften auf mehr als
14 Millionen Euro gewachsen
(Stand: August 2017)
. Die Stif-
tung fördert 14 satzungsgemäße Zwecke im Sinne des § 52
Abgabenordnung sowie zusätzlich Mildtätigkeit im Sinne
des §53 Abgabenordnung.
Christopher Lange
lehrer nrw ·
2/2018
6
U
U
nionsfraktionschef Volker Kauder äu-
ßerte sich am 17. Februar 2018 ge-
genüber der ‘Rheinischen Post’ in ei-
nem Interview zu der Thematik wie folgt:
»Als Erstes muss bei den Lehrern der Miss-
brauch mit den Kettenarbeitsverträgen be-
endet werden. Da müssen die Länder ganz
schnell ran.« Aber wie stellt sich die Situati-
on an den Schulen zurzeit konkret dar? Ein
Beispiel aus der Praxis:
Vor einigen Wochen wandte sich ein Mit-
glied unseres Verbandes an die Geschäfts-
stelle mit der Bitte um Unterstützung bei
dem Anliegen, in ein unbefristetes Arbeits-
verhältnis im Schuldienst zu gelangen. Wir
rieten dazu, zunächst einen formlosen An-
trag auf Entfristung des aktuellen Arbeits-
verhältnisses bei der zuständigen Bezirksre-
gierung zu stellen und darin auf die Anzahl
der befristeten Arbeitsverträge (insgesamt
zwölf!) sowie die Gesamtdauer des Arbeits-
verhältnisses (fast fünfeinhalb Jahre!) abzu-
stellen.
Bezirksregierungen
orientieren sich am
Erlass des Ministeriums
Der Antrag wurde zunächst abschlägig be-
schieden. In einem Telefonat mit mir verwies
der zuständige Personaldezernent der Be-
zirksregierung darauf, dass man nach gel-
tender Erlasslage entschieden habe: Das
NRW-Schulministerium hat am 27. Septem-
ber 2013 die Umsetzung des Bundesarbeits-
gerichtsurteils vom 18. Juli 2012 zu soge-
nannten ‘Kettenbefristungen’ verfügt: Eine
Befristung eines Arbeitsvertrages trotz Vor-
liegen eines Sachgrundes kann rechtsmiss-
bräuchlich und daher unwirksam sein, wenn
über eine lange Gesamtdauer eine hohe An-
zahl aufeinander folgender befristeter Ar-
beitsverträge mit demselben Arbeitgeber
abgeschlossen worden ist. Mit Erlass vom
18. September 2014 hat das Ministerium für
Schule und Bildung die Bezirksregierungen
angewiesen, Kettenbefristungen nach einer
Beschäftigungsdauer von sieben Jahren auf
Rechtsmissbräuchlichkeit zu überprüfen und
von SVEN CHRISTOFFER
Die Ketten
sprengen
Der Umgang mit sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen war ein
Zankapfel zwischen CDU und SPD in den Koalitionsverhandlungen.
Im Schulbereich haben wir es meist mit befristeten Arbeitsverhält-
nissen mit sachlichem Grund (Erkrankung einer Lehrkraft, Mutter-
schutz, Elternzeit) zu tun. Die Situation ist für die Betroffenen
aber gleichermaßen unbefriedigend.
Viele Lehrkräfte sind in den Ketten
des ministerialen Befristungs-Erlasses gefangen.
Entfristungen sind erst nach sieben Jahren mög-
lich. Es wird Zeit, diese Ketten zu sprengen.
BRENNPUNKT
»dabei einen wohlwollenden Maßstab an-
zulegen«. Sollte ein Rechtsmissbrauch im
Einzelfall gegeben sein, ist als Rechtsfolge –
ohne arbeitsgerichtliches Klageverfahren –
die Entfristung des letzten Arbeitsverhältnis-
ses vorzunehmen. Die übrigen Vertragsbe-
standteile wie Beschäftigungsschule und
Beschäftigungsumfang bleiben unberührt.
Zur Beurteilung des Einzelfalls können ne-
ben der Gesamtbeschäftigungsdauer weite-
re Umstände herangezogen werden:
Anzahl der befristeten Verträge
Laufzeiten der einzelnen Arbeitsverträge
Unterbrechungszeiten
ggf. nicht konkret benannter/umgesetzter
Vertretungsbedarf
wechselnde Einsatzorte/Schulformen
jeweiliger Beschäftigungsumfang
Erlass ist nicht
mehr zeitgemäß
In dem von mir geschilderten Fall fehlten
demnach eineinhalb Jahre zu einer ‘erlass-
gemäßen Entfristung’. Erst die von
lehrer
nrw
initiierte Bitte um erneute Prüfung des
Sachverhalts unter Einbeziehung weiterer
Tatbestände (Übernahme unterschiedlicher
außerunterrichtli-
cher Aufgaben an
den Einsatzschu-
len, die nicht
vom Arbeitsver-
trag abgedeckt
waren) führte
dann schließ-
lich doch noch
zu einer Ent-
fristung des
Arbeitsver-
hältnisses.
Unab-
hängig von
diesem Einzelfall stellt sich mir die Frage, ob
die Erlasslage tatsächlich noch zeitgemäß
ist. Die Fakten sprechen dagegen: In Nord-
rhein-Westfalen herrscht – ebenso wie in
den allermeisten anderen Bundesländern –
massiver Lehrkräftemangel, der allen Prog-
nosen zufolge noch über Jahre andauern
wird. Diese Versorgungslücke kann aktuell
nur über Seiteneinsteiger geschlossen wer-
den. Die in den nächsten Wochen startende
Informations- und Werbekampagne für den
Lehrerberuf des Ministeriums für Schule und
Bildung hat deshalb auch
zwei Zielgruppen: Zum einen
sollen Abiturientinnen und Abi-
turienten des Jahrgangs 2018 für
den Studiengang Master of Educa-
tion interessiert werden, zum ande-
r
en geht es darum, Fachkräfte für den
Seiteneinstieg zu gewinnen, um den
akuten gegenwärtigen Lehrermangel
zu beheben.
Auf der einen Seite will man also
Seiteneinsteiger über eine millionen-
schwere Kampagne für den Schul-
dienst gewinnen, auf der anderen
Seite verweigert man den befristet
im Schuldienst befindlichen Kollegen
den dauerhaften Verbleib in selbigem.
Immerhin hat dieser Personenkreis ja
schon bewiesen, dass er trotz fehlender
pädagogischer Qualifikation teilweise über
viele Jahre im Schulalltag zurechtgekom-
men ist.
Es braucht eine
Qualifizierungsoffensive
Dabei kann es aber nicht bleiben. Wenn
nunmehr klar ist, dass der nordrhein-west-
fälische Schuldienst über Jahre auf Fach-
kräfte für den Seiteneinstieg angewiesen
sein wird, dann braucht es umfassende
Qualifizierungsangebote für diesen Perso-
nenkreis. Das ist zum einen wichtig für die
Qualität des Unterrichts und zum anderen
auch für die Person selbst, die ja zweifels-
ohne im Kollegium als Lehrkraft auf Augen-
höhe wahrgenommen werden möchte –
und nicht als Pädagoge zweiter Klasse. Mit
der Qualifizierung müssen auch monetäre
Anreize verbunden sein, denn nichts ist de-
motivierender, als bereits in jungen Jahren
am Ende seiner beruflichen Karriere ange-
kommen zu sein. Denn Fakt ist: Die Schulen
brauchen Seiteneinsteiger, und die Seiten-
einsteiger brauchen eine Perspektive!
Sven Christoffer
ist Vorsitzender des HPR Realschulen
sowie stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail:
christoffer@lehrernrw.de
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lehrer nrw ·
2/2018
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JUNGE LEHRER NRW
Sich im Verband engagieren –
Lust statt Last
Am 23. und 24. Februar kamen neun junge und engagierte Leh-
rerinnen und Lehrer in der dbb-Akademie Königswinter zu der
Fortbildung mit dem Titel ‘Sich im Verband engagieren – Lust
oder Last?’ zusammen. Sie machten sich Gedanken darüber, an
welchen Stellen im Verband sich junge Kolleginnen und Kolle-
gen verstärkt einbringen können und konkrete Projekte für
jun-
ge lehrer nrw
zu planen. Mit Spaß und Eifer waren alle bei der
Sache. Fazit: Diese Fortbildung – auch wenn sie komplett in der
Freizeit stattfand – war alles andere als eine Last.
D
D
er erste Tag begann mit einer Einfüh-
rung in die Verbandsstruktur. Sven
Christoffer, der die Veranstaltung mit
Sarah Wanders, der Vorsitzenden der Ar-
beitsgruppe
junge lehrer nrw
, und ihrer
Stellvertreterin Leslie Boecker leitete, erläu-
terte die Struktur von
lehrer nrw
, den Unter-
schied zwischen Verband und Personalrat,
sowie die Aufgaben von
lehrer nrw
-Vertrau-
enslehrerinnen und -lehrern an Schulen.
Persönliche Betreuung
und Fortbildungen
Im Anschluss überlegte die Runde anhand
ihrer eigenen Erfahrungen, wie man junge
Menschen für die Verbandsarbeit begeistern
kann. Als zentrale Elemente kristallisierten
sich zwei Aspekte heraus. Zum einen über-
zeugt die sehr persönliche Betreuung, sei es
durch die Vertrauenslehrerinnen und -lehrer
an den Schulen, die Kreisvorsitzenden oder
auch die Rechtsabteilung. Das könne kein
anderer Verband und keine andere Gewerk-
schaft bieten. Der zweite Aspekt, der von ei-
nigen Teilnehmern betont wurde, war das
Fortbildungsangebot, das sich nicht mit all-
gemeinen Fragen oberflächlich beschäftigt,
sondern sich ganz konkret an den einzelnen
Lehrer und die einzelne Lehrerin richtet. Im
kommenden Schuljahr wird es wieder ge-
zielt Fortbildungen geben, die sich mit Rhe-
torik für junge Lehrerinnen und Lehrer so-
wie Rechtsfragen im Schulalltag junger
Lehrkräfte beschäftigen.
N
eun junge Kolleginnen und Kollegen
trafen sich in Königswinter,
um neue Ideen für die Verbandsarbeit zu entwickeln.
Die Arbeitsatmosphäre war
konzentriert,
aber zugleich auch
entspannt.
Fotos:
junge lehrer nrw
von SARAH WANDERS
JUNGE LEHRER NRW
9
2/2018 ·
lehrer nrw
Leitfaden für die
Lehrerausbildung
I
n einem waren sich die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer einig: Wir müssen noch
mehr Angebote für junge Lehrkräfte (Infor-
mationen und Hilfestellungen) auf unserer
Homepage anbieten und den Auftritt von
junge lehrer nrw
dort modernisieren, um
konkurrenzfähig zu bleiben. Oliver van
Well schlug vor, für Lehramtsanwärter ei-
nen ‘Link durch‘s Ref’ – einen Leitfaden für
die Lehrerausbildung vom Studium bis zur
ersten Anstellung – zu erstellen. Die Idee
wurde aufgenommen und von allen Teil-
nehmerinnen und Teilnehmern mit eigenen
Ideen und Vorschlägen ergänzt. Spontan
beschlossen wir, den Plan für den zweiten
Tag zu ändern und diese Idee auszuarbei-
ten. Mit jeder Menge guten Ideen und Plä-
nen für den zweiten Tag beendeten wir die
Veranstaltung – zumindest den offiziellen
Teil.
