3
Unter der Lupe
Realschulen haben
eine Zukunft!
15
Dossier
Die gefährliche Ab-
wärtsspirale im deut-
schen Bildungswesen
22
Schule & Politik
Erst der Mensch,
dann die
Digitalisierung
10
Titel
Neustart für
§132c-Schulen
Pädagogik & Hochschul Verlag
.
Graf-Adolf-Straße 84
.
40210 Düsseldorf · Foto: Stefan Kuhn
1781 | Ausgabe 4/2018 | JULI | 62. Jahrgang
Gewalt an
Schulen
Modisches Medienthema
oder reales Problem?
Gewalt an
Schulen
Modisches Medienthema
oder reales Problem?
IMPRESSUM
l
ehrer nrw
G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
a
ls Zeitschrift des
lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
Geschäftsstelle
lehrer nrw
Nordrhein-Westfalen,
Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf,
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Redaktion
Brigitte Balbach, Ulrich
Brambach, Sven Christoffer,
Frank Görgens, Christopher
Lange, Jochen Smets,
Sarah Wanders, Düsseldorf
Verlag und
Anzeigenverwaltung
PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG –
dphv-verlags-
gesellschaft mbH,
Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf,
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Anzeigenpreisliste Nr. 18
vom 1. Oktober 2017
Zuschriften und
Manuskripte nur an
lehrer nrw
,
Zeitschriftenredaktion,
Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf
Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
INHALT
lehrer nrw ·
4/2018
2
UNTER DER LUPE
Brigitte Balbach:
Realschulen haben eine Zukunft!
3
MAGAZIN
Jochen Smets: So kann Integration gelingen 4
B
ildungsbilanz des Mittelstandes
5
Anmeldestart zum bundesweiten Vorlesetag 5
BRENNPUNKT
Frank Görgens: Bring your own
device und kein Ende?
6
JUNGE LEHRER NRW
L
eslie Boecker: Neues vom Bau
8
MAGAZIN
Balbach bei Maischberger 10
Preis für umweltbewusste
Kinder und Jugendliche
10
FORUM
‘Streikverbot für Beamte –
sinnvoll und verfassungsgerecht’
Roland Staude, Vorsitzender des DBB NRW,
zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
11
TITEL
Sven Christoffer: Neustart für §132c-Schulen 12
Herausforderung angenommen
I
nterview mit dem Schulleiter der Realschule Baesweiler
14
DOSSIER
Prof. Dr. Hans Peter Klein:
Die gefährliche
Abwärtsspirale im deutschen Bildungswesen
Die neue IGLU-Studie 2016 unterstreicht,
was Lehrer längst wissen
15
SCHULE & POLITIK
Sarah Wanders:
und es bewegt sich doch!
Kaum zu glauben, aber wahr – die Rede ist vom MSB 19
Heinz-Peter Meidinger: Gewalt an Schulen
Modisches Medienthema oder reales Problem? 20
Jochen Smets: Erst der Mensch,
dann die Digitalisierung
22
Schule gegen sexuelle Gewalt
Bundesweite Initiative gibt Schulen Hilfestellung
bei der Entwicklung von Schulkonzepten
24
FORTBILDUNGEN
Breites Themenspektrum
Das
lehrer nrw
-Fortbildungsprogramm 2018/2019 26
SENIOREN
Röntgenstrahlung und Tuchherstellung 27
Burgen und Bingen 27
Auf den Spuren von Eisenbahn und Kohle 27
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange: Film ab!
Die aktuelle Rechtslage beim Filmeinsatz in der Schule 28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Ab nach draußen 30
HIRNJOGGING
Heike Loosen:
Aufgabe 1: Augen zu!
Aufgabe 2: Zugenbrecher
Aufgabe 3: Die Ziffernfolge
31
Realschulen
haben eine
Zukunft!
Über das einstweilige Ende ideologischer Schulpolitik
D
D
ie Integrationsdebatte hat Deutschland entzweit.
Eine langfristige Richtung für Deutschland ist noch
nicht in Zement gegossen.
Der Merkel-Weg als europäische Lösung steht nach wie
vor gegen Seehofers Kleinstaaten-Lösung der Abschot-
tung. Fakt ist: Eine Isolation innerhalb Europas ist gefähr-
lich, da sie den Gedanken eines einheitlichen Europas
deutlich gefährdet. Man kann sich nicht aus der Diskussi-
on um die Flüchtlingsproblematik heraushalten. Es wäre
gegenüber den zugewanderten Menschen verantwor-
tungslos und gegenüber anderen Staaten Europas illoyal.
Europa würde geschwächt und würde seine Stellung im
Weltgefüge aufs Spiel setzen. Das nicht vereinigte Europa
würde zum Spielball Amerikas und anderer umliegender
Staaten werden können, die den Weg einer Demokratie
längst verlassen haben.
Es gilt also weiterhin, unsere tradierten Werte, auch die
der Wertschätzung fremder Menschen, zu verteidigen und
den einzelnen Menschen in seinen Sehnsüchten und Hoff-
nungen in den Blick nehmen.
Politik, die sich am
Menschen orientiert
Und was hat das Ganze mit der Zukunft der Realschulen
zu tun?
Eine Politik wie die beschriebene, die sich am Men-
schen orientiert, erleben wir zurzeit in der Schulpolitik in
NRW. CDU und FDP haben in den letzten Jahren unsere
schulpolitischen Werte geteilt und unterstützt. Jetzt sind
sie an der Macht und handeln im Schulbereich. Sie lösen
ihre Versprechen, zumindest was uns betrifft, ein. In der
Integrationspolitik , in der sie die Ghettofrage eindeutig
geklärt haben, in der Inklusionsfrage, indem sie multipro-
fessionelle Teams in den Blick genommen haben, und in
der Schulstrukturfrage, indem sie die Realschulen und ihre
Werte gestärkt haben.
lehrer nrw
steht immer schon für ein differenziertes
Schulsystem, in dem Kinder und Jugendliche gefördert
und gefordert werden. Qualität und Leistung sind dabei
unsere zentralen Begriffe, die unser Leben und Lehren be-
stimmen. Unter rot-grüner Regierung wurden unsere
Möglichkeiten eines differenzierten Lernens massiv einge-
schränkt – dazu wurden wir durch vorgegebene Rahmen-
bedingungen in die ideologische Ecke eines längeren ge-
meinsamen Lernens gedrängt.
Damit soll jetzt Schluss sein!
Stärkung der Realschulen
Die schwarz-gelbe Landesregierung hat sich klar positio-
niert und stärkt die Realschulen im Land. Nach dem Wil-
len rot-grüner vergangener Schulpolitiker und ihrer aktu-
ellen Gefolgsleute bei unserer Konkurrenz sollten erst
die Hauptschulen, dann die Realschulen sterben. Die
Hauptschule sind schon fast erledigt – die Realschulen
kämpfen weiterhin vor Ort. In dieser ideologisch moti-
vierten Gemengelage setzt die Landesregierung in der
Schulpolitik die notwendige künftige Richtung durch.
Geht doch!
Durch die Stärkung der Realschulen als Schulen des
differenzierten Lernens gibt es jetzt vor Ort die Möglich-
keit, den Hauptschulbildungsgang zu erhalten und damit
wertzuschätzen – allen vorherigen Abgesängen zum
Trotz. Das ist eine politische Notwendigkeit, um tat-
sächlich äußere Differenzierung in den Schulen leben zu
lassen.
Kein Zurück
Das ist der Preis, den die Realschule als solche zahlen
muss, um nicht mit in den Sog des Verfalls gezogen zu
werden. Ein Zurück wird es nicht geben. Aber: Unsere
Werte sind gerettet.
Es gilt für uns zurzeit eine Regel:
»Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!«
von BRIGITTE BALBACH
3
4/2018 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
Brigitte Balbach
ist Vorsitzende des
lehrer nrw
E-Mail:
info@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
4/2018
4
MAGAZIN
So kann Integration
gelingen
Schwarz-Gelb schafft mit einer Überarbeitung des
umstrittenen Integrationserlasses Klarheit.
D
D
ie schwarz-gelbe Landesregierung ist
dabei, eine weitere rot-grüne Ideolo-
gieschranke abzubauen. Eine Überar-
beitung des Erlasses ’Unterricht für neu zu-
gewanderte Schülerinnen und Schüler’ soll
den Schulen wieder mehr Handlungsfreiheit
bei der Integration von Zuwandererkindern
einräumen. Im Sommer 2016 hatte die da-
malige Schulministerin Sylvia Löhrmann den
Erlass vorgelegt und damit handstreichartig
d
ie so genannten Willkommensklassen ab-
geschafft, in denen Kinder mit gezielter För-
derung zum Erlernen der deutschen Sprache
auf den Unterricht in Regelklassen vorberei-
tet wurden. Stattdessen sollten sie trotz
mangelnder oder gänzlich fehlender
Deutschkenntnisse sofort eine Regelklasse
besuchen. Diesen gravierenden Eingriff in
die pädagogische Freiheit der Schulen hatte
Löhrmann durchgesetzt, ohne den Haupt-
personalräten im Schulministerium die Mög-
lichkeit der Mitbestimmung zu geben.
Forderungen von
lehrer nrw
erfüllt
»Es ist wohltuend und im Sinne des demo-
kratischen Miteinanders unabdingbar, dass
die neue Schulministerin Yvonne Gebauer
die Neufassung des Erlasses den Personalrä-
ten zur Mitbestimmung vorgelegt hat. Doch
nicht nur deswegen, sondern auch inhaltlich
ist der Erlass ein Schritt in die richtige Rich-
t
ung. Er erfüllt viele unserer Forderungen«,
sagte die
lehrer nrw
-Vorsitzende Brigitte
Balbach in einer Pressemitteilung. »Die
Schulen können nun wieder selbst entschei-
den, ob sie Zuwandererkinder ganz oder
teilweise in äußerer Differenzierung an den
Unterricht in den Regelklassen heranführen
oder sie sofort integrieren. Dies trägt auch
der Tatsache Rechnung, dass jedes Kind an-
dere Voraussetzungen und Sprachkenntnisse
mitbringt.«
’Ghettoschulen’ nur noch
mit zeitlicher Befristung
Klarheit schafft der neue Erlass auch in Be-
zug auf die so genannten ’Ghettoschulen’:
Einige Kommunen, zum Beispiel Hagen oder
Mülheim, haben vorgeblich aus Raumnot
separate Schulstandorte ausschließlich für
Zuwandererkinder eingerichtet. Solche Mo-
delle, die dem Integrationsgedanken krass
zuwiderlaufen, sollen nun laut dem Erlass
zeitlich befristet werden. Über die maximale
Dauer der Befristung besteht noch Verhand-
lungsbedarf zwischen dem Ministerium und
den Hauptpersonalräten.
»Der vorliegende Erlass bietet eine gute
Basis, auf der schulische Integration gelin-
gen kann. Positiv ist zum Beispiel, dass der
Erlass neben dem Deutsch- und Fachunter-
richt auch die Orientierung im Alltagsleben
und die Bildungs- und Erziehungsziele nach
§ 2 des NRW-Schulgesetzes als Unterrichts-
auftrag formuliert. Wichtig ist ebenso die
Verpflichtung der Zuwandererkinder, am
Schulleben und an außerunterrichtlichen
Veranstaltungen teilzunehmen sowie die
Aufgabe an die Schule, die Eltern einzube-
ziehen. Denn Integration hört nicht mit dem
Schulgong auf«, betonte Balbach.
Jochen Smets
Foto: jovannig/AdobeStock
Die schulische Integration
von Zuwandererkindern gehört zu
den anspruchsvollsten Aufgaben, die
Schulen leisten müssen. Die Neufas-
sung des Integrationserlasses
schafft in vielen Punkten Klarheit.
Der Vorstand der Bildungsallianz
des Mittelstands mit den beiden Initiatoren
Jürgen Böhm (1.v.l.) und Mario Ohoven (2.v.l.).
MAGAZIN
5
4/2018 ·
lehrer nrw
Bildungsallianz des Mittelstands
D
D
er Bundesverband mittelständische
Wirtschaft (BVMW) und der Deutsche
Realschullehrerverband VDR haben mit wei-
teren Bildungsverbänden (DPhV, BVLB, KEG
und die Elterninitiative Differenziertes
Schulwesen 3xMehr) die ’Bildungsallianz
des Mittelstands’ gegründet. »Ohne qualita-
tive differenzierte Bildungsabschlüsse, ins-
besondere ohne starke mittlere Bildung, die
eine Grundvoraussetzung für einen gelin-
genden Übergang in die berufliche Bildung
darstellt, kann es keinen zukunftsfähigen
und leistungsfähigen deutschen Mittelstand
geben«, sind sich BVMW-Präsident Mario
Ohoven und VDR-Bundesvorsitzender
Jürgen Böhm einig.
Die Bildungsallianz des Mittelstands be-
kennt sich klar zu Leistung, Differenzierung
und zu einer engen Anbindung an die beruf-
liche Bildung. Sie steht für die Gleichwertig-
keit beruflicher und akademischer Bildung
und will eine faire Finanzierung für Bil-
dungseinrichtungen in privater und staatli-
cher Trägerschaft.
Anmeldestart zum bundesweiten
Vorlesetag
D
D
ie Anmeldung für den 15. Bundesweiten
Vorlesetag am 16. November ist ab so-
fort unter
www.vorlesetag.de möglich.
