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5/2021 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
in den Fokus der politischen Agenda tritt
bzw. stärker treten müsste.
Nordrhein-Westfalen tut sich auf diesem
Gebiet sehr schwer. Im jüngsten Bericht
des Bildungsmo-
nitors landet
Nordrhein-West-
falen bei den Bil-
dungsausgaben
von der Grund-
schule bis zur
Sekundarstufe II
auf dem vorletzten Platz. Bis heute rächen
sich die Versäumnisse mehrerer ehemali-
ger Landesregierungen. Eine Trendumkehr
ist derzeit noch nicht zu erkennen. Die ver-
mehrten Anstrengungen zahlreicher ande-
rer Bundesländer weisen da in eine andere
Richtung und zeigen auch schon erste Er-
folge.
Wettbewerb um
geeignetes Personal
Wer jedoch die Bildungslandschaft derart
stiefmütterlich behandelt, darf sich nicht
wundern, wenn die wirtschaftliche Ent-
wicklung und damit der Wohlstand aller
Menschen in diesem Bundesland irgend-
wann in Gefahr geraten. Insofern kann es
nur folgerichtig sein, im Wettbewerb um
geeignetes Personal finanzielle Anreize zu
schaffen, um Interessenten und qualifizier-
te Bewerber für den Bildungsbereich zu
gewinnen,
von der Kita
bis zum
Gymnasium
oder Berufs-
kolleg.
Genauso
folgerichtig
ist es, dem gesamten pädagogischen Per-
sonal an Schulen eine ihrer beruflichen
Aufgabe entsprechende Wertschätzung
zum Ausdruck zu bringen. Eine Aufgabe,
die in Corona-Zeiten sogar noch erhebliche
zusätzliche Belastungen mit sich brachte.
Was sich dann auch im Entgelt widerspie-
geln sollte.
KOMMENTAR
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
Bildung ist systemrelevant
Der Bildungsbereich war in der Zeit der
Pandemie ein wesentlicher Stabilitätsanker
für die Gesellschaft, für Familien, Eltern
und Kinder. In ’unnormalen’ Zeiten hat das
gesamte pädagogische Personal einen im-
mensen Einsatz für die Aufrechterhaltung
des Schulbetriebs sowie den Erhalt der
persönlichen Beziehungsebene zwischen
Elternhaus und Schule geleistet. Eine
enorm wichtige und ebenfalls unbestreit-
bar ’systemrelevante’ Aufgabe, die öffent-
lich viel zu wenig gewürdigt wurde und
wird.
Und eben-
so folgerich-
tig ist es des-
halb, den Be-
schäftigten
ein Entgelt
zu gewäh-
ren, das nicht nur im Vergleich zu anderen
Berufsgruppen konkurrenzfähig ist, son-
dern das auch über dem Inflationsaus-
gleich liegt. Alles andere wären Einkom-
menseinbußen! Da die Inflationsrate deut-
lich angezogen hat, die Beiträge für die
Sozialversicherungssysteme ebenfalls über-
proportional steigen, auch wegen der Pan-
demie, kann die Schlussfolgerung für den
Arbeitgeber, das Land Nordrhein-Westfa-
len, nur heißen, auch in dieser ’schwierige-
ren’ Phase der volkswirtschaftlichen Ent-
wicklung für die Zukunft vorzusorgen.
Heute in die Welt von
morgen investieren
Denn wer jetzt nicht in die Welt von mor-
gen investiert, der wird den Anschluss ver-
lieren. Und das heißt für den Bildungssek-
tor auch, dass der Arbeitgeber in ’Köpfe’
investieren muss, quantitativ und qualita-
tiv. Insofern liegen die Lehrerverbände
gemeinsam mit dem dbb und tarifunion
goldrichtig, wenn diese Einkommensrunde
unter dem Motto steht: Zukunft – nur mit
uns!
Der öffentliche Dienst wird in Krisenzeiten
immer wieder als ’Einsparpotenzial’ be-
trachtet. Das hat aber nicht immer zum
gewünschten Erfolg geführt, sondern bis-
weilen die Situation sogar noch verschärft!
Die Wirtschaft macht es seit längerem an-
ders, sie investiert antizyklisch, um Krisen
zu bewältigen.
Im Bildungssektor scheint das noch nicht
ausreichend angekommen zu sein, sonst
würde Nordrhein-Westfalen im Vergleich der
Bundesländer bei den Bildungsausgaben für
die verschiedenen Schulstufen nicht auf den
hinteren Plätzen liegen. Und dies schon seit
vielen Jahren!
Eine direkte Auswirkung dieser unzurei-
chenden Bildungsausgaben ist die schlechte
Schüler-Lehrer-Relation. »Jeweils in den
Grundschulen und den allgemeinbildenden
Schulen der Sekundarstufe I (ohne Gymna-
sien) weist Nordrhein-Westfalen die größten
Klassen aller Bundesländer auf.« (Bildungs-
monitor 2021, S. 168/169)
Es gibt kaum noch jemanden, der den
Zusammenhang zwischen Klassengröße und
Unterrichtsqualität leugnen wollte. Die Er-
fahrungen der Lehrkräfte aus den letzten
Monaten mit den verschiedenen Unter-
richtsformaten aufgrund der Infektionslage
haben zudem mehr als deutlich gemacht,
dass mit geeigneten Unterrichtsbedingun-
gen ein qualitativ exponentiell besserer Un-
terricht möglich wird.
In Zeiten des demografischen Wandels
müsste das Land daher sofort umsteuern,
um mit attraktiven Arbeitsplätzen, moder-
nen bzw. renovierten Schulgebäuden sowie
kleineren Klassen einen effektiveren wie
auch qualitätsorientierten Unterricht zu er-
möglichen und gleichzeitig mit einer ange-
messenen Vergütung, die der Verantwortung
für gute Bildung gerecht wird, mehr geeig-
netes pädagogisches Personal für die Schule
zu gewinnen.
Das Maß an Zufriedenheit aller Beschäf-
tigten steht und fällt mit dem Einklang zwi-
schen Aufgabe und Ergebnis. Wenn die äu-
ßeren Strukturen dies jedoch verhindern
bzw. beeinträchtigen, dann kann trotz guter
Absicht eine Trendumkehr nicht gelingen.
Diese sollte uns die nächste Generation aber
doch wert sein!
Ulrich Gräler