3
Unter der Lupe
Eine verlorene
Generation?
15
Dossier
Kinder und
Jugendliche und die
Corona-Pandemie
28
Recht§ausleger
Was macht der
Fremde da auf
meinem Bildschirm?
6
Im Brennpunkt
Besser spät als nie
Kinder in
der Corona-Krise
Pädagogik & Hochschul Verlag
.
Graf-Adolf-Straße 84
.
40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
1781 | Ausgabe 2/2021 | MÄRZ | 64. Jahrgang
Kinder in
der Corona-Krise
INHALT
lehrer nrw ·
2/2021
2
UNTER DER LUPE
Sven Christoffer: Eine verlorene Generation?
Über einen problematischen Begriff 3
BRENNPUNKT
Sarah Wanders: Besser spät als nie 6
JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner:
Wahlpflichtbereich ausbauen!
8
TITEL
Frank Maier: Quo vadis,
digitales Lehren und Lernen?
10
Ulrich Gräler: Licht und Schatten bei
der digitalen schulischen Wirklichkeit
12
Kommentar: Ulrich Gräler:
»Segen und Fluch!«
14
DOSSIER
Jochem Schirp: Kinder und Jugendliche
und die Corona-Pandemie
15
BATTEL HILFT
Still-face-Experiment 19
SCHULE & POLITIK
Soft Skills in Zeiten der Corona-Krise
Gastbeitrag: Warum Empathie von
Pädagogen gerade heute so wichtig ist
20
Christopher Lange:
Endlich ein Dienstgerät …
… aber wer trägt nun die Verantwortung? 21
Zwei Entfaltungsgeschichten
22
Mangel an MINT-Lehrkräften
in NRW wächst dramatisch 24
KOLUMNE
Ferdinand Kümmertsich:
Wer soll das bezahlen? Na, wer wohl?
26
SENIOREN
Corona bremst Jahresplanung 27
Neuregelung bei der Beihilfe 27
IT-Fortbildung: Zoom, Skype,
Office und Gimp
27
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange: Was macht der
Fremde da auf meinem Bildschirm?
28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Mit Turmalin
und Zinn gegen Corona
30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Zahlensalat
Aufgabe 2: Berühmte Persönlichkeiten
31
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
Geschäftsstelle
lehrer nrw
Nordrhein-Westfalen,
Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf,
Tel.: 02 11/1640971,
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Web: www.lehrernrw.de
Redaktion
Sven Christoffer,
Ulrich Gräler,
Christopher Lange,
Jochen Smets,
Sarah Wanders,
Marcel Werner
Düsseldorf
Verlag und
Anzeigenverwaltung
PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
dphv-verlags-
gesellschaft mbH,
Graf-Adolf-Straße 84,
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Zur Zeit gültig:
Anzeigenpreisliste Nr. 21
vom 1. Oktober 2020
Zuschriften und
Manuskripte nur an
lehrer nrw
,
Zeitschriftenredaktion,
Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf
Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
Eine verlorene
Generation?
Über einen problematischen Begriff
V
V
ielleicht hängt es damit zusammen, dass
ich von Hause aus Deutsch- und Ge-
schichtslehrer bin, auf jeden Fall tue ich
mich sehr schwer damit, Begriffswendungen, die
historisch eindeutig verortet sind, in neue Zusam-
menhänge zu stellen – so etwa den Begriff der
»verlorenen Generation«.
Er wird zurzeit vielfach verwendet, um die ne-
gativen Folgen von Schulschließungen für die Bil-
dungsbiografien und die sozia-
le Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu
beschreiben. Dass es diese negativen Folgen
gibt, ist unstrittig, aber ist es tatsächlich sach-
dienlich und angemessen, deshalb von einer
»verlorenen Generation« zu sprechen?
Als »lost generation« werden Heranwachsen-
de bezeichnet, die während und nach dem Ers-
ten Weltkrieg aufwuchsen. Der US-amerikani-
sche Schriftsteller Francis Scott Fitzgerald
schrieb, seine Generation sei herangewachsen,
nur um »alle Götter tot, alle Kriege gekämpft,
jeden Glauben in die Menschheit zer-
stört« vorzufinden.
3
2/2021 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von SVEN CHRISTOFFER
Vulnerable Gruppe: Schulkinder
leiden ganz besonders unter den Beschrän-
kungen, die die Corona-Pandemie mit sich
bringt. Aber eine ‘verlorene Generation’
muss hier nicht zwangsläufig heranwachsen.
Das zu verhindern, liegt in unserer Hand.
Foto: AdobeStock/New Africa
lehrer nrw ·
2/2021
4
UNTER DER LUPE
»Wir werden uns nicht mehr
zurechtfinden können«
Als Schulbuchautor für den Klett-Verlag bearbei-
te ich seit Jahren in dem Geschichtslehrwerk
’Zeitreise’ das Kapitel ’Europa zwischen Demo-
kratie und Diktatur’, also die Zeit nach dem Ende
des Ersten Weltkriegs. Um den Schülerinnen und
Schülern den Begriff der »verlorenen Generati-
on« nahe zu bringen, zitiere ich dort aus dem
Roman ’Im Westen nichts Neues’ (1929) des ge-
bürtigen Osnabrückers Erich Maria Remarque,
der die Schrecken des Ersten Weltkriegs aus der
Sicht eines jungen Soldaten schildert: »Der Waf-
fenstillstand kommt bald, ich glaube es jetzt
auch. (…) Wenn wir jetzt zurückkehren, sind wir
müde, zerfallen, ausgebrannt, wurzellos und oh-
ne Hoffnung. Wir werden uns nicht mehr zurecht-
finden können.«
Wer diesen historischen Kontext kennt, wird
vielleicht nachvollziehen können, warum ich
Bauchschmerzen beim Transfer dieses Begriffs
auf unsere heutige Schülergeneration habe. And
by the way: Dass sich unsere Schülerinnen und
Schüler im späteren Leben nicht zurechtfinden
können werden, ist noch längst nicht ausge-
macht. Dazu bedarf es jedoch enormer Anstren-
gungen aller an Bildung beteiligten Akteure in
den nächsten Wochen, Monaten und Jahren.
Wenn aus der zutreffenden Diagnose aber die
richtigen Handlungsschritte abgeleitet (und ent-
sprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt)
werden, bin ich jedenfalls vorsichtig optimis-
tisch.
Drohende Stigmatisierung
Hans-Iko Huppertz, Generalsekretär der Deut-
schen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin,
ließ unlängst in einem Zeitungsinterview verlau-
ten: »Wir wissen mit Sicherheit, dass eine ganze
Generation von Schülern infolge der jetzigen Be-
schlüsse [Schulschließungen] ein Leben lang
Nachteile erfahren wird. (…) Das derzeit entste-
hende Bildungsdefizit bei Schülern wird dazu
führen, dass sie im späteren Leben ihre Möglich-
keiten nicht ausschöpfen und dauerhaft ein sig-
nifikant niedrigeres Einkommensniveau erreichen
werden, als es möglich gewesen wäre.« Bei aller
berechtigten Sorge stellen sich mir im Hinblick
auf diese Aussagen gleich mehrere Fragen:
Ist dieses Urteil nicht viel zu pauschal?
Wahr ist, dass die Schere zwischen Kindern in
guten Lebensverhältnissen und Kindern mit
prekären Lebensverhältnissen, schlechterer
technischer Ausstattung und ohne Unterstüt-
zung der Eltern noch größer geworden ist. Hier
muss schnellstmöglich konzeptionell gegenge-
steuert werden. Wahr ist aber auch, dass nicht
wenige Kinder im Distanzunterricht gute Lern-
erfolge erzielt und in den Punkten Selbständig-
keit, Selbstorganisation und Medienkompetenz
sogar hinzugewonnen haben.
Besteht nicht die Gefahr der
Stigmatisierung?
Und haben unsere Schülerinnen und Schüler es
nicht verdient, dass die Gesellschaft sie nicht in
genere als »Corona-Generation« wahrnimmt,
sondern die einzelne Schülerin/den einzelnen
Schüler je besonders?
Können solche Generalisierungen zur
self fulfilling prophecy werden?
Wenn Fremdzuschreibungen zu Selbstzuschrei-
bungen werden, wird das möglicherweise nicht
ohne Auswirkungen bleiben auf intrinsische
Motivation und Anstrengungsbereitschaft unse-
rer Schülerschaft.
Sind die von Herrn Huppertz
prognostizierten lebenslangen
Nachteile unabwendbar?
Ich meine nein. Es liegt in unseren Händen.
Was jetzt nötig ist
Dazu braucht es Gesamtkonzepte, wie man die
Kinder und Jugendlichen, die während der Schul-
schließungen kaum erreicht wurden, so fördern
kann, dass sie wieder den Anschluss erreichen.
Dazu braucht es schulische Angebote besonderer
individueller Förderung in überschaubaren Lern-
gruppen. Dazu braucht es eine intensive Beratung
der gefährdeten Schülerinnen und Schüler. Und
dazu braucht es nicht zuletzt finanzielle Ressour-
cen. Dass die Landesregierung 36 Millionen Euro
für Ferienprogramme und außerschulische Bil-
dungsangebote zur Verfügung stellt, ist deshalb
ein gutes Signal.
Sven Christoffer ist Vorsitzender des
lehrer nrw
sowie Vorsitzender des HPR Realschulen
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
2/2021
6
BRENNPUNKT
Besser spät als nie
Als Reaktion auf Initiativanträge mehrerer Hauptpersonalräte
sowie die endgültige Ablehnung der Erlassvorlage, die keine
Befreiung für Schwangere vorsah, durch den Hauptpersonalrat
Realschulen hat das Schulministerium (MSB) NRW eingelenkt
und am 10. Februar einen geänderten Erlass veröffentlicht.
E
E
s ist dringend geboten, Schwangere
ohne Vorlage eines ärztlichen Attests
vom Einsatz im Präsenzunterricht zu
befreien. Bereits seit Mitte letzten Jahres
haben Personalräte auf die Problematik
hingewiesen, bis Februar 2021 leider ohne
Erfolg.
In den ’Arbeitsmedizinischen Empfeh-
lungen zur Beschäftigung von schwange-
ren und stillenden Frauen im Zusammen-
hang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2/
COVID-19-Erkrankung’ des MAGS NRW vom
7. Oktober 2020 wird unter dem Punkt ’In-
fektionsrisiko’ Folgendes ausgeführt: Bei
Schwangeren bestehe ggf. ein erhöhtes Risi-
ko für Thrombose- und Embolieereignisse,
da in der Schwangerschaft eine physiolo-
gisch erhöhte Blutgerinnungsneigung vor-
handen sei und auch eine COVID-19-Erkran-
kung mit einer pathologisch erhöhten Blut-
gerinnung einhergehen könne. Zu berück-
sichtigen sei schließlich auch die einge-
schränkte Behandlungsmöglichkeit von
Schwangeren. Eine begrenzte Zahl an Studi-
en zeige eine möglicherweise erhöhte Wahr-
von SARAH WANDERS
Foto: AdobeStock/nazariykarkhut
BRENNPUNKT
7
2/2021 ·
lehrer nrw
scheinlichkeit für die Aufnahme auf einer
Intensivstation und für die Notwendigkeit
einer invasiven Beatmung bei Schwangeren.
Unverantwortbare
Gefährdung
Unter dem Punkt ’Gefährdungsbeurteilung
nach dem Mutterschutzgesetz’ wird darauf
verwiesen, dass vor dem Hintergrund, dass
die Auswirkungen einer SARS-CoV-2-Infekti-
on derzeit noch nicht zuverlässig bewertet
werden können, ein gegenüber der Allge-
meinbevölkerung erhöhtes Infektionsrisiko
mit SARS-CoV-2 am Arbeits- oder Ausbil-
dungsplatz aus präventiven Gründen als un-
verantwortbare Gefährdung einzustufen sei.
Dies gelte nach Auffassung des Ausschusses
für Mutterschutz beim Bundesfamilienminis-
terium (§ 30 Mutterschutzgesetz) nicht nur
beim Umgang mit Erkrankungsfällen (labor-
bestätigten COVID-19-Fällen) oder ärztlich
begründeten Verdachtsfällen, sondern be-
reits bei Kontakt zu ständig wechselnden
Personen oder bei regelmäßigem Kontakt
zu einer größeren Anzahl von Personen. Ei-
ne Weiterbeschäftigung einer schwangeren
Frau dürfe nur insoweit erfolgen, als durch
effektive Schutzmaßnahmen sichergestellt
sei, dass die schwangere
Frau am Arbeitsplatz kei-
nem höheren Infektions-
risiko ausgesetzt sei als
die Allgemeinbevölke-
rung.
Mit Blick auf die Be-
schäftigung in Schule kommt das NRW-
Gesundheitsministerium (MAGS NRW) zu
folgender Einschätzung: »Zunächst ist zu
prüfen, ob eine Umsetzung an einen Ar-
beitsplatz ohne Infektionsgefährdung mög-
lich ist, also in einem Bereich, der vom Pu-
blikums- bzw. Kundenkontakt bzw. von
sonstigen Bereichen mit wechselnden Kon-
takten oder Kontakten zu einer größeren
Personenanzahl räumlich getrennt ist. Wenn
es die Tätigkeit zulässt, könnte alternativ
auch die Arbeit im Home-Office angeboten
werden. Können Schutzmaßnahmen nicht
in ausreichender Weise ergriffen werden,
ist in Absprache mit dem Betriebsarzt/der
Betriebsärztin ein (teilweises/befristetes)
Beschäftigungsverbot auszusprechen.«
Unterricht im Home-Office
Das Ministerium für Schule und Bildung
NRW hat mit der Verordnung zum Distanz-
lernen den Rahmen für eine geänderte Un-
terrichtsorganisation geschaffen und insbe-
sondere ausgeführt, dass der Distanzunter-
richt dem Präsenzunterricht im Hinblick auf
die Unterrrichtsverpflichtung der Lehrkräfte
gleichwertig ist. Somit können schwangere
Lehrerinnen auch im Home-Office ihrer Un-
terrichtsverpflichtung nachkommen.
