3
Unter der Lupe
Liebe in Zeiten
von Corona
17
Dossier
Digitalisierung
des Unterrichts –
mit Hatties Augen
28
Recht§ausleger
Auf Nebenwegen
6
Im Brennpunkt
Haltung zeigt
Wirkung
SScchhuullee iinn ZZeeiitteenn
vvoonn CCoorroonnaa
Pädagogik & Hochschul Verlag
.
Graf-Adolf-Straße 84
.
40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock · Montage: Dömges
1781 | Ausgabe 3/2020 | MAI | 64. Jahrgang
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
Geschäftsstelle
lehrer nrw
Nordrhein-Westfalen,
Graf-Adolf-Straße 84,
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Redaktion
Brigitte Balbach,
Sven Christoffer,
Christopher Lange,
Jochen Smets,
Sarah Wanders, Düsseldorf
Verlag und
Anzeigenverwaltung
PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
dphv-verlags-
gesellschaft mbH,
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Zur Zeit gültig:
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vom 1. Oktober 2018
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Manuskripte nur an
lehrer nrw
,
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Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf
Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
INHALT
lehrer nrw ·
3/2020
2
UNTER DER LUPE
Brigitte Balbach:
Liebe in Zeiten von Corona
3
MAGAZIN
Personalratswahl 2020 verschoben 4
BRENNPUNKT
Sven Christoffer: Haltung zeigt Wirkung 6
JUNGE LEHRER NRW
Sarah Wanders: Personalräte –
was machen die eigentlich?
8
TITEL
Schule in Zeiten von Corona 10
Jochen Smets: Zwischen Kreativität
und Unzulänglichkeit
11
Schul-Barometer: Corona-Krise
verstärkt Bildungs-Ungerechtigkeit
12
Tipps und Angebote fürs
Home Schooling
14
DOSSIER
Michael Felten: Digitalisierung
des Unterrichts – mit Hatties Augen
‘IT und Lernen’ auf dem Prüfstand
der empirischen Unterrichtsforschung
17
BATTEL HILFT
Deutschland, Ostern 2021 21
SCHULE & POLITIK
Carl Bossard: Vom magischen
Dreieck der Pädagogik
22
Bewerbungsphase für
Deutschen Lesepreis gestartet
25
KOLUMNE
Ferdinand Kümmertsich:
Wir danken Ihnen für … nichts!
26
SENIOREN
VDR-Seniorenseminar in Königswinter 27
Die weiteren Pläne / In eigener Sache 27
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange: Auf Nebenwegen 28
ANGESPITZT
Jochen Smets:
Qualitätsprüfer ohne Lebenssinn
30
HIRNJOGGING
Gedankenwürfel 31
Liebe in Zeiten
von Corona
Worauf es jetzt ankommt.
W
W
ir leben in seltsamen Zeiten – so etwas
wie heute war noch nicht da, zumindest
was meine und die vorherigen Generationen
anbetrifft. Eine Bedrohung der Menschheit hat
sich unter uns still und heimlich breit gemacht,
die Ängste, Horrorvisionen, Chaos, Depressio-
nen und Unsicherheiten bei den Menschen in
aller Welt hervorruft. Vergleichbar ist das durch-
aus mit einer Kriegssituation: Allerdings bleibt
der Feind verborgen, agiert verdeckt und lässt
sich von ’probaten’ Mitteln einer Kriegsführung
nicht beeindrucken. Er agiert weitgehend un-
sichtbar und ist mit Händen, Augen und Ver-
stand zunächst kaum greifbar – meist erst im
Nachhinein, wenn er bereits Schaden hat an-
richten können. Fieber teilt uns mit, dass er uns
attackiert hat. Für Abwehr ist es dann bereits
zu spät! Da die Lebensgefahr unsichtbar agiert,
scheint die Gefahr für uns viel größer als bishe-
rige Bedrohungen unseres Lebens.
Wenn der Mitmensch
zur Bedrohung wird
Keiner kann sicher sein, dass er der Krankheit
entgehen kann – auf so viele einsame Inseln
können wir gar nicht flüchten. Und paradoxer-
weise ist es gerade der Mitmensch in der Nach-
barschaft, bei der Arbeit, in geselligen Runden,
im Freundeskreis, unterwegs beim Shoppen
oder in Bus und Bahn, der zunächst als latente
Bedrohung unserem Leben ein Ende durch An-
steckung bereiten kann. Von jetzt auf gleich!
Plötzlich und unerkannt!
Das Miteinander, das uns philosophisch ge-
sehen eigentlich stärken und zu besseren Men-
schen werden lassen könnte, führt jetzt para-
doxerweise im schlimmsten Fall zu unserem
Tod.
Die Gemeinschaft
kann nicht helfen
Und so sind wir gezwungen, unsere geselli-
ge Ader eine Zeit lang beiseite zu legen, bei uns
selbst zu bleiben und abzuwarten, wie sich die
Dinge entwickeln. Wir können jetzt einfach
nichts Anderes tun, als einander zu meiden.
Damit ist jedes Ich, jeder Einzelne, zunächst
ohne Wenn und Aber auf sich gestellt. Die
’Herde’ kann nicht helfen! Keiner von ihnen zur-
zeit! Jeder muss sich selbst ins Antlitz schauen
und mit sich klar kommen – mit seinen Ängs-
ten, seinen Bedenken, seiner erzwungenen Ein-
samkeit, seinen jetzt unerfüllbaren Wünschen
und Sehnsüchten. Er hat zurzeit nichts als nur
sich selbst, auch wenn er in Familie lebt.
Meiden, was und
wen man liebt
Sollte ein Mensch krank werden, muss er sich
auch von seinen Liebsten zu seinem und zu
ihrem Schutz trennen. Das ist ein Paradoxon!
Ich meide, was ich liebe – Geselligkeit!? Philo-
sophisch gesehen ist das eine interessante
Erscheinung: »Meide, was du liebst!«
Und übersetzt: »Nimm dich selbst wahr, küm-
mere dich nun um dich selbst! Zieh dich von
anderen Menschen zurück. Sorge für dich
selbst. Liebe dich selbst! Und wenn du gesund
wirst: Liebe wieder auch andere Menschen!«
Liebe in Zeiten von Corona heißt dann: Wen
du liebst, den lässt du sein (so wie er jetzt ist,
und wie er es jetzt braucht)!
Auch das ist christliche Liebe – den anderen
Menschen lassen,
sein lassen, das andere Sein
lassen! Und wenn ich selbst erkranke,
mein
Sein lassen!
Und zulassen, was das Leben für unser per-
sönliches Sein zulässt! Wir Christen sagen auch
mit anderen Worten: Mein Leben ist in Got-
3
3/2020 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von BRIGITTE BALBACH
lehrer nrw ·
3/2020
4
UNTER DER LUPE
tes Hand! Und dort, so glaube ich fest,
bei Gott, sind wir alle geborgen, ob wir
leben oder nicht!
Über die wesentlichen
Dinge des Lebens
sprechen
Was wir Menschen jetzt brauchen, um
mit dieser mentalen Last leben zu kön-
nen, ist gegenseitige Liebe, Zuwen-
dung, Zuneigung, Trost. Besonders un-
sere Kinder, unsere Schülerinnen und
Schüler brauchen das. Wir sollten ihren
Alltag deshalb nicht nur verwalten und
mit sinnvollen Aufgaben füllen, die alt-
bekannte Ziele anstreben, oder sie be-
schäftigen, um die unsicheren Zeiten
sinnvoll auszufüllen und zu überbrü-
cken. Wir sollten mit ihnen die wesent-
lichen Dinge des Lebens besprechen,
über ihre aktuellen Ängste sprechen,
mit ihnen Furcht und Besorgnis teilen
und gemeinsam Hilfen suchen, die die-
se beängstigenden Zeiten erträglich
machen können. Wir sollten den Schü-
lerinnen und Schülern Liebe entgegen-
bringen – in schwierigen, belastenden
Zeiten ist das das Wichtigste, was wir
ihnen schenken können: Aufmerksam-
keit und Liebe. Nur das kann Angst er-
träglich machen.
Die Essenz des
Lehrer-Seins
Schüler achten und ehren, ihnen Zuver-
sicht und Mut vermitteln, für sie da
sein – das ist jetzt in meinen Augen
wichtiger als alles andere. Das kann
jede Lehrerin und jeder Lehrer tun, oh-
ne große Vorbereitung, ohne planeri-
sche Gestaltung, ohne Vorgaben von
Ministerien, ohne Anweisung von Vor-
gesetzten, einfach aus dem Grund he-
raus, aus dem er oder sie Lehrer gewor-
den ist: aus der Liebe zu Kindern!
Bleiben Sie gesund – besonders in
unruhigen Zeiten! Sie werden ge-
braucht!
Brigitte Balbach ist Vorsitzende des
lehrer nrw
E-Mail: info@lehrernrw.de
Personalratswahl 2020
verschoben
D
ie Corona-Krise betrifft
auch die Personalrats-
wahlen 2020. Ursprünglich
war der 9. Juni als finaler
Wahltermin vorgesehen.
Aufgrund der allgemeinen
Einschränkungen, die die
Bekämpfung des Corona-
Virus mit sich bringt,
schlägt das nordrhein-
westfälische Schulministe-
rium nun in einem neuen
Wahlerlass den 1. Oktober
2020 als letzten Tag der
Stimmabgabe vor. Die
Wahlvorstände sollen
»zu gegebener Zeit – un-
ter Beachtung der gesetz-
lichen Fristen für die Per-
sonalratswahl – ihre Ar-
beit wiederaufnehmen«,
heißt es in dem Erlass.
Bei
lehrer nrw
laufen
die Vorbereitungen unter-
dessen weiter. Zwar sind
Wahlkampf-Aktivitäten an
den Schulen derzeit nur
sehr eingeschränkt mög-
lich, aber die Wahlkampf-
Website unter der Online-
Adresse
wahl2020.
lehrernrw.de
ist online
und wird rege genutzt.
Hier präsentieren wir un-
sere Themen sowie unsere
Kandidatinnen und Kandi-
daten. Auf der Startseite
können Nutzer ganz ein-
fach ’ihre’ Kandidatinnen
und Kandidaten für die je-
weilige Schulform und ei-
nen der sechs Personalrä-
te (Hauptpersonalrat und
fünf Bezirkspersonalräte)
auswählen. Die drei Spit-
zenkandidaten für den
ausgewählten Personalrat
stellen sich und ihre
Schwerpunkte in Kurzpor-
träts vor. Inhaltlich und
optisch dockt die Wahl-
kampf-Website an die von
der Hamburger Agentur
redcode entwickelte
’Superhelden-Kampagne’
von
lehrer nrw
an. »Wir
kämpfen für Sie!« lautet
die zentrale Aussage, die
perfekt zur Arbeit der Per-
sonalräte passt.
lehrer nrw
zieht in ins-
gesamt zwölf Wahlkämp-
fe. Erstmalig in der Ge-
schichte unseres Verban-
des stellen wir Kandidatin-
nen und Kandidaten für
alle fünf Bezirkspersonal-
räte in der Schulform Real-
schule und in den Schul-
formen Gesamtschule,
Sekundarschule, Gemein-
schaftsschule, PRIMUS-
Schule. Hinzu kommen
Kandidaturen für den je-
weiligen Hauptpersonal-
rat. Insgesamt haben sich
172 Kolleginnen und Kol-
legen bereit erklärt, sich
für
lehrer nrw
auf eine
Wahlvorschlagsliste setzen
zu lassen.
Die ’Superhelden-Kampagne’ von
lehrer nrw
bildet auch die inhaltliche und optische Basis für den Personalrats-
Wahlkampf. »Wir kämpfen für Sie!« lautet die zentrale Aussage.
MAGAZIN
Die Fachleiter an den Zentren für schulpraktische Lehreraus-
bildung in Nordrhein-Westfalen sollen nach und nach mit
Convertible Notebooks ausgestattet werden – eine erfreuli-
che Entwicklung. Doch an den Schulen sollen Lehrkräfte nach
dem Willen des Schulministeriums private Endgeräte
dienstlich nutzen.
lehrer nrw ·
3/2020
6
BRENNPUNKT
Haltung
zeigt
Wirkung
Während bezüglich der Anschaffung
dienstlicher Endgeräte an Schulen und der Finanzie-
rung der Folgekosten für deren Wartung und Support schon
seit geraumer Zeit zwischen dem Land und den kommunalen
Spitzenverbänden keine Einigung erzielt werden kann,
schreitet die digitale Ausstattung der Zentren für schulprak-
tische Lehrerausbildung erfreulicherweise voran.
W
W
as den dienstlichen Einsatz pri-
vater Endgeräte im Schulsystem
angeht, hat unser Verband –
früher und entschiedener als jede andere
Gewerkschaft – Haltung gezeigt und die-
sen kategorisch abgelehnt. Unsere Argu-
mentationslinie haben wir jüngst noch
einmal auf einem Plakat für unseren Per-
sonalratswahlkampf zusammengefasst:
»Durch ’Bring Your Own Device’ wälzt
das Ministerium die Verantwortung für
den Datenschutz auf die Lehrkräfte ab
und setzt sie einem erheblichen Haftungs-
risiko aus. Land und Kommunen werden
aber niemals Geld für Lehrer-PCs und de-
ren Wartung in die Hand nehmen, solange
wir es dem Dienstherrn ermöglichen, auf
private ADV-Anlagen zuzugreifen. Wer
bestmögliche Bildung in der digitalen
Welt will, muss seine Lehrkräfte auch ent-
sprechend ausstatten!« Aus diesem
Grund hat der HPR Realschulen auch als
einziger Hauptpersonalrat die Dienstver-
einbarung zu LOGINEO NRW nicht unter-
zeichnet. Teil dieser Dienstvereinbarung
war nämlich der dienstliche Einsatz priva-
ter Endgeräte.
von SVEN CHRISTOFFER
Foto: AdobeStock/Sergey Peterman
BRENNPUNKT
7
3/2020 ·
lehrer nrw
Sven Christoffer ist Vorsitzender des HPR Realschulen
sowie stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
INFO
Lernen auf Distanz in Zeiten von Corona
Obwohl Nordrhein-Westfalens Bildungseinrichtungen im
Hinblick auf ihre digitale Infrastruktur noch längst nicht gut
aufgestellt sind (wie der Artikel auf dieser Seite zeigt), haben
es Schulen und Lehrkräfte – teilweise mit sehr kreativen Lö-
sungen und viel Improvisationstalent – geschafft, den Lern-
betrieb in Zeiten des Corona-Virus aufrechtzuerhalten. Einge-
standen werden muss aber auch, dass dabei an vielen Stel-
len die Parole ’Virenschutz vor Datenschutz’ ausgegeben
wurde.