Die ‘Stiftung Lesen’, die Wochenzeitung ’Die
Zeit’ und die ‘Deutsche Bahn Stiftung’ laden
alle Menschen ein, an diesem Tag gemein-
sam ein Zeichen für die Bedeutung des Vor-
lesens zu setzen. Große Veranstaltungen
sind dabei ebenso gefragt wie Vorleseaktio-
nen im kleinen Kreis: in Schulen, Kindergär-
ten, Bibliotheken, Buchhandlungen, aber
auch an außergewöhnlichen Orten wie in
Tiergärten und Bergwerken. Ziel ist es, Kin-
der bereits früh mit Geschichten in Kontakt
zu bringen und für das Lesen zu begeistern.
Die Initiatoren des bundesweiten Vorlese-
tags rufen das Jahresthema ’Natur und Um-
welt’ aus, welches Veranstalter für ihre Vorle-
seaktionen nutzennnen. Wer möchte, kann
sich bereits jetzt auf der Website von Leseem-
pfehlungen, Experiment- und Aktionsideen
rund um Flora und Fauna, Naturwissenschaf-
ten und Umweltschutz inspirieren lassen.
INFO
www.vorlesetag.de
Foto: VDR
Foto: Stiftung Lesen
Auch Prominente
engagieren sich regelmäßig
beim bundesweiten Vorlesetag
– hier der Musiker Jan Delay.
lehrer nrw ·
4/2018
6
BRENNPUNKT
Schulministerin Yvonne Gebauer hat im Oktober 2017 die
Einführung der IT-Arbeitsplattform LOGINEO NRW wegen
gravierender Sicherheits- und Datenschutzmängel gestoppt.
Nun kommt es darauf an, eine funktionierende und sichere
Lösung zu entwickeln, denn die Schulen brauchen eine leis-
tungsstarke IT-Infrastruktur.
LOGINEO NRW wurde und wird seit Januar
2016 unter anderem von der Medienbera-
tung NRW für Schulen und Kommunen als
virtueller Arbeitsraum entwickelt und er-
probt. Ziel ist es, schulinterne Kommunikati-
on und Organisation sowie den Zugang zu
digitalen Lernmitteln zu erleichtern und da-
rüber hinaus die Verarbeitung personenbe-
zogener Daten im schulischen Raum unter
Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen
Aspekte zu ermöglichen und zu sichern.
Es sollte eine landesweit einheitliche,
verlässliche und datensichere IT-Infra-
struktur geschaffen werden, die die päda-
gogische Arbeit und Kommunikation pro-
fessionalisiert, und zwar in einem juris-
tisch abgesicherten Rahmen. Ein gutes,
begrüßenswertes Ziel. Dieser Entwick-
lungs- und Arbeitsprozess wurde mittler-
weile gestoppt, weil die Entwickler das
anvisierte Ziel, eine funktionsfähige, siche-
re Software bis zum Schuljahresbeginn
2017/18 bereitzustellen, nicht erfüllen
konnten. Grund dafür waren gravierende
technische Probleme und offene Fragen
Stopp für LOGINEO.
Die Entwicklung der schulischen
IT-Plattform ist auf Eis gelegt. Nun gilt
es, eine zukunftsfähige und datenschutz-
rechtlich saubere Lösung zu entwickeln.
von FRANK GÖRGENS
Bring your own
device und kein Ende?
Foto: Fotolia
/Bits a
nd S
plits
BRENNPUNKT
7
4/2018 ·
lehrer nrw
der Vertragsgestaltung zwischen dem
Land und den Entwicklern.
(Zu) viele offene Fragen
Damit ist ein über zweijähriger Arbeits-
und Entwicklungsprozess, in dem sich
technische Fragen und Fragen des Daten-
schutzes immer wieder wechselseitig be-
einflussten und die Entwicklungsarbeit er-
schwerten, gestoppt.
lehrer nrw
sieht sich in seiner Einschät-
zung bestätigt, dass es bei LOGINEO noch
viele offene Fragen in technischer und da-
tenschutzrechtlicher Sicht gibt. Ungeachtet
dessen bleiben wir dabei, dass eine leis-
tungsstarke und sichere IT-Plattform für
die Schulen wünschenswert und sinnvoll
wäre.
Kritikpunkt
‘Bring your own device’
Unsere Kritikpunkte sind auf zwei wesent-
liche Punkte zusammenzufassen: Zum ei-
nen sehen wir unverändert ein großes Pro-
blem im sogenannten Prinzip ‘Bring your
own device’ (kurz: BYOD) das innerhalb
von LOGINEO NRW vorgesehen war/ist.
Die Grundannahme von BYOD sieht vor,
dass die Landesbediensteten mit ihren ei-
genen privaten IT-Endgeräten im landes-
weiten Netz arbeiten. Diese Entscheidung
bzw. diese Vorgabe führt dazu, dass die
Beschäftigten und nicht zuletzt deren
Schulleitungen einen erheblichen Teil der
Verantwortung für die Sicherheit der Daten
zu tragen hätten.
Diese Vorgehensweise entlastet das
Land und/oder die Kommunen bei der An-
schaffung von IT-Geräten für den dienstli-
chen Gebrauch. Es bürdet aber den Be-
diensteten/Schulleitungen die Fragen der
Datensicherheit in einem dienstlichen Zu-
sammenhang auf, die kaum adäquat zu
leisten sind.
Widerstand im
Hauptpersonalrat
Darüber hinaus beanstandete der ‘Haupt-
personalrat Realschulen’ auch die Form
des personalrechtlichen Beteiligungsver-
fahrens innerhalb des Installationsprozes-
ses von LOGINEO NRW und unterzeichnete
als einziger Hauptpersonalrat die entspre-
chende Dienstvereinbarung zu LOGINEO
NRW nicht. Ein profiliertes Vorgehen unse-
res Verbandes und seiner Vertreter im
Hauptpersonalrat, das sich nun im Nachhi-
nein als durchaus richtig und mutig he-
rausstellt.
Es ist eine richtige Entscheidung von
Schulministerin Yvonne Gebauer, dass
dieser Entwicklungsprozess nun gestoppt
und von einem unabhängigen Gutachter
d
er Industrie- und Handelskammer neu
organisiert wird. Dabei werden techni-
sche Fragen und Probleme wie auch Fra-
gen des Datenschutzes erneut in den
Blick genommen. Das kann zu einem Ge-
winn für die Kolleginnen und Kollegen vor
Ort werden, wenn diese Chance für echte
Verbesserungen in LOGINEO NRW ge-
nutzt wird.
Risiken nicht auf
Lehrkräfte abwälzen
lehrer nrw
begrüßt grundsätzlich die Ent-
wicklung einer virtuellen Arbeitsumgebung
für Pädagogen, die unsere gesamte schuli-
sche Kommunikation und Arbeitsabläufe
professionalisiert und vereinfacht. Dies
darf aber nicht auf Kosten der Landesbe-
diensteten gehen, in dem Risiken und Fra-
gen des Datenschutzes und Arbeitsschut-
zes auf die Kolleginnen und Kollegen vor
Ort und letztlich auf die Schulleitungen ab-
gewälzt werden. Das kann und darf nicht
sein.
So bleibt die Hoffnung, dass die nun er-
folgte Reorganisation des Entwicklungs-
prozesses durch einen externen Gutachter
zu einem deutlich verbesserten Vorschlag
führt. Spannend ist dabei, dass mittlerwei-
le auch einige nordrhein-westfälische
Kommunen an eignen Lösungen für virtu-
elle Arbeitsumgebungen für die Schulen in
ihrer Kommune arbeiten. Es bleibt abzu-
warten, wie diese Systeme aufeinander ab-
gestimmt würden.
Frank Görgens
ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail:
goergens.frank@gmx.de
Kollegen statt. Hier ging es natürlich auch
um unsere Gesundheit – was uns Kollegen
jedoch mehr interessierte, war, wie es mit
unserem Unterricht weitergehen soll.
Die erste Lösung bestand darin, dass
Jahrgangsstufen in die nahegelegene
Hauptschule ausgelagert wurden, ein Kol-
legenteam ging mit, sodass kaum gepen-
delt werden musste, ein Sonder-
Stundenplan kam zum Ein-
satz. Die Schulleitung or-
ganisierte alles bis ins
kleinste Detail, und
es lief wirklich
gut.
PCB in Schulräu-
men ist ein echtes
Ärgernis
– vor allem
wenn die Sanierung
des Schadens Ewig-
keiten dauert.
JUNGE LEHRER NRW
N
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s
v
o
m
B
a
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A
A
ls vor einem Jahr der PCB-Befall
an meiner Realschule festgestellt
wurde, war zunächst die Angst um
die Gesundheit das vorrangige Gesprächs-
thema. Es wurden Untersuchungen durch-
geführt, an Mensch und Gebäude, die
Mensa glich zeitweise einem Lazarett,
Bauzäune riegelten den Altbau ab.
Zudem fanden Informationsgesprä-
che für die Eltern, Schüler und
Aus dem Alltag einer Realschullehrerin:
Wie eine Kommune bei der Sanierung einer Schule versagt.
von LESLIE BOECKER
lehrer nrw ·
4/2018
8
Fot
o: fot
ohansel/AdobeSt
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Container als
Klassenräume
Der nächste Infoabend kam, die Stadt
kündigte an, dass während der Sanierung
des Gebäudes Container als Klassenräume
genutzt werden sollen. Das alles sei aber
keine langfristige Lösung, vielmehr ver-
sprach der Bürgermeister, dass die Sanie-
rung im Groben bis zu den kommenden
Sommerferien über die Bühne sei. Ein Jahr
also. Sollte zu machen sein. Die Eltern wa-
ren zufrieden. Die Kollegen waren zufrie-
den. Ein Hauch Skepsis hing dennoch in
der Luft …
Nicht zu unrecht!
Dann kamen die Container, sie stahlen
den Schülern über die Hälfte des Schulho-
fes, aber wir richteten uns ein, statteten al-
le Räume mit Regalen, Möbeln, Materia-
lien aus, auch für die Medienwagen wurde
eine Lösung gefunden.
Und dann – passierte nichts
mehr.
Stillstand und
Vertröstungen
Es kamen keine Bau-
arbeiter, keine
Maschinen,
JUNGE LEHRER NRW
keine Information, wann die Sanierung
endlich starten sollte. Der Tagesord-
nungspunkt ’Neues vom Bau’ stand auf
jeder Einladung zur Lehrerkonferenz und
Dienstbesprechung. Die Schulleiterin
hatte bereits eine Standleitung zur
S
tadt, wurde hier jedoch mehr als ein-
mal vertröstet, oder gar nicht erst durch-
gestellt. Es hieß immer wieder nur, dass
die Arbeiten nicht beginnennnen. Wa-
rum?
Nun, zunächst einmal sei die Sanierung
an und für sich bislang nicht einmal aus-
geschrieben. Da fragt man sich, warum?
Die Stadt äußert sich dazu nur sehr vage,
es müssten mehr Tests gemacht werden,
es gäbe noch die Frage zu klären, ob Sa-
nierung oder Neubau, der Krankenstand
bei den Bearbeitern sei so hoch … Bit-
te???
Es geht hier um unsere Kinder!!!
Hochgesteckte Ziele,
aber kein Fundament
Es ist mir unverständlich, dass eine Kommu-
ne und ein Land es nicht schaffen, eine Schu-
le zügig zu sanieren. Es werden Millionen in
eine Kampagne gesteckt, die suggeriert,
dass man für den Lehrerberuf nicht einmal
mehr Deutsch sprechen können muss – wer
hat sich diesen Quark eigentlich ausgedacht
und genehmigt? Und davon mal abgesehen,
wer will an einer Schule arbeiten, in der die
meisten Klassen in Containern sitzen, die bei
den derzeitigen Temperaturen wie ein Brut-
kasten wirken oder man nach Starkregen
wie vergangene Woche klitschnass und mit
Wasser in den Schuhen noch drei Stunden
unterrichten soll? Die Ziele der Landesregie-
rung, die in den Medien präsentiert werden,
sind hoch gesteckt und werden bejubelt,
aber es fehlt einfach am Fundament.
Arbeiten, ohne schwitzen
oder frieren zu müssen
In einer der letzten Ausgaben habe ich da-
rüber geschrieben, was ich brauche, um ei-
ne gute Lehrerin sein zu können. Ich lege
noch ein Kriterium drauf: Eine Kommune
und ein Land, die sich um die Schulen
kümmern, und zwar um die Gebäude. Es
geht darum, dass unsere Schüler in einem
geschützen Raum arbeiten können, in dem
sie weder schwitzen noch frieren müssen.
Wie fänden es die Damen und Herren der
Regierung und der Stadt, wenn sie wie un-
sere Schüler unter diesen Umständen ar-
beiten müssten?
Und dann bin ich gespannt, ob es weite-
re Ausreden gibt, die einen Umbau oder ei-
ne Sanierung hinauszögern.
L
eslie Boecker
i
st stellvertretende Vorsitzende
d
er Arbeitsgemeinschaft
j
unge lehrer nrw
E-Mail:
boecker@lehrernrw.de
MAGAZIN
lehrer nrw ·
4/2018
10
Balbach bei
Maischberger
D
D
ie
lehrer nrw
-Vorsitzende Brigitte Bal-
bach war am 9. Mai Gast in der ARD-
Sendung ’Maischberger’. In der diesmal als
Publikumsdebatte angelegten Talkshow dis-
kutierte Moderatorin Sandra Maischberger
mit Lehrern, Schülern und Eltern über aktu-
elle Themen – von Gewalt gegen Lehrer
über Leistungsdruck bis hin zu Bildungsqua-
lität.
Balbach sprach unter anderem über die
Frage, was Lehrer dürfen und nicht dürfen.