Das RKI führt im epidemiologischen
Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19
unter Punkt 8 ’Demografische Faktoren,
Symptome und Krankheitsverlauf’ aus, dass
eine begrenzte Zahl an Studien zeige, dass
die Wahrscheinlichkeit für einen schweren
Verlauf mit Aufnahme auf eine Intensivsta-
tion und für eine invasive Beatmung mögli-
cherweise höher sei. Zudem erhöhten ins-
besondere die bekannten Risikofaktoren
auch bei Schwangeren das Risiko für einen
schwereren Verlauf, und das Risiko nehme
mit steigendem maternalen Alter zu.
Dass die in Schule Beschäftigten zu einer
Gruppe gehören, die eines besonderen
Schutzes bedarf, zeigt die Reihenfolge in
der Impfpriorisierung. Hier werden Lehrin-
nen und Lehrer prioritär behandelt. Laut
der aktuellen Einschätzung des RKI emp-
fiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO)
die generelle Impfung in der Schwanger-
schaft nicht. Somit bleibt der Schwangeren
und ihrem Ungeborenen der Schutz vor ei-
ner Corona-Erkrankung versagt.
Einlenken kommt gerade
noch rechtzeitig
Gerade mit Blick auf den wieder anlaufen-
den Präsenzunterricht an Schulen ist es
richtig und wichtig, dass das MSB seine
Einschätzung überdacht und geändert hat.
Seit dem 10. Februar 2021 gilt für schwan-
gere Lehrerinnen nunmehr ein einge-
schränktes Beschäftigungsverbot, wonach
keine Teilnahme an Konferenzen und
Dienstbesprechungen und kein Einsatz im
Präsenzunterricht oder im Rahmen sonsti-
ger diestlicher Kontakte mit einer Vielzahl
wechselnder Schülerinnen und Schüler (ein-
schließlich Pausen- oder Klausuraufsichten
etc.) zulässig ist.
lehrer nrw
begrüßt dies ausdrücklich!
Jetzt gilt es, auch alle anderen Kolleginnen
und Kollegen, die wieder in den Präsenzun-
terricht gehen, optimal zu schützen. Das
Bereitstellen von ausreichend FFP2-Masken
(zwei pro Tag) und das Angebot regelmäßi-
ger Testungen (zweimal pro Woche) sind
ein Anfang, weitere Maßnahmen müssen
folgen.
Insbesondere fordert
lehrer nrw
die vor-
zeitige Impfung aller Lehrkräfte, denn beim
Gesundheitsschutz an Schulen darf es keine
Zwei-Klassen-Gesellschaft geben.
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende
des
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
Schwangere Lehrerinnen sind
vom Präsenzunterricht befreit.
Sie können ihrer Unterrichtsverpflichtung
stattdessen im Home-Office nachkommen.
lehrer nrw ·
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JUNGE LEHRER NRW
von MARCEL WERNER
Wahlpflichtbereich
ausbauen!
Mit ihrem Praxisbezug sowie ihrer Problem- und Handlungsorien-
tierung sind die Wahlpflichtfächer ein Kernelement an den Schu-
len der Sekundarstufe I. Viele Schülerinnen und Schüler profitie-
ren enorm davon. Daher sollte dieser Bereich ausgebaut werden.
C
C
orona hat unseren Unterricht nun
schon ein Jahr lang geprägt, und wir
Lehrerinnen und Lehrer haben sicher-
lich viel dazu gelernt. Eines hat es uns diese
Pandemie aber ganz besonders gelehrt.
Nämlich, dass insbesondere viele Schülerin-
nen und Schüler an den Schulen im Sekun-
darbereich I auf den Präsenzunterricht an-
gewiesen sind und dieser möglichst viel Pro-
blem- sowie Handlungsorientierung enthal-
ten sollte. Die in der Pandemie gegebenen
Möglichkeiten erschwerten vielen Schülerin-
nen und Schülern das Lernen enorm. Daher
gibt der Wahlpflichtfachbereich neben den
’klassischen’ Schulfächern insbesondere der
Sekundarstufe I die Möglichkeit, ihre Fähig-
keiten unter Beweis zu stellen.
Lernen als aktiver,
konstruktiver, sozialer,
praxisbezogener Prozess
Der Wahlpflichtunterricht ermöglicht durch
seine oftmals kleineren Lerngruppen und
Lerninhalte aus der Lebenswelt der Schüle-
rinnen und Schüler einen praxis- und hand-
lungsorientierten Unterricht. Darin wird Wis-
sen nicht als ein Gegenstand, sondern als
ein Produkt einer individuellen Konstrukti-
onsleistung angesehen. Lernen ist keine
Adaption von Wissen, sondern ein aktiver,
konstruktiver, sozialer und an Arbeitssitua-
tionen gebundener Prozess. Er orientiert
sich an den Lernenden mit ihren individuel-
len Lernvoraussetzungen, erfordert Eigenak-
tivität und reflektiertes Handeln. Der Wahl-
pflichtfachbereich bietet durch seine unter-
schiedlichen Fächer die Möglichkeit, kom-
plexe Probleme und Aufgabenstellungen im
realen Kontext zu behandeln. Diese ergeben
sich aus der Lebenswelt der Schülerinnen
und Schüler, und so lassen sich Fragestellun-
Praxisorientiert und lebensnah:
Im Wahlpflichtbereich können sich Schulkin-
der nach ihren Neigungen und individuellen
Lernvoraussetzungen Wissen aneignen.
Foto: AdobeStock/Robert Kneschke
JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: werner@lehrernrw.de
gen aus privaten, beruflichen und öffentli-
chen Lebensbereichen erschließen.
Selbstständig Lösungs-
wege finden und beschreiten
Durch diese Fragestellungen lassen sich di-
daktisch gestaltete Problemsituationen zu
den unterschiedlichsten Thematiken her-
beiführen. Das ermöglicht es den Schüle-
rinnen und Schülern, selbstständig und in
eigener Verantwortung ihren konkreten
Lernweg bzw. Lösungsweg zu gehen. Die
inhaltlichen Aspekte des Wahlpflichtfach-
bereichs geben uns daher die Gelegenheit,
diese integrativ umzusetzen. Die Schülerin-
nen und Schüler können so in diesem Pro-
zess mit allen Sinnen lernen.
Daher sollten wir uns dafür einsetzen,
dass das Merkmal Wahlpflichtfach an un-
seren Haupt-, Real- und Gesamtschulen
ausgebaut werden muss. Deutschland be-
nötigt nicht nur Akademiker, und gerade
der Wahlpflichtfachbereich gibt uns die
Möglichkeit, planvolles Handeln und die
Aneignung problemlösender Fähigkeiten in
den Mittelpunkt des Lernprozesses zu stel-
len. Deshalb sollte dieser Bereich wieder
mehr Aufmerksamkeit erlangen und weiter
ausgebaut werden.
Potenzial im Bereich
Ernährungs- und
Verbraucherbildung
Ein Fach, das sich ideal für eine Erweite-
rung eignen würde, wäre Ernährungs-
und Verbraucherbildung. In einem solchen
Wahlpflichtfach würde insbesondere das
Interesse an einem gesundheitsförderli-
chen, sozial verantwortlichen und bedürf-
nisgerechten Lebensstil entwickelt. Den
Schülerinnen und Schülern würde es er-
möglicht, Strategien zu entwickeln, die
Beruf und Leben in Einklang bringen.
Dieses Fach würde eine Chance bieten,
Interesse für Dienstleistungsberufe in den
Bereichen Erziehung, Gesundheit, Haus-
wirtschaft und Sozialwesen zu fördern.
Aber auch Fächer, die musische, künstleri-
sche oder handwerkliche Fähigkeiten in den
Lernmittelpunkt stellen, würden sich sehr
gut eignen.
Mehr Personal
ist entscheidend
Die Voraussetzung für einen wirklichen
Mehrwert für unsere Schülerinnen und
Schüler im Wahlpflichtbereich, unabhängig
von einem Ausbau, ist die Sicherstellung
von Personal. Daher hoffe ich sehr, dass die
Pandemie auch unserer Landesregierung
gezeigt hat, dass den Schulen mehr Lehrper-
sonal zur Verfügung gestellt werden muss.
Denn jede Theorie von Unterricht steht und
fällt mit den Lehrenden, und insbesondere
die SchülerInnen der Sekundarstufe I sind
auf diese persönliche Unterstützung ange-
wiesen.
lehrer nrw ·
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Zwischen Stärken und Schwächen eines modernen Un-
terrichts. Ein Gastbeitrag des gemeinnützigen Instituts
für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht – FWU.
W
W
er Pädagogen, Eltern, Kinder
oder Jugendliche fragt, wie guter
Unterricht für sie aussieht, be-
kommt in den meisten Fällen die gleiche
Antwort: Die Beteiligten wünschen sich
abwechslungsreiche, spannende und lehr-
reiche Schulstunden. Doch die andauernde
Corona-Pandemie und die damit verbunde-
nen Lockdown-Beschränkungen stellen
nicht nur die Lehrkräfte, sondern zugleich
das schulische Bildungssystem auf die Pro-
be. Während Heranwachsende sich plötz-
lich im heimischen Zimmer zurechtfinden
und lernen müssen, stehen pädagogische
Fachkräfte vor der Herausforderung, wei-
terhin qualitativ hochwertigen Unterricht
anzubieten. Von heute auf morgen sind al-
le Beteiligten neben einer digitalen Infra-
struktur auf technische Hilfsmittel wie da-
tenschutzkonforme Messenger, Videokon-
ferenzen, Lern-Apps und Co. angewiesen.
Mit dem Mangel ebenjener Optionen steht
das Schulsystem vor Aufgaben, die auf den
ersten Blick nicht abzusehen waren.
Nichtsdestotrotz bieten entsprechende
Tools gleichzeitig ein enormes Potenzial
DER AUTOR
Frank Maier ist Projektleiter ’Sodix’
beim gemeinnützigen Institut für Film
und Bild in Wissenschaft und Unterricht
– FWU. Das Medieninstitut der Länder
produziert hochwertige Medien für die
Bildung – lehrplanzentral, didaktisch
wertvoll und für alle Klassenstufen ge-
eignet. Zudem erfüllt das FWU im Auf-
trag der Länder Aufgaben von der Me-
diendistribution bis zu medienpädago-
gischen Projekten.
Weitere Informationen: https://fwu.de/
Foto: FWU
Die Corona-Pandemie
hat der Digitalisierung im
Schulsystem einen enormen
Schub gegeben. Darin stecken
Chancen und Risiken. Und
es zeigt sich, dass es mehr
denn je auf die Lehrkraft
ankommt.
Foto: AdobeStock/vegefox.com
QQuuoo vvaaddiiss,,
ddiiggiittaalleess LLeehhrreenn uunndd LLeerrnneenn??
TITEL
für den zukunftsorientierten Unterricht.
Digitale Lösungen stellen bei richtiger
Anwendung einen Mehrwert für den Wis-
senserwerb dar, ersetzen aber in keiner
Weise Lehrkräfte, die unter anderem mit
zwischenmenschlichen und fachlichen
Kompetenzen wichtig für die Heranwach-
senden sind.
Auf die Basis kommt es an
Gute Wissensvermittlung besteht auch in
Zukunft aus verschiedenen Grundpfeilern,
ungeachtet ihrer Methode: Klare Struktu-
ren, ein hoher Anteil an qualitativer Lern-
zeit und inhaltliche Klarheit gelten als es-
senziell – wie auch bei klassischen Konzep-
ten. Während Schüler an Onlinekonferen-
zen mit den Lehrkräften teilnehmen und
die bearbeiteten Aufgaben in eine gemein-
same Cloud hochladen, überprüfen die
Lehrkräfte mithilfe entsprechender Soft-
ware den Lernfortschritt und fördern auf
individueller Basis potenzielle Schwachstel-
len. Aufgrund dieser Vorgehensweise kann
weiterhin auf die Bedürfnisse der Heran-
wachsenden eingegangen und der ge-
wünschte Lernerfolg erzielt werden. Dies
11
2/2021 ·
lehrer nrw
OFFENE BILDUNGSMEDIATHEK ’MUNDO’
Für einen reibungslosen Ab-
lauf benötigen Lehrkräfte
neben einer funktionieren-
den Infrastruktur passendes
Material, das den Lehrplan
unterstützt. Als besonders
wünschenswert gelten Res-
sourcen, die Experten spe-
ziell für die jeweilige Lernein-
heit entwickelt haben. Idea-
lerweise regen sie dabei Pro-
zesse an, die durch analoge
Materialien nicht möglich
wären. Das gemeinnützige
Institut für Film und Bild in
Wissenschaft und Unterricht
– FWU beweist, dass bereits
jetzt pädagogisch wertvoller
und geprüfter Digital Con-
tent vorhanden und zugäng-
lich ist. Im Auftrag der sech-
zehn Bundesländer hat sich
das Medieninstitut der Auf-
gabe angenommen, den
durch die Corona-Krise ent-
standenen Bedarf an digita-
len Unterrichtsmaterialien zu
decken. Die Entwicklung des
Medienportals trägt nicht
nur zu einer ländergemeinsa-
men Bildungsmedieninfra-
struktur bei, sondern ge-
währleistet zugleich einen
freien Zugang an hochwerti-
gen Lehrmaterialien. Unter-
stützt von öffentlich-rechtlichen Sendern wie ZDF, SWR, BR und RBB gilt Mundo mit
Beginn des Schuljahres 2020/2021 als offene Bildungsmediathek.
