3Unter der Lupe
Ein enttäuschender
Entwurf
15Dossier
Sprich mit mir
und lies mir vor
28 Recht§ausleger
Masernimpfung
bleibt Pflicht
6Im Brennpunkt
Platz 14 von 16
§132c-Schulen
Provisorium als
Dauerlösung?
Pädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
1781 | Ausgabe 6/2024 | NOVEMBER | 68. Jahrgang
INHALT
lehrer nrw ·
6/2024
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UNTER DER LUPE
Sven Christoffer:
Ein enttäuschender Entwurf 3
BRENNPUNKT
Sarah Wanders: Platz 14 von 16 6
JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner: Den Funken
überspringen lassen 8
MAGAZIN
Entlastung statt Belastung 10
Hauptsache Hauptschule:
Aktionstag in Essen 11
TITEL
Justus-von-Liebig-Schule in Duisburg-
Hamborn: »Bei uns herrscht
Aufbruchstimmung« 12
Justus-von-Liebig-Schule im Kurzprofil 13
4,6 Milliarden Euro für
920 Startchancen-Schulen 14
DOSSIER
Prof. Dr. Ralf Lankau:
Sprich mit mir und lies mir vor 15
SCHULE & POLITIK
Mangelnde Deutschkenntnisse =
mangelnde Bildungschancen 19
Gemeinsam gegen Gewalt 20
Ulrich Gräler: Wer Führung bestellt … 22
Kommentar: Kultur der Führung? 23
FORTBILDUNGEN
KI, Recht, Stress und Widerstand 24
SENIOREN
Ab in den Süden 26
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange:
Masernimpfung bleibt Pflicht 28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Ex und weg! 30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Tabu
Aufgabe 2: Palindrom
Aufgabe 3: Stroop 31
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
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‘lehrer nrw’
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ten. Preis für Nichtmitglieder
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Redaktion
Sven Christoffer,
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Düsseldorf
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PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
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Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
Ein enttäuschender
Entwurf
Der Entwurf des 17. Schulrechts-
änderungsgesetzes zur Zukunft
der §132c-Schulen gibt Anlass zu scharfer Kritik.
D
Dass Realschulen ab Klasse 7 Hauptschulbil-
dungsgänge anbieten können, wird von einer
Übergangsregelung in eine feste gesetzliche
Bestimmung überführt – so jedenfalls sieht es der
Entwurf des 17. Schulrechtsänderungsgesetzes vor,
der
lehrer nrw
im Rahmen der Verbändebeteiligung
vorgelegt worden ist. Die relativierende Formulierung
aus dem bisherigen § 132c »insbesondere wenn eine
öffentliche Hauptschule in der Gemeinde oder im Ge-
biet des Schulträgers im Sinne des § 78 Absatz 8 nicht
vorhanden ist« wird im Entwurf übernommen.
lehrer
nrw
begrüßt die Beibehaltung dieser Conditio sine
qua non ausdrücklich. Das Schulministerium hat im-
mer betont, dass die Einrichtung eines Bildungsgangs
ab Klasse 7, der zu den Abschlüssen der Hauptschule
führt, kein Instrument der Schulentwicklung in den
Kommunen sein soll. Dabei muss es unbedingt blei-
ben. Insgesamt bietet der Entwurf jedoch leider Anlass
zu scharfer Kritik, die unser Verband in seiner Stel-
lungnahme dann auch sehr deutlich formuliert hat.
Der Landtag hat im Jahr 2011 ein Gesetz beschlos-
sen, mit dem die institutionelle Garantie der Haupt-
schule in der Landesverfassung aufgegeben wurde. Im
Jahr 2015 hat die Landesregierung mit dem 12. Schul-
rechtsänderungsgesetz zur Sicherung von Schullauf-
bahnen die Möglichkeit geschaffen, an Realschulen ab
Klasse 7 den Bildungsgang der Hauptschule einzurich-
ten. Ziel der neuen Regelung war die Sicherung von
individuellen Bildungsverläufen auch bei fehlender
Verfügbarkeit eines vollständigen Schulangebotes des
gegliederten Systems (Hauptschule, Realschule und
Gymnasium) in der näheren Umgebung.