Auch der Öffentlichkeit ist nicht verborgen geblieben, dass
Lehrerinnen und Lehrer in der gegenwärtigen Situation Enor-
mes leisten – sei es die Notbetreuung in den Schulen oder
das Versorgen der Schülerinnen und Schüler mit Lernaufga-
ben. Die Rückmeldungen des überwiegenden Teils der Eltern-
schaft, die Berichterstattung in den Medien, die deutliche
Mehrzahl der Kommentare in den Internet-Foren – vieles
deutet darauf hin, dass der Lehrerberuf zurzeit in der gesell-
schaftlichen Anerkennung eine deutliche Aufwertung erfährt.
Dass es dazu erst einer Krise solchen Ausmaßes bedurfte, ist
traurig. Zu hoffen bleibt deshalb, dass diese neue Wertschät-
zung nicht nur ein vorübergehendes Phänomen darstellt.
Verdient hätte es unser Berufsstand allemal!
Leitungspersonal der ZfsL
wird ausgestattet
§ 79 Schulgesetz regelt, dass die Schulträger
verpflichtet sind, »die für einen ordnungs-
gemäßen Unterricht erforderlichen Schulan-
lagen, Gebäude, Einrichtungen und Lehrmit-
tel bereitzustellen und zu unterhalten sowie
das für die Schulverwaltung notwendige
Personal und eine am allgemeinen Stand
der Technik und Informationstechnologie
orientierte Sachausstattung zur Verfügung
zu stellen«. Anders stellt sich die Rechtslage
in den Zentren für schulpraktische Lehrer-
ausbildung dar: Hier ist das Land für die
Sachausstattung zuständig – und ist nun
tätig geworden. Der HPR Realschulen hat
zu Beginn dieses Jahres einer Vorlage zuge-
stimmt, nach der dem hauptamtlichen Lei-
tungspersonal der 33 Zentren für schulprak-
tische Lehrerausbildung (ZfsL- und Seminar-
leitungen – insgesamt 129 Personen) digita-
le mobile Endgeräte für deren ausbildungs-
fachliche Arbeit zur Verfügung gestellt
werden.
Fachleitungen erhalten suk-
zessive mobile Endgeräte
Vor einigen Wochen ist der HPR Realschulen
schriftlich vom MSB darüber informiert wor-
den, dass bereits im Haushaltsjahr 2020
mobile digitale Endgeräte (Convertible-
Notebooks) beschafft würden, die an den
ZfsL für die ausbildungsfachliche Arbeit
der Seminarausbilderinnen und -ausbilder
vorgehalten werden sollen. Geplant sei zu-
nächst die Beschaffung von 400 Geräten.
Für Folgejahre würden Möglichkeiten ge-
prüft, die Ausstattung der ZfsL mit weite-
ren Geräten für die Seminarausbilderinnen
und -ausbilder weiter auszubauen. Hierfür
müssten die notwendigen Strukturen für
den Support sukzessive aufgebaut werden.
Übersetzt man diesen Text in ’einfache
Sprache’, so heißt das: Weitere Haushalts-
anmeldungen werden erfolgen, Ziel ist die
Vollausstattung (landesweit gibt es rund
3000 Fachleiterinnen und Fachleiter).
Unser Verband begrüßt diese Entwicklung
sehr!
MOLA kommt
Abseits der Ausstattung des Leitungsper-
sonals und der Fachleitungen mit Endge-
räten schreitet der Digitalisierungspro-
zess in der Organisation der zweiten Pha-
se der Lehrerausbildung auch in anderen
Zusammenhängen voran. So wird zeitnah
eine auf Moodle basierende Kommunika-
tions- und Arbeitsplattform eingeführt,
die das Leitungspersonal an den ZfsL,
die ausbildungsfachlichen Dezernentin-
nen und Dezernenten der Dezernate 46
der Bezirksregierungen sowie Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter des Referates
423 des MSB (Vorbereitungsdienst, ZfsL,
Qualifizierung im Seiteneinstieg) einbin-
det. Die Plattform MOLA (Moodle Lei-
tungspersonal der ZfsL im Land NRW)
soll den Kommunikations- und Informa-
tionsfluss zwischen den benannten ’Sta-
keholdern’ im System der zweiten Phase
der Lehrerausbildung unterstützen und
absichern. Nachdem sichergestellt wer-
den konnte, dass keine Log-Daten im
Sinne einer Verfolgung von Aktionen der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer inner-
halb der Plattform sichtbar werden, hat
der Hauptpersonalrat für Lehrkräfte an
Realschulen auch dieser Maßnahme zu-
gestimmt.
Fazit: Die zweite Phase der Lehreraus-
bildung scheint gut aufgestellt für den
digitalen Wandel – anders als die Schulen
unseres Landes. Hier wäre es schon ein
fulminanter Erfolg, wenn sich Land und
Kommunen endlich im Hinblick auf die
Anschaffung, Wartung und den Support
dienstlicher Endgeräte einigen würden.
Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich
zuletzt…
lehrer nrw ·
3/2020
8
JUNGE LEHRER NRW
Personalräte
was machen die eigentlich?
Personalräte vertreten die Interessen der Beschäftigten
im Landesdienst an den Schulen in Nordrhein-Westfalen.
Doch was heißt das konkret? Eine Übersicht.
Wie werden Personalräte
gewählt?
Bezirkspersonalräte werden nach Schulfor-
men und Bezirken getrennt alle vier Jahre ge-
wählt. Der Hauptpersonalrat beim Ministeri-
um für Schule und Bildung wird ebenfalls alle
vier Jahre parallel zu den Wahlen der Bezirks-
personalräte nach Schulformen getrennt ge-
wählt. Ein Personalrat hat bis zu 25 Mitglie-
der, je nach Anzahl der Beschäftigten in der
jeweiligen Schulform. Die Wahl erfolgt
durch Briefwahl.
Wen vertreten Personalräte?
Personalräte vertreten die Lehrerinnen und
Lehrer, die Schulsozialarbeiterinnen und
Schulsozialarbeiter, Lehramtsanwärterinnen
und Lehramtsanwärter sowie weitere Be-
schäftigte im Landesdienst an den Schulen
in der jeweiligen Schulform.
Aufgaben und Rechte
Grundlage für die Tätigkeit des Personalrates
als gesetzliche Interessenvertretung ist das
Landespersonalvertretungsgesetz (LPVG), in
dem neben den Beteiligungsrechten auch die
Aufgaben des Personalrates sowie seine
Wahl geregelt sind. Der Personalrat wird
durch die Wahl der Beschäftigten legitimiert,
deren Anliegen gegenüber der Dienststelle
wahrzunehmen. Er repräsentiert demnach die
Beschäftigten. Daraus erwächst die Aufgabe,
die Beteiligung der Beschäftigten an den
Dienst- und Arbeitsverhältnissen zu realisie-
ren und die Interessen der Beschäftigten zu
vertreten.
Foto: AdobeStock/contrastwerkstatt
von SARAH WANDERS
Lehrkräfte können sich mit dienstrechtlichen
Problemen aller Art an den für sie zuständigen
Personalrat wenden. Die Personalratsmitglieder
vertreten deren Interessen gegenüber der Dienst-
stelle.
JUNGE LEHRER NRW
Sarah Wanders ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
INFO
Die
lehrer nrw
Personalräte finden Sie
mit Kontaktdaten auf unserer Homepage
www.lehrernrw.de. Wir setzen uns für
Sie ein!
Besuchen Sie auch unsere Seite
zu den Personalratswahlen 2020:
wahl2020.lehrernrw.de
Damit sind umfassende Rechte und
Pflichten verbunden:
Personalräte
wachen darüber, dass alle Kolleginnen
und Kollegen nach Recht und Billigkeit
behandelt werden und dass Gesetze,
Verordnungen, Dienstvereinbarungen
und Tarifverträge zugunsten der Kolle-
ginnen und Kollegen eingehalten wer-
den.
beantragen allgemeine Maßnahmen
zum Nutzen des Personals und des
Gemeinwohls.
vertreten die Anregungen sowie Be-
schwerden der Kolleginnen und Kolle-
gen gegenüber dem Dienststellenleiter.
kümmern sich um Schwerbehinderte
und andere Schutzbedürftige.
schließen Dienstvereinbarungen ab.
achten auf Arbeitsschutz und
Unfallverhütung.
Die weitestgehende Möglichkeit der Durch-
setzung von Beschäftigteninteressen besteht
dort, wo das LPVG die Mitbestimmung vor-
sieht. Mitbestimmung heißt, dass die Dienst-
stelle eine Maßnahme erst dann rechtswirk-
sam durchführen kann, wenn der Personalrat
seine Zustimmung erteilt hat. Das Mitbestim-
mungsrecht umfasst unter anderem folgende
Bereiche: Einstellung, Eingruppierung, Stufen-
zuordnung, Beförderung, Laufbahnwechsel,
Versetzung, Abordnung, Ordentliche Kündi-
gung und Entlassung aus dem Beamtenver-
hältnis, Personalfragebögen, Fortbildung der
Beschäftigten, regelmäßige Mehrarbeit…
Der Personalrat hilft
bei vielerlei Problemen
Kolleginnen und Kollegen können sich auch
mit anderen personal- und dienstrechtlichen
Problemen an den Personalrat wenden. Für
Lehramtsanwärter und -anwärterinnen wäre
das zum Beispiel bei dem Wunsch nach ei-
nem Seminarwechsel, bei einem Abbruch der
Ausbildung, bei Fragen zu Mutterschutz und
Elternzeit, aber auch bei sonstigen Proble-
men möglich.
Bitte scheuen Sie sich nicht, den Personal-
rat zu kontaktieren. Er ist Ihre gewählte Per-
sonalvertretung und unterstützt Sie bei Pro-
blemen. Nur wenn ein Personalrat rechtzeitig
Kenntnis von Problemen hat, kann er sich bei
der Dienststelle für Ihre Belange einsetzen.
lehrer nrw ·
3/2020
10
TITEL
Schule in Zeiten
von Corona
Seit dem 16. März ist an den Schulen in Nordrhein-Westfalen nichts
mehr so, wie es war. Wegen der Corona-Pandemie mussten alle
5 500 allgemeinbildenden Schulen schließen. Der Wiedereinstieg in
den Schulbetrieb verläuft, um es vorsichtig auszudrücken, holprig.
A
m 23. April starteten die Prüfungs-
jahrgänge an den weiterführenden
Schulen – das ließ Schulen und
Schulträgern nach den Osterferien nur drei
Tage Zeit zur Vorbereitung. Die Ergebnisse
waren dementsprechend: Während die
Schulleitungen mit ihren Lehrkräften in kür-
zester Zeit einen Organisationsplan umsetz-
ten, wurden viele Schulen von ihren Schul-
trägern allein gelassen. Oft fehlte es an
Desinfektionsmitteln und Hygienevorrichtun-
gen. Es gab allerdings auch Rückmeldungen
über Schulträger, die die Schulen vorbildlich
unterstützten. Mit dem übereilten Schulstart
hat die Landesregierung Lehrkräfte sowie
Schülerinnen und Schüler einem unkalkulier-
baren Gesundheitsrisiko ausgesetzt, kritisier-
te
lehrer nrw
in einer Pressemitteilung.
Räumliche und personelle
Grenzen schnell erreicht
Schon früh zeigte sich zudem, dass die
schulorganisatorischen Konzepte vor allem
räumlich und personell schnell an Grenzen
stoßen. Klassen müssen geteilt und in min-
destens zwei Räumen unterrichtet werden,
um die Mindestabstände von 1,5 Metern
einhalten zu können. Geteilte Klassen aber
bedeuten doppelten Personalbedarf. Da
viele Lehrkräfte nicht zur Verfügung stehen,
weil sie älter als sechzig Jahre sind oder ei-
ner anderen Risikogruppe angehören, ist die
Personaldecke schon bei nur einem zu be-
schulenden Jahrgang sehr dünn. Wenn dann
schrittweise weitere Jahrgänge hinzukom-
men, reichen weder die Raum-, noch die
Personalkapazitäten, mahnen viele Schullei-
ter.
Ein schwer kalkulierbarer Faktor ist das
Verhalten der Schülerinnen und Schüler. Hier
berichten die Lehrkräfte, dass die meisten
im Schulgebäude sehr umsichtig sind, dass
es aber schon auf dem Schulhof und erst
recht außerhalb des Schulgeländes oft be-
denkliche Szenen von Grüppchenbildung
oder Umarmungen gibt, die nicht nur Virolo-
gen die Haare zu Berge stehen lassen.
