3
Unter der Lupe
Bildungsgerechtigkeit –
zum Ersten, zum
Zweiten und zum …
15
Dossier
Bildendes Lernen
braucht Schule
und Unterricht
28
Recht§ausleger
Corona vor
Gericht
6
Im Brennpunkt
Mitbestimmung
in der Krise
Digitales Lernen:
Erleuchtung oder Ernüchterung?
Pädagogik & Hochschul Verlag
.
Graf-Adolf-Straße 84
.
40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
1781 | Ausgabe 4/2020 | JUNI | 64. Jahrgang
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
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‘lehrer nrw’
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ten. Preis für Nichtmitglieder
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lehrer nrw
Nordrhein-Westfalen,
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Brigitte Balbach,
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PÄDAGOGIK &
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Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
INHALT
lehrer nrw ·
4/2020
2
UNTER DER LUPE
Brigitte Balbach: Bildungsgerechtigkeit –
zum Ersten, zum Zweiten und zum
3
FORUM
Thorsten Schmalt:
Auf die Eltern kommt es an!
4
BRENNPUNKT
Sven Christoffer:
Mitbestimmung in der Krise
6
JUNGE LEHRER NRW
Sarah Wanders: Lehramtsausbildung
in Zeiten von Corona
8
TITEL
Das Corona-Tagebuch 10
Umfrage 1: Die Sicht der Lehrkräfte 12
Umfrage 2: Die Sicht der Schüler 13
Mehrarbeit und Home-Schooling 14
Schulfahrten nach dem Sommerferien 14
Dienstliche Beurteilungen
in Corona-Zeiten
14
DOSSIER
Prof. Dr. Jochen Krautz: Bildendes Lernen
braucht Schule und Unterricht
Warum digitales Lernen auch in Krisenzeiten
nur ein Notstopfen bleibt
15
BATTEL HILFT
Home sweet home 19
SCHULE & POLITIK
Finde Deinen Weg! 20
Post für Laschet und Gebauer
22
Digitalisierung ist kein Garant
für guten Unterricht
24
Keine Schnellschüsse!
26
KOLUMNE
Ferdinand Kümmertsich:
Es war einmal
27
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange: Corona vor Gericht 28
ANGESPITZT
Jochen Smets:
Die Schalmeien der Entlastung
30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Tiere im Kreis
Aufgabe 2: Vokale
Aufgabe 3: Buchstabensalat
31
M
M
it welcher Leichtigkeit der Begriff Bildungsgerech-
tigkeit immer wieder in Anträgen des Landtags
auftaucht! So, als würde die Gesellschaft grund-
sätzlich über eine bestimmte Grundmasse an Bildung verfü-
gen, die nur endlich einmal an unsere Schülerinnen und
Schüler in gleichem Maße verteilt werden müsste. Genau
das aber hätte die jeweilige Regierung und/oder hätten gar
die Lehrkräfte vor Ort bis dato verhindert. Vielleicht ja auch
nur unbedacht: Sie wissen es halt nicht besser. Die Armen!
Mein persönliches Unwort
Und so wurde in den Jahren meiner Streifzüge als
lehrer nrw
Sachverständige in und um den Landtag oftmals erbittert um
den Begriff gestritten, gerungen und gefeilscht, bis er zu mei-
nem persönlichen Unwort wurde. Stellen wir uns doch einmal
folgende Fragen, um der Sache auf den Grund zu gehen:
Kann man Bildungsgerechtigkeit in einer Gesellschaft wirk-
lich herstellen? Ist eine annähernd gleiche Verteilung von
Bildung möglich? Wird Bildung wirklich zugeteilt (von wem
auch immer?!), oder kann sie auch erworben werden? Kom-
men wir eventuell mit einem nur unzureichenden Potenzial
an Bildung auf die Welt? Kann da erfolgreich nachgesteuert
werden? Wird Bildung zunächst bei der Geburt zugeteilt, und
kann sie im weiteren Leben per Eigeninitiative mit viel Moti-
vation vom Einzelnen erworben werden? Hindert gar, wie
viele Anträge im Landtag immer wieder mal suggerieren,
dass Regierende ihre Untergebenen absichtlich an der Bil-
dung nicht oder nicht vollumfänglich teilhaben lassen wol-
len?! Ist es die Aufgabe der jeweiligen Opposition, darauf zu
achten, dass die Bildung insgesamt gleich auf die Schülerin-
nen und Schüler im Land verteilt wird? Wie das? Wie?
Politiker können naturgemäß nur wenig zur Bildung der
Menschen in einem Land beitragen (entsprechende Anträge
geraten immer wieder bei den Menschen in Vergessenheit,
so dass sie öfter wiederholt werden müssen, siehe Bil-
dungsgerechtigkeit)!
Lehrer wollen Kinder
schlau machen
Politiker können aber entsprechende Weichen stellen, die
fiskalischer oder inhaltlicher Natur sein können – immer
sind es jedoch nur Rahmenbedingungen, die angemahnt
oder gar vorgeschrieben werden können. Inhaltliche Vor-
schriften können sich auf dem Verordnungswege nur selten
durchsetzen, zum Glück für die Kinder und Jugendlichen:
Denn solange dies so ist, bestimmen in der Regel wissen-
schaftlich ausgebildete Fachkräfte das Unterrichtsgesche-
hen in der Klasse. Lehrer haben dadurch schon größere
Möglichkeiten: Sie müssen zur Bildung ihrer Schüler nicht
genötigt und immer wieder daran erinnert werden, sondern
es ist ihr intrinsischer Auftrag, ihre Motivation, ihr innerer
Kern, das, weshalb sie Lehrkräfte geworden sind: Sie wollen
Kinder schlau machen. Es ist ihr ureigenes Anliegen, Schüler
zu bilden. Und dieses reicht naturgemäß immer so weit, wie
diese Menschen selbst über Bildung verfügen. Deshalb ist
die Lehrerausbildung von höchstem Wert für alle Menschen
in der Gesellschaft. Genau aus diesem Grund! Und deshalb
muss man bei der Einstellung von Seiteneinsteigern deren
Qualifikation sowie ihre Nachqualifizierung und eine adä-
quate Aufstiegsmöglichkeit für diese Gruppe mitdenken.
Ansonsten entsteht ein Ungleichgewicht in Kollegien, das
die notwendige Zusammenarbeit im Lehrerzimmer emp-
findlich stören kann. Und Missstimmungen in der Lehrer-
schaft führen immer auch zu Verstimmungen in Kollegien,
in der Schülerschaft, in der Elternschaft bis hin zu gesamt-
gesellschaftlichen, sensiblen Stimmungstiefs, die es in
schwierigen und kritischen Zeiten deutlich zu vermeiden
gilt.
Wer Gleichheit fordert,
negiert Verschiedenheit
Wer Gleichheit der Menschen fordert, negiert ihre Verschie-
denheit und setzt ein Paradigma, das festlegt, was jeder
Mensch erreichen können sollte. Er signalisiert mit dieser
Festlegung gleichzeitig, was besser und was schlechter ist
und deshalb damit auch, dass seine Sicht die allwis-
3
4/2020 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von BRIGITTE BALBACH
Bildungsgerechtigkeit –
zum Ersten, zum
Zweiten und zum
Über die Karriere eines Kampfbegriffes
Keine Zeit,
keine Lust?
Der Bildungserfolg von
Kindern hängt nicht nur
von Schulen und Lehr-
kräften ab, sondern auch
und besonders von El-
tern, die ihre Sprösslinge
anleiten und unterstüt-
zen.
FORUM
lehrer nrw ·
4/2020
4
UNTER DER LUPE
sende ist. Ein weiteres Phänomen im Landtag zeigt, dass
meine Darstellung nicht so ganz abwegig ist. Es gibt einen
neuen Textbaustein in der Einladung zu einer Anhörung,
die deutlich macht, dass eine Auseinandersetzung auf
Augenhöhe mit den geladenen Sachverständigen jetzt
nicht mehr oberste Priorität hat. Folgender Textbaustein ist
in den Anschreiben fester Bestandteil der förmlichen Einla-
dung:
»Für den Fall Ihrer Teilnahme mache ich zum organisato-
rischen Ablauf der Anhörung darauf aufmerksam, dass ein
mündliches Statement zu Beginn der Anhörung nicht vor-
gesehen ist. Vielmehr werden die Abgeordneten in Kennt-
nis der von Ihnen eingereichten Stellungnahme direkt Fra-
gen an Sie richten. Bitte beantworten Sie dann ausschließ-
lich die an Sie gerichteten Fragen.«
Soweit zur freien Meinungsäußerung von Sachverstän-
digen in unserem Landtag (offizielle Verlautbarung). Das
ist der Beweis für einen Verlust des demokratischen Wer-
tes »Debattieren auf Augenhöhe«! Ich weise an dieser
Stelle der Fairness halber darauf hin, dass ich bei der letz-
ten von mir besuchten Anhörung im Mai keine Stellung-
nahme abgegeben habe, aber trotzdem befragt wurde.
Das tröstet!
Die Elternhäuser in den Blick nehmen
Das, was Politiker und Lehrkräfte zur Bildung von Schüle-
rinnen und Schülern beitragen, beitragen wollen und
beitragen können, habe ich ansatzweise umrissen.
Es gilt jetzt, die andere notwendige Seite der Bildung
von Kindern und Jugendlichen zu beleuchten, nämlich
die der Elternhäuser. Auch dort gibt es Entwicklungen,
die es notwendig machen, das Bilden und Erziehen von
uns Lehrkräften neu zu überdenken. Es müssen meiner
Erkenntnis nach neue Formen der Zusammenarbeit zwi-
schen Schulen und Elternhäusern gefunden werden, die
das Kind, den Schüler, den Jugendlichen gemeinsam mit
den Eltern oder Erziehern in den Blick nehmen und eine
gemeinsame Pädagogik entwickeln, also vereinfacht ge-
sagt: Wir müssen im gesamtgesellschaftlichen Interesse
wieder an einem Strang ziehen. Müssen! In unser aller
Interesse! Einen Gedankenansatz dazu offeriert Ihnen
Thorsten Schmalt in seinem folgenden Artikel. Lesens-
wert!
Bleiben Sie wachsam auch oder gerade in Zeiten von
Corona! Kinder umarmen sich nach der Zwangstrennung,
koste es, was es wolle. Was sagt uns das denn? Wir haben
eine Zukunft! Auch eine pädagogische! Packen wir sie an!
Die Zeichen stehen gut!
Brigitte Balbach ist Vorsitzende des
lehrer nrw
E-Mail: info@lehrernrw.de
Auf die Eltern
kommt es an!
Dass die Digitalisierung im schulischen Alltag nur
schleppend vorankommt, hat nicht zwangsläufig mit
schlecht ausgestatteten Schulen zu tun. Aus Sicht
von Thorsten Schmalt, Konrektor und Personalrats-
mitglied, hat das Distanzlernen in Corona-Zeiten ge-
zeigt, dass es in vielen Elternhäusern Defizite gibt –
und zwar nicht dort, wo man es erwartet hätte.
Foto: StockAdobe/Wordley Calvo Stock
R
R
iesig groß war die Vorfreude bei meinen
Kolleginnen und Kollegen und mir, als
wir endlich nach gefühlt unendlich lan-
ger Zeit unsere Schülerinnen und Schüler wie-
der persönlich in der Schule begrüßen durften.
Klar, die Umstände waren und sind schon
etwas merkwürdig und gewöhnungsbedürftig,
aber es funktioniert insgesamt ganz gut.
Woran es beim
digitalen Lernen hapert
Seit Wochen wird uns Lehrkräften und den
Schulträgern vorgehalten, wir seien nicht gut
vorbereitet, um Lernen auf Distanz in digitali-
sierter Form anbieten und umsetzen zu kön-
nen. Meines Erachtens wird dabei ein ganz
wesentlicher Punkt viel zu wenig beachtet
und offen diskutiert. Meine Schule zum Bei-
spiel war und ist sehr gut auf digitalen Unter-
richt vorbereitet. Schon lange ist unser ge-
samtes Gebäude mit leistungsstarkem, stabi-
FORUM
5
4/2020 ·
lehrer nrw
lem LAN und WLAN verbunden. Alle Schüle-
rinnen und Schüler haben individuelle schuli-
sche Mailadressen. Dennoch funktioniert die
Sache mit dem digitalen Lernen von zu Hause
höchst unterschiedlich; und das lag und liegt
nicht in erster Linie an fehlender Ausstattung
in den Elternhäusern.
Unter der Schülerschaft meiner Schule sind
eine ganze Reihe Kinder, die mit Ihren Eltern
vor den Grauen des Krieges in Syrien geflüch-
tet sind. Es ist unvorstellbar, was diese jungen
Seelen erleben und durchmachen mussten,
und wir sind froh und glücklich, dass sie es
gesund zu uns geschafft haben. Diese Kinder
fallen dennoch besonders auf; und zwar im
positiven Sinne! Natürlich sind meine Er-
kenntnisse nicht repräsentativ, sie treffen
allerdings für meine Schule zu. Diese Kinder
sind sehr gut erzogen, und sie sind positiv
ehrgeizig. Wenn man sich mit ihnen unterhält,
stellt man sehr schnell fest, dass sie es ver-
standen haben, dass sie nur dann eine reelle
Chance auf ein »besseres Leben« haben,
wenn sie fleißig sind, gute Schulabschlüsse
schaffen und wenn sie über ein hohes Maß
an emotionaler Kompetenz verfügen. Daran
arbeiten diese Kinder und deren Eltern uner-
müdlich. Waren die Möglichkeiten zum digita-
len Lernen zu Hause nicht gegeben, wurde
um Hilfe gebeten, und es ließen sich Lösun-
gen finden. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Erschreckende
Motivations-Defizite
Nahezu erschreckend sind allerdings Beob-
achtungen in Haushalten sogenannter ’bio-
deutscher’ Familien. Von 23 Kindern in einer
Klasse 8 schaffen es sieben nicht, innerhalb
von vierzehn Tagen eine einfache Aufgabe zu
lösen: Sie sollten für den Deutschunterricht
eine Lektüre kaufen. Sie machen es einfach
nicht! Da mir deren Elternhäuser bekannt
sind, scheiden finanzielle Probleme als Erklä-
rungsansatz gänzlich aus. Auch weiß ich von
jenen Schülerinnen und Schülern, dass sie zu
Hause bestens ausgestattet sind um theore-
tisch an digitalen Lernangeboten in vollem
Umfang teilnehmen zu können. Als Klassen-
lehrer telefoniere ich also in der folgenden
Zeit beinahe täglich mit den Eltern der Kinder
um zu erfahren, warum Aufgaben nicht bear-
beitet werden, Antworten nicht fristgerecht an
die Kolleginnen und Kollegen verschickt wer-
den, warum nach vierzehn Tagen immer noch
keine Lektüre vorliegt. Ein hartes Geschäft!
