3
Unter der Lupe
Ein Wettbewerb um
die besten Ideen
15
Dossier
Generation
Corona
28
Recht§ausleger
»Ihre Note passt
mir nicht«
6
Im Brennpunkt
Der schulscharfe
Sozialindex
Nach der Pandemie
die Flut
Pädagogik & Hochschul Verlag
.
Graf-Adolf-Straße 84
.
40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
1781 | Ausgabe 5/2021 | SEPTEMBER | 65. Jahrgang
INHALT
lehrer nrw ·
5/2021
2
UNTER DER LUPE
Sven Christoffer:
Ein Wettbewerb um die besten Ideen
3
BRENNPUNKT
Sarah Wanders:
Der schulscharfe Sozialindex
6
SERIE HAUPTSCHULEN
Interview: Die vergessene Schulform 8
Auferstanden:
Die Martin-Luther-King-Hauptschule
8
BATTEL HILFT
Ein Konzept muss her! 10
TITEL
Schulen im Ausnahmezustand 12
Die Schulfamilie trägt uns 13
Marcel Werner: Wie nach einem Krieg 14
DOSSIER
Peter Maier: Generation Corona
Was Schülerinnen und Schüler
jetzt dringend brauchen
15
SCHULE & POLITIK
Mülheimer Kongress:
‘Optimistisch in die Zukunft’
20
Ulrich Gräler:
Bildung ist … mehr wert 5%
22
Lehrerräteschulungen 2021 24
KOLUMNE
Wir sind doch keine Juristen 26
SENIOREN
Konrad Dahlmann hat
Staffelstab übergeben …
… Monika Holder hat den
Staffelstab übernommen
27
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange:
»Ihre Note passt mir nicht«
28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Da wackelt der Aluhut 30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Ein Mann mit
vielen Gesichtern
Aufgabe 2: Oberbegriffe
31
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
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lehrer nrw e.V.
Nordrhein-Westfalen,
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Redaktion
Sven Christoffer,
Ulrich Gräler,
Christopher Lange,
Jochen Smets,
Sarah Wanders,
Marcel Werner
Düsseldorf
Verlag und
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PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
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vom 1. Oktober 2020
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Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
Ein Wettbewerb
um die besten Ideen
Pandemie, Flut, Klima, Afghanistan – der Umgang der Par-
teien mit Krisen und Katastrophen dominiert den aktuellen
Bundestagswahlkampf. Vor diesem Hintergrund ist es nicht
verwunderlich, dass das Thema Bildung eine untergeordnete
Rolle spielt. Bedauerlich ist es nichtsdestotrotz.
CDU/CSU:
Gleichwertigkeit der
Bildungssysteme garantieren
Der CDU/CSU ist die Sozialdemokratisierung in der Mer-
kel-Ära deutlich anzumerken. Unter der Überschrift Auf-
stieg durch Bildung’ streicht die Partei heraus, dass die
Herkunft von Menschen nicht über ihre Zukunft ent-
scheiden dürfe. Da-
mit jedes Kind seine
Chancen nutzen
könne, wollen CDU
und CSU die Schulen
vor allem in sozial schwierigen Lagen weiter stärken.
Das sind zweifelsohne hehre Absichten. Leider bleibt die
Union bei der Umsetzung jedoch sehr vage und ver-
weist lediglich auf die Bund-Länder-Initiative ‘Schule
macht stark’, die beste Bildungschancen für sozial be-
nachteiligte Schülerinnen und Schüler fördere und
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5/2021 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von SVEN CHRISTOFFER
(Wahl-)Kampf ums (Schul-)Kind: Alle Parteien ver-
sprechen bessere, gerechtere und zukunftsorien-
tiertere Bildung. Bleibt zu hoffen, dass dabei
die Kinder nicht aus dem Blick geraten.
Foto: AdobeStock/detailblick-foto
D
D
ie Schulen in Deutschland befinden sich im
bereits dritten Schuljahr in Folge, das maßgeb-
lich von der Corona-Pandemie beeinflusst wird.
In Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz gibt es
darüber hinaus nicht wenige Schulen, die in der Flutka-
tastrophe massiv Schaden genommen haben. Deshalb
ist es nur allzu verständlich, dass diese Themen aktuell
im Mittelpunkt stehen. Das Schuljahr 2021/22 ist aber
auch ein Schuljahr, in dem bildungspolitisch wichtige
Weichen gestellt werden: in diesem Monat durch eine
Bundestagswahl und Mitte Mai durch die Wahl des
nordrhein-westfälischen Landtags. Politik ist ein Wettbe-
werb um die besten Ideen. Auf der Suche nach solchen
habe ich deshalb mit großer Neugier unter bildungspo-
litischen Aspekten die Bundestagswahlprogramme
unterschiedlicher Parteien unter die Lupe
genommen. Die Bilanz fällt zwie-
spältig aus.
lehrer nrw ·
5/2021
4
UNTER DER LUPE
deshalb gestärkt und weiterentwickelt werden solle.
Sehr gefreut habe ich mich darüber, dass CDU und CSU
die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer
Bildung als Herzensanliegen bezeichnen. Daher werde
die Union wieder mehr Gewicht auf die Ausbildung
junger Menschen als Facharbeiter und Handwerker le-
gen, um dem Fachkräftemangel in diesen Bereichen
wirksam zu begegnen. Eine Karriere in der beruflichen
Bildung müsse als gleichwertige Alternative zum Studi-
um für jeden und jede erkennbar sein. Aus meiner Sicht
würde mit einem solchen bildungspolitischen Ansatz
eine Fehlentwicklung der vergangenen Jahrzehnte kor-
rigiert, er hätte deshalb die volle Unterstützung von
lehrer nrw.
SPD:
Ein gutes Ganztagsangebot
für gleiche Chancen
Auch die SPD will selbstverständlich dafür sorgen,
»dass alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von
ihrer Herkunft die gleichen Chancen haben, das Best-
mögliche aus ihrem Leben zu ma-
chen«. Dabei setzt sie auf Schulso-
zialarbeit und ein Ganztagsange-
bot für Schulkinder. Über die Bun-
desinitiative Chancengleichheit in
der Bildung (ein Bundesprogramm für Schulsozialar-
beit) wollen die Sozialdemokraten den Kommunen Mit-
tel zur Förderung von ‘Chancenhelfern’ an jeder Schule
bereitstellen. Daneben sei ein gutes Ganztagsangebot
entscheidend für gleiche Chancen. Schule erreiche her-
kunftsunabhängig jedes Kind. Deshalb sei der Rechts-
anspruch auf ein ganztägiges Bildungs- und Betreu-
ungsangebot im Grundschulalter ein wichtiger Beitrag
zur Bildungsgerechtigkeit und zudem für viele Eltern
der notwendige nächste Schritt in der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf.
Qualitativ guter Ganztag ist jedoch personalinten-
siv. Ist dieser Weg in Zeiten deutschlandweiten Lehr-
kräftemangels tatsächlich in absehbarer Zeit gang-
bar? Ich möchte meine Skepsis mit den Worten des
Berliner Schulleiters Michael Rudolph zum Ausdruck
bringen: »Wir haben ja noch nicht einmal genügend
Lehrer, Pädagogen, Erzieher, um die Kernunterrichts-
zeit der Schulen zu besetzen. (…) Es wirkt, als durch-
leide man eine Dürre und wolle trotzdem einen riesi-
gen Wasserfreizeitpark ausbauen.« Herr Rudolph wird
übrigens auf unserem nächsten Mülheimer Kongress
referieren.
Die Grünen:
Sozial diverse und inklusive
Schulen des längeren
gemeinsamen Lernens
Die Grünen fordern »sozial diverse und inklusive Schu-
len, in denen junge Menschen so lange wie möglich ge-
meinsam lernen«. Gleiche Lebenschancen für alle Kinder
heiße für die Grünen, dass sie sich für gemeinsames Ler-
nen und individuelle Förderung für alle Kinder von der
Kita bis zum Schulabschluss einsetzen.
Ihr Ziel sei, einen individuellen Rechts-
anspruch für jedes Grundschulkind auf
Ganztagsbildung und -betreuung mit
Qualitätsstandards umzusetzen. Dazu
solle die Schulsozialarbeit ausgebaut
und flächendeckend als Bestandteil des Ganztags veran-
kert werden. Hier gibt es also eine Deckungsgleichheit
mit der SPD. Deckungsgleich ist aber auch, dass die Fra-
ge unbeantwortet bleibt, woher das Personal kommen
soll, das dieses ehrgeizige Programm umsetzen soll.
Ebenso wie die Union wollen die Grünen die Ausbil-
dung stärken: »Trotz enormen Fachkräftemangels sinkt
die Zahl der jungen Menschen, die eine Berufsausbil-
dung beginnen. Gleichzeitig landen immer mehr in den
Warteschleifen des Übergangssystems. Die duale Ausbil-
dung muss auf sichere Beine gestellt werden.« Mit einer
Ausbildungsgarantie wollen sie allen jungen Menschen
den Beginn einer anerkannten Ausbildung ermöglichen
»und das Recht auf Ausbildung absichern«.
Schließlich wollen die Grünen »Bildung auf die Höhe
der Zeit bringen«. Dazu gehören »Schüler*innen, die
sich spielerisch, zum Beispiel durch Game-based Lear-
ning, kooperativ neue Inhalte erschließen«. Das kann
man so sehen, muss man aber nicht.
FDP:
Mehr Investitionen
und mehr Autonomie
Sprachlich ist die FDP mehr im Englisch- als im Deutsch-
unterricht zuhause: Da ist vom ‘German Dream’-Zu-
schuss, von ‘MakerSpaces’,Aufstiegsscouts’ und ‘Lear-
ning Analytics’ die Rede. Das kann man so machen,
muss man aber nicht.
Inhaltlich sind die Frei-
en Demokraten jedoch
erfreulich konkret und
an vielen Stellen sehr
klar. Zudem trägt das
bildungspolitische Bundesprogramm eine deutliche
nordrhein-westfälische Handschrift – so beim deutsch-
landweiten Ausbau der Talentschulen und bei der bun-
desweiten Einführung der Schulfächer Wirtschaft und
Informatik.
Die FDP fordert, einen Prozentpunkt des bestehenden
Mehrwertsteueraufkommens zusätzlich in Bildung zu in-
vestieren: »Dazu sollen sich Bund und Länder unter Ein-
beziehung der Kommunen in einem Staatsvertrag ver-
pflichten.« Das ermögliche zusätzliche Investitionen von
rund 2,5 Milliarden Euro in den Bildungssektor. Aus mei-
ner Sicht wäre das kein Cent zu viel. Zudem wollen die
Freien Demokraten die Autonomie der Schulen stärken
und ihnen mehr pädagogische, personelle und finanziel-
le Freiheiten geben. Jede Schule solle ein eigenes Bud-
get erhalten, über dessen Verwendung sie autonom ent-
scheidet. Gut so, denn wer wüsste besser, was die Schu-
le vor Ort voranbringt als der Experte vor Ort?
Als einzige der vier besprochenen Parteien legt die
FDP ein klares Bekenntnis zur Förderschule ab: »Die
Wahlfreiheit zwischen Regelunterricht und speziellen
Klassen beziehungsweise Schulen soll bei Eltern und ih-
ren Kindern liegen. Wir setzen uns daher für den Erhalt
dieser ein.« Ich persönlich teile die Auffassung, dass
Menschen mit Behinderung und Lernschwäche auch zu-
künftig eine Wahl zwischen Regel- und Förderschule ha-
ben sollten. Und dazu müssen unsere leistungsstarken
Förderschulen – um die wir mancherorts beneidet wer-
den – am Netz bleiben. Schließlich werben die Freien De-
mokraten für die Weiterentwicklung der Lehrerausbil-
dung zu einem dualen Lehramtsstudium, das Theorie-
und Praxisphasen von Beginn an eng miteinander ver-
zahnt. Eine Intensivierung der Praxisphasen in der ersten
Phase der Ausbildung würde zumindest die Wahrschein-
lichkeit erhöhen, dass den Lehramtsanwärterinnen und
-anwärtern in der zweiten Phase der Ausbildung erspart
bliebe, was die Psychologie den ‘Praxisschock’ nennt.
W
W
ie immer muss abgewartet werden, was von den
Vorhaben aus den Wahlprogrammen tatsächlich
umgesetzt wird und was unter den Tischen der Koaliti-
onsverhandlungen im Nirwana verschwindet. Nichtsdes-
totrotz: Das Gute an der Demokratie ist – man hat im-
mer eine Wahl.