Den Abend ließen wir in gemütlicher
Runde in der Gaststätte Lichtenberg aus-
klingen. Bei Bier und Wein ließen wir die
Arbeit hinter uns – zumindest soweit Leh-
rerinnen und Lehrer das können – und ge-
nossen einen netten Abend. Ich habe sel-
ten eine so gute und freundschaftliche At-
mosphäre bei einer Fortbildungsveranstal-
tung erlebt.
Der Weg ins Lehramt
Am zweiten Tag begannen wir direkt mit
der Arbeit. In Zweierteams arbeiteten wir
an verschiedenen Bereichen der Lehreraus-
bildung: Übergang Studium – ZfsL, die Zeit
als LAA, Übergang ZfsL – Schule und ‘Fit for
Job’, einem Coaching für Lehramtsanwärter,
die sich auf eine Stelle bewerben. Wir über-
legten uns, welche Fragen und Sorgen die
jungen Kolleginnen und Kollegen umtreiben
u
nd begannen, Antworten zu formulieren,
die in Zukunft in unserem Bereich auf der
Homepage abrufbar sein sollen. Auch hier
waren alle wieder mit viel Begeisterung bei
der Sache. Es wurde nicht nur sehr viel ge-
meinsam gearbeitet, sondern auch genauso
viel gemeinsam gelacht.
Und so saßen wir im Anschluss an die
Fortbildung noch lange gemeinsam beim
Mittagessen und beschlossen, uns im kom-
menden Jahr wieder zu einem Workshop zu
treffen, um weitere Projekte in Angriff zu
nehmen. Ich lade alle Jungen und Jungge-
bliebenen herzlich ein, sich uns anzuschlie-
ßen.
INFO
Sie wollen auch mitarbeiten?
Sprechen Sie uns an:
wanders@lehrernrw.de
V
orsitzende
j
unge lehrer nrw
boecker@lehrernrw.de
stellv. Vorsitzende junge lehrer nrw
S
arah Wanders
i
st Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
junge lehrer nrw
E-Mail:
wanders@lehrernrw.de
Heinz-Peter Meidinger,
Präsident des Deutschen
Lehrerverbandes:
»Was wir aber unbedingt brauchen, ist
ein echter Wettbewerb zwischen den
Ländern im Bildungsbereich, der bislang
durch die Blockade leistungsschwacher
und leistungsfeindlicher Bundesländer
in der Kultusministerkonferenz verhin-
dert wurde
lehrer nrw ·
2/2018
10
FORUM
Soll man den Bildungs-
föderalismus abschaffen?
Gastkommentar von Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.
E
E
s vergeht heute kaum ein Monat in
Deutschland, in dem nicht eine de-
moskopische Umfrage veröffentlicht
wird, wonach achtzig oder neunzig Pro-
zent der bundesdeutschen Bevölkerung für
eine Bundeskompetenz in Schul- und Bil-
dungsfragen sind. Der Ärger über den Bil-
dungsföderalismus, so wie er heute funk-
tioniert – oder besser gesagt: so, wie er
heute leider nicht funktioniert – ist über-
groß.
Aus mindestens zwei Gründen wird
dieser aber nicht abgeschafft werden,
heute nicht und auch morgen nicht:
1. Die Zuständigkeit für das Schulwesen ist
eigentlich die letzte Kernzuständigkeit,
die den Bundesländern noch geblieben
ist. Bei einem Wegfall der Gestaltungs-
kompetenz im Schulbereich wäre das
Bundesstaatsprinzip grundsätzlich in
Frage gestellt. Und genau das hat unse-
re Verfassung in Art. 79 (3) GG mit einer
Ewigkeitsgarantie versehen.
2. Zwar sind viele Bürger mit Recht sehr
kritisch gegenüber der Bildungspolitik in
vielen Ländern eingestellt, im Grunde
wissen sie aber auch, dass sich durch ei-
ne Bundeszuständigkeit nichts verbes-
sern würde. Im Gegenteil: Zentralismus
bedeutet immer auch Nivellierung auf
niedrigerem Niveau und letztendlich
noch mehr Praxis- und Schulstandortfer-
ne. Wäre im Nachkriegsdeutschland von
Anfang an der Bund für Schulfragen zu-
ständig gewesen, gäbe es bei uns seit
den siebziger Jahren eine Einheitsschule
mit insgesamt noch schlechteren Leis-
tungsergebnissen.
Trotzdem funktioniert der Bildungsfödera-
lismus derzeit bei uns nicht so richtig, wie
der Wildwuchs an Schularten und die
enorm hohen Leistungsdifferenzen zwi-
schen einzelnen Bundesländern zeigen.
Mit der Lockerung des Kooperationsver-
bots durch die Erweiterung der Art. 104 c
GG ist die Zuständigkeit der Länder bei der
inhaltlichen Gestaltung des Schulbereichs
und beim Personal unangetastet geblie-
ben, dem Bund aber die Möglichkeit gege-
ben worden, sich bei Investitionen in die
schulische Infrastruktur zu beteiligen. Das
begrüßt der Deutsche Lehrerverband.
Was wir aber unbedingt brauchen, ist ein
echter Wettbewerb zwischen den Ländern
im Bildungsbereich, der bislang durch die
Blockade leistungsschwacher und leis-
tungsfeindlicher Bundesländer in der Kul-
tusministerkonferenz verhindert wurde. Um
echten Wettbewerb bei gleichzeitig not-
wendiger Einigung auf möglichst hohe ge-
meinsame Leistungsstandards zu erreichen,
brauchen wir eine neue Vereinbarung zwi-
schen den Ländern im Bildungsbereich
oberhalb der Kultusministerkonferenz. Ich
plädiere für einen Bildungsstaatsvertrag,
der endlich Vergleichbarkeit auf hohem Ni-
veau, ein Ende der Reformwut in der Bil-
dungspolitik und möglichst hohe Mobilität
zwischen den Bundesländern sicherstellt.
Wir brauchen bundeseinheitliche klare Re-
gelungen zu Beginn und Dauer der Schul-
pflicht, den Übergang in die Sekundarstufe I
und II, die Zulassung zur Abiturprüfung, wo
derzeit jedes Land eigene Modelle fährt,
zur einheitlichen Zuordnung von Lehräm-
tern zu Besoldungsstufen, zur Qualität ei-
ner differenzierten Lehrerbildung, und wir
brauchen eine Ende des Wildwuchses von
immer neuen Schulformen.
Letztendlich kann ein Wettbewerbsföde-
ralismus im Bildungsbereich auch nur funk-
tionieren, wenn größtmögliche Transparenz
herrscht und wenn die Bundesländer, die
am Ende der Leistungsskala stehen, den
Mut haben, wieder mehr Leistung einzufor-
dern.
Ein so verstandener ehrlicher und offener
Wettbewerbsföderalismus, der sich in ei-
nem Staatsvertrag auf grundsätzliche Stan-
dards und Regeln verständigt hat, wird
auch in der Bevölkerung wieder mehr Zu-
stimmung und Akzeptanz finden.
LESERBRIEF
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2/2018 ·
lehrer nrw
Von QA muss man
mehr erwarten
Leserbrief zu: Titelthema Alles auf Anfang’
über die neue Qualitätsanalyse in
Nordrhein-Westfalen in
lehrer nrw
1/2018
Seiten 12 bis 14 erreichte
uns der folgende Leserbrief:
U
U
nter der Rubrik ‘Titel’ darf der ge-
neigte Leser einen Artikel von Frank
Görgens zur ‘neuen’ QA in Nord-
rhein-Westfalen lesen. Während Herr Gör-
gens zunächst die Änderungen detailreich
und zutreffend beschreibt, überkommt mich
doch ein gewaltiges Schaudern ob des letz-
ten Satzes des Artikels. Herr Görgens berich-
tet von positiven Erfahrungen mit der ‘neu-
en’ QA, die ich absolut nicht in Abrede stel-
len möchte. Allerdings liegen mir diverse
Aussagen von Schulleitungen vor, die auch
diese ‘neue’ QA als wenig zielführend und
zweckdienlich erlebt haben. Insbesondere
der Satz »Viel mehr kann man von einer ex-
ternen Evaluation nicht erwarten« stößt auf
Missfallen.
Zunächst möchte ich festhalten, dass die
vollkommen unterschiedlichen Arbeitsbedin-
gungen an verschiedenen Schulformen
zwangsläufig auch zu unterschiedlichen
Wahrnehmungen und Einschätzungen der
QA führen müssen. Trotz der Reduktion im
Vorfeld einzureichender Unterlagen und
Konzepte stellt die QA an Realschulen mei-
ner Erfahrung nach eher eine Belastung
denn eine Unterstützung dar. Auch nach
dem ‘neuen’ Konzept müssen im Vorfeld vie-
le Konzepte eingereicht werden. Arbeitet ei-
ne Lehrkraft mit voller Stundenzahl an einer
Realschule, addieren sich zu den bereits 28
Schulstunden pro Woche Vor- und Nachbe-
reitung des Unterrichtes, unzählige Korrek-
turwochenenden und Ferientage sowie wei-
tere Belastungen etwa durch Inklusion und
Integration.
Nun kommt sie, beispielsweise an meiner
eigenen Schule, erneut, die QA. Unzählige
Steuergruppensitzungen und Konferenzen
sind erforderlich, um den eigentlichen Über-
prüfungszeitraum ordentlich vorzubereiten.
Von Entlastung zunächst keine Spur. Über
den Sinn und Zweck, Eltern und sogar Schü-
lerinnen und Schüler mit dem recht komple-
xen Qualitätstableau zu konfrontieren
möchte ich an dieser Stelle nicht weiter re-
den. Die eher ratlosen Gesichter sprachen
Bände!
Ich bin der Auffassung, dass man von ei-
ner wirklich effektiven QA sehr wohl viel
mehr verlangen muss! Betrachtet man den
zu leistenden Aufwand im Vorfeld und die
daraus resultierenden Ergebnisse, die dann
in Form von Vereinbarungen im Regal ver-
schwinden, dann stehen Aufwand und Ertrag
in keinem Verhältnis. Zu verlangen ist, dass
eine QA nach einer Analyse unterstützende
Ressourcen zur Verfügung stellt. Lehrerkolle-
gien sind sehr gerne bereit, Innovationen
und Veränderungen für Schulbetrieb und Un-
terricht anzunehmen. Allerdings nur mit ent-
sprechender Unterstützung! So könnte der
Abschlussbericht der QA beispielsweise mit
zeitlich begrenzten personellen Ressourcen
verbunden sein. Sagen wir doch einfach ein-
mal: eine Stelle befristet für zwei Schuljahre
zusätzlich, um die Implementation moderner
Unterrichtskonzepte umzusetzen. Wie wäre
es mit zusätzlichen Finanzmitteln, um profes-
sionelle Fortbildungen finanzieren zu kön-
nen? Auch dieses, mit einmaligen Zuschüs-
sen versehene Unterstützungselement würde
die Akzeptanz der QA deutlich erhöhen, weil
dann für alle Beteiligten ein Sinn in diesem
Prozess erkennbar wäre. Schließlich ließen
sich ja schon sehr bald Früchte ernten.
Von daher steht für mich fest, dass man
von einer wirklich sinn- und zielführenden
QA sehr viel mehr erwarten muss.