Immer wieder hört man Ausflüchte und Ausre-
den. Allerdings auch die Beteuerung, dass es
von nun an besser werden wird. Nur, umge-
setzt werden diese Versprechen leider nicht.
Es ist extrem frustrierend! Sogar als die Kin-
der jener achten Klasse erstmalig wieder zum
Präsenzunterricht in der Schule erschienen,
hatten sechs Kinder immer noch keine Lektüre
dabei. Weitere sieben haben sie zwar gekauft,
jedoch nicht eine einzige Seite gelesen. Ganz
anders die syrischen Kinder!
Was läuft schief
und warum?
Bei genauerem Hinsehen und weiteren Unter-
suchungen stellt man dann fest, dass es auch
nicht dran gelegen hat, dass zu Hause keine
physische Unterstützung gegeben war. Er-
fährt man dann noch im Austausch mit Kolle-
ginnen und Kollegen, dass trotz voll ausge-
bauter technischer Grundausstattung von
schulischer Seite und bester Voraussetzungen
in den Elternhäusern flächendeckend die
gleichen Beobachtungen zu machen sind,
dann folgt zwangsläufig die Frage, warum
das denn alles nicht besser funktioniert?
Kolleginnen und Kollegen unterbreiten un-
endlich viele, motivierende, altersgerechte
und anregende Angebote. Sie chatten und
sind in Videokonferenzen mit ihren Klassen
unterwegs. Sie sitzen Stunden um Stunden
vor ihren Computern, um abwechslungsrei-
che und attraktive Angebote zu posten. Sie
beantworten Mails und geben Hilfestellun-
gen. Dennoch werden diese Angebote insge-
samt nur eher bescheiden angenommen und
noch weniger umgesetzt. Was ist da also los?
Zumindest in meinem Kollegium fällt die
Antwort auf diese Frage eindeutig und einhel-
lig aus: Bildung und Schule haben (leider) ei-
nen viel zu geringen Stellenwert in den Köp-
fen der Eltern. Ob sie nun nicht wollen oder
nicht können, das lässt sich nur schwer beur-
teilen. Geld für neueste Handys, teure Beklei-
dung und Hobbys ist jedenfalls in giganti-
schem Maße vorhanden bei den Eltern unse-
rer Schülerinnen und Schüler. Was fehlt, ist die
Erkenntnis, dass nur durch Bildung ein erfüll-
tes, zufriedenes und erfolgreiches Leben mög-
lich ist. Diese grundlegende Einstellung zu
Schule und Bildung scheint abhanden gekom-
men zu sein. Da kann man als Lehrkraft noch
so viel motivieren und schülerorientierten
Unterricht anbieten, wenn Schülerinnen und
Schüler nicht mitziehen, geht gar nichts!
Milliardeninvestitionen
allein helfen nicht
Wer nun also glaubt, dass Milliardeninvestitio-
nen in die Digitalisierung der Schulen zu bes-
seren Ergebnissen und motivierteren Schüle-
rinnen und Schülern führen werden, der irrt
gewaltig. Wir brauchen dringend ein Umden-
ken in den Köpfen der Eltern und darüber eine
breite gesellschaftliche Debatte. Ohne Eltern
funktioniert nämlich überhaupt nichts! Natür-
lich weiß ich, dass in unserer Zeit in vielen
Elternhäusern beide arbeiten müssen. Darum
geht es aber nicht. Es geht darum, dass Eltern
ihren Kindern sehr deutlich aufzeigen müssen,
dass Schule und alle damit verbundenen An-
forderungen oberste Priorität im Leben der
Kinder haben müssen. Knapp dreizehn Wo-
chen Ferien im Jahr lassen da noch genügend
Freiraum für Freizeit, Spielen, Erholung und
den Erwerb anderer, lebensnotwendiger Kom-
petenzen.
Zunehmend wird die gigantische ’Wohl-
standsverwahrlosung’ großer Teile unserer
heutigen Jugend, ausgelöst durch deren El-
tern, zu einem gewaltigen Problem werden.
Da hilft es überhaupt nicht, wenn ich jedem
Schüler und jeder Schülerin einen Laptop auf
Staatskosten überreiche, die Schulgebäude mit
Glasfaser verkabele und die Kolleginnen und
Kollegen moderne Unterrichtsangebote unter-
breiten.
Ich wünsche mir mehr intrinsische Motiva-
tion für Schule und Bildung, ausgelöst durch
Lehrerinnen und Lehrer, aber eben auch und
in erster Linie durch Eltern. Ganz so wie wir
es bei unseren geflüchteten Schülerinnen
und Schülern erleben dürfen.
Thorsten Schmalt
Konrektor der Realschule Hückeswagen · Mitglied des Haupt-
personalrates und des Bezirkspersonalrates Köln
lehrer nrw ·
4/2020
6
BRENNPUNKT
Mitbestimmung
in der Krise
Die Corona-Pandemie hat nicht nur die Bildungsarbeit in unse-
rem Land erschüttert, sondern auch die Personalratsarbeit auf
eine harte Probe gestellt. Die Dienststelle sah sich in der Krise
mehrfach veranlasst, Erlasse als vorläufige Regelungen mit
sofortiger Wirkung in Kraft treten zu lassen, ohne zuvor die
Zustimmung des Personalrats einzuholen.
D
D
ie Kernvorschrift des Mitbestim-
mungsverfahrens ist § 66 LPVG:
Soweit eine Maßnahme der Mitbe-
stimmung des Personalrats unterliegt,
kann sie nur mit seiner Zustimmung ge-
troffen werden. In einem ersten Schritt
unterrichtet die Dienststelle den Personal-
rat von der beabsichtigten Maßnahme und
beantragt seine Zustimmung. Sofern der
Personalrat beabsichtigt, der Maßnahme
nicht zuzustimmen, hat er dies innerhalb
von zwei Wochen (in dringenden Fällen in-
nerhalb einer Woche) der Dienststelle mit-
zuteilen. Sodann ist die Maßnahme mit
dem Ziel einer Verständigung zwischen
der Dienststelle und dem Personalrat zu
erörtern. Ergibt sich auch in der Erörterung
keine Einigung, kann die sogenannte
Einigungsstelle angerufen werden. Sie ist
ein unabhängiges Schlichtungsorgan, das
in solchen Streitfällen grundsätzlich eine
für alle Seiten verbindliche Regelung
trifft.
§ 66 Absatz 8 regiert
§ 66 Absatz 8 gibt der Dienststelle jedoch
die Möglichkeit, von der oben beschriebe-
nen Verfahrensweise abzuweichen: »Die
Dienststelle kann bei Maßnahmen, die der
Natur der Sache nach keinen Aufschub dul-
den, bis zur endgültigen Entscheidung vor-
läufige Regelungen treffen. Sie hat dem
Personalrat die vorläufige Regelung mitzu-
teilen und zu begründen und unverzüglich
das Verfahren nach den Absätzen 2, 3, 5
und 7 [also das reguläre Mitbestimmungs-
verfahren] einzuleiten oder fortzusetzen.«
Übersetzt bedeutet das, dass Erlasse als
vorläufige Regelungen mit sofortiger Wir-
kung in Kraft treten können, ohne zuvor
die Zustimmung des Personalrats einzuho-
len. Parallel dazu muss zwar das reguläre
Mitbestimmungsverfahren eingeleitet wer-
den. Fatal ist jedoch (abseits der Problema-
tik, dass es natürlich strittig sein kann, ob
eine Maßnahme tatsächlich »der Natur der
Sache nach keinen Aufschub duldet«), dass
von SVEN CHRISTOFFER
Weggewischt: Mit dem Hinweis auf besondere Dringlichkeit hat das NRW-Schulministerium in der Corona-Krise
mehrere Entscheidungen durchgedrückt, ohne die Personalräte zu beteiligen. Die Mitbestimmung wurde so ausgehebelt.
BRENNPUNKT
7
4/2020 ·
lehrer nrw
Sven Christoffer ist Vorsitzender des HPR Realschulen
sowie stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
Foto: StockAdobe/wabeno
insbesondere befristete Maßnahmen be-
reits umgesetzt und verfristet sind, bevor
das reguläre Mitbestimmungsverfahren
abgeschlossen ist.
Inflationärer Gebrauch
Erstmalig hat das Ministerium in der Coro-
na-Pandemie von § 66 Abs. 8 LPVG im Zu-
sammenhang mit der Ausweitung der Not-
betreuung auf die Osterferien sowie auf
drei Wochenenden Gebrauch gemacht.
Dass diese Maßnahme tatsächlich keinen
Aufschub duldete, war für den Hauptper-
sonalrat Realschulen unstrittig, das Gremi-
um hat der Vorlage deshalb im Nachgang
zugestimmt. Auch bei der Einführung eines
LOGINEO NRW-Lernmanagementsystems
(LMS) argumentierte die Dienststelle, dass
»nach Lage der Dinge in der gegenwärti-
gen Situation der Abschluss des Mitbe-
stimmungsverfahrens nicht abgewartet
werden kann«. Dabei sind es gerade die
Hauptpersonalräte gewesen, die in der Ver-
gangenheit immer wieder darauf gedrun-
gen haben, dass das Land dem Wildwuchs
an Systemen, die zum Teil unter Daten-
schutzaspekten nicht bedenkenfrei sind,
ein eigenes Angebot entgegenstellt. Es ist
deshalb das ureigene Interesse aller Be-
schäftigtenvertretungen, das Lernen auf
Distanz effektiv und rechtssicher zu gestal-
ten.
Ein weiteres Beispiel: In einer Telefon-
konferenz mit Vertretern der Dienststelle
hatte ich darauf aufmerksam gemacht,
dass es Regelungsbedarf bezüglich anste-
hender Beurteilungsverfahren gebe, da
nicht alle Beurteilungselemente wie vor
der Zeit der Corona-Pandemie durchge-
führt werden könnten. Mittlerweile hat
das MSB ’Regelungen zur Durchführung
des Beurteilungsverfahrens für die Zeit der
Wiederaufnahme des Schulbetriebes’ er-
lassen. Dabei ist erneut § 66 Abs. 8 ange-
wandt worden, so dass auch hier die Mög-
lichkeit einer echten Mitgestaltung durch
den HPR ausgehebelt wurde.
Festlegung
der Risikogruppen
Sämtliche Regelungen zur Festlegung der
Risikogruppen sind dem Hauptpersonalrat
im Wege des § 66 Abs. 8 LPVG vorgelegt
worden: die Definition der Risikogruppen
gemäß 15. Schulmail, ergänzende Maß-
nahmen zur 15. Schulmail, die Verlänge-
rung der Regelungen bis zum 24. Mai
2020, der Einsatz von Risikolehrkräften
sowie schwangeren und stillenden Lehre-
rinnen in mündlichen Prüfungen und der
Runderlass ’Regelungen zum Einsatz des
Personals; Umgang mit der Corona-Pande-
mie’ mit der Neuregelung zum Personal-
einsatz ab dem 3. Juni 2020. Aufgrund un-
terschiedlicher Bedenken hat der Haupt-
personalrat Realschulen mehrere dieser
Vorlagen mit dem Ziel der Erörterung ab-
gelehnt, die Spielregeln des § 66 Abs. 8
verunmöglichen jedoch eine wirkungsvolle
Einflussnahme. Insofern bleibt festzuhal-
ten, dass die Mitbestimmung in der Coro-
na-Pandemie in der Krise ist. Und das in ei-
ner Zeit, die eigentlich einer besonders ver-
trauensvollen Zusammenarbeit zwischen
Dienststelle und Beschäftigtenvertretung
bedurft hätte
lehrer nrw ·
4/2020
8
JUNGE LEHRER NRW
Lehramtsausbildung
in Zeiten von
Corona
Als Mitte März die Schulen geschlossen wurden, hatte ein
Großteil der Lehramtsanwärterinnen und -anwärter die zwei-
te Staatsprüfung bereits abgelegt. Fluch oder Segen? Den
Verband wie auch den Hauptpersonalrat Realschulen erreich-
ten zahlreiche Anfragen von Absolventen, die sich Sorgen
um ihre Zukunft nach der bestandenen Prüfung machten.
D
D
ie Lehramtsanwärterinnen und -an-
wärter (LAA) standen vor dem Pro-
blem, dass zum 1. Mai 2020 keine re-
gulären Einstellungen stattfinden konnten.
Somit blieben für diese Gruppe drei Optio-
nen: den Einstellungstermin zum 1. Juni 2020
abwarten und einen Monat der Arbeitslosig-
keit überbrücken zu müssen, sich auf eine
Vertretungsstelle zu bewerben oder eine Stel-
le über das Listenverfahren zu bekommen,
da der Vorbereitungsdienst mit bestandener
zweiter Staatsprüfung endet und auch nicht
verlängert werden konnte. Für viele eine nur
schwer erträgliche Ungewissheit.
Quälende Ungewissheit
Eine weitaus kleinere Gruppe von etwa
850 LAA hatte zum Zeitpunkt der Schul-
schließungen ihre zweite Staatsprüfung
noch nicht abgelegt. Für sie war die Unge-
wissheit nicht geringer, wusste natürlich
niemand, wann die Schulen in welchem
Umfang wieder öffneten und ob überhaupt
eine reguläre Prüfung für diese Gruppe
würde stattfinden können. Erst relativ spät
erfuhren die jungen Kolleginnen und Kolle-
gen, wie es für sie weitergehen würde:
Im Zeitraum 11. bis 20. Mai 2020 fanden –
auch zur Entlastung der Ausbildungsschu-
len – die rund 850 noch ausstehenden
Staatsprüfungen in den Zentren für schul-
praktische Lehrerausbildung (ZfsL) statt.
Kolloquien wurden um simulierte schuli-
sche Situationen ergänzt. Auch diese LAA
konnten an den Auswahlgesprächen ab
dem 7. Mai 2020 – trotz noch nicht be-
standener Prüfung – teilnehmen, nach-
dem eine fiktive Ordnungsgruppe ermit-
telt wurde. Dies geschah zugunsten dieser
Kolleginnen und Kollegen und verhinderte,
dass sie auf den nächsten Einstellungster-
min warten mussten. Auch wenn das
nordrhein-westfälische Schulministerium
(MSB) bemüht war, Lösungen in diesen für
alle Menschen unendlich belastenden
Zeiten zu finden, stellte die Ungewissheit
doch für die angehenden Lehrerinnen und
Lehrer eine enorme Belastung dar und
das, obwohl wir gerade jetzt jede Lehr-
kraft in Schule brauchen.