Sven Christoffer ist Vorsitzender des
lehrer nrw
sowie Vorsitzender des HPR Realschulen
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
UNTER DER LUPE
lehrer nrw ·
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BRENNPUNKT
Der schulscharfe
Sozialindex
Durch die Einführung eines schulscharfen Sozialindexes plant
die Landesregierung in Zukunft, Ressourcen zielgenauer auf
die einzelnen Schulen verteilen und somit Schulen in beson-
ders herausfordernden Lagen besser unterstützen zu können.
D
D
er bestehende Kreissozialindex konn-
te als Instrument für die Ressourcen-
steuerung nicht funktionieren, da die
Voraussetzungen in einzelnen Schulen des-
selben Kreises bzw. derselben kreisfreien
Stadt alles andere als homogen waren.
Somit divergierten auch die tatsächlichen
Unterstützungsbedarfe enorm.
Das Landesinstitut QUALiS entwickelte
im Auftrag des Ministeriums für Schule und
Bildung NRW (MSB) in Kooperation mit der
Ruhr-Universität Bochum ein Modell, mit
dessen Hilfe die soziale Zusammensetzung
jeder einzelnen Schule individuell gemessen
und auf dessen Grundlage jeder Schule eine
Sozialindexstufe zugewiesen werden konn-
te. Ausgenommen von diesen Berechnungen
sind Privatschulen, Förderschulen und Schu-
len für berufliche Bildung.
Die Berechnung des
neuen Schulsozialindexes
Der Schulsozialindex wird mithilfe von vier
Indikatoren, die in einem statistischen Ver-
fahren (konfirmatorische Faktoranalyse) un-
terschiedlich gewichtet werden, berechnet.
Es gibt neun Sozialindexstufen, wobei Stu-
fe 1 einer geringen Belastung und Stufe 9
einer sehr hohen Belastung entspricht.
von SARAH WANDERS
Schulform Sozialindexstufe
Primarstufe
1 2 3 4 5 6 7 8 9 ohne Summe
Grundschule 644 823 529 300 175 145 70 14 4 8 2712
PRIMUS 3 2 5
Sekundarstufe
Hauptschule 1 7 25 40 35 32 27 7 4 1 179
Realschule 48 95 104 53 25 3 3 1 332
Sekundarschule 4 44 36 11 5 2 5 107
Gesamtschule 30 129 91 39 9 7 2 11 318
Gymnasium 260 186 45 10 1 1 1 504
Gemeinschaftsschule 1 1
Alle Schulen
Gesamtergebnis 987 1288 830 455 250 190 103 21 8 26 4158
Hinweis: Der schulscharfe Sozialindex wurde auf Basis der Amtlichen Schuldaten 2018/2019 berechnet. In der Tabelle sind insgesamt 26 Schulen ohne Sozialindexstufe ausgewiesen.
Diese wurden nach dem 31. Juli 2017 neu gegründet und konnten daher bislang noch keiner Sozialindexstufe zugeordnet werden.
Quelle: www.schulministerium.nrw/sozialindex
Anzahl der Schulen einzelner Schulformen in den jeweiligen Sozialindexstufen
BRENNPUNKT
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5/2021 ·
lehrer nrw
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende
des
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
Kinder und Jugendarmut:
Hier wird die
Dichte der SGB II-Quote im Einzugsgebiet der
Grundschulen gemessen. Dies liegt daran,
dass es hierzu in der amtlichen Schulstatistik
für die Sekundarstufe keine Daten gibt, die
herangezogen werden können.
Anteil der Schülerinnen und Schüler mit
vorwiegend nichtdeutscher Familiensprache:
Das große Problem bei diesem Indikator be-
steht darin, dass Eltern sich häufig scheuen an-
bzw. zuzugeben, dass zuhause kein Deutsch
gesprochen wird, um bei der Schule keinen
schlechten Eindruck zu hinterlassen, auch
wenn diese Befürchtungen vollkommen unbe-
gründet sind. Gerade fehlende Sprachkenntnis-
se beeinflussen häufig die schulischen Leistun-
gen der Schülerinnen und Schüler mit Migrati-
onshintergrund. Es steht also zu befürchten,
dass die Datengrundlage nicht valide ist.
Anteil der Schülerinnen und Schüler mit
eigenem Zuzug aus dem Ausland
Anteil der Schülerinnen und Schüler mit
Förderschwerpunkten Lernen, emotionale
und soziale Entwicklung und Sprache
Chancen und Probleme
Betrachtet man den Hinweis unter der Tabelle,
so wird deutlich, dass die Berechnungen nicht
auf den neuesten Daten beruhen. Gerade die
Anzahl der Gesamtschulen ohne Sozialindex-
stufe ist aufgrund vieler Neugründungen in
den vergangenen Jahren besonders hoch. Aus
diesem Grund ist eine jährliche Aktualisierung
der Berechnungen unerlässlich, damit die
Verteilung der Ressourcen nicht nur genau
berechnet, sondern auch gerecht ist.
Die Anwendung des Schulsozialindexes
sorgt allerdings nicht überall für Begeiste-
rung. Laut Auskunft durch das MSB wird es zu
Umverteilungen innerhalb einzelner Schulfor-
men, aber auch zu einer Umverteilung zwi-
schen den Schulformen kommen. Keiner gibt
angesichts des überall herrschenden Lehrkräf-
temangels gerne etwas ab. Wir alle wissen je-
doch auch, dass eine bloße Stellenzuweisung
noch keine Kolleginnen und Kollegen an der
einzelnen Schule generiert. Der Markt ist nach
wie vor leergefegt, zumindest in der Sekun-
darstufe I und in der Grundschule.
Stigmatisierung
Der Hauptpersonalrat für Lehrerinnen und
Lehrer an Realschulen hat sich gegenüber
dem MSB ausdrücklich dagegen ausgespro-
chen, die Sozialindexstufe jeder einzelnen
Schule zu veröffentlichen. Zum einen sagt
diese Stufe gar nichts darüber aus, wie gut
die Arbeit ist, die eine Schule leistet, zum an-
deren könnte eine Veröffentlichung zu einer
Stigmatisierung einzelner Schulen führen.
Somit würde man diese Schulen zwar durch
mehr Personal unterstützen, ihnen auf der
anderen Seite das Leben unnötig erschwe-
ren. Leider hat sich das MSB trotz dieser
Argumente dafür entschieden, die Daten zu
veröffentlichen, da man sich einer Veröffent-
lichung auf Anfrage ohnehin nicht verwei-
gern könne. Bleibt nur zu hoffen, dass die
befürchteten Konsequenzen ausbleiben.
Foto: AdobeStock/hobbitfoot
Komplexes Konstrukt
mit Fehlerpotenzial:
Aus der heterogenen Gruppe
der Schülerschaft wird an-
hand sozialer, familiärer und
soziokultureller Rahmenbe-
dingungen ein Sozialindex ge-
bildet, der über die Verteilung
von Ressourcen entscheidet.
lehrer nrw ·
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SERIE HAUPTSCHULEN
Die vergessene
Schulform
I
n Nordrhein-Westfalen gibt es (immer noch) 175 Hauptschulen,
rund 6300 Hauptschul-Lehrkräfte und über 52000 Hauptschüler.
Und doch bewegt sich die Hauptschule in der öffentlichen Wahrneh-
mung und beim Image unter dem Radar. Aber gerade in Zeiten, da
Schlagworte wie Fachkräftemangel, individuelle Förderung oder Inte-
gration die (schul-)politische Diskussion prägen, kann die Haupt-
schule ihre Stärken ausspielen. Höchste Zeit also, die vermeintlich
vergessene Schulform wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein zu
rücken.
lehrer nrw
tut dies zum einen
mit einer Serie, in der wir in loser Folge
Hauptschulen vorstellen, die mit innova-
tiven Konzepten und guter Arbeit erfolg-
reich sind. Zum anderen leistet
lehrer
nrw
mit dem Referat Hauptschulen
Überzeugungsarbeit. Referatsleiterin
Kerstin Thomsen, selbst Hauptschulleh-
rerin mit Leidenschaft, stellt ihre Ziele
im Kurzinterview vor.
Warum Hauptschule?
Weil hier das Kind als Mensch im Vor-
dergrund steht und nicht als Produzent
von Leistungen. Leistung ist wichtig, darf aber nicht der absolute
Maßstab sein. Es geht zum Beispiel auch um soziale Fähigkeiten und
Persönlichkeitsentwicklung. Die Hauptschule legt den Fokus auf Fä-
higkeiten, die an anderen Schulformen gar keine oder nur eine unter-
geordnete Rolle spielen, etwa handwerkliche oder kreative Fertigkei-
ten. Und schließlich: Die Hauptschule ist ein überschaubares System,
in der die Lehrkräfte alle Schüler kennen und umgekehrt. Diese fami-
liären Strukturen tun den Kindern gut. Viele wären in großen Syste-
men überfordert.
Sie selbst waren zwischenzeitlich an einer anderen Schulform,
sind aber zur Hauptschule zurückgekehrt. Warum?
Mir gefällt die Mischung aus Pädagogik, Erziehung und Bildung, für
die die Hauptschule steht. Mir gefällt der hohe Praxisbezug, den kei-
ne andere Schulform bietet. Mir gefällt, dass die Hauptschule viele
Anschlussmöglichkeiten bietet – sowohl in Richtung Ausbildung und
Beruf wie auch in Richtung einer fortgesetzten Schullaufbahn mit
Realschulabschluss. Kurz gesagt: Die Hauptschule ist meine Schul-
form.
Sind Sie optimistisch, was die Zukunft der Hauptschulen angeht?
Jein. Politisch genießt die Hauptschule schon seit Jahren keine Priori-
tät. Andererseits bin ich überzeugt: Eine Einheitsschule funktioniert
nicht. Meinem Empfinden nach besinnen sich gerade viele Eltern zu-
rück auf die Hauptschule. Ich bin gespannt.
Kerstin Thomsen,
Leiterin des Referats
Hauptschulen
im
lehrer nrw
Foto: privat
AAuuff--
eerrssttaannddeenn!!
F
F
ür eine Schule, die fast schon tot war,
macht die Martin-Luther-King-Haupt-
schule einen ziemlich lebendigen Ein-
druck. Tatsächlich war die Schule schon aus-
laufend gestellt. Die neue Schulleiterin Bar-
bara Kreimer war gerade einen Monat im
Amt, als Schulausschuss und Rat der Stadt
Ende 2018 die Gründung einer neuen Ge-
samtschule in einem anderen Velberter
Stadtteil beschlossen – verbunden mit der
Auflage, die Hauptschule zu schließen. Statt
zu gestalten, sollte Barbara Kreimer ihre
neue Schule abwickeln.
Wiederaufnahme
des Schulbetriebs
Doch die Pläne der Kommunalpolitiker und
der Bezirksregierung bestanden den Praxis-
test nicht. Infolge des Aufnahmestopps an
Wie wichtig Hauptschulen für das Schulsystem sein
können, zeigt die Martin-Luther-King-Hauptschule
(MLKS) in Velbert eindrucksvoll. Die Schule, die
schon kurz vor der Schließung stand, ist wieder re-
aktiviert worden und bietet mit Schwerpunkten
auf Berufsorientierung und Montessori-Pädagogik
gut 300 Schülerinnen und Schülern eine Heimat.
SERIE HAUPTSCHULEN
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lehrer nrw
der MLKS platzte die Velberter Realschule
aus allen Nähten, und auch die Gesamt-
schule Velbert-Mitte hatte nur begrenzte
Kapazitäten. »Wir haben perspektivisch
stark wachsende Schülerzahlen in Velbert.
Viele Kinder haben erhöhten Förderbedarf,
viele haben einen Migrationshintergrund.
Einige Kinder aus zugewanderten Familien
sind noch nicht alphabetisiert«, erklärt die
Schulleiterin. Dieser Schülerklientel könnte
ein überschaubares System wie eine Haupt-
schule einen idealen Förderort bieten. Das
sah auch die Stadt als Schulträgerin ein und
stellte in Abstimmung mit der MLKS einen
Antrag auf Wiederaufnahme des Schulbe-
triebs ab Klasse 5. Die Bezirksregierung
sträubte sich zunächst, doch das Schulmi-
nisterium gab schließlich grünes Licht.
Montessori-Zweig mit
großer Resonanz
Das Ergebnis: Die Martin-Luther-King-
Hauptschule ist buchstäblich wiederaufer-
standen. Zum aktuellen Schuljahr begrüßte
Barbara Kreimer mit ihrem Kollegium 50
Fünftklässler und 26 Siebtklässler, die nach
der Orientierungsstufe von der Realschule
an die Hauptschule gewechselt sind. Barba-
ra Kreimer ist nicht mehr Abwicklerin, son-
dern wieder Gestalterin. Die Schulleiterin,
selbst seit über zwanzig Jahren Montessori-
Pädagogin, rief einen Montessori-Zweig ins
Leben. Von den beiden neuen fünften Klas-
sen läuft eine als Regelklasse und die ande-
re als Montessori-Klasse. Das kommt an:
»Montessori ist für viele Eltern ein Argu-
ment: Wir hatten mehr Interessenten für den
Zweig, als wir aufnehmen konnten«, berich-
tet Barbara Kreimer.