Thorsten Schmalt
Unser Titelthema
in Ausgabe 1/2018
löst Diskussionen aus
lehrer nrw ·
2/2018
12
TITEL
Wie digital soll
Schule werden?
Teufelszeug oder Heilsbringer? Zu keinem schulischen
Thema sind die Meinungen so kontrovers wie bei
der Digitalisierung. Bereichern digitale Medien den
Unterricht oder unterwandern sie ihn? Eröffnen
sie neue Wege zum Lernerfolg, oder sind sie das
Trojanische Pferd der IT-Lobby?
D
D
ie neue Bundesregierung hat klare
Prioritäten gesetzt. Das Land braucht
eine ‘Digitale Bildungsoffensive’,
heißt es im Koalitionsvertrag. ‘Digitalpakt#D’
heißt das Ganze im Twitter-Sprech. Fünf Mil-
liarden Euro will die Große Koalition dafür
locker machen. Auch die NRW-Landesregie-
rung will den Digitalisierungs-Zug auf kei-
nen Fall verpassen. Kinder sollen schon im
Grundschulalter ans Programmieren heran-
geführt werden. So steht es im schwarz-gel-
ben Koalitionsvertrag. Die Schulen zwi-
schen Rhein und Weser sollen ausrei-
chend mit Tablets, EBooks und ande-
ren digitalen Endgeräten ausge-
stattet werden. Zudem soll es
TITEL
13
eine Fortbildungsoffensive für Lehrerinnen
und Lehrer geben.
Zwei Lager in
der Lehrerschaft
Denn während auf Schülerseite schon die
zweite Generation von ‘digital natives’ he-
ranwächst, ist das Bild auf Lehrerseite zwie-
spältig: Auf der einen Seite gibt es die tech-
nikaffinen Kollegen, die digitale Medien wie
selbstverständlich im Unterricht einsetzen
und nebenher noch einen Youtube-Kanal
mit Mathe-Erklärvideos betreiben. Auf der
anderen Seite sind die Skeptiker, die Google,
Wikipedia & Co. misstrauen und Datenkra-
ken kein Einfallstor öffnen möchten – oder
angesichts des ohnehin schon schwierigen
Schulalltags vielleicht auch schlicht keine
Lust haben, sich mit neuen Technologien
auseinanderzusetzen.
Heilsbringer oder
Teufelszeug?
Ob das Smartphone
und andere digitale
Medien das Lernen
fördern oder un-
terminieren, darü-
ber gehen die
Meinungen
auseinander.
Schöne neue
Lernwelt:
Schüler in einem
exzellent aus-
gestatteten digita-
len Lernraum.
Foto: Fotolia/Rawpixel.com
Foto:
Fotol
i
a/Sabphoto
Unabhängig von der persönlichen Einstel-
lung der Lehrkräfte, glaubt Frank Görgens,
dass viele Kolleginnen und Kollegen – nicht
nur an seiner Schule – schlecht auf die An-
forderungen digitaler Bildung vorbereitet
sind. Görgens leitet eine Gesamtschule in
K
öln, die dem Thema durchaus offen gegen-
über steht. Auf der Schul-Homepage ist so-
gar ein Konzept zur Digitalisierung zu fin-
den. Die Ausstattung ist allerdings beschei-
den: An Görgens‘ Schule gibt es zwei PC-
Räume, in jedem Klassenraum einen Inter-
net-Rechner, dazu insgesamt vier Laptops
mit Beamer. Das war’s. Leistungsfähiges
WLAN? Fehlanzeige. Damit ist an Bring your
own device erstmal nicht zu denken.
Investitionsbedarf:
2,8 Milliarden Euro
Die digitale Ausstattung der Schule in Nord-
rhein-Westfalen ist – wohlwollend formu-
liert – ausbaufähig. Der Investitionsbedarf,
um alle Schulen in Deutschland mit einer
leistungsfähigen digitalen Infrastruktur aus-
zurüsten, beträgt 2,8 Milliarden Euro. Jähr-
lich, wohlgemerkt. Diese Zahl nennt die Ber-
telsmann-Stiftung in einer Ende 2017 veröf-
fentlichten Studie. Für schnelles WLAN, tech-
nischen Support, Endgeräte für die Schüler,
Präsentationstechnik für Klassenräume so-
wie digitale Unterrichtsmaterialien müssten
für eine Grundschule im Schnitt jährlich
45 600 Euro ausgegeben werden und für ei-
ne weiterführende Schule pro Jahr 301500
Euro.
Ideologische Gräben
Was die Abwägung der Chancen und
Risiken digitaler Medien angeht,
tun sich fast schon ideologische
Gräben auf. Wenig überra-
schend, setzt sich Bertels-
mann an die Spitze der
Bewegung: »Schule
nutzt das pädagogi-
sche Potenzial des
digitalen Wan-
dels noch
nicht«, wird
Jörg Drä-
lehrer nrw ·
2/2018
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TITEL
S
S
chülerinnen und Schüler erzielen in
Naturwissenschaften und Mathema-
tik bessere Leistungen und sind mo-
tivierter, wenn im Unterricht digitale Me-
dien eingesetzt werden. Allerdings hängt
der Erfolg von der Gestaltung der Medien-
nutzung ab. Er ist größer, wenn Kinder und
Jugendliche nicht allein lernen und wenn
weiterhin auch traditionelles Lernmaterial
verwendet wird. Dies zeigt eine der größ-
ten Untersuchungen zum Thema. Dazu hat
das Zentrum für internationale Bildungs-
vergleichsstudien (ZIB) an der Technischen
Universität München (TUM) im Auftrag
der Kultusministerkonferenz (KMK) 79 Stu-
dien ausgewertet, die seit 2000 weltweit
erschienen sind. Die wesentlichen Aspekte
der Metastudie:
Kinder und Jugendliche profitieren von
digitalen Unterrichtsmedien stärker,
wenn sie nicht allein, sondern in Paaren
arbeiten. Die Forscherinnen und For-
scher gehen davon aus, dass Computer-
programme in besonderer Weise Ge-
spräche zwischen ihnen anregen, die
das Lernen fördern.
Schülerinnen und Schüler erzielen bes-
sere Leistungen, wenn sie bei der Arbeit
mit Digitalmaterial von Lehrkräften be-
gleitet werden. Arbeiten sie vollkom-
men selbstständig mit Computerpro-
grammen, ist deren positiver Effekt ge-
ring.
Die erwünschte Wirkung digitaler Me-
dien ist größer, wenn sie klassische Un-
terrichtsmaterialien nicht vollständig er-
setzen. Erfolgversprechend ist, sie er-
gänzend zu analogen Methoden zu ver-
wenden.
Digitale Medien steigern die Leistungen
stärker, wenn sie von professionell ge-
schulten Lehrerinnen und Lehrern in
den Unterricht integriert werden.
»Digitale Medien sollten im Unterricht mit
Augenmaß eingebaut werden«, sagt Prof.
Kristina Reiss, Leiterin des ZIB und Deka-
nin der TUM School of Education. »Es wür-
de über das Ziel hinaus schießen, bewähr-
te analoge Formate zu verbannen. Außer-
dem sehen wir, dass auch sehr gut ge-
machte Lernprogramme nicht die Lehre-
rinnen und Lehrer ersetzen können.«
Metastudie:
Erfolgreicher Unterricht
ist digital – und analog
Foto: Fotolia/.shock
Laptop und Tablet im Gebrauch,
das gedruckte Buch im Zugriff: Digitale und
analoge Medien können sich in einer moder-
nen Schule ergänzen.
ger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung,
in der ‘Zeit’ zitiert. Digitale Medien
könnten dabei helfen, »pädagogische
Herausforderungen wie Inklusion, Ganz-
tag oder die Förderung lernschwacher
Schüler zu bewältigen«. Nicht nur zwi-
s
chen den Zeilen nimmt Dräger im Zeit-
Artikel die Lehrer in die Pflicht. Digitali-
sierung dürfe ihnen nicht nur »als zu-
sätzliche Belastung erscheinen, sondern
sollte Teil der Lösung für ihre pädagogi-
schen Herausforderungen sein«.
Zu den schärfsten Kritikern des Digi-
talisierungs-Wahns zählt Prof. Dr. Ralf
Lankau. »Digitalisierte Bücher, Arbeits-
blätter oder Filme sind nur die techni-
sche Codierung, um Inhalte zu fixieren
bzw. zu speichern. Sie bringen (…) in
der Schule keinerlei Vorteil. Es gibt we-
der fachliche noch fachdidaktische noch
pädagogische Notwendigkeiten, digitale
Medien und Lehrmittel zwingend im Un-
terricht einzusetzen. Alles, was digitale
Medien leisten, können traditionelle
Medien ebenso, wenn nicht besser«, so
der Bildungswissenschaftler in einem
Beitrag für
‘lehrer nrw’
(Ausgabe
4/2015).
Digitale Medien sind
kein Nürnberger Trichter
Auch Heinz-Peter Meidinger, Präsident
des Deutschen Lehrerverbandes, warnt
vor ungezügelter IT-Euphorie: »Die
Mehrzahl der bisher vorliegenden Studi-
en zeigt keine bzw. eher geringe Effekte
des verstärkten Einsatzes von Compu-
tern und digitalen Medien im Unterricht,
was den Lernerfolg betrifft. Wir müssen
unsere Schüler fit machen im souverä-
nen Umgang mit digitalen Medien, die-
se sind aber nicht der Nürnberger Trich-
ter, der zu einer Revolutionierung des
Lernens führen wird«, betont der DL-
Präsident. Ein Erklärvideo aus dem Inter-
net könne niemals die Lehrkraft und der
virtuelle Austausch über soziale Netz-
werke könne nie den persönlichen Kon-
takt im Unterricht vollständig ersetzen.
Jochen Smets
Die Bedeutung der
Beziehung für schulisches
Lehren und Lernen
Eine neurobiologisch fundierte Perspektive
Eine Stimmgabel
kann –
wenn sie angeschlagen
wird – auch andere Ob-
jekte in Schwingung ver-
setzen. Das ist Resonanz
im physikalischen Sinne.
Auch zwischen Menschen
kann Resonanz entstehen
– zum Beispiel durch Res-
pekt, Motivation, Sympa-
thie, Ausstrahlung, Wert-
schätzung.
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lehrer nrw
Wo Menschen über längere Zeit mit Menschen zu
tun haben, entsteht ‘Beziehung’. Was lässt sich über
das Beziehungsgeschehen zwischen Lehrenden
und Lernenden aus neurobiologischer Sicht sagen?
Im Kern der pädagogischen Beziehung sieht Joa-
chim Bauer wechselseitige Spiegelungs- und Reso-
nanzvorgänge. Als deren Produkt beschreibt er zwei
pädagogische Komponenten, die in eine Balance
zu bringen seien: Einfühlung und Führung. Beide
bedürfen einer sorgfältigen Regulierung auf der
Nähe-Distanz-Skala.
Den zwischenmenschlichen Prozess, der sich aus
unserem Verhalten gegenüber Anderen und aus
den mit ihnen gemachten wechselseitigen Erfahrun-
gen ergibt, nennen wir ‘Beziehung’. Beziehungen zwi-
schen Menschen zeigen – wie Menschen selbst – ei-
ne individuelle Prägung. Die Qualität von Beziehun-
gen lässt sich beeinflussen. Wo professionelle Ak-
Foto: Fotoli/Nikki Zalewski
:
teure für andere Menschen tätig sind, ist die Möglichkeit,
zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten, zugleich
eine zentrale Aufgabe. Sie stellt sich nicht nur fürdago-
gen, sondern in allen Humandienstleistungsberufen.