Ausbildungsbetrieb
wieder aufgenommen
Wie geht es für die nächste Kohorte wei-
ter? In der 18. Schulmail vom 30. April
2020 teilte das MSB mit, wie der Ausbil-
Foto: StockAdobe/SircPhoto
Quälende Ungewissheit: Viele Lehramtsanwärterin-
nen und -anwärter hängen wegen der Corona-Krise in der
Luft und wissen nicht, wie es weitergeht.
von SARAH WANDERS
JUNGE LEHRER NRW
9
4/2020 ·
lehrer nrw
dungsbetrieb für die kommenden Jahr-
gänge wieder aufgenommen werden
sollte. Der Präsenzausbildungsbetrieb an
den ZfsL wurde ab 4. Mai 2020 schritt-
weise wieder aufgenommen und durch
Ausbildung auf Distanz ergänzt. Dies
galt zunächst für die LAA, die zum
1. Mai neu eingestellt wurden. Analog
zur Wiederaufnahme des Präsenzunter-
richts an Schulen mussten Präsenzveran-
staltungen an die jeweiligen räumlichen
Gegebenheiten und die Anforderungen
des Infektionsschutzes angepasst wer-
den. Für diese Gruppe der LAA begann
mit Dienstantritt ihre schulpraktische
Ausbildung in den Schulen im Umfang
von durchschnittlich vierzehn Wochen-
stunden.Einige konnten jedoch erst zum
15. Juni 2020 ihren Dienst antreten, weil
an den Universitäten ausstehende Prü-
fungsanteile zum Erwerb des Masterab-
schlusses noch nicht abgeleistet werden
konnten.
Nachteile für Lehramts-
anwärter vermeiden!
Zur Vorbereitung auf die zweite Staats-
prüfung stehen für die weiteren Ausbil-
dungskohorten Unterrichtsbesuche an.
Es kann nicht die ganze Ausbildung
durch Lernen auf Distanz realisiert
werden. Zu erwarten ist, dass auch bei
schrittweiser Wiederaufnahme des Unter-
richts an den Schulen vieles weiterhin
nicht so umgesetzt werden kann wie in
der Zeit vor Corona. Wie sollen Unter-
richtsreihen sinnvoll geplant und umge-
setzt werden, wenn man eigentlich in
dieser Zeit gar nichts verlässlich planen
kann und man immer wieder mit Blick
auf die Fallzahlen alle Maßnahmen neu
bewerten muss? Nachteile für die LAA
müssen vermieden und flexible Lösungen
schon jetzt auch für die Zeit nach den
Sommerferien vom Ministerium für Schu-
le und Bildung erarbeitet werden.
Gerade die LAA, die bereits kurz nach
dem Ende der Sommerferien ihre zweite
Staatsprüfung ablegen werden, benötigen
Planungssicherheit. Wie sollen sie sich in
den Sommerferien auf eine Prüfung vorbe-
reiten, von der sie gar nicht wissen, wie
diese ausgestaltet werden wird. Wird eine
reguläre Prüfung überhaupt möglich sein?
Wie kann eine faire Beurteilung von Unter-
richtsstunden aussehen, davon ausgehend,
dass viele LAA ihre Lerngruppen über Wo-
chen gar nicht gesehen haben? Macht es
nicht mehr Sinn, auch für die nächste Ko-
horte noch einmal eine alternative Prü-
fungsform zu wählen wie schon in Zeiten
der Schulschließungen aufgrund von Coro-
na? Die Zeit drängt, und das MSB muss
handeln!
Flexible Lösungen
sind gefragt
Außerdem muss berücksichtigt werden,
dass die Vorgaben zu Risikogruppen natür-
lich auch für LAA gelten. LAA, die einer Risi-
kogruppe angehören, können zurzeit (nach
Vorlage eines ärztlichen Attests, welches die
Gefahr eines schweren Verlaufs einer Coro-
na-Infektion bescheinigt) nicht im Präsenz-
unterricht eingesetzt werden. Dies darf ih-
nen nicht zum Nachteil gereichen. Auch hier
erwartet
lehrer nrw
eine flexible Lösung.
Denkbar wäre zum Beispiel eine Reduzie-
rung der Unterrichtsbesuche (sollte die Pan-
demie-Entwicklung es zulassen) oder ein
Prüfungsverfahren analog zum Verfahren,
das für die 850 LAA angewendet wurde, die
die Prüfung in diesem Jahr bei Schulschlie-
ßung noch nicht abgelegt hatten.
Die letzten Monate waren für alle am
Schulleben Beteiligten eine enorme Heraus-
forderung. Sicher war nur, dass nichts mehr
sicher war. Ich hoffe, dass auch diese Zeit
der Unsicherheit bald ein Ende haben wird.
Bis dahin wünsche ich Ihnen – hier insbe-
sondere auch den zahlreichen Lehramtsan-
wärterinnen und -anwärtern – viel Kraft
und Durchhaltevermögen.
lehrer nrw
ist und bleibt an Ihrer Seite!
Sarah Wanders ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
4/2020
10
TITEL
Das Corona-
Tagebuch
31. März 2020
Mit dem Coronavirus hat sich verändert,
dass wir zu Hause bleiben sollen. Wir dürfen
einkaufen gehen, müssen aber zu anderen
Menschen rund zwei Meter Abstand halten.
In kleineren Geschäften, wie zum Beispiel
Bäckereien, Bioläden oder Apotheken dürfen
nur wenige Menschen hinein, weil sonst ein
Abstand von zwei Metern nicht eingehalten
werden kann. Ich darf nicht mehr in die
Schule oder mich mit mehreren Freunden
auf einem Spielplatz oder im Park zum
Fußballspielen treffen. Geschäfte haben
geschlossen, wie zum Beispiel Friseure,
Restaurants, Gaststätten und McDonald’s.
In den Osterferien dürfen wir nicht in den
Urlaub fahren. In Krankenhäusern und Pfle-
geheimen dürfen keine Besuche mehr statt-
finden, gerade für ältere und kranke Men-
schen kann der Corona-Virus tödlich sein.
Wir gehen oft mit unserem Hund in den
Wald, machen Spaziergänge an der frischen
Luft, aber halten Abstand zu anderen. Ich
mache täglich mehrere Stunden meine
Schulaufgaben und bin etwa zwei Stunden
am Tag im Internet. Manchmal schaue ich
mir YouTube-Videos an oder Filme bei
Netflix. Ich spiele gerne Minecraft, wo ich
mit verschiedenen Blöcken Städte, Treppen,
Kinos, Bahnhöfe, Brücken und Häuser bauen
kann. Ich wasche mir doppelt so oft die
Hände!!
22. April 2020
Vor den Osterferien ist meine Uroma gestor-
ben. Ich war traurig, dass ich wegen Corona
nicht mit zur Beerdigung durfte. Als sie noch
im Krankenhaus lag, durfte ich sie wegen
Corona auch nicht besuchen.
In den Osterferien war meine Schwester
bei uns zu Besuch, so hatte ich jemanden
zum Spielen. Wir waren bei uns im Garten,
haben geschaukelt und Fußball gespielt.
Meine Mama arbeitet in einem Pflegeheim
und hatte Nachtschicht. Sie konnte meine
kleine Schwester ja nicht alleine lassen. Die
alten Menschen im Pflegeheim dürfen kei-
nen Besuch bekommen und sind sehr ein-
sam. Meine Mama sagt: »Sie sterben an
Vereinsamung und nicht an Corona.«
Neuerdings sollen wir jetzt auch einen
Mundschutz beim Einkaufen, in öffentlichen
Verkehrsmitteln, wie zum Beispiel Busse
und Bahnen, tragen.
23. April 2020
Was habe ich über Corona gelernt?
Wo das Virus herkommt.
Das Coronavirus ist in Wuhan in China aus-
gebrochen. Ein Fledermausjäger hatte auf
einem Markt infizierte Fledermäuse ver-
kauft, und dadurch wurde das Virus verbrei-
tet. Andere sagen, es war ein Laborunfall.
Wie hat das Virus Deutschland erreicht?
Eine Frau arbeitete in China in einem Werk,
das Autoteile für die ganze Welt produzier-
te. Eines Tages wurde sie von ihrem Chef
nach Deutschland geschickt. Dort fand ein
Seminar statt, an dem sie unbedingt teilneh-
men sollte. Mit ihr reiste Covid-19, der sich
Kinder-Alltag in Corona-Zeiten: Der Mundschutz ist zum Standard-Accessoire geworden.
Foto: AdobeStock/davit85
Wie erleben Kinder die Corona-Krise? Melvin, ein Fünftklässler
der Realschule Broich in Mülheim, hat seine Sicht der Dinge in
einem Tagebuch geschildert. Entstanden ist mehr als nur eine
Schulaufgabe. Bemerkenswert reflektiert berichtet Melvin über
seinen Alltag in Corona-Zeiten. Wir dürfen mit Erlaubnis der
Eltern und der Klassenlehrerin Auszüge veröffentlichen.
27. April 2020
Geschäfte unter 800 Quadratmeter dürfen
wieder öffnen. Ich finde es nicht so gut, wenn
man vor dem Geschäft
Schlange steht und war-
ten muss, bis man hinein
darf. Andererseits verste-
he ich es, da sonst die An-
steckungsgefahr zu hoch
ist. Ich finde es nicht gut,
wenn sich in den Fußgän-
gerzonen die Menschen
ansammeln. Die Anste-
ckungsgefahr könnte wieder steigen.
28. April 2020
Friseurgeschäfte haben schon eine längere
Zeit geschlossen. Meine Haare sind gewach-
sen und müssen dringend geschnitten wer-
den. Auf der einen Seite würde ich gerne
zum Friseur gehen, aber auf der anderen
Seite habe ich Angst, dass ich angesteckt
werden könnte.
5. Mai 2020
In der Corona-Krise sollte man äl-
teren Menschen helfen, zum Bei-
spiel für sie einkaufen gehen oder
zum Bäcker. Ich brauchte das noch
nicht tun, da bei uns in der Nach-
barschaft alle gesund sind.
Ich habe gehört, dass man bald
wieder auf den Spielplatz darf. Auch
werden jetzt im Mai wieder die Zoos
und Museen geöffnet. In den Zoo ge-
he ich gerne, ins Museum eher nicht.
6. Mai 2020
Im Fernsehen sprechen die Politiker
ständig über Lockerungen, aber man
soll Abstand halten, häufig die Hände
waschen, Masken tragen, die Hände
vom Gesicht fernhalten usw.
Es wird mit den Lockerungen für mich
schwierig zu verstehen. Wenn man wie-
der in den Zoo darf, auf den Spielplatz, in
Restaurants gehen, in den Urlaub fahren
usw. stelle ich es mir schwierig vor, die
Hygienemaßnahmen so einzuhalten.
jedoch in den letzten Wochen millionenfach
vermehrt hatte. Die Frau hatte leichten Hus-
ten, und so steckte sie ihre Familie, Arbeits-
kollegen, den Taxifahrer, der sie zum Flugha-
fen brachte, und einige Passagiere im Flug-
zeug an.
So verteilte sich der Virus weiter und
konnte so mehrere Landesgrenzen überwin-
den, weil einige der Fluggäste nach Italien,
andere nach Amerika oder Spanien reisten.
Auch in Deutschland kam das Virus zu ei-
ner sehr ungünstigen Zeit an. Es war Karne-
val, und jemand aus Heinsberg war begeis-
terter Karnevalist. So besuchte er zusammen
mit Covid-19 eine Karnevalsfeier. Das war
natürlich schlimm, denn so wurde das Virus
sehr leicht und schnell verbreitet.
25. April 2020
Was können wir aus
der Situation lernen?
Wir lernen, nicht an alten Gewohnheiten
festzuhalten. Wir müssen Abstand halten,
TITEL
11
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lehrer nrw
regelmäßig und ausreichend lange Hände
mit Seife waschen, in die Armbeuge niesen
oder husten und die Hände vom Gesicht
fernhalten.
Meine Meinung zu
Home-schooling oder Schule
Ich gehe lieber zur Schule, weil ich dort mei-
ne Freunde sehe. Wenn mich die Lehrer un-
terrichten, kann ich Fragen stellen und be-
komme sie sofort beantwortet. In der Schule
gefällt mir das Lernen besser, weil die Auf-
gaben an der Tafel erklärt werden. Ich ver-
misse die Vokabeltests in Englisch, Sport in
der Halle, das Fußballspielen in den Pausen
und die Filme in Französisch. Im Home-
schooling finde ich die schriftlichen Aufga-
ben sehr viel.
Ich denke, dass Schule möglich wäre,
wenn man die Hygienemaßnahmen einhält,
so wie Abstand halten, häufiges und langes
Händewaschen, Hände desinfizieren, Mund-
schutz tragen, in die Armbeuge husten oder
niesen.
HINWEIS
Für einige Passagen
des Tagebuchs hat
Melvin das Buch
’Warum Covid die
Welt erschreckt’
als
Quellinformation ver-
wendet.
Corona aus Kindersicht: Auszüge des Tagebuchs von Melvin.
lehrer nrw ·
4/2020
12
TITEL
Die Sicht
der
Lehrkräfte
weit gab bei der Befragung an, dass ihre
Schule gut auf die neue Situation vorberei-
tet war, weil sie bereits vorher in größerem
Umfang digitale Technologien im Unterricht
eingesetzt hatte.
Lehrkräfte erreichen
nur einen Teil ihrer
Schülerinnen und Schüler
Der überwiegenden Mehrheit (87 Prozent)
ist der Kontakt zu ihren Schülerinnen und
Schülern wichtig, jedoch gelingt es nur ei-
nem guten Drittel (35 Prozent) der Lehr-
kräfte, zu sämtlichen ihrer Schülerinnen
und Schüler Kontakt zu halten. Während
gut die Hälfte (52 Prozent) immerhin die
meisten Schülerinnen und Schüler errei-
chen kann, hat jede zehnte Lehrkraft
(9 Prozent) nur zu wenigen Verbindung;
drei Prozent erreichen niemanden. Dabei
befürchtet mehr als die Hälfte der Lehr-
kräfte (51 Prozent), dass der Einfluss des
Elternhauses auf die schulischen Leistun-
gen der Schülerinnen und Schüler durch
die Verlagerung des Unterrichts nach Hau-
se größer geworden ist. An Grundschulen
befürchten sogar fast zwei Drittel (62 Pro-
zent) der Lehrerinnen und Lehrer, dass so
bestehende soziale Ungleichheiten ver-
schärft werden könnten.
Unterstützung nicht
flächendeckend organisiert
Während 32 Prozent der Lehrkräfte ange-
ben, an Schulen mit einem Gesamtkonzept
zu arbeiten, und 41 Prozent den Unterricht
in Kooperation mit anderen Lehrkräften or-
ganisieren, ist immerhin ein Viertel (24 Pro-
zent) bei der Umsetzung der Unterrichtsin-
halte während der Krisenzeit komplett auf
sich allein gestellt und wünscht sich mehr
Unterstützung von der eigenen Schulleitung
(29 Prozent). Auch fühlen sich zwei Fünftel
(38 Prozent) durch die Schulbehörden bzw.
zuständigen Ministerien in der aktuellen
Situation nicht gut informiert.