Warum sich die Hauptschule für diesen
reformpädagogischen Ansatz eignet?
»Montessori setzt auf Handlungsorientie-
rung«, erklärt die Pädagogin. »Wenn Schü-
ler zum Beispiel kein ausgeprägtes Zahlen-
verständnis haben, machen wir die Zusam-
menhänge anhand von Materialien plasti-
scher und buchstäblich ’be-greifbar’. Viele
Kinder haben Talente und Fähigkeiten, die
im üblichen Schulbetrieb oft nicht entdeckt
werden. Das ist für die Schülerinnen und
Schüler frustrierend. Bei uns haben sie Er-
folgserlebnisseAuch das Kollegium zieht
mit: Drei Kolleginnen absolvieren derzeit
parallel zu ihrer Unterrichtsverpflichtung
eine Montessori-Ausbildung.
Schwerpunkt
Berufsorientierung
Eine Besonderheit der Martin-Luther-King-
Hauptschule ist auch der ausgeprägte
Schwerpunkt Berufsorientierung. Potenzial-
analysen und trägergestützte Berufsfelder-
kundungen in Klasse 8 so-
wie Langzeitpraktika und
Praxiskurse in den Klassen
9 und 10 gehören unter an-
derem zum Konzept. Im
schuleigenen Berufsorien-
tierungsbüro können sich
Schüler und Eltern infor-
mieren und beraten lassen.
Dafür sind die Koordinato-
ren für Berufliche Orientie-
rung, Christoph Lehmann,
Frank Homberg und Mu-
hammed Celik zuständig.
Dieses Team unterstützt
und begleitet angehende
Hauptschulabsolventinnen und -absolventen
rund um den Wechsel ins Berufsleben – vom
Bewerbungstraining über die Teilnahme an
Azubi-Speed-Dating-Veranstaltungen der
Wirtschaft bis hin zur Vorbereitung und
Durchführung der ’Schüler online’ Anmel-
dung am Berufskolleg. Als wichtiger Be-
standteil gilt auch das Elterncafé, in dem
sich Eltern über die duale Ausbildung infor-
mieren können und Vorurteile abgebaut
werden.
Die Kinder jedenfalls fühlen sich wohl an
ihrer Martin-Luther-King-Hauptschule. Bar-
bara Kreimer und ihr Kollegium möchten
ihren Schülerinnen und Schülern das Gefühl
vermitteln: »Wir schauen, was Du kannst
und bauen deine Fähigkeiten weiter aus
Jochen Smets
Individuelle Förderung, hier im Computerraum, ist
zugleich Prinzip und Stärke der Martin-Luther-King-Hauptschule.
Wieder da: Die Martin-Luther-King-
Hauptschule in Velbert
hat Schüler und Eltern
mit ihrem Konzept überzeugt.
Fotos (2x): Smets
Ein Konzept
muss her !
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne regelmäßig
Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag. Diesmal geht es um die Frage,
was wir der heranwachsenden Generation noch zumuten wollen.
N
N
eulich beunruhigte mich eine dpa-
Meldung, in der mitgeteilt wurde,
dass etwa 30000 Schüler in Nord-
rhein-Westfalen in Quarantäne sind. Nach
nunmehr eineinhalb Jahren im Rückblick
aus Sicht einer kinder- und jugendpsychi-
atrischen Praxis muss jetzt wirklich ein
Konzept für Schulen, für Kinder und Ju-
gendliche her. Im Laufe der letzten einein-
halb Jahre haben wir in der Praxis wie
auch sicherlich Sie in der Schule Kinder
und Jugendliche erlebt, die in ihrer Ent-
wicklung deutlich zurückgeworfen wur-
den. Schulängstliche Kinder, die nach lan-
ger Abstinenz wieder Fuß gefasst hatten
mussten entweder in Quarantäne oder
waren vom Lockdown betroffen.
So subsumieren sich viele kleine Ge-
schichten aus einem Großen und Ganzen.
Was man üblicherweise im wirtschaftli-
chen Denken als Lieferketten beschreibt,
sehen wir hier in der Praxis als Unterbre-
chung der Entwicklungsketten bei vielen
Kindern und Jugendlichen. Auch Kindergar-
tenkinder, die jetzt eingeschult wurden,
weisen zum Teil erhebliche Entwicklungs-
rückstände auf. All dies ist publiziert und
gut untersucht. Doch was machen wir da-
raus? Manchmal erwische ich mich bei
dem Gedanken, was wäre eigentlich, wenn
es in Schulen, zumindest in Grundschulen,
keine Maskenpflicht mehr gäbe, keine Ab-
standsregeln und dass alles so wäre wie
früher? Wäre das unser Untergang? Wel-
che Risiken sind wir bereit, in Kauf zu neh-
men und die Maßnahmen verhältnismäßig
abzuwägen? Schaut man in manche euro-
päischen Nachbarländer, so scheint es dort
einen größeren Nutzen für die zukünftige
Generation zu geben bezüglich ihrer ko-
gnitiven und emotionalen Entwicklung, als
dass es einen Schaden im Sinne einer er-
heblichen Hospitalisierung oder Todesfälle
gibt.
Ich glaube, wir nähern uns einem Kipp-
punkt, an dem wir uns entscheiden müs-
sen: Erstens, wie wir miteinander leben
wollen. Und zweitens, was wir unserer zu-
künftigen Generation noch zumuten wol-
len. Diejenigen von uns Erwachsenen, die
sich schützen möchten mit einer Impfung,
können dies mittlerweile in einer Art So-
fortzustand in Anspruch nehmen. Diejeni-
gen, die noch ein wenig zurückhaltend
sind, aus was für Gründen auch immer,
können sich entsprechend vorsichtig ver-
halten. Hier geht es nicht um besser oder
schlechter, um moralisch oder nicht mora-
lisch oder um solidarisch oder nicht solida-
risch, sondern es kann nur darum gehen,
in einen wohlwollenden gemeinsamen Dis-
kurs zu treten und den Zustand in Schulen
wie auch in Kindergärten bei geringen
Hospitalisierungsraten von knapp vierzehn
Millionen unter Achtzehnjährigen in
Deutschland wieder in ein ’Zurück zu Frü-
her’ zu bringen. Sonst erwarte ich in naher
Zukunft eine Entwicklungskrise in erhebli-
chem Ausmaß bei vielen Kindern und Ju-
gendlichen.
Ach so, nebenbei bemerkt, ich bin in
voller Blüte Optimist.
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan
Battel
ist seit 2007
niedergelassener
Facharzt für Kinder-
und Jugendpsychia-
trie und -psychothe-
rapie mit eigener
Praxis in Hürth bei
Köln und seit 2012
systemischer Famili-
entherapeut (DGSF).
Im Rahmen des
lehrer nrw
-Fortbil-
dungsprogramms
greift er in einer Vor-
tragsreihe regelmä-
ßig verschiedene
Themen aus dem
Bereich der Jugend-
psychologie auf.
Foto: Andreas Endermann
Ausschließlich für Mitglieder von
lehrer nrw
bietet Dr. Stefan Battel
einmal pro Woche eine Telefonsprechstunde an. Lehrkräfte, die Infor-
mation, Rat und Hilfe im Umgang mit schwierigen Schülern oder Eltern
brauchen oder selbst in einer psychisch belastenden beruflichen Situa-
tion stecken, können dieses Angebot nutzen.
Die Hotline ist jeden Dienstag von 15 Uhr bis 16 Uhr freigeschaltet
und unter der Telefonnummer 0 22 33 / 961 01 20 erreichbar.
lehrer nrw ·
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10
BATTEL HILFT
TITEL
SScchhuulleenn
iimm
AAuussnnaahhmmeezzuuss
ttaanndd
A
llein in Nordrhein-Westfalen meldeten
175 Schulen inklusive zwei Zentren
für die schulpraktische Lehrerausbildung
kleinere bis große Schäden. Wie das NRW-
Schulministerium am 18. August zum
Schuljahresbeginn meldete, konnten 98
Schulen am ersten Schultag uneinge-
schränkt starten. Die restlichen 75 Schulen
konnten ebenfalls den Unterrichtsbetrieb
aufnehmen, jedoch mit Einschränkungen.
Der Schulbeginn brachte für Schüler und
Lehrkräfte in den Flutgebieten ein Stück
Normalität zurück, doch es zeigte sich
auch, wie viel Trauer und seelisches Leid
die Katastrophe verursacht hat.
Unzählige Menschen, darunter auch
Mitglieder von
lehrer nrw
, haben vor Ort
angepackt und bei den Aufräum- und In-
standsetzungsarbeiten geholfen. Viele
Menschen haben ihre Anteilnahme durch
Geld- und Sachspenden gezeigt, um die
größte Not in den betroffenen Gemeinden
und Familien zu lindern. Auch
lehrer nrw
wird einen größeren Geldbetrag für die
Opfer der Flutkatastrophe spenden.
Foto: Marcel Werner
Als ob die Schulen nicht schon durch die Corona-Pande-
mie geplagt genug gewesen wären: Mitte Juli sorgte eine
beispiellose Flutkatastrophe im südlichen Nordrhein-
Westfalen und im nördlichen Rheinland-Pfalz für unendli-
ches Leid und kaum bezifferbare Schäden an der Infra-
struktur – auch an Schulen.
Das Wasser ist zurückgewichen
was bleibt, ist totale Zerstörung:
Blick auf Ahrweiler nach der Flut.
TITEL
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lehrer nrw
»Die Schulfamilie trägt uns«
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli geht in Ahrweiler die Welt
unter. Das beschauliche Flüsschen Ahr tritt über die Ufer und wird
zum reißenden Strom. Die Zerstörungen sind katastrophal. Auch
die Philipp Freiherr von Boeselager Realschule plus ist betroffen.
Schulleiter Timo Lichtenthäler, zugleich Vorsitzender des Verban-
des Reale Bildung Rheinland-Pfalz, spricht im Interview mit
lehrer
nrw
über Verzweiflung und Zerstörung, Mut und Hoffnung.
Wie haben Sie die Nacht
der Katastrophe erlebt?
LICHTENTHÄLER: Ich habe am späten
Abend des 14. Juli gegen 23 Uhr noch mit
unserem Hausmeister telefoniert, der zuver-
sichtlich war, dass unsere Schule glimpflich
davonkommt. Nur eine Stunde später stand
das Gebäude komplett unter Wasser. Am
nächsten Morgen bot sich uns ein Bild tota-
ler Zerstörung. Unsere Schule besteht aus
vier Einzelgebäuden. Alles, was in den Erdge-
schossen war, ist nicht mehr existent. Eines
der vier Gebäude ist völlig zerstört und muss
abgerissen werden. Auch unsere Turnhalle ist
massiv beschädigt.
Wie waren die Reaktionen in der Schü-
lerschaft und im Lehrerkollegium?
LICHTENTHÄLER: Zunächst einmal sind wir
dankbar und erleichtert, dass alle unserer
650 Schülerinnen und Schüler und alle unse-
rer 52 Lehrkräfte die Katastrophe überlebt
haben und zumindest körperlich unversehrt
sind. Natürlich waren alle emotional extrem
aufgewühlt. Elf unserer Lehrkräfte und etwa
ein Drittel der Schülerinnen und Schüler ha-
ben alles verloren. Sie haben kein Zuhause
mehr. Es wird dauern, bis diese Katastrophe
psychisch einigermaßen verarbeitet ist. Wir
haben aktuell bis zu sechs Schulpsychologen
und Krisenseelsorger an unserer Schule im
Einsatz. Das hilft sehr.
Welche Rolle spielt die Schulfamilie
in dieser Situation?
LICHTENTHÄLER: Eine unschätzbar wichti-
ge. Viele haben in den ersten Stunden und
Tagen eine unsagbare Trauer, Fassungslosig-
keit und Machtlosigkeit empfunden. Aber al-
le haben schnell die Ärmel hochgekrempelt
und angepackt. Da ist ein tiefes Zusammen-
gehörigkeitsgefühl entstanden – im Ort und
ganz besonders auch in unserer Schule. Die
Schulfamilie trägt uns.
Die Katastrophe kam quasi mit Beginn
der Sommerferien in Rheinland-Pfalz.