Die Bildungsmediathek ’Mundo’
stellt geprüften Digital Content bereit.
Foto: FWU
bedeutet aber auch gleichzeitig für Lehr-
kräfte, dass moderne Unterrichtsmethoden
nur dort zum Einsatz kommen, wo sie ei-
nen Mehrwert für die Beteiligten bieten.
Eine Frage der Zeit
Sobald Unterricht mit digitalen Hilfsmitteln
in Erwägung gezogen wird, entstehen ver-
schiedene Herausforderungen: Wie lässt
sich die Technik optimal in den Unterricht
eingliedern? Gibt es in Sachen Daten-
schutz etwas zu beachten? Wie reagiert
die Lehrkraft bei technischen Fehlern?
Und wie entsteht eine pädagogisch wert-
volle Kombination aus analogen und digi-
talen Lösungen? Um sich diesen Aufgaben
stellen zu können, benötigen Lehrkräfte
Freiräume, die mit der Unterrichtsdurch-
führung sowie Vor- und Nachbereitung als
knapp bemessen gelten. Aufgrund dessen
sind Entlastungen und Freiräume notwen-
dig, die eine technische Weiterbildung er-
möglichen. Infolge der Corona-Pandemie
sind bereits jetzt spannende Lehrkonzepte
entstanden, die sich die umfangreichen
Möglichkeiten der Technik zunutze ma-
chen.
Individuelle Methoden
Wer digitalgestützten Unterricht richtig
einsetzt, kann mit positiven Leistungsent-
wicklungen der Heranwachsenden rech-
nen. Anhand der teilweise spielerischen Art
und Weise des Wissenserwerbs lassen sich
langfristige Erfolge erzielen. Grund dafür
ist das Gehirn: Mit Emotionen behaftete
Erinnerungen speichert der Mensch deut-
lich besser im Langzeitgedächtnis ab als
solche ohne persönlichen Bezug.
Da jeder Lernende ein anderes Lerntem-
po aufweist, werden nach wie vor pädago-
gische Fachkräfte benötigt, die individuelle
Anpassungen der Inhalte durchführen. Ein
Beispiel: Während ein Heranwachsender
ganz klassisch im Schulbuch lernt, ruft ein
anderer sein Potenzial in einer Gruppen-
diskussion ab, und Schüler Nummer drei
recherchiert online den jeweiligen Sachver-
halt, transferiert das Wissen anschließend
und kommt so zum gleichen Ergebnis.
Flexibler Inhalt
Seit jeher unterstehen Schulen einem steti-
gen Wandlungsprozess. Die Corona-Pande-
mie hat dabei verdeutlicht, wie schnell ein
solcher Wandel vorangetrieben werden
kann. Damit der Einsatz von analogen und
digitalen Medien gelingt, sind die Beteilig-
ten gleichermaßen gefordert. Dabei bewei-
sen computergestützte Lösungen, wie
sinnvoll sie klassische Konzepte ergänzen.
Denn im Gegensatz zu konventionellen
Schulbüchern lässt sich Software innerhalb
kürzester Zeit mit neuen Inhalten aktuali-
sieren. Auf diese Art und Weise kann der
Lehrstoff flexibel angepasst und erweitert
werden. Außerdem lernen Schüler mit dem
Technikeinsatz spielerisch den Umgang mit
neuen Medien wie Tablet, Laptop, Smart-
phone und Co. kennen und stärken dabei
zusätzlich die persönliche Medienkompe-
tenz.
TITEL
lehrer nrw ·
2/2021
12
TITEL
LLiicchhtt
und
Schatten
bei der
In einem Jahr Pandemie hat das Schulsystem einen
Parforce-Ritt in Richtung Digitalisierung unternommen.
Und dies mit einem außerordentlich hohen Einsatz von
Schülern, Eltern und Lehrkräften. Eine Zwischenbilanz und
ein Ausblick zum Digitalisierungsprozess an den Schulen.
I
I
n den öffentlichen Diskussionen wird
das Thema der Digitalisierung in den
Schulen zwar vielfach politisch disku-
tiert, aber dann allzu häufig auch politisch
instrumentalisiert. Wer sich die Situation vor
Ort genauer anschaut, sieht ein sehr unter-
schiedliches Bild von den Gegebenheiten.
Die Bandbreite reicht von voll ausgestatte-
ten »Laptop-Klassen« bis hin zu Schulen,
die noch sehr unzureichend bzw. kaum mit
digitalen Endgeräten versorgt sind. Die Fi-
nanzlage oder der politische Wille mancher
Kommune schlägt dabei bis auf die unterste
Ebene des Bürgers und damit der Schüler-
schaft durch.
Auch auf Seiten der Bürger ist die private
Ausstattung für eine Beteiligung am Unter-
richt höchst unterschiedlich. Hier reicht die
Bandbreite des digitalen Zugangs vom Ge-
brauch des persönlichen Handys über die
Nutzung des einzigen Computers in der Fa-
milie bis hin zum individuellen Arbeitsplatz
des Schülers mit PC oder Laptop. Je nach
Ausstattungsniveau der Schülerschaft sind
die Schulen dann darauf angewiesen, geeig-
nete Wege für einen mehr oder weniger ef-
fektiven Kontakt zu ihren Klassen zu finden.
Eine politische
und soziale Frage
Aus beiden Perspektiven zusammengenom-
men wird deutlich, dass die Digitalisierung
des Bildungsbereichs eine höchst politische
und gleichzeitig auch soziale Frage darstellt.
Nicht jedes ’home’ bietet auch die geeigne-
ten Voraussetzungen für ein gelingendes
schooling’. Deshalb bedarf es in dieser
grundsätzlichen Frage dringend politischer
Antworten, die das digitale Lernen unter
dem Blickwinkel der Ausstattung sowie der
didaktischen Zielsetzung betrachten.
Dazu zählt dann auch die Frage, ob ein
digitales Endgerät nicht zu den Lernmitteln
Alltag in Corona-Zeiten: Unterricht wird
notgedrungen über Video-Plattformen erteilt. Die
bisherigen Erfahrungen zeigen ein ambivalentes Bild.
von ULRICH GRÄLER
TITEL
13
2/2021 ·
lehrer nrw
Licht
digitalen schulischen Wirklichkeit
zählt, die jedem Schüler standardmäßig zur
Verfügung stehen sollten. Solange diese
grundsätzliche Frage nicht allgemeinver-
bindlich und zufriedenstellend für alle Schü-
ler und Lehrkräfte geklärt ist, überlässt die
Politik das Thema der ’Digitalisierung des
Unterrichts’ dem Feld der Improvisation und
der Notlösungen.
Die Erfahrungen, die Lehrkräfte mit dem
Lernen auf Distanz inzwischen zur Genüge
Foto: AdobeStock/Anke Thomass
’SCHÖNE NEUE WELT?’ – DIE KEHRSEITE
Neulich zu Beginn der Mit-
tagspause nach dem Ver-
lassen des Lehrerzimmers:
Die Lehrkraft schlenderte
an der Balustrade des
Obergeschosses entlang
und warf einen Blick in das
Forum im Erdgeschoss.
Dort saßen mehr als hun-
dert Schüler in Kleingrup-
pen verteilt um die dorti-
gen Tische herum. Alles
Schülerinnen und Schüler
der Nachbarschule.
Diese vor wenigen Jahren
neu gegründete Schule hat-
te sich von Beginn an mit
der Einrichtung von Laptop-
Klassen der Digitalisierung
des Unterrichts verschrie-
ben. Nun saßen die Schüler
da, ein jeder schweigend in
sein Laptop oder Handy ver-
tieft, ohne (Blick-)Kontakt
zu seinem Nachbarn.
Draußen vor der Schule
traf die Lehrkraft dann auf
eine Gruppe Kollegen aller
Schulformen in ihrer ’Frisch-
luftpause’ und berichtete
von ihrem verstörenden
Eindruck. Daraufhin erläu-
terte ein Kollege der ’digita-
len’ Schule von den Verän-
derungen, die der Gebrauch
der digitalen Endgeräte bei
den Schülern mit sich ge-
bracht hätte. Es gebe deut-
lich weniger Gewalt unter
den Schülern, und auch das
‘Rauchen auf dem Schulge-
lände’ habe aufgehört!
gemacht haben, können dabei helfen, wie
die digitalen Medien auch in Zukunft in die
bisherige Unterrichtsgestaltung stärker ein-
bezogen werden könnten. Das Unterrichts-
material und die Hilfestellungen im Netz ge-
hen ins Unermessliche, und der überwiegen-
de Eindruck ist der, dass Schüler diese Quel-
len auch intensiv nutzen. Dies ist für alle
Schüler von Vorteil, erhalten sie auf diesem
Weg doch schnell und effektiv Zugang zu
(mehr oder weniger didaktisch vermittelten)
gezielten Informationen.
Online-Unterricht ist
nicht per se Teufelszeug
Auch im Rahmen der zahlreichen Videokon-
ferenzen haben Lehrkräfte Erfahrungen ge-
macht, die den bislang praktizierten Unter-
richt bereichern könnten. Unabhängig von
technischen Problemen haben zahlreiche
lehrer nrw ·
2/2021
14
TITEL
Lehrkräfte zurückgemeldet, dass der Video-
unterricht im Hinblick auf Unterrichtsquali-
tät und -effektivität nicht zurückstehen
muss. Im Gegenteil, manche Unterrichtsvor-
gänge und -ziele haben sogar gegenüber
dem Präsenzunterricht gewonnen. Insofern
sind auch vordergründige Äußerungen
mancher Politiker und Experten wenig hilf-
reich, die Monate zuvor den Distanzunter-
richt lauthals herbeiriefen und ihn nun ge-
nerell als ‘kein Unterricht’ diskreditieren!
Für nicht wenige Schüler war ‘der direkte
Draht’ zum Lehrer per Video auch ein per-
sönlicher Gewinn, zum Beispiel wenn be-
sondere Unterstützungsleistungen vonnö-
ten waren und auch gegeben wurden oder
wenn das übliche Klassenklima der Beteili-
gung im Unterricht abträglich war. Nicht
jede Klasse ist schließlich für alle Schüler
eine ’Wohlfühloase’. Erst recht in digitalen
Zeiten, wo Hass und Häme schnell verbrei-
tet werden (können).
Lehrkräfte haben zum Teil auch erleben
müssen, dass der Unterricht auf ’neuarti-
gen’ Wegen massiv gestört und/oder torpe-
diert wurde. Dies würde zu einer neuen,
nicht einfachen Aufgabe an Schulen führen,
ein klares Regelwerk für einen störungsfrei-
en digitalen Unterricht aufzustellen. Und
dies auch mit entsprechend verbindlichen
und durchsetzbaren datenschutzrechtlichen
und persönlichkeitsschützenden Maßgaben.
Eine Bereicherung für
den Präsenzunterricht
Alles in allem können aber die Erfahrungen
aus dem Distanzlernen, sofern die allgemei-
nen technischen Voraussetzungen gegeben
sind, den Präsenzunterricht in bereichern-
der Weise sinnvoll und modern ergänzen,
insbesondere auch für individuelle Förde-
rungen aller Schüler. Diese können auf die-
sen Wegen durch gezielte Unterstützungs-
angebote und -möglichkeiten die Hilfestel-
lungen erhalten, die weder Elternhaus noch
Lehrkräfte bei übergroßen Klassen und ho-
hem Deputat in dem Maße gewährleisten
könnten.
KOMMENTAR
»Segen und Fluch!«
B
ei aller möglichen gewinnbringenden
Perspektive des digitalen Lernens
sollte die Kehrseite dieses Prozesses
nicht aus dem Blick geraten. Denn mit
der Digitalisierung einher geht vielfach
ein Verlust an sozialen Fähigkeiten. Die
Fähigkeit zur Kommunikation mit ande-
ren, zum Respekt gegenüber anderen,
zum Aufbau von Beziehungen, zur Empa-
thie, zur Rücksichtnahme etc.
Machen wir uns nichts vor, die Verän-
derungen im Sozialverhalten sind in vol-
lem Gange, sie sind auch kaum mehr auf-
zuhalten. Dennoch sind wir als Gesell-
schaft darauf angewiesen, diese sozialen
Fähigkeiten in der nachfolgenden Gene-
ration auf allen Ebenen zu entwickeln.
Zum einen aus beruflichen Gründen,
weil zum Beispiel bei der sich fortsetzen-
den digitalen Umgestaltung des Wirt-
schaftslebens in allen Tätigkeitsfeldern
neben fachlichen Voraussetzungen wei-
terhin vor allem auch soziale Fähigkeiten
zählen. Und außerdem, weil es in der
sich verändernden Arbeitswelt bei einer
Fortsetzung des Verlustes an Routinetä-
tigkeiten einen gleichzeitig wachsenden
Bedarf an Arbeitskräften in den so ge-
nannten sozialen Berufen geben wird.
Zum anderen aber auch grundsätzlich,
weil unser soziales und politisches Zu-
sammenleben mehr denn je darauf ange-
wiesen sein wird, erst recht bei sich zu-
nehmend auflösenden gesellschaftlichen
und familiären Strukturen! Eine demokra-
tische Kultur ist ohne eine breite Veranke-
rung von Sozialkompetenz in der Bevölke-
rung nicht denkbar. Die gegenwärtig
praktizierte Meinungs- und Debattenkul-
tur lässt diesen sich abzeichnenden Man-
gel gelegentlich schon deutlich erkennen.