Mix aus Präsenzunterricht
und Lernen auf Distanz
Schulministerin Yvonne Gebauer kündigte in
einem Interview mit der ’Rheinischen Post’
an, ihr Ziel sei es, »dass jede Schülerin, jeder
Schüler bis zu den Sommerferien wieder an-
teilig in der Schule sein wird«. Sie räumte
ein, dass nicht alle Kinder zum selben Zeit-
punkt beschult werden können. Denkbar sei
nach Aussage der Ministerin »ein tageweise
rollierendes Verfahren. Somit gäbe es in den
kommenden Wochen einen Mix aus Präsen-
zunterricht und Lernen auf Distanz.«
Foto: AdobeStock/Production Perig
11
3/2020 ·
lehrer nrw
Zwischen Kreativität
und Unzulänglichkeit
Mit den Schulschließungen war für 2,5 Millionen Schülerinnen
und Schüler sowie über 170 000 Lehrkräfte von heute auf
morgen ’Home Office’ angesagt. Beim Lernen auf Distanz
konnten Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler in den vergan-
genen Wochen reichlich Erfahrungen sammeln. Die waren sehr
unterschiedlich.
N
N
achteilig machte sich vor allem be-
merkbar, dass es keine leistungsfä-
hige und flächendeckend einheitli-
che IT-Infrastruktur gibt. Viele Lehrkräfte
mussten improvisieren. Da an vielen Schu-
len dienstliche E-Mail-Adressen fehlen,
kamen nicht selten private Mail-Accounts
zum Einsatz – ein Drahtseilakt im Hinblick
auf Datenschutz und IT-Sicherheit. Eine
Realschullehrerin empfand es als »unpro-
fessionell und unangemessen«, dass sie
notgedrungen über einen privaten Laptop
und eine private Mail-Adresse arbeiten
musste.
lehrer nrw
haben in den vergange-
nen Wochen viele solcher Rückmeldungen
erreicht. Hier rächt sich, dass es (nicht nur
in Nordrhein-Westfalen) seitens der Politik
über Jahre hinweg versäumt wurde, Rah-
menbedingungen für eine sichere digitale
Kommunikation aufzubauen. Ein digitaler
Unterricht, zum Beispiel über Skype oder
andere Video-Plattformen, ist deshalb an
vielen Schulen noch im Science-Fiction-
Stadium. Moderne Schul-Computer und
Diensthandys oder Laptops für Lehrkräfte
sind unabdingbar, wie die eben zitierte
Realschullehrerin betont.
Viele kreative Lösungen
Generell wurden aber trotz IT-technischer
Unzulänglichkeiten viele kreative Lösun-
gen gefunden, um die Kommunikation auf-
recht zu erhalten. Viele Kolleginnen und
Kollegen berichten, dass sie regelmäßig
mit Schülern und Eltern bzw. Elternpfleg-
schaftsvorsitzenden telefonischen Kontakt
hatten, um auf aktuelle Infos aufmerksam
zu machen. Über Kommunikationsketten
zwischen Eltern und/oder Schülern, etwa
per WhatsApp, wurden die Informationen
dann weitergetragen. Sehr häufig wurden
die Schul-Homepages eingesetzt, um Auf-
Foto: AdobeStock/Corri Seizinger
Über Wochen waren die Schulen in Nordrhein-Westfalen
und in ganz Deutschland wegen der Corona-Pandemie wie ausgestorben.
Das Lernen musste anders organisiert werden.
TITEL
Kurzmeldungen:
Schule + Corona
Aussetzung der
Qualitätsanalyse
Aufgrund der Corona-Pandemie wird die
Qualitätsanalyse an allen nordrhein-
westfälischen Schulen bis zu den Som-
merferien ausgesetzt. Dies verkündete
Abteilungsleiter Oliver Bals aus
dem NRW-Schulministerium (MSB) am
7. April in einer Telefonkonferenz
mit den Vorsitzenden der Hauptperso-
nalräte. Ein entsprechender Erlass
sei in Arbeit, hieß es weiter.
Fortbildungen bis zu
den Sommerferien 2020
abgesagt
Aufgrund der Infektionsgefahr durch
das Corona-Virus werden sämtliche
Fortbildungsveranstaltungen von leh-
rer nrw bis zu den Sommerferien 2020
abgesagt. Lehrkräfte, die sich schon
für einzelne Veranstaltungen angemel-
det haben, bekommen bereits gezahlte
Teilnahmegebühren selbstverständlich
erstattet. Geplant ist, das erfolg-
reiche lehrer nrw-Fortbildungspro-
gramm, wenn möglich, nach den Sommer-
ferien in gewohnter Breite und Quali-
tät wieder aufzunehmen. Über das neue
Programm werden wir Sie rechtzeitig
informieren.
lehrer nrw bietet
tagesaktuelle
Corona-Infos
lehrer nrw hat auf der Verbands-Home-
page eine Sonderseite eingerichtet,
auf der wir tagesaktuell über aktuel-
le Entwicklungen rund um das Thema
’Corona’ informieren. Zu erreichen
ist die Sonderseite unter der Online-
Adresse www.lehrernrw.de/service/
corona-informationen.html
Foto: AdobeStock/peterschreiber.media
Unter dieser Bildmarke stellt
lehrer nrw
regelmäßig aktuelle Informationen ins Netz.
lehrer nrw ·
3/2020
12
TITEL
gaben für die jeweiligen Jahrgangsstufen
einzustellen. Oft kommt auch die Lernplatt-
form IServ für den Austausch mit den Schü-
lerinnen und Schülern zum Einsatz. Rege
genutzt wird ebenso die digitale Pinnwand
’Padlet’. An der Realschule Kastanienallee in
Velbert zum Beispiel hat jede Klasse ihr ei-
genes Padlet, das von den Fachlehrkräften
ausgefüllt wurde. »Das Klassen-Padlet konn-
te von der Homepage aufgerufen werden
und war mit einem Passwort geschützt«,
berichtet Schulleiter Olaf Korte. Ein Problem
ist die teils sehr unterschiedliche digitale
Ausstattung der Elternhaushalte: Fast alle
Schüler verfügen zwar über ein internetfähi-
ges Smartphone, haben aber keinen PC,
Laptop, Tablet und auch keine Möglichkeit,
Arbeitsblätter auszudrucken, so Korte.
Dass Lehrerinnen und Lehrer sehr viel Zeit
investierten, um den persönlichen Kontakt
aufrecht zu erhalten, kam bei vielen Eltern
und Schülern sehr gut an. Gerade die jünge-
ren Schüler vor allem der fünften und sechs-
ten Klassen brauchen noch viel Zuwendung,
Erklärung und Anleitung. Viele Eltern zeig-
ten sich dankbar über entsprechende Unter-
stützung von Lehrerseite. Astrid Pradella,
Lehrerin an einer Bielefelder Realschule, hat
für einen Neuntklässler, der keinen Zugang
zum Internet hat, sogar die Aufgaben aus-
gedruckt und persönlich in den Briefkasten
geworfen.
Unterschiedlich
ausgeprägter Arbeitseifer
Sehr unterschiedlich ausgeprägt ist die Ar-
beitsbereitschaft unter den Schülerinnen
und Schülern. Ein Lehrer einer Brennpunkt-
schule im Ruhrgebiet berichtet, er habe sei-
nen beiden Chemieklassen über die Schul-
Homepage Arbeitsmaterial zusammenge-
stellt, mit der Bitte, die ausgefüllten Bögen
abzufotografieren und per Mail an ihn zu-
rückzuschicken. Von insgesamt 51 Schülern
kamen dem fünf (!) nach. Eine einzige Schü-
lerin hatte um mehr Aufgaben gebeten, weil
sie fertig sei. Der Kollege hat sich aber nicht
entmutigen lassen und inzwischen einen ei-
genen YouTube-Kanal eingerichtet und erste
Erklärvideos produziert.
INFO
F
orscher und Experten des Insti-
tuts für Bildungsmanagement
und Bildungsökonomie IBB der
Pädagogischen Hochschule Zug
(Schweiz) und des World Education
Leadership Symposium WELS haben
in einer Umfrage ein Stimmungsbild
zur schulischen Situation in Corona-
Zeiten ermittelt. Für das Schul-Baro-
meter in Deutschland, Österreich
und der Schweiz wurden über 7100
Personen befragt (unter anderem
Schulleitungen, Lehrkräfte, Eltern,
Schülerinnen und Schüler, Schulauf-
sicht/Schulverwaltung).
Die Ergebnisse zeigen, dass die
Krise vor alle im Bereich der Digitali-
sierung große Chancen mit sich
bringt. Lernen mit und durch Tech-
nologie sowie über Technologie sei
gefragt. Digitalisierung könnte ein
Mehr an Differenzierung ermögli-
chen, so das optimistische Fazit der
Autoren des Schul-Barometers.
Andererseits liege die Vermutung
nahe, dass es einen Schereneffekt
gibt, bei Schülerinnen und Schü-
lern, Eltern sowie innerhalb und
zwischen Schulen. »Wir gehen da-
von aus, dass sich in Krisensituatio-
nen verschiedene Schulqualitäten
deutlicher auswirken, vorhandene
Unterschiede sich noch vergrößern.
In der Konsequenz zeigen sich gro-
ße Herausforderungen hinsichtlich
Bildungsgerechtigkeit und Chan-
cengleichheit. (Bildungs-)Verlierer
in der aktuellen Situation sind, so
ist zu befürchten, wahrscheinlich
Schülerinnen und Schüler aus so-
zio-ökonomisch (hoch) benachtei-
ligten Elternhäusern. Schulen mit
einem hohen Anteil an benachtei-
ligten Schülerinnen und Schülern
stehen vor besonders großen
Herausforderungen«, resümieren
die Autoren. Daher werde nach der
Wiederöffnung der Schulen eine
große Aufgabe das Bemühen um
eine Kompensation der Scherenef-
fekte bei den Schülerinnen und
Schülern sein.
Ein weiterer Befund des Schul-
Barometers: Bei den Schülerinnen
und Schülern sind zwei Gruppen
erkennbar: Die einen finden es gut,
in ihrem eigenen Lerntempo und
-rhythmus selbstbestimmter zu ar-
beiten, sie lernen nach eigenen Aus-
sagen jetzt effektiver, kommen gut
mit der Situation zurecht. Die ande-
ren haben Probleme, unter anderem
im Hinblick auf die Strukturierung
ihres Tages, ihrer Aufgaben und ihrer
Motivation. Ihre tägliche Lernzeit
liegt zudem deutlich unter dem
Durchschnitt. Auch hier werden
Anstrengungen der Kompensation
dieser Defizite sehr bedeutsam wer-
den, so das Fazit.
Und schließlich: In den Befunden
des Schul-Barometers zeigt sich eine
hohe Wertschätzung und Anerken-
nung gegenüber der Institution
Schule und der Arbeit der Lehrerin-
nen und Lehrer, gerade auch von
den Elternhäusern.
Schul-Barometer:
Corona-Krise verstärkt
Bildungs-Ungerechtigkeit
INFO
www.Schul-Barometer.net
TITEL
13
3/2020 ·
lehrer nrw
Judith Heimbach von der Justus-von-Liebig-
Schule in Duisburg hat hinsichtlich des Ar-
beitseifers auf Schülerseite auch durchaus po-
sitive Erfahrungen gemacht: »Viele Schülerin-
nen und Schüler übernehmen Verantwortung
für ihr Lernen und stellen Rückfragen. Viele
haben sich beteiligt, von denen ich es nicht so
rege, nicht in dem Umfang oder nicht in der
Qualität erwartet hätte. Ich habe täglich Auf-
gaben gesendet, damit ich den Lernprozess
begleiten kann. Mindestens jeden zweiten Tag
haben die Schülerinnen und Schüler mir Auf-
gaben zurückgesandt. So stehe ich direkter
mit ihnen in Kontakt und kann sie positiv be-
stärken, dass das, was sie leisten, richtig und
gut ist. Jede meiner Rückmeldungen beginnt
immer mit einem dicken Lob.«
Die Grenzen des
Prinzips E-Learning
Das Fazit einer Lehrerin einer Realschule in
Münster fällt zwiespältig aus: Sie stellte
über den Lern-Server der Schule Aufgaben
ein, lud Lösungen zur Selbstkontrolle hoch
und richtete Foren und Messenger-Plattfor-
men zur Kommunikation mit den Schülern
ein. »Bald meldeten sich die ersten ‘fleißi-
gen Bienchen‘, stellten Fragen und schickten
Fotos von ihren Arbeitsergebnissen, die ich
in Ruhe am PC korrigieren und kommentie-
ren konnte. Ich hatte den Eindruck, dass ich
in meinem Home Office nicht nur ganz gut
beschäftigt, sondern auch erfolgreich war,
denn ich konnte meine Schüler individuell
fördern, was im normalen Schulalltag oft
schwierig ist. Doch bald stellte sich heraus,
dass es immer nur dieselben ‘Bienchen‘, wa-
ren, mit denen ich korrespondierte. Ein Groß-
teil der Schülerinnen und Schüler meldete
sich trotz zahlreicher Versuche, mit ihnen in
Verbindung zu treten, nicht – war abge-
taucht. Einige wollten wohl nicht, viele konn-
ten aber offenbar keinen regelmäßigen Kon-
takt halten, weil ihnen daheim nicht die not-
wendigen technischen Voraussetzungen zur
Verfügung standen. Hier stößt das Prinzip
des E-Learnings an seine Grenzen. Es genügt
nicht, Schulen mit digitalen Mitteln auszu-
statten, wenn viele Schüler zuhause keinen
Internetzugang, keinen Computer, vielleicht
noch nicht einmal ein eigenes Zimmer ha-
ben, oder wenn viele Eltern, so gerne sie
auch möchten, nicht in der Lage sind, ihre
Kinder – finanziell, sprachlich oder intellek-
tuell – entsprechend zu unterstützen«, so die
Lehrerin.
