lehrer nrw ·
3/2018
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UNTER DER LUPE MAGAZIN
Brigitte Balbach
ist Vorsitzende des
lehrer nrw
E-Mail:
info@lehrernrw.de
Mansour, ist ein Zeichen des Gehorsams
und nicht der Freiheit. Abdel-Samad wie
Mansour weisen darauf hin, dass diese
Entwicklung, nämlich die Zunahme des
Tragens eines Kopftuches, in den letzten
Jahren in unserer Gesellschaft mit der Zu-
n
ahme des Erdogan-Kultes und der zu-
nehmenden Radikalisierung junger Musli-
me einhergeht.
Folgen für das
schulische Miteinander
Wir haben dem offenbar wenig entge-
genzusetzen. Unsere muslimischen Schü-
ler und Schülerinnen treffen in unseren
Schulen täglich auf ein ganz anderes Ver-
ständnis von Familie und Gesellschaft, als
sie es von zu Hause her kennen. Und vie-
le sind, anders als unsere deutschen
Schüler, dem Gehorsam ihrem Zuhause
gegenüber verpflichtet, wie es ihre patri-
archalischen Strukturen vorgeben. Allein
werden sie aus diesem Zwiespalt nicht
herausfinden. Auch dann nicht, wenn wir
Lehrer weggucken und/oder das Anders-
sein dulden und uns in Toleranz üben.
Helfen könnten an dieser Stelle mehr
Lehrer mit Migrationshintergrund, aller-
dings mit der notwendigen Auflage, kri-
tisch gegenüber patriarchalischen Struk-
turen zu sein. Denn nur so kann freiheitli-
ches und demokratisches Gedankengut
diesen Kindern nahe gebracht werden.
Sie müssen Freiheit, Demokratie und
Selbstbestimmung als Werte in diesem
Land schätzen lernen. Auf keinen Fall dür-
fen wir Lehrer diese Elternhäuser mit Be-
strafungen und Angstpädagogik noch un-
terstützen!
Ein einfaches Verbot des Kopftuchs oh-
ne vorherigen gesellschaftlichen Diskurs
wäre fatal und keinesfalls hilfreich in der
Sache. Bevor es zu Sanktionen kommen
kann, muss erst einmal ein gesellschaftli-
cher Konsens gefunden werden. Es kann
jedoch zurzeit noch kein Verständnis auf
beiden Seiten vorausgesetzt werden.
Wenn das Kopftuch von Muslimen als
Kleidungsstück verstanden wird, das ’gu-
te’ Mädchen, die diesem Gebot folgen,
von ’schlechten’ Mädchen, die das nicht
tun, trennt, liegt ein langer Weg einer
möglichen Verständigung vor uns. Es gilt
jetzt erst einmal, eine inhaltliche Positio-
nierung dazu zu finden, denn das Ziel ist
ja wohl ein friedliches Miteinander in un-
s
erer gesamten Gesellschaft.
Diskurs kann
in der Schule beginnen
Schule ist ein guter und möglicher Raum,
diesen Diskurs zu beginnen. Freiheit und
Demokratie müssen für Zugewanderte
attraktiv werden. Das ist für den Schulbe-
reich eine große Herausforderung, die je-
doch gelingen kann. Dazu braucht es
aber ein Gesamtkonzept zur Integration
besonders für die Schulen! Das haben wir
von
lehrer nrw
schon seit Jahren gefor-
dert für Nordrhein-Westfalen – bisher lei-
der ohne Erfolg.
Einen schönen Gedanken aus dem
Buch möchte ich Ihnen zum Schluss nicht
vorenthalten: Wer nicht fordert und um-
setzt scheitert – denn zwischen Freiheit
und Unfreiheit gibt es keinen Mittelweg
… wir verlieren junge Migrantenkinder
und gefährden unsere freiheitlich-demo-
kratischen Werte und die innere Sicher-
heit im Land, das meint Abdel-Samad.
Und ihm möchte ich an dieser Stelle von
Herzen für sein aufschlussreiches Buch
danken!
Mit Mut und
Entschlossenheit
P.S.: Als ich kürzlich von einer Tagung
nach Hause kam, fand ich eine Presse-
erklärung der Landesregierung unter mei-
nen Mails, die uns Mut machen kann:
»Die NRW-Koalition will Vorbild und Mo-
tor für Einwanderungs-, Flüchtlings- und
Integrationspolitik in Deutschland wer-
den.« Es soll eine Integrationsstrategie
2030 erarbeitet werden. Na also –
packen wir es endlich gemeinsam an, das
heiße Eisen! Bitte mit Mut und Entschlos-
senheit!
Lehrerbildung
verbessern
E
in Initiativteam von Vertretern aus
Eltern-, Lehrer- und Erziehungswissen-
schaft will die Lehrerbildung und -weiter-
bildung verbessern. Denn in vielen Bun-
desländern zeigen sich teilweise gravie-
rende Kompetenzdefizite der Schüler –
Tendenz steigend, heißt es in einer Pres-
semitteilung der Initiatoren. Ursächlich
hierfür seien nicht nur zu geringe Perso-
nalressourcen. Vielmehr sei vielerorts
auch die Professionalität des Lehrperso-
nals vernachlässigt worden – im Zuge
ideologischer Bildungspolitik wie land-
läufiger Forschungsskepsis. Die Folge:
vielfach nur suboptimale, bisweilen gar
schlechte Unterrichtsqualität – nicht zu-
letzt dank qualitativ wie quantitativ un-
genügender Angebote an Lehrerweiterbil-
dung.
Daher hat das Initiativteam die neue
Online-Plattform
www.initiativeunter-
richtsqualitaet.de
gestartet. Sie sam-
melt und informiert ab sofort bundesweit
über sinnvolle Maßnahmen und Expo-
nenten der Lehrerweiterbildung – parallel
zu den staatlichen Institutionen, aber oh-
ne deren Schwerfälligkeit und Politikab-
hängigkeit. Die Angebote erfolgen auf
drei Ebenen:
• Weiterbildungsmaßnahmen zur
Steigerung der Unterrichtsqualität
für Lehrerkollegien
• berufsbegleitende Qualifizierung
von Seiten-/Quereinsteigern
• Coaching/Beratung einzelner Lehrkräf-
te in Problemphasen bzw. -situationen
Die präsentierten Angebote orientieren
sich am aktuellen Stand der Unterrichts-
forschung – dazu durchlaufen sie ein Ak-
kreditierungsverfahren. Die Initiative wird
durch einen fachlichen Beirat begleitet.
Zu den Initiatoren gehören Jutta Löchner,
Vorstandsmitglied der Landeselternschaft
Gymnasien NRW, der Autor und Gymna-
siallehrer Michael Felten sowie der Bil-
dungsforscher Prof. Dr. Rainer Dollase.