Digitale Vorreiterschulen
erreichen Schüler
verlässlicher
Digitale Vorreiterschulen nutzen vergleichs-
weise häufiger digitale Lernangebote (42
Prozent gegenüber 25 Prozent an anderen
Schulen), erreichen ihre Schülerinnen und
Schüler hier häufiger problemlos (83 Pro-
zent gegenüber 70 Prozent) und befürchten
in geringerem Maße, dass der Einfluss des
Elternhauses auf die schulischen Leistungen
in der aktuellen Situation zunimmt
(36 Prozent zu 51 Prozent).
Nachholbedarf: Die Vodafone-Studie zeigt, dass es vielfach an digitaler
Ausstattung, aber auch an Unterstützungsangeboten für Lehrkräfte, Schüler und
Elternhäuser mangelt.
UMFRAGE 1:
Wie funktioniert Schule in
Corona-Zeiten? Diese Frage
stand im Mittelpunkt einer
Umfrage unter Lehrkräften.
Die Ergebnisse zeigen Licht und
Schatten. Viele Lehrkräfte errei-
chen nur einen Teil ihrer Schüler
und befürchten eine Verschär-
fung sozialer Ungleichheiten.
D
D
ie Mehrheit der Schulen in Deutsch-
land (66 Prozent) hat kein Gesamtkon-
zept, das die Versorgung der Schüle-
rinnen und Schüler mit Lernangeboten für
die Zeit der Schulschließungen im Rahmen
der Covid-19-Pandemie (’Corona-Krise’)
sicherstellt. Dies berichten Lehrkräfte in
Deutschland in einer repräsentativen Befra-
gung des Instituts für Demoskopie Allensbach
im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutsch-
land. Zwischen dem 2. und dem 14. April wur-
den dafür insgesamt 310 Lehrkräfte an allge-
meinbildenden Schulen telefonisch befragt.
Professorin Dr. Birgit Eickelmann, die ge-
meinsam mit PD Dr. Kerstin Drossel die Stu-
die entwickelt und die Daten analysiert hat,
betont: »Die Studie zeigt, wie wichtig es ist,
Schulen und Lehrkräfte in der Pandemie-Zeit
zukünftig noch besser zu unterstützen. Grö-
ßere Anstrengungen sind in Deutschland vor
allem im Bereich des digital gestützten Ler-
nens notwendig.« Nur ein Drittel (33 Pro-
zent) der Lehrerinnen und Lehrer bundes-
Foto: AdobeStock/mickyso
TITEL
13
4/2020 ·
lehrer nrw
Die Sicht
der Schüler
Im April und Mai 2020 fragte die Einstieg GmbH, ein Unterneh-
men, das den beruflichen Einstieg junger Menschen unter-
stützt und begleitet, Schülerinnen und Schüler bundesweit
nach ihren Erfahrungen mit Schule in Zeiten von Corona.
Mehr als 1500 junge Menschen haben geantwortet.
W
W
ie gut funktioniert Schule wäh-
rend Corona? Wie geht es den
Schülerinnen und Schülern in der
aktuellen Situation? Laut der Einstieg-Um-
frage fühlte sich die Mehrheit (58 Prozent)
überwiegend gut betreut. Aber der Anteil
der Schülerinnen und Schüler, die dies nicht
so empfanden, ist trotzdem hoch. 41 Pro-
zent der Befragten gaben an, sich überwie-
gend nicht gut oder sogar schlecht betreut
gefühlt zu haben.
Nicht jeder konnte
zuhause gut lernen
Jeder zweite Befragte (55 Prozent) gab an,
dass das Lernen in den eigenen vier Wän-
den nicht gut funktioniert hat. An der Tech-
nik haperte es jedoch bei den wenigsten.
Der am häufigsten genannte Grund war
fehlende Selbstmotivation (28 Prozent).
Auch sich selbst zu organisieren fiel 18
Prozent der Schülerinnen und Schüler
schwer. Ihnen fehlte die Hilfe von ihren
Lehrkräften. Ein weiterer Kritikpunkt: Lehr-
kräfte konnten sich in der Kürze der Zeit
scheinbar nicht auf einen Kommunikati-
onskanal einigen. So gaben 21 Prozent
derjenigen, die Probleme beim Lernen zu-
hause hatten, an, dass zu viele verschiede-
ne Tools für Unterricht und Aufgaben ge-
nutzt wurden.
Negative Auswirkungen
auf schulische Leistungen
befürchtet
Eine Folge könnte ein niedrigerer Lerner-
folg während der Ausnahmesituation sein.
Die Hälfte der Befragten hat weniger ge-
lernt, nur neun Prozent gaben an, mehr
gelernt zu haben. Alles in allem eine Rie-
senherausforderung für die Pädagogen.
Beeindruckend ist auch die Zahl der Schü-
lerinnen und Schüler, die Angst vor mögli-
chen schulischen Folgen der Krise haben:
Insgesamt 78 Prozent haben Sorge, dass
sie zum Beispiel mehr Lerninhalte zu be-
wältigen haben, samstags in den Unter-
richt müssen oder schlechter in Abschluss-
prüfungen abschneiden werden.
Mehr digitale Formate
ausdrücklich erwünscht
Die Digitalisierung ist noch nicht in allen
deutschen Klassenzimmern angekommen.
Nur 19 Prozent der befragten Schülerinnen
und Schüler nutzen im Unterricht ihr
Smartphone regelmäßig, lediglich 25 Pro-
zent haben Zugang zum WLAN ihrer Schule.
Whiteboards und ein veralteter Computer-
raum führen die Liste der am häufigsten im
Unterricht genutzten Tools an. Schülerinnen
und Schüler wünschen sich hier deutlich
mehr: 79 Prozent möchten im Unterricht
stärker mit digitalen Medien arbeiten.
Junge Menschen denken
an ihre Zukunft
Mehr als die Hälfte der Befragten würde
trotz Corona-Krise gern Berufswahlunter-
richt haben, solange die Schule geschlos-
sen bleibt. So sind weiterführende Bil-
dungsangebote wie digitale Berufsorientie-
rung in Form von Webmessen für 52 Pro-
zent interessant (weitere 28 Prozent kön-
nen sich noch nichts darunter vorstellen).
Einstieg als führender Anbieter von Lösun-
gen zur Nachwuchsgewinnung arbeitet an
einem jugendaffinen Online-Event zur Be-
rufsorientierung.
Foto: unsplash.com, by Elijah O’Donnell
Schule zuhause – für viele Schüle-
rinnen und Schüler eine Herausforderung.
UMFRAGE 2:
lehrer nrw ·
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14
TITEL
KURZMELDUNGEN ZU SCHULE & CORONA
Schulfahrten nach den
Sommerferien
I
n einem Runderlass gibt das nordrhein-westfälische
Schulministerium Hinweise zur Durchführung von
Schulfahrten nach den Sommerferien. Demnach sind
alle bis zum Beginn der Herbstferien geplanten Klas-
senfahrten, Studienfahrten und Schüleraustausche
ins Ausland
abzusagen. Demgegenüber sind Fahrten,
Wandertage oder Exkursionen
innerhalb des Bundes-
gebietes
unter Einhaltung der geltenden Infektions-
schutz-Maßnahmen erlaubt.
Das Land Nordrhein-Westfalen übernimmt eventu-
elle Stornierungskosten für Auslandsfahrten, soweit
die betreffende Fahrt bis zum 12. Juni 2020 durch die
Schule storniert wurde.
Den Erlass finden Sie unter: www.lehrernrw.de/service/corona-
informationen/schulfahrten-nach-den-sommerferien.html
Dienstliche Beurteilungen
in Corona-Zeiten
D
a aufgrund der Corona-Pandemie derzeit kein regulärer Schulbetrieb möglich
ist, können auch Beurteilungsverfahren nicht im üblichen Rahmen durchge-
führt werden. Vor diesem Hintergrund hat das nordrhein-westfälische Schulminis-
terium (MSB) einen Erlass herausgegeben, der zu diesem Thema vorübergehende
Regelungen formuliert und zunächst bis zum 31. Juli 2020 gültig ist.
Der Erlass sieht vor, dass die unter den derzeitigen Rahmenbedingungen mögli-
chen Erkenntnisquellen genutzt werden sollen. Bei Lehrkräften, die nicht am Prä-
senzunterricht teilnehmen, können ersatzweise ’Unterrichtsbesuche’ bei Angebo-
ten des digitalen Lernens stattfinden. Auch Teilkonferenzen können als Erkenntnis-
quelle herangezogen werden. Falls diese oder andere Möglichkeiten aufgrund der
Situation in der betreffenden Schule nicht gegeben sind, sollen Einzelfall-Lösun-
gen entsprechend der Gegebenheiten vor Ort gefunden werden. In begründeten
Fällen kann auf einzelne Beurteilungselemente verzichtet werden.
Den Erlass finden Sie unter: www.lehrernrw.de/service/
corona-informationen/dienstliche-beurteilungen-in-corona-zeiten.html
Mehrarbeit und
Home-Schooling
Präsenz-
unterricht
in Zeiten
von Corona.
L
L
ehrkräfte, die neben dem zur Zeit an-
geordneten Fernunterricht (’Home-
Schooling’) auch noch Präsenzstunden
als Vertretungsstunden leisten, können dies als
Mehrarbeit abrechnen. Dies hat das nordrhein-
westfälische Schulministerium auf Nachfrage
des Vorsitzenden des Hauptpersonalrates Real-
schulen, Sven Christoffer, bestätigt.
Soweit eine Lehrkraft ihren üblichen Präsenz-
unterricht nicht ableisten kann, sondern Fern-
unterricht erteilt, weil der Schulbetrieb aus in-
fektionsschutzrechtlichen Gründen ruht, gelten
die Pflichtstunden in Präsenz – entsprechend
dem individuellen Stunden-Soll – grundsätzlich
als erteilt. Sofern eine Lehrkraft über ihre ei-
gentliche Unterrichtsverpflichtung hinaus –
zusätzlich zum Home-Schooling – Präsenzunter-
richt als Vertretungsunterricht erteilen soll und
hierfür keine anderweitige Entlastung erhält,
handelt es sich um Mehrarbeit nach dem Mehr-
arbeitserlass (Bass 21-22 Nr. 21).
Beispiel: Eine Lehrkraft arbeitet seit Wochen
im Home-Office im Rahmen ihres Stundendepu-
tats. Sie versorgt mit ihren beiden Hauptfächern
sämtliche Schülerinnen und Schüler ihrer Klas-
sen und nimmt die entsprechenden Korrekturen
vor. Nun soll sie zusätzlich mit einigen Wochen-
stunden als Vertretung einer Lehrkraft im Prä-
senzunterricht eingesetzt werden. Diese Vertre-
tungsstunden stellen Mehrarbeit dar.
Foto: AdobeStock/Gerhard Seybert
Bildendes Lernen braucht
Schule und Unterricht
Warum digitales Lernen auch in Krisenzeiten nur ein Notstopfen bleibt
Es spricht wenig gegen den zeitweisen und pädagogisch
sinnvollen Einsatz digitaler Arbeitsmittel – aber viel für
gegen deren Verabsolutierung.
15
4/2020 · lehrer nrw
von Prof. Dr. JOCHEN KRAUTZ
K
risenzeiten sind Zeiten, in denen interessier-
te Kreise gerne versuchen, aus der Not Profit
zu schlagen. Dieser Profit kann materieller
oder ideologischer Natur sein. Im Falle der Corona-
Krise gerieren sich die bekannten Befürworter der
’Digitalisierung von Bildung’ als solche ideologi-
schen und materiellen Krisengewinnler. Nun scheint
endlich bewiesen, wie dringlich die Umstellung von
Schule und Hochschule auf digital gestütztes Lehren
und Lernen sei. Und seitens der Politik entblödet
man sich nicht, dies auch noch zu forcieren.
Corona-Krise als Change-Instrument
für Digitalisierung
So äußerte die Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Anja Karliczek, die selbst keine eigene
Fachexpertise in beiden Bereichen nachweisen
kann, auf die Frage, ob sich nun räche, »dass wir
die Digitalisierung an den Schulen verschlafen
haben?«: »Die Corona-Krise bietet Deutschland in
Sachen digitaler Bildung eine große Chance:
Wir können einen echten Mentalitätswandel
schaffen. Wir sehen, wie nützlich digitale Lernan-
gebote sein können. Alle sind jetzt bereit, es ein-
fach mal auszuprobieren. Ich sehe eine neue
Aufbruchstimmung. (…) Aber auch nach der
Krise muss die Digitalisierung der Schulen energi-
scher vorangetrieben werden.«
1
Damit macht sie
deutlich, worum es geht: Die Krise soll als Instru-
ment genutzt werden, um Mentalität, also Einstel-
lungen, Werte und Überzeugungen aufzuweichen
und für den ’Wandel’ zu öffnen. Dazu soll Eupho-
rie erzeugt werden, die dann auch nach der Krise
aufrechtzuerhalten und zu perpetuieren sei.
Foto:
AdobeStock/David Fuentes
Damit referiert Karliczek lupenrein den Dreischritt des
Change-Managements: Um Menschen manipulativ in
ihren Überzeugungen zu verändern, erzeugt oder nutzt
man eine Schocksituation, die eine Verunsicherung in
den eigenen Überzeugungen bewirkt (unfreezing). Da-
rauf forcieren Change-Agenten die Euphorie für das
Neue, betonen dessen Alternativlosigkeit und geißeln
alle Kritiker als rückständige Bedenkenträger (moving).
Und schließlich soll der ’Wandel’ verstetigt werden, so
dass es keinen Weg dahinter zurück zu geben scheint
(refreezing).
2
Die darin liegende antidemokratische An-
maßung wird der Ministerin kaum bewusst sein, da sie
doch eher Diskurse reproduziert, von denen sie selbst
beständig bombardiert wird. So etwa auch von ’Mr. PISA
Andreas Schleicher, der mit maoistisch-kulturrevolutio-
närer Rhetorik glänzt: »Das Land kann beim digitalen
Lernen jetzt einen Riesensprung nach vorn machen.«
3
Was das Arbeitsblatt nicht kann
und die Eltern überfordert
Doch selbst Herr Schleicher gesteht gleich darauf ein:
»Schule im Homeoffice (ist) dauerhaft keine gute Idee.
Lernen ist ein Prozess, der viel mit der Beziehung von
Lehrern und Schülern zu tun hat. Und für diese Beziehung
braucht es echten Kontakt.« Aber auch das ist nicht ein-
mal die halbe Wahrheit. Warum also braucht Lernen –
und wir präzisieren – bildendes Lernen Schule und Unter-
richt in Realpräsenz? Warum sind Eltern damit auf Dauer
grundsätzlich überfordert?
4
Und warum können dies
auch Lehrerinnen und Lehrer beim besten Willen nicht
über digitale Kommunikation leisten und Lernprogram-
me entsprechender Konzerne erst recht nicht?