Enormer Druck
Von der Politik erwarten die Lehrkräfte zum
einen eine klarere Kommunikation, aber
auch etwas mehr Gelassenheit, selbst in Aus-
nahmesituationen, so Astrid Pradella: »Lei-
der hat die Entwicklung in der Schul- und
Bildungspolitik zu enormem Druck bei allen
Beteiligten geführt, dem wir alle auch jetzt
wieder mit der Schulöffnung in Nordrhein-
Westfalen erliegen.«
Jochen Smets
Foto: AdobeStock/Halfpoint
Die Corona-Krise bietet auch Chancen, zum Beispiel für innovative Wege
des E-Learnings. Doch Videochats wie hier im Foto zwischen Lehrkraft und Schülerin sind
in den meisten Fällen nicht möglich, weil es in vielen Schulen und Privathaushalten nicht
die nötige technische Infrastruktur gibt.
lehrer nrw ·
3/2020
14
TITEL
Tipps und Angebote
Das nordrhein-westfälische Schulministerium hat einige Unterstützungsangebote
für Lehrerinnen und Lehrer in Phasen des Distanzlernens zusammengestellt.
Hier einige ausgewählte Tipps für Lern- und Übungsmaterialien.
Bildungssuchmaschine
learn:line NRW
Dazu hat die Medienberatung NRW im Auftrag des Schulminis-
teriums als Serviceangebot für Lehrerinnen und Lehrer die
zentrale Bildungssuchmaschine entwickelt. Diese enthält quali-
tätsgesicherte Lern- und Lehrmedien.
www.learnline.schulministerium.nrw.de
Medienkompetenzrahmen NRW
Auf der Homepage des Medienkompetenzrahmens NRW finden
Lehrkräfte Unterrichtsanregungen, konkrete Unterrichtsbeispiele,
Impulse und Tools zur Umsetzung einer systematischen Medien-
kompetenzvermittlung.
https://medienkompetenzrahmen.nrw
EDMOND NRW:
Onlinedienst für Bildungsmedien
der Kommunalen Medienzentren
EDMOND NRW steht für die Elektronische Distribution von
Medien ON Demand. Es bietet Bildungsmedien für alle
Schulfächer und Schulformen zur kostenlosen Nutzung im
Unterricht.
www.edmond-nrw.de
Film+Schule NRW
Film+Schule NRW ist eine gemeinsame Initiative des Ministeri-
ums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen
und des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe. Unter ’Ausge-
zeichnet!’ stellt Film+Schule NRW Lehrkräften Spiel-, Animati-
ons- und Dokumentarfilme, die sich besonders für den Einsatz
TITEL
15
3/2020 ·
lehrer nrw
fürs Home Schooling
Foto: AdobeStock/venimo
im Unterricht eignen, kostenlos zur Verfügung. Passende Unter-
richtsmaterialien ergänzen das Angebot. Die App TopShot er-
möglicht den schnellen Einstieg in die Welt des Films. In fünf
interaktiven Anwendungen können Lehrkräfte, Schülerinnen und
Schüler in die Welt der filmischen Gestaltungsmittel eintauchen
und Grundlagen der Filmsprache erlernen.
www.filmundschule.nrw.de
Digitale Schulbücher
Die Medienberatung NRW hat zwei Prototypen multimedialer
Schulbücher entwickeln lassen. Alle Schulen in Nordrhein-West-
falen haben die Möglichkeit, die multimedialen Schulbücher
mBook Gemeinsames Lernen und BioBook NRW kostenfrei zu
nutzen.
mBook Gemeinsames Lernen
für das Fach Geschichte
https://digitale-schule.nrw/
BioBook NRW für das Fach Biologie
https://fwu.de/biobook-nrw/
Biparcours!
Die App ist ein Angebot von Bildungspartner NRW an schulische
und außerschulische Lernorte. Schulen und Institutionen können
mit diesem Lernwerkzeug Quizanwendungen, Themenrallyes,
Führungen sowie Stadt- und Naturrundgänge zu vielfältigen
Fragestellungen und Themen erstellen.
https://biparcours.de/
Lehrer-Online
Unterrichtseinheiten, Unterrichtsmaterialien, Arbeitsblätter und
Didaktik-Artikel sowie weiterführende Informationen und Link-
Sammlungen finden Lehrkräfte hier nach Themenwelten sortiert.
https://www.lehrer-online.de
Padlets
Dynamisch wachsende Sammlungen mit fachübergreifenden
und fachbezogenen Tools und Apps für den Unterricht –
praxisnahe Tipps, Tutorials und Beispiele.
https://padlet.com/ajoth1/qk5gjl0n6utq
https://padlet.com/mib5/jqp9cczwmht1
lehrer nrw ·
3/2020
16
TITEL
Kurzmeldungen:
Schule + Corona
Zentrale Prüfungen in
Klasse 10
abgesagt
Die Zentralen Prüfungen in Klasse
10 (ZP 10) werden in diesem Jahr
nicht stattfinden. Statt landes-
weit einheitlich gestellter Aufga-
ben wird es laut einer aktuellen
Schulmail des nordrhein-westfäli-
schen Schulministeriums in den
relevanten Fächern eine durch die
jeweiligen Lehrkräfte zu erstel-
lende Klassenarbeit geben. Diese
kann auch zu einem späteren Zeit-
punkt als dem für die ZP 10 bisher
vorgesehenen ersten Prüfungstag,
dem 12. Mai, geschrieben werden.
Die Landesregierung kommt damit
der Forderung von lehrer nrw nach
flexiblen Lösungen in der ZP 10-
Thematik nach. Eine wichtige Ent-
lastung ist die Entscheidung des
NRW-Schulministeriums, dass die
weiterführenden Schulen die Zahl
der Klassenarbeiten in diesem
Schuljahr reduzieren können. Denn
es wäre neben der Vorbereitung auf
die ZP10-Ersatzarbeiten kaum zu
stemmen gewesen, zusätzlich die
an den meisten Schulen wegen der
Corona-Schließungen noch nicht
geschriebene letzte reguläre Klas-
senarbeit des laufenden Halbjahres
nachzuholen.
Lehrkräfte über 60
können freiwilligen
Einsatz widerrufen
Lehrkräfte ab sechzig Jahren ge-
hören zur Risikogruppe für eine
Covid-19-Erkrankung. Sie sind
daher für die Zeit der Corona-
Beschränkungen vom Präsenzunter-
richt freigestellt. Auf eigenen
Wunsch können sie aber dennoch
auf freiwilliger Basis eingesetzt
werden. Da beim Hauptpersonalrat
Realschulen entsprechende Nach-
fragen eingingen, stellte das
nordrhein-westfälische Schulmi-
nisterium auf Initiative des
HPR-Vorsitzenden Sven Christoffer
und der stellvertretenden Vorsit-
zenden Sarah Wanders nun klar:
Ihr Einverständnis zum freiwilli-
gen Einsatz können Lehrkräfte der
Altersgruppe 60plus jederzeit
widerrufen. Darüber hinaus bestä-
tigte das Ministerium, dass frei-
willig tätige Kolleginnen und
Kollegen über sechzig in jedem
Fall beihilfeberechtigt und
krankenversichert bleiben.
Deutscher Bildungsserver
Die Übersicht ist nach Medien und Lern-
programme für die Grundschule und für die
weiterführende Schule unterteilt. Sie gibt
einen Überblick über Plattformen und frei
verfügbare Lernportale mit fachübergrei-
fenden und fachbezogenen Materialien
und Angeboten.
https://www.bildungsserver.de/
Digitales-Lernen-zuhause-12754-de.html
ZUM – Zentrale für
Unterrichtsmedien
im Internet e.V.
enthält vielfältige fachbezogene und fach-
übergreifende Angebote sowie Wikis und
das ZUMpad für kollaboratives Arbeiten.
www.zum.de
Lernen in Zeiten
von Corona
Auf dieser Plattform bietet die ’hochschule
schwyz’ Hilfestellung und Unterstützung,
wie Lernen trotz Corona funktionieren
könnte.
https://mia.phsz.ch/Lernentrotzcorona/
WebHome
Lernen zuhause
Übersicht von digitalen Lehr- und Lernres-
sourcen nach Fächern in der Schweiz: Tools
und Informationen, die sich in der eigenen
Praxis bewährt haben.
https://www.educa.ch/de/digitalisierung-
bildung/lehrmittel/nationale-angebote
digital.learning.lab
Tipps für den Fernunterricht – welche
digitalen Tools helfen beim Fernunterricht?
https://digitallearninglab.de/
unterrichtsbausteine
seitenstark
Alle Angebote eignen sich für den Einsatz
in Vor- oder Grundschulen, in den Klassen
5 bis 6 oder zum außerschulischen Arbei-
ten. Nutzer können allgemein nach Fä-
chern und Themen oder gezielt nach Klas-
senstufen, Kompetenzbereichen, Medien-
und Dateiformaten und dem Einsatzort der
Bildungsangebote suchen.
https://www.seitenstark.de
Stiftung Lesen
enthält unter anderem vielfältige
Angebote zum Lesen.
www.derlehrerclub.de/service/
Digitale_Angebote
Deutsches Zentrum
für Lehrerbildung
Mathematik
Lehrerinnen und Lehrer finden auf diesen
(Selbstlern-)Plattformen umfangreiche
Unterrichtsmaterialien und -anregungen
zu verschiedenen Themenbereichen. Multi-
plikatorinnen und Multiplikatoren finden
bei PIKAS, PIKAS Digi und ‘Mathe sicher
können’ zu den Unterrichtsmaterialien
passende Fortbildungsmaterialien.
https://www.dzlm.de
Authenrieths
Lernbibliothek
Kostenlose Tools, Medien, Applets,
Arbeitsblätter, Formulare und Vorlagen.
https://www.autenrieths.de/m_start.html
Learning.Apps
LearningApps unterstützt Lern- und Lehr-
prozesse mit kleinen interaktiven, multi-
medialen Bausteinen, die online erstellt
und in Lerninhalte eingebunden werden.
https://learningapps.org
Brockhaus –
Wissen für alle Schulen
Kostenfreies Angebot – unter anderem
mit Online-Lexikon.
https://brockhaus.at/info/bmbwf
Digitalisierung des
Unterrichts – mit Hatties Augen
‘IT und Lernen’ auf dem Prüfstand der empirischen Unterrichtsforschung
Nette Spielerei oder unverzicht-
barer Bestandteil des Unterrichts
der Zukunft? Die Digitalisierung
im Bereich Schule wird von Heils-
versprechungen und
Kassandrarufen
gleichermaßen
begleitet.
17
3/2020 · lehrer nrw
von MICHAEL FELTEN
D
ie Zukunft der Bildung hängt angeblich voller
Geigen. »Der wahre Mehrwert digitaler Me-
dien besteht also nicht darin, alte Ziele schnel-
ler zu erreichen, sondern völlig neue Zieldimensionen
erstmals zu erschließen.« So schwärmte etwa der Di-
daktiker Axel Krommer 2018 im ’Magazin Sprache
des Goethe-Instituts.
Schaut oder hört man sich nach Konkreterem um,
begegnen einem etwa die folgenden Verheißungen:
»iPad statt Bücher – der Ranzen wird leichter«, »Ether-
pad – endlich Texte kollaborativ verfassen«, »die
Expo-App – Wachstum auf einen Blick«, »per Escape-
Room unbekannte Dichter erkunden« oder »auf digi-
taler Schnitzeljagd die Natur erkunden«. Mithin eine
lockere Mischung aus für Fachunterricht wie Alltag
interessantem Handwerkszeug (Expo-App), aufgelo-
ckerten Rahmenbedingungen des Lernens (Esca-
pe-Room) und unter dem Gesichtspunkt Bildung
eher fragwürdigen Methodiken (kollaborativ Texte
verfassen). Etwas ’völlig Neues’ ist dabei eher nicht
erkennbar – aber wir können ja die Augen weiter-
hin offen halten …
Andererseits gibt es kräftige Warnrufe: Rund um
das Thema IT herrsche eine »geradezu religiös an-
mutende Euphorie«, da sei eine »unfassbar erfolg-
reiche Reklame der Digitalindustrie« am Werk, da-
bei sei das Digitale ein »Leistungskiller besonders
für Jungen«, überhaupt würden die »Risiken von
Nutzungsquantität und Manipulation« weithin un-
terschätzt, es drohe die »Steuerung von Bildungs-
prozessen durch Big Data«.
Die Jahrestagung 2019 des Verbands deutscher
Wissenschaftler (Thema ’Die Ambivalenzen des
Digitalen’) sah »Mensch und Technik zwischen
Foto: AdobeStock/lev dolgachov
:
neuen Möglichkeits(t)räumen und (un)bemerkbaren Ver-
lusten« und bilanzierte in einem Positionspapier: »Digita-
lisierung, Vernetzung und KI können neuartige, langfris-
tige und unvorhersehbare, tiefgreifende Abhängigkei-
ten für Einzelpersonen, Institutionen und Staaten schaf-
fen.«
1
What works – in general?
Mich interessiert hier und zunächst nur die Frage:
What works? Gibt es – jenseits subjektiver Hoffnungen,
Befürchtungen und Interessen – bereits objektives Wis-
sen über den Nutzen von IT in der Schule? Und wie wäre
diese partielle Expertise einzuordnen in den Gesamt-
stand der empirischen Unterrichtsforschung zum Thema
Lehren und Lernen? Die derzeit größte verfügbare Da-
tenbasis über Unterrichtseffekte ist bekanntlich die XXL-
Metastudie visible learning von John Hattie. Nach ihrem
fulminanten Erstaufschlag (2009/dt. 2013) hat der Neu-
seeländer weiteres Material zusammengetragen, Kate-
gorien ergänzt und verfeinert – und in der 2017 veröffent-
lichten Liste visible learning plus auch explizit technolo-
gies behandelt.