Gut sechs Wochen später sind Sie ins
neue Schuljahr gestartet. Wie haben Sie
das geschafft?
LICHTENTHÄLER: Uns war es extrem wich-
tig, als Schulfamilie zusammenzubleiben und
gemeinsam ins neue Schuljahr gehen zu
können. Wir wollten nicht auf andere Schu-
len und Gemeinden verteilt werden. Darum
sind wir froh und dankbar, dass es uns zu-
sammen mit dem Schulträger und einem
Unternehmen aus Andernach gelungen ist,
16 Container zu beschaffen, die wir für die
Dauer der Sanierung als Klassenräume nut-
zen. Da die Obergeschosse der verbliebenen
Gebäude weiter nutzbar sind, können wir so
den Schulbetrieb sicherstellen. Die Stunden-
zahl ist gleich geblieben, aber da die über-
wiegend in den Erdgeschossen befindlichen
Werk- und Fachräume nun zerstört sind, ha-
ben wir den Wahlpflichtbereich etwas zu-
rückgeschraubt und dafür die Stundenanteile
in Deutsch, Mathe und Englisch erhöht. Das
hilft uns nebenbei, die Defizite aufzuarbei-
ten, die in den Corona-Lockdowns entstan-
den sind.
Wie geht es weiter?
LICHTENTHÄLER: Wir rechnen damit, zwei
Schuljahre auf einer Baustelle zu verbringen.
Aber alle sind dankbar, dass uns das schuli-
sche Miteinander ein wenig Normalität gibt.
Die Grundstimmung ist positiv.
SPENDENKONTO
Um den Familien der Schülerinnen und Schüler zu helfen, die besonders schlimm von der
Flutkatastrophe betroffen sind, hat der Förderverein der Boeselager-Realschule ein Spen-
denkonto eingerichtet:
Förderverein Boeselager-Realschule Ahrweiler
Überweisungszweck: Hochwasserhilfe Boeselager-Realschule
Bank: KSK Ahrweiler · IBAN: DE66 5775 1310 0000 8146 32 · BIC: MALADE51AHR
Um kurz vor Mitternacht blieb die Zeit stehen,
wie die Uhr an der Wand zeigt: Blick in ein verwüstetes Klassen-
zimmer der von Boeselager Realschule plus in Ahrweiler.
Foto: Ralf Breuer
Sechzehn Container dienen als
provisorische Klassenräume.
Foto: Timo Lichtenthäler
lehrer nrw ·
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TITEL
S
S
o erging es einer jungen Lehramts-
studentin aus dem Ahrtal. Die Kata-
strophe, die sich Mitte Juli ereignete,
zerstörte das Leben vieler Familien. Häuser
wurden von den Fluten mitgerissen oder bis
auf die Grundmauern zerstört. Die
gesamte Infrastruktur ist in einem Zustand
wie nach einem Krieg, es gibt kaum noch in-
takte Bildungsstätten, Ärztehäuser, Pflege-
heime oder Einkaufsmöglichkeiten. Das
Strom-, Wasser und Gasnetz wird auch in
den Wintermonaten noch nicht wieder her-
gestellt sein. Viele Schülerinnen und Schüler
können aufgrund eines Umzugs nicht in ihre
notdürftig hergerichteten Schulen zurück-
kommen, um das Erlebte mit der Hilfe ihrer
Lehrerinnen und Lehrer sowie ihrer Schulka-
meradinnen und -kameraden zu verarbeiten.
Das Ausmaß der Zerstörung ist gar nicht
in Worte zu fassen. In der Nacht vom 14. auf
den 15. Juli wurden nicht nur die Existenzen
vieler Menschen zerstört, sondern auch ihre
Psyche. Schnell war klar: Auch wir als Leh-
rerverband möchten uns gerne solidarisch
zeigen. Bei der Suche nach einer passenden
Spendenaktion sind wir auf den kleinen Pa-
derborner Stadtteil Elsen gestoßen. Dieser
hat es sich zur Aufgabe gemacht, zwei Fa-
milien aus dem Ahrtal, die es besonders hart
getroffen hat, mit finanziellen Spenden zu
helfen. Daher entschloss sich der Stadtteil,
eine Art Patenschaft für die Familien Pütz
und Josten zu übernehmen und diese gezielt
beim Wiederaufbau zu unterstützen. Die
Häuser von Familie Pütz und Familie Josten
wurden von den Fluten so hart getroffen,
dass sie kernsarniert werden müssen. Leider
werden die Schäden beider Familien nicht
von den Versicherungen übernommen, und
die finanziellen Belastungen sind enorm.
An ein normales Leben im Ahrtal ist noch
lange nicht zu denken, aber für Familie Pütz
mit den beiden Kindern Malte (8 Jahre) und
Christian (7 Jahre) steht fest: Wir möchten
unser kleines Paradies, in dem wir lebten,
für unsere Kinder wieder aufbauen. Auch
Familie Josten möchte ihre kleine Pension
wieder errichten, in der Hoffnung, dass das
Ahrtal in ferner Zukunft wieder erblüht und
viele Touristen in die Weindörfer lockt.
Besuchen Sie die Internetseite zur Spen-
denaktion:
www.elsenhilft.de und erfah-
ren Sie mehr über die Familien, denen Sie
mit einer kleinen Geldspende unter die Ar-
me greifen können. Denn ein wichtiger Bau-
stein zur Traumabewältigung ist die Hilfsbe-
reitschaft, die die Menschen vor Ort erleben,
sei es durch Manpower, Gespräche oder
Geldspenden. Helfen Sie mit, den Aufbau
der beiden Familien zu unterstützen!
Empfänger: ’Flutopfer’.
IBAN: DE48 4726 0234 9247 0498 01
(Volksbank Elsen Wewer Borchen)
Nach der Flut türmen sich Berge von
zerstörten Möbeln und sonstigem
Hausrat zur Abholung auf den Straßen.
Foto: Marcel Werner
Foto: privat
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: werner@lehrernrw.de
von MARCEL WERNER
»Ich hatte Todesangst, das Wasser
stieg immer schneller, und meine
jüngere Schwester und
ich wussten nicht,
wohin wir uns retten sollten …«
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe
junge lehrer
nrw
. Er selbst wohnt in der Nähe des Ahrtals, das besonders
schwer von der Katastrophe getroffen wurde, hat dort viele
Bekannte. In den Tagen und Wochen nach der Flut gehörte er
zu den freiwilligen Helfern vor Ort.
Blick in ein verwüstetes
Privathaus im Ahrtal.
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Generation Corona
Was Schülerinnen und Schüler jetzt dringend brauchen
Verpasste Chancen, verpasste Freundschaften
Corona hat vor allem die junge Generation schwer getroffen. Eine Autorin
der Süddeutschen Zeitung bringt das so auf den Punkt: »Wenn wir ein Auf-
holprogramm brauchen, dann wirklich nur eines: im Unbeschwertsein.«
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M
ehrere totale Lockdowns, Homeschooling,
Wechselunterricht, Schulbesuch nur mit
Gesichtsmasken und strengen Hygiene-
vorschriften, Unterricht mit großen Abständen, an-
fängliche Überforderung mit Videokonferenzen und
digitalen Unterrichtsmaterialien: Diese Liste könnte
fast beliebig fortgesetzt werden. Kurz gesagt: Unsere
Schülerinnen und Schüler haben nun eineinhalb
Horrorjahre hinter sich. Denn auch ihre Freizeit
konnten sie Corona-bedingt nicht wie gewohnt erle-
ben und gestalten. Zurecht schreibt Sara Maria Beh-
behani daher in der Süddeutsche Zeitung unter
dem Titel »Wir, Generation Corona« über die Situati-
on der Jugendlichen: »Statt die Welt zu erkunden,
saßen sie zu Hause. Statt Liebe zu suchen, hielten sie
Abstand. Die Pandemie hat Europas Jugend vieles
genommen, was Jungsein ausmacht.«
i
Die Erfahrungen der Generation Corona
Sehr eindringlich führt die Autorin in dem SZ-Bericht
die Lage der Jugendlichen weiter aus: »Zum Er-
wachsenwerden gehört dazu, noch nicht wissen
Foto: Tijana/AdobeStock
zu müssen, wer man ist und wer man sein will. Den Ort
erst noch finden zu dürfen, an den man gehört. Nur was,
wenn die Suche schon wieder vorbei ist, noch bevor
man auch nur eine Chance hatte, irgendwo anzukom-
men? Die Pandemie hat alles ins Gegenteil verkehrt,
was Erwachsenwerden ausmacht: Statt sich näher zu
kommen, mussten wir Abstand halten. Grenzen respek-
tieren, statt sie zu überschreiten, zu Hause bleiben, statt
raus in die Welt zu laufen…«
ii
Um diese allgemeinen Aussagen noch plausibler zu
machen, möchte ich kurz von einer Erfahrung mit einer
neunten Klasse erzählen, die ich in Religion am Gymna-
sium unterrichtete – ein knappes Jahr vor Beginn der
Pandemie. Es war Wandertag Anfang Juni. Zu Fuß wa-
ren wir zum nahe gelegenen See marschiert. Dort gab es
am Ufer auf einem Hügel einen Feuerplatz. Am Morgen
hatte ich mit dem Auto einen Kofferraum voll Holz hin-
gebracht. Nach dem Anbrennen des Feuers packten al-
le Schüler ihr mitgebrachtes Grillgut aus, spießten es auf
kleine Äste und hielten ihre Würste ins Feuer. Auch ein
Brotteig wurde über der Glut gebacken. Kartoffel wurden
in Alufolie gewickelt und ebenfalls in die Glut gelegt.
Die ganze Klasse fühlte sich wohl und saß während des
Essens um das Feuer herum.
Danach gab es am nahegelegenen Bolzplatz ein Fuß-
ballspiel, bei dem es die Jungs wissen wollten, wer die
coolere, stärkere, witzigere Mannschaft ist. Die Mädchen
feuerten sie begeistert an. Später wurde am Feuer in klei-
nen Gruppen geratscht, gechillt und viel gelacht, bevor
es nach Löschen der Flammen wieder zurück ans Gym-
nasium ging. Dieser Ausflug an den See blieb vielen
Schülern in sehr guter Erinnerung, die Klassengemein-
schaft wurde dadurch gestärkt, es konnte endlich ein-
mal gemeinsam verweilt werden – ohne den üblichen
Leistungsdruck an der Schule.
»Wir brauchen ein Aufholprogramm
fürs Leben«
Leider fanden solche Veranstaltungen jetzt zwei Sommer
lang nicht mehr statt. Und es gab in dieser Zeit auch so
viele private Treffen in der Freizeit der Schüler nicht, von
einem normalen Unterricht ganz zu schweigen. Viel-
leicht kann man die Lernrückstände aus den vergange-
nen Monaten wieder etwas ausgleichen. Denn nach Ein-
schätzung von Lehrerverbänden haben 20 bis 25 Pro-
zent der Schüler Corona-bedingt nun größere Lücken im
Lernstoff. Zur Förderung von Kindern und Jugendlichen
wurde von der Bundesregierung deshalb im Mai ein
zwei Milliarden Euro starkes ’Aktionsprogramm Aufholen
nach Corona’ verabschiedet, um Lernrückstände auszu-
gleichen und die psychosoziale Belastung von Kindern
und Familien aufzufangen: »Mit dieser Unterstützung
sollen Kinder und Jugendliche nach der Pandemie die
bestmöglichen Chancen auf gute Bildung und persönli-
che Entwicklung erhalten.«
iii
Aber kann man auch Blockaden in der psychischen
Entwicklung so einfach aufholen wie Lernrückstände?
Wenn man vor diesem Hintergrund die Persönlichkeits-
entwicklung unserer Jugend insgesamt betrachtet, die
durch die Corona-Pandemie in so vielen Fällen massiv
gelitten hat, klingen für mich die Aussagen der Autorin
in obigem Zeitungsbericht gar nicht mehr so provozie-
rend, sondern irgendwie auch verständlich und berech-
tigt, weil sie den tiefen Schmerz von Jugendlichen aus-
drücken:
»Wir brauchen kein Aufholprogramm fürs Lernen. Wir
brauchen ein Aufholprogramm fürs Leben. Ein Aufhol-
programm für ein Jahr verpasste Chancen und ein Jahr
verpasste Freundschaften… Wir brauchen ein Kontingent
an Tagen, an denen wir schwänzen dürfen, an den
Schulen, an den Unis, in den Firmen, weil wir, statt zu ler-
nen oder zu arbeiten, jetzt erst mal ins Schwimmbad ge-
hen müssen. An den See fahren, alle zusammen, in die
Berge wandern, oder einfach nur einen Sommer lang
auf der Picknickdecke liegen, ganz nah beieinander…
Wenn wir ein Aufholprogramm brauchen, dann wirklich
nur eines: im Unbeschwertsein.«
iv
Ich hoffe, dass viele Jugendliche in den Sommerferien
mittlerweile ein wenig von dem erleben und ein Stück
weit nachholen konnten, was die junge Autorin Ende
Mai gefordert hatte.