Das liegt in der Natur des Arbeitsblattes, das per Mail
als pdf ins Haus kommt, der im Chat kommunizierten Auf-
gabe, der im Download von Verlagen (generös kostenlos)
verfügbaren Selbstlernmaterialien und auch avancierter
interaktiver Lernprogramme. Sie alle können wie deren
Vorläufer im ’programmierten Lernen’ der 1970er Jahre
nur schrittige Anweisungen geben, die aber keinen inter-
personalen Dialog und keine empathische Resonanz er-
möglichen. Die Techniken können so tun als ob und ein
’Feedback’ vorsehen, das aber nicht auf die Verstehens-
vorgänge des einzelnen Schülers Bezug nehmen kann.
Arbeitsmaterialien solcher Art sind also zunächst mate-
rialisierter Frontalunterricht der schlechten Art, wie man
ihn dem Klassenunterricht der Schule gerne und zu Un-
recht unterstellt: Hier wird doziert, auswendig gelernt, ggf.
geübt und abgefragt. ’Lernen’ heißt hier Informationsent-
nahme, -verarbeitung und ggf. -anwendung.
Mit nun auftretenden tatsächlichen Verstehensproble-
men wenden sich die Kinder an ihre Eltern. Diese sind je-
doch mit der
Unterstützung
schnell überfor-
dert, weil ihnen
die fachliche,
didaktische
und pädagogi-
sche Expertise
fehlt, auf die
Verstehensprobleme ihrer Kinder sachadäquat und al-
tersgerecht einzugehen. Denn dazu müsste man das
fachliche Problem nicht nur selbst beherrschen, sondern
in seiner Problemstruktur verstanden haben, um es di-
daktisch auf die notwendigen fachlichen Voraussetzun-
gen und Problemlagen analysieren zu können; man
müsste Wege des fachlichen Verständnisses und auch
Missverstehens kennen, deren mögliche Gründe ein-
schätzen können und beim Kind mit Blick auf bisher
Gearbeitetes und durch Gespräche eruieren, welchen
fachlichen Grund eine Schwierigkeit hat. Zugleich müss-
te man die individuelle Lernhaltung des Kindes, den
persönlichen Hintergrund und seine Lerngeschichte in
diesem und anderen Fächern einschätzen, um dann
sowohl fachlich wie didaktisch und pädagogisch ange-
messen reagieren zu können.
…dafür sind Lehrerinnen und Lehrer da
All das können Eltern gewöhnlich nicht – und sie müs-
sen es auch nicht können. Dafür sind Lehrerinnen und
Lehrer da, dafür gibt es Schule und Unterricht. Dafür ab-
solvieren Lehrkräfte ein langes Fachstudium, dafür er-
werben sie pädagogische Expertise, dazu sammeln sie
reflektierte Erfahrung in diesen Situationen, und deshalb
können sie nach Jahren solche Prozesse im laufenden
Unterrichtsgeschehen einer ganzen Klasse in Sekunden
erfassen, abwägen, entscheiden und umsetzen. Eben
das macht Unterrichten so anspruchsvoll und mitunter
anstrengend – noch vor allen sonstigen Herausforderun-
gen. Und zugleich ist das für die allermeisten Lehrerin-
nen und Lehrer der eigentliche Grund ihres pädagogi-
schen Engagements.
Legen wir nochmals den ambitionierten Wochenplan
mit Arbeitsblättern, Lösungs- und Reflexionsbögen sowie
Lerntagebuch und Leistungsportfolio daneben: Kinder
sollen all das nun alleine leisten? Arbeitsblätter sollen
dialogisch auf ihr Verstehen und Nichtverstehen einge-
hen? Feedbackbögen sollen ermutigen, ermahnen, Ver-
ständnis zeigen, mit Klarheit oder Humor zurück zur Sa-
che leiten? Videochats sollen das gemeinsame und dia-
logische Hören, Sehen, Vorstellen, Überlegen, Nachden-
ken, Ideenfinden und –verwerfen in einer realen Klas-
16
4/2020 · lehrer nrw
DER AUTOR
Prof. Dr. Jochen Krautz
lehrt Kunstpädagogik
an der Bergischen Uni-
versität Wuppertal und
ist Präsident der Gesell-
schaft für Bildung und
Wissen.
sengemeinschaft ersetzen? Das wird auch keine K.I.
in Gestalt von Lehrrobotern jemals können.
Doch Eltern bemerken schmerzhaft, dass nun erst-
malig die postulierte digitale Bildungsrevolution ih-
re Kinder und Familien frisst. Auch der »große
Sprung nach vorn« des großen Vorsitzenden endete
in der Zerschlagung von kultureller Tradition, in der
Entwurzelung von Millionen Menschen und einem
ökonomischen Desaster. Brauchen wir das erneut
im Gewand des schicken iPads?
Unterricht muss Verstehen anleiten
Die Schule ist deshalb ein geeigneterer Ort für die
formulierten Aufgaben, weil im guten Falle der
Unterricht die Sache in sozialer Gemeinschaft er-
schließt.
5
Unterricht, der auf Bildung zielt, versucht
mit didaktischen und pädagogischen Mitteln, die
Schülerinnen und Schüler zum selbstständigen
Verstehen einer Sache anzuleiten.
6
Selbstständiges
Verstehen ist aber nicht gleichzusetzen mit der ver-
meintlich selbstständigen Erledigung von wie digi-
tal auch immer übermittelten Arbeitsaufträgen
oder gegoogelten Informationen. Damit ist die Sa-
che noch nicht erschlossen, d.h. in ihren Gründen
verstanden: Entscheidend ist nicht nur, dass eine
mathematische Rechnung richtig ist, sondern wa-
rum sie das ist. Die Inhaltsangabe einer Fabel ist
nur Voraussetzung, um ihren Gehalt zu interpretie-
ren. Ein historisches Datum sagt noch nichts über
dessen Bedeutung für uns heute. Ein biologisches
Faktum zu benennen, heißt noch nicht, seine Rele-
vanz für Mensch, Tier, Welt und Wissenschaft ver-
standen zu haben. Und ein Kunstwerk zu beschrei-
ben, sagt noch nichts über dessen historischen und
gegenwärtigen Sinn.
Verstehen meint also Sinnverstehen. Sinn meint
dabei den Sinn der Sache und den Sinn für uns,
die Lernenden. Was geht uns das an? Was bedeu-
tet uns das? Erst dann kann Lernen bildend wirken.
Und erst dann löst Schule den in den Verfassungen
als Bildungsauftrag verankerten Anspruch der Auf-
klärung ein, dass junge Menschen lernen sollen,
sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, also
Selbsterkenntnis und Urteilskraft erwerben, und
dass sie Werte wie Mitmenschlichkeit, Achtung
und Friedfertigkeit als Haltungen ausbilden und
begründen können – mit einem Wort: dass sie mün-
dig werden.
Daher operieren Digitalisierungsbefürworter im-
mer mit einem ungeklärten und reduktionistischen
Lernbegriff, denn ’digitales Lernen’ kann immer nur
die Schrumpfform dieses Anspruchs sein. Es läuft
letztlich darauf heraus, aufgrund von Reiz und Re-
aktion Informationen zu beschaffen, auszuwerten,
zusammenzustellen, anzuwenden und/oder aus-
wendig zu lernen. Das sind alles unverzichtbare
und legitime Teilprozesse schulischen Lernens.
Aber eben nur der notwendige Teil, um verantwort-
liche Selbstständigkeit im Denken und Urteilen, im
Sagen und Handeln zu bilden. Dies aber ist per di-
gitalen Medien nicht erreichbar. Auch wenn man
diesen Reduktionismus nachsichtig dem Marke-
tingeifer der Digitalbegeisterten zuschreiben mag,
so ist er doch unpädagogisch, antiaufklärerisch
und widerspricht dem Bildungsauftrag der Verfas-
sungen.
Schule ist ein sozialer Raum
Die besondere Qualität solchen Verstehens ist dabei
gebunden an das soziale Miteinander von leibhaf-
tigen Personen. Es kann sich nur bilden, wenn sich
Menschen wechselseitig wahrnehmen, wenn eine
Klassengemeinschaft an einer Sache gemeinsam
arbeitet, wenn Ideen entstehen, geäußert, diskutiert,
begründet oder verworfen werden, wenn gezeigt,
erklärt, mit Händen und Füßen vorgemacht und
veranschaulicht wird, wenn zugleich gestritten und
versöhnt wird, wenn Auseinandersetzungen geklärt,
ein sozial konstruktiver Umgang angeleitet und die
Klassengemeinschaft zu Kooperation, gegenseitiger
Hilfe und Friedfertigkeit angeleitet wird. Kurz: Wenn
im Vollsinne unterrichtet wird.
7
Denn Unterricht bedeutet im Kern das Teilen und
Mitteilen von Vorstellungen einer Sache.
8
Lehrerin-
nen und Lehrer bemühen sich mit all den Mitteln,
dass Schülerinnen und Schüler eine sachgemäße,
aber doch immer auch individuell geprägte Vor-
stellung eines Sachverhalts bilden. Sie versuchen,
diese Vorstellungsbildungen der Schüler zu verste-
hen, greifen sie auf, entwickeln sie weiter, leiten
den Austausch der Schülerinnen und Schüler un-
tereinander an und führen das gemeinsame Den-
ken wieder zielführend zusammen, um gemeinsa-
me Erkenntnisse zu formulieren. Insofern ist der
Klassenraum ein Raum gemeinsam geteilter Vor-
stellung, in dem sich die Personen dialogisch mit-
einander und mit der Sache verbinden. Ja, in ge-
wisser Weise entsteht ein Atommodell in Chemie,
eine Raumvorstellung in Geografie, eine Formel in
Mathematik oder eine Harmonie in Musik erst in
und durch die gemeinsame Vorstellungsleistung.
Darin wird Kultur konkret lebendig und von
17
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18
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den Schülerinnen und Schülern je individuell reformu-
liert. Unterricht ist also – bei allem, was man aus sozio-
logischer Sicht ansonsten über die Gründe und Proble-
me von Schule anführen mag – der spezielle Ort, an
dem Menschen ihr kulturelles Leben weitergeben und
neu befruchten. Diese spezifische Qualität des Klassen-
unterrichts kann ein isoliert zu bearbeitender Wochen-
plan und das digital vereinzelte Arbeiten prinzipiell
niemals einholen. Dies spricht nicht gegen sachlich be-
gründetes zeitweises Arbeiten in individuellen Lernfor-
men oder mit digitalen Arbeitsmitteln – aber für deren
sekundäre Bedeutung und vor allem gegen deren Ver-
absolutierung.
In dieser Hinsicht ist so verstandener Unterricht in so-
zialer Bezogenheit zudem immer auch ein Ort sozialen
Ausgleichs, denn er spricht alle jungen Menschen glei-
chermaßen als lernfähige und bildsame Personen an.
Daher ist aus pädagogisch-anthropologischer, lerntheo-
retischer und inzwischen auch empirischer Sicht klar,
dass die Isolierung von Schülerinnen und Schülern in
atomisierten Lernsettings die soziale Spaltung forciert.
Darauf hat Hermann Giesecke schon früh hingewiesen:
»Nahezu alles, was die moderne Schulpädagogik für
fortschrittlich hält, benachteiligt die Kinder aus bil-
dungsfernem Milieu. Sozial selektiert wird bereits mit
dem ersten Schultag. ’Offener Unterricht‘, überhaupt die
Demontage des klassischen, lehrerbezogenen Unter-
richts, die Wende vom Lehren zum Lernen und damit die
übertriebene Subjektorientierung, die Verunklarung der
Leistungsansprüche, Großzügigkeit bei der Beurteilung
von Rechtschreibschwächen (…) hindern die Kinder mit
von Hause aus geringem kulturellen Kapital daran, ihre
Mängel auszugleichen, während sie den anderen kaum
schaden. (…) Das einzige Kapital, das diese Kinder (Kin-
der aus bildungsbenachteiligten Familien) von sich aus
– ohne Hilfe ihres Milieus – vermehren können, sind ihr
Wissen und ihre Manieren; dafür brauchen sie eine
Schule, in der der Lehrer nicht nur ’Moderator‘ für ’selbst-
bestimmte Lernprozesse‘ ist, sondern die Führung über-
nimmt und die entsprechenden Orientierungen vorgibt.
Gerade das sozial benachteiligte Kind bedarf, um sich
aus diesem Status zu befreien, eines geradezu altmodi-
schen, direkt angeleiteten, aber auch geduldigen und
ermutigenden Unterrichts.«
9
Rückkehr zu Schule und Unterricht
Es ist eine bittere Nebenwirkung des derzeit notfallmäßi-
gen Home-Schoolings, dass dieser Effekt sozialer Spal-
tung jetzt noch verstärkt werden wird. Daran sind über-
forderte Eltern in keiner Weise schuld. Umso wichtiger ist
aber nach der Rückkehr in den schulischen Normalbe-
trieb, dass Eltern und Lehrkräfte als Lehre aus der Krise
gemeinsam fordern,
dass nicht mehr, sondern weniger digitalisiert wird,
dass Lehrerinnen und Lehrer, Schulleitungen und
Kollegien ihre Unterrichtsformen überdenken,
dass Universitäten und die zweite Lehrausbildungs-
phase Nachwuchslehrkräften wieder in die voll-
ständige Kunst zu unterrichten theoretisch und
praktisch einführen,
dass Ministerien den Schulen entsprechende
Hinweise geben
und die Politik jene Digitaladventisten in die
Schranken weist, die Corona für ihr Ostern
und Pfingsten hielten.
Wenn dann nach der Bewältigung der Krise noch Geld
verfügbar ist, das man in den Schulen nicht für dringen-
de Dinge braucht wie etwa Lehrpersonal, Unterstüt-
zungsangebote für durch Home-Schooling benachteilig-
te Schüler, für Bücher, Sporthallen, Kunstwerkstätten,
Musikinstrumente, Schulgebäude, funktionierende WCs
und dichte Dächer – dann kann man Schule digitaltech-
nisch auf Grundlage von Open-Source-Lösungen und
abgekoppelt vom Internet
10
sowie mit Stellen für System-
administratoren ausstatten und es den Pädagoginnen
und Pädagogen überlassen, wie damit pädagogisch,
fachlich und didaktisch sinnvoll umzugehen ist. Denn
es geht nicht um die Interessen der Hard- und Software-
industrie, sondern es geht diesmal tatsächlich um die
Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen.
1) https://www.rnd.de/politik/foschung-gegen-corona-impfstoff-corona-test-
internationale-zusammenarbeit-bundesbildungsministerin-karliczek-
im-interview-WHIQHCJOGNHZBDCSHE7JLFDBYE.html
2) Vgl. Krautz/Burchardt (2018), https://bildung-
wissen.eu/fachbeitraege/bildungspolitik/time-for-change-2.html;
Burchardt/Krautz (2019), https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/
time-for-change-band-2.html.