Konkret ging es um den Fall Parusel, der
bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte. We-
gen angeblicher Freiheitsberaubung – der
Realschullehrer hatte seine zuvor sehr laute
und unruhige Klasse nachsitzen lassen – war
Parusel zunächst vom Amtsgericht Neuss
verwarnt und erst in zweiter Instanz vom
Landgericht Düsseldorf freigesprochen wor-
den. Alles andere wäre für die Autorität aller
Lehrer verheerend gewesen, so Balbach.
Sie brachte zudem den Begriff der ’Reso-
nanz’ in die Diskussion: Wie ein Lehrer mit
Schülern umgeht, sich für sie interessiert, so
wird es auch von der anderen Seite zurück-
gespiegelt. Ein intaktes Schüler-Lehrer-Ver-
hältnis sei daher für gelingende Bildung
entscheidend.
Preis für umweltbewusste Kinder und Jugendliche
D
D
er NABU Nordrhein-Westfalen sucht en-
gagierte Kinder und Jugendliche in
Nordrhein-Westfalen, die sich für den
Schutz von Natur und Umwelt einsetzen.
Einzelpersonen oder Gruppen können sich
noch bis 31. Oktober mit einer Aktion oder
einem Projekt für den Dr. Hermann-Klingler-
Jugendpreis bewerben.
Foto: Max Kohr
Was dürfen Lehrer? Über diese und andere Fragen diskutierte
Moderatorin Sandra Maischberger unter anderem mit Brigitte Balbach.
INFO
https://nrw.nabu.de/spenden-und-
mitmachen/mitmachen/klinglerpreis/
tive Auseinandersetzung mit aktuellen oder
alltäglichen Themen des Natur- und Um-
weltschutzes.
Bewerben können sich Kinder- und Ju-
gendgruppen sowie Einzelpersonen, die
nicht älter als 25 Jahre alt sind und sich in
Nordrhein-Westfalen für den Natur- und
Umweltschutz einsetzen. Einsendeschluss
ist der 31. Oktober.
Der Bewerbung sollte eine Beschreibung
des Projektes beiliegen. Diese kann durch
Fotos, Zeichnungen, Skizzen, Lagepläne,
Videos etc. ergänzt werden. Ebenfalls wich-
tig ist der Grund, warum gerade dieses Pro-
jekt ausgewählt wurde. Unter allen Einsen-
dungen wählt die Jury den Gewinner aus.
Bei mehreren Preisträgern wird das Preis-
geld, das aktuell auf 1000 Euro angehoben
wurde, unter den Gewinnern aufgeteilt.
Der oder die Gewinner werden Ende De-
zember gewählt. Die Preisverleihung findet
Anfang 2019 statt.
Vom Kopfweidenschnitt über ökologische
Pausenhofgestaltungen oder Naturgarten-
Anlage bis hin zu Theaterstücken und Koch-
events mit vergessenen Gemüsesorten: Seit
1995 wurden jedes Jahr vorbildliche Ju-
gendaktivitäten prämiert, deren Vielfalt be-
eindruckend ist. Doch nicht die Einzigartig-
keit zählt, sondern die engagierte oder krea-
Foto: snowing12/AdobeStock
Kinder und Jugendliche
können sich mit ihren Naturprojek-
ten um den Klingler-Preis bewerben.
FORUM
11
4/2018 ·
lehrer nrw
’Streikverbot für Beamte’ –
sinnvoll und verfassungsgerecht
Roland Staude, Vorsitzender des DBB NRW, zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.
D
D
ie Frage, ob Beamtinnen und Beam-
te streiken dürfen oder nicht, ist
fast so alt wie das Beamtentum
selbst. Sogar die Gründerväter des Deut-
schen Beamtenbundes haben sich schon
mit diesem Thema auseinandersetzen müs-
sen. Die Antwort ist aus unserer Sicht je-
doch immer die gleiche: Das Streikverbot
gehört zu den sogenannten »hergebrach-
ten Grundsätzen des Berufsbeamtentums«
und ist in ein ausgewogenes Gesamtpaket
eingebettet: Beamtinnen und Beamte sind
Staatsdiener, und deshalb wird von ihnen
auch eine ganz besondere Loyalität ver-
langt. Diese ist mit einem Streikrecht nicht
vereinbar. Als Gegenleistung für ihre
Loyalität und Staatstreue erhalten sie eine
amtsangemessene Alimentation und eine
daraus resultierende Versorgung.
Andere Möglichkeiten
der Einflussnahme
Das Gericht hat in seinem Urteil vor allem
auch betont, dass es Beamtinnen und Be-
amten zwar nicht erlaubt ist, zu streiken,
dass sie dadurch aber keineswegs aller
Möglichkeiten der Einflussnahme auf ihre
Besoldung beraubt sind. Denn anders als
Angestellte haben sie die Möglichkeit, die
Angemessenheit ihrer Besoldung gericht-
lich überprüfen zu lassen. Zuletzt hat sich
sogar das Bundesverfassungsgericht mit
diesem Thema auseinandergesetzt und
konkrete Kriterien festgelegt, wann die Be-
soldung noch amtsangemessen ist.
Darüber hinaus betonten die Richter,
dass auch die Organisationsmöglichkeit in-
nerhalb von Gewerkschaften durch das
Streikverbot nicht eingeschränkt werde,
das heißt, Beamtinnen und Beamte kön-
nen ihre Interessen auf gewerkschaftli-
chem Weg vertreten. Um diesen Weg noch
zu stärken, sprachen sich die Richter in der
Urteilsbegründung auch dafür aus, die Be-
teiligungsmöglichkeiten der Spitzenorgani-
sationen zu verbessern. Der DBB NRW
sieht hier ebenfalls noch Optimierungspo-
tenzial. Denn in Nordrhein-Westfalen fol-
gen zwar im Anschluss an die Tarifver-
handlungen der Länder in gewohnter Wei-
se auch Besoldungsgespräche für die Be-
amtinnen und Beamten, eine gesetzliche
Normierung – insbesondere auch im Hin-
blick auf die personelle Besetzung – gibt
es allerdings nicht. Das sehen wir als DBB
NRW jedoch als zwingend notwendig an.
Keine Beamten erster
und zweiter Klasse
Sehr positiv bewerten wir außerdem, dass
das Gericht davon abgesehen hat, das Be-
rufsbeamtentum danach aufzuspalten, ob
im Lehrerbereich hoheitliche oder nicht-
hoheitliche Tätigkeiten ausgeführt werden.
Denn ein staatlicher Bildungsauftrag ist
immer auch mit einer Unterrichtsverpflich-
tung verbunden und diese kann nur dann
gewährleistet werden, wenn das Streikver-
bot innerhalb der Beamtenschaft aufrecht
erhalten bleibt. Darüber hinaus hätte eine
solche Spaltung im Ergebnis auch dazu ge-
führt, dass wir irgendwann Beamtinnen
und Beamte erster und zweiter Klasse ge-
habt hätten. Das wäre schädlich für die
Beschäftigten gewesen, aber auch für die
Funktionsfähigkeit des Staates insgesamt.
Foto: Friedhelm Windmüller
Roland Staude: »Beamtinnen und Beamte
sind Staatsdiener, und deshalb wird von
ihnen auch eine ganz besondere Loyalität
verlangt. Diese ist mit einem Streikrecht
nicht vereinbar
Streikverbot für Beamte
bedeutet nicht, dass es keine ande-
ren Formen der Einflussnahme gibt.
Foto: AdobeStock
lehrer nrw ·
4/2018
12
TITEL
Neustart für
§ 132c-Schulen
Die Fraktionen der CDU und der FDP haben am 13. Juni einen An-
trag im Landtag durchgesetzt, der die Situation der Realschulen
mit Hauptschulbildungsgang verbessern soll: Ein solcher Bildungs-
gang soll künftig bereits ab Klasse 5 eingerichtet werden können
und die Begrenzung des Unterrichts in äußerer Differenzierung
auf maximal ein Drittel der Stundentafel entfallen.
lehrer nrw
begrüßt die Initiative der Regierungsparteien ausdrücklich.
Foto: ri8/AdobeStock
Durchbruch: Die schwarz-gelbe Landesregierung
hat den Realschulen und zugleich auch dem Hauptschul-
Bildungsgang mit der beschlossenen Neufassung des
Paragrafen 132c neue Perspektiven eröffnet.
von SVEN CHRISTOFFER
I
n den kommenden Jahren wird aufgrund
zu geringer Anmeldezahlen eine große
Zahl der nordrhein-westfälischen Haupt-
schulen auslaufen. Der Hauptschulbildungs-
gang bleibt jedoch ein wichtiges Rückgrat
des dualen Ausbildungssystems Nordrhein-
Westfalens. Grundsätzlich sollen deshalb
diejenigen Schulformangebote, die den
Hauptschulbildungsgang anbieten, Kindern
mit einer Hauptschulempfehlung auch eine
Aufnahme ermöglichen. Eine weitere Mög-
lichkeit stellt darüber hinaus gegenwärtig
ein ergänzender Bildungsgang an Realschu-
len dar, der zu den Abschlüssen der
Hauptschule führt. Dieser ist bereits
im Schulgesetz verankert: In
§ 132c SchulG heißt es, dass die
Schülerinnen und Schüler in
diesem Bildungsgang im Klas-
senverband unterrichtet werden
und in diesen Hauptschulzweigen
ab Klasse 7 Formen innerer und äußerer Dif-
ferenzierung möglich sind. Aktuell bieten
zehn Realschulen in Nordrhein-Westfalen
einen solchen Bildungsgang an, zum 1. Au-
gust 2018 werden mindestens drei weitere
hinzukommen.
Schulen des längeren
gemeinsamen Lernens
unter Realschulbedingungen
Die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für
die Sekundarstufe I hat die Möglichkeiten
äußerer Differenzierung unter der rot-grü-
nen Vorgängerregierung aus ideologischen
Gründen stark eingeschränkt. Sie
schreibt vor, dass die äußere
Differenzierung des Bil-
dungsganges nur
bis zu maximal
einem Drit-
TITEL
13
4/2018 ·
lehrer nrw
DER LANDTAGSBESCHLUSS IM WORTLAUT
Die Landesregierung
wird beauftragt,
1. die Möglichkeit eines
Hauptschulbildungs-
ganges an Realschulen
dort dauerhaft zu si-
chern, wo es für die
A
ufrechterhaltung ei-
nes leistungsfähigen
Hauptschulangebots
erforderlich ist.
2. die Beschränkung der
äußeren Differenzie-
rung auf bis zu einem
Drittel in § 47 Abs. 2
APO-SI aufzuheben.
3. alle Möglichkeiten zu
nutzen, um die für eine
q
ualitative Ausgestal-
tung des Hauptschul-
bildungsganges an Re-
alschulen auch in äu-
ßerer Differenzierung
notwendigen personel-
len Ressourcen zur Ver-
fügung zu stellen.
4. im Zuge einer Ände-
rung des Schulgesetzes
einen solchen Bil-
d
ungsgang an Real-
schulen bereits ab
Klasse 5 zu ermögli-
chen.
Sven Christoffer
ist Vorsitzender des HPR Realschulen
sowie stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail:
christoffer@lehrernrw.de
tel der Stundentafel zulässig ist. Diese Aus-
gestaltung der APO-S I beschneidet damit
die Gestaltungsmöglichkeiten der Schulen
sowie der individuell optimalen Förderung
jeder einzelnen Schülerin und jedes einzel-
nen Schülers. An Unverfrorenheit kaum zu
ü
berbieten war, dass Sylvia Löhrmann den
§ 132c-Schulen lediglich eine systemische
zusätzliche Ressource von einer halben
Lehrerstelle zur Umsetzung der äußeren
Differenzierung zur Verfügung gestellt hat.
lehrer nrw
hat deshalb in den vergange-
nen Jahren jede Möglichkeit genutzt, öf-
fentlich zu kritisieren, dass Rot-Grün die
§ 132c-Schulen zu Schulen des längeren
gemeinsamen Lernens degradiert hat, die
unter Realschulbedingungen arbeiten müs-
sen. Auch der Hauptpersonalrat Realschu-
len hat die schwierige Situation dieser
Schulen in jeder Gemeinschaftlichen Be-
sprechung mit Schulministerin Yvonne Ge-
bauer an zahlreichen Beispielen dargestellt
und zuletzt zumindest erreicht, dass die im
Haushalt hinterlegten 25 Stellen für
§ 132c-Schulen vollum-
fänglich ausgeschüt-
tet werden.
Das bedeu-
tet, dass diesen Schulen im nächsten
Schuljahr durchschnittlich eineinhalb Leh-
rerstellen als zusätzliche Ressource zur
Verfügung stehen werden.
Mehr freie
Gestaltungsmöglichkeiten
Neben der Problematik, wie den Schulen
kurzfristig geholfen werden kann, stellt
sich aber vor allem die Frage, wel-
che strukturellen Verän-
derungen vorge-
nommen werden
müssen, um den Hauptschulbildungsgang
an Realschulen zu einem tragfähigen Kon-
strukt zu machen. Aus Sicht von
lehrer nrw
greift der Antrag der Fraktionen der CDU
und der FDP vom 5. Juni 2018 (Drucksache
17/2748 ’Eltern, Lehrkräften und Schulträ-
gern Planungssicherheit geben – äußere
Differenzierung an Realschulen gestalten
und einen Hauptschulbildungsgang ab
Klasse 5 ermöglichen’) zwei entscheidende
Schwachstellen auf:
1) Die Realschulen brauchen mehr freie
Gestaltungsmöglichkeiten, um selbst
über Art und Umfang der inneren und
äußeren Differenzierung entscheiden zu
können – und die damit verbundenen
personellen Ressourcen.