2
Zunächst: Was ist die Grundbilanz von Hatties Riesen-
streifzug durch die Unterrichtsforschung?
Zentralbotschaft I: Auf die Lehrer kommt es an
Wie gut ein Jugendlicher aktuell lernt, das hängt am
stärksten (nämlich zur Hälfte) von dem ab, was er bereits
mitbringt, was also nicht mehr zu verändern ist – seine
genetischen Dispositionen, seine Vorerfahrungen, sein
bislang prägendes Milieu. Von den akuten Einflussgrö-
ßen (also der anderen Hälfte) ist der Anteil der Lehrper-
sonen der größte (dreißig Prozent) – wie sie über Schüler
denken, welche unterrichtlichen Methoden sie praktizie-
ren etc. Das bedeutet: Sechzig Prozent des überhaupt
Beeinflussbaren hat der Lehrer in der Hand. Der Einfluss
von Gleichaltrigen, gegenwärtigem Elternhaus, Schulor-
ganisation und Schulleitung fällt demgegenüber eher
gering aus – jeweils fünf bis zehn Prozent.
Zentralbotschaft II:
Methodisch gibt es keinen Königsweg!
Hattie hat nun interessiert: Welches Lehrerhandeln sieht
nicht nur gut aus, sondern ist auch tatsächlich lernför-
derlich – und welches eher ungünstig oder gar kontra-
produktiv? Die Unterrichtsforschung misst dies mit Hilfe
der Effektstärke, einem Maß für den Unterschied an Lern-
leistung, der bei einer bestimmten Maßnahme beob-
achtet wird, zwischen der Untersuchungsgruppe und
einer Kontrollgruppe, oder auch nur zu Beginn und am
Ende der Maßnahme. Die mittlere Effektstärke aller ein-
bezogenen Studien (0,4)
nahm Hattie als eine Art
Benchmark: Unterrichtli-
che Maßnahmen mit hö-
herer Effektstärke wären
demnach (sofern im All-
tag praktikabel) beson-
ders erstrebenswert, sol-
che mit geringeren Wer-
ten wären weniger be-
deutsam (oder gar
schädlich).
Aus Hatties Rangliste
aller 138 Faktoren hier ei-
nige der besonders wir-
kungsvollen im Bereich
der Unterrichtsmethodik:
Berücksichtigung der
kognitiven Entwicklungsstufe 1,28
Klassendiskussionen (fachlich) 0,82
besondere Unterstützung für Lernschwache 0,77
Feedback 0,75
reziprokes Lernen (wechselseitiges Erklären) 0,74
metakognitive Strategien 0,69
Wortschatztraining und Lesewiederholung 0,67
direkte Instruktion (Klassenunterricht) 0,60
Hausaufgaben (in weiterführenden Schulen) 0,58
kooperative Lernformen 0,34 – 0,59
Es fällt auf, dass eine Reihe von Methoden, die derzeit
bildungspolitisch hoch im Kurs stehen und mit großen
Hoffnungen behaftet waren, in dieser Auswahl fehlt. Sie
schneiden nämlich eher ineffizient ab: Inklusion 0,21;
Individualisierung 0,23; Team-Teaching 0,19; Freiarbeit
0,02. Diese niedrigen Effektstärken bedeuten zwar nicht,
dass etwa individualisierende Maßnahmen aller Art
überflüssig oder gar schädlich wären. Sie verweisen al-
lerdings darauf, wie ungünstig es sich auswirkt, wenn
die Lehrperson über längere Phasen auf steuernde Im-
pulse oder vernetzende Aktivitäten zwischen den Schü-
lern verzichtet. Hilbert Meyer sah guten Unterricht als
Mischwald – dank Hattie wissen wir jetzt mehr darüber,
welche Baumsorten häufiger vorhanden sein sollten
und welche seltener.
Überlegenheit von direkter Instruktion
Unter den Grobverfahren des Unterrichtens fällt die Über-
legenheit von direkter Instruktion auf. Das ist aber etwas
anderes als die viel gescholtene Frontalpaukerei. Es han-
delt sich vielmehr um eine abwechslungsreiche Form
des Klassen- oder Plenumsunterrichts, bei der Lenkung
und Eigenaktivität stark verzahnt sind. Sie ist hochgradig
18
3/2020 · lehrer nrw
DER AUTOR
Michael Felten, Jahrgang
1951, Gymnasiallehrer und
Publizist, www.eltern-lehrer-
fragen.de;
kürzlich er-
schienen:
Unterricht
ist Bezie-
hungssa-
che (Re-
clam 2020)
aktivierend und adaptiv – man kann sie sich etwa
so vorstellen (vgl. Themenheft ’Pädagogik’ 1/2014):
Lehrperson erklärt den neuen Lerninhalt
bzw. erschließt ihn gemeinsam mit der Klasse.
Schüler erproben individuell
erste Aufgabenstellungen.
Austausch und Debatte der Erfahrungen
im lehrermoderierten Klassengespräch.
Schüler festigen und vertiefen ihr Wissen bzw.
Können an vielfältigen Übungen, Anwendungen
und Transferproblemen (einzeln, als Tandems
oder in Gruppen).
Offenbar gibt es keinen methodischen Königsweg
– viele Wege führen nach Rom, aber keineswegs
alle. Die Frage stellt sich, ob all’ diese zielführenden
Wege etwas Gemeinsames eint, ob es eine Art Him-
melsrichtung des guten Unterrichts gibt. Hattie
selbst hat seine Studie ja visible learning (Lernen
sichtbar machen) genannt: Lernerfolg hängt vor-
rangig davon ab, dass den Schülern klar genug ist,
was der Lehrer von ihnen will, und dass dem Lehrer
möglichst deutlich ist, was bei den Schülern von sei-
nen Erklärungen und Aufträgen ankommt – und
dass sich beide Seiten darüber in einem ständigen
Dialog befinden.
Bildungsforscher wie Andreas Helmke oder Olaf
Köller halten vor allem fünf Aspekte für lernwirksam:
störungsarmes, lehrergeleitetes Unterrichts-
geschehen (effiziente Klassenführung)
hochgradige kognitive Aktivierung der Schüler
gut strukturierte, tiefenwirksam
angelegte Lehr-Lern-Prozesse
lernförderliches Unterrichtsklima
vielfältiges Feedback
Besonders prägnant resümiert Ewald Terhart die
Neuakzentuierung des Lehrerbildes, die durch die
Hattie-Studie nahegelegt wird: Die Befunde von
’visible learning’ bedeuten ihm zufolge die »Absage
an eine naiv- oder pseudokonstruktivistische Aus-
richtung des Lehrerbewusstseins, das sich eher in
der Beobachter- als in der Aktivatorrolle gefällt.
Durch dieses aktive, herausfordernde Lehrerbild re-
habilitiert Hattie den dominanten, redenden Lehrer
– der aber ebenso auch genau weiß, wann er zu-
rücktreten und schweigen muss. Die Perspektive auf
den Unterricht ist: lehrerzentriert. Im Zentrum steht
ein Lehrer, für den allerdings seine Schüler im Zen-
trum stehen. Er muss ihr Lernen sehen können, um
sein Lehren daran orientieren zu können«.
Damit ist das Primat der Selbststeuerung von
Schülern erheblich infrage gestellt, das Hohelied
der Eigenverantwortlichkeit von Kindern und Ju-
gendlichen deutlich relativiert. Lehrersteuerung
und Schülerorientierung sind kein Widerspruch,
sondern bedingen sich geradezu gegenseitig.
Zentralbotschaft III:
Die Beziehung macht’s!
Die Hattie-Befunde rehabilitieren den Lehrer also als
sorgsame und sachkundige Führungsinstanz, der
die Eigenheiten der Schüler und die Facetten des
Themas gleichermaßen fokussiert. Dabei spielt auch
die personale Ebene des Unterrichts eine gewichtige
Rolle, das Emotionale, das Beziehungsmäßige. Auch
diese Alltagserfahrung wird durch die Befunde der
Hattie-Studie eindrucksvoll untermauert:
fachliche Klassendiskussionen 0,82
besondere Unterstützung für Lernschwache 0,77
Klarheit der Lehrperson 0,75
Lehrer-Schüler-Beziehung 0,52
Beeinflussung des Klassenverhaltens 0,68
Klassenzusammenhalt 0,53
Klassenführung 0,52
What works – in technologies?
Vor diesem Hintergrund nun zur Frage der Lernef-
fekte durch Digitalisierung. Die Abbildung zeigt die
Effektstärken verschie-
dener Teilbereiche des
Einsatzes von IT, auch
nach Fachbereichen
bzw. Altersstufen. Mit
einem Maximum von
0,57 und einem Mini-
mum von 0,01 ergibt
sich zunächst ein Mit-
telwert von 0,33, also
eine höchstens durch-
schnittliche Wirk-
macht des digitalge-
stützten Lehrens und
Lernens. Interessant
sind einige Einzelbe-
funde: Klassen nur mit
Laptops auszustatten
(und ansonsten nichts
zu verändern), bringt
kaum etwas (0,16); mit interaktiven Lernvideos zu
arbeiten ist hingegen ziemlich effizient (0,54). Wenn
ein Fach oder eine Altersstufe viel geistige Ausein-
andersetzung erfordert, fällt der Nutzen von IT
gering aus (zum Beispiel in NA-WI 0,23); dient
19
3/2020 · lehrer nrw
20
3/2020 · lehrer nrw
der IT-Einsatz reinem Training, kann der Effekt auch über-
durchschnittlich sein (bei Förderbedarf 0,57).
Hattie selbst bilanziert diese Befunde wie folgt: IT im
Unterricht bringt dann etwas, wenn
dies kein Ersatz, sondern Ergänzung
der Lehrperson ist.
die Lehrpersonen im Umgang damit geschult sind.
wenn dadurch die Vielfalt der Lerngelegenheiten steigt.
wenn die Lernenden sich dabei selbst kontrollieren.
wenn dadurch das peer-Lernen optimiert wird.
wenn dabei das Feedback verstärkt wird.
Mit dieser uneuphorischen Bilanz steht Hattie keineswegs
alleine da. Eine Review des Projekts Clearing House Un-
terricht (CHU) der TU München, eine Art deutsches Mini-
Hattie, fand in 2010er Metastudien bei adaptiver Lernsoft-
ware auch nur eine durchschnittliche Effektstärke von
0,34, in Mathematik gar nur schwache 0,16, für kollabora-
tive Prozesse immerhin leicht überdurchschnittliche 0,52.
Auch das ebenfalls dort angesiedelte Zentrum für inter-
nationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) markierte 2017
in einer kleinen Metastudie Chancen und Grenzen: Man-
che Schüler zeigten beim Umgang mit Maschinen gerin-
gere Lernängste als gegenüber Menschen; aber es dürfe
nicht zu viel digital gearbeitet werden, der Lehrer müsse
ein ständiger Begleiter sein, und der motivierende Neu-
heitseffekt ungewohnter Medien sei bei den Schülern
schnell verflogen. Eine Forschergruppe an der Uni Pader-
born hatte 2014 gar herausgefunden, dass die MINT-
Kompetenzen von Grundschülern mit dem Ausmaß der
PC-Nutzung im Unterricht zurückgingen.
Solche statistischen Befunde haben natürlich einen quali-
tativen Hintergrund. Die Neurobiologin und Hirnforscherin
Gertraud Teuchert-Noodt formulierte schon 2017 zwanzig
Thesen zu digitalen Medien
3
, darunter unter anderem diese:
(3) Im Grundschulalter kommt es bei neuronaler Über-ak-
tivierung zu Notreifungsprozessen im Gehirn.
(7) Alleswissende ‚Lernumgebungen‘ führen häufig
zu einer Vernachlässigung analog-kognitiver
Einprägens- und Konzeptbildungsprozesse.
(9) Erst ab der Adoleszenz kann das Stirnhirn als über-
geordnete Kontrollinstanz agieren.
Salopp könnte man zusammenfassen: Kein Digitalpakt
kann den anthropologischen Flaschenhals umgehen! Ler-
nen braucht auch zukünftig Beziehung, benötigt weiterhin
Zeit, erfordert nach wie vor Anstrengung. Der Einsatz von
digitalen Medien nur um der Medien willen bringe nichts,
bilanziert der Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer.
Die Forderung, irgendwann alle Schulbücher und Hefte
durch Tablets zu ersetzen, sei eigentlich eine bildungspo-
litische Bankrotterklärung, da sie wissenschaftliche Er-
kenntnisse ignoriere. Selbst die sogenannten ’digital nati-
Andreas Helmke: Unterrichtsqualität und Lehrer-
professionalität (7/2017)
Klaus Zierer: Lernen 4.0: Pädagogik vor Technik (3/2019)
Ralf Lankau: Kein Mensch lernt digital (2017)
LITERATUR
ves’ könnten sich Unterrichtsinhalte besser merken, wenn
sie mit Papier und Bleistift mitschrieben, statt sich ihre No-
tizen mit einem Laptop zu machen. Dies hätten Tests
ebenso nachgewiesen wie das Phänomen, dass sie auf
Papier ausgedruckte Texte besser verstehen, als wenn sie
nur die digitale Fassung lesen.
What now?