Insofern benötigt der Bildungsbereich
eine Neujustierung und -definition der
Bildungsziele unter den sich verändern-
den Bedingungen der digitalen Welt.
Nicht der digitale Mensch, sondern der
Mensch, der mit digitaler Technik lebt
und umzugehen weiß, sollte das Ziel des
Bildungsprozesses sein. Und bei all dem
Einfluss, den die großen Internetkonzer-
ne inzwischen auf alle Konsumenten
ausüben, darf dabei die Persönlichkeits-
entwicklung und -reifung nicht aus dem
Blick geraten.
Hierzu bedarf es einer pädagogischen
Zielsetzung für die Schule, die nicht nur
technisch vermittelte, sondern auch wei-
terhin zahlreiche lebensnahe, authenti-
sche Erfahrungen in verschiedenen Be-
reichen ermöglicht. Eine unerlässliche
Komponente für den Aufbau einer auto-
nomen Persönlichkeit. Alles andere wäre
ein Schritt in eine ‘selbstverschuldete
Unmündigkeit’ und damit ein drohender
Rückfall in ‘voraufklärerische Zeiten’!
Ulrich Gräler
Die Kehrseite
der digitalen
Medaille:
Lernen auf Distanz
kann auch zu Verein-
zelung und (Selbst-)
Isolation führen. Der
Lebens- und Sozial-
raum Schule als Ort
der Begegnung
bleibt daher ein ele-
mentarer Bestandteil
des Bildungsprozes-
ses und der Persön-
lichkeitsentwicklung.
Foto: AdobeStock/motortion
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
Kinder und Jugendliche
und die Corona-Pandemie
Miteinander Phantasie in der gegenständlichen Welt
ausleben, sich mutig ausprobieren, Neues entdecken:
Diese elementaren Aspekte des Heranwachsens gehen in der Corona-Pandemie
verloren – und fatalerweise auch in der öffentlichen Diskussion darüber.
15
2/2021 · lehrer nrw
Ein Zwischenruf von JOCHEM SCHIRP
D
D
ie erheblichen Folgen der Einschränkungen
durch die Pandemie für die Entwicklung von
Kindern und Jugendlichen geraten weiter-
hin zu wenig in den öffentlichen Blick. Und digitale
Strategien, die zum Allheilmittel stilisiert werden,
greifen allein viel zu kurz, um das Problem der zu-
nehmenden sozialen Ungleichheit, die aus dem
Homeschooling erwächst, zu bewältigen. Die Kin-
der- und Jugendhilfe braucht – spätestens nach der
Pandemie – eine breite Debatte über Gewinne und
Verluste, die die ungebremste Digitalisierung für
das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen
nach sich zieht.
»Der Faktor Zeit spielt in jungen Lebensphasen ei-
ne zentrale Rolle. Ein Jahr im Alltag von jungen
Menschen hat eine andere soziale, qualifikatori-
sche, körperliche und persönliche Entwicklungsdy-
namik als im Erwachsenenalter. Die Folgen der Ein-
schränkungen in der Kindheit und Jugend schrei-
ben sich in den biographischen Verlauf nachhaltig
ein. Deswegen gilt es, die Folgen abzufedern und
auszugleichen.« (Andresen 2020, 1)
In der inzwischen unüberschaubaren Menge an
Diskussionsbeiträgen und Veröffentlichungen
Foto: AdobeStock/Sergey Novikov (SerrNovik) ripicts.com
:
zur Corona-Pandemie sind die vielen Probleme, die sich
für die Altersgruppen der Kinder und Jugendlichen aus
den Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionsraten
ergeben, nur selten und randständig thematisiert wor-
den. Wenn es um die Heranwachsenden ging, dann zu-
nächst primär, um ihre altersspezifische Infektiosität aus-
zuleuchten und daran Überlegungen zur Öffnung bzw.
(Teil-)Schließung von Kitas und Schulen anzuschließen.
In den Medien dominieren Berichte über die besonderen
Belastungen, denen sich die Familien insgesamt vor
dem Hintergrund von Homeoffice und Homeschooling
ausgesetzt sehen. Aber wie tief die beschlossenen Rege-
lungen in die Lebenswelten von Kindern eingreifen und
welche gravierenden Folgewirkungen sie für eine gesun-
de körperliche, psychische und soziale Entwicklung ha-
ben können, darauf wurde und wird nur in vereinzelten
Stellungnahmen vor allem aus dem Bereich der Kinder-
und Jugendmedizin und von Fachverbänden der Kinder-
und Jugendhilfe aufmerksam gemacht (vgl. dazu die
entsprechenden Stellungnahmen der Deutschen Akade-
mie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. oder des Deut-
schen Kinderhilfswerkes, zuletzt die JuCo – Jugend und
Corona – und KiCo – Kinder und Corona – Studien von
Andresen et al.). Eine große öffentliche Aufmerksamkeit
konnten diese und ähnliche Beiträge, die bedauerlicher-
weise wohl vorrangig nur in den entsprechenden Fach-
szenen rezipiert wurden und summa summarum kaum
Einfluss auf die politischen Entscheidungen der jüngeren
Vergangenheit nehmen konnten, jedoch nicht erreichen.
Schule auf Distanz:
noch mehr Bildungsungleichheit
Völlig anders sieht dies bei einer Fragestellung aus, die
einen Teilaspekt des gesamten Belastungsgefüges von
Kindern und Jugendlichen thematisiert: nämlich welche
Bedeutung die Pandemie und ihre Auswirkungen für
die schulische Entwicklung haben. Dieser Aspekt hat die
politische und mediale Öffentlichkeit sehr beschäftigt,
immer wieder auch angefeuert durch bildungsökonomi-
sche Kassandra-Rufe sowie Erkenntnisse der empiri-
schen Bildungsforschung, die nachdrücklich auf beson-
dere soziale Dimensionen aufmerksam machen, wenn
Schule zum Beispiel auf digitale Formate umstellt oder
über einen langen Zeitraum ausfällt. Dabei wird u.a. auf
Studien aus den USA hingewiesen, in denen die Auswir-
kungen der dreimonatigen Sommerferien auf die Leis-
tungen der Schüler untersucht wurden. Wenngleich in
dieser langen Zeitspanne offensichtlich generell einiges
an vorher gelerntem Wissen verloren ging, waren die
Verluste doch bei Kindern aus sozial weniger privilegier-
ten Elternhäusern besonders ausgeprägt. Hier spricht
man vom »summer learning loss« bzw. »summer learning
gap«. Bei den sogenannten bildungsnahen Familien
wachsen gemäß amerikanischen Studien in den Ferien
sogar die Lernkurven in den Bereichen Sprachentwick-
lung und Lesekompetenz (Dumont und Stanat, FAZ vom
30. April 2020). Angesichts der vorhandenen Vielzahl an
Studien und lebenspraktischer Plausibilitäten ist es ei-
gentlich fast schon einigermaßen trivial zu konstatieren,
dass das familiäre Umfeld in erheblicher Weise zu ei-
nem produktiven Bildungsmilieu beitragen kann (oder
auch nicht), und die gegenwärtige Situation deshalb für
Kinder zum Beispiel aus Armutsbedingungen in beson-
derer Weise belastend ist.
Der Berliner Soziologe Andreas Reckwitz hat in diesem
Zusammenhang auf den von der amerikanischen Sozial-
wissenschaftlerin Annette Lareau geprägten Begriff der
»concerted cultivation« zurückgegriffen. Damit ist ge-
meint, dass sich die Bildungsstrategien der Eltern der
neuen Mittelklasse, die eine umfassende familiäre Förde-
rung ihrer Kinder in den Bereichen Musik, Sport, Reisen,
Sprachen, Natur oder ähnliches nach sich ziehen, kom-
plementär zu den institutionellen Bildungsaktivitäten
verhalten und sich an deren schulische Logik anschmie-
gen. Kinder aus ’Problemvierteln’ und in ’Problemschu-
len’ hingegen können auf diese familiären Bildungsres-
sourcen nicht zurückgreifen (Reckwitz 2018, 329 f.).
Digitale Scheinlösungen
Die besondere schulbezogene Belastung dieser Gruppe
von Kindern aus ’bildungsbenachteiligten’ Haushalten
durch die Pandemie hat in den vergangenen Monaten
insofern eine überraschend große Einigkeit quer durch
alle politischen Lager erzeugt, dass es angesichts des
Homeschooling geboten sei, den herkunftsbedingten Un-
gleichheiten im Bildungswesen durch eine Ausstattung
sozial schwacher Familien mit der entsprechenden tech-
nischen Infrastruktur zu begegnen, um so ihre digitale
Teilhabe zu sichern. Denn Homeschooling setzt einen
leistungsfähigen PC, stabiles Internet und einen Drucker
voraus, was die Regelbedarfe bei Hartz IV aber nicht vor-
sehen. Noch heute vertreten die Landessozialgerichte un-
terschiedliche Auffassungen, ob es einen »pandemiebe-
dingten Mehrbedarf« gibt oder der Schulträger, wenn er
auf Digitalunterricht umstellt, eine kostenfreie Leihmög-
lichkeit für die notwendige Technik sicherstellen muss
(FAZ vom 20. Januar 2021). Natürlich ist die Forderung
nach einer gleich verteilten digitalen Medienausstat-
tung für alle Familien unter dem gerechtigkeitstheoreti-
schen Gesichtspunkt sozialer Teilhabe völlig richtig, ganz
unabhängig davon, ob Homeschooling sich überhaupt
als eine sinnvolle Lösung erweist. Erste empirische Unter-
16
2/2021 · lehrer nrw
suchungen sind diesbezüglich nicht gerade ermuti-
gend. Denn insbesondere für die Gruppe der ’lern-
schwachen’ Schülerinnen und Schüler weisen diese
auf die besondere Wichtigkeit des Präsenzunter-
richts (vgl. Tagesspiegel vom 16. November 2020)
ebenso wie auf zahlreiche milieubedingte Handi-
caps vieler Eltern hin, um das Online-Lernen ihrer
Kinder überhaupt förderlich begleiten zu können.
Wenn sich aber das Problem der Bildungsbenach-
teiligung so komplex darstellt – wie hier nur ange-
deutet werden konnte –, dann ist es zwangsläufig
einfach unzureichend und kurzsichtig, den Beitrag
der öffentlichen Hand für eine altersgemäße Ent-
wicklung und Bildung während der Pandemie im
Wesentlichen auf eine mit sozialen Argumenten un-
terfütterte digitale Infrastrukturpolitik zu reduzieren.
Die Frage, wie und unter welchen Bedingungen Kin-
der lernen und sich bilden und insbesondere, wie
dies je nach sozialer Lage unterschiedlich gerahmt
ist, steht dabei nämlich nicht im Mittelpunkt.
Engführungen der Diskussion aufbrechen
Dabei bedarf es zurzeit keines großen analytischen
Scharfsinns, um zu sehen, wie sich vor allem in ent-
sprechenden städtischen bzw. großstädtischen
Quartieren bildungsbezogene Ungleichheiten bei
Kindern vor dem Hintergrund begrenzten Wohn-
raums, begrenzten Zugangs zu Spiel-, Bewegungs-
und Naturräumen, begrenzter familiärer Unterstüt-
zungsstrukturen, rudimentärer Essensversorgung
und vieler anderer Faktoren reproduzieren. Die
Kindheits- und Armutsforschung hat schon lange
auf die risikofördernden Faktoren hingewiesen, die
sich aus den Lebenslagen und mangelhaften Res-
sourcen sozial benachteiligter Familien für kindli-
che Lebenswelten ergeben (s. dazu aktuell auch
Holz und Richter-Kornweitz 2020).
Die gegenwärtige Krise, dies ist zu befürchten,
wirkt als Verstärker wahrscheinlich auch im Hin-
blick auf die destruktiven Effekte und Folgewirkun-
gen, die aus einem Übermaß an unkontrolliertem
Medienkonsum erwachsen. Daten, die nicht anders
gelesen werden können, als dass Heranwachsende
noch mehr als zuvor an den Endgeräten abhängen,
liegen mit der vor wenigen Wochen veröffentlichten
JIM-Studie 2020 bereits vor. Jährlich bildet diese Stu-
die das Medienverhalten von Jugendlichen in
Deutschland ab. So stieg die tägliche Internetnut-
zungsdauer der 12- bis 19-Jährigen von ohnehin
schon hohen 205 Minuten täglich auf 258 Minuten
deutlich. Hinzu kam noch einmal eine durchschnitt-
liche werktägliche Fernsehdauer von mehr als zwei
Stunden. Mehr als sechs Stunden also tägliche indi-
viduelle Mediennutzung, im Durchschnitt!
Dies ist ein beachtlicher Wert, der gleichzeitig auf
ein extremes Missverhältnis hinweist. Bedenkt man,
dass »die Körperlichkeit des Kindes (und grundsätz-
lich – wenn auch in abgeschwächter Form – des/
der Jugendlichen
1
, J.S.) … das Zentrum seiner Persön-
lichkeit und Dreh- und Angelpunkt seiner Existenz«
(Fischer 2010, 118) darstellt und die unterschiedlichen
sozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklungs-
bereiche darauf aufbauen, dann ist es sicherlich evi-
dent, was Kindern und Jugendlichen gegenwärtig
elementar fehlt und worüber generell aber spätes-
tens bei möglichst bald wieder anstehenden ’Locke-
rungsüberlegungen’ dringend nachgedacht wer-
den muss: Was elementar fehlt, ist primär der unmit-
telbare ’physische’, leib-sinnliche Kontakt zu Gleich-
altrigen und zur realen Welt insgesamt. Und es ist
geradezu aberwitzig, dass diese anthropologische
Grunderkenntnis immer wieder in die Diskussion
eingeführt werden und gegen das Mantra der Digi-
talisierungsbetreiber verteidigt werden muss, von
denen nicht wenige aus Wirtschaft und Politik inzwi-
schen schon eine stärkere Versorgung von Kitas und
Grundschulen mit Computerspielen fordern.