2) Um den Schulträgern mehr Gestaltungs-
möglichkeiten zu eröffnen, muss den Re-
alschulen zukünftig die Möglichkeit er-
öffnet werden, den Hauptschulbildungs-
gang bereits ab der 5. Klasse anbieten
zu können.
Chance auf einen Neustart
Fazit: Einst drohte der § 132c Schulgesetz
zum Sargnagel für die Realschule in Nord-
rhein-Westfalen zu werden. Die im Antrag
der Regierungsparteien angelegten struk-
turellen Verbesserungen eröffnen die
Chance auf einen Neustart. Den hätten
sich die Lehrkräfte und die Kinder an die-
sen Schulen redlich verdient!
Herausforderung
angenommen
Die Realschule Baesweiler ist eine von bislang zehn Realschulen
in Nordrhein-Westfalen, die einen Hauptschulzweig nach Para-
graf 132c des Schulgesetzes eingerichtet haben. Über die bisheri-
gen Erfahrungen und die Zukunftsperspektiven sprach
lehrer
nrw
mit Schulleiter Jan Braun.
Die Realschule Baesweiler hat 2016 ei-
nen Hauptschulzweig eingerichtet. Wie
haben Sie das organisatorisch gelöst?
BRAUN:
BRAUN: Wir haben uns außer im Fach Ar-
beitslehre gegen die im Rahmen des § 132c
vorgesehene Möglichkeit der äußeren Diffe-
renzierung entschieden. Diese ist organisato-
risch, vor allem auf Grund bisher fehlender
personeller Ressourcen, nicht umsetzbar und
löst aus unserer Sicht das Problem der unter-
schiedlichen Lernniveaus nur bedingt, weil sie
ja nur für Mathematik und Englisch vorgese-
hen ist, die Unterschiede in Leistungsfähigkeit
und Lehrplänen betreffen aber auch das
’Hauptfach’ Deutsch und alle ’Nebenfächer’.
Abgesehen davon war es uns wichtiger, das
jahrelang pädagogisch bewährte Prinzip kon-
tinuierlicher, vertrauensvoller Lehrer-Schüler-
Beziehungen durch sechsjährige Klassenlei-
tungen nicht durch ein Kurssystem, das den
Kontakt zwischen Schülern und ihren Klassen-
lehrern stark reduziert, zu gefährden.
Wie ist die Akzeptanz bei Eltern und
Lehrern?
BRAUN:
BRAUN: Die Akzeptanz der Eltern, deren
Kinder nach der Erprobungsstufe in den
Hauptschulbildungsgang wechseln, ist gut.
Sie sind froh, dass ihre Kinder die Schule
nicht verlassen müssen. Die Eltern der übri-
gen Kinder befürchten, dass das Anforde-
rungsniveau insgesamt sinken könnte und
fordern Haupt- und Realschulklassen.
Wir Lehrer sind uns der Verantwortung für
die Baesweiler Kinder bewusst und haben
die Herausforderung § 132c deshalb sehr en-
gagiert angenommen. Wir haben aber schon
sehr schnell gemerkt, dass die Umsetzung
des § 132c uns in seiner ursprünglichen
Form vor große Probleme stellt. Das größte
Problem ist sicher, dass wir eine große An-
zahl von Schülern mit Hauptschulempfeh-
lung in der Erprobungsstufe auf Realschulni-
veau unterrichten müssen und dies verständ-
licherweise zu großen Frustrationserlebnis-
sen bei Eltern, Schülern und Lehrern führt.
Der § 132c des NRW-Schulgesetzes lässt
in seiner bisherigen Form kaum Spiel-
räume für äußere Differenzierung.
Stattdessen muss überwiegend binnen-
differenziert unterrichtet werden. Wie
funktioniert das in der Praxis?
BRAUN:
BRAUN: Da es schwierig ist, gleichzeitig mit
unterschiedlichen Lehrwerken zu arbeiten,
haben wir zu Beginn des Schuljahres für den
Jahrgang 7 differenzierende Lehrwerke ange-
schafft. Diese haben sich in der täglichen Ar-
beit teilweise bewährt, und dementsprechend
ist die Anschaffung für den zukünftigen Jahr-
g
ang 8 vorgesehen. In der Vorbereitung und
Durchführung unserer kollegialen Hospitatio-
nen haben wir uns zudem intensiv über bin-
nendifferenzierten Unterricht ausgetauscht
und einiges gemeinsam erprobt.
Letztlich ist es ein großes Problem, dass
die Klassen nach zwei Lehrplänen unterrich-
tet werden müssen. Das führt dazu, dass
auch Klassenarbeiten auf unterschiedlichen
Niveaustufen gestellt werden müssen. The-
matische Abweichungen erschweren die Bin-
nendifferenzierung ungemein. Hinzu kommt,
dass wir nicht nur zwischen Realschul- und
Hauptschulniveau differenzieren müssen,
sondern außerdem eine große Zahl von
Schülern mit Förderbedarf Lernen oder ohne
deutsche Sprachkenntnisse unterrichten.
Die Landesregierung plant eine Ände-
rung des § 132c, der den betroffenen
Realschulen mehr Flexibilität und mehr
Möglichkeiten auch zur äußeren Diffe-
renzierung eröffnen soll. Wie beurteilen
Sie diese Pläne?
BRAUN:
BRAUN: Das Kollegium der Realschule Ba-
esweiler hat den Hauptpersonalrat und den
Schulträger gebeten, sich bei der Ministerin
dafür einzusetzen, dass der § 132c dahinge-
hend modifiziert wird, dass es getrennte
Klassen für Haupt- und Realschüler geben
kann und dies schon ab Klasse 5. Wir sind
dementsprechend hoch erfreut über die ge-
planten Änderungen und hoffen, mehr freie
Gestaltungsmöglichkeiten zu haben, um auf
unterschiedliche Konstellationen pädago-
gisch reagieren zu können. Wünschenswert
ist es, schon bald alle nötigen Bestimmun-
gen zur konkreten Umsetzung zu bekom-
men.
Interview: Jochen Smets
INFO
Die Realschule Baesweiler
im Steckbrief
Zahl der Schüler: 756
davon Hauptschüler bzw.
Hauptschulempfehlung: 151
davon Realschüler bzw.
Realschulempfehlung: 443
Zahl der Lehrkräfte: 54
Zahl der Klassen: 28
Foto: Realschule Baesweiler
Auf der richtigen Bahn:
Die Realschule Baesweiler geht als
§ 132c-Schule neue Wege.
lehrer nrw ·
4/2018
14
TITEL
Die gehrliche Abwärtsspirale
im deutschen Bildungswesen
Die neue IGLU-Studie 2016 unterstreicht, was Lehrer längst wissen.
15
4/2018 ·
lehrer nrw
von Prof. Dr. HANS PETER KLEIN
Die ’Internationale Grundschul-Lese-Untersu-
chung/ Progress in International Reading Lite-
racy Study (IGLU/PIRLS)’, die vor einigen Mona-
ten in Berlin vorgestellt wurde, hat aufgrund
ihrer wenig positiven Ergebnisse für Deutsch-
land nicht nur für betretene Mienen in der Kul-
tusministerkonferenz, sondern auch im Bun-
desministerium für Bildung und Forschung
Foto: fotomek/AdobeStock
gesorgt. Die Kommentare nach der Vorstellung
wirkten daher eher hilflos und der Hinweis der Vor-
s
itzenden der Kultusministerkonferenz, man müsse
jetzt im Rahmen des Föderalismus innerhalb der
Bundesländer voneinander lernen, glich eher ei-
n
em hohen Maß an Ratlosigkeit als einer mögli-
chen Gegeninitiative mit dem Ziel der Qualitäts-
verbesserung der bereits mehrfach in die Schlag-
zeilen gekommenen Grundschulbildung. Denn
auch der IQB-Bildungstrend von 2015 hatte für das
Fach Deutsch und Mathematik dort einen nicht
unerheblichen Leistungsabfall nachweisen kön-
nen.
Die seit 2001 alle fünf Jahre durchgehrte Stu-
die, an der 47 Staaten teilgenommen hatten
davon 28 Staaten im Bereich der OECD erfasst
nach ihren eigenen Angaben Lesekompetenz
durch die Darbietung von Sach- und Erzähltex-
ten, mit denen die Prozesse des Leseverstehens
anhand von vier Kriterien bestimmt werden sol-
len: Angegebene Information abrufen (29 Pro-
zent), einfache Schlussfolgerungen ziehen (30
Prozent), komplexe Schlussfolgerungen mit text-
unabhängig vergbarem Vorwissen ziehen (27
Prozent) und Prüfen und Bewerten des Inhalts ei-
nes Textes und seiner sprachlichen Gestaltung
(14 Prozent). In Deutschland wurden dabei rund
4000 Viertklässler, etwa 3000 Eltern, 200 Deutsch-
lehrkäfte und 190 Schulleitungen befragt.
Deutschland auf dem Level
von Kasachstan
Die wesentlichen Ergebnisse sind schnell zusam-
mengefasst: Der in Deutschland erreichte Mittel-
wert von 537 Punkten entspricht in etwa dem von
Kasachstan (536) und liegt knapp unter dem
Durchschnitt aller teilnehmenden EU-Staaten (540
Punkte) sowie OECD-Staaten (541 Punkte). In zwan-
zig Staaten erzielen Schülerinnen und Schüler sig-
nifikant bessere Leistungen als vergleichbare
Grundschulkinder in Deutschland. Im EU-Vergleich
schneiden mehr als die Hälfte der Teilnehmer bes-
ser ab: Irland, Finnland, Nordirland, England, Lett-
land, Schweden, Ungarn, Bulgarien, Litauen, Ita-
lien, Dänemark und die Niederlande. Vor allem
auch die Streuung zwischen den Lesern auf höchs-
ter und niedrigster Kompetenzstufe ist mit 78 Punk-
ten in Deutschland besonders stark ausgeprägt.
W
ährend die Werte für Deutschland sich seit 2001
(539) nur geringfügig verschlechterten, konnten
andere Staaten und Regionen in diesem Zeitraum
d
eutliche Leistungssteigerungen verbuchen: die
Russische Förderation (+53), Singapur (+48), Hong-
kong (+41), Slowenien (+41), Norwegen (+18) und
die Slowakei (+17), während Frankreich (-14) und
die Niederlande (-9) sowie die Flämische Gemein-
schaft in Belgien (-22) deutlich Federn lassen muss-
ten.
Interessant ist auch, dass Kinder in Deutsch-
land signifikant höhere textimmanente (546
Punkte) als wissensbasierte (530) Verstehensleis-
tungen zeigen. Die Betonung von textlastigen Le-
sekompetenzaufgaben – weitgehend ohne fach-
lich einzubringendes Basiswissenscheint nicht
nur in der Grundschule nunmehr die entspre-
chenden Ergebnisse zu liefern. Interessant ist,
dass nicht nur die IGLU-Studie diese Entwicklung
in Deutschland mittlerweile endlich einmal kri-
tisch betrachtet. In der Studie wird ausdrücklich
betont, dass demgegenüber Schülerinnen und
Schüler in neunzehn Teilnehmerstaaten bei den
wissensbasierten Verstehensleistungen signifi-
kant bessere Ergebnisse erreichen als bei den
textimmanenten, darunter alle die, die auch in
der Gesamtskala bessere Leistungen erreichen.
Mit der Schwerpunktsetzung auf fachunabhängi-
ge Schlüsselkompetenzen scheint man wohl den
falschen Weg eingeschlagen zu haben. Nicht
nur die Chinesen werden jetzt schon erzittern,
wenn Deutschland in Zukunft zum Exportwelt-
meister in Teamarbeit ausgezeichnet wird, die in-
novativen Produkte aber dort erstellt und welt-
weit verkauft werden. Eine entsprechende Studie
aus dem PISA-Konsortium war rzlich vorgestellt
worden.
Eliteförderung bleibt aus
Erschwerendr Deutschland kommt hinzu, dass
2016 knapp zwanzig Prozent der Schüler nicht die
Kompetenzstufe III erreicht haben und entweder
über nur rudimentäres Leseverständnis verfügen
(Stufe I) oder nur explizit angegebene Informatio-
16
4/2018 ·
lehrer nrw
nen identifizieren können. Die Studie betont,
dass diese Kohorte mit erheblichen Schwie-
r
igkeiten beim Lernen in allen Fächern be-
reits in der Sekundarstufe I konfrontiert sein
wird. In dreizehn Staaten, darunter Tsche-
c
hien, England, Dänemark, Litauen und Ita-
lien, ist dieser Anteil signifikant niedriger als
in Deutschland. Nur in Frankreich und Bel-
gien fällt der Anteilher aus. Auch die drin-
gend notwendige Eliteförderung bleibt in
Deutschland aus. Mit rund elf Prozent er-
reicht nur etwa jeder zehnte Schüler die Kom-
petenzstufe V, ist also in der Lage, aus schwie-
rigeren Texten die wesentlichen Informatio-
nen zu entnehmen und entsprechend zu be-
werten. Allein schon das Wort Elite traut sich
in Deutschland kaum noch jemand in den
Mund zu nehmen, da es sofort als ein wesent-
licher Grund für die Zunahme sozialer Dispa-
ritäten in Verruf gekommen ist. In fast allen
anderen Ländern dieser Welt genießt allein
schon der Begriff und erst recht das Erreichen
dieses Zustandes höchste Anerkennung, gar
Bewunderung.