Ebenso wie es nach Paul Watzlawick nicht möglich ist,
nicht zu kommunizieren (beziehungsweise sich nicht zu
verhalten), so ist es in diesen Berufen nicht möglich, mit
s
einen Klienten keine Beziehung zu haben.
Die pädagogische Beziehung:
Nicht immer segensreich
Dass die Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernen-
den nicht immer segensreich waren beziehungsweise
sind, sondern zur Quelle schwerer menschlicher Verlet-
zungen werden können, mussten wir schon oft schmerz-
haft zur Kenntnis nehmen. Der Missbrauch der pädago-
gischen Beziehung ist kein neues Phänomen. Ich wurde,
wie unzählige Schüler(innen) meiner Generation, in mei-
ner Grundschulzeit in der zweiten Hälfte der 50er Jahre
von Lehrkräften einer staatlichen Schule noch in einer
Weise körperlich misshandelt, die heute jeden Lehrer vor
Gericht bringen würde. Den Tatbestand der Misshand-
lung erfüllende körperliche Züchtigungen waren Aus-
druck der sogenannten ‘schwarzen Pädagogik’ (Alice
Miller 1983) und gehörten bis in die sechziger Jahre hi-
nein auch in vielen deutschen Elternhäusern zu den üb-
lichen Erziehungsmethoden.
Manchmal begünstigen heftige Gegenreaktionen, mit
denen man Missstände beendigen wollte (oder will), ih-
rerseits neue Missstände. Ein Beispiel sind einige (nicht
alle) Entwicklungen, die zur Gegenreaktion gegen die
‘schwarze Pädagogik’ gehörten. Abgeschreckt durch die
mit der autoritären Pädagogik verbundene sexuelle Re-
pression propagierten Teile der antiautoritären Bewe-
gung (vor allem die ‘Kinderladen’-Bewegung der späten
sechziger und der siebziger Jahre) eine weitgehend ent-
grenzte, auch pädophile Kontakte legitimierende libertä-
re sexuelle Position (siehe unter anderem Daniel Cohn-
Bendit 1975, Reinhard Bingener 2010). Inwieweit die Re-
formpädagogik, deren Wurzeln bis an den Anfang des
20. Jahrhunderts zurückreichen, im Zusammenspiel mit
den später hinzugetretenen Impulsen der 68er Bewe-
gung, ein begünstigendes Milieu für – leider erst neuer-
dings (an)erkannte – Fehlentwicklungen war, muss ge-
klärt und aufgearbeitet werden.
Entwicklungen und Fehlentwicklungen der Pädagogik
hatten und haben immer ihre jeweils begünstigenden Mi-
lieus: Ohne den preußischen Militärstaat und das autoritä-
re Milieu im Deutschen Reich nach 1871 hätte sich keine
‘schwarze Pädagogik’ entwickeln können. Mit Blick auf die
(…) bekannt gewordenen zahlreichen Missbrauchsfälle in
kirchlichendagogischen Einrichtungen ist zu klären,
welche kirchlichen Milieufaktoren hier verantwortlich wa-
ren beziehungsweise sind. Kirchen und Ordensgemein-
schaften haben über Jahrhunderte hinweg einen un-
schätzbaren Beitrag zur Ausbildung sozial benachteiligter
Kinderauch von Mädchen – geleistet, sie leisten ihn
auch weiterhin. Missbrauchsfälle sind rückhaltlos aufzu-
klären, sie legitimieren aber keine pauschalen antikirchli-
chen Kampagnen, ebenso wie es unsinnig wäre, wegen
der inakzeptablen Vorkommnisse in einigen Internatsschu-
l
en die gesamte Reformdagogik für obsolet zu erklären.
Nachdem wir erkennen, dass die Geschichte der päda-
gogischen Beziehung immer auch eine Geschichte ihres
Missbrauchs war, sind neuerdings Stimmen zu hören,
man solle das Konzept der pädagogischen Beziehung im
Bereich der Schule ganz aufgeben und Lehren und Ler-
nen auf beziehungsfreie ‘Professionalität’ reduzieren.
Ich werde darlegen, warum es aus neurobiologischer
Sicht eine Pädagogik ohne Beziehungsgestaltung eben-
so wenig geben kann wie eine Astronomie ohne opti-
sche oder eine Chirurgie ohne chirurgische Instrumente.
Die Gründe liegen in der Funktionsweise des menschli-
chen Gehirns.
Beziehung als neurobiologisch
relevante Einflussgröße
»Is social attachment an addictive disorder?« (»Ist soziale
Bindung eine Sucht?«) war der Titel eines 2003 vom Hirn-
forscher Thomas Insel, Direktor des National Institute of
Mental Health (NIMH) publizierten Artikels, in dem er ei-
ne große Zahl von Studien zusammenfasste und deutlich
machte, dass das menschliche Gehirn ein auf gute zwi-
schenmenschliche Beziehungen angewiesenes Organ
ist. Diese Erkenntnis ließ in der neueren US-Hirnforschung
den Begriff des ‘Social Brain’ entstehen.
Bedeutung für einen anderen Menschen zu haben,
‘gesehen’ und wertgeschätzt zu werden, ist, wie sich he-
rausstellen sollte, weit mehr als ein psychologisches Desi-
derat. Es ist die Voraussetzung für die biologische Aktivie-
rung der sogenannten ‘Motivationssysteme’ des mensch-
lichen Gehirns. Das menschliche Gehirn, zumal jenes
von Kindern und Jugendlichen, verwandelt aus dem Be-
reich ‘Beziehung’ kommende Inputs in neurobiologische
Reaktionen. Diese zeigen sich in der Freisetzung von
Neurobotenstoffen und in Veränderungen im Bereich der
Genaktivierung (ein als ‘Genregulation’ bezeichnetes
Phänomen): Wahrgenommen-Werden, soziale Unterstüt-
zung, Wertschätzung und die Erfahrung von Gemein-
schaft veranlassen die Nervenzell-Netzwerke des Motiva-
tionssystems Dopamin (ein Botenstoff für psychische
Energie), körpereigene Opioide (Wohlfühlbotenstoffe)
und Oxytozin (ein Vertrauens- und Kooperationsbereit-
schaft förderndes Hormon) zu produzieren.
Ein pädagogisches Konzept, welches die Vorgänge
ausblenden würde, die mit der persönlichen Begegnung
von Lehrenden und Lernenden zu tun haben, wäre da-
her unprofessionell – jedenfalls aus neurobiologischer
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Sicht. Ein konsequent unpersönlicher Umgangsstil
und ein Verzicht auf jede emotionale Komponente
der menschlichen Begegnung haben beim Kind
beziehungsweise beim Jugendlichen nicht nur eine
Desaktivierung der Motivationssysteme, sondern
auch eine Aktivierung der Stress-Systeme zur Folge.
Wer also Beziehungsaspekte auszuklammern trach-
t
et, gestaltet trotzdem Beziehung – allerdings auf ei-
ne fatale Weise.
Nervenzellen für Spiegelung
und Resonanz: Das System der
Spiegel-Nervenzellen
Dass Kinder und Jugendliche die Erfahrung der
persönlichen Wahrnehmung, also ‘Beziehung’ brau-
chen, um Motivation zu entwickeln, ist eine pädago-
gisch sehr allgemeine Feststellung, sie kann allen-
falls als eine Art ‘Base Line’ dienen. Das Konstrukt
der ‘Beziehung’ bedarf einer näheren Beschrei-
bung, vor allem einer Darstellung seiner wirksamen
Kernbestandteile. Kern jeder zwischenmenschli-
chen, insbesondere der pädagogischen ‘Beziehung’
ist Spiegelung und Resonanz.
Spiegelung und Resonanz sind Phänomene, wel-
che die Beziehungen zwischen Menschen wesent-
lich unterscheiden von dem Verhältnis, das wir zu
nichtbelebten Objekten haben. Der (vor allem von
Männern geäußerte) Verdacht, Spiegelung und Re-
sonanz seien die Grundübel einer Watte-Pädagogik
und bedeuteten die Verweigerung von Führung, be-
ruht auf einem Irrtum, dem vor allem solche Perso-
nen unterliegen, die selbst keinen guten Zugang zu
den Potenzialen ihrer Spiegelsysteme haben (Studi-
en belegen, dass Funktionsstörungen der Spiegel-
zellen beim männlichen Geschlecht neun Mal so
häufig sind wie beim weiblichen).
Ich werde deutlich machen, dass das System der
Spiegel-Nervenzellen, welches beim Menschen eine
(nicht die alleinige!) Voraussetzung für die Fähigkeit
des einfühlenden Verstehens ist, zugleich jenes In-
strumentarium darstellt, ohne das auch pädagogi-
sche Führung nicht funktionieren kann.
Spiegel-Nervenzellen simulieren beziehungswei-
se imitieren in unserem Gehirn ein Spiegelbild der
inneren Vorgänge, die sich in anderen Personen ab-
spielen, vorausgesetzt, diese Personen befinden sich
im ‘Einzugsbereich’ unserer fünf Sinne. Sehen wir ei-
nen anderen Menschen eine Handlung ausführen,
so wird die Beobachtung dieser Handlung in unse-
rem Gehirn Nervenzellen in Aktion setzen, die auch
dann aktiv werden müssten, wenn wir die beobach-
tete Handlung selbst ausführen müssten.
Spiegelneurone üben also ‘heimlich’ mit, sie sind
die neurobiologische Basis des von Albert Bandura
vor vier Jahrzehnten entdeckten ‘Lernens am Mo-
dell’. Spiegelzellen arbeiten ‘präreflexiv’, d.h. ohne
dass wir bewusst nachdenken müssten. Spiegel-Ner-
venzellen springen nicht nur an, wenn wir andere
handeln sehen, sie lassen uns auch fühlen was an-
dere fühlen, zum Beispiel Freude oder Traurigkeit,
Begeisterung oder Desinteresse, Wohlbefinden oder
S
chmerz. Unsere Spiegelzellen informieren uns nicht
nur über die inneren Vorgänge anderer Menschen,
sie können uns auch anstecken. Ein Mensch (zum
Beispiel ein Pädagoge), der jede Körperspannung
vermissen lässt und gähnt, wird mich (oder die
Schüler) nicht nur spüren lassen, dass er müde ist,
er wird meinen eigenen Befindenszustand (bezie-
hungsweise den der Schüler) verändern.
Was unsere Spiegelzellen aktiviert, ist einerseits
die Sprache (jeder kennt die suggestiven Resonan-
zen, die gesprochene Worte in uns auslösen kön-
nen), mehr noch aber die von uns bewusst oder un-
bewusst wahrgenommene Körpersprache anderer
Menschen (insbesondere Blicke, Mimik, Stimme, Kör-
perhaltung und Bewegungsmuster).