2
Wie
sagte der Münchner Humorist und Sprachkünstler
Karl Valentin vor langer Zeit so zutreffend: »Wo alle
dasselbe denken, wird nicht viel gedacht.«
Analoge Erlebnisse und Erfahrungsräume
aufrechterhalten
Wie es gelingen kann, kinder- und jugendgerechte
(Bildungs-)Aktivitäten draußen, im Außengelände
von Einrichtungen und in der Natur bei angemesse-
ner Berücksichtigung von Hygiene- und Abstands-
regelungen umzusetzen, dazu könnte die Kinder-
und Jugendhilfe aktuell einen Beitrag leisten, ja: sie
müsste – neben sicherlich für die Zeit der Pan-
17
2/2021 · lehrer nrw
DER AUTOR
Jochem Schirp ist ehemaliger
Geschäftsführer des bsj Mar-
burg (Verein zur Förderung
bewegungs- und sportorien-
tierter Jugendsozialarbeit e.V.)
und zur Zeit Vorsitzender des
Fachausschusses Jugendar-
beit/Jugendsozialarbeit im
Landesjugendhilfeausschuss Hessen
Foto: privat
18
2/2021 · lehrer nrw
demie unvermeidbaren digitalen Instrumenten – um
jeden unmittelbaren Kontakt zu Kindern und Jugendli-
chen ringen, jeden Tag vor Ort, was sich im Übrigen
auch völlig im Rahmen gegenwärtig gültiger Fassun-
gen der Corona-Kontakt- und Schutzverordnungen, für
das Bundesland Hessen zum Beispiel der Fassung vom
11. Januar 2021, bewegt. Programmatisch zugespitzt
müsste die Frage also lauten, wie es gelingen kann,
möglichst viele analoge Erfahrungsräume für Kinder
und Jugendliche während der anhaltenden Krise auf-
rechtzuerhalten und nicht, wie möglichst schnell auf
vorrangig digitale Formate umgestellt werden kann.
Und es gibt eine Vielzahl offener Kinder- bzw. Jugend-
einrichtungen, die dazu ein umfangreiches Know-how
vorhalten und insbesondere sozial benachteiligte He-
ranwachsende im Rahmen begleiteter pädagogischer
Aktivitäten in kleinen Gruppen dabei unterstützen kön-
nen, sich zu bewegen, die eigene Phantasie in der ge-
genständlichen Welt auszuleben, sich mutig auszupro-
bieren, Neues zu entdecken: also sich zu bilden – in der
gemeinsamen Interaktion mit Gleichaltrigen.
Will man das Prinzip des Schutzes besonders vulnerab-
ler Gruppen, das bei der Bewältigung der Epidemie allen
Bekundungen nach im Vordergrund steht und ganz si-
cher auch in nachpandemischer Zeit im Fokus bleiben
muss, auf den gesamten Bildungsbereich ausdehnen,
dann sollte man zwangsläufig die bisherige Engführung
der Diskussionen auf Homeschooling, Digitalisierung und
das Schulsystem überwinden. Dann müsste aus der Kin-
der- und Jugendhilfe heraus gemeinsam mit einer ver-
antwortlichen kommunalen Politik eine Agenda entwi-
ckelt werden, die darauf abzielt, dass Kinder und Jugend-
liche aus sozial schwachen Familien über einen ’Nach-
teilsausgleich’ eine ihren Lebenslagen entsprechende,
differenzierte Förderung erhalten, damit auch über die
Krise hinaus ihre Folgen sozial einigermaßen ausgegli-
chen werden können (vgl. Andresen et al. 2020, 4).
LITERATUR
Sabine Andresen et al.: Nachteile von Kindern, Jugendlichen und
jungen Erwachsenen ausgleichen. Politische Überlegungen im
Anschluss an die Studien JuCo und KiCo, Hildesheim 2020
Peter Becker: Offenheit der Erfahrung, Bewährung im Abenteuer
und Selbsttätigkeit im praktischen Tun. Zum Konzept einer
körper- und bewegungsorientierten Jugendsozialarbeit,
in: neue praxis, 30. Jg., Heft 5/2000, 472-485
Hanna Dumont und Petra Stanat: Wachsende Ungleichheit.
Ob Schüler zu Hause neues Wissen erwerben und ob sie
über- oder wiederholen, liegt nicht nur an ihnen, sondern
auch an den Eltern, in: FAZ vom 30.April 2020, 7
Tim Engartner und Lisa-Marie Schröder: Apple, Google & Co.:
Kommerz im Klassenzimmer, in: Blätter für deutsche und
internationale Politik, 65 Jg., Heft 7/2020, 45-48
Klaus Fischer: Die Bedeutung der Bewegung für die Bildung und
Entwicklung im (frühen) Kindesalter. In: Schäfer, G.E./ Staege, R./
Meiners, K. (Hrsg.): Kinderwelten – Bildungswelten. Unterwegs zur
Frühpädagogik. Berlin 2010, 118
Gerda Holz und Antje Richter-Kornweitz: Corona-Chronik. Gruppen-
bild ohne (arme) Kinder. Eine Streitschrift, Frankfurt Oktober 2020;
https://www.iss-ffm.de/fileadmin/assets/themenbereiche/
downloads/Corona-Chronik_Streitschrift_final.pdf)
Andreas Reckwitz: Gesellschaft der Singularitäten, Frankfurt 2018
Jürgen Zinnecker: Sportives Kind und jugendliches Körperkapital,
in: Neue Sammlung, 30. Jg., Heft 4/1990, 645-653
Fußnoten
1) Diesen Zusammenhang haben der Siegener Erziehungswissenschaftler Jür-
gen Zinnecker mit seinen Überlegungen zum »jugendlichen Körperkapital«
(1990) und insbesondere der Marburger Sportsoziologe Peter Becker (2000)
aufgegriffen, der – unter anderem bezugnehmend auf die Arbeiten von
Pierre Bourdieu und die Cultural Studies der Birmingham School – von kör-
perbezogenen Lebensstilen bei Jugendlichen spricht.
2) Dabei ist es auch bemerkenswert, welchen ungefilterten und selbstverständ-
lichen Zugang lobbyistische Aktivitäten der Digitalindustrie in Publikations-
formaten der Kinder- und Jugendhilfe erhalten, ohne in diesen entspre-
chend kritisch reflektierend eingeordnet zu werden. Beispiele dafür liefert
das weithin bekannte Fachkräfteportal (FKP) der Arbeitsgemeinschaft für
Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) und von IJAB (Fachstelle für Internationale
Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V.). Allein zwölf Stellung-
nahmen der Bitkom – des Digitalverbandes Deutschlands, der nach eige-
nen Angaben 2.700 Unternehmen der digitalen Wirtschaft vertritt, darunter
»nahezu alle globalen Player« – verzeichnet das FKP im Zeitraum zwischen
Juni 2020 und Januar 2021; darunter Papiere mit den Titeln: »Bitkom fordert
das Recht auf digitale Bildung«, »Bitkom fordert zügigen Aufbau einer natio-
nalen Bildungsplattform«, »Bitkom präsentiert zehn Lehren aus der Corona-
Krise für einen digitalen Staat«. Nun mag einem schon angst und bange
werden, wenn frank und frei zum Beispiel über einen digitalen Staat fabu-
liert wird. Umso irritierender ist es, dass an zentralen Schnittstellen tätige Ak-
teure der Kinder- und Jugendhilfe die interessengeleiteten Forderungen der
Bitkom, die auf eine weitere digitalökonomische Kolonialisierung und Kom-
modifizierung von Lebens- und Bildungswelten hinauslaufen, scheinbar als
Naturgesetz begreifen und die Stellungnahmen völlig unkommentiert wei-
terleiten, als würden sie sich durch eine neutrale, wissenschaftlich begrün-
dete Fachexpertise auszeichnen. Es erweist sich als großes Problem, dass ei-
ne offene, kritische Debatte über Gewinne und Verluste der Digitalisierung
für das Aufwachsen – jenseits von eher reaktiv gelagerten medienpädago-
gischen Thematisierungen – in der Kinder- und Jugendhilfe und ihren
Bezugswissenschaften bisher nicht geführt worden ist (vgl. dagegen zum
Beispiel zum Handlungsfeld Schule Engartner et al. 2020 und die Publikatio-
nen sowie Positionspapiere rund um das Bündnis für humane Bildung
www.aufwach-s-en.de oder die Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V.; s.
auch die soziologisch und psychoanalytisch gerahmten wissenschaftlichen
Ansätze von Sherry Turkle, Vera King u.a. zuletzt in Psyche. Zeitschrift für Psy-
choanalyse 9/10, 2019). Auch eine solche Debatte, die die blinden Flecken
der Digitalisierung in den Blick nimmt, aber gleichzeitig platte Kulturkritik
vermeidet, ist spätestens nach der Pandemie dringend erforderlich.
ZUGRIFF AUF
FAZ vom 20. Januar 2021: https://www.faz.net/einspruch/justiz/
landessozialgericht-thueringen-schulcomputer-vom-jobcenter-
17154889.html
Jugendhilfeportal vom 11. Februar 2021: https://www.jugendhilfe-
portal.de/suche/?tx_fkpcore_searchv2%5Bcontroller%5D=Se-
arch&cHash=7209e37d958d8cc600ee6b2e3baa4718#ergebnis
Tagesspiegel vom 16. November 2020; https://www.tagesspiegel.
de/wissen/homeschooling-in-der-coronakrise-hohe-lernverluste-
durch-schulschliessungen/26628096.html
BATTEL HILFT
19
2/2021 ·
lehrer nrw
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan
Battel
ist seit 2007
niedergelassener
Facharzt für Kinder-
und Jugendpsychia-
trie und -psychothe-
rapie mit eigener
Praxis in Hürth bei
Köln und seit 2012
systemischer Famili-
entherapeut (DGSF).
Im Rahmen des
lehrer nrw
-Fortbil-
dungsprogramms
greift er in einer Vor-
tragsreihe regelmä-
ßig verschiedene
Themen aus dem
Bereich der Jugend-
psychologie auf.
Foto: Andreas Endermann
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in
seiner Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem
Lehreralltag. Diesmal geht es um die Auswirkungen des
Lockdowns auf Kinder und Jugendliche.
I
I
n den achtziger Jahren entwickelte der
Entwicklungspsychologe Edward
Tronick zusammen mit dem Kinder-
und Jugendmediziner Thomas Berry Bra-
zelton die sogenannte Still-face-Methode.
Hierbei wird eine liebevolle Kontaktsitua-
tion von Angesicht zu Angesicht zwischen
Bezugsperson und Kind für eine kleine
Weile unterbrochen. Die Mutter wendet
sich ab und zeigt dem Kind dann ein ver-
steinertes ausdrucksloses Gesicht. Das
Kind reagiert darauf in verschiedenen
Phasen. Zunächst versucht es mit unter-
schiedlichen Methoden wieder die Auf-
merksamkeit der Mutter zu bekommen,
schließlich reagiert es mit körperlichem
und emotionalem Rückzug oder mit ex-
pansivem Verhalten (Anmerkung des Au-
tors). Die Situation simuliert Interaktionen
depressiver Mütter oder aus anderen
Gründen unsicher gebundene, nicht aus-
reichend feinfühlige Mütter. Langfristig
können derartige Abbrüche, Vernachlässi-
gungen und Misshandlungen zu Kontakt-
störungen und tieferen psychischen Stö-
rungen führen.
In einem Vortrag fasst Tronick die essen-
ziellen Postulate seiner Arbeit so zusam-
men: »Das gemeinsame, ko-kreative Schaf-
fen eines neuen Sinns stellt die Beziehung
her. Es ist nicht die Beziehung, die den
Sinn erzeugt. Es mag notwendig sein, ‘mit
dem anderen zu sein‘, ‘empathisch zu
sein‘, ‘präsent zu sein‘, all das ist aber
nicht ausreichend, um eine Beziehung auf-
zubauen oder eine therapeutische Verän-
derung einzuleiten. Ein aktiver gemeinsa-
mer dyadischer Bewusstseinszustand, das
Erzeugen eines neuen Sinns, initiiert den
Veränderungsprozess, den Prozess des Be-
ziehungsaufbaus und erlaubt es, den ande-
ren kennenzulernen.« (Quelle: Wikipedia)
Liebe LehrerInnen, sollten Sie in der
nächsten Zeit Schüler erleben, die zuneh-
mend im Erleben auffälliger erscheinen,
und Sie denken spontan an ADHS, emotio-
nale Störung mit auffälligen Sozialverhal-
ten, Autismus-Spektrum-Störung, depres-
sive Störung etc., so schicken sie diese
nicht direkt in eine Kinder- und Jugend-
psychiatrische Praxis oder Psychotherapie-
praxis. Es könnte hierfür auch andere Er-
klärungen unter den Bedingungen der jet-
zigen Lebensweise bzw. Schulsituation ge-
ben.