Bekommen wir eine
»verlorene Generation Corona«?
Eine solche Prognose ist nach eineinhalb Jahren Coro-
na-Einschränkungen an den Schulen noch zu früh. Aber
die Situation von jungen Menschen verdient endlich
gesellschaftliche Beachtung und Anerkennung. Bevor
man sie vorschnell als eine »verlorene Generation« ab-
stempelt, sollte man abwarten und beobachten, welche
Resilienzfähigkeit in unseren Jugendlichen steckt.
Unbeachtet dessen sollten in diesem Zusammenhang
aber Studien wie die des Universitätsklinikums Ham-
burg-Eppendorf Beachtung finden, in der im Zeitraum
Dezember 2020 bis Januar 2021 über tausend Kinder
und Jugendliche befragt wurden. Das erschütternde Er-
gebnis: Bei fast jedem dritten Jugendlichen sind Corona-
bedingte psychologische Auffälligkeiten zu beobachten:
depressive Symptome, psychosomatische Folgen wie
Magen- oder Kopfschmerzen. In einer österreichischen
Studie im Frühjahr 2021 mit 3000 befragten Jugendli-
chen wurden bei mehr als der Hälfte von ihnen eben-
16
5/2021 · lehrer nrw
falls eine depressive Symptomatik, bei sechzehn
Prozent sogar regelmäßige suizidale Gedanken fest-
gestellt.
v
Vor dem Hintergrund der psychologischen Ent-
wicklung von Kindern und Jugendlichen muss die
Lage unserer Schüler leider auch so beschrieben
werden: Der natürliche Initiations-Prozess, d.h. die
Entwicklung von der Kindheit ins Jugendalter und
von der Adoleszenz ins Erwachsensein etwa wäh-
rend der gymnasialen Schulzeit, hat bei vielen
Schülern doch eine merkliche Schlagseite oder zu-
mindest eine deutliche Verzögerung erfahren. Denn
der regelmäßige Kontakt mit Gleichgesinnten au-
ßerhalb des Elternhauses ist entscheidend für diese
beiden Entwicklungsprozesse, die eine schrittweise
Ablösung von den Eltern und zugleich den organi-
schen Aufbau eines eigenen Bekannten- und Freun-
deskreises bedeuten. Und diese natürlichen Kontak-
te haben nun seit eineinhalb Jahren fast ganz ge-
fehlt.
Nicht noch einmal Wechsel-
oder Distanzunterricht
Auf keinen Fall darf es daher im neuen Schuljahr
nochmals Wechselunterricht oder gar Homeschoo-
ling geben. Entlüftungsgeräte in jedem Klassenzim-
mer, weiterhin die Einhaltung der Hygienevorschrif-
ten, regelmäßige Tests, sowie die Forcierung von
Impfungen auch für Zwölf- bis Achtzehnjährige soll-
ten daher jetzt oberste Priorität haben, nachdem die
’Stiko’ vor kurzem dafür endlich grünes Licht gege-
ben hat. Für die Impfung ihrer Kinder sollten auch
möglichst viele Eltern überzeugt werden – als klei-
neres Übel, um eben einen neuen Lockdown oder
einen Wechselunterricht zu vermeiden.
Zu den angesprochenen Fördermitteln des Bun-
des: Ich kann mich den Forderungen von Sven
Christoffer, dem Vorsitzenden von ’lehrer nrw’ nur
anschließen, der die konsequente Umsetzung und
sinnvolle Einsetzung der in Aussicht gestellten Bun-
desmittel aus dem ’Aktionsprogramm Aufholen
nach Corona’ fordert, das folgende Schwerpunkte
enthält: Neben dem Abbau von Lernrückständen
sollen etwa durch Freiwilligen-Dienstleistende und
zusätzliche Sozialarbeit auch außerschulische Ju-
gendarbeit und Angebote der Kinder- und Jugend-
hilfe gefördert werden.
Dabei sollte aber die Schule der erste und eigent-
liche Ort sein, um die kognitive, emotionale und so-
ziale Entwicklung der Schüler bestmöglich zu för-
dern – im Unterricht und in außerunterrichtlichen
Angeboten der Schulen. Die Verankerung der Aus-
gaben im System der Schule kann Schnellschüsse
und eine nur vordergründige, letztlich aber ineffek-
tive Verpuffung dieser Mittel verhindern, sowie ei-
nen notwendigen Beitrag zu einer möglichst nach-
haltigen Aufarbeitung der Pandemiefolgen leisten.
vi
Die Königsaufgaben der Lehrkraft
sind jetzt gefragt
Im neuen Schuljahr ist hoffentlich der normale Prä-
senzunterricht in voller Klassenstärke wieder die Re-
gel. Wie nach einem heftigen und lang andauern-
den Sturm können dann die Schäden besichtigt
und anschließend beseitigt werden, die die Corona-
Pandemie bei den Schülern angerichtet hat – be-
züglich ihres Wissensstandes und psychisch. Das
Ausmaß der Defizite ist jedoch zunächst nur schwer
abschätzbar.
Es wird sicher eine Herkulesaufgabe sein, in den
einzelnen Schulen spezielle Kurse zum Aufholen der
Lernrückstände einzurichten und den davon am
meisten betroffenen Kindern zu empfehlen, daran
auch teilzunehmen. Denn diese Kurse müssen dann
von diesen ja zusätzlich zum normalen Unterricht
belegt werden. Dies verlangt viel Geduld und Ein-
fühlungsvermögen bei uns Lehrern, die Schüler auf
diesem »Weg des Lernens« zu begleiten.
Mindestens ebenso wichtig finde ich es jedoch,
unsere Schülerinnen und Schüler aus Versagens-
ängsten, Depressionen, Vereinsamung und Isolation
herauszuholen, in denen sich nicht wenige von ih-
nen während der Lockdowns befanden und zum
Teil auch jetzt noch befinden. Ihre Situation im Un-
terricht jetzt bewusst zu thematisieren, ist ein Weg
dazu. Die Fächer Deutsch, Sozialkunde, Ethik und
Religion erscheinen mir für diese psycho-soziale
Aufgabe geradezu prädestiniert.
Darüber hinaus sind wir Lehrkräfte aber alle
herausgefordert, unseren Schülern jetzt beizustehen,
gerade weil ein Ende der Corona-Krise immer noch
nicht wirklich in Sicht ist. Dazu müssen wir uns je-
doch unserer eigentlichen ’Königsaufgabe’ als
Lehrer bewusst werden, uns an unser Ethos als Pä-
dagogen erinnern und die ’Wolke’ des Corona-
Hypes endlich beiseiteschieben, in der wir uns seit
eineinhalb Jahren befunden haben – angetrieben
von immer neuen und kurzfristigen Vorgaben von
Bildungspolitik, Kultusministerien und Schulleitun-
gen; und dauer-gestresst von der digitalen Transfor-
mation des Unterrichts, die viele von uns Lehrkräf-
ten schlichtweg überfordert hat.
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Fünf Thesen
Diese eigentlichen pädagogischen Aufgaben möchte
ich in folgenden Thesen abschließend zusammenfas-
sen:
1. These:
Im Klassenzimmer bin ich mein eigener König bzw. mei-
ne eigene Königin. Trotz all der administrativen und or-
ganisatorischen Vorgaben darf ich nie vergessen, dass
ich große Entscheidungsspielräume habe – trotz allem.
Diese sollten gerade jetzt vermehrt genutzt werden.
2. These:
Die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen hungern
nach Führung, nach positiver Bestärkung, nach seelisch-
geistiger Unterstützung, ja überhaupt danach, als
menschliche Wesen in ihrer Entwicklung auf dem Weg
zur eigenen Persönlichkeit wahrgenommen und bestä-
tigt zu werden. Hier wird unser eigentliches Lehrer-Be-
rufsethos nun elementar berührt und angefragt.
3. These:
Der altbekannte Slogan ‘Erziehung durch Beziehung’
erlebt gerade jetzt am Ende der Pandemie eine uner-
wartete Renaissance und eine dringende Notwendig-
keit. Denn die meisten unserer Schülerinnen und Schüler
sehnen sich nach einer (guten) Beziehung zur Lehrkraft.
Diese Beziehungsebene ist niemals digitalisierbar und
operationalisierbar, sie wird immer analog bleiben. Vie-
le unserer Schüler brauchen jedoch diese Beziehung zu
ihrem Lehrer wie eine tägliche psychische Nahrung, um
sich entwickeln zu können.
4. These:
Gerade jetzt im neuen Schuljahr sind wir Lehrkräfte ganz
unabhängig von unseren jeweiligen Fächern als mitfüh-
lende Menschen, als Psychologen und als Seelsorger ge-
fragt wie nie zuvor. Auch diese Eigenschaften gehören
für mich zur Königsaufgabe von uns Lehrerinnen und
Lehrern. Denn ein guter König/eine aufmerksame Köni-
gin kümmert sich um seine ’Untertanen, sorgt für sie auf
allen zur Verfügung stehenden Ebenen, hilft, wo er/sie
nur kann. Und unsere Schülerinnen und Schüler sind uns
eben anvertraut und jetzt besonders bedürftig nach die-
ser Zuwendung.
5. These:
Konkret brauchen unsere Schülerinnen und Schüler
in uns Lehrkräften nun Orientierung, mentale und psy-
chische Leitplanken, Ermutigung, Hoffnung, Visionen,
einen Impulsgeber fürs Leben, aber auch einen
DER AUTOR
Peter Maier ist Gymnasial-
lehrer a.D., Initiations-
Mentor und Autor. Er
unterrichtete seit 1981 an
Gymnasien in Bayern.
Er ist Autor mehrerer
Fachbücher zum Thema
Pädagogik und Lehrerge-
sundheit.
Literatur zur Pädagogik:
(1) ’Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen
Gesellschaft. Band I: Übergangsrituale’
ISBN 978-3-86991-404-6 (18,99 Euro, Epubli Berlin)
eBook: ISBN 978-3-753176-25-3 (Epubli Berlin 2021,
Preis: 11,99 Euro)
(2) ’Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen
Gesellschaft. Band II: Heldenreisen.
ISBN 978-3-86991-409-1 (19,99 Euro, Epubli Berlin)
eBook: ISBN: 978-3-752970-59-3 (Epubli Berlin 2020,
Preis: 12,99 Euro)
(3) ’Schule – Quo Vadis? Plädoyer für
eine Pädagogik des Herzens’.
ISBN: 978-3-95645-659-6 (20,99 Euro,
Epubli Berlin)
eBook: ISBN: 978-3-752956-93-1 (Epubli
Berlin 2020, Preis: 12,99 Euro)
Weitere Infos und Buch-Bezug:
www.initiation-erwachsenwerden.de
Helfer/eine Helferin in der ganz praktischen Aufholung
von Lernrückständen und in der Befreiung von schuli-
schen Versagensängsten und geistigen Blockaden.
Fazit: Gerade für das kommende Schuljahr sehe ich
eine große Verantwortung und eine nicht zu unterschät-
zende Aufgabe für uns Lehrerinnen und Lehrer, die uns
anvertrauten Schüler sowohl schulisch-lerntechnisch als
auch psychisch-sozial in ihrem Persönlichkeitsprozess zu
unterstützen und zu begleiten, so dass die vielfältigen
Wunden heilen und Blockaden weichen können, die uns
allen die Corona-Pandemie beschert hat.
Peter Maier
i Süddeutsche Zeitung vom 29./30. Mai 2021, BUCH ZWEI, S. 11
ii ebd.
iii www.web.de/magazine/ratgeber/kind-familien-lernrückstände
vom 6. Juni 2021
iv SZ, a.a.O.
v vgl. ebd.
vi vgl. Magazin ’lehrernrw’, Ausgabe 4/2021, S. 3 f.
lehrer nrw ·
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20
SCHULE & POLITIK
Mülheimer Kongress:
‘Optimistisch in die Zukunft’
Corona hat die Schulen in den letzten eineinhalb Jahren beschäf-
tigt und wird es vermutlich noch eine Weile weiter tun. Dennoch
ist es Zeit für ein Signal des Aufbruchs. Darum lautet das Motto
des diesjährigen Mülheimer Kongresses, der vom 23. bis 24. No-
vember traditionell in der ’Wolfsburg’ in Mülheim stattfindet,
’Optimistisch in die Zukunft’.