Also: IT in der Schule wird erheblich überschätzt – nicht
zu früh einsetzen, nicht zu häufig! Denn die mediale Moti-
vation ist kurzlebig – und die Datenflut überwältigend,
man riskiert Scheinbildung. Sinnvolle Anwendungsfelder
gilt es sorgfältig auszuwählen – dann ist das Digitale ein
wichtiges neues Handwerkszeug.
Unterschätzt wird dagegen anderes. Die Corona-Schul-
pause hat nicht nur Mängel in der Digitalausstattung
eindringlich vor Augen geführt, sondern auch die Uner-
setzlichkeit (um nicht zu sagen Systemrelevanz) von Lehr-
personen – als sichtbare und einfühlsame Dialog-Gegen-
über, als Welterklärer und Wertevermittler…
Ach ja, jede Digitalisierung im Unterricht steht unter ei-
ner Generalprämisse: Sie ist sinnvoll und verantwortbar,…
1. nur, wenn die Ausstattung stimmt!
Jede Stunde, bei der Lehrer und/oder Schüler größtenteils
mit unausgereiften oder ungepflegten Systemen zu
kämpfen haben, ist schlechter als guter IT-freier Unterricht.
2. nur, wenn die Lehrerexpertise gesichert ist!
Die Schulverwaltung hat sicherzustellen, dass Lehrer für
den Umgang mit IT in der Schule angemessene Schu-
lung erhalten. Der sprichwörtliche Schüler, dem es gut
tue, wenn er auch einmal etwas besser wisse als der
Lehrer, ist als Normalfall entwicklungshinderlich.
3. nur, wenn Datenbewusstsein und -schutz existieren!
Datenspuren von Schülern wie Lehrern beim Lernen
und Lehren sind individuelle Entwicklungszeugnisse
und verdienen höchsten Schutz, sie dürfen nicht unein-
schätzbaren Datenkraken zur Verfügung stehen und
für personalisierte Werbung oder Eignungseinschät-
zungen missbraucht werden.
1 https://vdw-ev.de/wp-content/uploads/2019/09/
VDW-Positionspapier-Digitalisierung-Jahrestagung-2019.pdf
2 https://visible-learning.org/wp-content/uploads/2018/
03/VLPLUS-252-Influences-Hattie-ranking-DEC-2017.pdf
3 https://eliant.eu/fileadmin/user_upload/Conference2017/
Teuchert_ Noodt_20_Thesen_digitalen_Medien_umg_2017_4.pdf
BATTEL HILFT
21
3/2020 ·
lehrer nrw
Deutschland,
Ostern 2021
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner
Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag.
Diesmal wirft der Experte einen Blick in die Zukunft und fragt,
wie die Corona-Krise unser Leben und Zusammenleben verändert.
einander noch bewusster geworden bzw.
war es vielen von uns schon immer klar, auf
die definierten Risikogruppen zu achten,
ohne dies ’von oben’ verordnet zu bekom-
men. Einige neu entstandene soziale Projek-
te sind geblieben.
Ostern 2021 ist ein ähnlich schönes Wet-
ter wie 2020. Was hat sich in uns verändert?
Streben wir nach neuen Formen des Zusam-
menlebens? Welche Projekte bleiben beste-
hen? Wieviel achtsamer bin ich mir aber
auch meinen Mitmenschen gegenüber ge-
worden? Hat sich mein Wertesystem geän-
dert?
Auf einiges werde ich zurückkommen
und aus meinem professionellen Kontext als
Kinder- und Jugendpsychiater berichten.
Wie wird wohl Ostern 2022? Bleiben Sie
wach und achtsam!
D
D
ie Corona-Pandemie ist seit etwa
sechs Monaten einigermaßen unter
Kontrolle. Zum Glück hat sich die
darauf folgende Wintergrippe nicht noch zu-
sätzlich negativ auf die Gesundheit der Be-
völkerung ausgewirkt. Die Schulen, Kinder-
tagesstätten und andere soziale Bereiche
sind wieder im Normalbetrieb geschaltet.
Viele Schulen haben ihren Lehrplan verän-
dert. So wurde die Stundenanzahl für Kunst-
unterricht, Sportunterricht und den Musik-
unterricht erhöht, da viele in der Alltagsein-
schränkung gemerkt haben, wie wichtig
künstlerische Kreativität, Bewegung und
Musizieren für die innere Seelenbalance
sind.
Es wird im Unterricht noch intensiver mit
den Schülern über das Wesen des Grundge-
setzes diskutiert und mit den verschiedens-
ten Meinungen zu bestimmten Sachthemen
wohlwollender untereinander umgegangen.
Denn während der Corona-Krise ist vielen
Menschen aufgefallen, dass ein wirklicher
pluralistischer Diskurs und das Abwägen
von Fakten häufig in gegenseitigen Abwer-
tungen und Unterstellungen mündeten. Die
meisten Schüler schreiben in ihren Diktaten
nun das Wort Quarantäne richtig. Als eine
Erfahrung aus der Krise wurde die digitale
Wissensvermittlung in einigen Fächern in-
tensiviert.
Jedoch die emotionale Bedeutung des
Gemeinschaftsgefühls und der persönliche
Kontakt zu unseren Mitmenschen erscheint
vielen als ein umso tiefergehender Bestand-
teil, der uns Menschen ausmacht. Auch die
vor der Krise wahrnehmbaren, zum Teil
flüchtig zu einer scheinbaren unbeteiligten
Routine gewordenen Umarmungen, bekom-
men auf einmal einen noch tieferen Sinn,
werden bewusster und zunehmend wieder
angstfreier wahrgenommen und zeigen die
tiefe Verbundenheit, die uns als soziale
Wesen ausmacht.
Lokale Landschaften haben deutlich zur
Bereicherung des inneren Wohlbefindens
beigetragen. Manche haben das Joggen für
sich entdeckt und den Vertrag im Sportstu-
dio gekündigt (da das Laufband nicht so
abwechslungsreich ist), andere bei den
Aerobic-Kursen via YouTube mitgeschwitzt.
Auch sind wir unserer Verantwortung für-
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan
Battel
ist seit 2007
niedergelassener
Facharzt für Kinder-
und Jugendpsychia-
trie und -psychothe-
rapie mit eigener
Praxis in Hürth bei
Köln und seit 2012
systemischer Famili-
entherapeut (DGSF).
Im Rahmen des
lehrer nrw
-Fortbil-
dungsprogramms
greift er in einer Vor-
tragsreihe regelmä-
ßig verschiedene
Themen aus dem
Bereich der Jugend-
psychologie auf.
Foto: Andreas Endermann
lehrer nrw ·
3/2020
22
SCHULE & POLITIK
Vom magischen Dreieck
Guter Unterricht ist ein anspruchsvolles Feld. Da hinein
drängen mehr und mehr Akteure, Ansprüche, Amtsvorschrif-
ten. Das gefährdet das Gleichgewicht. Ein Plädoyer für die
Balance im Bildungsdreieck.
V
V
ieles im pädagogischen Alltag kann
auf drei Punkte reduziert oder durch
drei geteilt werden. Johann Heinrich
Pestalozzi machte es mit seinem pädago-
gischen Dreiklang von Kopf – Herz – Hand
vor. Es ist die zeitlose Trias der ’drei großen
G’: Grundwissen, Grundhaltungen, Grund-
fertigkeiten. Pestalozzi wusste, wie wichtig
Bildung für junge Menschen ist und dass
man alles zusammen entwickeln muss: die
Gefühle im Herzen, den Scharfsinn im Kopf
und die Geschicklichkeit der beweglichen
Hand. Er hat es begriffen, hat es gelehrt,
und oft ist er in der Praxis gescheitert.
Aber versucht hat er es mit einer nie ver-
siegenden Leidenschaft.
1
Darum hat er bei
den Kindern gewirkt.
Foto: AdobeStock/BillionPhotos.com
Bildung vollzieht sich im Dreieck
von Lehrperson, Kind und Welt.
Es sind die Lehrerinnen und Lehrer, die diese Triangel in
Schwingung versetzen. Doch die Balance im Dreieck der Pädagogik ist in Gefahr.
SCHULE & POLITIK
der Pädagogik
Den Beruf
leidenschaftlich lieben
Von dieser pädagogischen Leidenschaft
spricht der Literatur-Nobelpreisträger
Albert Camus. Im autobiografischen Werk
’Der erste Mensch’ beschreibt er seinen
verehrten Lehrer Louis Germain. In zwei
Sätzen skizziert Camus den geheimnisvol-
len Dreiklang, wenn er von Germains Un-
terricht sagt, er sei »aus dem einfachen
Grund, dass er seinen Beruf leidenschaft-
lich liebte, ständig interessant« gewesen.
In dieser Klasse fühlten die Kinder »zum
ersten Mal, dass sie existierten und Ge-
genstand höchster Achtung waren: Man
hielt sie für würdig, die Welt zu entde-
cken.«
2
Diese Leidenschaft ist zentrales Ele-
ment im pädagogischen Dreieck von
Lehrperson – Kind – Welt. Die ’Welt’ steht
hier als Symbol für das Neue, das Fremde,
die Unterrichtsinhalte, um es mit Wilhelm
von Humboldt zu sagen. Es ist eine drei-
fache Beziehung: erstens vom Pädagogen
zur Welt, wie sie Camus‘ Primarlehrer ver-
körpert, zweitens von der Lehrerin zum
Kind, und als Drittes vom jungen Men-
schen zu den Lerngegenständen: »die
Welt […] entdecken«, wie es Louis Ger-
main seinem kleinen Schüler Camus er-
möglichte.
Der Mensch wird am
Menschen zum Menschen
Camus’ bewegende Autobiographie ver-
anschaulicht, wie zentral die Lehrperson
und ihr Unterricht in diesem magischen
Dreieck der Pädagogik ist: Bildung
braucht Beziehung. Bildung ist an Men-
schen gebunden. Das zeigt sich immer
wieder: Am Menschen wird der Mensch
zum Menschen. Lehrpersonen und ihre
Schüler begegnen sich im ’Stoff’ als Kul-
turgut.
Genau das meinte wohl Camus, der
große Schriftsteller seiner Generation. Am
Tag der Nobelpreis-Übergabe schrieb er
seinem Lehrer: »Als ich die Nachricht er-
hielt, galt mein erster Gedanke, nach mei-
ner Mutter, Ihnen. Ohne Sie, ohne Ihre lie-
bevolle Hand, die Sie dem armen kleinen
Kind, das ich war, gereicht haben, ohne
Ihre Unterweisung und Ihr Beispiel wä-
lehrer nrw ·
3/2020
24
SCHULE & POLITIK
DER AUTOR
Carl Bossard, Dr. phil., dipl. Gymnasial-
lehrer, ist Gründungsrektor der Pädago-
gischen Hochschule PH Zug. Davor war
er Gymnasialrektor der Kantonalen Mit-
telschule Nidwalden und Direktor der
Kantonsschule Luzern, eines Gymnasi-
ums mit 2000 Schülerinnen und Schü-
lern und 250 Lehrpersonen. Heute berät
er Schulen und leitet Weiterbildungskur-
se. Er beschäftigt sich mit schulge-
schichtlichen und bildungspolitischen
Fragen. Zu Bildungsthemen publiziert er
unter anderem auf der Onlineplattform
www.journal21.ch.
www.carlbossard.ch
re nichts von alldem geschehen.«
3
Welche
Reverenz vor seinem ehemaligen Lehrer!
Schule als Institution
ist primär Interaktion
Das Ferment wirksamer Schulen bilden
Lehrerinnen und Lehrer; sie verbinden
konzentrierten Unterricht mit feinfühliger
Erziehung. Es gibt keine guten Schulen oh-
ne gute Lehrpersonen, betont der Zürcher
Ordinarius für Allgemeine Erziehungswis-
senschaft, Roland Reichenbach. Wörtlich
sagt er: »Und diese Lehrpersonen müssen
den Schülerinnen und Schülern klar ma-
chen: Erstens: Was du hier lernst, ist wirk-
lich wichtig. Zweitens: Mir ist es ein Anlie-
gen, dass du das lernst. Drittens: Ich glau-
be fest daran, dass du das schaffst. Und
viertens: Ich werde dir dabei helfen und
dich unterstützen.«
4
Und Reichenbach
fügt bei: »Diese vier Punkte klingen viel-
leicht banal, aber sie sind ganz zentral,
und man sollte sie auf keinen Fall verges-
sen.«
Der Literat Camus und der Erziehungs-
wissenschaftler Reichenbach umschreiben
beide das Gleiche, nur mit anderen Wor-
ten. Beide reden von der schülerzentrierten
und leidenschaftlichen Lehrperson und
ihrer hohen menschlichen Verantwortung
fürs Lernen der Kinder.
Die komplexe Vielfalt
des Klassenzimmers
Wer ins Schulzimmer blickt, erkennt
schnell, was diese Verantwortung konkret
bedeutet und was sich innerhalb dieser
vier Wände an Entscheidendem ereignet.
Hier sollen die jungen Menschen lernen,
mit Kopf und Hand zu arbeiten – und mit
dem Herzen dabei zu sein – und so all das
zu erwerben, was wir für die Grundsäulen
des Lebens halten: Rechnen sowie Schrei-
ben, Lesen, Sprechen – in der eigenen und
in fremden Sprachen. Dazu allein und mit-
einander Probleme lösen und Kenntnisse
aus der nahen und fernen – auch der ver-
gangenen – Welt erwerben. Dann Freude
gewinnen an der Bewegung und am Schö-
nen, am Musischen und Kreativen sowie
Respekt entwickeln vor den Mitmenschen
und der Natur.
Die Kinder sollen überdies das Lernen
trainieren und die Ausdauer, offen sein für
andere Ansichten und ihre Meinung fair
vertreten können. Und so manches andere
mehr: ein immenser Berg und eine höchst
anspruchsvolle Aufgabe im subtilen Drei-
eck zwischen Lehrperson, Kind und Unter-
richtsinhalt.