3) https://www.rnd.de/politik/pisa-chef-angst-vor-verlorenem-jahr-fur-
die-bildung-ist-berechtigt-F7ZBKIEXVRBN3C5PKVT5H6YEOA.html.
4) Vgl. Luig (2020), https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/
homeschooling-bildung-und-erziehung-im-leerlauf.html.
5) Vgl. Krautz (2016), https://www.kunst.uni-wuppertal.de/fileadmin/
kunst/pdf/Krautz_-_Bildung_und_Erziehung_ als_Grundlage_
f%C3%BCr_das_Leben__Fromm_Forum_Web_.pdf.
6) Vgl. Gruschka (2015), https://bildung-wissen.eu/wp-content/
uploads/2015/06/gruschka_bildundgs_rat.pdf.
7) Dass im realen Unterricht auch nicht immer in diesem Vollsinne
unterrichtet wird, ist dabei eine Binsenweisheit, die wiederum
nicht für digitale Medien, sondern für bessern Unterricht spricht.
8) Vgl. Sowa, Hubert (2015): Gemeinsam vorstellen lernen. Theorie und
Didaktik der kooperativen Vorstellungsbildung. Schriftenreihe IMAGO.
Kunst.Pädagogik.Didaktik, Bd. 2. München.
9) Giesecke (2003), http://hermann-giesecke.de/ns.htm.
10) Vgl. Lankau (2020), https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/
digital-first-und-mobil-only.html.
BATTEL HILFT
19
4/2020 ·
lehrer nrw
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan
Battel
ist seit 2007
niedergelassener
Facharzt für Kinder-
und Jugendpsychia-
trie und -psychothe-
rapie mit eigener
Praxis in Hürth bei
Köln und seit 2012
systemischer Famili-
entherapeut (DGSF).
Im Rahmen des
lehrer nrw
-Fortbil-
dungsprogramms
greift er in einer Vor-
tragsreihe regelmä-
ßig verschiedene
Themen aus dem
Bereich der Jugend-
psychologie auf.
Foto: Andreas Endermann
Home
home
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner
Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag.
Diesmal geht es um die Vor- und Nachteile des Home Schoolings.
H
H
ome sweet home – der Satz kommt
vielen im Moment nur sehr gequält
über die Lippen. In den letzten Wo-
chen und Monaten der Corona-Krise haben
wir in unserer kinder- und jugendpsychiatri-
schen Praxis relativ im Normalbetrieb gear-
beitet mit nur sehr wenigen Absagen, teil-
weise anfänglich auch durch Corona be-
dingt. Unsere Eingangsfrage zum Beginn
eines Gespräches war/ist fast immer: »Und
wie geht es Ihnen in der Corona-Krise? Was
macht das Home-Schooling/Home-Office?«
Hier erlebe ich die vielfältigsten Antwor-
ten. Ja, wir erleben hier die Nebenwirkun-
gen der Maßnahmen, wie das Aussetzen
vieler Psychotherapien bzw. Psychotherapie
über wackelige Videogespräche, die Nicht-
aufnahme in Tageskliniken/Kliniken, Ver-
schlimmerung von Ängsten, Depressionen
etc. Die Liste ließe sich beliebig fortführen.
Festzuhalten ist: Ja es gibt sie, die soge-
nannten Kollateralschäden, und dies in
einem nicht unerheblichen Maße.
Was nehmen wir an Erfahrungen im schu-
lischen/therapeutischen Kontext nach der
Corona-Krise mit? (Wer entscheidet eigent-
lich, wann die Krise vorbei ist?) Es gibt El-
tern und Schüler, die berichten, es sei super,
zuhause zu lernen. Ausformuliert klingt das
dann so: »Ich schaffe viel mehr und spüre
nicht den immensen Druck aus der Schule
Eltern erleben erstmalig, wie eigenständig
und strukturiert ihre Kinder lernen können.
Nicht wenige sagen, »es wäre ja cool, wenn
wir nur zwei Tage die Woche zur Schule
müssten und drei Tage selbst für uns lernen
könnten«.
Für mich nehme ich mit: Sicherlich sollte
in ferner Zukunft die Schulanwesenheits-
pflicht nochmal neu diskutiert werden. Ein-
deutig positive Ergebnisse zeigt die Verklei-
nerung der Klassen, so dass Grundschulleh-
rer mit zum Teil nur acht Kindern Unterricht
machen und dies sowohl von Lehrern als
auch Schülern als extrem positiv bewertet
wird. Viele Dinge, die in unterschiedlichen
Fachrichtungen schon lange diskutiert wer-
den, finden nun unter Auflage der Hygiene-
maßnahmen auch einen rechtlich bedeutsa-
men Rahmen und können ausprobiert wer-
den. Dass dafür extra eine Corona-Krise
»kommen musste« … geschenkt.
Auf jeden Fall bewahrheitet sich die alte
Weisheit: Das Leben ist bunt. Eins spiegelt
sich jedoch in allen Aussagen von Eltern,
Lehrern und Schülern wider: Vermisst wird
der persönliche Kontakt, denn die Sozialkon-
takte machen uns Menschen aus (keine
wirklich neue Erfindung), sind elementare
Teile des Menschseins. Auf Mikroebene heißt
das, sich bei der Begrüßung in den Arm neh-
men, »give me five« mit dem Mathelehrer
nach einer einigermaßen guten Note und so
weiter und so fort.
So habe ich zwei Herzen in meiner Brust:
einerseits diskussionswürdige, jetzt gelebte
Änderungen im Schulsystem über die Dauer
hinweg und andererseits die oben genann-
ten »unerwünschten Nebenwirkungen«
mancher Maßnahmen, die sicherlich noch in
den nächsten Jahren nachwirken werden in
den mikrokosmischen zwischenmenschlichen
Begegnungen und den in diesem Zusam-
menhang spürbaren Ängsten. Es werden
auf jeden Fall spannende und wichtige Aus-
einandersetzungen in den nächsten Zeiten.
s
w
e
e
t
lehrer nrw ·
4/2020
20
Finde Deinen Weg!
Mit einem Forschungsprojekt möchte ein Team von Wissenschaft-
lern der Universitäten Maastricht und Tübingen eine bessere
Berufsorientierung an Schulen ermöglichen. Schülerinnen und
Schüler der neunten Klassen von Hauptschulen, Realschulen
und Gesamt-/Sekundarschulen können teilnehmen.
E
E
in gemeinsames Forschungsteam der
Universitäten Maastricht und Tübingen
startete im Herbst 2019 das wissen-
schaftliche Projekt ’Finde deinen Weg’, mit
dem Ziel, die berufliche Orientierung für
Schülerinnen und Schüler nachhaltig zu ver-
bessern. Nun geht die Studie in eine ent-
scheidende Runde und steht kurz vor dem
Start der ersten Praxisphase in Zusammenar-
beit mit Schülerinnen und Schülern.
Die Psychologinnen, Psychologen, Wirt-
schaftswissenschaftlerinnen und Wirtschafts-
wissenschaftler möchten herausfinden, wel-
che Art der Information den Schülerinnen und
Schülern dabei hilft, einen Berufsweg zu wäh-
len, mit welchem die Jugendlichen langfristig
glücklich und erfolgreich sind. Die Expertinnen
und Experten sehen großes Potenzial darin,
langerforschte Erkenntnisse aus der Persön-
lichkeitspsychologie für die berufliche Orien-
tierung von Schülerinnen und Schülern zu
nutzen. Um diesen Ansatz zu untersuchen, hat
das fünfköpfige Forschungsteam eine Studie
aufgesetzt, welche im Juni 2020 starten wird.
Online-Umfragen
mit hohem Nutzwert
Die Studie umfasst zwei Online-Umfragen
und ist so aufgebaut, dass Schülerinnen
und Schüler in mehreren Schritten Fragen
zum Fortschritt ihrer beruflichen Orientie-
rung, zu ihren Gewohnheiten und zu ihren
sozio-emotionalen Fähigkeiten beantwor-
ten. Die Schülerinnen und Schüler ent-
scheiden selbst, an wie vielen Teilen der
Studie sie teilnehmen möchten. Schon die
Teilnahme an der ersten Online-Befragung
(Juni/Juli 2020) mit einer Dauer von etwa
vierzig Minuten ist gewinnbringend für
die Jugendlichen: Im Nachgang an die Be-
fragung erhalten sie fundierte Informatio-
nen für ihre berufliche Orientierung. Dabei
unterscheidet sich die Form der bereitge-
stellten Informationen zwischen den Teil-
nehmerinnen und Teilnehmern. Das Ziel
der Verwendung unterschiedlicher Infor-
mationsarten ist es, die Nützlichkeit der
jeweiligen Methoden für die Berufsorien-
tierung zu ermitteln. Der Vergleich der
Nützlichkeit der verschiedenen Methoden
geschieht mit dem zweiten Teil der Studie.
Die zweite Befragung findet im Nachgang
an die Ausbildungs- bzw. Studienentschei-
dung statt. Das Forschungsteam möchte
so herausfinden, welche Informationsart
bzw. welche Kombination mehrerer Infor-
mationsarten den Jugendlichen bei ihrer
Berufsorientierung am besten geholfen
hat.
ZUR PERSON
Im Rahmen des Projekts möchte ich als
Teil eines interdisziplinären und interna-
tionalen Teams Jugendlichen dabei hel-
fen, den für sie richtigen Weg nach der
Schule zu finden. Aus eigener Erfahrung
weiß ich, wie schwer diese Entscheidung
sein kann. Ich habe meinen Weg mittler-
weile gefunden und möchte dies auch
für viele Jugendliche möglich machen.
Johanna Schmitz-Peiffer,
Doktorandin Universität Maastricht
SCHULE & POLITIK
Welcher Beruf ist der richtige?
Antworten auf diese Frage können
Schüler in einem aktuellen Forschungs-
projekt erhalten.
SCHULE & POLITIK
TEILNEHMERINNEN & TEILNEHMER GESUCHT
Sie möchten Ihren Schüle-
rinnen und Schülern dabei
helfen, eine bessere Ent-
scheidung für den Weg
nach der Schule zu tref-
fen? Dann machen Sie mit
und ermöglichen Sie ihnen
die Teilnahme an einer
wissenschaftlichen Studie
im Rahmen einer Unter-
richtsstunde oder privat
vom Heimcomputer aus.
Zielgruppe: 9. Klassen
der Haupt-, Real-
und Gesamt-/
Sekundarschulen
Durchführung im
Juni/Juli 2020
Durchführungszeit:
rund vierzig Minuten
Alle Schülerinnen und
Schüler erhalten nach
der Teilnahme Informati-
onsmaterialen für ihre
persönliche berufliche
Orientierung!
Durchführung und
Feedback erfolgen
komplett online!
Melden Sie sich mit Ihrem
Teilnahmeinteresse bei Jo-
hanna Schmitz-Peiffer, zu-
ständige Doktorandin der
Universität Maastricht,
unter
j.schmitzpeiffer@
maastrichtuniversity.nl
Unterstützung bei der
Berufsorientierung
Das wissenschaftliche Team ist vom Nut-
zen der Studie für alle Beteiligten über-
zeugt. Während die Universitäten anony-
misierte Daten erhalten, mit welchen sie
wertvolle Untersuchungen durchführen
können, erhält jede Teilnehmerin und jeder
Teilnehmer Unterstützung bei der Berufs-
orientierung – alles online, und mit Hilfe
von anonymisierten Codes, die die Identi-
tät der Schülerinnen und Schüler schützen.
Insbesondere in Zeiten von Corona eine
gute Alternative zu Beratungsangebo-
ten vor Ort! Die Datenspeicherung und
-nutzung erfolgt nach strengen EU-Richtli-
nien und wurde durch die Ethikkommissi-
on der Universität Maastricht am 9. April
2020 geprüft und genehmigt
(ERCPN OZL_218_09_02_2020).
Foto: AdobeStock/Maridav
lehrer nrw ·
4/2020
22
Post für Laschet
und Gebauer
Die Corona-Krise hat zwei Dinge schonungslos offengelegt:
Zum einen ist das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen tech-
nisch und inhaltlich nur unzureichend auf die Anforderungen
einer zunehmend digitalisierten Lebens- und Arbeitswelt vor-
bereitet. Zum anderen: Das Home Schooling kann einen leben-
digen Unterricht, den konstruktiven, persönlichen Kontakt zwi-
schen Lehrkraft und Schülern, auch nicht ansatzweise ersetzen.
D
D
ie fünf Lehrerverbände im DBB NRW
fordern die Landesregierung in einem
gemeinsamen Positionspapier auf, das
digitale Arbeiten an den Schulen rechtssicher
und verantwortungsvoll zu gestalten. Denn
die Nutzung digitaler Medien kann eine wert-
volle Ergänzung zum Präsenzunterricht in der
Schule sein – nicht mehr und nicht weniger.
Doch dafür braucht es eine entsprechende
Ausstattung. Während der Schulschließungen
ist es nur dank des überragenden Engage-
ments der Lehrkräfte gelungen, funktionie-
rende Kommunikationswege für das Lernen
auf Distanz aufzubauen und den Kontakt zu
den Schülerinnen und Schülern aufrecht zu
erhalten. Vieles lief und läuft dabei daten-
schutzrechtlich auf dünnem Eis.
Das Versprechen
der Landesregierung
Darum haben die fünf nordrhein-westfäli-
schen Lehrerverbände im Deutschen Beam-
tenbund –
lehrer nrw
, Philologen-Verband
NW, VBE, vlbs und vlw – ein Positionspapier
entwickelt. Darin formulieren sie fünf Punkte
für das Lernen mit Unterstützung digitaler
Medien in den Schulen. Das Papier wurde an
Ministerpräsident Armin Laschet und an
Schulministerin Yvonne Gebauer gesandt.
»Wir erinnern die Landesregierung an ihr im
Koalitionsvertrag gegebenes Versprechen,
die Chancen der Digitalisierung für die Schu-
len nutzbar zu machen. Unser Positionspa-
pier verstehen wir als Einladung zum Ge-
spräch«, erklären die fünf Verbandsvorsitzen-
den Brigitte Balbach (
lehrer nrw
), Sabine
Mistler (Philologen-Verband NW), Stefan
Behlau (VBE), Michael Suermann (vlbs) und
Hilmar von Zedlitz-Neukirch (vlw).
Das Corona-Virus bleibt. Auf die unmittel-
baren Veränderungen muss das Land jetzt
reagieren und die Schulen stärken. Stand
heute, ist ins Kalkül zu ziehen, dass die Schu-
len auch nach den Sommerferien noch nicht
wieder im Vollbetrieb laufen können. Deswe-
gen brauchen sie eine angemessene Ausstat-
tung und einen verlässlichen Rahmen als Un-
terstützung des Lernens auf Distanz. Es darf
nicht im Dauer-Improvisationsmodus weiter-
gehen. Generell gilt dabei die Prämisse:
’Pädagogik vor Technik.’
