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4/2020 ·
lehrer nrw
lem LAN und WLAN verbunden. Alle Schüle-
rinnen und Schüler haben individuelle schuli-
sche Mailadressen. Dennoch funktioniert die
Sache mit dem digitalen Lernen von zu Hause
höchst unterschiedlich; und das lag und liegt
nicht in erster Linie an fehlender Ausstattung
in den Elternhäusern.
Unter der Schülerschaft meiner Schule sind
eine ganze Reihe Kinder, die mit Ihren Eltern
vor den Grauen des Krieges in Syrien geflüch-
tet sind. Es ist unvorstellbar, was diese jungen
Seelen erleben und durchmachen mussten,
und wir sind froh und glücklich, dass sie es
gesund zu uns geschafft haben. Diese Kinder
fallen dennoch besonders auf; und zwar im
positiven Sinne! Natürlich sind meine Er-
kenntnisse nicht repräsentativ, sie treffen
allerdings für meine Schule zu. Diese Kinder
sind sehr gut erzogen, und sie sind positiv
ehrgeizig. Wenn man sich mit ihnen unterhält,
stellt man sehr schnell fest, dass sie es ver-
standen haben, dass sie nur dann eine reelle
Chance auf ein »besseres Leben« haben,
wenn sie fleißig sind, gute Schulabschlüsse
schaffen und wenn sie über ein hohes Maß
an emotionaler Kompetenz verfügen. Daran
arbeiten diese Kinder und deren Eltern uner-
müdlich. Waren die Möglichkeiten zum digita-
len Lernen zu Hause nicht gegeben, wurde
um Hilfe gebeten, und es ließen sich Lösun-
gen finden. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Erschreckende
Motivations-Defizite
Nahezu erschreckend sind allerdings Beob-
achtungen in Haushalten sogenannter ’bio-
deutscher’ Familien. Von 23 Kindern in einer
Klasse 8 schaffen es sieben nicht, innerhalb
von vierzehn Tagen eine einfache Aufgabe zu
lösen: Sie sollten für den Deutschunterricht
eine Lektüre kaufen. Sie machen es einfach
nicht! Da mir deren Elternhäuser bekannt
sind, scheiden finanzielle Probleme als Erklä-
rungsansatz gänzlich aus. Auch weiß ich von
jenen Schülerinnen und Schülern, dass sie zu
Hause bestens ausgestattet sind um theore-
tisch an digitalen Lernangeboten in vollem
Umfang teilnehmen zu können. Als Klassen-
lehrer telefoniere ich also in der folgenden
Zeit beinahe täglich mit den Eltern der Kinder
um zu erfahren, warum Aufgaben nicht bear-
beitet werden, Antworten nicht fristgerecht an
die Kolleginnen und Kollegen verschickt wer-
den, warum nach vierzehn Tagen immer noch
keine Lektüre vorliegt. Ein hartes Geschäft!
Immer wieder hört man Ausflüchte und Ausre-
den. Allerdings auch die Beteuerung, dass es
von nun an besser werden wird. Nur, umge-
setzt werden diese Versprechen leider nicht.
Es ist extrem frustrierend! Sogar als die Kin-
der jener achten Klasse erstmalig wieder zum
Präsenzunterricht in der Schule erschienen,
hatten sechs Kinder immer noch keine Lektüre
dabei. Weitere sieben haben sie zwar gekauft,
jedoch nicht eine einzige Seite gelesen. Ganz
anders die syrischen Kinder!
Was läuft schief
und warum?
Bei genauerem Hinsehen und weiteren Unter-
suchungen stellt man dann fest, dass es auch
nicht dran gelegen hat, dass zu Hause keine
physische Unterstützung gegeben war. Er-
fährt man dann noch im Austausch mit Kolle-
ginnen und Kollegen, dass trotz voll ausge-
bauter technischer Grundausstattung von
schulischer Seite und bester Voraussetzungen
in den Elternhäusern flächendeckend die
gleichen Beobachtungen zu machen sind,
dann folgt zwangsläufig die Frage, warum
das denn alles nicht besser funktioniert?
Kolleginnen und Kollegen unterbreiten un-
endlich viele, motivierende, altersgerechte
und anregende Angebote. Sie chatten und
sind in Videokonferenzen mit ihren Klassen
unterwegs. Sie sitzen Stunden um Stunden
vor ihren Computern, um abwechslungsrei-
che und attraktive Angebote zu posten. Sie
beantworten Mails und geben Hilfestellun-
gen. Dennoch werden diese Angebote insge-
samt nur eher bescheiden angenommen und
noch weniger umgesetzt. Was ist da also los?
Zumindest in meinem Kollegium fällt die
Antwort auf diese Frage eindeutig und einhel-
lig aus: Bildung und Schule haben (leider) ei-
nen viel zu geringen Stellenwert in den Köp-
fen der Eltern. Ob sie nun nicht wollen oder
nicht können, das lässt sich nur schwer beur-
teilen. Geld für neueste Handys, teure Beklei-
dung und Hobbys ist jedenfalls in giganti-
schem Maße vorhanden bei den Eltern unse-
rer Schülerinnen und Schüler. Was fehlt, ist die
Erkenntnis, dass nur durch Bildung ein erfüll-
tes, zufriedenes und erfolgreiches Leben mög-
lich ist. Diese grundlegende Einstellung zu
Schule und Bildung scheint abhanden gekom-
men zu sein. Da kann man als Lehrkraft noch
so viel motivieren und schülerorientierten
Unterricht anbieten, wenn Schülerinnen und
Schüler nicht mitziehen, geht gar nichts!
Milliardeninvestitionen
allein helfen nicht
Wer nun also glaubt, dass Milliardeninvestitio-
nen in die Digitalisierung der Schulen zu bes-
seren Ergebnissen und motivierteren Schüle-
rinnen und Schülern führen werden, der irrt
gewaltig. Wir brauchen dringend ein Umden-
ken in den Köpfen der Eltern und darüber eine
breite gesellschaftliche Debatte. Ohne Eltern
funktioniert nämlich überhaupt nichts! Natür-
lich weiß ich, dass in unserer Zeit in vielen
Elternhäusern beide arbeiten müssen. Darum
geht es aber nicht. Es geht darum, dass Eltern
ihren Kindern sehr deutlich aufzeigen müssen,
dass Schule und alle damit verbundenen An-
forderungen oberste Priorität im Leben der
Kinder haben müssen. Knapp dreizehn Wo-
chen Ferien im Jahr lassen da noch genügend
Freiraum für Freizeit, Spielen, Erholung und
den Erwerb anderer, lebensnotwendiger Kom-
petenzen.
Zunehmend wird die gigantische ’Wohl-
standsverwahrlosung’ großer Teile unserer
heutigen Jugend, ausgelöst durch deren El-
tern, zu einem gewaltigen Problem werden.
Da hilft es überhaupt nicht, wenn ich jedem
Schüler und jeder Schülerin einen Laptop auf
Staatskosten überreiche, die Schulgebäude mit
Glasfaser verkabele und die Kolleginnen und
Kollegen moderne Unterrichtsangebote unter-
breiten.
Ich wünsche mir mehr intrinsische Motiva-
tion für Schule und Bildung, ausgelöst durch
Lehrerinnen und Lehrer, aber eben auch und
in erster Linie durch Eltern. Ganz so wie wir
es bei unseren geflüchteten Schülerinnen
und Schülern erleben dürfen.
Thorsten Schmalt
Konrektor der Realschule Hückeswagen · Mitglied des Haupt-
personalrates und des Bezirkspersonalrates Köln