Produkte wechselseitiger Resonanz:
Verstehende Zuwendung
und pädagogische Führung
Spiegelungen und Resonanzen beeinflussen – über-
wiegend implizit – das Geschehen im Klassenzim-
mer. Lehrkräfte können über das Einfühl-Pozenzial
ihrer Spiegelneurone etwas von dem spüren, was in
ihren Schützlingen vor sich geht. Kinder und Ju-
gendliche nehmen dies ihrerseits wahr! Sie spüren
nicht nur, ob sie in Erwachsenen eine Resonanz aus-
lösen, sondern auch, wie sie wahrgenommen wer-
den. Drei zentrale, von Schülern unbewusst an Pä-
dagogen gerichteten Aufträge lauten:
1. »Lass mich spüren, dass ich da bin,
dass ich für Dich existiere!«
2. »Zeige mir durch Deine Resonanzen,
was meine starken und schwachen Seiten sind!«
3. »Lass mich spüren, ob Du – bei aller Kritik –
an mich und an meine Entwicklungspotenziale
glaubst!«
Verstehende Zuwendung, wie sie für Schüler(innen)
spürbar wird, wenn Lehrkräfte Resonanz zeigen, ist je-
doch nur die eine Seite der pädagogischen Medaille.
Lehrkräfte können – und müssen – noch etwas Zwei-
tes einbringen: Sie müssen führen. Führung bedeutet,
dass Pädagogen die Spiegelneurone ihrer Schüler(in-
nen) dazu bringen, in Resonanz zur Lehrkraft zu ge-
hen. Auch hier kommt es darauf an, das Medium
neurobiologischer Resonanzvorgänge zu benutzen:
Sprache und rpersprache (letztere wird in der Leh-
rerausbildung stflich vernachlässigt).
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Führung ist jedoch kein Selbstzweck. Sie macht nur
Sinn, wenn Pädagogen eine ‘Botschaft’ haben, mit der
sie ihre Schüler(innen) ‘anstecken’ wollen. Zur ‘Botschaft’
sollte nicht nur ein didaktisch gut aufbereiteter Wissens-
stoff gehören (Wissensinhalte als solche sind nicht im-
mer gut resonanzfähig), sondern die Freude, Leiden-
schaft oder Begeisterung des Pädagogen mit Blick auf
d
as gelehrte Fach.
Dank der erstaunlichen Eigenschaften der Spiegelneu-
rone können Lehrkräfte also einerseits intuitiv erkennen,
welche Zustände, Absichten und Motive in ihren Schü-
ler(inne)n in einer gegebenen Situation vorherrschen.
Andererseits können sie, wenn sie eine klare menschli-
che (Wert-)Haltung, Freude am gelehrten Fach und ein
gutes didaktischen Konzept haben, führen. Eine gut aus-
tarierte Balance von verstehender Einfühlung und Füh-
rung ist das Kernstück der pädagogischen Beziehung.
Die notwendige Justierung von
einfühlendem Verstehen und pädagogischer
Führung auf der Nähe-Distanz-Skala
Beide Elemente der pädagogischen Beziehung, einfüh-
lendes Verstehen undhrung, bedürfen einer Justierung
auf der Nähe-Distanz-Skala. »Die Dosis macht, ob ein Ding
ein Heilmittel oder ein Gift ist« (Paracelsus). Beide pädago-
gischen Elemente erreichen dann, wenn das Bedürfnis
der Lehrenden beziehungsweise des Schulsystems nach
emotionaler Distanz krass überwiegt, die Lernenden in ei-
ner entsprechend verdünnten, am Ende kaum noch spür-
baren Form. Unmittelbare Gefahren (im Sinne einer Trau-
matisierung) werden sich daraus in der Regel zwar nicht
ergeben. Was bei zu großer Distanz auf der Strecke bleibt,
ist ein belebender Unterricht und die Motivation der Ler-
nenden. Auch die Motivation der Lehrenden wird in einer
solchen Konstellation Schaden nehmen.
Zu große Distanz ist jedoch nicht die einzige Gefahr. Zu
große Nähe zum Kind beziehungsweise zum Jugendli-
chen ergibt sich nicht nur dann, wenn es um einfühlen-
des Verstehen geht, sie kann auch das Prinzip der päda-
gogischen Führung betreffen. Ein sicheres Anzeichen für
einen Missbrauch der pädagogischen Beziehung durch
zu große Nähe ist gegeben, wenn das Gebot der Unter-
lassung sexualisierender körperlicher Kontakte oder kör-
perlicher Gewalt missachtet wird (‘Sexualisierende’ Kon-
takte sind nicht nur sexuelle Handlungen im engeren
Sinne, sondern alle Handlungen und körperlichen Kon-
takte, die darauf angelegt sind oder erwarten lassen,
dass bei einem der Beteiligten oder bei beiden sexuelle
Gefühle angeregt werden.). Unverletzlichkeit des Körpers
und die Sexualität markieren zwei Bereiche, die den so-
matischen Kern der Selbststeuerung und Selbstverant-
wortung eines Menschen darstellen.
Selbststeuerung und Selbstverantwortung sind das
Ziel aller Pädagogik und unterstehen daher dem beson-
deren Schutz der pädagogischen Beziehung. Intime
Kontakte oder körperliche Gewalt zwischen Lehrenden
und Lernenden machen aus der pädagogischen Bezie-
hung, die Kindern und Jugendlichen helfen sollte, für
sich und das eigene Leben Lösungen zu finden, einen
Teil des Problems. Sexualisierende Körperkontakte und
Gewalt sind daher schwere Grenzverletzungen und zer-
stören die pädagogische Beziehung. Sie sind auch dann
abzulehnen, wenn sie scheinbar (!) vom Kind oder Ju-
gendlichen nicht negativ beantwortet werden oder in
scheinbarem (!) gegenseitigem Einvernehmen stattfin-
den.
Fazit
Wo Lehrende und Lernende miteinander arbeiten,
kommt es immer auch zu persönlichen zwischen-
menschlichen Begegnungen. Neurobiologisch gesehen,
ist die Herausbildung einer zwischenmenschlichen Be-
ziehungsebene zwischen Lehrenden und Lernenden
nicht nur eine unvermeidliche Tatsache, sondern eine
Chance, Zugang zur Motivation der Lernenden zu fin-
den. Die pädagogische Beziehung beinhaltet jedoch
nicht nur Chancen, sondern auch Gefahren. Das inter-
personelle Beziehungsgeschehen – und seine immer
wieder neue Reflexion und Konzeptualisierung – bleibt
eine immerwährende Herausforderung professioneller
Pädagogik.
Literatur
Bauer, J. (2006): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive
Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. München
Bauer, J. (2008): Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler,
Lehrer und Eltern. München
Bauer, J. (2008): Prinzip Menschlichkeit.
Warum wir von Natur aus kooperieren. München
Bauer, J. (2010): Das Gedächtnis des Körpers.
Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern. Frankfurt
Birgener, R. (2010): Die Lust am Kind. FAZ vom 29. 3. 2010
Cohn-Bendit, D. (1975): Der große Basar. Frankfurt
Insel, T. (2003): Is social attachment an additive disorder?
In: Physiology and Behavior, Bd. 79, S. 351 – 357
Miller, A. (1983): Am Anfang war Erziehung. Frankfurt
DER AUTOR
Prof. Dr. Joachim Bauer, Jahr-
gang 1951, ist Neurobiologe,
Arzt und Psychotherapeut am
Uniklinikum Freiburg. Er war Re-
ferent beim Mülheimer Kon-
gress von lehrer nrw im Novem-
ber 2017. Der vorliegende Text
ist ein Nachdruck eines Fach-
beitrags aus der Zeitschrift ‘Pä-
dagogik’ mit freundlicher Ge-
nehmigung des Beltz-Verlages.
Foto: Smets
lehrer nrw ·
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CHULE & POLITIK
Bielefelder Qualifizierungsprogramm
N
N
ach erfolgreichem Abschluss kön-
nen die Absolventinnen und Absol-
venten, abhängig von ihren jeweili-
gen individuellen und formalen Vorausset-
zungen, beispielsweise als Vertretungslehr-
kräfte oder als Lehrkräfte im herkunfts-
sprachlichen Unterricht arbeiten. Das
Programm der Bielefeld School of Education
wird in Kooperation mit dem Ministerium
für Schule und Bildung NRW, der Bertels-
mann Stiftung und den Kommunalen Inte-
grationszentren durchgeführt. Es ist auf ins-
gesamt drei Jahre angelegt. Auf den ersten
Durchgang, der im August 2017 gestartet
ist, hatten sich 270 Personen beworben.
Vorbilder und
Brückenbauer
Schulministerin Yvonne Gebauer betont:
»Das Programm ‘Lehrkräfte Plus‘ ist ein Bei-
trag zur Integration und hilft Lehrkräften,
die in ihrer neuen Heimat Nordrhein-West-
falen langfristig eine Zukunft in ihrem Beruf
suchen. Die Pädagoginnen und Pädagogen,
die bereits in ihren jeweiligen Herkunftslän-
dern unterrichteten, können neue Perspekti-
ven in unsere Schulen bringen. Mit ihrer in-
terkulturellen und fachlichen Kompetenz
sind sie Vorbilder für gelungene Integration
und Brückenbauer zu Kindern und Jugendli-
chen sowie ihren Eltern mit ähnlichen
Fluchterfahrungen.« Auch deshalb, so die
Ministerin, unterstütze das Land NRW das
Pionierprojekt Lehrkräfte Plus. Das Pro-
gramm gebe den Teilnehmerinnen und Teil-
nehmern eine erste Möglichkeit, sich ein
Jahr lang sprachlich und pädagogisch auf
eine Tätigkeit in Schulen vorzubereiten.
ÜBER DAS PROGRAMM
Das Programm ‘Lehrkräfte Plus’ wird seit diesem Jahr in ähnlicher Form auch von der
Ruhr-Universität Bochum angeboten. Kooperationspartner sind das Schulministerium
und die Kommunalen Integrationszentren. Das Bochumer Programm wird von der
‘Stiftung Mercator’ und der ‘Bertelsmann Stiftung’ gefördert.
Teilnehmer des Programms ‘Lehrkräfte plus’ im Kurs.
Im September geht das Programm ‘Lehrkräfte Plus’ der
Universität Bielefeld in die zweite Runde. Dann startet für
25 Lehrerinnen und Lehrer mit Fluchtgeschichte ein einjäh-
riges Qualifizierungsprogramm, das die Teilnehmenden auf
eine Tätigkeit an deutschen Schulen vorbereitet.
SCHULE & POLITIK
für geflüchtete Lehrkräfte
Auch Jörg Dräger, Vorstand der Bertels-
mann Stiftung, unterstreicht die Bedeu-
tung des Programms: »Schulen brauchen
auch die Kompetenz von Lehrkräften mit
Migrationshintergrund. Deswegen sollten
wir auch qualifizierten und engagierten
Lehrkräften aus dem Ausland Wege eröff-
nen, im deutschen Schulsystem arbeiten zu
können.« Mit dem Programm ‘Lehrkräfte
Plus‘ werde ein solcher Pfad für Lehrkräfte
mit Fluchtgeschichte geschaffen, so Dräger.
Aufbau des Qualifizierungs-
programms ‘Lehrkräfte Plus’
Das Qualifizierungsprogramm wird ab Au-
gust 2017 insgesamt dreimal angeboten. Es
erstreckt sich jeweils über ein Jahr und fin-
det in Vollzeit an der Universität Bielefeld
und an Schulen statt. Das Programm ‘Lehr-
kräfte Plus’ besteht aus folgenden Kompo-
nenten:
Deutsch-Intensivkurs
(Abschluss DSH-Prüfung /C 1)
Gruppenhospitationen an Schulen
Pädagogisch-interkulturelle
Qualifizierung
Fachliche und fachdidaktische
Vertiefungen
Praktische Erfahrungen an einer Schule
mit Begleitung durch eine Lehrkraft als
Mentor/in
Beratung zu beruflichen Perspektiven
im schulischen Kontext
Voraussetzungen für
Interessenten
Interessenten können sich für Lehrkräfte
Plus bewerben, wenn Sie als geflüchtete
Lehrkraft folgende Voraussetzungen erfül-
len:
Sie verfügen über einen universitären
Lehramtsabschluss aus Ihrem Heimat-
land.