Auch die von der Studie erhobenen Daten
zu den Leistungsdisparitäten nach sozialer
Herkunft sind offensichtlich: Kinder aus Famili-
en mit mehr als 100 Büchern zu Hause errei-
chen im Lesen signifikant bessere Leistungen.
Der Leistungsvorsprung liegt bei 54 Punkten
und entspricht laut der Studie etwa einem
Lernjahr und korreliert mit der Herkunft. Dies
sei eine Schande für Deutschland, ist vielfach
zu hören. Dabei ist die Entwicklung nur konse-
quent: Bildungsinteressierte Eltern aus den Bil-
dungsschichten kümmern sich meist intensiv
nicht nur um die Lesekompetenz ihrer Zöglin-
ge, während Kinder aus bildungsfernen
Schichten diese Unterstützung oft nicht erhal-
ten. Kollege Bos, verantwortlich für die Erstel-
lung der Studie, hofft nun darauf, dass obliga-
torische Ganztagsschulen für alle – auf wel-
che Art auch immer – das Problem der auch
hier auseinandergehenden Schere möglicher-
weise in den Griff bekommen könnten. Ein in
der Tat frommer Wunsch.
Der Faktor Migration
Betrachtet man die aufgrund der Daten erstell-
te ’Bundesligatabelle’ bezüglich der vor uns
p
latzierten Staaten, fällt sofort auf, dass diese
im Gegensatz zu Deutschland fast ausnahms-
los nur gering oder gar nicht mit einem Migra-
tionsproblem konfrontiert sind. Dabei muss be-
rücksichtigt werden, dass zum Zeitpunkt der Er-
hebung der IGLU-Studie 2016 die meisten Kin-
der aus dem massiven Flüchtlingszustrom von
2015/2016 noch nicht am Regelunterricht teil-
genommen hatten, also von der Studie noch
gar nicht erfasst wurden.
Braucht man überhaupt derartige Studien,
die etwas feststellen, was Lehrer vor Ort sowie-
so schon wissen und die zusätzlich nicht ein-
mal eine Lösung anbieten können? Man hätte
auch den Aufschrei der Grundschullehrer
nicht nur in Hessen nach geradezu katastro-
phalen Unterrichtsbedingungen vor allem in
Gegenden mit hohem Migrantenanteil wahr-
nehmen können, der nicht nur in Frankfurt am
Main in einigen Gegenden bei weit über sieb-
zig Prozent liegt. Eine planlose und finanziell
kaum ausgestatte Inklusion und Integration
sowie zunehmend auch die Einbindung von
Flüchtlingskindern in den normalen Unter-
richt ohne Berücksichtigung deren sprachli-
cher Kenntnisse oder anderer Lernvorausset-
zungen ließen einen fachorientierten Unter-
richt kaum noch möglich erscheinen. Die
Grundschullehrer seien hier massiv überfor-
dert. Die Heterogenität in den Klassen habe
derartige Ausmaße erreicht, der durch Propa-
gandamaßnahmen, wie der Individualisie-
rung von Unterricht, in keiner Weise beizukom-
men sei. In der F.A.Z. hatte die Leiterin der
Grundschule in Frankfurt Griesheim mit Mig-
rantenanteilen von rund neunzig Prozent von
schlimmsten sozialen Verhältnissen geredet.
Besonders in muslimischen Elternhäusern
würden die Kinder geradezu abgeschottet,
teilweise radikalisiert und nicht zum Lernen
angehalten. Zusätzlich breite sich eine immer
größer werdende Respektlosigkeit auch den
Lehrern gegenüber aus.
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lehrer nrw
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4/2018 ·
lehrer nrw
Hilferuf von Lehrkräften
Dies steht im Einklang mit dem gerade veröffent-
lichten Brandbrief von Lehrern aus Saarbrücken
a
n ihre Landesregierung, der in der Saarbrücker
Zeitung vom 13. Dezember 2017 unter dem Titel
’Dramatischer Hilferuf von Saarbrücker Lehrern’
abgedruckt wurde. Lehrer der Saarbrücker Ge-
meinschaftsschule Bruchwiese mit 86-prozentigem
Anteil an Schülern nicht-deutscher Herkunft be-
richteten dort von schwersten Beleidigungen, Ge-
walt, Drogen und Alkoholexzessen im Schulalltag.
Messerattacken, der Einsatz von Pfefferspray, Be-
schimpfungen und Bedrohungen der Lehrer auch
durch Eltern gewisser Schüler seien an der Tages-
ordnung. Viele Lehrer hätten Angst, bestimmte
Schüler noch zu unterrichten. Viele Schüler würden
auch nur sporadisch am Unterricht teilnehmen.
Von einem regulären Unterricht könne nicht mehr
die Rede sein. Die Situation habe sich in den letz-
ten Jahren dramatisch verschärft. Polizeieinsätze
seien zur Regel geworden.
Einem politischen Offenbarungseid gleicht die
daraufhin vom zuständigen Kultusminister Ulrich
Commerçon in Frage gestellte Prozentzahl von 86
Prozent, der im Saarländischen Rundfunk be-
kanntgab, dass es lediglich 76 Kinder an der
Schule seien, womöglich 86. Die Schulleiterin Pia
Götten hatte darauf hin noch einmal die gesam-
ten Unterlagen gecheckt und bekannt gegeben,
dass von den aktuell 340 Schülern der Migranten-
anteil bei rund 75 Prozent liege und im vergange-
nen Jahr 86 Prozent betragen habe. Hier scheint
der kompetenzorientierte Mathematikunterricht
bereits auf Ministerebene angekommen zu sein.
Vielleicht hat er sich aber auch nur auf seinem
Taschenrechner vertippt. Mittlerweile hat der Mi-
nister öffentlich zurückgerudert.
Erschwerend hinzu kommen die mehr als frag-
würdigen Sprüche einiger ’Reformer, die zuneh-
mende Heterogenität der Schülerschaft sei eine
Chance für alle, da alle voneinander lernen könn-
ten, fragt sich nur was? Auch die vom gleichen
Klientel häufig zu hörende Äußerung, je größer die
Heterogenität, desto höher der Lernerfolg, wirkt auf
viele Praktiker vor Ort als blanker Hohn und wider-
spricht zudem dem gesunden Menschenverstand,
ZUR PERSON
Prof. Dr. Hans Peter Klein
lehrt Didaktik der
Biowissenschaften an
der Goethe Universität
Frankfurt.
der anscheinend immer mehr Akteuren im Bil-
dungswesen vollständig abhanden gekommen ist.
Grundschule als Reformhaus
Zusätzlich erschwert wird ein angestrebter Lerner-
folg dadurch, dass gerade die Grundschule –
ebenso wie die Gemeinschaftsschule – zum Re-
formhaus selbst unsinnigster Unterrichtsmethoden
und einer Spielwiese für ein bestimmtes Klientel
an Reformpädagogen verkommen ist. Auch das
haben die Kultusminister zu verantworten, die ent-
sprechende unausgegorene Konzepte, wie bei-
spielsweise das Schreiben nach Gehör, die Locke-
rung oder gar die Abkehr von der deutschen
Rechtschreibung widerstandslos in ihre Schulen
haben einführen lassen, obwohl ihnen jede empi-
rische Grundlage fehlt.
Die langsame, aber stetig an Fahrt aufnehmen-
de Abwärtsspirale ist dabei längst nicht auf die
Grundschulen begrenzt. Die zunehmende unzu-
reichende Bildung vieler Kinder fängt bereits im
Kindergarten an und wird über die Grundschu-
len bis auf die weiterführenden Schulen weiter-
gereicht, die anscheinend auf politischen Druck
zunehmend ein Abitur vergeben, dassr einen
immer größer werdenden Anteil ganz offensicht-
lich keinerlei Studierfähigkeit mehr impliziert.
Auch die Hochschulen sind längst zum Zertifizie-
rungsdiscounter geworden. Da es in der Regel
rund zehn Jahre dauert, bis sich entsprechende
’Reformen’ auswirken, verheißt diese äußerst be-
denkliche Entwicklung nichts Gutes und dürfte
den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort
Deutschland als Bumerang nachhaltig schwer
beschädigen.
und es bewegt
sich doch!
Kaum zu glauben, aber wahr – die Rede ist vom MSB.
I
I
m März erhielt der Hauptpersonalrat
Realschulen eine Vorlage zur Qualifizie-
rungsmaßnahme ’Einführung in die
Grundschuldidaktik für Lehrkräfte mit einer
allgemeinen Lehramtsbefähigung’. Inhalt
war das Konzept zur Befähigung von Lehr-
kräften mit einer allgemeinen Lehramtsbe-
fähigung für die Anforderungen der Grund-
schuldidaktik. So sollen SekundarstufeII-
Lehrkräfte für die Arbeit an einer Grund-
schule gewonnen werden, um den dort herr-
schenden Lehrkräftemangel zu reduzieren.
Nach zwei Jahren erhalten diese Lehrkräfte
dann eine Stelle im SekundarstufeII-Be-
reich.
So weit, so gut und im Prinzip auch nicht
zu beanstanden.
Genau hingeschaut
Dennoch schaute der Hauptpersonalrat
ganz genau hin, da dieses Konzept auch auf
die Gewinnung von SekundarstufenII-Lehr-
kräften für den SekundarstufenI-Bereich
und somit auch für die Schulform Realschu-
le Anwendung finden soll, wie wir in der
letzten Ausgabe dieser Zeitschrift berichte-
ten.
Die in den Modulen genannten Themen
entsprechen inhaltlich dem, was von einer
Lehrkraft an der Schulform Grundschule er-
wartet wird. Auch wenn der Hauptperso-
nalrat der Meinung ist, dass ausgebildete
SekundarstufenII-Lehrkräfte über viele
K
ompetenzen, die vermittelt werden sollen,
bereits verfügen, wurde das Konzept inhalt-
lich nicht beanstandet. Genau – inhaltlich!
Nicht überraschend und trotzdem nicht
akzeptabel war die Tatsache, dass die kom-
plette Maßnahme mal wieder ressourcen-
neutral durchgeführt werden sollte.
Arbeit ohne
zusätzliche Ressourcen
Es liegt in der Natur der Sache, dass gerade
an solchen Grundschulen SekundarstufeII-
Lehrkräfte eingestellt werden, die personell
sehr schlecht ausgestattet sind. Nun hätten
die Kolleginnen und Kollegen an diesen
Grundschulen auch noch die Lehrkräfte ver-
treten müssen, die an der Maßnahme teil-
nehmen, ohne dass die Schule zusätzliche
Ressourcen erhält. Das war für den Haupt-
personalrat Realschulen nicht hinnehmbar,
zumal der im Fortbildungserlass geforderte
zeitliche Umfang der Maßnahme von sech-
zig Stunden erreicht wurde, der für eine
Entlastung notwendig ist. Die Gewährung
dieser Entlastung scheiterte alleine an der
Tatsache, dass die Maßnahme sich lediglich
über fünf Monate erstreckte und nicht –
wie im Erlass gefordert – über sechs Mona-
te.
HPR intervenierte
erfolgreich
Nach Gesprächen mit der Dienststelle wur-
de die Vorlage zurückgezogen; eine neue
Vorlage folgte umgehend. Wie vom Haupt-
personalrat Realschulen angeregt, erstreckt
sich die Qualifizierungsmaßnahme jetzt
über sechs Monate, wodurch eine Entlas-
tung nach BASS 20-22 Nr.8 Ziffer 7.1 und
7.3 erfolgt – eine kleine Änderung mit gro-
ßer (Signal-)Wirkung.
Geht doch!
Nach erfolgreicher Intervention
durch den Hauptpersonalrat Realschulen gibt
es nun grünes Licht für den Fortbildungser-
lass zur Qualifizierung von Sekundarstufen II-
Lehrkräften für die Arbeit an Grundschulen.
Foto: Ralf Gosch/AdobeStock
Sarah Wanders
ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
junge lehrer nrw
E-Mail:
wanders@lehrernrw.de
von SARAH WANDERS
SCHULE & POLITIK
19
4/2018 ·
lehrer nrw
An manchen Schulen in Deutschland
herrscht ein aggressives Klima. Das Spektrum
reicht von Beleidigungen über Mobbing bis hin
zu körperlicher Gewalt.
lehrer nrw ·
4/2018
20
S
CHULE & POLITIK
Gewalt
an
Schulen
von HEINZ PETER-MEIDINGER
I
I
n den letzten Wochen und Monaten hat
ausgelöst durch eine Messerattacke auf ei-
ne Grundschullehrkraft durch einen Schü-
ler sowie Fälle religiösen Mobbingsdas The-
ma ’Gewalt an deutschen Schulen’ in der bun-
desdeutschen Medienlandschaft Hochkon-
junktur gehabt. Schwierig gestaltet sich eine
sachliche Analyse der Thematik allerdings
schon deshalb, weil dabei eine Reihe teilweise
recht unterschiedlicher Sachverhalte munter
durcheinander gemischt werden: Fälle physi-
scher und psychischer Gewaltanwendung zwi-
schen Schülern und Schülergruppen, das Mit-
bringen gefährlicher Gegenstände in Schulen,
Aggressivität gegenüber Lehrkräften, Integra-
tionskonflikte, Cybermobbing sowie Antisemi-
tismusvorfälle und religiöses Mobbing. Große
Aufmerksamkeit erregte zudem die Tatsache,
dass an einigen Schulen nicht nur in sozialen
Brennpunkten inzwischen eigene private
Wachdienste eingesetzt werden.