Das Korsett künstlich
konstruierter Komplexität
engt ein
Wer steuert in diesem pädagogischen
Dreieck die Lernprozesse? Die Lehrerin!
Der Lehrer! So die selbstverständliche
Antwort. Doch sie trifft nicht mehr zwin-
gend zu. Die Fächerfülle steigt, die Rege-
lungsdichte nimmt zu, die Vorschriften in-
tensivieren sich, die Strukturen werden
enger, die Schuladministration wächst –
und damit auch die Zahl der Akteure. Das
schwächt den pädagogischen und
menschlichen Spielraum der Lehrperson;
das schnürt ihren Freiheitsraum spürbar
ein. Eine künstlich konstruierte Komplexi-
tät des Systems gefährdet die zwingend
notwendige Balance im pädagogischen
Dreieck.
Erfahrene Lehrer warnen seit Langem,
dass das Feu sacré zu ersticken drohe un-
ter einem Papierberg an Dekreten und
Direktiven, Reglementen und Vorgaben.
Viele erleben es so: Unnötige Konferenzen
und Zusatzaufgaben rauben Zeit und len-
ken vom Wesentlichen ab. Das wirkt sich
aus.
Camus‘ Lehrer: »Il aimait
passionément son métier«
Die Schule lebt vom inneren Feuer der
Lehrpersonen. Sie ist ein unersetzliches
Kapital. Der Leidenschaft für die Welt ent-
springt das vitale Engagement für den pä-
dagogischen Auftrag. Das ist die alte Idee
der Pädagogik. Diese humane Energie be-
flügelt Kinder.
Jede administrative Maßnahme, jede
behördliche Vorschrift, jede Schulreform
müsste demzufolge doch bewirken, dass
Lehrerinnen und Lehrer – um nochmals an
Camus‘ Wort zu erinnern – ihren Beruf lei-
denschaftlich lieben können. Es ist die sti-
mulierende Voraussetzung für einen guten
Unterricht. Basis dazu ist die Balance im
Bildungsdreieck.
1 vgl. Peter von Matt (2001): ’Die tintenblauen
Eidgenossen. Über die literarische und politische
Schweiz’, München/Wien: Carl Hanser Verlag, S. 91.
2 Albert Camus (1997): ’Der erste Mensch’, Reinbek
bei Hamburg, S. 125, 128. Im autobiographischen
Roman heißt Camus’ Lehrer Monsieur Bernard.
3 Ebda, S. 282 [Datum des Briefes: 19. November 1957].
4 Roland Reichenbach (2015), ’Kein Mensch ist bildungs-
fern’, in: https://www.srf.ch/wissen/lernen-gewusst-wie/
kein-mensch-ist-bildungsfern [Status: 27. Januar 2020].
SCHULE &POLITIK
Foto: Stiftung Lesen/Andrea Steinbrecher
Lesen macht schlau.
Darum würdigt der Deutsche Lesepreis Projekte
und Initiativen, die die Leseförderung voranbringen.
Bewerbungsphase für
Deutschen Lesepreis gestartet
A
A
b sofort startet die
Bewerbungsphase
für den Deutschen Lese-
preis 2020 – der bundes-
weit wichtigsten Aus-
zeichnung für Personen
und Einrichtungen, die
sich für die Leseförderung
stark machen. Bis 30. Juni
können Projekte unter
www.deutscher-
lesepreis.de
eingereicht
werden.
Der mit insgesamt
25000 Euro dotierte Preis
wird in sechs Kategorien
verliehen, darunter zum
Beispiel ’Herausragende
Leseförderung an Schulen’
oder ’Herausragende Le-
seförderung mit digitalen
Medien’. Geplant ist, die
Gewinner am 4. Novem-
ber im Berliner Humboldt
Carré zu küren. Die Aus-
zeichnung ist eine ge-
meinsame Initiative von
Stiftung Lesen und Com-
merzbank-Stiftung und
steht unter der Schirm-
herrschaft von Professorin
Monika Grütters, Staats-
ministerin für Kultur und
Medien.
Wir danken
Ihnen für …
nichts!
lehrer nrw ·
3/2020
26
KOLUMNE
Ferdinand Kümmertsich
ls mir doch gestern unser
Schuldezernent
Herr Bürokratius
aus dem Elfenbeintürm-
chen ’Bezirksregierung’ über
den Weg lief, erinnerte er mich an meine
Jeans, die ich trug – alt und verschlissen. Da-
bei war er doch gerade erst Anfang fünfzig
und hatte noch fünfzehn Jahre vor sich. Aber
mit weitem Blick ins Kollegium, sahen diese
teilweise nicht anders aus als meine Jeans –
und ich auch nicht. Der Zahn der Zeit nagt so
schnell, aber selbst junge Kolleginnen und
Kollegen sahen unglaublich gealtert aus. Naja,
früher erhielt man eine Wertschätzung von
Seiten der Eltern und der abgegangenen Schü-
lerinnen und Schüler. Dies ist heute auch noch
so, nur es ist weniger geworden. Aber der Res-
pekt, als Lehrer wahrgenommen zu werden,
fehlt. Eine Wertschätzung des Dienstherren
fehlt ebenfalls komplett. Es geht sogar so
weit, dass man sein eigenes Jubiläum bean-
tragen muss. Dies habe ich auch getan – vor
genau zwei Jahren. Ich schrieb:
Wir danken
Ihnen für …
nichts!
Der Kollege Ferdinand Kümmertsich ist gestählt durch unzählige Schlachten in Konferenzen,
Bezirksregierungsbüros und Elternsprechtagen. Mit reichlich Berufs- und Lebenserfahrung aus-
gestattet, blickt mit einem Augenzwinkern auf den ganz normalen Wahnsinn des Systems Schule.
Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrter Herr Staatssekretär,
sehr geehrter Herr Schuldezernent – kurz, liebe Dreifaltigkeit,
hier meldet sich von der Front Kollege Kümmertsich. Ich möchte kurz daran erinnern,
dass ich versuche, seit mehr als 25 Jahren den Halbgaren, Halbstarken, zickigen Mode-
püppchen, normalen Kindern und Jugendlichen, psychisch kranken Kindern und Jugend-
lichen, verwöhnten Schnöseln und Kindern, die mich nicht verstehen, etwas beizubrin-
gen und sie zu eigen- und selbstbestimmten Menschen zu erziehen. Nebenbei verwalte
ich diese auch alle. Es wäre nett, wenn sie dies kurz durch ein Dienstjubiläum würdigen
könnten.
Mit freundlichen Grüßen und in der Hoffnung, Sie nicht gestört zu haben…
Ferdinand Kümmertsich
Ich bekam auch eine Antwort – nach
zwei Jahren! Im Anschreiben entschuldig-
te man sich für die ’geringfügige Verzö-
gerung’ und gratulierte herzlich. Anbei
fände ich die Urkunde und eine Emp-
fangsbestätigung, die ich unterschreiben
solle, da sonst die ’Prämie’ nicht gezahlt
werden könne. Ich würde noch wertloser
mit dem ’Bodenpersonal’ umgehen, dann
ist die Jeans nicht nur verschlissen, son-
dern zerrissen – und neue gibt es nicht so
schnell! Liebes Ministerium, kümmert
Euch um Euer Bodenpersonal, und dies
nicht nur mit ein paar Fortbildungen zur
’Lehrergesundheit’. Steht endlich mal hin-
ter den Leuten, die für Euch arbeiten!
Das musste mal gesagt werden.
Euer alter Kollege
Ferdinand Kümmertsich
SENIOREN
27
3/2020 ·
lehrer nrw
In eigener
Sache
D
ie Coronavirus-Krise hält die
Welt in Atem und hat sie
völlig durcheinandergebracht.
Sie erleben das jeden Tag über-
all, auch hier bei uns in Nord-
rhein-Westfalen. Vieles kann
nicht mehr stattfinden, und
davon sind wir Senioren im
lehrer nrw
nicht ausgenommen.
Unsere letzten Veranstaltungen
mussten alle abgesagt werden:
Es handelte sich um den Besuch
der BayerWerke in Wuppertal im
März, die Fortbildung ’Für den
Kopf das Beste’ Anfang März,
die Fortbildung ’Bewegung und
Entspannung’ am 20. März, die
’Reise ins Frankenland’ im April,
direkt nach Ostern, und die Ta-
gung in Thomasberg über ’Office
2019 und Gimp’ ab 22. April.
Auch das für Juni geplante
Treffen in Essen mit dem Besuch
der Ausstellung im Folkwang-
museum ’Retrospektive Keith
Haring’ ist vom Museum wegen
der Verschiebung der Ausstel-
lungseröffnung in den Herbst
abgesagt worden, ebenso der
damit verbundene Besuch der
Gruga. Der nächste für Juli
geplante Besuch bei SKS in
Sundern und dem ’Sauerländer
Dom’ in Neheim fällt also eben-
falls vorerst wegen der Corona-
virus-Krise aus.
Wir wünschen Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, von
Herzen gute Gesundheit für sich
selbst (als der Risikogruppe zu-
gehörig) und für alle Ihre Ange-
hörigen. Hoffen wir, dass es bald
wieder eine bessere Zukunft für
alle gibt.
Konrad Dahlmann
Leiter des Referats Senioren
im
lehrer nrw
VDR-Seniorenseminar
in Königswinter
N
N
och vor dem Beginn der
Corona-Einschränkungen
trafen sich vom 8. bis 10. März
fünfzehn Seniorenvertretungen
der Bundesländer in Königs-
winter-Thomasberg gemeinsam
mit der Vorsitzenden Christa
Nicklas, um sich über sozial-
rechtliche Themen wie Rente,
Pensionen und Beihilfe zu infor-
mieren und auszutauschen. Von
Nordrhein-Westfalen nahmen
daran teil: Bernadette Trompet-
ter, Manfred Berretz und Kon-
rad Dahlmann. Die Referenten
Dr. Oliver Kluxen vom Senioren-
verband BRH/Landesverband
Sachsen e.V., Thilo Hommel als
Referent im Geschäftsbereich
Besoldung und Versorgung des
dbb sowie der VDR-Bundesvor-
sitzende Jürgen Böhm stellten
innerhalb ihrer Vorträge und im
Rahmen einer Podiumsdiskussi-
on wesentliche Elemente des
Sozialrechts in der Bundesrepu-
blik Deutschland vor.
Die weiteren Pläne
INFO
Den ausführlichen Artikel von Bernadette Trompetter finden Sie im Internet unter
www.lehrernrw.de/verband/senioren/rueckblick-auf-veranstaltungen/veranstaltungen-2020.html
F
F
ür den späten Herbst ist, wenn es die Coro-
na-Situation erlaubt, eine kleine Exkursion
in den Harz und Umgebung mit Standort in
Wernigerode geplant, wahrscheinlich in der Zeit
vor den Herbstferien. Am 12. November steht
der Besuch des Landtages in Düsseldorf mit Par-
lamentssitzung auf dem Programm der
lehrer
nrw
-Senioren. Des Weiteren ist im Dezember der
Besuch des WDR in Köln vorgesehen.
Wir haben für unsere weiteren Planungen
in der kommenden Zeit die Bitte an Sie, uns Ihre
Vorschläge zuzusenden. Dabei geht es unter an-
derem um folgende Fragen:
1. Sollte man die jährliche ’große Fahrt’
über sechs bis sieben Tage mit öffent-
lichen Verkehrsmitteln und privat,
oder mit einem Autobus durchführen?
2. Wird eine Rheinfahrt mit einem Schiff
von Köln bis Basel gewünscht?
3. Welche Wünsche und Ideen haben Sie?
Antworten bitte per E-Mail an
Konrad Dahlmann:
Dahlmann@lehrernrw.de
Herzlichen Dank für Ihre Mithilfe.
Die Teilnehmer der Seniorentagung in Königswinter.
lehrer nrw ·
3/2020
28
Lehrkräfte, die neben ihrem beruflichen Engagement noch Zeit
und Muße für Nebentätigkeiten haben, müssen dabei verschie-
dene dienstrechtliche Rahmenbedingungen beachten. Worauf
es ankommt, erklärt
lehrer nrw
-Justitiar Christopher Lange.
D
D
er Beruf der Lehrerin oder des Lehrers
ist erfüllend. Er ist auch ausfüllend
und anstrengend, zuweilen sogar
auslaugend. Wer mag dem widersprechen?
Dennoch zeigen immer wieder Lehrerin-
nen und Lehrer Interesse an einem weiteren
Engagement neben ihrem Beruf. Allenfalls
statistisch bedeutsam mag dabei sein, ob es
sich um ein Engagement trotz der Anstren-
gungen im Schulalltag oder gerade als Aus-
gleich zu diesen handelt, ob die Hintergrün-
de eher im wirtschaftlichen Bereich oder in
der Selbstverwirklichung zu suchen sind. Die
Bandbreite in Betracht kommender Tätigkei-
ten ist riesig, man denke an Sporttrainer,
Chorleiter, Schriftsteller, Gutachter, Schau-
spieler, Gemeinderäte, Handwerker, land-
und fortwirtschaftliche Helfer, soziale Be-
rufsbilder und vieles mehr. Männer engagie-
ren sich bürgerschaftlich angeblich mehr in
Sport und Politik, Frauen mehr im Natur-
schutz und kirchlichen Bereich. Ob das aktu-
elle Interesse damit zu tun hat, dass der Un-
terricht von Zuhause, wie er Corona-bedingt
stattfindet, die Luft oder das Bedürfnis dafür
gibt, sich mit dem Thema zu beschäftigen?