Sie verfügen über Berufserfahrung
als Lehrkraft in Ihrem Heimatland.
Sie verfügen über gute Deutsch-
Kenntnisse auf B1-Niveau.
Sie können sich dem Programm ein Jahr
lang in Vollzeit widmen und die Univer-
sität Bielefeld täglich erreichen.
INFO
www.bised.uni-
bielefeld.de/LKplus/
Fotos (2x): Universität Bielefeld
Die Teilnehmer der ersten Runde
des Programms ‘Lehrkräfte plus’.
lehrer nrw ·
2/2018
22
S
CHULE & POLITIK
Vergötzung
der Bildung
Unsere Schulen werden immer mehr mit gesellschaftlichen Aufgaben überfrachtet,
die im Elternhaus besser aufgehoben wären. Sie sollten sich wieder auf ihr Kerngeschäft
konzentrieren: guten Unterricht, die Schulung des Denkens und Geistes.
mann-Stiftung – um Skandalisierungen nie
verlegen – ist der Zusammenhalt unserer
von sozialer Spaltung bedrohten Gesell-
schaft nur durch Bildung zu retten. Auch die
Integration von Schülern mit Migrationsge-
schichte könne nur durch Bildung gelingen.
P
P
olitiker aller Parteien werden nicht
müde, Bildung als den Schlüssel zur
Lösung all unserer Probleme anzu-
preisen. Um griffige Metaphern sind sie da-
bei nicht verlegen. Schulen sollen ‘Leucht-
türme’ sein oder ‘Kathedralen’. Vielfältige
Heilserwartungen knüpfen sich an unser Bil-
dungssystem. Es soll die klugen Köpfe her-
vorbringen, die durch ihre Erfindungen un-
serem rohstoffarmen Land weiterhin Wohl-
stand sichern. Bildung soll als Fahrstuhl des
sozialen Aufstiegs fungieren. Für die Bertels-
SCHULE & POLITIK
23
2/2018 ·
lehrer nrw
Bildung als
säkularisierte Religion
In der Aufladung von Bildung zum univer-
sellen Heilsbringer sieht der Philosoph Kon-
rad Paul Liessmann eine »säkularisierte Re-
ligion«. Wer den Heilserwartungen keinen
Glauben schenkt, weil er einen realistischen
Blick auf das durch Bildung Leistbare hat,
gelte als ketzerischer Ignorant. Da Schule
alles können soll, wird der Bildungsprozess
ständig mit gesellschaftlichen Anliegen
überfrachtet: Verkehrserziehung müsse
sein, damit die Kinder nicht Opfer im Stra-
ßenverkehr werden; Sexualaufklärung mit
HIV-Prophylaxe sei ethisch geboten; sich in
d
er Geschlechtervielfalt unserer Zeit auszu-
kennen könne auch nicht schaden; gesun-
de Ernährung? Auch sie sei als Lernthema
nützlich.
All diese Themen gehen, da sie in die
existierenden Fachlehrpläne eingefügt wer-
den, zeitlich zulasten des Fachunterrichts.
Außer den Lobbyverbänden hat niemand
daran wirklich Freude. Den Lehrkräften
bleibt der ideologische Background dieser
Themen nicht verborgen. Kritiker sprechen
von »Schulungskursen für Political Correct-
ness« (Norbert Bolz). Die meisten Schüler
langweilen sich, weil sie das nötige Wissen
schon im Elternhaus erworben haben. Mit
der größer werdenden Vielfalt schulischer
Themen korrespondiert ein auffälliger Rück-
gang bei den Leistungen in den elementa-
ren Kulturtechniken.
Schule muss sich wieder auf
ihre Kernaufgaben besinnen
Die 2017 vorgestellte Grundschulstudie des
Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bil-
dungswesen (IQB) brachte Erschütterndes
zutage: Bei den Viertklässlern erreichten in
Deutsch nur 55 Prozent den Mindeststan-
dard gegenüber 65 Prozent im Jahr 2011.
Fast jedes zweite Kind in der vierten Grund-
schulklasse beherrscht demnach nicht die
deutsche Rechtschreibung. Das fragwürdige
»Schreiben nach Gehör« hat zu dieser Mi-
sere sicher beigetragen. In den weiterfüh-
renden Schulen setzt sich dieser Leistungs-
abfall fort, wie die VERA-Vergleichsstudie
des IQB für Achtklässler ergeben hat. Der
Verdacht liegt nahe, dass den Schulen die
Einübung der Kulturtechniken weniger
wichtig ist als die schicke Ausgestaltung der
‘gesellschaftlich relevanten’ Orchideen-Fä-
cher. Was ist zu tun? Schule muss sich wie-
der auf ihre Kernaufgaben besinnen, die –
seit es die Schule gibt – im Prinzip die glei-
chen geblieben sind.
Schule soll den jungen Menschen die
Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die
sie benötigen, um erfolgreich ins Berufsle-
ben starten zu können. Gleichzeitig soll sie
zur Persönlichkeitsbildung beitragen. Denn
die geistige Auseinandersetzung mit dem
W
eltwissen kann den Menschen berei-
chern. Die verschiedenen Schulformen müs-
sen sich dabei wieder mehr ihrer spezifi-
schen Aufgaben annehmen. Die Gesamt-
und Sekundarschule muss ihre Schüler opti-
mal auf den Beruf vorbereiten und es end-
lich schaffen, die Zahl der Schulversager –
jedes Jahr sind es rund 50000 Schüler – zu
reduzieren. Das gelingt ihr nur, wenn sie
sich strikt auf die elementaren Kulturtech-
niken Lesen, Schreiben, Rechnen und das
Verständnis der Arbeitswelt konzentriert.
Diese Schulform muss aufhören, ‘Gymnasi-
um light’ spielen zu wollen.
Das Gymnasium ist
keine Schule für alle
Auf der anderen Seite muss das Gymnasi-
um wieder zu seinem alten humanisti-
schen, wissenschaftspropädeutischen An-
spruch zurückkehren, den es durch zu star-
ke Berufsorientierung und durch den An-
spruch, ‘Schule für alle’ zu sein, zu verlieren
droht. Dabei kann das humboldtsche Unter-
richtskonzept durchaus als Vorbild dienen.
Im alten Gymnasium genossen im geistigen
Kosmos des Wissens alle Fächer den glei-
chen Rang. Eine Fuge von Bach analysieren
zu können war genauso wichtig, wie die
Keplerschen Planetengesetze zu verstehen.
Ein Bild von Rembrandt deuten zu können,
besaß den gleichen Wert wie die Interpre-
tation eines Gedichtes von Friedrich Hölder-
lin. Zweckfreiheit der Bildung bedeutet im-
mer, sich dem Eigenwert des jeweiligen Ge-
genstandes auszuliefern. Ein Impromptu
von Schubert am Klavier zu spielen hat sei-
nen Zweck in sich, bedarf keiner weiteren
äußeren Zweckbestimmung. Deshalb ge-
hörten auch die ‘toten’ Sprachen Latein
und Alt-Griechisch selbstverständlich zum
Bildungskanon des Gymnasiums. Sie zu
studieren war einfach ‘schön’. Sie zu lernen
stand noch nicht unter dem Rechtferti-
Foto: Fotolia/neirfy
Schulen sollen Kathedralen
der Bildung sein,
ist in Sonntags-
reden von Politikern oft zu hören.
Die Realität sieht indes oft anders aus.
lehrer nrw ·
2/2018
24
SCHULE & POLITIK
gungszwang gesellschaftlicher Zweckbe-
stimmung.
Bildung als Wert an sich
Der amerikanische Ökonom Bryan Caplan
bestreitet in seiner polemischen Schrift ‘The
C
ase Against Education’, dass Schüler in der
Schule überhaupt ein geistiges ‘Humankapi-
tal’ erwerben. Sie würden in ihrer schuli-
schen Laufbahn nur demonstrieren, dass sie
die sozialen Tugenden beherrschen, die der
spätere Beruf verlangt: Fleiß, Durchhaltever-
mögen und Konformität. Dem ökonomischen
Denken Caplans bleibt verschlossen, dass
die Bereicherung der Persönlichkeit das ei-
gentliche ‘Kapital’ ist, mit dem Gymnasias-
ten später in allen Berufen wuchern können.
Wer gebildet ist, handelt bei beruflichen Ent-
scheidungen variabler, vielleicht auch huma-
ner. Von dem romantischen Dichter Jean Paul
stammt das schöne Wort: »Was für die Zeit
erzogen wird, das wird schlechter als die
Zeit.« – Der Dichter wusste, dass eine gute
Bildung immer einen geistigen Überschuss,
eine kleine utopische Verheißung über das
gesellschaftlich Notwendige hinaus enthal-
ten muss. Anders gesagt: Was PISA nicht
misst, ist die eigentliche Bildung. Da das ver-
fügbare Wissen stetig zunimmt und sich die
Wissenschaften immer weiter ausdifferen-
zieren, kann in der Schule nur noch ein klei-
ner Teil davon vermittelt werden.
Exemplarisches Lernen
Zur Bändigung der Stoffmengen ist das
exemplarische Lernen das ideale Lernprinzip.
In Geschichte lernen die Schüler dabei die
Analyse von Bild- und Textquellen so inten-
siv, dass sie das Verfahren auf die Zeugnisse
aller Zeitepochen anwenden können. Die an-
deren Fächer verfahren ebenso. Die durch
das exemplarische Lernen frei werdende Zeit
sollte dafür verwendet werden, einen geisti-
gen Orientierungsrahmen zu vermitteln, an
den die Schüler erworbenes Wissen ando-
cken können. Der Umgang mit digitaler In-
formationsbeschaffung im Unterricht hat
hier nämlich große Defizite offenbart. Die
Schüler ertrinken in der Informationsflut,
weil ihnen das nötige Wissen zum Sichten
und Bewerten fehlt. Auf sie trifft die Charak-
terisierung des Schülers in Goethes ‘Faust’
zu: »Dann hat er die Theile in seiner Hand, /
Fehlt leider! nur das geistige Band«.
Schule muss den Mut haben,
auch gegen gesellschaft-
liche Trends zu erziehen
Wichtiger als die Abarbeitung einer Stofffülle
ist deshalb die Schulung des Denkens, wichti-
ger als Detailwissen die Erschließung des
geistigen Horizonts. Schule muss den Mut ha-
ben, auch gegen gesellschaftliche Trends zu
erziehen: Gegen den unverbindlichen Small-
talk setzt sie die Zuhörkultur, gegen motori-
sche Kurzatmigkeit die Konzentration, gegen
die zappenden Bildläufe der Medien die Ruhe
des Nachdenkens, gegen schwafelige Belie-
bigkeit die Genauigkeit im Denken und Spre-
chen. Vor allem muss das Gespräch als wert-
volle Kulturtechnik bewahrt werden. Es ist
nicht nur eine ideale Methode, individuelle
Einsichten, die jeder Schüler auf seine speziel-
le Art gewonnen hat, mit anderen Schülern
auszutauschen. Es hat auch eine erzieheri-
sche Funktion, weil es eine wichtige Grundla-
ge unserer Demokratie stärkt: den vernunft-
geleiteten Diskurs. All unser Bildungsbemü-
hen sollte sich an dem großen Ziel ausrichten,
»den Menschen zum Menschen zu begaben«
(Heinz-Joachim Heydorn).