Bieten wir den Kindern Beziehung im
dreidimensionalen Raum an. Zeigen wir
unseren Kindern und Jugendlichen, dass
wir wahrhaftig sind, dass wir unter ande-
rem dazu da sind, Ängste zu nehmen bzw.
diese in einen adäquaten Rahmen zu stel-
len und die Kinder und Jugendlichen in
diesen Zeiten zu ermutigen, sich im ge-
meinsamen Miteinander mit uns auszu-
tauschen. Ermutigen wir und interpretie-
ren sogenannte ’störende’ Verhaltenswei-
sen auf den von mir oben beschriebenen
’Ist-Zustand’. Im Übrigen sollten wir die-
ses auch mit uns selbst machen. Lassen
Sie uns nicht im Still-Face verharren, son-
dern begegnen wir uns mit einem ’anima-
ted face’.
Still-face-Experiment
SCHULE & POLITIK
lehrer nrw ·
2/2021
20
Soft Skills in Zeiten
der Corona-Krise
Gastbeitrag: Warum Empathie von Pädagogen
gerade heute so wichtig ist.
Z
Z
urzeit dreht sich in der Schule alles
um Corona und um die dadurch be-
dingten Umstände: Maskenpflicht,
Hygienekonzept, Abstandsregelungen, Dis-
tanzunterricht, Digitalisierung, Bereitstel-
lung von genügend Tablets, funktionieren-
des Internet usw. Es geht darum, die Schu-
len irgendwie am Laufen zu halten und eine
Schulschließung möglichst zu vermeiden.
Ich habe großen Respekt vor allen Schülern
und Lehrern, die unter diesen schwierigen,
sich täglich oder wöchentlich verändernden
Bedingungen lernen und lehren müssen.
Was aber in dieser ganzen Aufregung
vollkommen auf der Strecke bleibt, ist die
eigentliche Pädagogik, die auch in Corona-
Zeiten eine Bindungsbildung bleiben muss.
Die Pädagogik sollte stets ein doppeltes Ziel
verfolgen: Den Schülern einerseits Fachwis-
sen und Kompetenzen zu vermitteln (Bil-
dungsziel I) und sie zugleich bei ihrem Pro-
zess der Persönlichkeitsentwicklung, Cha-
rakter- und Herzensbildung sowie in der
Werteerziehung zu begleiten – auf ihrem
Weg durch ihre Pubertät und hin zum Er-
wachsenwerden (Bildungsziel II). Darin sehe
ich unsere eigentliche pädagogische Aufga-
be als Lehrer, auch wenn diese nicht so
leicht greifbar und messbar ist wie etwa die
Versorgung jedes Schülers mit einem neuen
Tablet.
Digitalisierung
versus Pädagogik?
Denn unsere Schüler sind eben keine kalten,
digitalisierten, nur hirnig ausgerichteten
Lernroboter, sondern Jugendliche in ihrer
Entwicklung: in ihrer bisweilen mühsamen
und langwierigen Persönlichkeitsentwick-
lung. Und das in Zeiten einer als immer un-
sicherer empfundenen globalisierten Welt,
die von Terrorangst, Handelskriegen, von
der berechtigten Angst ums Weltklima und
eben vom Corona-Virus beherrscht wird.
Natürlich wird von uns Lehrern erwartet,
dass wir uns der digitalen Entwicklung an
den Schulen stellen und die uns anvertrau-
ten Schüler Wissens-fit und Technik-kompe-
tent für die Zukunft in einer sich immer
schneller drehenden Welt machen – auch in
der Corona-Krise, in der die Digitalisierung
gerade einen kräftigen Schub nach vorne er-
fährt. Als Pädagoge mit vierzigjähriger Be-
rufserfahrung möchte ich jedoch einen lei-
denschaftlichen Appell an meine Lehrer-Kol-
legen, sowie an alle Bildungspolitiker und
’Lehrplan-Macher’ richten: »Vergesst jetzt
die Pädagogik nicht!«
Weiche Faktoren in der
Pädagogik bleiben gefragt
Mit ’weichen’ Faktoren in der Pädagogik
meine ich vor allem ’Soft Skills’ wie Mitge-
fühl, Liebe und Empathie unseren Schülern
gegenüber. Diese Eigenschaften sind mehr
gefragt denn je, auch wenn sie schlecht
messbar und schon gar nicht operationali-
sierbar sind. Gerade in uns Lehrern suchen
die Schüler einen Menschen,
der ihnen neben der Wissensvermittlung
Orientierung gibt – auf ihrem Weg durch
die Pubertät und hin zum Erwachsensein;
der ihnen notwendige Grenzen setzt und
Leitplanken bietet, wenn sie über das Ziel
hinausschießen;
der Geduld und Mitgefühl zeigt, wenn sie
Probleme haben – etwa weil sich die El-
tern gerade trennen, eine Beziehung zer-
brochen ist, Opa oder Oma gestorben
sind oder weil sich ein schulischer Misser-
folg eingestellt hat;
der sie – einem Magier gleich – immer
wieder durch seine Fächer, Themen und
Projekte begeistern, aufbauen und vor
allem emotional erreichen kann;
der eben Empathie-fähig ist, einen guten
Draht zu ihnen hat und der ihnen in unse-
rer schnelllebigen Zeit ein Anker ist, an
dem sie sich immer festhalten können;
der auch im digitalen Zeitalter die Einstel-
lung beherzigt: »Erziehung durch Bezie-
hung«.
DER AUTOR
Peter Maier ist Gymnasiallehrer a.D., Initiations-
Mentor und Autor. Er unterrichtete seit 1981
an Gymnasien in Bayern.
Er ist Autor des Buches ’Schule – Quo Vadis?
Plädoyer für eine Pädagogik des Herzens’.
Softcover
: epubli Berlin | 2. Auflage 2016
ISBN 978-3-95645-659-6 | Preis: 20,99 Euro
eBook
: epubli Berlin 2020 | ISBN 978-3-752956-93-1
Preis: 12,99 Euro
Weitere Infos und Buch-Bezug:
www.initiation-erwachsenwerden.de
SCHULE & POLITIK
Endlich ein
Dienstgerät …
… aber wer trägt nun die Verantwortung?
I
I
mmer mehr Lehrkräfte in Nordrhein-
Westfalen werden mit dienstlichen
Endgeräten, Laptops oder iPads, aus-
gestattet. Beschafft werden die Geräte
über die Schulträger, die Mittel stammen
zur Zeit vorwiegend aus dem Digitalpakt.
Die Ausstattung der Lehrerinnen und Leh-
rer mit der entsprechenden Technik, um
sowohl Präsenz- als auch Distanzunter-
richt bewerkstelligen zu können, war lan-
ge überfällig. Etwaige Fragen, ob und in-
wieweit eine Lehrkraft ihr privates Gerät
benutzen darf oder sollte, scheinen damit
überflüssig. Dafür tauchen andere auf,
vor allem im Zusammenhang mit den
Nutzungsbedingungen beziehungsweise
Leihverträgen für die Dienstgeräte. Ausge-
geben werden die Geräte von den Schul-
trägern in Verbindung mit Verträgen, die
diese erstellt haben. Diese sind oftmals
aber mit Haftungsklauseln versehen, die
schwerlich als zumutbar zu bezeichnen
sind. Erfreulicherweise haben einige
Schulträger ihre Verträge geändert,
nachdem Mitglieder von
lehrer nrw
Anmerkungen und Bedenken unseres
Verbandes überbracht hatten.
Das Thema, das Lehrerinnen und Lehrer
letztlich hauptsächlich bewegt, ist die Fra-
ge der Haftung bei Beschädigung oder Ver-
lust des Dienstgerätes in den Händen der
einzelnen Lehrkraft. Persönlich kann eine
Lehrkraft nur dann von Gesetzes wegen in
Anspruch genommen werden, wenn sie
bei Beschädigung oder Verlust vorsätzlich
oder grob fahrlässig gehandelt hat
1
. Grob
fahrlässig handelt, wer die im Rechts- oder
Geschäftsverkehr übliche Sorgfalt in be-
sonderem Maß außer Acht lässt. Bei einer
Inanspruchnahme wegen grober Fahrläs-
sigkeit sind Mitglieder von
lehrer nrw
jedoch durch die inkludierte Diensthaft-
pflichtversicherung geschützt, das heißt
diese kann den Schaden regulieren. Wen-
den Sie sich im Falle des Falles an die Ge-
schäftsstelle.
Kleines Malheur:
Wer sein dienstliches Tab-
let oder ein anderes End-
gerät beschädigt, kann
nur bei Vorsatz oder gro-
ber Fahrlässigkeit in Haf-
tung genommen werden.
lehrer nrw
-Mitglieder sind
bei grober Fahrlässigkeit
zudem über ihre Dienst-
haftpflichtversicherung
geschützt.
Foto: AdobeStock/Andrey Popo
von CHRISTOPHER LANGE
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
1 Das Land als Anstellungskörperschaft und Dienstherr müsste den Schaden des Schulträgers bei dem Beschäftigten geltend
machen (nach den Grundsätzen der sogenannten ’Drittschadensliquidation’ statt nach direkter Anwendung der Amtshaf-
tungsgrundsätze nach § 838 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG; § 48 BeamtenstatusG; § 3 Absatz 7 TV-L). Etwaige ’frei-
willige Haftungsübernahmen’, ’Schadenspauschalen’ oder ähnliches von bis zu 250 Euro, wie sie vor allem anfangs in Nut-
zungsbedingungen zu finden waren, irritieren schon allein deshalb, weil sie im Grunde implizieren, dass Lehrkräfte nicht in
der Lage seien, mit hinreichender Sorgfalt mit einem Dienstgerät umzugehen. Es scheint fast, als sollten sie auf diesem We-
ge dazu geradezu erzogen werden.
Nejla Akan:
Das packst Du sowieso nicht! Von wegen!
22
SCHULE & POLITIK
Zwei
Entfaltungsgeschichten
Aus Anlass seines 75-jährigen Jubiläums sucht und prämiert der Cornelsen Verlag ’Mutmach-
Geschichten’, die davon erzählen, wie junge Menschen auch unter teils schwierigen Voraussetzun-
gen erfolgreiche Bildungsbiografien gestalten können. So wie Nejla Akan und Noel Schäfer.
Foto: CBE DIGIDEN
6,8 Prozent der Kinder in Deutschland verlassen die
Schule ohne Abschluss. Bei den Kindern mit Zuwande-
rungsgeschichte sind es fast elf Prozent. Keine guten
Aussichten für ein siebenjähriges Mädchen, das gerade
nach Deutschland gekommen war, kein Wort der neuen
Sprache verstand und in einem Asylheim in Lüdenscheid
lebte. Und doch kam alles anders.
Denn heute unterrichtet diese nun junge Frau Deutsch
und Sport am Ricarda-Huch-Gymnasium in Gelsenkir-
chen. Wie kam es dazu? Zunächst schien ihr Weg vorge-
zeichnet. »Das packst du sowieso nicht.« Ein Satz, an
den sich Nejla Akan heute noch gut erinnern kann. Denn
niemand traute ihr Erfolg in der Schule zu. Nun ja, nie-
mand, bis auf einen: Michael Wirth.
»Er war die Person, auf die wir uns immer verlassen
konnten«, erzählt Nejla Akan. Der Sozialarbeiter besucht
die Familie regelmäßig im Asylheim. Er fragt nach, ist in-
teressiert an ihrer Lebensgeschichte. Nejlas Bildung ist
ihm von Anfang an wichtig. Und eines Tages drückt er ihr
einen Flyer in die Hand mit Informationen über ein Schü-
lerstipendium. Er sagt nur zwei Worte: »Bewirb dich.«
Und damit wagt Nejla den Schritt in Richtung Abitur.
Seine Zuversicht hatte ihr den Rücken gestärkt. Als sie jetzt
überraschend ihren damaligen Mutmacher wiedersieht,
gibt es Freudentränen. »Du bist Lehrerin geworden – da-
mit bist du auch ein großes Vorbild für andere. Du hast es
geschafft«, sagt Michael Wirth. »Aber nur mit einem Men-
schen, der an mich glaubte«, ergänzt Nejla Akan.
Nejla Akan
kam mit sieben Jahren und ohne ein Wort deutsch
zu sprechen nach Deutschland. Heute ist sie Gymnasiallehrerin –
auch, weil Michael Wirth sie unterstützte und ermutigte.
SCHULE & POLITIK
23
2/2021 ·
lehrer nrw
WEITERE MUTMACH-GESCHICHTEN GESUCHT
Nejla Akans und Noel Schäfers
Geschichten zeigen, wie ent-
scheidend andere Menschen
für die eigene Bildungsbiogra-
fie sein können, wenn sie er-
mutigen, wenn sie bestärken,
oder wenn sie auf den richti-
gen Weg zeigen. Und es gibt
vieler solcher Geschichten:
Über Personen, die Mut ma-
chen, die die Potenziale ande-
rer – zum Beispiel ihrer Schü-
lerinnen und Schüler – erken-
nen und fördern, die ihnen
den Blick öffnen für ihre Zu-
kunft.
Diese Geschichten sollten
erzählt werden, meint der
Cornelsen Verlag, der in die-
sem Jahr sein 75. Jubiläum fei-
ert. 5,5 Millionen Schulbücher
hat der Verlag bisher verkauft.