Die fünf Punkte
des Positionspapiers in
der Zusammenfassung
1.Digitale Infrastruktur, Hardware
und Support für die Schulen
Spätestens bis zu den Sommerferien 2021
muss eine grundlegende digitale schuli-
sche Infrastruktur unter Nutzung der Mittel
aus dem Digitalpakt eingerichtet werden.
Dies beinhaltet u.a. eine belastbare Inter-
net- und Breitbandausstattung sowie die
Bereitstellung von digitalen Endgeräten für
Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte.
SCHULE & POLITIK
SCHULE & POLITIK
2.DSGVO-konforme Lern- und
Kommunikationsplattformen
Für das Lernen auf Distanz brauchen die
Schulen Kommunikationsmittel, die die
Vorgaben der Datenschutz-Grundverord-
nung erfüllen. Dazu gehören insbesondere
ein Messengerdienst, ein Kalenderdienst,
ein Cloudspeicher, Chat- Telefonkonferenz-
und Videokonferenz-Tools sowie Schnitt-
stellen zu anderen professionellen Anwen-
dungsprogrammen.
3. Zentrale Bereitstellung rechtssicherer
digitaler Anwendungen durch das Land
Nicht alles muss neu erfunden werden.
Darum sollten die auf dem Markt verfüg-
baren Anwendungsprogramme auf ihre
DSGVO-Konformität, inhaltliche Eignung
und auf den rechtssicheren Einsatz in den
Schulen geprüft werden. Zertifizierungs-
verfahren für Inhalte, Lernmaterialien oder
Apps wären eine Möglichkeit.
4.Didaktische Konzepte und eine
Fortbildungsoffensive für Lehrkräfte
Für den digitalen Fernunterricht muss das
Land eine Fortbildungsoffensive für Lehr-
kräfte auflegen, die den schulformspezifi-
schen Besonderheiten Rechnung trägt. Zu-
dem müssen Einsatz und Verwendung di-
gitaler Medien Bestandteil beider Phasen
der Lehrerausbildung sein.
5.Geeigneter dienst- und
schulrechtlicher Rahmen
Die Anforderungen des Distanzlernens für
die Schülerinnen und Schüler müssen ein-
deutig und rechtssicher definiert werden –
einschließlich möglicher Leistungsüberprü-
fungen.
INFO
Die Unterzeichner
des Positionspapiers:
Brigitte Balbach,
lehrer nrw
Sabine Mistler, Philologen-Verband
Stefan Behlau, Verband Bildung und Erziehung
Michael Suermann
Verband der Lehrerinnen und Lehrer
an Berufskollegs (vlbs)
Hilmar von Zedlitz-Neukirch
Verband der Lehrerinnen und Lehrer
an Wirtschaftsschulen (vlw)
Das komplette Positionspapier zum
Nachlesen:
www.lehrernrw.de
Digitale Medien können den
Präsenzunterricht sinnvoll ergänzen.
Klar ist aber auch: Ohne Lehrer geht es nicht.
Foto: AdobeStock/goodluz
lehrer nrw ·
4/2020
24
Digitalisierung ist kein Garant
für guten Unterricht
Prof. Klaus Zierer stellt in einem Gastbeitrag klar, dass
Digitalisierung keine Bildungsrevolution auslösen wird.
Es bleibt dabei: Auf die Lehrer kommt es an.
D
D
ie Corona-Krise und in ihrer Folge
das Home-Schooling scheint eines
zutage befördert zu haben: Schulen
in Deutschland haben die Digitalisierung
verschlafen und zahlen mancherorts den
Preis dafür, weil beispielsweise Eltern als
Ersatzlehrer fungieren müssen oder Kinder
aus sozialen Brennpunkten abgehängt
werden. Während die genannten Probleme
unstrittig sind, ist die Ursachenzuschrei-
bung falsch: Die digitale Ausstattung ist
nicht der erste Grund. Damit ist ein Mehr
an Digitalisierung auch nicht die Lehre aus
der Corona-Krise.
Was die derzeitige Situation wie ein
Brennglas vor Augen führt, ist ein altbe-
kanntes Forschungsergebnis: Die Profes-
sionalität von Lehrpersonen bestimmt, ob
Unterricht wirkt. Ein Blick in die Studie
’Visible Learning’, die über 300 Faktoren
für Unterrichtserfolg nennt, belegt: Fernun-
terricht erzielt nur geringe Effekte. Somit
ist er ein Unterricht, den man machen
kann, wenn es notwendig ist, den man
aber nicht machen sollte, wenn es nicht
SCHULE & POLITIK
Egal ob beim Präsenzunterricht
oder beim Lernen auf Distanz:
Entscheidend ist die Professionalität der
Lehrkraft und nicht das Medium.
SCHULE & POLITK
25
4/2020 ·
lehrer nrw
sein muss. Denn dann gibt es weitaus
wirksamere Verfahren. Als Beispiel sei die
hoch wirksame Lehrer-Schüler-Beziehung
genannt. Als ebenso wirksam erweist sich
etwas, was für viele Lernende der Grund
schlechthin ist, um in die Schule zu gehen:
die Peers, also die Gleichaltrigen.
Digitalisierung ist kein
großer Faktor
Inspiziert man die wirksamsten Faktoren
in ’Visible Learning’, so muss man zudem
erkennen: kein Digitalisierungsfaktor weit
und breit. Stattdessen finden sich dort
das Gruppenpuzzle, eine Methode, bei der
sich Lernende intensiv austauschen, oder
die Glaubwürdigkeit der Lehrperson, ein
wesentliches Element der Lehrer-Schüler-
Beziehung. Digitalisierungsfaktoren, wie
’Einsatz von Smartphones und Tablets im
Unterricht’, ’Flipped Classroom’ oder
’Laptopeinzelnutzung’, kommen nicht
über eine geringe Wirksamkeit hinaus.
Wer also damit argumentiert, dass Digita-
lisierung der Schlüssel für eine Bildungs-
revolution ist, der verkennt oder noch
schlimmer: der ignoriert empirische For-
schung.
Wir warten seit dreißig, vierzig Jahren
auf die digitale Revolution von Schule,
die trotz allen technischen Fortschritts
im Detail (noch) nicht gekommen ist.
Nun wäre es verkürzend, damit den Digi-
talisierungsapokalyptikern das Wort zu
reden. Denn ein detaillierter Blick auf die
Empirie zeigt, dass Technik durchaus wir-
ken kann. Einzelstudien des Fernunter-
richts kommen zu guten Ergebnissen,
während mancherorts aber auch negati-
ve Effekte berichtet werden. Wie kommt
dieser Unterschied zustande? Es ist nicht
die Technik, die darüber entscheidet, ob
erfolgreicher Fernunterricht stattfindet.
So kann eine Lehrkraft digital ebenso
wie analog Lernende mit Arbeitsblättern
überfrachten.
Auch beim Lernen auf
Distanz ist die Professio-
nalität der Lehrkraft
entscheidend
Trotz einfacher digitaler Möglichkeiten zur
Kontaktaufnahme mit Lernenden führen
diese nicht automatisch dazu, dass Lehr-
kräfte das dann auch tun – wie viele Ler-
nende wurden in den letzten Wochen nicht
von ihrer Lehrkraft kontaktiert? So ist denn
auch die Quintessenz aus der Forschung,
dass die Wirksamkeit des Fernunterrichts
mit der Professionalität der Lehrkraft steht
und fällt. Sie entscheidet darüber, ob Ler-
nen herausfordernd ist oder einem Dril-
ling-and-Killing gleicht. Sie entscheidet da-
rüber, ob Lernende Rückmeldungen erhal-
ten oder wochenlang vor sich hinarbeiten.
Und sie entscheidet darüber, ob Lernende
in Kontakt mit Mitschülern kommen oder
gänzlich in sozialer Isolation versinken.
Gerade auch dann, wenn es stufenweise
zurück in den Präsenzunterricht gehen
wird: Ein hohes Maß an Professionalität
wird notwendig sein, um in Zeiten von
Mindestabständen im Klassenzimmer
erfolgreich zu unterrichten. Fehlt dieses,
droht ein Frontalunterricht, der nicht der
beste sein wird.
Es ist die Stunde
der Lehrkräfte
So lautet die entscheidende Botschaft aus
der Corona-Krise: Es ist die Stunde der
Lehrkräfte! Deren Professionalität ist im
Home-Schooling ebenso wie im Präsenz-
unterricht Garant für Lernerfolg.
DER AUTOR
Klaus Zierer (44) ist ein deutscher Er-
ziehungswissenschaftler und seit 2015
Ordinarius für Schulpädagogik an der
Universität Augsburg. Davor war er seit
2011 Professor für Erziehungswissen-
schaft an der Carl von Ossietzky Univer-
sität Oldenburg. Einer breiten Öffentlich-
keit wurde Zierer bekannt durch seine
Arbeiten im Zusammenhang mit der
Hattie-Studie, die er zunächst mit Wolf-
gang Beywl ins Deutsche übertragen
hat, mittlerweile aber auch in eigenstän-
digen Projekten und Publikationen fort-
führt.
Foto: StockAdobe/olgasparrow
lehrer nrw ·
4/2020
26
SCHULE & POLITIK
Keine Schnellschüsse!
Die NRW-Landesregierung wollte die 1,5 Meter-Abstandsregel
kippen und an den Schulen noch vor den Sommerferien zum
Normalbetrieb zurückkehren. Dagegen formierte sich ein breites
Bündnis von elf (!) Lehrer-, Eltern- und Schülerverbänden.
Dennoch wurden zumindest die Grundschulen komplett geöffnet.
G
G
rundlage für den überraschenden
Schwenk der Landesregierung war
eine Stellungnahme mehrerer Ärz-
te- und Medizinverbände, die ein nur gerin-
ges Infektionsrisiko durch und für Kinder
und Jugendliche sahen. Darin wurde eine
vollständige Öffnung der Schulen empfoh-
len. Das steht jedoch im Widerspruch zu
den Empfehlungen des Robert Koch-Insti-
tuts. »Es kann nicht sein, dass Kompetenz-
gerangel zwischen Ärzten und Wissen-
schaftlern auf dem Rücken der Lehrkräfte
sowie der Schülerinnen und Schüler aus-
getragen wird. Verlässliche und verantwor-
tungsvolle Politik sieht anders aus«, kriti-
siert Brigitte Balbach, Vorsitzende von
lehrer nrw
, in einer Pressemitteilung.
Gesundheit muss
Priorität haben
lehrer nrw
schloss sich darum einer Initia-
tive von elf (!) Lehrer-, Eltern- und Schüler-
verbänden an und unterzeichnete ein ge-
meinsames Positionspapier. »Die Schulen
brauchen jetzt vor allem Verlässlichkeit
und keine Schnellschüsse. Sie haben unter
großem Einsatz einen Re-Start ermöglicht
und funktionierende Pläne für den Rest
des laufenden Schuljahrs entwickelt. Die
Gesundheit aller Beteiligten des schuli-
schen Lebens in Nordrhein-Westfalen muss
weiterhin absolute Priorität haben«, be-
tont Sven Christoffer, stellvertretender Vor-
sitzender von
lehrer nrw
und Vorsitzender
des Hauptpersonalrates für Realschulen.
Fokus aufs kommende
Schuljahr richten
In dem Positionspapier plädieren die elf
beteiligten Verbände dafür, eine Wieder-
aufnahme des Normalbetriebs anzustre-
ben, allerdings keinesfalls vor den Som-
merferien. »Dafür muss schon jetzt der
Fokus auf das kommende Schuljahr gerich-
tet werden, müssen tragfähige und gang-
bare Pläne entwickelt werden, die einen
guten Start in einen hoffentlich kontinuier-
lichen Schulbetrieb ermöglichen. Diese
Planung ist eindeutig zu priorisieren ge-
genüber einer erneuten kurzfristigen Um-
planung des jetzigen Schulbetriebs«, heißt
es in dem Papier. Der gelingende Start des
kommenden Schuljahrs dürfe nicht durch
kurzsichtige politische Entscheidungen ge-
fährdet werden.
Foto: StockAdobe/Fokussiert
Schule auf? Die Landesregierung wollte gern zum Normalbetrieb zurück –
sah sich aber schnell einem breiten Bündnis von Lehrern, Eltern und Schülern gegenüber.
INFO
Die Unterzeichner
des Positionspapiers
Brigitte Balbach,
lehrer nrw
Maike Finnern,
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW
Christiane Mika,
Grundschulverband NRW
Sophie Halley,
Landesschüler*innenvertretung NRW
Jutta Löchner,
Landeselternschaft der Gymnasien NRW
Ralf Radke,
Landeselternschaft der integrierten Schulen in NRW
Anke Staar,
Landeselternkonferenz NRW
Sabine Mistler,
Philologen-Verband NW
Mario Vallana,
Schulleitungsvereinigung der
Gesamtschulen in NRW
Stefan Behlau,
Verband Bildung und Erziehung
Rüdiger Käuser,
Westfälisch-Lippische Direktorenvereinigung
Ferdinand Kümmertsich
s war einmal…«, ja so fangen alle Märchen an.
»Das Ministerium verspricht…«, so fangen auch alle
Märchen an. Ach ja, diese Märchen. Immer wieder ein
Thema des Deutschunterrichts in Klasse 5, aber langsam alt, langwei-
lig und bekannt. Darum habe ich mir nach so vielen Dienstjahren ein-
mal ein neues Märchen ausgedacht:
Es war einmal eine kleine grüne Fee, die gerne in der Schulland-
schaft etwas ’Großes’ bewirken wollte. Da aber die Fee zu klein
war, suchte sie die Freundschaft zur großen roten Fee. Um aber nun
als kleine grüne Fee in den Elfenbeinturm in Düsseldorf reinzukom-
men, muss man leider gewählt werden. So kamen die Feen auf die
Idee, für sich zu werben, damit das gemeine Fußvolk sie auch wäh-
le. Das Fußvolk vertraute den Feen und wählte diese.
Und so bereitete die kleine grüne Fee eine Revolution der Schul-
landschaft vor. Da die Schülerinnen und Schüler ihres Reiches in
vielen Studien so schlecht abschnitten, wollte die kleine grüne Fee
dies nicht hinnehmen und hat mal ganz schnell für einen besseren
Notendurchschnitt gesorgt, indem unter anderem – nicht wie bis-
her – die Hälfte der Punktzahl in der Abschlussprüfung eine ausrei-
chende Leistung ergab, sondern glatt eine befriedigende Leistung.
Auch die Grundschule war nicht vor ihr gefeit. Das ’Kleine 1x1’
wurde ersatzlos gestrichen, da man sich ja mit ’Plus-Rechnen’ das
Ergebnis zusammenklamüsern kann. Eine kleine Schreibwerkstatt
im Bergischen wurde reicher als Bill Gates, da man nun das ’Schrei-
ben nach Gehör’ einführte und somit mehr LRS-Schülerinnen und
-Schüler schaffte, als überhaupt jemand ertragen kann.