Anstieg der Gewaltvorfälle
an Schulen
Als ich deshalb vor wenigen Wochen als
Präsident des Deutschen Lehrerverbandes in
einem Interview für die BILD-Zeitung darauf
hinwies, dass insbesondere an Schulen mit
einer ungünstigen sozialen Zusammenset-
zung der Schülerschaft sowie einem hohen
Migrationsanteil amerikanische Zustände
drohten, wenn nicht gegengesteuert würde,
gab es zunächst einmal Abwiegelungsversu-
che.
Christian Pfeiffer, der ehemalige nieder-
sächsische SPD-Justizminister, hielt im öf-
fentlichen Fernsehen mit dem Argument da-
gegen, dass Fälle statistisch erfasster Ge-
waltvorfälle an Schulen seit Jahrzehnten
rückläufig seien.
Modisches Medienthema
oder reales Problem?
Foto: Helder Almeida/AdobeStock
SCHULE & POLITIK
21
4/2018 ·
lehrer nrw
Verschwiegen hat er dabei allerdings
zweierlei:
1. Es gibt gar keine aktuellen bundesweiten
Erhebungen, die eine klare Auskunft da-
rüber geben könnten, weil es – und das
betrifft auch Fälle religiösen Mobbings –
dazu keine bundesweite Meldepflicht
gibt. Es gibt zwar für bestimmte Vorfälle
Statistiken in den Bundesländern, aber
die sind lückenhaft und werden nach
sehr differierenden Kriterien erstellt.
2. Für die Länder, wo es aktuelle Zahlen
gibt, zeichnet sich allerdings seit zwei
Jahren eine deutliche Trendwende ab.
Alles deutet darauf hin, dass Gewaltvor-
fälle an Schulen nach Jahrzehnten des
Rückgangs nunmehr wieder deutlich an-
steigen.
Während die Zahl angezeigter Gewalttäter
zuvor stets zurückgegangen war, stieg sie
n
unmehr allein an bayerischen Schulen von
2015 bis 2017 um fast zwanzig Prozent an.
Ähnlich die Entwicklung in Nordrhein-
Westfalen und Berlin, für die ebenfalls
ganz aktuelle Zahlen vorliegen. Laut poli-
zeilicher Kriminalstatistik stieg die Zahl der
Straftaten an Schulen in Nordrhein-Westfa-
len von 25.596 (2015) auf 27.541 (2017).
Gleich nach Diebstahldelikten folgen dabei
Körperverletzungen (plus fünfzehn Pro-
zent) und Sachbeschädigungen. Vergleich-
bar die Entwicklung in Berlin: Dort konzen-
triert sich die Mehrzahl der Gewalttaten
auf wenige Problembezirke wie Marzahn-
Hellersdorf, Neukölln und Lichtenberg und
dort wiederum auf Schulen mit einer ex-
trem einseitigen Schülerzusammensetzung
und einem übergroßen Migrationsanteil.
Messer und Pfefferspray
in der Schule
Zwei Vorfälle standen in den letzten Wo-
chen besonders im Fokus der Öffentlich-
keit. Die Messerattacke auf eine Lehrerin in
Baden-Württemberg und das Mobbing ei-
nes jüdischen Kindes durch muslimische
Jugendliche. Auch wenn beides Extrembei-
spiele sein mögen, Einzelfälle sind es nicht.
In Niedersachsen hat eine Schülerbefra-
gung ergeben, dass rund zehn Prozent der
Schüler öfter Messer in die Schule mitbrin-
gen. Auch wenn dahinter meist keine kon-
kreten Aggressionsabsichten stehen, er-
höht sich dadurch die Gefahr der Eskalati-
on von Konflikten um ein Vielfaches. Auch
die Zahl der Attacken mit den inzwischen
in Supermärkten leicht erwerbbaren Pfef-
ferspraydosen hat 2017 signifikant zuge-
nommen.
Mit Sicherheit besteht noch kein Anlass
für Eltern, sich Sorgen zu machen, wenn
man am Morgen sein Kind zur Schule
schickt. Angesichts von 40.000 Schulen in
Deutschland sind die Gewaltvorfälle im in-
ternationalen Vergleich noch relativ gering.
Es gilt aber auch hier, so wie generell, den
Anfängen von Anfang an konsequent zu
wehren.
Es besteht Handlungsbedarf
Dazu gehört aus Sicht des Deutschen Leh-
rerverbands, zum einen endlich eine bun-
desweit einheitliche Meldepflicht für Vorfäl-
le psychischer und physischer Gewalt einzu-
führen, zweitens von Seiten der Politik be-
sonders betroffenen Schulen mehr personel-
le Unterstützung zur Verfügung zu stellen,
also zum Beispiel Sozialarbeiter und Psycho-
logen, drittens solche Vorfälle aus falsch
verstandener Angst um den Ruf der Schule
nicht unter den Teppich zu kehren und den
Opfern, seien es Schüler oder Lehrkräfte, mit
allen Kräften zu helfen, viertens mehr Sank-
tionsmöglichkeiten in Bezug auf die Täter zu
schaffen und diese auch konsequent anzu-
wenden und schließlich auch dem Thema
Gewaltprävention sowohl schulintern als
auch bei Fortbildungen einen deutlich höhe-
ren Stellenwert einzuräumen.
Klar ist aber auch: Schule ist Spiegelbild
der Gesellschaft, und beim Thema Gewalt
spiegeln sich Integrationsdefizite, soziale
Schieflagen, die Segregation sozialer und
ethnischer Gruppen und ungelöste gesell-
schaftliche Konflikte an Schulen. Schule ist
gefordert – ohne Unterstützung der Politik
ist sie aber letztlich machtlos.
(Noch) keine amerika-
nischen Verhältnisse
Noch sind wir von amerikanischen Verhält-
nissen weit entfernt, wo Schulen mit Sicher-
heitsschleusen, eigenem Wachpersonal,
elektrischen Zäunen und regelmäßigen
Schultaschenkontrollen zum Teil zu Hochsi-
cherheitstrakten umgebaut wurden. Wenn
wir aber nicht wollen, dass diese Zustände
näher rücken, besteht akuter Handlungsbe-
darf.
INFO
Heinz-Peter Meidinger ist Präsident
des Deutschen Lehrerverbandes (DL).
lehrer nrw ·
4/2018
22
Fluch oder Segen? An der Digitalisierung des schulischen Lernens
scheiden sich die Geister. Im gemeinsamen Antrag ’Chancen der
Digitalisierung erkennen und nutzen’ geben sich die Landtags-
fraktionen von CDU und FDP ziemlich euphorisch.
A
A
n salbungsvollen, ja dramatischen
Worten fehlt es nicht: »Die digitale
Transformation ist der größte und
tiefgreifendste Veränderungshorizont seit
der Industrialisierung. Die Digitalisierung
umfasst alle gesellschaftlichen Bereiche und
wird die Grundlagen des Wirtschaftens und
Arbeitens, der Information und Kommunika-
tion sowie der Mobilität und Urbanität in
Wandel stellen. Schon heute ist absehbar:
Die Digitalisierung ändert alles.« So lauten
die ersten Sätze im gemeinsamen Antrag
von CDU und FDP ’Chance der Digitalisie-
rung erkennen und nutzen’.
Leuchttürme der
digitalen Ausstattung?
Der Antrag dreht das ganz große Rad: von
digitaler Verwaltung und Datensicherheit
über Arbeit und Wirtschaft, Energie, Stadt-
entwicklung und Mobilität bis hin zur schuli-
schen Bildung. Im Bildungs-Kapitel des An-
trags wird ganz unbescheiden das hehre Ziel
ausgerufen, dass Schulen zu »Leuchttürmen
der digitalen Ausstattung« werden müssen.
Drunter geht’s nicht. Da bleibt einiges zu
tun, sind doch die meisten Schulen eher
Rumpelkammern als Leuchttürme der digita-
len Ausstattung. Schüler sollen mindestens
ein »Grundverständnis des Programmie-
rens« erlernen. Digitale Anwendungskompe-
tenzen und kritische Medienkompetenz sind
ebenfalls angesagt. Vermitteln sollen das
Ganze »digital-kompetente und motivierte
Individuelles Lernen? Oder gruppen-
weise Vereinzelung? Der Grat zwischen Chan-
c
en und Risiken digitaler Medien in der schuli-
schen Bildung ist oft schmal.
DIGITALPAKT: Fünf Mrd. Euro für die Schulen
Der geplante Bund-Län-
der-Digitalpakt für die
Schulen soll bis Ende 2018
unterschriftsreif sein. Dies
war ein Ergebnis des ers-
ten Treffens von Bundes-
bildungsministerin Anja
Karliczek und den Bil-
dungsministerinnen und
-ministern der Länder auf
der Kultusministerkonfe-
renz in Erfurt. Ziel ist es,
dass der Digitalpakt 2019
startet. Der Bund will ab
dann insgesamt fünf Milli-
arden Euro für fünf Jahre
für eine bessere Ausstat-
tung der Schulen mit digi-
taler Technik zur Verfü-
gung stellen. Gleichzeitig
sollen die Länder die Aus-
und Fortbildung der Lehr-
kräfte, die Anpassung der
Bildungspläne, die Be-
schaffung von Lernpro-
grammen und weiterer
Software sowie die Sicher-
stellung von Betrieb und
Wartung der Infrastruktu-
ren übernehmen.
Bund und Länder wollen
bis spätestens Ende 2018
ein von beiden Seiten ak-
zeptiertes und unter-
schriftsreifes Vertragswerk
entwickeln und die grund-
gesetzlichen Vorausset-
zungen für den Digitalpakt
schaffen.
S
CHULE & POLITIK
Erst der Mensch,
dann die Digitalisierung
23
4/2018 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
Der Bildungsforscher Dr. Matthias Bur-
chardt sieht in der Digitalisierung gar »das
Trojanische Pferd des Neoliberalismus«. Als
Einfallstor für »die großen Datenkraken (wie
Apple, Google usf.)«, die sich auch durch die
neue europäische Datenschutzgrundverord-
n
ung nicht bändigen ließen.
Analog vor digital
In einer Expertenanhörung im Landtag äu-
ßerte sich auch die
lehrer nrw
-Vorsitzende
Brigitte Balbach zu dem Antrag – und zwar
überwiegend kritisch. Ihr Tenor: Digitale Me-
dien gehören in eine gute Schule, sind aber
kein Selbstzweck. Es ist unstrittig, dass die
Digitalisierung unser Leben, Arbeiten, Kom-
munizieren und Lernen verändert. Es ist
ebenfalls unstrittig, dass die Schulen sich
dieser Entwicklung nicht verschließen kön-
nen und wollen. »Für
lehrer nrw
gilt als
oberste Maxime: Erst der Mensch, dann die
Digitalisierung. Digitale Medien als Instru-
mente des Unterrichts sind kein Selbst-
zweck, sondern ein didaktisches Mittel un-
ter vielen. Für guten Unterricht, der Schüler
zu mündigen Bürgern macht, brauchen wir
auch in Zukunft gute Lehrerinnen und Leh-
rer. Nichts wäre schlimmer, emotional ärmer
und didaktisch eindimensionaler als eine
Klasse, in der jeder Schüler in seiner persön-
lichen Tablet-Blase verschwindet«, sagte
Balbach.
»Erfolgreiche Lernprozesse haben sehr
viel mit Kommunikation, Resonanz und
Gemeinschaft unter Menschen zu tun. Das
können weder PC, noch Tablet, noch
Smartphone ersetzen. ’Digitalisierung first‘
kann auch im 21. Jahrhundert nicht die
Devise für gute Schule sein. Analog hat für
uns immer noch Vorrang. Die Digitalisie-
rung muss dem Menschen dienen und
nicht der Mensch der Digitalisierung«, be-
tonte Balbach. »Es geht darum, digitale
Medien sinnvoll in den Unterricht einzu-
binden und Schülern auch die Risiken der
Digitalisierung vor Augen zu führen. Das
Thema Datensicherheit und Sensibilität im
Umgang mit persönlichen Daten seien hier
als Beispiele genannt.«
Mehr Achtsamkeit
Auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext
warnte die Verbandsvorsitzende vor einer
kritiklosen Digitalisierungs-Euphorie. Heut-
zutage fühlten sich viele Menschen ohne
ihr Smartphone unvollständig. Die Digitali-
sierung beschleunige das Leben enorm,
gleichzeitig wachse die Sehnsucht nach
Ruhe und Entschleunigung. Dieser Wider-
spruch überfordere viele. »Wir brauchen
nicht noch mehr und noch schnellere tech-
nische Geräte, sondern mehr Achtsamkeit
im Umgang mit ihnen«, so Balbach.
Jochen Smets
Foto: pixelrain/AdobeStock
Lehrkräfte«. Die müssen »auf die neuen Ge-
gebenheiten umfassend vorbereitet und ent-
sprechend aus- und fortgebildet werden«,
heißt es außerdem im Antrag.