Denn gute Lernmaterialien
sind unverzichtbar für eine
gute Bildung. Aber es braucht
noch mehr, es braucht Men-
schen – begeisterte Lehrende,
engagierte Vorbilder oder
kompetente Mentorinnen und
Mentoren. Einige ehemalige
Schülerinnen und Schüler ha-
ben vor der Kamera von sol-
chen Erfahrungen berichtet
und dann überraschend die
Menschen wiedergetroffen,
die sie damals unterstützt ha-
ben. Jetzt sucht der Verlag
noch mehr Geschichten vom
Mut machen. Monatlich war-
ten Gewinne auf die Einsende-
rinnen und Einsender und am
Ende werden drei Hauptge-
winne ausgelost – inklusive
Veröffentlichung auf den Soci-
al-Media-Kanälen des Verlags.
www.cornelsen.de/
75-jahre/mitmachen
Weitere Entfaltungsgeschich-
ten junger Menschen aus an-
deren Teilen Deutschlands, die
überraschend ihre Mutmache-
rinnen und Mutmacher wie-
dersehen, gibt es hier:
www.cornelsen.de/ 75-jah-
re/entfaltungsgeschichten
Noel Schäfer:
Vom Schüler zum Unternehmer
Im Laufe der Schulzeit soll sich auch der eigene Berufs-
wunsch herauskristallisieren: Was will ich studieren, wel-
che Ausbildung will ich machen? Manchmal ist aber der
Weg vom Schüler zum Unternehmer sehr kurz. So wie bei
Noel Schäfer aus Moers. Einen großen Anteil an dieser
ungewöhnlichen Geschichte hatte seine Klassenlehrerin.
»Ich saß in ihrem Unterricht zum Thema Unternehmer-
tum und habe gemerkt: So ein Hexenwerk ist es ja gar
nicht«, erinnert sich der 25-Jährige heute. Seine Klassen-
lehrerin unterstützt seine Idee, einen Businessplan für ei-
ne App-Entwicklungsagentur zu machen. Und sie sagt ei-
nen entscheidenden Satz: »Nimm das ernst, sieh es als
Chance, tob‘ dich aus.« Das tat er. Das Ergebnis begeis-
terte seine Lehrerin, und sie ermutigte ihn, weiterzuma-
chen.
Obwohl die Eltern den Plänen ihres Sohnes mit Skepsis
begegnen, setzt Noel Schäfer sie um und gründet nach
dem Abitur eine App-Entwicklungsagentur. Mittlerweile
studiert der Jungunternehmer außerdem im Masterstudiengang ’Innopreneurship’ an der Universität Duisburg-
Essen. Bei dem spontanen Telefonat mit seiner ehemaligen Klassenlehrerin muss er ihr unbedingt sagen, wie
wichtig ihre Unterstützung für ihn war. »Das war das entscheidende Puzzleteil.« Und sie erinnert sich, dass sie
bereits früh gemerkt hat, in welche Richtung sein Weg gehen würde. »Das war etwas Besonderes. Du wolltest
vieles, du hast viel gelernt und du konntest gut mit Kritik umgehen – das war sehr wichtig.«
Noel Schäfer
hatte als Schüler eine Idee, die fast
alle verrückt fanden – nur seine Klassenlehrerin nicht.
Foto: CBE DIGIDEN
lehrer nrw ·
2/2021
24
SCHULE & POLITIK
Mangel an MINT-Lehrkräften in
NRW wächst dramatisch
In zehn Jahren ist nur noch ein Drittel der benötigten MINT-Fachlehrkräfte verfügbar.
Dies prognostiziert der Bildungswissenschaftler Dr. Klaus Klemm und hält
ein dringendes Gegensteuern für mehr MINT-Lehramtsabsolventen für nötig.
D
D
er bestehende Lehrkräftemangel in
den MINT-Fächern – Mathematik,
Informatik, Naturwissenschaften,
Technik – droht, sich massiv auszuwach-
sen: Allein im bevölkerungsreichsten Bun-
desland Nordrhein-Westfalen werden bis
zum Schuljahr 2030/2031 in den weiter-
führenden allgemeinbildenden Schulen
zwei Drittel der benötigten Fachlehrkräfte
fehlen. So lautet eine aktuelle Prognose,
die der Bildungswissenschaftler Klaus
Klemm im Auftrag der Deutsche Telekom
Stiftung erstellt hat. Gründe dafür sind die
stark steigenden Schülerzahlen und weni-
ger MINT-Lehrkräftenachwuchs. Die Er-
gebnisse für Nordrhein-Westfalen dürften
sich auf ganz Deutschland übertragen las-
sen, heißt es in der Pressemitteilung zu
der Erhebung.
Bedarfsdeckung
sinkt drastisch
In seiner Studie kommt Klemm zu deutlich
negativeren Aussichten als noch in einer
letzten Berechnung 2014. Damals lag die
voraussichtliche Bedarfsdeckungsquote
für alle MINT-Fächer zusammen bis
2025/2026 bei immerhin zwei Dritteln.
Nach derzeitiger Datenlage rutschen nun
auch die Prognosen für vermeintlich soli-
de Fächer stark ab: War für die Mathema-
tik im Jahr 2014 noch eine Bedarfsde-
ckung von 94 Prozent im Schuljahr
2025/2026 zu erwarten, sinkt diese auf
voraussichtlich 43 Prozent im Schuljahr
2030/2031; in Biologie von 93 Prozent auf
Grafik: Deutsche Telekom Stiftung
Nochmal schlechtere Aussichten
für den MINT-Unterricht:
Bedarfsquoten (in Prozent) der Prognosen 2014 (für
das Schuljahr 2025/26) und 2020 (für 2030/31) sowie
Veränderung dieser Quoten (in Prozentpunkten)
SCHULE & POLITIK
Und auch die Unterstützung von Seiten-
und Quereinsteigern muss stärker in den
Fokus rücken.«
Dr. Klaus Klemm, emeritierter Professor
an der Universität Duisburg-Essen, be-
tont: »Die Kultusministerkonferenz hat
schon 2009 in ihren Empfehlungen fest-
gehalten, dass mehr Werbung für den
Lehrerberuf gerade in MINT-Fächern nö-
tig sei. Das gilt heute mehr denn je. An-
gesichts der inzwischen wieder steigen-
den Schülerzahlen werden absehbar
mehr MINT-Lehrkräfte gebraucht als zur
44 Prozent. Und die ohnehin schon dünne
Versorgungslage in den Fächern Informa-
tik und Technik droht, sich nochmals dras-
tisch zu verschlechtern: in der Informatik
auf sechs Prozent (2014: 25 Prozent), in
Technik auf vier Prozent (2014: zehn Pro-
zent).
»Fünf nach Zwölf«
»Die Studienergebnisse zeigen, dass es
nicht mehr fünf vor, sondern fünf nach
Zwölf ist, was qualifizierten Lehrernach-
wuchs in den so wichtigen MINT-Fächern
angeht«, sagt Dr. Thomas de Maizière,
Vorsitzender der Deutsche Telekom Stif-
tung. »Hier müssen Politik und Hochschu-
len schnellstens handeln und dafür sor-
gen, dass das Prognostizierte nicht Reali-
tät wird. MINT-Lehramtskandidaten soll-
ten bestmögliche Studienbedingungen
vorfinden, damit sich mehr junge Men-
schen für diesen Karriereweg begeistern.
INFO
Eine Zusammenfassung der Studien-
ergebnisse von Klaus Klemm, der
komplette Bericht sowie Grafiken
finden sich im Internet unter
www.telekom-stiftung.de/
lehrkraeftemangel.de
.
Verfügung stehen. Es muss daher unbe-
dingt gelingen, die an einem Lehramts-
studium Interessierten für die Wahl min-
destens eines MINT-Fachs zu gewinnen.
Auch deutlich niedrigere Studienabbre-
cherquoten würden helfen.«
Maßnahmenpaket
empfohlen
Weitere Maßnahmen, die nach Meinung
von Klaus Klemm dem MINT-Lehrkräfte-
mangel kurz- und langfristig entgegenwir-
ken könnten, sind der Einsatz von ange-
henden Lehrkräften (Referendaren) im Un-
terricht, von entsprechend qualifizierten
Seiten- und Quereinsteigern oder von Ex-
perten aus Wirtschaft und Wissenschaft,
die an den Schulen beschäftigt werden.
Aus Sicht der Telekom-Stiftung ist es zu-
dem zentral wichtig, dass die Hochschulen
den personellen Ausbau der MINT-Fachdi-
daktiken vorantreiben.
s kommt einem manchmal so vor, als würde da ein
Bröckchen hingeworfen werden, damit man ein-
fach die Klappe hält. In keinem Betrieb kommt das
vor, was man in der Schule von Lehrer*innen erwartet, um gute
Arbeit zu leisten.
Übertragen wir die Situation einmal auf einen Handwerksbe-
trieb:
Der Mitarbeiter fährt morgens zur Firma und holt den Auf-
tragsschein ab. Fährt dann nach Hause und besorgt das geeig-
nete Werkzeug – aus seinem privaten Fundus – und fährt dann
zum Großmarkt und bezahlt von seinem eigenen Geld die Ma-
terialien. Fährt zum Kunden, erledigt den Auftrag und lässt die
Rechnung für den Chef da, dahin überweist auch der Kunde
das Geld. Ach so, die Ausgaben für Maschinen und Verbrauchs-
materialien könne sich der Mitarbeiter über die Steuer wieder-
holen, aber nur in einem geringen Anteil. Wenn es einen so
dummen Mitarbeiter gäbe, den würde jeder Chef mit Kusshand
nehmen. Aber in einem normalen Betrieb würde das kein Mitar-
beiter mitmachen.
Nur wir, die dummen Lehrer*innen, machen das: Tag für Tag,
weil wir einen guten qualitativen Unterricht bieten möchten, und
das seit Jahren! Eine Aufwandspauschale für Verbrauchsmaterial,
wie Stifte, Druckerpatronen, Papier etc., gibt es nicht. Auch be-
kommen wir das nach wie vor nicht von unserem Brötchengeber
gestellt, obwohl wir es für ihn verwenden. In jeder Etage in den
Elfenbeintürmchen gibt es Materialkammern, wie in jeder ande-
ren Behörde auch. Nur wir Lehrer*innen sollen alles selber be-
zahlen oder aber auf qualitativen Unterricht verzichten!?
Liebes Ministerium, nach Jahren der finanziellen Ausbeutung –
was die Materialanschaffungen angeht – besteht hier dringender
Nachholbedarf. Denn auch das hat etwas mit Wertschätzung zu
tun, ist aber leider schon immer in den Riegen des Ministeriums
und der Bezirksregierungen ein Fremdwort gewesen. Leider.
Das solltet ihr mal ändern, gerade in so undurchsichtigen
Zeiten.
Euer alter Kollege
Ferdinand Kümmertsich
Wer soll das
bezahlen?
Na,wer wohl?
Der Kollege Ferdinand Kümmertsich ist gestählt durch unzählige Schlachten
in Konferenzen, Bezirksregierungsbüros und Elternsprechtagen. Mit reichlich
Berufs- und Lebenserfahrung ausgestattet, blickt er mit einem Augenzwinkern
auf den ganz normalen Wahnsinn des Systems Schule.
Ferdinand Kümmertsich
lehrer nrw ·
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KOLUMNE
Wer soll das
bezahlen?
Na,wer wohl?
Corona bremst
Jahresplanung
N
och sind keine konkreten Planungen für das Jahr 2021 möglich.
In einem Online-Arbeitstreffen des Referats Senioren wurden ei-
nige Ideen für mögliche Exkursionen, Besichtigungen und Kurzreisen
gesammelt. Darunter sind zum Beispiel eine Besichtigung der Bayer-
Werke in Wuppertal, Besuche beim WDR in Köln oder des Landtags
in Düsseldorf, Exkursionen nach Siegen, ins Bergbaumuseum Sas-
senroth oder ein Besuch des botanischen Schulgartens in Lüding-
hausen mit anschließender Burgenbesichtigung. Auch eine Kurzreise
in den Harz mit dem Standort Wernigerode ist angedacht. Sobald es
die Pandemie-Lage erlaubt, soll das Programm konkretisiert und die
Termine fixiert werden. Fest steht bisher nur die IT-Fortbildung für
Senioren in Königswinter (siehe gesonderte Meldung).
Neuregelung bei der Beihilfe
M
M
it der Neunten Änderungsverordnung sind zum 1. Januar 2021 wichtige Neuerungen und Konkretisierungen zur Erstattungsfähigkeit
von Aufwendungen und damit zur Geltendmachung von Beihilfeleistungen in Kraft getreten.
Hervorzuheben ist insbesondere die Anhebung der Einkommensgrenze auf 20000 Euro für die Berücksichtigungsfähigkeit der Aufwendun-
gen von Ehegattinnen, Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern. Konkretisiert werden die Regelungen zur Erstattungsfähigkeit
von Fahrtkosten und der Aufwendungen bei Rehabilitationsmaßnahmen. Weitere Regelungen aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenver-
sicherung, zum Beispiel zu Leistungen der Psychotherapie, werden wirkungsgleich bzw. in Anlehnung an diese in die BBhV übertragen.
Eine Liste der Änderungen findet sich im Internet unter
https://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bundesbedienstete/Gesundheit-Vorsorge/Beihilfe/Merkblaetter/info_9_AendVO.pdf?__blob=publicationFile&v=
Konrad Dahlmann
IT-Fortbildung: Zoom, Skype, Office und Gimp
Foto: AdobeStock/Mistervlad
V
V
om 5. bis 7. Mai findet die alljährliche IT-Fortbildung für Senioren
in der dbb-akademie in Königswinter-Thomasberg (An der Her-
renwiese 14) statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen den
Umgang mit den kostenlosen digitalen Plattformen am Beispiel von
Zoom und Skype. Zudem vermittelt Referentin Pia di Lauro die neuen
Funktionen von Office 2019 – von Word, Excel und PowerPoint bis
hin zum Cloud-Dienst OneDrive. Ein weiteres Thema ist die einfache
Arbeit mit dem frei verfügbaren Bildbearbeitungsprogramm GIMP.