Länger gemeinsam lernen
zu Realschulkonditionen
Weiterhin wurde festgelegt, dass Schülerinnen und
Schüler im Bildungsgang Hauptschule im Klassenver-
band mit Schülerinnen und Schülern des Bildungs-
gangs Realschule un-
terrichtet werden. »Hierbei
sind Formen innerer und äußerer Dif-
ferenzierung möglich.« Die Ausbildungs- und
Prüfungsordnung Sekundarstufe I legte seinerzeit
die Beschränkung der äußeren Differenzierung auf
bis zu einem Drittel der Stundentafel fest. Unter der
schwarz-gelben Landesregierung ist die Ausbildungs-
und Prüfungsordnung Sekundarstufe I dahingehend
geändert worden, dass »Unterricht in äußerer Diffe-
renzierung im Umfang von bis zur Hälfte der Stunden-
tafel erfolgen kann«. Faktisch erfolgt der Unterricht an
den achtzehn Realschulen (mit Ausnahme des Wahl-
pflichtunterrichts Wirtschaft und Arbeitswelt, der für
den Bildungsgang Hauptschule verpflichtend ist) aber
ausschließlich oder weit überwiegend im Klassenver-
band in Formen innerer Differenzierung. Von der Mög-
lichkeit der äußeren Differenzierung wird aus perso-
nellen, pädagogischen und räumlichen Gründen we-
der zu einem Drittel und schon gar nicht im Umfang
von bis zur Hälfte der Stundentafel Gebrauch ge-
macht. Realschulen mit Hauptschulbildungsgang sind
demnach Schulen, an denen länger gemeinsam ge-
lernt wird, ohne dass ihnen die weitaus günstigeren
Rahmenbedingungen der Schulen des längeren ge-
meinsamen Lernens zur Verfügung gestellt werden
(geringeres Pflichtstundendeputat der Lehrkräfte, bes-
sere Lehrer-Schüler-Relation, mehr Funktionsstellen).
Eine Klasse, zwei Lehrpläne
An den Schulen des längeren gemeinsamen Lernens
werden alle Schülerinnen und Schüler auf der Grund-
lage EINES Kernlehrplans unterrichtet, Gleiches gilt für
die Bildungsgänge des gegliederten Systems. Das
heißt, dass der Kernlehrplan an Gesamtschulen, Se-
kundarschulen, PRIMUS-Schulen, Gymnasien, Real-
schulen und Hauptschulen für alle Schülerinnen und
Schüler dieselben Kompetenzbereiche, Inhaltsfelder
und Kompetenzerwartungen ausweist. An den Real-
schulen mit Hauptschulbildungsgang werden die
Schülerinnen und Schüler im Realschulbil-
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lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von SVEN CHRISTOFFER
lehrer nrw ·
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UNTER DER LUPE
dungsgang ab Jahrgangsstufe 7 nach dem Kernlehr-
plan Realschule unterrichtet, die Schülerinnen und
Schüler im Hauptschulbildungsgang nach dem Kern-
lehrplan Hauptschule. Aufgrund der Beschränkung der
äußeren Differenzierung findet dieser Unterricht je-
doch überwiegend – vielfach nahezu ausschließlich –
im Klassenverbund statt. Insbesondere in den höheren
Jahrgangsstufen divergieren die Kernlehrpläne Real-
schule und Hauptschule erheblich, so dass die Lehr-
kraft parallel unterschiedliche Unterrichtsgegenstände
behandeln und Lerninhalte vermitteln muss. Unter die-
ser strukturellen Überforderung leidet die Unterrichts-
qualität. Hinzu kommen Schülerinnen und Schüler mit
Unterstützungsbedarf, die zielgleich nach den Kern-
lehrplänen Realschule und/oder Hauptschule oder ziel-
different unterrichtet werden müssen sowie neu zuge-
wanderte Kinder und Jugendliche, die integriert wer-
den müssen.
Das Hauptschulsterben
und seine Folgen
Dass aufgrund zahlreicher Hauptschulschließungen in
den vergangenen Jahren neue Wege gefunden werden
müssen, um den Hauptschulbildungsgang zu erhalten,
ist einsichtig. Braucht doch das gegliederte Schulsys-
tem in Nordrhein-Westfalen jeden einzelnen Baustein,
um zukunftsfest zu sein. Wenn der Realschule nun-
mehr dauerhaft die Aufgabe übertragen werden
soll, an Standorten, an denen eine öf-
fentliche Hauptschule in
der Gemeinde oder im Gebiet des Schulträgers nicht
mehr vorhanden ist, einen Hauptschulbildungsgang
ab Klasse 7 einzurichten, muss jedoch die Ressourcen-
frage neu verhandelt werden. Zudem ist es aus den
oben dargelegten pädagogischen Gründen zwingend
notwendig, dass die Beschränkung der äußeren Diffe-
renzierung aufgehoben wird. Ein entsprechender
Landtagsbeschluss liegt seit Juni 2018 vor, ist aber
bedauerlicherweise niemals umgesetzt worden. Wenn
die Landesregierung nicht bereit ist, an diesen wichti-
gen Stellschrauben nachzujustieren, droht aus einer
untauglichen pädagogischen Übergangslösung eine
untaugliche pädagogische Dauerlösung zu werden.