E
E
in erstes Highlight ist der Vortrag
des Erziehungswissenschaftlers und
Kriminologen Prof. Jens Weidner:
’Das optimistische Menschenbild der kon-
frontativen Pädagogik’. Weidner arbeitete
mit Gangschlägern in Philadelphia und be-
handelte zehn Jahre lang Kriminelle für die
deutsche Justiz. Er entwickelte das Anti-
Aggressivitäts-Training (AAT) für Gewalttä-
ter, mit dem heute über 2000 Aggressive in
vier Ländern behandelt werden und ist
Miteigentümer des Deutschen Instituts für
Konfrontative Pädagogik. Er ist Vorstands-
mitglied im ’Wirtschafts-Club der Optimis-
ten’ und will mit seinem Ratgeber ’Opti-
mismus – warum manche weiter kommen
als andere’ die latent pessimistischen
Deutschen zu ’Best-of-Optimisten’ motivie-
ren. Für den Schulbereich zeigt Weidner,
wie die Konfrontative Pädagogik Konflikte
in der Schule reduzieren und das Arbeitsle-
ben erleichtern kann. Und sicherlich wer-
den die Zuhörer beim Mülheimer Kongress
auch einige Kostproben seines schwarzen
Humors erleben, für den er bekannt ist.
Humor spielt auch beim Auftritt von
’Herr Schröder’ eine tragende Rolle. Als
Deutschlehrer und Comedian (er selbst
nennt diese Kombination die »humoristi-
sche Form der Selbstverteidigung«) war er
mit seinem Programm ’World of Lehrkraft’
deutschlandweit sehr erfolgreich. In Mül-
heim wird er aus seinem neuen Werk ’Ins-
tagrammatik’ über die Segnungen der Digi-
talisierung für den Schulbetrieb berichten –
vom Medienwagen, der jetzt Netflix hat,
über Schulbücher als Podcast und Referate
per Videokonferenz bis hin zum Ende des
Lehrermangels dank YouTube-Tutorials.
’Wahnsinn Schule – Was sich dringend
ändern muss’ lautet der Titel des Bestsel-
lers und gleichzeitig des Vortrags von Mi-
chael Rudolph. »Wenn die Kinder nach der
Grundschule nicht das kleine Einmaleins
oder nicht richtig lesen können, ist was
komplett falsch gelaufen.« Aber genau
das, sagt er, sei allzu oft traurige Realität.
Der erfahrene Schulleiter, seit vierzig Jah-
ren im Schuldienst, hat in wenigen Jahren
die Berliner Bergius-Schule, die einen
üblen Ruf hatte, zu einer begehrten Unter-
richtsstätte gewandelt – mit klaren Regeln
für ein diszipliniertes Lernen. Für ihn sind
auch Tugenden wie Pünktlichkeit und höf-
licher Umgang entscheidend, um wieder
Ruhe und Verlässlichkeit in den Schulalltag
zu bringen. Rudolph beschreibt, wie man
eine schulische Umgebung schaffen kann,
egal wo, in der Lernen das wichtigste Ziel
ist.
INFO
In der Tagungsstätte ’Die Wolfsburg’ in
Mülheim gelten die zum Zeitpunkt der
Veranstaltung aktuellen Hygiene- und In-
fektionsschutzbestimmungen. Das detail-
lierte Programm des diesjährigen Mülh-
eimer Kongresses können Sie der Beilage
in dieser Ausgabe von
’lehrer nrw’
ent-
nehmen.
Anmeldung: www.lehrernrw.de
Prof. Jens Weidner beschreibt
das optimistische Menschenbild der
konfrontativen Pädagogik.
Foto: Felix Amsel
Um die Chancen, Risiken und Nebenwir-
kungen der Digitalisierung dreht sich
’Instagrammatik’, das neue Werk von
’Herr Schröder’.
Foto: Ullstein
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SCHULE & POLITIK
Bildung ist …
mehr wert
Die Tarifverhandlungen für die Landesbeschäftigten stehen bevor.
Bei der Einkommensrunde 2021 fordert der Deutsche Beamten-
bund (dbb und tarifunion) fünf Prozent Entgelterhöhung für die
Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder. Eine Forderung,
die unter Berücksichtigung zahlreicher Parameter gebildet wurde
und damit den Herausforderungen der Zukunft gerecht wird.
gen, um aber andererseits auch aus der
Krise soweit als möglich gestärkt heraus-
zutreten.
Der deutsche Staat hatte in der Finanz-
krise von 2008 mit dem umfangreich ein-
gesetzten Instrument des Kurzarbeiter-
gelds große Verwerfungen für den Arbeits-
markt und damit auch für den gesell-
schaftlichen Zusammenhalt verhindert.
Die wirtschaftliche Entwicklung der folgen-
den Jahre nach dieser Krise spricht Bände
im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften.
Die aktuelle Wirtschaftskrise aufgrund
der noch anhaltenden pandemischen Lage
brachte ebenfalls erhebliche ökonomische
Einbußen mit sich, auf die der Staat erneut
mit dem Instrument des Kurzarbeitergelds,
aber auch mit gezielten finanziellen Unter-
stützungsmaßnahmen für Unternehmen
reagierte. Schon jetzt ist aufgrund der wirt-
schaftlichen Kennzahlen wie Auftragsein-
gänge, Konsumverhalten, etc. abzusehen,
dass die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt
und im internationalen Vergleich weniger
Schaden genommen hat.
Bildung muss stärker
in den Fokus rücken
Besondere ökonomische Schwierigkeiten
resultieren nun aus ganz anderen Grün-
den: Materialengpässe, Lieferschwierigkei-
ten, Fachkräftemangel, demografische Ent-
wicklung, etc. Gleichzeitig gerät auch der
über Jahrzehnte stabile Ausbildungsmarkt
zunehmend unter Druck. Die Quantität und
Qualität der Auszubildenden werden für
zahlreiche Unternehmen zum Problem. So
dass auch das Bildungswesen hierzulande
INFO
’Fahrplan’ der
Einkommensrunde
Die Verhandlungen mit der Tarifge-
meinschaft deutscher Länder (TdL)
sind terminiert für (Berlin/Potsdam):
1. Runde: 8. Oktober 2021:
2. Runde: 1./2. November 2021:
3. Runde: 27./28. November 2021
von ULRICH GRÄLER
5%
T
T
arifpolitik in Pandemiezeiten ist ak-
tuell eine ganz besondere Heraus-
forderung für die gesamte Gesell-
schaft, vergleichbar wohl nur mit der Zeit
nach der Finanzkrise 2008. Die wirtschaft-
lichen Auswirkungen derartiger Krisen
sind immens und für alle spürbar. Und
verlangen jedes Mal politisch kluges Han-
deln, um einerseits die Krise zu bewälti-
23
5/2021 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
in den Fokus der politischen Agenda tritt
bzw. stärker treten müsste.
Nordrhein-Westfalen tut sich auf diesem
Gebiet sehr schwer. Im jüngsten Bericht
des Bildungsmo-
nitors landet
Nordrhein-West-
falen bei den Bil-
dungsausgaben
von der Grund-
schule bis zur
Sekundarstufe II
auf dem vorletzten Platz. Bis heute rächen
sich die Versäumnisse mehrerer ehemali-
ger Landesregierungen. Eine Trendumkehr
ist derzeit noch nicht zu erkennen. Die ver-
mehrten Anstrengungen zahlreicher ande-
rer Bundesländer weisen da in eine andere
Richtung und zeigen auch schon erste Er-
folge.
Wettbewerb um
geeignetes Personal
Wer jedoch die Bildungslandschaft derart
stiefmütterlich behandelt, darf sich nicht
wundern, wenn die wirtschaftliche Ent-
wicklung und damit der Wohlstand aller
Menschen in diesem Bundesland irgend-
wann in Gefahr geraten. Insofern kann es
nur folgerichtig sein, im Wettbewerb um
geeignetes Personal finanzielle Anreize zu
schaffen, um Interessenten und qualifizier-
te Bewerber für den Bildungsbereich zu
gewinnen,
von der Kita
bis zum
Gymnasium
oder Berufs-
kolleg.
Genauso
folgerichtig
ist es, dem gesamten pädagogischen Per-
sonal an Schulen eine ihrer beruflichen
Aufgabe entsprechende Wertschätzung
zum Ausdruck zu bringen. Eine Aufgabe,
die in Corona-Zeiten sogar noch erhebliche
zusätzliche Belastungen mit sich brachte.
Was sich dann auch im Entgelt widerspie-
geln sollte.
KOMMENTAR
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
Bildung ist systemrelevant
Der Bildungsbereich war in der Zeit der
Pandemie ein wesentlicher Stabilitätsanker
für die Gesellschaft, für Familien, Eltern
und Kinder. In ’unnormalen’ Zeiten hat das
gesamte pädagogische Personal einen im-
mensen Einsatz für die Aufrechterhaltung
des Schulbetriebs sowie den Erhalt der
persönlichen Beziehungsebene zwischen
Elternhaus und Schule geleistet. Eine
enorm wichtige und ebenfalls unbestreit-
bar ’systemrelevante’ Aufgabe, die öffent-
lich viel zu wenig gewürdigt wurde und
wird.
Und eben-
so folgerich-
tig ist es des-
halb, den Be-
schäftigten
ein Entgelt
zu gewäh-
ren, das nicht nur im Vergleich zu anderen
Berufsgruppen konkurrenzfähig ist, son-
dern das auch über dem Inflationsaus-
gleich liegt. Alles andere wären Einkom-
menseinbußen! Da die Inflationsrate deut-
lich angezogen hat, die Beiträge für die
Sozialversicherungssysteme ebenfalls über-
proportional steigen, auch wegen der Pan-
demie, kann die Schlussfolgerung für den
Arbeitgeber, das Land Nordrhein-Westfa-
len, nur heißen, auch in dieser ’schwierige-
ren’ Phase der volkswirtschaftlichen Ent-
wicklung für die Zukunft vorzusorgen.
Heute in die Welt von
morgen investieren
Denn wer jetzt nicht in die Welt von mor-
gen investiert, der wird den Anschluss ver-
lieren. Und das heißt für den Bildungssek-
tor auch, dass der Arbeitgeber in ’Köpfe’
investieren muss, quantitativ und qualita-
tiv. Insofern liegen die Lehrerverbände
gemeinsam mit dem dbb und tarifunion
goldrichtig, wenn diese Einkommensrunde
unter dem Motto steht: Zukunft – nur mit
uns!
Der öffentliche Dienst wird in Krisenzeiten
immer wieder als ’Einsparpotenzial’ be-
trachtet. Das hat aber nicht immer zum
gewünschten Erfolg geführt, sondern bis-
weilen die Situation sogar noch verschärft!
Die Wirtschaft macht es seit längerem an-
ders, sie investiert antizyklisch, um Krisen
zu bewältigen.
Im Bildungssektor scheint das noch nicht
ausreichend angekommen zu sein, sonst
würde Nordrhein-Westfalen im Vergleich der
Bundesländer bei den Bildungsausgaben für
die verschiedenen Schulstufen nicht auf den
hinteren Plätzen liegen. Und dies schon seit
vielen Jahren!
Eine direkte Auswirkung dieser unzurei-
chenden Bildungsausgaben ist die schlechte
Schüler-Lehrer-Relation. »Jeweils in den
Grundschulen und den allgemeinbildenden
Schulen der Sekundarstufe I (ohne Gymna-
sien) weist Nordrhein-Westfalen die größten
Klassen aller Bundesländer auf.« (Bildungs-
monitor 2021, S. 168/169)
Es gibt kaum noch jemanden, der den
Zusammenhang zwischen Klassengröße und
Unterrichtsqualität leugnen wollte. Die Er-
fahrungen der Lehrkräfte aus den letzten
Monaten mit den verschiedenen Unter-
richtsformaten aufgrund der Infektionslage
haben zudem mehr als deutlich gemacht,
dass mit geeigneten Unterrichtsbedingun-
gen ein qualitativ exponentiell besserer Un-
terricht möglich wird.
In Zeiten des demografischen Wandels
müsste das Land daher sofort umsteuern,
um mit attraktiven Arbeitsplätzen, moder-
nen bzw. renovierten Schulgebäuden sowie
kleineren Klassen einen effektiveren wie
auch qualitätsorientierten Unterricht zu er-
möglichen und gleichzeitig mit einer ange-
messenen Vergütung, die der Verantwortung
für gute Bildung gerecht wird, mehr geeig-
netes pädagogisches Personal für die Schule
zu gewinnen.