Rainer Werner
Quelle: DIE WELT vom 17. Februar 2018, Rainer Werner.
Foto: Fotolia/stylefoto24
Im Gegenwind
Schule muss den Mut haben, auch
gegen gesellschaftliche Trends zu
erziehen, sagt der Autor Rainer Werner.
lehrer nrw ·
2/2018
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FORTBILDUNGEN
Binnendifferenzierung
Im Rahmen des
lehrer nrw
-
Fortbildungsprogramms
findet am 23. April ein
Seminar zum Thema Binnen-
differenzierung statt.
B
B
innendifferenzierung anwenden
heißt, den Umgang mit heterogenen
Klassen zu erleichtern. Praktische
Methoden bieten die Möglichkeit, den ei-
genen Unterricht phasenweise differen-
ziert zu gestalten. Ziel ist es, dass jede Leh-
rerin und jeder Lehrer für sich geeignete
Methoden findet, die ihm selbst den tägli-
chen Umgang mit den sehr unterschiedli-
chen Schülern erleichtern und diese zu-
gleich fördern. Mit welchen Methoden der
Binnendifferenzierung lassen sich bei-
spielsweise Defizite ausgleichen und indi-
viduelle Stärken sowie die Selbstständig-
keit der Schülerinnen und Schüler fördern?
Dorthe Leschnikowski-Bordan war nach
dem Studium der Theaterwissenschaft und
Anglistik an der Ruhr-Universität Bochum
(Magisterabschlussarbeit 2008 veröffent-
licht) zentrale Organisatorin von Cubus –
culture in business (einer Initiative zur
Gestaltung von Schnittstellen zwischen
Wirtschaft und Bildungsinstitutionen) der
Ruhr-Universität Bochum, Beraterin und
Systemischer Coach sowie zertifizierter
Resilienzcoach.
Trainerin für folgende Bereiche:
Fortbildungen für Lehrerinnen und Leh-
rer (Schule – Atmosphärisch Schultrai-
ner/innen-Ausbildung)
Qualifizierungsmaßnahmen im Bereich der
Rehabilitationspädagogik
Weiterbildung für Berufsbetreuer/innen
Führungskräfte-Entwicklung
Trainerin und Beraterin ‘Praxisorientiertes
Projektmanagement’
Fortbildungen zu den ThemaClassroom Ma-
nagement’ und ‘Umfang mit schwierigem
Schülerverhalten’ haben bereits stattgefunden.
Foto: Fotolia/drubig-photo
KURZINFO
Titel: Binnendifferenzierung
Datum: 23. April 2018
Uhrzeit: 9:00 bis 16:00 Uhr
Ort: Ringhotel Drees,
Dortmund
Anmelde-
schluss:
19. März 2018
Referentin: Dorthe Leschnikowski-
Bordan
S
chulklassen werden tendenziell heterogener.
Wie man mit dieser Herausforderung
umgeht, erläutert Dorthe Leschnikowski-Bordan im Seminar ‘Binnendifferenzierung’.
27
2/2018 ·
lehrer nrw
FORTBILDUNGEN
Seminar-
Nr.
Titel
Thema
Wann
Uhrzeit
Wo
Referenten
Kurzinhalt
Gebühr
Mitglied
Gebühr
Nicht-
mitglied
Anmelde-
schluss
2018-0419
Wege in den
Ruhestand
Rechtliche
Grundlagen
Donnerstag
19.04.2018
15:00 bis
18:00 Uhr
GDL Sitzungsraum
1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Horst
Joosten,
Marianne
Herrmann
Beamtenversorgung und Altersteilzeit
50 80
22.03.2018
2018-0423
Binnen-
differenzierung
Arbeits-
organisation
und -techniken
Montag
23.04.2018
9:00 bis
16:00 Uhr
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Dorthe
Leschnikowski-
Bordan
Professioneller Umgang mit den Heraus-
forderungen heterogener Klassen.
Praktische Methoden bieten die Möglich-
keit, den eigenen Unterricht phasenweise
differenziert zu gestalten.
130
180
19.03.2018
2018-0503
E-Mail für dich! –
Umgang mit der
Informationsflut
Arbeits-
organisation
und -techniken
Do. bis Fr.
03.05. bis
04.05.2018
14:00 bis
13:00 Uhr
dbb akademie
An der Herrenwiese 14
53639 Königswinter
Kerstin
Grigoleit
Die Flut von E-Mails in den Griff
bekommen und den elektronischen
Schreibtisch professionell organisieren.
90 140
23.03.2018
2018-0621
Rhetorik Aufbaukurs
Arbeits-
organisation
und -techniken
Do. bis Fr.
21.06. bis
22.06.2018
14:00 bis
13:00 Uhr
dbb akademie
An der Herrenwiese 14
53639 Königswinter
Anette
Rüth
In diesem Seminar werden dialogische
Gesprächssituationen des Schulalltags
verstärkt in den Blick genommen. Neben
rhetorischem Geschick wird auch ein gutes
Sensorium für Beziehungsgestaltung
entwickelt.
100 150
17.05.2018
2018-0626
Lösungsorientierte
Beratung und
Gesprächsführung
Arbeits-
organisation
und -techniken
Di. bis Mi.
26.06. bis
27.06.2018
14:00 bis
13:00 Uhr
dbb akademie
An der Herrenwiese 14
53639 Königswinter
Ingvelde
Scholz
Was können Lehrkräfte und Beratungs-
lehrer zu einem guten Gespräch beitragen,
und wie können sie Eltern und Schüler
bei anstehenden Frage- und Problem-
stellungen lösungsorientiert beraten.
90
140
18.05.2018
lehrer nrw ·
2/2018
28
Die Schulfotoaktion:
Portraits
und Probleme
»Die Kleinen nach vorne, die Großen nach hinten! Und macht
nicht so‘n grimmiges Gesicht!« So geht es zu bei einer Schulfoto-
aktion. Die ist meist eine Gaudi, aber sie birgt auch Fallstricke.
W
W
er hat nicht diesen oder einen
ähnlichen Satz zu hören bekom-
men, meistens gegen Ende eines
Schuljahres, meistens dabei gerade auf der
Treppe vor der eigenen Schule stehend und
meistens in einem Moment, in dem man
von einem Klassenkameraden unsanft nach
links oder rechts geschubst wurde. Es war
der Moment, in dem das Klassenfoto zur Er-
innerung an ein Schuljahr oder die gesamte
Schulzeit aufgenommen wurde.
Dem Smartphone
widerstanden
Klassenfoto? – Gibt es das heutzutage ei-
gentlich noch, in Zeiten, in denen immer
mehr Schüler, unabhängig von Alter und
Klassenstufe, ein Smartphone oder zumin-
dest ein Mobiltelefon mit eingebautem Foto-
apparat besitzen und dieses – anders als
demnächst in Frankreich – mit in die Schule
nehmen können. Man sollte meinen, die ver-
breitete Nutzung der Geräte, auch zum Foto-
grafieren in allen Lebenslagen, sollte dazu
geführt haben, dass professionelle Angebote
für ein klassisches Klassenfoto inzwischen
weder Schüler noch Lehrer hinter‘m Ofen
hervor- oder besser vor eine Linse locken.
Weit gefehlt – der technische Fortschritt
hat auch dazu geführt, dass Fotografen gan-
ze Fotomappen mit verschiedensten Aufnah-
men und Portraits anbieten können und dies
vermehrt auch tun. Besonders attraktiv er-
scheinen solche Angebote, wenn für Schule
und Schüler noch kostenlose Schülerauswei-
se, Imagebroschüren oder gar finanzielle
Vergünstigungen dabei herausspringen.
Dafür sind Schulen nicht selten bereit, die
‘Foto-Shootings’ und das Vertreiben der fer-
tigen Produkte im Schulalltag, insbesondere
auch während des Unterrichtsverlaufs statt-
finden zu lassen.
Skeptische Eltern
Eltern sehen solche Aktionen oftmals weni-
ger positiv. Ganz unabhängig von einer tat-
sächlichen Verpflichtung, entsprechende Fo-
tos ihrer Kinder zu erwerben, fühlen sich im-
mer wieder einzelne Väter und Mütter einem
Zwang ausgesetzt, ebenso wie andere Eltern
zu kaufen.
Betrachtet man derartige Fotoaktionen
zudem aus der rechtlichen Linse, sollten
Schulen sich noch intensiver überlegen, wel-
chen Abstand sie in diesen Fällen von der
Kamera halten. Die rechtlichen Fallstricke
sind so bedeutend und aktuell, dass sich die
Bezirksregierung Köln erst im Dezember
letzten Jahres veranlasst sah, allen Schulen
in ihrem Regierungsbezirk Hinweise zum
Thema mit auf den Weg zu geben.
Dass eine Schulfotoaktion nicht eindeutig
mit den Normen des Schulrechts in Einklang
zu bringen ist, können sich Schulleitung,
Lehrpersonal, Mitarbeiter und Schüler zu-
mindest dann an einer Hand abzählen, wenn
wie allzu oft in Realität und Praxis der Un-
terricht betroffen ist oder das Schulpersonal
beziehungsweise Schüler mit der Organisati-
on, dem Verteilen der Bilder, dem Einsam-
meln des Entgeltes oder weiteren Aufgaben
betraut sind. Diese Konstellationen bringen
in der Regel spürbare Störungen der schuli-
schen Abläufe mit sich. Nicht selten geht da-
mit sogar ein messbarer Ausfall der Unter-
RECHT
§
AUSLEGER
Bitte recht
freundlich:
Professionelle Fotos
aus dem Schulalltag
sind fröhlich und far-
benfroh – rechtlich
bewegen sie sich al-
lerdings in einer Grau-
zone.
Foto: Fotolia/Christian Schwier
von CHRISTOPHER LANGE
richtszeiten einher. Nahe liegt dann zum Bei-
spiel für jeden Beteiligten, dass der gesetz-
lich verankerte Bildungs- und Erziehungsauf-
trag der jeweiligen Schule nicht in Mitlei-
denschaft gezogen wird.
Vertrieb verboten
Nicht ganz so offensichtlich ist dabei, dass
allein schon der Vertrieb der Fotos als sol-
cher nicht zulässig ist. Einzig Speisen und
Getränke, die zum Verzehr in Pausen und
Freistunden gedacht sind, dürfen in der
Schule vertrieben werden. Mögen bei der
Aktion auch noch so schöne Fotos herausge-
kommen sein, ihr Vertrieb bleibt nach § 55
Abs. 1 Schulgesetz NRW verboten. Durch
diese strikte Vorschrift sollen Schulen vor
kommerzieller Nutzung durch Dritte sicher
sein. Dies macht vor dem Hintergrund Sinn,
dass Schülerinnen und Schüler sich wirt-
schaftlichem Handeln Dritter in der Schule
aufgrund ihrer Schulpflicht schwerlich ent-
ziehen können und von daher ein besonde-
res Schutzbedürfnis haben.