Es braucht eine grundlegende
Neuausrichtung
Der Gesetzesentwurf sieht noch eine weitere Verände-
rung vor: Schulen mit einem genehmigten Hauptschul-
bildungsgang sollen künftig Schülerinnen und Schüler
nach dem Willen der Eltern und mit Zustimmung des
Schulträgers auch in die Klasse 5 aufnehmen und
nach den Bildungsgangzielen der Hauptschule unter-
richten können.
Unseren Verband haben in den letzten Jahren zahl-
reiche Rückmeldungen von Realschulen mit Haupt-
schulbildungsgang erreicht, dass es für alle Beteiligten
sehr frustrierend ist, wenn vor allem Schülerinnen und
Schüler mit Hauptschulempfehlung die Erprobungsstu-
fe im Bildungsgang Realschule durchlaufen, um dann
ab Klasse 7 häufig die Schullaufbahn im Hauptschul-
bildungsgang fortsetzen zu müssen. Für diese Schüle-
rinnen und Schüler wäre es sicherlich zielführender,
wenn sie bereits in der Erprobungsstufe nach den Bil-
dungsgangzielen der Hauptschule unterrichtet werden
nnten. Gleichzeitig würde die neue Ausgestaltung
aber auch bedeuten, dass die oben dargelegte struk-
turelle Überforderung der Lehrkräfte noch ausgewei-
tet würde, da sie dann auch in den Jahrgangsstufen 5
und 6 im Klassenverbund auf der Grundlage zweier
unterschiedlicher Kernlehrpläne lehren müssten. Ein-
heitliche Lehrpläne, die für alle Schülerinnen und
Schüler im Klassenverbund gelten, sind jedoch die
Grundlage für einen qualitativ hochwertigen Unter-
richt.
Mein Fazit lautet daher: Die Realschulen mit Haupt-
schulbildungsgang bedürfen einer grundlegenden
Neuausrichtung. Diesem Anspruch wird der vorgelegte
Entwurf leider in keiner Weise gerecht.
Sven Christoffer ist Vorsitzender des
lehrer nrw
sowie stellv. Vorsitzender des HPR Realschulen
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
Foto: AdobeStock/Drovnin
Wackliges
Konstrukt:
Der Entwurf des
17. Schulrechtsände-
rungsgesetzes droht
bei den Realschulen
mit Hauptschulbil-
dungsgang ein un-
taugliches Provisori-
um in eine untaugli-
che Dauerlösung zu
verwandeln.
lehrer nrw ·
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BRENNPUNKT
PPllaattzz 1144
vvoonn 1166
D
Der INSM-Bildungsmonitor, eine Ver-
gleichsstudie des Instituts der deut-
schen Wirtschaft (IW) im Auftrag der
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
(INSM), bewertet anhand von insgesamt 98
Indikatoren in 13 Handlungsfeldern die Bil-
dungssysteme der Bundesländer. Das Ergeb-
nis für 2024 zeigt eine gemischte Bilanz für
Nordrhein-Westfalen: Während die Schulen
in einigen Bereichen Fortschritte erzielt ha-
ben, sind andere Ergebnisse besorgniserre-
gend. Deutlicher Verbesserungsbedarf wur-
de in den Bereichen Betreuungsbedingun-
gen (Platz 15) und somit auch bei der Lehr-
kräfteversorgung, Ausgabenpriorisierung
(Ausgaben pro Schüler im Vergleich zu an-
deren Bundesländern, Platz 15), berufliche
Bildung (Platz 14) und Bildungsarmut (Platz
14) identifiziert. Stärken fand man vor allem
bei der Zeiteffizienz (Platz 5) und bei der Di-
gitalisierung (Platz 5). In Nordrhein-Westfa-
len wurden im Jahr 2022 nur 1,2 Prozent
der Grundschülerinnen und Grundschüler
verspätet eingeschult (Bundesdurchschnitt:
6,6 Prozent). Die Wiederholerquote in der
Sekundarstufe I fällt mit 2,4 Prozent eben-
falls leicht besser aus als im bundesdeut-
schen Durchschnitt mit 2,7 Prozent. Über-
durchschnittlich schneidet Nordrhein-West-
falen bei der Verfügbarkeit von schnellem
WLAN an den Schulen ab. Der Umfang des
Informatikunterrichts an den Schulen fällt
durchschnittlich aus.
Die Reaktion des
Schulministeriums
In ihrer Stellungnahme reagierte Schulminis-
terin Dorothee Feller auf die Ergebnisse des
Bildungsmonitors mit einer Mischung aus
Besorgnis und Entschlossenheit. »Bildung
ist die wichtigste Ressource, die wir haben.
Die Landesregierung setzt deshalb bei der
Bildung einen klaren Schwerpunkt. Wir in-
vestieren in unsere Schulen, setzen alles da-
ran, mehr Personal zu gewinnen und stär-
ken die Basiskompetenzen unserer Schüle-
rinnen und Schüler. Auf diesem Weg haben
wir in den vergangenen beiden Jahren be-
von SARAH WANDERS
Foto: AdobeStock/angelmaker
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aannggeeggaannggeenn wweerrddeenn mmüüsssseenn..