Das Maß an Zufriedenheit aller Beschäf-
tigten steht und fällt mit dem Einklang zwi-
schen Aufgabe und Ergebnis. Wenn die äu-
ßeren Strukturen dies jedoch verhindern
bzw. beeinträchtigen, dann kann trotz guter
Absicht eine Trendumkehr nicht gelingen.
Diese sollte uns die nächste Generation aber
doch wert sein!
Ulrich Gräler
lehrer nrw ·
5/2021
24
SCHULE & POLITIK
Lehrerräteschulungen 2021
lehrer nrw
bietet in den Regierungsbezirken
Düsseldorf und Köln wieder Lehrerräteschu-
lungen in Präsenz an. Referenten sind Peter
Botschen (Mitglied im Bezirkspersonalrat
Düsseldorf) sowie Michael Freise und Thors-
ten Schmalt (Mitglieder im Bezirkspersonal-
rat Köln). Die Terminübersicht entnehmen
Sie bitte der Tabelle.
Schulungsinhalte
In der
Basisschulung erhalten neu gewähl-
te und auch bereits amtierende Lehrerrats-
mitglieder Informationen über die rechtli-
chen Grundlagen ihrer Arbeit. Neben den
Rechtsvorgaben und dem Wahlverfahren
werden die laut LPVG (Landespersonalver-
tretungsgesetz) vorgesehenen personalver-
tretungsrechtlichen Beteiligungstatbestände
– insbesondere die Mitbestimmung – sowie
die dafür notwendigen Bedingungen und
das durchzuführende Verfahren anhand von
Fallbeispielen erläutert und vermittelt.
Die
Aufbauschulungen werden als Fort-
setzung der Basisschulung angeboten und
Veranstaltung Datum Ort Tagungsanschrift
Lehrerräteschulung
Basisseminar/
Grundschulung
Mittwoch,
22. September 2021
09:00 bis 16:00 Uhr
Duisburg Gustav-Heinemann-Realschule
Landgerichtsstraße 17
47051 Duisburg
Lehrerräteschulung
Basisseminar/
Grundschulung
Dienstag,
26. Oktober 2021
09:00 bis 16:00 Uhr
Köln Albert-Schweitzer-Realschule Köln
Hardtgenbuscher Kirchweg 100
51107 Köln
Lehrerräteschulung
Aufbauseminar I
Donnerstag,
28. Oktober 2021
10:00 bis 16:45 Uhr
Viersen Realschule an der Josefskirche
An der Josefskirche 25
41747 Viersen
Lehrerräteschulung
Aufbauseminar I
Mittwoch,
17. November 2021
09:00 bis 16:00 Uhr
Köln Albert-Schweitzer-Realschule Köln
Hardtgenbuscher Kirchweg 100
51107 Köln
Lehrerräteschulung
Aufbauseminar II
Dienstag,
14. Dezember 2021
09:00 bis 16:00 Uhr
Köln Albert-Schweitzer-Realschule Köln
Hardtgenbuscher Kirchweg 100
51107 Köln
INFORMATIONEN/
ANMELDUNG
www.lehrernrw.de/fortbildungen
beinhalten eine Festigung sowie Erweiterung
der bisher vermittelten Kenntnisse. In diesem
Zusammenhang zielt die schwerpunktmäßi-
ge Erläuterung schulspezifischer Rechtsvor-
gaben verstärkt auf eine Ausweitung der Be-
ratungskompetenz. Gleichzeitig werden auf
der Grundlage praktischer Beispiele und an-
hand bereits vorhandener Erfahrung Kom-
munikations- und Konfliktlösungsstrategien
erarbeitet, die sowohl den sachgerechten
Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen
wie auch die konstruktive Zusammenarbeit
der verschiedenen schulischen Gremien er-
leichtern und sicherstellen sollen.
Teilnahmegebühren werden nicht erho-
ben. Für die Bewirtung mit Speisen und Ge-
tränken sorgt
lehrer nrw
. Die Reisekosten
beantragen die Teilnehmerinnen und Teilneh-
mer an ihren Schulen, die auf Antrag bei ih-
rer Bezirksregierung die verauslagten Reise-
kosten aus einem gesonderten Budget er-
stattet bekommen.
Foto: AdobeStock/contrastwerkstatt
ber Herr Kümmertsich, gehen sie noch-
mals in sich, ob Joline-Christin wirklich
eine mangelhafte Leistung auf dem Zeugnis ver-
dient hat. Vielleicht finden sie noch etwas, das eine ausreichende
Leistung begründen kann«, flehte mich unser Schulleiter Herr
Diensttreu an. »Seien Sie mir nicht böse, aber wenn ich eine
mangelhafte Leistung auf das Zeugnis setze, dann werde ich
schon wissen, was ich da tue. Schließlich ziehen wir die Noten
hier nicht aus dem Hut! Alle drei Klassenarbeiten im Fach Eng-
lisch waren ungenügend und die sonstige Mitarbeit schon im so
dünnen mangelhaften Bereich, dass es auch fast eine Sechs wä-
re. Und nun betteln sie mich an eine vier zu geben, warum? Was
soll der Schwachsinn?«, antwortete ich erbost. »Na, wegen der
Möglichkeit eines Widerspruchs. Herr Kümmertsich, wir werden
doch nicht heraufprovozieren wollen, dass die Schulaufsicht so
juristisch genau prüft, dass uns das Hören und Sehen vergeht.
Es muss schon alles justiziabel sein, damit wir den Widerspruch
nicht verlieren. Ach, ich darf gar nicht daran denken!«, äußerte
sich Herr Diensttreu fast weinend.
Da reißt einem ja fast die Hutschnur. Wir sitzen an der Front
und unterrichten und bewerten. Dazu sind wir ausgebildet. Und
wenn wir die Noten verteilen, die wir nun mal verteilen, so ha-
ben wir uns da schon Gedanken gemacht. Wenn ich wollen wür-
de, dass alles justiziabel ist, dann wäre ich Jurist geworden. Das
bin ich aber nicht; ich bin Lehrer! Alles muss seit Jahren justizia-
bel sein und rechtssicher, und es werden Berge von Seiten mit
Vorschriften gefüllt, die sich eh keiner merken kann, aber kommt
es zum Falle eines Falles, dass etwas ’passiert’, so wird schnell
der Vorwurf laut, warum man sich nicht an § blablabla auf Seite
17209 der Verordnung für Schwachsinn gehalten hat und nun
dienstrechtlich belangt werden würde. Und dann soll man moti-
viert seine Arbeit machen. Es reicht!
Liebe Bezirksregierungen und liebes Ministerium, steht endlich
einmal hinter Euren Lehrkräften. Anstatt ihnen vorzuhalten, was
sie alles laut Paragraph blablabla falsch machen, sollte man bes-
ser einmal erwähnen, was sie gut meistern. Zum Beispiel die
Corona-Krise, aber auch dafür bekommen manche Kollegien so
ordentlich eins auf den Deckel, dass es schon einer Schikane
gleicht. Das muss aufhören, sonst sinkt die Motivation noch
weiter, wenn sie nicht bereits im Keller angekommen ist.
Euer alter Kollege
Ferdinand Kümmertsich
Wir sind doch
keine Juristen …
Der Kollege Ferdinand Kümmertsich ist gestählt durch unzählige Schlachten
in Konferenzen, Bezirksregierungsbüros und Elternsprechtagen. Mit reichlich
Berufs- und Lebenserfahrung ausgestattet, blickt er mit einem Augenzwinkern
auf den ganz normalen Wahnsinn des Systems Schule.
Ferdinand Kümmertsich
lehrer nrw ·
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KOLUMNE
Wir sind doch
keine Juristen …
27
5/2021 ·
lehrer nrw
SENIOREN
Konrad Dahlmann hat
Staffelstab übergeben …
L
L
änger als eineinhalb Jahrzehnte hat unser Ehrenmitglied Konrad
Dahlmann das Referat ’Pensionäre’ mit großem Engagement
und immer wieder neuen Ideen geleitet. Nun hat er als agiler Über-
Achtzigjähriger die Leitung die-
ses Referats, das auf seine An-
regung hin in Referat für Senio-
rinnen und Senioren umbe-
nannt worden ist, an unsere
Kollegin Monika Holder über-
geben.
Konrad Dahlmann lag es am
Herzen, auch nach seinem Ein-
tritt in den Ruhestand den Pen-
sionärinnen und Pensionären
unseres Verbandes interessante
Angebote zu unterbreiten. So
entwickelte er die Idee, den oh-
nehin reise- und wissbegieri-
gen Ruheständlerinnen und Ru-
heständlern eintägige Exkursio-
nen und mehrtägige Reisen un-
eigennützig und zum Selbst-
kostenpreis zu offerieren.
Als Referatsleiter hat er die
sogenannten großen Jahresfahrten der Pensionäre ins Leben geru-
fen und während der letzten Jahre auch zusätzlich die kleinen Fahr-
ten initiiert. Dabei sei hier an die großen Reisen nach Dresden
(2010), Trier (2011), Straßburg (2012), Warnemünde (2013), Prag
(2017) sowie die Flusskreuzfahrten über die Donau nach Budapest
(2018) und über den Rhein bis hin nach Amsterdam (2019) erin-
nert.
Als ehemaliger stellvertretender Schulleiter hat Konrad Dahl-
mann bei allen oben genannten Veranstaltungen die zielgerichtete
Bildung nie aus den Augen verloren. Ein besonderes Augenmerk
legte er auch auf die Hinführung der Pensionärinnen und Pensionä-
re zu den neuen Medien, hier zur Nutzung des Computers und sei-
ner vielfältigen Programme. So hat er regelmäßig dafür gesorgt,
dass wir Pensionäre einmal jährlich in der dbb-Bildungsakademie in
Königwinter zwei- bis dreitägige IT-Fortbildungsveranstaltungen
besuchen konnten.
Wir danken Konrad Dahlmann von ganzem Herzen für seinen
über viele Jahre anhaltenden, unermüdlichen Einsatz im Interesse
unserer Verbands-Seniorinnen und -Senioren und freuen uns, dass
er auch weiterhin an den nun unter seiner Nachfolgerin Monika
Holder geplanten Unternehmungen teilnehmen will.
Manfred Berretz
… Monika Holder
hat den Staffelstab
übernommen
L
L
iebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich Ihnen
kurz vorstellen. Am 6. Juni habe ich das Referat für Senio-
rinnen und Senioren von Konrad Dahlmann übernommen.
Seit August 1980 war ich im Schuldienst Nordrhein-West-
falens an der Realschule Kreuztal tätig. Dass ich an dieser
Schule bis zu meiner Pensionierung bleiben würde, hatte ich
mir damals nicht vorstellen können. Aber es kam eben an-
ders. Mit meinen Fächern Mathematik und Chemie wurde
ich immer gebraucht und habe an der Schule vor allem im
naturwissenschaftlichen Bereich hervorragende Bedingun-
gen vorgefunden. Ab 2006 bin ich dann als Ersatzmitglied in
die Personalratsarbeit eingestiegen. Ich war dann ab 2008
reguläres Mitglied des Bezirkspersonalrats Arnsberg und ab
2012 des Hauptpersonalrats. Am 31. Januar 2021 habe ich
meine aktive Dienstzeit beendet und befinde mich nun im
’Ruhestand’.
Die Arbeit an ’meiner’ Schule und in den Personalräten hat
mir viel bedeutet, und ich sah nach meiner Pensionierung
auch mit etwas Wehmut auf die Zeit zurück. Aber der Ruhe-
stand hat auch seine Vorteile, und ich kann jetzt ohne den
Zeitgeber ’Schulschelle’ gut leben.
Nun habe ich nach vielen Gesprächen mit Konrad Dahl-
mann die Arbeit für die Seniorinnen und Senioren übernom-
men. Die hervorragende
Arbeit meines Vorgängers
weiterzuführen wird nicht
einfach sein, denn Konrad
hinterlässt große Fußspu-
ren. Für meine Referatsar-
beit hoffe ich auf viele
Rückmeldungen von Ih-
nen allen und freue mich
auch auf zukünftige per-
sönliche Kontakte bei
Fahrten, Besichtigungen
oder Fortbildungen. Bei-
träge zu unserem Senio-
renbrief und der Senioren-
seite der Verbandszeit-
schrift sind jederzeit will-
kommen. Über eine rege
Beteiligung würde ich
mich sehr freuen.
Monika Holder
Konrad Dahlmann
Monika Holder
lehrer nrw ·
5/2021
28
»Ihre Note passt mir nicht!«
Wenn Eltern oder Schüler sich gegen eine vermeintlich unge-
rechtfertigte Benotung zur Wehr setzen, besteht für die ange-
sprochenen Lehrkräfte kein Grund zur Panik.
lehrer nrw
Justitiar
Christopher Lange erklärt, was zu tun und zu beachten ist.