Das alles fand das Fußvolk nicht gut und entschied sich bei der
nächsten Wahl für eine kleine gelbe Fee. Die Erwartungen waren
groß. Die kleine gelbe Fee sollte nun innerhalb ihrer Amtsperiode
alles rückgängig machen. Sie betrat vorsichtig den Elfenbeinturm
und stellte fest, dass ihre Vorgängerin mehr Scherben produziert
hatte, als nach einem Polterabend mit 3000 Gästen. So begab sich
die kleine gelbe Fee daran, die Scherben passend zusammenzusu-
chen und den Teller wieder zu kleben. Da aber viele Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter des Elfenbeintürmchens so sehr von der kleinen
grünen Fee zuvor beeinflusst worden waren, versteckten sie einfach
die Klebertuben. Da saß sie nun, die kleine gelbe Fee mit vielen
Scherben, die nicht zueinander passen wollten und wenn sie pass-
ten, dann hatte sie keinen Kleber, um die Teller zusammenzukleben.
Ach, würde die kleine gelbe Fee mal mehr von dem, was sie tut,
präsentieren und sich nicht auf Dinge einlassen, die nicht zu reali-
sieren sind. Es geht letzten Endes um Schülerinnen und Schüler,
aber die spielen leider für Feen sowie für Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter im Elfenbeinturm nur eine kleine Rolle, aber für die
ausführenden Lehrer eine große
Euer alter Kollege
Ferdinand Kümmertsich
Es war
einmal
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4/2020 ·
lehrer nrw
KOLUMNE
Der Kollege Ferdinand Kümmertsich ist gestählt durch unzählige Schlachten in Konferenzen,
Bezirksregierungsbüros und Elternsprechtagen. Mit reichlich Berufs- und Lebenserfahrung aus-
gestattet, blickt er mit einem Augenzwinkern auf den ganz normalen Wahnsinn des Systems Schule.
Es war
einmal
lehrer nrw ·
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RECHT
§
AUSLEGER
Corona vor Gericht
Die Corona-Pandemie hat Unterrichtsgeschehen und Arbeits-
bedingungen völlig durcheinandergewirbelt, ja letztlich das
gesamte Schulwesen auf den Kopf gestellt. Damit haben sich
bereits mehrere Gerichte beschäftigt. Ein Überblick zur bishe-
rigen Urteilslage.
D
D
ie zuständigen Landesregierungen,
auch in Nordrhein-Westfalen, muss-
ten angesichts der Corona-Krise in
einer bislang nie dagewesenen Situation,
Dimension und Schnelligkeit Entscheidun-
gen treffen. Kein Wunder, dass nicht alle
Maßnahmen zu Ende gedacht werden konn-
ten und auf Gegenliebe oder wenigstens
Verständnis gestoßen sind.
In zahlreichen Fällen sind Auseinanderset-
zungen um die Maßnahmen bereits vor Ge-
richte getragen worden. Es handelt sich na-
hezu um das ganze Spektrum der denkba-
ren und fast erwartbaren Konstellationen:
Es geht um Fälle von Lehrerinnen und Leh-
rern, von Eltern und von Schülern; es geht
um Fälle, in denen Maßnahmen der Behör-
den im Zuge der Corona-Pandemie entweder
als nicht weitgehend genug oder als über das
Ziel hinausschießend angesehen werden.
Was auf Lehrkräfte
zukommen kann
Dieser Beitrag soll einen Überblick vor allem
für Lehrkräfte geben. Denn für diese geht es
um Berufsausübungs-, Arbeits- und letztlich
auch gesundheitliche Rahmenbedingungen
in der aktuellen Zeit und zumindest abseh-
baren Zukunft. Sie sollen auch grob ein-
schätzen können, welche Maßnahmen sie
voraussichtlich hinnehmen müssten und
welche wahrscheinlich mit Erfolg abgewen-
det werden könnten. Es tut dabei nichts zur
Sache, wenn hier Entscheidungen aus ande-
ren Bundesländern zitiert werden und bei
Erscheinung dieses Beitrags die Bedingun-
gen an Schulen sich nicht mehr überall ge-
nau mit den Sachverhalten decken, die den
beschriebenen Gerichtsentscheidungen zu-
grunde liegen. Denn es geht nur um ganz
grundsätzliche Fragen, mit denen jedenfalls
auch dann wieder zu rechnen ist, wenn
Landesregierungen wieder gezwungen sein
sollten, entsprechende Verhältnisse herzu-
stellen.
Unterricht trotz Restrisiko
Trotz eines nicht auszuschließenden restli-
chen Gesundheitsrisikos müssen Lehrkräfte
grundsätzlich an Schulen unterrichten. Eine
Grundschullehrerin in Hessen hatte im Wege
des Eilverfahrens versucht, sich gegen die
Heranziehung zum Unterricht zu wehren.
Sie hatte argumentiert, Land und Schulamt
hätten nicht für ausreichende Schutz-
vorkehrungen gesorgt, das
heißt weder für einen hinreichenden Hygie-
neplan noch für ein hinreichendes Arbeits-
schutzkonzept.
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel
sah das anders (Az. 1 B 1308/20): Die stu-
fenweise Rückkehr in die Schulen mit Lern-
gruppen mit einer begrenzten Schülerzahl
zur Gewährleistung des Mindestabstandes
von 1,5 Metern und die Beachtung der
Hygieneempfehlungen des Robert Koch-
Instituts seien nicht zu beanstanden. Das
Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt, vor dem
die Lehrerin in der Vorinstanz ohne Erfolg
geblieben war, führte unter anderem aus,
dass dem Dienstherrn ein Beurtei-
lungsspielraum zukomme, der
in zulässiger Weise ge-
nutzt worden sei
(Az. 9 L
1127/20.F). Es
könne nicht erwar-
tet werden, mit ei-
nem bis ins Letzte aus-
gefeilten Hygieneplan
eine Nullrisikosituation in
der Schule anzutreffen.
von CHRISTOPHER LANGE
Foto: AdobeStock/wetzkaz
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lehrer nrw
RECHT
§
AUSLEGER
Das Gericht verwies zudem auf die Treue-
pflicht, die die Lehrerin als Beamtin treffe.
Verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer hätten
die Verantwortung der Schulen gegenüber
Schülern und deren Familien im Rahmen der
Daseinsvorsorge mitzutragen.
Auch den Antrag einer Lehrerin in der
Funktion einer Konrektorin auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung hat das VG Gießen
abgelehnt (Az. 5 L 1592/20.GI). Auch sie
hatte vorgetragen, der Hygieneplan für die
Schulen werde den besonderen Anforderun-
gen der Grundschulen nicht gerecht. Hier
hat sich das Gericht sogar süffisant die Be-
merkung gestattet, dass die Antragstellerin
als Konrektorin selbst Teil der Schulleitung
sei und damit teilweise für die Umsetzung
gesundheitlicher Konzepte und hier bei-
spielsweise des Hygieneplans verant-
wortlich sei.
Drei Viertklässler, die nach Medienberich-
ten mithilfe von Eilanträgen vor dem Ober-
verwaltungsgericht Münster ebenfalls ver-
hindern wollten, in die Schule zurück zu
müssen, hatten sich dagegen auf eine Be-
nachteiligung gegenüber anderen stützen
wollen. Nachdem aber auch die anderen
Jahrgänge zurück in den Präsenzunterricht
geholt wurden, hatten die drei Schüler ihre
Anträge zurückgezogen.
Auch Schulschließungen
rechtmäßig
In ein ganz anderes Horn blasen die Antrag-
steller zweier Eilverfahren, die sich gegen
die Schließung von Schulen durch das Land
Berlin am 17. März als eine der primären
Reaktionen auf die Infektionen mit dem
Corona-Virus gewandt hatten. Das Schlie-
ßen der Schulen wegen der Corona-Pande-
mie war jedoch rechtmäßig, so das VG Berlin
(Az. 3 L 166/20 und Az. 3 L 167/20).
Anstelle gesundheitlicher Risiken wurde
hier die Hinderung am Zugang zur Schulbil-
dung ins Feld geführt. Nach Ansicht des Ge-
richts handelt es sich aber nicht um eine Ver-
hinderung, sondern lediglich übergangsweise
Veränderung des Zugangs zur Schulbildung.
Diese sei akzeptabel, soweit die Maßnahmen
ständig überprüft würden und angemessene
Angebote für Heimunterricht gewährleistet
würden. Lebens- und Berufschancen der
Schüler würden so nicht dauerhaft beein-
trächtigt. Wegen der Unsicherheit der Prog-
nosen der Lockerungen sei es auch gerecht-
fertigt, nach Jahrgängen zu differenzieren.
Gesundheitsschutz
vor Berufs- und
Handlungsfreiheit
In einem Fall vor dem VGH Baden-Württem-
berg ging es zwar nicht um die Schließung
einer Schule, sondern die Schließung bezie-
hungsweise zu geringe Aufrechterhaltung
des Betriebes einer Kita. Ein Vater argumen-
tierte unter anderem, durch die Betreuung
seiner Kinder sei er in seiner beruflichen und
allgemeinen Handlungsfreiheit einge-
schränkt. Außerdem werde in den grund-
rechtlichen Schutz der Familie eingegriffen.
Derartige Argumente könnten grundsätzlich
auch zur Öffnung des Schulbetriebs einge-
setzt werden. Im vorliegenden Fall ließ sich
der VGH Baden-Württemberg aber nicht
überzeugen: Berufsfreiheit und allgemeine
Handlungsfreiheit müssten in der vorgegebe-
nen Lage hinter dem Gesundheitsschutz zu-
rücktreten, vor allem, da keine Existenzgrund-
lagen bedroht seien und zudem die Notbe-
treuung genutzt werden könne. In den Schutz
der Familie werde auch nicht eingegriffen,
selbst wenn erhebliches Konfliktpotenzial
entstehen könne – es komme insofern darauf
an, dass die Familie mehr Zeit miteinander
verbringen könne und die Eltern freier in der
Erziehung seien (Az. 1 S 1216/20).
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
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ANGESPITZT
H
H
ei, was war das für eine Freude:
Am 14. Mai ging den Corona-
gebeutelten Schulleiterinnen
und Schulleitern in Nordrhein-Westfalen
das Herz auf. Per Pressemitteilung ver-
kündete das Schulministerium, dass die
Erhebung des Unterrichtsausfalls
an den Schulen in Nordrhein-Westfalen
aufgrund der Corona-Krise bis zum
Ende des Schuljahres ausgesetzt wird.
»In Zeiten der Corona-Pandemie wollen
wir die Schulen so gut es geht entlas-
ten«, ließ Ministerin Yvonne Gebauer
die Schalmeien aus dem Beglückungs-
tempel an der Völklinger Straße erklin-
gen. Mit vor Dankbarkeit feuchten Au-
gen werden die meisten Schulleitungen
diese wunderbare Nachricht vernom-
men haben.
Nach dem Trocknen der Freudenträ-
nen hat sich allerdings der ein oder
andere gefragt, wo denn die Entlas-
tung ist, wenn in Corona-Zeiten so-
wieso kein Unterricht stattfindet, des-
sen Ausfall man messen könnte. Wo-
möglich hätte auch ein weit profane-
rer Hinweis gereicht, dass es völlig
sinnlos ist, Unterrichtsausfall in einem
rollierenden System zu erfassen, in
dem die meisten Kinder vorerst nicht
über einen Präsenz-Schultag pro Wo-
che hinauskommen. Aber das klingt
dann nicht so hübsch. Entlastung –
das Wort hat etwas Sehnsüchtiges,
es lädt zum Träumen ein. Zum Träu-
men von Zeiten, in denen Schulen mal
nicht mit Erlassen, Schulmails und
Hygienevorschriften im Kasernenhof-
ton bombardiert werden. Zum Träu-
men von Zeiten, in denen es eine
ausreichende Vertretungsreserve,
mehr Wertschätzung und eine gerech-
te Bezahlung für Lehrkräfte gibt. Dann
gäbe es auch keinen Lehrermangel
mehr. Und dann wäre eine Unterrichts-
ausfallstatistik gar nicht nötig.
Das wäre mal eine wirkliche Entlas-
tung. Aber – AUFWACHEN! – es ist halt
nur ein Traum. Doch manchmal werden
ja Träume… – ach, lassen wir das.
Jochen Smets
Die Schalmeien der Entlastung
Weihnachten und Ostern
auf einmal:
Frau Gebauer überreicht
den Lehrkräften den
Ausfall-Erlass der
Unterrichtsausfallstatistik
HIRNJOGGING
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lehrer nrw
Über Feedback zu meinen Gehirnjogging-Übungen würde ich mehr sehr freuen: mail@heike-loosen.de Heike Loosen
Tiere im Kreis
Diese Übung hat es in sich. Hier muss kräftig geknobelt werden, welches Tier in welchen Kreis gehört, damit alles aufgeht.
Wie im Beispiel gezeigt, sollen die über den Formen stehenden Tiernamen kreisförmig eingetragen werden.
Dabei teilen sich die benachbarten Kreise jeweils zwei Buchstaben.
Das farbige Feld gibt die Position des Anfangsbuchstabens an. Bei
orangenen Startfeldern werden die Wörter
im Uhrzeigersinn geschrieben, bei blauen gegen den Uhrzeigersinn.
Beispiel: FLIEGE, QUALLE, WIESEL
Q S G
U E E E
A L I F
L W L
Variante 1 mit Vorgabe des Start-Tieres
BEAGLE, DACKEL, DELFIN, GAEMSE, KUEKEN, LEGUAN, QUALLE, SEEKUH, SPINNE
C
A K
D E
L
Variante 2 ohne Starthilfe
GANTER, HENGST, HERING, JAGUAR, KRAEHE, LERCHE, NATTER, REIHER, ZANDER
Lösungen
Variante 1
C E H M B G Q D N
A K U S E E U E N E
D E K E A L A L I S
L N E G G N L F P
Variante 2
R C E U R R D H S
E R H A G E N E G T
I E E R A T A R N H
H L K J N T Z I E
Vokale
Finden Sie Wörter, in denen vier unterschiedliche
Vokale vorkommen: KARTOFFELBREI
Buchstaben-
salat
In diesem Text sind berühmte deutsche Männer
versteckt. Wie viele finden Sie?
Vbjskwiwbachkdkkwoderüiebgsbraunakskdhahnkk
kwkdopvervegerbrechtkkwklgodheusslööoefkadhe
sseaclgieadenauerllvocäüwecqoheowmyckkochllvo
wocfwqeg4eppvbenzksaswewtwkoeghbuschcowo
eogbnmannvllwoeocochqwlüfichtewowoocohaydn
wowobwocoghw0ckogrimmdlleügüdheooshhelghe
ineöiidoöqwodforffldlkdowowogpmarxldlocoeiighe
zeissaddtoe
AUFGABE 1:
AUFGABE 2:
AUFGABE 3:
Wir danken
Ihnen für
Ihren Einsatz!