Trojanische Pferde
und Datenkraken
Es ist fast beruhigend, dass in dem Antrag
immerhin noch Lehrer vorkommen. Auf sie
wird es sogar ankommen – auch und beson-
ders in der schönen neuen digitalen Welt,
meint der Gymnasiallehrer und Autor Mi-
chael Felten – »wie sie den Unterrichtsver-
lauf strukturieren, welches Lernklima sie
entfalten, welche emotionale Qualität ihre
Beziehung zu den Schülern hat. Das beginnt
schon bei der Motivationskraft, die Lehrper-
sonen innewohnt. ‘Der Mensch ist für ande-
re Menschen die Motivationsdroge Nummer
eins‘, urteilt der Freiburger Psychosomatiker
Joachim Bauer. Man könnte hinzufügen:
und nicht das perfekte Arbeitsblatt. Oder
das Digitale an sich. Man darf sich nämlich
nichts vormachen: Internet und Smartphone
sind zwar für Schüler höchst verlockend –
aber zunächst nur für ihr lebensweltliches
Treiben, nicht für fokussierende Lernprozes-
se. Der Reiz des Mediums bricht schnell zu-
sammen, wenn es an die Mühen der Ebene
geht.«
S
CHULE & POLITIK
Schule gegen sexuelle Gewalt
Bundesweite Initiative gibt Schulen Hilfestellung bei der Entwicklung von Schutzkonzepten.
A
A
uch in Baden-Württemberg ist
n
un die bundesweite Initiative
’Schule gegen sexuelle Gewalt’
gestartet. Sie soll Schulleitungen und Kol-
INFO
www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de
legien fachlich unterstützen, sich mit dem
T
hema sexuelle Gewalt gegen Kinder und
Jugendliche auseinanderzusetzen und Kin-
derschutz im Schulalltag noch breiter zu
verankern. Ziel der Initiative ist es, dass al-
l
e Schulen passgenaue Konzepte zum
Schutz vor sexueller Gewalt erarbeiten
oder weiterentwickeln. In Nordrhein-West-
falen läuft sie bereits seit 2016.
Die Initiative unterstützt Schu-
len dabei, ein Schutzort zu
sein, an dem Kinder und Jugendliche
kompetente Ansprechpersonen finden, die
bei sexueller Gewalt, egal ob in der ana-
logen oder der digitalen Welt, hin-
schauen und helfen. Gleichzeitig re-
duzieren Schutzkonzepte das Ri-
siko, dass Schulen selbst zu
Tatorten werden. Auch mit
Blick auf die Nutzung der di-
gitalen Medien sind Schulen
wichtige Partner: 95 Pro-
zent der Kinder und Ju-
gendlichen besäßen ein
internetfähiges
Smartphone und seien
damit auch perfiden
Strategien von Tätern
und Täterinnen ausge-
setzt, sagt der unab-
hängige Beauftragte
für Fragen des sexuel-
len Kindesmissbrauchs, Jo-
hannes-Wilhelm Rörig. Immer öfter wür-
den sie mit Sexting-Bildern bloßgestellt
und erpresst, würden Opfer von Cyber-
grooming oder ungewollt mit Pornografie
konfrontiert. Kinder- und Jugendschutz
finde im Netz nicht statt. Hier stehe
Deutschland vor enormen Heraus-
forderungen. Deswegen sei es
umso wichtiger, Schülerinnen und
Schüler in ihrer Medienkompetenz zu
stärken. Schulen seien dabei ein unver-
zichtbarer Partner.
lehrer nrw ·
4/2018
24
Breites
Themenspektrum
D
D
as Fortbildungsprogramm von
leh-
rer nrw
geht im kommenden Schul-
jahr in eine neue Runde. Erneut
wird ein breites Angebot auf die Beine ge-
stellt, das verschiedenste Bereiche abdeckt
– von Didaktik über Rhetorik, Psychologie
oder IT bis hin zu speziellen Fortbildungen
für Schulleitungen. Auch die bewährten
und sehr gut angenommenen Lehrerräte-
schulungen werden fortgesetzt. Das neue
Fortbildungsangebot wird spätestens nach
den Sommerferien in gedruckter Form (un-
ter anderem in dieser Zeitschrift) und on-
line auf der
lehrer nrw
-Website unter
www.lehrernrw.de/fortbildungen.html
einsehbar und buchbar sein.
Vielfältiges Angebot
Neu im Angebot ist zum Beispiel ein Vor-
trag für tarifbeschäftigte Lehrer. Eine Refe-
rentin der Deutschen Rentenversicherung
Rheinland spricht zum Thema ’Rente: Wer?
Wann? Wie(viel)?’ Auch für die schulische
Praxis gibt es neue Anregungen in den fol-
genden erstmals stattfindenden Seminaren:
Wie der Umgang mit schwierigen
Eltern gelingen kann.
Leistungsmessung und Bewertung
(Portfolio Projekt)
Gemeinsames Handeln: Regelarbeit/
Rituale/Strukturen
Teamentwicklung und Teamarbeit
im Klassenzimmer
Vortragsreihe
’Jugendpsychologie’
Eine Neuauflage erlebt die Vortragsreihe
’Jugendpsychologie’, die bereits vor zwei
Jahren auf große Resonanz stieß. Als Refe-
rent ist wieder Dr. Stefan Battel dabei. Er ist
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie/
-psychologie sowie systemischer Familien-
therapeut mit eigener Praxis als Kinder- und
Jugendpsychiater in Köln. In der Vortragsrei-
he beschäftigt er sich unter anderem mit
den Themen ADHS/ADS und Süchte, Trauma
und Mobbing sowie Schulverweigerung.
Speziell für junge Lehrer gibt es Fortbil-
dungen zu Recht im Schulalltag (zwei Termi-
ne) sowie eine vierteilige Rhetorikreihe (Ein-
zeltermine sind möglich). Auch die rege
nachgefragten IT-Schulungen für Aktive und
Senioren werden wieder auf dem Programm
stehen.
H
ilf- und Lehrreiches
für die schulische
Praxis und auch für die persönliche Entwicklung
vermitteln die
lehrer nrw
-Fortbildungen.
INFO
Informationen, Anmeldemöglichkeit, Kosten und Teilnahmebedingungen finden sich
auf der
lehrer nrw
-Website unter www.lehrernrw.de/fortbildungen.html
F
oto: Woodapple/AdobeStock
lehrer nrw ·
4/2018
26
FORTBILDUNGEN
Das
lehrer nrw
-Fortbildungsprogramm 2018/2019
27
4/2018 ·
lehrer nrw
SENIOREN
Auf den Spuren von Eisenbahn und Kohle
A
m 28. August, dem letzten Ferientag
der Sommerferien, besichtigen die
leh-
rer nrw
-Senioren um 10:30 Uhr das im
Ruhrtal gelegene Eisenbahnmuseum in Bo-
chum-Dahlhausen mit seinen historischen
Lokomotiven und Fahrzeugen unter sach-
kundiger Führung.
Ebenfalls auf dem Programm steht eine
Tour in den Nachtigallstollen. Hier können
sich die Teilnehmer einen Eindruck davon
verschaffen, unter welch lebensgefährlichen
Bedingungen die zum Teil nur wenige Zenti-
meter mächtigen Kohleflöze noch bis vor
wenigen Jahren abgebaut worden sind.
Diese Exkursion ist gewissermaßen eine
Reise in die Vergangenheit. Viele sind sicher
noch in Zügen mit Dampflokomotiven ge-
reist und haben erlebt, wie die hochwertige
ANMELDUNG
Manfred Berretz
Telefon: 02339 / 74 98 oder besser
per E-Mail:
berretz@online.de
Ruhrkohle zum Heizen unserer Wohnungen
eingesetzt worden ist. Übrigens: Im Dezem-
ber schließt die letzte noch verbliebene Ze-
che des Ruhrgebiets. Eine Ära geht zu Ende.
Röntgenstrahlen und
Tuchherstellung
L
L
ennep ist ein kleiner, beschaulicher
Stadtteil von Remscheid mit einer mittel-
alterlichen Altstadt im Bergischen Land. Hier
treffen sich interessierte
lehrer nrw
-Senio-
ren am 18. September ab 11:00 Uhr vor
dem Röntgen Museum (Schwelmer Straße
41 | Remscheid Lennep). Kostenlose Park-
möglichkeiten gibt es auf dem ausgeschil-
derten Parkplatz ’Historischer Stadtkern’.
Von dort aus sind es nur wenige Gehminu-
ten bis zum Museum in Richtung Altstadt.
Die Führung beginnt um 11:30 Uhr. Im
Röntgen Museum begegnet die Gruppe mit
Wilhelm Conrad Röntgen einem der be-
rühmtesten Physiker und Forscher der Welt-
geschichte. Die Teilnehmer erfahren etwas
über die Entdeckung der Röntgenstrahlen
im Jahr 1895 und wie sich diese Technik
seither weiterentwickelt hat.
Nach der einstündigen Führung gibt es
ein gemeinsames Mittagessen. Das Restau-
rant ’König von Preußen’ liegt nur wenige
Gehminuten entfernt in der Altstadt. Es be-
steht die Möglichkeit, eine Bergische Kaf-
feetafel zu genießen. Allerdings muss diese
mit der Anmeldung vorbestellt werden,
Preis: 13,50 Euro.
Anschließend geht es zurück zum Tuch-
museum. Lennep war einmal ein Zentrum
der Tuchherstellung. Aus dem Firmenmu-
seum der ehemaligen Tuchfabrik Johann
Wülfing & Sohn ist das Tuchmuseum ent-
standen. Viele original erhaltene Gegen-
stände erzählen die Geschichte des Unter-
nehmens. Die einstündige Führung beginnt
hier um 15:00 Uhr.
Vorläufige Kostenkalkulation: etwa
15,00 Euro (der Preis kann schwanken, da
im Röntgen Museum die Gruppengröße
auf 15 Personen beschränkt ist und ggf.
zwei Führungen gebucht werden müssen).
ANMELDUNG
Bis zum 31. August 2018 unter
trompetter.bernadette@gmail.com
oder Telefon: 02267 / 8 68 01 85
Burgen und Bingen
D
D
ie kleine, mehrtägige Herbst-Exkursion
der
lehrer nrw
-Senioren führt diesmal
nach Bingen am Rhein. Die Gruppe wird
vom 21. bis 23. Oktober im NH-Hotel Bin-
gen – direkt am Rhein – übernachten und
auf einer Rheinschifffahrt die schöne Land-
schaft mit den
berühmten Bur-
gen genießen
und in St. Goar
die Burg Rhein-
fels besuchen. Des Weiteren besuchen die
Senioren Mainz und ebenso die Bingen ge-
genüber liegende Stadt Rüdesheim mit der
berühmten Drosselgasse und das Nieder-
walddenkmal auf der Anhöhe.
ANMELDUNG
Joamar-Reisen
E-Mail info@reisen-joamar.de
oder Telefon: 05251 / 6 87 99 90
Der berühmte Mäuseturm von Bingen
Das Röntgenmuseum in Lennep
lehrer nrw ·
4/2018
28
Film ab!
Die aktuelle Rechtslage beim
Filmeinsatz in der Schule.
C
C
arpe diem! – Die Bedeutung dieses
lateinischen Ausspruchs kennt wohl
jeder: Nutze den Tag! Aber bei der
Frage, von wem er stammt – dem römischen
Dichter Horaz –, muss der eine oder andere
vermutlich passen. Das abgeleitete Zitat
»Carpe diem, nutzet den Tag, Jungs! Macht
etwas Außergewöhnliches aus eurem
Leben!« ist da vielleicht sogar geläufiger –
wer kennt nicht Robin Williams als Lehrer
John Keating im Kinostreifen ’Club der toten
Dichter’? Ganze Generationen von Schüle-
rinnen und Schülern schauen seit Anfang
der 1990er Jahre das Filmdrama um den
freigeistigen Mentor und seine Schüler-Ge-
folgschaft. Und wo? – Allzu häufig im eige-
nen Schulunterricht mit ihrem Lehrer zur ge-
m
einsamen Inspiration hinsichtlich der es-
sentiellen Lehren für das Leben.
Stolperfalle Urheberrecht
So sehr man als Lehrkraft überzeugt sein
kann, mithilfe eines Films ein Tor zu lebhaf-
ten und lehrreichen Debatten in und mit der
Klasse eröffnen zu können, so unsicher ist
man manchmal vorab wegen der Frage, ob
und inwieweit er überhaupt zur Vorführung
berechtigt ist und welche Konsequenzen
diese nach sich zieht.
Es lohnt sich jedoch, diesbezüglich auf
der Höhe der Zeit zu sein. Denn Literaturver-
filmungen beispielsweise können nicht sel-
ten eine fruchtbare Grundlage für lehrreiche
Debatten, Meinungsaustausche und Erörte-
rungen sein, ebenso wie wissenschaftliche
Filme die Vermittlung gerade von naturwis-
senschaftlichen Lehrinhalten ungemein be-
fördern können. Warum sollte man diese
Mittel nicht ausgiebig nutzen?
Dass derartige Werke allerdings einfach
ungeachtet der Rechte insbesondere der
Filmschaffenden oder der Vertreiber genutzt
werden könnten, darf heutzutage niemand
denken – die Devise
»war ja nur einmal«
oder Ähnliches gelten
hier nicht. Wer sich des-
sen an sich bereits be-
wusst war, sollte den-
noch für sich prüfen, ob
er auch die neue Rechtslage seit dem ersten
März dieses Jahres kennt.
Neue Rechtslage
Zu diesem Stichtag ist das Gesetz zur An-
gleichung des Urheberrechts an die aktuel-
len Erfordernisse der Wissensgesellschaft
(UrhWissG) in Kraft getreten. Dieses ver-
sucht, den Umgang mit urheberrechtlich ge-
schützten Werken unter anderem an Schu-
len einfacher zu machen und außerdem für
RECHT
§
AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
Foto: serhiibobyk/AdobeStock
Wenn das Klassenzimmer
zum Kinosaal werden soll,
ist Vorsicht geboten. Lehrkräfte soll-
ten prüfen, ob die Anforderungen des
Urheberrechts eingehalten werden.