D
D
ie Benotung von Schülerinnen und
Schülern ist eine Aufgabe, die die
einzelnen Lehrkräfte als mehr oder
weniger angenehm empfinden, um die
aber keine von ihnen herumkommt.
Ungemütlich kann es werden,
wenn sich Lehrkräfte
persönlich mit dem Vor-
wurf einer angeblich zu
schlechten Benotung
auseinandersetzen
müssen, weil sich eine
Schülerin oder ein
Schüler dagegen zur
Wehr setzt und es
nicht bei mehr oder
weniger deutlichen
Unmutsbekundungen
belässt.
Wissen, was zu tun ist
Viele Lehrkräfte wissen in dieser Situation
gar nicht, wie sie dem begegnen sollen. Wer
aber genau weiß, was auf ihn zukommt,
was er zu tun und vorzulegen hat, wenn ei-
ne Schülerin oder ein Schüler mit einer Note
nicht einverstanden ist, kann auch
dieser Situation gelassen ent-
gegensehen.
RECHT
§
AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
Foto: AdobeStock/grafikplusfoto
Nicht
einverstanden?
Bei der Notenvergabe
kommt es vor, dass
Lehrkräfte und Schü-
ler ziemlich unter-
schiedliche Einschät-
zungen zur abgeliefer-
ten Leistung haben.
Schulische Entscheidungen wie Noten
können von dem oder der Betroffenen bzw.
Vertretungsberechtigten mit einer Be-
schwerde oder einem Widerspruch ange-
gangen werden. In jedem Fall ist zunächst
Voraussetzung, dass möglichst eindeutig
zum Ausdruck gebracht wird, wogegen sich
die Beschwerde oder der Widerspruch im
Detail richtet, und dass eine Begründung
beigefügt ist. Dazu darf Akteneinsicht ge-
nommen werden und es kann eine Rechts-
anwältin bzw. ein Rechtsanwalt mit der In-
teressenwahrnehmung beauftragt werden.
Mit der Beschwerde können sich Schüle-
rinnen und Schüler bzw. ihre Erziehungsbe-
rechtigten gegen schulische Entscheidungen
wehren, die keinen Verwaltungsakt im Sinne
von § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW
darstellen. Es muss sich um eine Entschei-
dung ohne unmittelbare Rechtswirkung
handeln wie zum Beispiel Bemerkungen und
der Nachweis von Fehlstunden auf Zeugnis-
sen oder die Bewertung einer Klassenarbeit
oder sonstigen Mitarbeit. Auch Zeugnisno-
ten ohne Auswirkung auf eine Versetzung
oder eine Berechtigung zählen hierzu.
Die Klage als letztes Mittel
Ein Widerspruch ist dagegen gegen Ent-
scheidungen der Schule mit Verwaltungsakt-
charakter zu erheben. Dies sind Noten mit
Rechtswirkung wie solche auf Abgangs- und
Abschlusszeugnissen. Auch Bewertungen
von Abschluss- und Nachprüfungen, die
Nichtversetzung oder die Nichterteilung
eines Abschlusses gehören unter anderem
hierzu. Entscheidungen von dieser Tragweite
sind – nach erfolglos durchgeführtem
Widerspruchsverfahren – auf dem Klage-
weg gerichtlich überprüfbar.
Ein Widerspruch ist innerhalb eines
Monats nach der Bekanntgabe der
Entscheidung an der Schule einzule-
gen, auch in Ferienzeiten. Wer nun an-
nimmt, mit einem verfristeten Wider-
spruch gegen eine vergebene Ab-
29
5/2021 ·
lehrer nrw
schlussnote oder ähnliches müsse er sich
nicht beschäftigen, liegt jedoch falsch: Bei
Fristüberschreitung kann von der betreffen-
den Schülerin bzw. Schüler oder den Erzie-
hungsberechtigten immer noch Beschwerde
erhoben werden.
Wie hat sich nun eine Lehrerin bezie-
hungsweise ein Lehrer in das Verfahren ein-
zubringen, wenn gegen eine von ihm verge-
bene Bewertung eine Beschwerde oder ein
Widerspruch vorliegt?
Die Lehrkraft muss die
Benotung begründen
können
Zunächst findet stets eine Prüfung hinsicht-
lich der Beschwerde bzw. des Widerspruchs
durch die Person oder das Gremium statt, die
die Bewertung vorgenommen hat. Das heißt,
eine Lehrkraft hat die Pflicht, ihre Bewertung
einer Schülerleistung nochmals dahingehend
zu überprüfen, ob diese verfahrensfehlerfrei
und sachgerecht erfolgte. Es bleibt ihr nicht
erspart, sorgsam zu begründen, welche An-
forderungen gestellt, welche Leistungen von
der Schülerin oder dem Schüler erbracht wur-
den und inwieweit der Unterricht lehrplan-
konform erfolgte. Die Schulleiterin/der Schul-
leiter dürfen die Note dabei nicht verändern.
Wird der Beschwerde bzw. dem Wider-
spruch nicht stattgegeben, leitet die Schule
den Vorgang an die obere Schulaufsichtsbe-
hörde weiter – wohlgemerkt auch bei einer
Beschwerde, hier allerdings nur auf Verlan-
gen des Beschwerdeführers. Sofern bei einer
Prüfung eine externe weitere Korrektur er-
folgte oder eine Drittkorrektur erforderlich
ist, ist bereits bei Eingang des Widerspruchs
die obere Schulaufsicht zu kontaktieren.
Auf Ebene der Schulaufsicht wird eine
umfassende rechtliche und fachliche Prüfung
durchgeführt. Fachlich kommt es dabei auf
das Vorliegen angemessener, lehrplankonfor-
mer Anforderungen und Bewertungskrite-
rien, einer ausreichenden Vorbereitung und
sachgerechten Korrektur an.
Benötigte Unterlagen
Die Lehrkraft, die für die ursprüngliche Be-
wertung verantwortlich ist, hat mit dafür zu
sorgen, dass die notwendigen Unterlagen
der Schulaufsicht zur Verfügung stehen.
Dazu gehören grundsätzlich:
Bericht der Schulleitung (sofern zutref-
fend, Stellungnahme zur unterrichtli-
chen Situation der Klasse, wie beispiels-
weise bei Lehrerwechsel oder Unter-
richtsausfall)
Schülerstammblatt
Widerspruchs-/Beschwerdeschreiben
Stellungnahme der Person oder des
Gremiums, die beziehungsweise das die
schulische Entscheidung getroffen hat
und außerdem bei Einzel-/Zeugnisnoten
Klassenbuch
Klassenarbeit inklusive Aufgabenstel-
lung, Arbeitsmaterialien, Erwartungsho-
rizont, Beurteilungskriterien, gegebe-
nenfalls Angaben zu Hilfsmitteln, zur
Dauer der Arbeit und zum Notenspiegel
Leistungsbewertungskonzept und
schulinternes Curriculum für das
jeweilige Fach
und beispielsweise bei Nichtversetzung
zusätzlich Protokoll der
Versetzungskonferenz
Protokoll der Versetzungskonferenz
über die Behandlung des Widerspruchs
Mitteilung über die drohende
Nichtversetzung
und bei Nichtbestehen einer Nachprüfung
schriftliche Arbeit und/oder
Protokoll der mündlichen Prüfung
Protokoll der Versetzungskonferenz
Protokoll der Versetzungskonferenz
über die Behandlung des Widerspruchs
sowie bei der Nichterteilung eines schuli-
schen Abschlusses der Sekundarstufe I
Unterlagen wie bei einer
Nichtversetzung
das betreffende Zeugnis
1
.
1 Diese Informationen sowie eine tabellarische Übersicht
finden sich auf der Seite der Bezirksregierung Detmold:
https://www.bezreg-detmold.nrw.de/wir-ueber-uns/
organisationsstruktur/abteilung-4/dezernat-48/
schulrecht/widerspruchverfahren-zur
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
5/2021
30
ANGESPITZT
E
E
ndlich! Wir haben unseren ersten Shit-
storm. Jetzt sind wir so richtig ange-
kommen in der schönen neuen Social-Me-
dia-Welt. Bei Facebook ist der erste Shit
storm so etwas wie der erste Kuss in der
Liebe – nur nicht so romantisch. Ein Shit-
storm ist, wenn sich Leute äußern, die we-
nig Ahnung, aber ganz viel Meinung haben.
Und die Meinung muss sich so richtig Bahn
brechen – ungefiltert, ungezügelt, unge-
niert, gerne vulgär und erfrischend frei von
überkommenen Konventionen wie Höflich-
keit und Rechtschreibung.
Der Aufhänger der Geschichte?
lehrer
nrw
hatte auf seiner Facebook-Seite auf
die Pressemitteilung zum Schuljahresauf-
takt verwiesen. Darin haben wir gefordert,
dass alles getan werden müsse, um einen
sicheren Präsenzunterricht zu gewährleis-
ten und erneute Corona-bedingte Schul-
schließungen zu vermeiden.
Hui, da hatten dann aber einige eine kur-
ze Zündschnur. T.M. (Klarnamen, falls sie
denn echt sind, kürzen wir aus Gründen der
Höflichkeit ab) forderte orthografisch leger,
aber inhaltlich unmissverständlich: »knast
fuer alle … es reicht … finger weg von un-
seren kindern«. Bei C.H. wackelt der Aluhut
vor Aufregung: »Grippe ist schlimmer, wir
werden verarscht.« Auch die Verschwö-
rungstheoretiker melden sich zu Wort. Denn
natürlich sind die Corona-Schutzmaßnah-
men aus Sicht von E.E. »totaler Schwach-
sinn« und »total übertrieben«. Den Ball
nimmt P.G. gerne auf: »Da steckt ein System
hinter! Machtausübung, Aktiengewinne u.a.
und wer weiß, was sonst noch … das darf
man ja nicht äußern dann ist man in DE
rechts oder Verschwörer!« Immerhin hat
C.C. einen konstruktiven Vorschlag: »Würde
man die Kinder und Lehrer in Sammellager
stecken, regelmäßig testen und keinen Be-
such von Eltern und Verwandten erlauben,
dann wäre die Frage schnell geklärt.«
Seinen Höhepunkt erreicht unser fröhli-
cher Shitstorm im Pingpong zwischen M.R.
und E.E.H. – hier original und in voller Län-
ge, weil es so schön ist:
M.R.: »Ihr müsstet verhaftet werden
dass der Spuk ein Ende hat!!! Und das
werdet ihr!!!!!!«
E.E.H.: »von wem die richter machen mit
oder schauen weg von wem also sollen die
verhaftet werden«
M.R.: »Wie es schon so oft in der Geschich-
te war, es wird ein Militärgericht sein!!«
Was das alles mit unserer Pressemittei-
lung zu tun hat? Eher wenig. Macht aber
nix. Wir haben uns prächtig amüsiert. Und
wir haben sogar etwas gelernt: Es lebt sich
offenbar auch mit einer signifikant redu-
zierten Anzahl von Gehirnzellen ganz gut.
Jochen Smets
Da wackelt der Aluhut!
HIRNJOGGING
31
5/2021 ·
lehrer nrw
LÖSUNG AUFGABE 1: A7 und D5
LÖSUNG AUFGABE 2: Milchprodukte | Mittelmeerinseln | Komponisten der Klassik | Starke und unregelmäßige Verben | Frühlingsblüher
Ein Mann mit vielen Gesichtern
Hier finden Sie 50 Gesichtsausdrücke. Aber zwei sind identisch. Welche sind es?
Oberbegriffe
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
A
B
C
D
E
AUFGABE 1:
AUFGABE 2:
Über Feedback zu meinen
Gehirnjogging Übungen würde ich mich sehr freuen:
mail@heike-loosen.de
Heike Loosen
Variante 1
Welcher Oberbegriff könnte jeweils zu den folgenden Begriffen passen?
Schmand, Kefir, Molke, Käse, Butter, Joghurt
Korsika, Sizilien, Kreta, Mallorca, Rhodos, Korfu, Malta, Krk
Chopin, Mozart, Wagner, Haydn, Bach, Händel, Schubert
Bleiben, denken, empfehlen, genießen, laden, rufen, sehen, streiten
Primeln, Tulpen, Hyazinthen, Krokus, Schneeglöckchen, Narzisse
Variante 2
Nehmen Sie selber interessante Oberbegrif-
fe zu Ihrem Hobby oder Fachgebiet und
suchen Sie jeweils zehn Begriffe, die
diesem Oberbegriff zuzuordnen sind.
Mitglied
werden!
Unsere Lehrkräfte stärken!
Ihr direkter Weg
zum Beitrittsformular:
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Umfangreiches Seminar- und Fortbildungs-
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