Oder ob dem einen oder der anderen sogar
die Idee eines Nebenjobs in sogenannten
systemrelevanten Berufen mit dringendem
Bedarf gekommen ist?
Haupttätigkeiten und
Nebentätigkeiten
Was auch immer einem vorschwebt, man
sollte die rechtlichen Rahmenbedingungen
kennen, damit sich der erwartete Gewinn an
Renommee, Lebensfreude oder monetärer Art
auch einstellt und insbesondere nicht der
Dienstherr einen Strich durch die Rechnung
machen kann. Die maßgeblichen Vorschriften
zum Nebentätigkeitsrecht finden sich für
Beamtinnen und Beamte in den §§ 48 ff.
Landesbeamtengesetz NRW (LBG) und der
Nebentätigkeitsverordnung (NtVO). Für An-
gestellte gelten § 3 Absatz 4 Tarifvertrag für
den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und
ein Gemeinsamer Runderlass des Finanz- und
des Innenministeriums zur Anwendung des
TV-L vom 16. April 2007. Spricht man von
Nebentätigkeiten, so muss es auch Haupttä-
tigkeiten geben: Diese, das heißt die Aufga-
ben des Hauptamtes, sind die pädagogischen
Aufgaben von Lehrkräften wie in den §§ 5 ff.
der Allgemeinen Dienstordnung (ADO) be-
schrieben. Derartigen (Haupt-)Aufgaben darf
nicht zusätzlich im Rahmen einer Nebentä-
tigkeit nachgegangen werden.
Beamtinnen und Beamte haben Folgen-
des zu beachten: Als Nebentätigkeit gelten
per Festlegung durch § 2 Absatz 4 NtVO
von vornherein nicht die dort aufgezählten
Funktionen wie beispielsweise als Mitglied
in Ausschüssen von Gemeindeverbänden,
als ehrenamtliche Richterin oder Richter,
als Pflegeperson im Sinne von SGB XI einer
RECHT
§
AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
Eine Lehrkraft, die sich ein zusätzliches Betätigungsfeld
aufbauen möchte, sollte sich gut überlegen, ob sie den
Spagat zwischen den Dienstpflichten ihres eigentlichen
Berufs und ihrer Nebentätigkeit hinbekommt.
F
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m
Auf
Nebenwegen
oder eines pflegebedürftigen Angehörigen
oder als Ehrenbeamtin oder Ehrenbeamter
in Organisationen für den Feuerschutz.
Keine Nebentätigkeit
ohne Genehmigung
Bei genehmigungspflichtigen Tätigkeiten
nach § 49 Absatz 1 LBG ist die Genehmi-
gung rechtzeitig vor Aufnahme der Tätigkeit
bei den Bezirksregierungen beziehungs-
weise dem Schulamt bei Lehrerinnen und
Lehrern an Grundschulen zu beantragen
2 Absatz 4 Satz 1 LBG), wenn die Tätig-
keit nicht ausnahmsweise sogar auf Verlan-
gen der dienstvorgesetzten Stelle übernom-
men wird (§ 48 LBG). Der schriftliche Antrag
muss über Art und Dauer, den wöchentli-
chen Zeitaufwand, Auftraggeber und die er-
wartete Vergütung Auskunft geben 6 Ab-
satz 1 NtVO). Genehmigungen sind stets auf
höchstens fünf Jahre zu befristen (§ 49 Ab-
satz 3 LBG). Nachträgliche Veränderungen
an den Angaben, die zur Genehmigung füh-
ren sollen, sind von der Antragstellerin oder
dem Antragsteller unverzüglich in schriftli-
cher Form zu melden. Gegebenenfalls ist die
Genehmigung zu widerrufen (§ 6 Absatz 1
Satz 5 NtVO). Dies würde der Mitbestim-
mung des Personalrats unterliegen (§ 72 Ab-
satz 1 Nr. 12 LPVG NRW). Als Beispiel mit
der größten Praxisrelevanz sind hier die
Übernahme einer gewerblichen Tätigkeit zur
Vergütung oder die Ausübung eines freien
Berufs zu nennen (§ 49 Absatz 1 Nr. 2 LBG).
Dienstliche Interessen
dürfen nicht beeinträchtigt
werden
Einer Genehmigung steht insbesondere die
Beeinträchtigung dienstlicher Interessen
durch die Nebentätigkeit in Wege. Der Ge-
setzgeber hat hier dezidiert – und nicht ein-
mal abschließend – dargelegt, wann dies
der Fall ist (§ 49 Absatz 2 LBG): So dürfen
Art und Umfang die Arbeitskraft der Beam-
tin oder des Beamten nicht so stark bean-
spruchen, dass ihre Dienstpflichten darunter
leiden. Dafür wird sogar ein Richtwert ge-
nannt; eine Genehmigung wird in der Regel
versagt, wenn ein Fünftel der regelmäßigen
Wochenarbeitszeit, bei Lehrkräften gemes-
sen an den Pflichtstunden, überschritten
wird (§ 49 Absatz 2 Satz 3 LBG).
Andere typische Versagungsgründe sind
der Widerstreit mit dienstlichen Pflichten
oder die Tätigkeit in einer Angelegenheit,
in der die Behörde, der man zugehört, selbst
tätig ist; ebenso dazu zählen die Möglichkeit
der Beeinflussung der Unbefangenheit der
Beamtin oder des Beamten, der wesentlichen
Einschränkung der künftigen dienstlichen
Verwendbarkeit oder die Möglichkeit der
Schädigung des Ansehens der öffentlichen
Verwaltung (§ 49 Absatz 2 Satz 2 Nr. 2-6).
Eine allgemeine Genehmigung kann in
den dargestellten Fällen angenommen wer-
den, wenn die Tätigkeit insgesamt einen ge-
ringen Umfang hat, keine dienstlichen Inte-
ressen beeinträchtigt, außerhalb der Ar-
beitszeit stattfindet und mit weniger als ein-
hundert Euro im Monat vergütet wird. Die
Tätigkeit ist dann nur anzuzeigen. Wenn sie
nur einmalig ausgeübt wird, muss man
nicht einmal das (§ 7 NtVO).
Andere als die erwähnten genehmigungs-
pflichtigen Konstellationen sind schriftlich
anzuzeigen. Dazu zählen nach § 51 Absatz 1
LBG insbesondere die Verwaltung eigenen
Vermögens, Lehr- und Forschungsgutachter-
tätigkeiten sowie das Engagement zur Wah-
rung der Berufsinteressen in Verbänden.
Schriftstellerische, wissenschaftliche, künst-
lerische oder Vortragstätigkeiten zählen an
sich auch in diese Kategorie, sind aber doch
genehmigungspflichtig bei gewerbs- und
geschäftsmäßiger Verwertung (§ 9 Absatz
Satz 3 NtVO).
Einnahmen ab1 200 Euro
sind zu melden
Wichtig ist, dass aus der Tätigkeit erwachse-
ne Einnahmen grundsätzlich aufzustellen
und zu melden sind, wenn sie 1 200 Euro im
Kalenderjahr übersteigen (§ 15 NtVO). Ste-
hen höhere Summen im Raum, sind nach
§ 13 NtVO gegebenenfalls auch – je nach
Fall unterschiedliche – Höchstgrenzen und
Abführungspflichten zu beachten.
Für Angestellte gelten nach § 3 Absatz 4
TV-L und dem genannten zugehörigen
Runderlass nur Anzeige- und nicht Geneh-
migungspflichten. Dennoch kann eine ge-
plante Tätigkeit untersagt werden. Um ein-
zuschätzen, wann dies der Fall wäre, kön-
nen sich Angestellte an den oben aufgeführ-
ten Grundsätzen orientieren. Bedeutsam ist,
dass vor einer Untersagung zu prüfen ist, ob
nicht im Rahmen einer Auflage ein milderes
Mittel in Frage kommt. Zu denken ist bei-
spielsweise an die zeitliche Begrenzung der
geplanten Tätigkeit.
Nach all dem mag der Leser nachvollzieh-
barerweise noch nicht ganz sicher sein,
wann und inwieweit nun Anzeige- oder Ge-
nehmigungsnotwendigkeiten bestehen. Die
Kenntnis darüber hilft aber, einen möglichst
reibungslosen Start bei der ins Auge gefass-
ten Nebentätigkeit zu haben. Damit das Vor-
haben jedoch überhaupt gelingen kann,
sollte man aber vor allem anderem durch-
dacht haben, ob die Tätigkeit überhaupt mit
dienstlichen Interessen in Einklang zu brin-
gen ist und vom geplanten Umfang her
nicht zu weit gehen würde.
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
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3/2020 ·
lehrer nrw
lehrer nrw ·
3/2020
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ANGESPITZT
D
D
ie Corona-Krise hat auch Vorteile:
Der Sprit ist billig, die ewig miese-
petrige Visage des nervigen Nachbarn
verschwindet hinter der Gesichtsmaske,
in (fast) allen Schulen gibt es erstmals
seit Menschengedenken wieder Seife.
Und die Qualitätsanalyse ist vorüberge-
hend abgeschafft. Echt wahr: Wegen
der Corona-Pandemie wird die Quali-
tätsanalyse an allen nordrhein-westfäli-
schen Schulen bis zu den Sommerferien
ausgesetzt, wie das nordrhein-westfäli-
sche Schulministerium kürzlich mitteil-
te.
Auf der nach unten offenen Unbe-
liebtheitsskala von Lehrerinnen und
Lehrern rangieren die Qualitätsprüfer
des Dezernats 4Q knapp hinter Zahn-
schmerzen und Donald Trump. Das liegt
daran, dass die Qualitätsanalyse viel
sinnlose Arbeit verursacht und wenig
sinnvolle Ergebnisse liefert.
So erfreulich die Aussetzung der QA
auch ist: Es ist auch ein Wort des Mitge-
fühls angebracht: Viele Qualitätsprüfer
haben nun ohne ihre Arbeitsbeschaf-
fungsmaßnahme Tagesstruktur und
Lebenssinn verloren. Es wurde bereits
von umherstreunenden Vertretern die-
ser Spezies berichtet, die verzweifelt
versuchten, sich Zugang zu geschlosse-
nen Schulen zu verschaffen. Einige wa-
ren dabei recht kreativ: Sie gaukelten
verstörten Hausmeistern vor, sie müss-
ten die Notbetreuung in der betreffen-
den Schule einer Kontrolle unterziehen.
Andere suchten Lehrkräfte an ihrer
Privatadresse auf und gaben vor, sie
müssten Art und Qualität des Home
Schoolings begutachten.
Es gibt allerdings auch andere Bei-
spiele: In einem Fall konnte ein Quali-
tätsprüfer als Erntehelfer bei einem
Spargelbauern vermittelt werden.
Er wurde jedoch bereits nach wenigen
Tagen entlassen: Er hatte seine Spargel-
stecher-Kollegen unautorisiert darauf
hingewiesen, dass ihre Erntemenge von
der Norm abweiche und er das der
Dienststelle melden müsse.
Jochen Smets
Qualitätsprüfer ohne Lebenssinn
HIRNJOGGING
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3/2020 ·
lehrer nrw
Über Feedback zu meinen Gehirnjogging-Übungen würde ich mehr sehr freuen: mail@heike-loosen.de Heike Loosen
Gedankenwürfel
Die gegenüberliegenden Seiten eines Würfels ergeben immer die
Summe 7. Somit steht der 6 immer die 1 gegenüber, der 2 die 5
und der 3 die 4.
Wir haben nun sieben verschiedene Ausgangslagen des Wür-
fels. Die Fotos zeigen den Würfel immer mit der Ansicht auf oben,
vorne links und vorne rechts. Sie müssen sich also die Werte der
Seiten unten, hinten rechts und hinten links errechnen.
Und wir haben Willi Wurm, der sich auf verschiedenen Wegen
durch den Würfel krabbelt. Ihre Aufgabe ist es, die Summe aller
Seiten zu bilden, die Willi besucht hat. Da Sie gleichzeitig die Zwi-
schensumme, ggf. die errechnete Augenzahl auf der nicht sichtba-
ren Seite und den Aufgabentext im Kopf halten müssen, schult die
Aufgabe Ihr Kurzzeitgedächtnis und fordert Ihren Arbeitsspeicher.
Das obere Bild zeigt die Ausgangslage, das untere Bild die dazu
gehörende Aufgabe. Als Beispiel sehen wir uns zusammen das
große Bild auf der linken Seite an.
Willi Wurm befindet sich oben, also auf der 3. Er krabbelt laut
Aufgabenstellung nach hinten rechts. Auf welcher Zahl ist er
nun? Auf der 6, denn 1 plus 6 ergibt 7. Da Sie aber auch die
Summe aller besuchten Seiten bestimmen sollen, rechnen Sie 3
(Ausgangsposition) plus 6 = 9. Die 9 halten Sie als Zwischen-
summe im Kopf.
Nun geht es nach unten. Wenn oben die 3 ist, befindet
sich unten die 4. Diese 4 addieren Sie zur 9 und dann geht
es weiter. Machen Sie nun alleine weiter. Wie lautet die
Endsumme?
oben
hinten rechts
unten
hinten links
hinten rechts
unten
Summe =
oben
vorne rechts
unten
hinten rechts
hinten links
Summe =
oben
hinten links
vorne links
unten
vorne rechts
hinten rechts
Summe =
oben
hinten links
vorne links
unten
vorne rechts
hinten rechts
Summe =
oben
vorne rechts
vorne links
unten
hinten links
vorne links
Summe =
oben
vorne links
unten
vorne rechts
hinten rechts
Summe =
Beginn auf der 2
hinten links
unten
vorne rechts
hinten rechts
oben
Summe =
Wir danken
Ihnen für
Ihren Einsatz!