F
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k
29
4/2018 ·
lehrer nrw
eine adäquate Vergütung der Rechteinhaber
zu sorgen. Ob mit den Regelungen wirklich
ein Weg gefunden wurde, ein ausgewoge-
n
es Verhältnis zwischen gegensätzlichen In-
teressen zu schaffen oder ob dies ein nicht
allzu tauglicher Versuch ist, zwei Herren
gleichzeitig zu dienen, wird sich zeigen. Eine
Vereinfachung gegenüber der früheren
Rechtslage ist aber nicht von der Hand zu
weisen. Denn der Gesetzgeber hat die
Schranken, das heißt Ausnahmen, von Urhe-
berrechten erweitert.
Wesentlich ist dabei, dass Lehrkräfte nun
bis zu fünfzehn Prozent eines Filmes ohne
jegliche Erlaubnis zeigen dürfen, so § 60a
Absatz 1 Urhebergesetz (UrhG). Dies bedeu-
tet, dass zur Illustration des Unterrichts Aus-
schnitte von bis zu fünfzehn Prozent des Ge-
samtwerkes vorgeführt, verbreitet, verviel-
fältigt oder auf andere Art – wie zum Bei-
spiel in einer Schul-Cloud – öffentlich zu-
gänglich gemacht werden dürfen.
Nicht länger als
fünf Minuten?
Nicht nur ausschnittsweise, sondern vollstän-
dig erlaubnisfrei dürfen vergriffene Werke
sowie Werke geringen Umfangs genutzt wer-
den. Zwar mag sich der eine oder andere da-
ran stören, dass gerade für diese besonders
praxisrelevante Situation nicht eindeutig de-
finiert ist, wann ein ’geringer Umfang’ über-
schritten ist; die explizite Erwähnung von
einzelnen Beiträgen aus derselben Fachzeit-
schrift oder wissenschaftlichen Zeitschrift
und von Abbildungen nützt im Zusammen-
hang mit einer Filmvorführung natürlich we-
nig. Zur Orientierung kann hier die allerdings
auf die Maximallänge von fünf Minuten ei-
nes Films beziehungsweise Videos abgestellt
werden, die schon bislang nach dem bisheri-
gen Vertrag zwischen den Ländern und Ver-
wertungsgesellschaften als maßgeblich galt.
Nicht erlaubnisfrei dürfen dagegen Werke
genutzt werden, die ausschließlich für den
Unterricht an der Schule geeignet, bestimmt
und entsprechend gekennzeichnet sind
60a Absatz 3 UrhG). Diese Regelung soll
die Hersteller von Schulmedien schützen.
Bedingung jeder Nutzung ist nach § 60 a
UrhG, dass diese im Rahmen des Unterrichts
a
n Bildungseinrichtungen erfolgt. Dies bein-
haltet Prüfungen (§ 60a Absatz 1 Nummer 2
UrhG) und moderne Lehrformate über das
Internet. Davon werden auch die Vor- und
Nachbereitung der Stunden umfasst sein,
nicht aber sonstige Vorhaben wie etwa die
Nutzung im Zuge der Schulverwaltung.
Ebenso wenig erlaubnisfrei ist die Verwen-
dung im Unterricht zu kommerziellen Zwe-
cken. Entscheidend dabei ist die Gewinn-
erzielungsabsicht. Ob die Schule privat oder
öffentlich ist, spielt keine Rolle.
Vorsicht mit
YouTube-Videos
Mancher Film findet sich im Internet auf
YouTube oder anderen Plattformen. Dann
liegt die Versuchung nahe, den Film zum Bei-
spiel über einen Laptop und einen Beamer,
das heißt im Wege des Streamings zu zeigen
oder den Schülern vorzuschlagen, auf ihren
eigenen Geräten das entsprechende Materi-
al abzurufen. Dabei ist jedoch unbedingt da-
rauf zu achten, ob die Inhalte nicht offen-
sichtlich unberechtigt im Internet veröffent-
licht wurden. Bei kompletten Werken kann
im Allgemeinen nicht davon ausgegangen
werden, dass diese mit Erlaubnis der Rechte-
inhaber hochgeladen wurden.
Hat eine Lehrkraft die Frage der Erlaubnis
zur Nutzung hinreichend geklärt, so muss sie
daran denken, dass die Nutzung von Filmma-
terial bis auf einige Ausnahmen zu vergüten
ist 60 h UrhG). Die Vergütung kann nur
durch eine Verwertungsgesellschaft geltend
gemacht werden und ist vom Schulträger,
nicht aber von der Lehrkraft oder
den Schülern zu entrichten. Das neue
Recht vereinfacht die Lage insofern, als dass
n
unmehr pauschale Abrechnungen für die An-
gemessenheit einer Vergütung ausreichen.
Grauzone bei privat
erworbenen Filmen
Wer angesichts all des Vorgenannten denkt,
er macht es sich einfacher, indem er ein privat
und legal erworbenes Werk zeigt, stößt je-
doch auf eine weitere Hürde: Denn es ist nur
zulässig, derartige Filme im nicht-öffentlichen
Rahmen vor miteinander verbunden Perso-
nen zu zeigen. Dies beinhaltet Familie und
Freunde, aber ob davon eine Schulklasse oder
gar darüber hinausgehende Schülergruppe
umfasst ist, ist in der Rechtsprechung noch
nicht eindeutig geklärt. Selbst wenn sich Leh-
rer und Schüler sowie Schüler untereinander
noch so sehr ans Herz gewachsen sind, be-
fände man sich bei der Vorführung eines pri-
vat erworbenen Films in einer Grauzone und
sollte daher davon eher Abstand nehmen.
In der Praxis
Was bedeutet das Ganze nun, wenn man als
Lehrkraft nicht nur Ausschnitte aus einem
Film herausfiltern will, sondern ein Gesamt-
werk darbieten will? – Man greift auf lizen-
sierte Kopien zurück, die an Medienzentren
von Kommunen, staatlichen Trägern oder Kir-
chen vor Ort oder online angeboten werden,
oftmals sogar kostenfrei. Bei Filmen, die im-
mer wieder gezeigt werden sollen, sollte die
Schule einen direkten Erwerb mit Lizenz
überlegen.Soweit, so klar? – Dann ’Film ab!’
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange
leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw.
E-Mail:
Rechtsabteilung@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
4/2018
30
Foto: AdobeStock
Ab nach draußen!
Outdoor-Unterricht sorgt bei Schülerinnen und Schülern für
mehr Lernbereitschaft. Sagt jedenfalls eine wissenschaftliche
Studie. Dann muss das ja wohl stimmen.
I
I
m Freien in naturwissenschaftlichen Fä-
chern unterrichtet zu werden, erhöht
die Motivation von Schülerinnen und
Schülern. Eine Studie der Technischen Uni-
versität München (TUM) und der Universi-
tät Mainz legt deshalb nahe, in der Sekun-
darstufe I öfter Outdoor-Unterricht anzu-
bieten.
Basis dieser bemerkenswerten Erkenntnis
waren die ’Forscherwochen’ am Schülerfor-
schungszentrum Berchtesgadener Land. In
den Jahren 2014 bis 2016 nahmen rund
300 Schülerinnen und Schüler daran teil.
Das Programm basiert auf dem Lehrplan für
naturwissenschaftliche Fächer der Sekun-
darstufe I. Der einwöchige Aufenthalt wird
im klassischen Unterricht vorbereitet. Höhe-
punkt der Forschungswoche ist eine zweitä-
gige Forschungsexpedition mit Experimen-
ten.
Sowohl vor als auch nach dem Kurs füll-
ten die Schüler und Schülerinnen für eine
Studie, die an der TUM entwickelt wurde,
einen Fragebogen aus, der sich mit ihrer
Zufriedenheit und der allgemeinen Motiva-
tion bezogen auf ihre Autonomie befasste.
Zum Abschluss der Woche berichteten die
Schülerinnen und Schüler erneut über ihre
Erfahrungen während des Outdoor-Unter-
richts.
In der Studie zeigte sich, dass die
Grundbedürfnisbefriedigung beim Unter-
richt im Freien signifikant höher ist als im
Klassenzimmer. Vor allem Erfolgserlebnisse
steigerten beim Unterricht im Freien die
Motivation. Wer hätte das gedacht? Der
Mathe-Depp, der in geschlossenen Räu-
men ein kapitales Brett vorm Kopf hat, ka-
p
iert unter freiem Himmel auf einmal die
Prozentrechnung. Und es kommt noch bes-
ser: Die Forscher halten sogar positive Ef-
fekte auf die physische und psychische Ge-
sundheit der Kinder für möglich.
Über das Wetter während der Forscher-
wochen im Berchtesgadener Land erfährt
der geneigte Leser leider nichts. Man hätte
gern gewusst, wie sich Dauerregen auf die
Grundbedürfnisbefriedigung und die Moti-
vation auswirkt. Auch die physische Ge-
sundheit könnte bei ausgiebiger Bereg-
nung in Mitleidenschaft gezogen werden.
Der Grat zwischen Abhärtung und Angina
ist schmal.
Abgesehen von den Unbillen des Wet-
ters gibt es allerdings in der Tat wenig Ar-
gumente für überdachten Unterricht. Klas-
senräume sind im Winter meistens zu kalt
und im Sommer meistens zu warm. Und
der Schimmelpilz, der in manch unsanier-
tem Gebäude prächtig gedeiht, könnte der
physischen Gesundheit der Probanden so-
gar noch abträglicher sein als gelegentli-
cher Regen.
Zu überlegen wäre nun noch, welche
Kombination aus Unterrichtsort und Unter-
richtsfach am produktivsten ist: Mathe am
Strand? Englisch im Wald? Deutsch am
Berg? Geschichte im Freibad? Sport auf
dem Bauernhof?
Aber das ist sicher Thema einer anderen
Studie.
Jochen Smets
Angenehme Lernumgebung.
Aber nicht die Sonnencreme vergessen!
ANGESPITZT
Die Ziffernfolge
Zungenbrecher
Augen zu!
HIRNJOGGING
31
4/2018 ·
lehrer nrw
Aufgabe 1:
Augen zu!
Aufgabe 2:
Zungenbrecher
Zungenbrecher sind eine hervorragende Möglichkeit, die Konzentration zu schulen und ganz im ‘Hier und Jetzt’ zu sein.
Üben Sie daher Zungenbrecher. Wie wäre es mit diesem:
»Schnecken erschrecken,
wenn Schnecken an Schnecken schlecken.
Weil zum Schrecken vieler Schnecken,
Schnecken nicht schmecken.«
Welche Zungenbrecher kennen Sie noch?
Aufgabe 3:
Die Ziffernfolge
Nun noch eine Übung zum logischen Denken: Die folgende Ziffernfolge kommt so nur ein einziges Mal vor.
Können Sie herausfinden, nach welcher Logik sie zusammengestellt ist?
8 3 1 5 9 0 6 7 4 2
Lösung: Die Ziffern sind aufsteigend nach dem Alphabet sortiert
Heike Loosen
Das Gehirn denkt in Bildern. Sicher kennen Sie den Spruch: »Denke
nicht an einen rosa Elefanten.« Bevor die Information kognitiv ver-
arbeitet werden kann, ist der Elefant auch schon vor Ihrem inneren
Auge aufgetaucht.
Viele Menschen behaupten von sich, keine inneren Bilder sehen
zu können, aber das ist eine Fehleinschätzung. Wir wollen daher die
Fähigkeit, innere Bilder sehen zu können, ein wenig trainieren. Da-
durch wird sich automatisch Ihre Merkfähigkeit verbessern.
Diese Übung eignet sich auch hervorragend, um Wartezeiten zu
überbrücken, zum Beispiel beim Arzt oder an der Haltestelle …
Sehen Sie sich ein wenig um. Was sehen Sie? Dann suchen Sie
sich einen kleinen Ausschnitt aus Ihrem Blickfeld aus, zum Beispiel
das gegenüberliegende Haus, die Autos, die am Straßenrand stehen,
die Tische des Cafés gegenüber …
Nehmen Sie diese Bilder ganz bewusst wahr. Bleiben Sie dabei
mental wach und entspannt. Schließen Sie zwischendurch immer
mal wieder kurz die Augen, so dass das Bild nachwirken kann. Nach
einer Weile halten Sie die Augen geschlossen. Dann stellen Sie sich
einige Fragen. Zum Beispiel: Wie viele Fenster hat das Haus gegen-
über? Welche Farbe haben die Dachziegel, welche Hausnummer?
Sprossenfenster oder normale? … Oder: Wie viele Tische des Cafés
sind besetzt? Welche Farbe haben die Sonnenschirme oder die Servi-
etten auf den Tischen …
Sicherlich haben Sie das Prinzip verstanden. Probieren Sie es aus,
immer wieder! Dadurch trainieren Sie Ihre Aufmerksamkeit und
Wahrnehmung und verbessern dadurch automatisch Ihr Gedächtnis!
Eine Variante dieser Übung besteht darin, sich längere Wörter an-
zusehen, dann die Augen zu schließen und zu bestimmen, wie viele
Buchstaben das Wort hat, welches der vierte Buchstabe von links ist
oder der fünfte von rechts. Wie viele Konsonanten kommen darin
vor und welche Buchstaben sind doppelt … Diese Fragen kann man
nur beantworten, wenn man das Wort vor seinem inneren Auge se-
hen kann. Versuchen Sie es doch mal mit dem Wort ’Waldspazier-
gang’.
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Fotos: PIXELIO/MEV/Fotolia