Nichts anderes ergibt sich auch daraus,
dass oftmals für die Bemühungen der Schule
Gegenleistungen versprochen werden, die
über die ‘Basis’ der Aktion ‘Fotos gegen Ent-
g
elt’ hinausgehen. Wieso, mag der eine oder
andere denken, Schulen lassen sich doch
auch auf andere Arten unterstützen, verbun-
den mit der Nennung des Unterstützers. Bei
der Betrachtung externer Maßnahmen der
Unterstützung einer Schule darf man jedoch
nicht außer Acht lassen, dass diese den stren-
gen Grundsätzen des Schulsponsorings nach
§ 99 Schulgesetz NRW folgen müssen. Bei
den beschriebenen Fotoaktionen überwiegen
die Vorteile des Schulfotobetriebs die Leis-
tungen, die der Schule gegenüber erbracht
werden. Ein schulischer Nutzen kommt bei
Schülerausweisen und anderen Leistungen
nicht wesentlich zur Geltung, so dass es sich
um unzulässiges Schulsponsoring handelt.
Fotoaktion ohne
Gegenleistung
Z
udem darf datenschutzrechtlich nicht
übersehen werden, dass Schüleradressen
ohne ausreichende Einwilligung keines-
falls an den Fotografen weitergegeben
werden dürfen.
Letztlich können auch strafrechtliche
Tatbestände wie etwa Vorteilsnahme im
Hinblick auf die Gegenleistungen eine
Rolle spielen.
Was ist nach allem die Konsequenz für
den Schulalltag? Keine Fotos, keine Erin-
nerungen?
Nein, einer Fotoaktion ohne Gegenleis-
tung steht nichts im Wege – wenn sie zu-
dem außerhalb der Unterrichtszeit pas-
siert. Die Erinnerungen sind sicher genau-
so schön.
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange
leitet die Rechtsabteilung
d
es
l
ehrer nrw.
E-Mail:
Rechtsabteilung@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
2/2018
30
SENIOREN
Besuch im Trainingsbergwerk
Die
lehrer nrw
-Senioren
unter Tage’.
Einblicke in die Kölner Synagoge
A
A
m 19. Februar besuchten die
lehrer
nrw
-Senioren das Trainingsbergwerk
Recklinghausen. Andreas und Oliver die bei-
den gut gelaunten ‘Püttmänner’ oder ‘Kum-
pel’ mit weißen Steigerschutzhelmen, be-
grüßten die Gruppe mit »Glück auf!«. Unse-
re Mäntel tauschten wir gegen einen wei-
ßen Schutzmantel ein. Dann ging es in ‘den
Stollen’, der hier nicht unten in 700 bis
1.200 Meter Tiefe ist, sondern gleich hinter
einem Eisentor der Abraumhalde’ zu ebener
Erde liegt. Im Laufe der Zeit hat sich das Ge-
stein in der Halde verdichtet und man legte
im zweiten Weltkrieg hier in der Halde
Schutzräume für die Bergleute und Bewoh-
ner aus der Nachbarschaft als Lazarett- und
Luftschutzbunker an. Dort im Inneren der
Halde betraten wir einen großen Bergstol-
len.
Ab 1975 entwickelte sich in der Halde ein
Lehrbergwerk für die Belegschaft der heuti-
gen RAG Deutsche Steinkohle. Ein Strecken-
netz von über 1.200 Meter Länge wurde
ausgestattet mit den unterschiedlichen Ge-
winnungseinrichtungen, Streckenvortrieben
und einem Schacht, sodass die Untertage-
welt in beachtlicher Weise wirklichkeitsge-
treu dargestellt wird.
Im Trainingsbergwerk sind die wichtigsten
Maschinen und Einrichtungen auf engem
Raum aufgebaut und werden zum Training
benutzt. Alle Geräte durften einige unserer
Teilnehmer mit Hilfe von Andreas und Oliver
bedienen, sie in Gang setzen, sie fortbewe-
gen, zum Beispiel die Dieselkatze, ein Trans-
portmittel für Kohle als Einschienen-Hänge-
bahn, die ‘Laufkatze’ oder eine Draisine für
zwei Personen und Riesenbohrmaschinen
für den Streckenvortrieb. Und schließlich er-
lebten wir die langen Schrämmaschinen in
Ihrer Wirkungsweise im Streb: sogenannte
Kohlenhobel, die an dicken Ketten gezogen
am Kohleflöz entlang fahren und die Kohle
Schicht für Schicht abtragen und auf Förder-
bänder fallen lassen.
Konrad Dahlmann
A
A
m 7. Dezember 2017 besuchten 33
leh-
rer nrw
-Senioren die Synagoge in Köln.
Die Führung brachte den Teilnehmern die
Historie der ältesten jüdischen Gemeinde
nördlich der Alpen und das heutige Gemein-
deleben sehr anschaulich näher. Diese ‘libe-
rale’ Synagoge wurde erst Ende des 19. Jahr-
hunderts im neo-romanischen Stil erbaut.
Eingeweiht wurde das Gotteshaus, das 1.400
Menschen Platz bot, am 22. März 1899.
Unser Führer Herr Günther erläuterte zu-
nächst die Architektur der Synagoge. Das
Gebäude hier hat zwei Türme, welche an die
beiden Säulen des Jerusalemer Tempels erin-
nern sollen. Es gibt keine Glocken in den Tür-
men, die zum Gottesdienst rufen. Der Grund-
riss dieser Synagoge ist eine Kreuzform, in
der sich ein Toraschrein im vorderen Teil be-
findet, in ihm wird die Torarolle, das heilige
Buch für den Gottesdienst, aufbewahrt. Da-
vor befindet sich mittig die Bima, das Lese-
pult. Links und rechts der Bima sind zwei
riesige siebenarmige Leuchter (Menoras)
mit jeweils sechs Kerzen und einem sechs-
eckigen Stern als Krönung oben in der Mitte
aufgestellt. Die Gottesdienste dauern rund
drei Stunden, es gibt kein Orgelspiel. Die
Gesänge sind normalerweise von Kantoren
gesungene Psalmen.
Konrad Dahlmann
Siebenarmiger Leuchter
in der Kölner Synagoge.
Geschichten erfinden
Anagramme
HIRNJOGGING
31
2/2018 ·
lehrer nrw
Aufgabe 1:
Anagramme
Viele Prominente nutzen sie als Pseudonym, um unerkannt in Hotels einzuchecken. Schriftsteller benutzen sie, um berühmten Persönlichkei-
ten zu huldigen, indem sie ihren Figuren Namen geben, die aus deren Anagramm bestehen. Und selbst der böse Lord Voldemort aus Harry
Potter hat diesen Namen als Anagramm zu seinem eigentlichen Namen gebildet:
Tom Marvolo Riddle – I am Lord Voldemort
Aufgabe 2:
Geschichten erfinden
Welche bekannten Persönlichkeiten
aus Politik, Geschichte und Showgeschäft
verbergen sich hinter den folgenden
Anagrammen?
1. Hein Edelbrot
2. Ivan Kohler
3. Dr. Alf Egelklar
4. Marla Engelke
5. Berta Fasan
6. Fidemus Grund
7. Prof. Dr. Ing. Schlau
8. Lehrt in Armut
9. Etablierte Sinn
10. I’ll make a wise phrase
11. So I’m cuter
12. Arroganzschwelgender
Hilfen und Hinweise
(aber bitte erst ohne probieren)
1. Blonder Barde
2. Der Titan
3. Immer edel
4. Kohls Mädchen
5. Showbusiness Tausendsassa
6. Geht Problemen auf den Grund
7. Wäre besser nicht baden gegangen
8. Das Anagramm sagt alles
9. Kluger Kopf
10. Schrieb in der Sprache des Anagramms
11. Stimmt! Er ist wirklich ein hübscher Kerl
12. Hasta la vista, baby!
Kennen Sie die Story Cubes? Das ist ein
Spielwürfel Set, mit neun Würfeln, auf denen
jeweils Bilder abgebildet sind. Die Spielidee
besteht darin, dass man eine Geschichte er-
findet und zwischendurch immer wieder
würfelt. Sobald ein neues Bild gewürfelt wur-
de muss dieser Begriff so schnell wie mög-
lich in die Geschichte »eingebaut« werden.
Klar, dass es dabei auf Denkflexibiltät an-
kommt. Sie erzählen beispielsweise grade
über eine Safari in Afrika und müssen nun ir-
gendwie das Wort »Parkhaus« einbauen. Das
kann ganz schön kniffelig werden.
Trainieren Sie Ihre Kreativität und Denkfle-
xibilität, indem Sie Geschichten erfinden und
versuchen, willkürlich gewählte Begriffe ein-
zubauen. Sie brauchen dazu nicht unbedingt
das Würfelspiel, sondern können einfach in
einem Buch oder Lexikon blättern oder von
einem Freund einen Begriff nennen lassen.
Grade, wenn Sie der Meinung sind, dass
Kreativität nicht so ganz das Ihre ist... ver-
suchen Sie es!
Wie wäre es zum Beispiel mit einer Ge-
schichte, in der folgende Wörter vorkommen
müssen: Zeppelin, Wildschwein, Eisenbahn,
Sonnenfinsternis, Skarabäus, Kölner Dom,...
Rätsel zur Verfügung gestellt
von der Gedächtnistrainerin
Heike Loosen
Jetzt mitmachen:
Mitglieder werben,
tolle Preise gewinnen!
Zusätzlicher Anreiz: Die drei Werber, die am En-
de des Aktionszeitraums die meisten Mitglieder* für
den Verband gewonnen ha-
ben, können sich eine Wo-
chenendreise für zwei Perso-
nen, ein Smartphone, ein Fern-
sehgerät oder eine Digitalka-
mera im Wert von je 500 Euro
aussuchen!
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nrw
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beaktion! Schon für
zwei geworbene Mit-
glieder* erhalten Sie
einen Gutschein über
50 Euro. Wenn Sie
drei neue Mitglieder*
für
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begeis-
tern können, verdoppelt sich der Gutschein auf 100 Euro. Wel-
chen Wunsch Sie sich damit erfüllen möchten, liegt ganz an
Ihnen: Zur Auswahl stehen Gutscheine u.a. für Saturn/
Media Markt, Jacques‘ Weindepot, die Parfümerie-Kette
Douglas, die Mayersche Buchhandlung, Amazon,
ein Fußball-Bundesligaspiel Ihrer Wahl oder ein
Zeitungs- bzw. Zeitschriftenabonnement.
Sie wollten schon immer mal nach
Berlin oder Hamburg, Wien oder Paris?
Sie könnten ein neues, schickes
Smartphone, einen Flachbildfernseher
oder eine hochwertige Digitalkamera
gebrauchen? Sie möchten sich eine er-
lesene Flasche Wein, ein gutes Buch,
ein Sport-Event oder ein anderes klei-
nes Highlight gönnen? Mit
lehrer nrw
ist das kein Problem. Die Erfüllung ei-
nes dieser Wünsche kostet Sie nur
ein wenig Überzeugungskraft.
Informationen gibt es über die
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-Geschäftsstelle,
0211 /164 0971 info@lehrernrw.de
Die Mitglieder-
Werbeaktion läuft
vom 15. Februar
2018 bis zum
15. Februar
2019.
Hinweis: Alle Fotos haben nur Symbolcharakter. Die Abbildungen sind nicht identisch mit den Artikeln,
die
lehrer nrw
im Rahmen der Mitglieder-Werbeaktion als Gewinn auslobt.
* nur Vollzahler, keine Lehramtsanwärter oder Pensionäre
Fotos: PIXELIO/MEV/Fotolia