Die Seminargebühr beträgt 150 Euro für
lehrer nrw
-Mitglieder
und 200 Euro für sonstige Teilnehmer
ANMELDUNG
Bis zum 31. März 2021 in der Geschäftsstelle unter Telefon 02 11/1640971 oder E-Mail info@lehrernrw.de oder online
mit diesem Link:
www.lehrernrw.de/ fortbildungen/fortbildung-anmeldung.html?action=book&event=373
Wernigerode, »die bunte
Stadt am Harz« könnte in diesem
Jahr Ziel einer Kurzreise sein – wenn es
die Corona-Lage erlaubt.
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lehrer nrw
SENIOREN
lehrer nrw ·
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RECHT
§
AUSLEGER
Was macht der Fremde da auf
meinem Bildschirm?
Videokonferenzen ersetzen den Präsenzunterricht, werden aber durch Dritte auf teilweise
kriminelle Weise gestört. Wie der virtuelle Klassenraum geschützt werden kann.
D
D
istanz- statt Präsenzunterricht ist
eines der grundlegenden und pro-
baten Mittel, um auch in Zeiten der
Corona-Pandemie dem Bildungsauftrag ge-
genüber Schülerinnen und Schülern nach-
kommen zu können. Im Zuge dessen haben
Kinder und Jugendliche oftmals mehr Vi-
deokonferenzen als ein Top-Manager bezie-
hungsweise die Eltern im Home-Office di-
rekt im Zimmer nebenan.
’Video-Bombing’ sprengt
Distanzunterricht
Wer beim Überdenken möglicher Schwie-
rigkeiten schon vorausgeahnt hat, dass im
virtuellen Klassenraum die sprichwörtlichen
Tücken der Technik auf Lehrkräfte und
Schülerinnen und Schüler warten, übersieht
eine weitere Problematik, die unter dem
schillernden Namen ’Video-Bombing’ im-
mer bekannter wird. Dieses neuartige Phä-
nomen bezeichnet die Situation, dass unge-
betene Personen an Online-Konferenzen
teilnehmen, um schlicht mitzuhören oder
sogar, um den regulären Teilnehmerinnen
und Teilnehmern unangemessene Inhalte
wie zum Beispiel strafrechtlich relevante
Bilder oder Videos vorzuspielen.
Es sind mittlerweile an verschiedenen
Schulen Vorkommnisse bekannt geworden,
bei denen Lehrkräfte oder Schülerinnen
und Schüler aus Chatrooms entfernt wor-
den sind und den restlichen Teilnehmerin-
nen und Teilnehmern pornografische Auf-
nahmen gezeigt wurden. Zurückzuführen
sind diese Vorgänge mutmaßlich auf unbe-
kannte Dritte, die sich offenbar Zutritt zu
den Online-Konferenzen verschafft haben.
Es wird auch davon berichtet, dass Beleidi-
gungen gegen Kinder und Eltern ausgespro-
chen wurden und dass Kinder mit echtem
Namen angesprochen wurden, was selbst-
verständlich besonders bedrohlich wirkte.
Diese Vorkommnisse fallen in eine ganz an-
dere Kategorie als die, in denen Unbekannte
schlicht in eine Videokonferenz platzen und
mit harmlosem Unfug stören. Es geht hier
um eine ernstzunehmende Problematik.
Diese kann um so kleiner gehalten werden,
je früher und je besser Lehrkräfte und die
Schülerschaft damit umzugehen wissen.
Strafbare Störungen
Derartige Störungen können durchaus straf-
bar sein. Würde das tatsächliche Eindringen
in ein echtes Klassenzimmer Hausfriedens-
bruch bedeuten, so kann im digitalen Raum
das Ausspähen von Daten, strafbar nach
§ 202a Strafgesetzbuch (StGB), in Betracht
kommen. Die Weitergabe von Links an Dritte
kann gemäß § 202c StGB (Vorbereiten des
Ausspähens und Abfangens von Daten) straf-
bar sein. Das Mitfilmen oder Abfotografieren
von Inhalten kann unter die Verletzung der
Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB
fallen. Die Verbreitung von Abbildungen ohne
Zustimmung der Abgebildeten kann das
Recht am eigenen Bild gemäß § 33 Kunst-
UrhG (Kunsturhebergesetz) betreffen. Belei-
digungen sind nach § 185 StGB strafbar, und
beim Zeigen pornografischer Inhalte können
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim-
mung verwirklicht sein. Wenn eine Schülerin
oder ein Schüler, die mindestens vierzehn
Jahre alt sind, Zugangsdaten weitergegeben
haben, kommt eine Verantwortung wegen
Beihilfe in Betracht. Die Polizei versucht da-
bei, mithilfe von IT-Experten herauszufinden,
wer die Konferenzen gesprengt hat. Wenn
das Tatmittel wie hier das Internet ist, liegt
von CHRISTOPHER LANGE
Foto: AdobeStock/Song_about_summer
Das Kapern von
Videokonferenzen
im Distanzunterricht kann
je nach Schwere ein Straf-
tatbestand sein. Doch
es gibt Möglichkeiten,
sich zu schützen.
RECHT
§
AUSLEGER
29
2/2021 ·
lehrer nrw
die Aufklärungsquote sogar bei über der
Hälfte der vorgeworfenen Taten.
Leichter Zugang für Täter
Bisherige Erkenntnisse deuten darauf hin,
dass Konferenzen in aller Regel nicht einmal
durch Ausnutzen von Sicherheitslücken
’gehackt’ wurden, sondern Täter sich durch
schlichtes Benutzen von Links oder weiter-
gegebener Zugangsdaten einloggen konn-
ten. Teilweise werden Kinder in sozialen
Netzwerken gezielt angesprochen und
dazu gebracht, Log-in-Daten weiterzugeben.
Die Probleme sind nicht auf einzelne Kon-
ferenz-Produkte beschränkt. Auch die Video-
konferenzoption im LOGINEO NRW Messen-
ger, für die das Land Kosten für Einrichtung
und Weiterentwicklung übernimmt, scheint
zur Zeit noch anfällig zu sein.
Berechtigt ist sicher die Frage, wie es
überhaupt zu solchen Vorfällen kommen
kann. Doch solange zumindest nicht mit ei-
nem Ausmerzen sämtlicher denkbarer tech-
nischer Schwachstellen gerechnet werden
kann, sollte man sich darauf fokussieren,
wie man sich am besten gegen Störungen
behelfen kann.
Wichtige Tipps gegen
Online-Störungen
Besteht die Möglichkeit, Videochats über
den Schulserver anzubieten, wäre dies im
Regelfall den Varianten, die unter Um-
ständen sogar frei im Internet erhältlich
sind, vorzuziehen.
Bei Störungen des digitalen Unterrichts
sollten die Schulleitung und über sie die
Schulaufsicht ebenso wie der Daten-
schutzbeauftragte informiert werden.
Gegebenenfalls ist die Polizei einzuschal-
ten, und es sind disziplinarische und
schulrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.
Chatraumnamen sind so zu wählen, dass
keine Rückschlüsse auf Schulnamen oder
Alter der Kinder möglich sind. Namen
sollten aus so komplizierten Buchstaben-
kombinationen bestehen, dass sie auch
nicht zu erraten sind.
Außerdem ist der Chatraum selbst zu
schützen, indem möglichst nicht nur ein
Link und Passwort für den Zutritt erfor-
derlich sind, sondern ein Benutzername
und ein Passwort. Dann kann ein Bezug
zu einem konkreten Nutzer hergestellt
werden. Sichere Passwörter bestehen aus
möglichst vielen Zeichen, aus Sonderzei-
chen, Groß- und Kleinbuchstaben sowie
Ziffern. Benutzernamen sind möglichst
neutral zu wählen.
Die Zugangsdaten sind nur an die Perso-
nen zu verteilen, die sie wirklich brau-
chen. Ein Versand per E-Mail ist nicht zu
empfehlen. Auf jeden Fall sind Links und
Zugänge getrennt zu versenden.
Sofern systembedingt möglich, ist eine
Einlasskontrolle zu aktivieren. Dann müs-
sen die Moderatorin beziehungsweise
der Moderator zuerst zustimmen, bevor
jemand den Chatraum beziehungsweise
die Konferenz betritt (’Warteraum’- oder
’Lobby’-Funktion).
Die Teilnehmerliste sollte permanent ge-
öffnet sein und überwacht werden.
Die Bildschirmfreigabe, die Kamera- und
Mikrofonnutzung durch die Teilnehmer
sind nach Möglichkeit zu beschränken.
Wenn zum Beispiel die Mikrofone der
Schülerinnen und Schüler stummgeschal-
tet werden können und jeweils Einzelnen
das Wort erteilt werden kann, ist die Stö-
rung des Unterrichts durch laute Geräu-
sche ausgeschlossen. Ist die Freigabe von
Bildschirm oder Web-Cam beschränkt,
können kaum unangebrachte Bilder
plötzlich erscheinen.
Last but not least sollten alle Beteiligten
– am besten vor jeder Sitzung – über die
Umgangsregeln sowie insbesondere das
Verbot heimlicher Aufzeichnungen aufge-
klärt werden. Die Tragweite störenden
oder gar rechtswidrigen Handelns, das
heißt dessen denkbare schul- und straf-
rechtliche Folgen, müssen jedem klar
sein. Derartige Mahnungen können auch
mit einem schlichten Appell an die Ver-
nunft verbunden werden. Auch das soll ja
schon geholfen haben!
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
2/2021
30
ANGESPITZT
E
E
ndlich wieder Unterricht mit voller
Kapelle: Dieser paradiesische Zu-
stand ist an den weiterführenden Schu-
len in Nordrhein-Westfalen dank der
Großherzigkeit des Schulministerialappa-
rats endlich wieder erreicht. Am 22. Feb-
ruar durften die Abschlussklassen (gerne
in voller Klassenstärke) wiederkommen,
am 15. März der Rest. Herrlich!
Dreißig Kinder leibhaftig in einem
Klassenraum. Ohne Bildschirm dazwi-
schen. Dafür aber eine tägliche XXL-
Portion Aerosole. Da würde eine Imp-
fung der Lehrkräfte durchaus helfen. So
wie bei den Kolleginnen und Kollegen
in den Grundschulen. An den weiterfüh-
renden Bildungsanstalten ist das aber
nicht nötig, sagt NRW-Gesundheitsmi-
nister Karl-Josef Laumann. Denn die
Lehrerinnen und Lehrer dort könnten
sich ja viel besser schützen, weiß der
Minister, von dem man wiederum nicht
weiß, ob er weiß, wie Präsenzunterricht
in Corona-Zeiten funktioniert.
Nun würden die zwangsimpfbefreiten
Lehrkräfte vom kundigen Herrn Lau-
mann durchaus gerne erfahren, wie sie
sich denn besser schützen können.
Doch das hat der Minister leider noch
nicht verraten. Das mit dem Abstand
halten ist bei dreißig Schülern, die sich
in den seltensten Fällen bereiterklären,
45 Minuten die Luft anzuhalten, jeden-
falls schonmal schwierig.
Nun denn, vielleicht meint Herr Lau-
mann ja ein paar Klassiker aus der Eso-
terik-Trickkiste. Der Aluhut lässt grüßen.
Optisch etwas dezenter wäre ein im In-
ternet zum Sonderpreis erhältliches
Zinn-Amulett, das vor dem bösen Blick
und ganz bestimmt auch vor Corona
schützt. Hübsch wäre alternativ oder
obendrein ein Armband aus Schwarzem
Turmalin – der Superduperkristall hält
nach übereinstimmenden Berichten aus
einschlägigen Fachkreisen negative
Energien aller Art fern.
Die Feststellung, dass es einer Zwei-
Klassen-Gesellschaft gleichkommt,
wenn die einen Lehrer geimpft werden
und die anderen nicht, würde Herr Lau-
mann sicher als böswillige Polemik zu-
rückweisen. Sollen sich halt nicht so an-
stellen, die Pauker.
Wobei, anstellen trifft es schon ganz
gut: Ganz hinten in der Schlange vor
dem Impfzentrum.
Jochen Smets
Mit Turmalin und Zinn gegen Corona
Lösung Aufgabe 2: 1. Robert Koch | 2. Angela Merkel | 3. Joe Biden | 4. Albert Einstein | 5. Nelson Mandela
| 6. Albrecht Duerer | 7. Marlene Dietrich | 8. Heinz Erhardt | 9. Ingrid Bergmann | 10. Martin Luther
Zahlensalat
Lassen Sie die Augen über das Bild schweifen und suchen Sie möglichst schnell alle Zahlen in der richtigen Reihenfolge von 0 bis 25.
Berühmte Persönlichkeiten
Hinter diesen Anagrammen verstecken sich
10 berühmte Persönlichkeiten (m/w) aus
Kultur, Politik und Wissenschaft. Finden Sie
drei Politiker, drei Schauspieler, zwei Wissen-
schaftler, einen Maler und einen Theologen.
1. BOHRT OCKER
2. KARAMEL ENGEL
3. JOB IDEEN
4. IST NIE RENTABEL
5. NADELN AN MOSEL
6. LACHT ER DRUEBER
7. MANIERLICH REDET
8. DAHINTER HERZ
9. GNADEN BRING MIR
10. LEHER MIT NATUR
AUFGABE 1:
AUFGABE 2:
Über Feedback zu meinen
Gehirnjogging Übungen würde ich mich sehr freuen:
mail@heike-loosen.de
Heike Loosen
HIRNJOGGING
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2/2021 ·
lehrer nrw
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