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lehrer nrw
Unterarms trage (VG Düsseldorf, Urteil
vom 8. Mai 2018, 2 K 15637/17). Das
Gericht hatte sich der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts angeschlos-
sen, wonach das Verbot bestimmter Täto-
wierungen seine Grundlage in einem aus-
drücklichen einschlägigen Gesetz und
nicht beispielsweise nur in einem Erlass
finden muss. So weit, so gut.
Die Richter hatten im Verfahren aber
auch darauf hingewiesen, dass Tätowie-
rungen an den Armen augenscheinlich zu-
nähmen, was für einen gesellschaftlichen
Wandel spreche. Damals hatte auch
lehrer
nrw
in dieser Zeitschrift auf den Punkt
gebracht, dass Tätowierungen heutzutage
zu einem modischen Accessoire geworden
sind, und dargelegt, worauf Lehrkräfte
achten sollten, wenn sie sich tätowieren
lassen wollen (Ausgabe 05/2017).
Ein Gesetz,
das Fragen aufwirft
Wie ist vor diesem Hintergrund das ange-
sprochene jungfräuliche Gesetz zum äuße-
ren Erscheinungsbild von Beamtinnen und
Beamten einzuordnen?
Durch das Gesetz werden verschiedene
erforderliche Ermächtigungsgrundlagen
geschaffen, damit Beamtinnen und Beam-
ten das Tragen von sichtbaren »bestimm-
ten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen
und Tätowierungen« verboten werden
kann. Das soll auch dann möglich sein,
wenn diese »religiös oder weltanschaulich
konnotiert« sind. Mit der Neufassung von
§ 34 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG)
wird dabei auch eine Grundlage für Verbo-
te für Beamtinnen und Beamte in den Bun-
desländern geschaffen, weil das BeamtStG
die wesentlichen Rechte und Pflichten aller
Beamtinnen und Beamten von Bund, Län-
dern und Kommunen bestimmt.
Damit kann verhindert werden, dass
Beamtinnen und Beamte sichtbare Tattoos
während des Dienstes mit verfassungs-
feindlichen, mit extremistischen, rassisti-
schen oder sexistischen Motiven tragen.
Aber es können auch ‘Merkmale des Er-
scheinungsbildes’ untersagt werden, die
»durch ihre über das Maß hinausgehende
besonders individualisierende Art geeignet
sind, die amtliche Funktion der Beamtin
oder des Beamten in den Hintergrund zu
drängen«.
Und dieser große Einzugsbereich kann
aber eben durchaus hinterfragt werden –
an sich sogar aus mehreren Blickwinkeln,
von denen hier nur einer im Mittelpunkt
stehen soll.
Wie weit darf oder
sollte der Regelungsdrang
des Staates reichen?
Es soll dabei nicht um die verfassungs-
rechtlich problematische Frage gehen, ob
die Materie überhaupt durch Bundesrecht
geregelt werden darf. Schließlich darf der
Bund nach Artikel 74 Absatz 1 Nr. 27
Grundgesetz nur die wesentlichen status-
prägenden Rechte und Pflichten der Lan-
desbeamtinnen und -beamten bestimmen
– ob insbesondere Tattoos dazu gehören,
ist fraglich.
Hier soll es auch nicht um das höchstbri-
sante Thema Religion gehen. »Religiös –
und weltanschaulich konnotierte Merkma-
le« wie ein christliches Kreuz, eine jüdi-
sche Kippa oder ein muslimisches Kopftuch
sollen untersagt werden können, »wenn
sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen
in die neutrale Amtsführung der Beamtin
oder des Beamten zu beeinträchtigen«. –
Wie verhält sich dies zu der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts, dass Leh-
rerinnen das Tragen eines muslimisch mo-
tivierten Kopftuchs verboten werden kön-
ne, aber nicht allein wegen dessen abs-
trakter Eignung zur Begründung einer
Gefahr für Schulfrieden und staatliche
Neutralität (Beschluss vom 27. Januar
2015, BvR 471/10)?
Tätowierungen und
anderer Körperschmuck
In diesem Beitrag soll der oben angespro-
chene ’modische’ Aspekt der Regelungen
im Fokus stehen. Beamtinnen und Beamte
müssen fortan »hinsichtlich ihres Erschei-
nungsbildes Rücksicht auf das ihrem Amt
entgegengebrachte Vertrauen nehmen«. Ne-
ben Tätowierungen, Schmuck und Symbolen
im sichtbaren Bereich soll zum Beispiel auch
die »Art der Haar- und Barttracht« einge-
schränkt werden dürfen, wenn sie objektiv
geeignet ist, das Vertrauen in die neutrale
Amtsführung zu beeinträchtigen. Nach der
Gesetzesbegründung gelten diese Vorgaben
auch für Fingernägel, Kosmetik, Ohrtunnel,
Brandings und Dermal Implants. Die ’Sicht-
barkeit’ eines Körperschmuckes orientiert
sich dabei an einer Sommeruniform von
Polizistinnen und Polizisten mit kurzärmli-
gem Hemd.
Die Lehrkraft muss keine
graue Maus sein
Es drängt sich an dieser Stelle die Frage auf,
ob der Gesetzgeber mit derart weiten Ver-
botsmöglichkeiten nicht doch einen Rück-
schritt macht und den bereits angedeuteten
gesellschaftlichen Wandel zur Akzeptanz
von Tattoos und sonstiger Formen individu-
eller äußerer Erscheinungsbilder verkennt.
Auch wenn viele Menschen größere Täto-
wierungen für nicht ästhetisch und nicht
passend halten, heißt das nicht (mehr) zwin-
gend, dass einem Staatsdiener damit nicht
das Vertrauen in die korrekte Amtsführung
entgegengebracht wird. Abgesehen davon,
dass diese vagen Maßgaben im einzelnen
für viele Streitfälle sorgen könnten, könnten
sie auch dazu führen, dass gerade in der an-
stehenden Jahreszeit beispielsweise Lehr-
kräfte in Sommerkleidung nur aus Vorsicht
eher als graue Maus auftreten und auf ein
individuelles Äußeres verzichten, in dem sie
sich wohlfühlen. Dies wäre in einer freien
Gesellschaft schade und hat auch nichts ei-
nem dezent-gepflegten Erscheinungsbild
und mit dem Vorbildcharakter einer Lehr-
kraft zu tun. Es ist daher schlicht zu hoffen,
dass es in der Praxis nicht zu derart engen
beziehungsweise strengen Gesetzesausle-
gungen kommt und sich Lehrkräfte nicht
über ’wohlgemeinte’ mahnende Hinweise
insbesondere von Vorgesetzten wegen ihres
Äußeren ärgern werden.
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de