Die nordrhein-westfälische
Schulministerin sieht NRW in
einem Marathonlauf, wenn es
um Verbesserungen bei der Bil-
dung geht. Die Spitzengruppe ist
bisher allerdings noch nicht in
Sichtweite …
3. Gleichwertige Bildungsbedingun-
gen: Der Bildungsmonitor hat erneut
die Ungleichheiten zwischen verschie-
denen Schulstandorten verdeutlicht.
lehrer nrw
fordert eine konsequente
Unterstützung der Schulen in benach-
teiligten Regionen, um gleiche Aus-
gangsbedingungen zu gewährleisten –
auch über das Startchancenprogramm
hinaus. Insbesondere an diesen Schulen
muss Lehrkräften ausreichend Zeit ge-
geben werden, sich der einzelnen Schü-
lerinnen und Schüler mit ihren individu-
ellen Bedürfnissen anzunehmen.
4. Stärkung der Mitbestimmung: Ein
transparentes und kooperatives Vorge-
hen bei der Implementierung von Re-
formen ist entscheidend.
lehrer nrw
fordert eine stärkere Einbeziehung der
Lehrkräfte in den Entscheidungspro-
zess, um sicherzustellen, dass Maßnah-
BRENNPUNKT
7
6/2024 ·
lehrer nrw
reits viel erreicht und daran werden wir
auch in Zukunft konsequent weiterarbei-
ten. Das spiegeln die Daten aus den Jahren
2022, auf die sich der Monitor im Wesent-
lichen beruft, noch nicht widerAbermals
betonte Feller, dass man sich auf einem
Marathon befinde, aber man komme gut
voran.
Handlungsbedarf
Aus der Perspektive von
lehrer nrw
erge-
ben sich aus den Ergebnissen des Bil-
dungsmonitors 2024 mehrere zentrale
Handlungsfelder, besonders vor dem Hin-
tergrund, dass das drängendste Problem,
der Lehrkräftemangel, zeitnah nicht beho-
ben werden kann.
1. Bessere Unterstützung und Weiter-
bildung: Die Ergebnisse verdeutlichen
den Bedarf an gezielten Weiterbildungs-
angeboten für Lehrkräfte. Dies bedeutet
aber auch, dass den Lehrkräften ent-
sprechend Zeit für die Fort- und Weiter-
bildung zur Verfügung stehen muss und
die einzelnen Maßnahmen auf die indi-
viduellen Bedürfnisse der Lehrkräfte an-
gepasst werden müssen. Eine Fortbil-
dung um der Fortbildung willen steigert
nicht die Unterrichtsqualität.
2. Verbesserung der Arbeitsbedingun-
gen: Zunehmende Aufgabendichte,
Schwierigkeiten bei der Digitalisierung
in einzelnen Kommunen und unzurei-
chende Ressourcen haben direkte Aus-
wirkungen auf die Arbeitsbedingungen
der Lehrkräfte. Eine nachhaltige Ver-
besserung der Infrastruktur und eine
adäquate Entlastung bei Verwaltungs-
aufgaben sind daher essenziell.
lehrer
nrw
fordert deshalb eine stärkere Ent-
lastung der Lehrkräfte von Bürokratie
und zusätzlichen Aufgaben durch Fach-
personal, damit wieder mehr Zeit für
das Kerngeschäft bleibt.
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende des
lehrer nrw
sowie Vorsitzende des HPR Realschulen
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
INFO
Den vollständigen Bericht
finden Sie unter:
https://insm.de/bildungsmonitor-2024
Nordrhein-Westfalen belegt im INSM-Bildungsmonitor 2024 den 14. Platz der 16 Bundeslän-
der. Bemängelt wird unter anderem, dass die Bildungsausgaben je Grundschüler deutlich un-
ter Bundesdurchschnitt liegen und dass viele Neuntklässler nicht die Mindeststandards im
Lesen erreichen.
Grafik: INSM
men praxisnah und effektiv umgesetzt
werden können.
Fazit: Mitnehmen
statt mitschleifen
Der Bildungsmonitor 2024 hat den Fokus auf
einige der drängendsten Probleme im nord-
rhein-westfälischen Schulsystem gerichtet.
Die Herausforderungen sind groß, aber die
von Ministerin Feller angekündigten Maß-
nahmen bieten Hoffnung auf positive Ent-
wicklungen, auch wenn das große Problem
des Lehrkräftemangels sicherlich erst in Jah-
ren zu beheben sein wird. Hier hilft nur eine
Attraktivitätssteigerung des Berufs statt wei-
terer Belastungen! Erneut gilt, Schulen und
Lehrkräfte »mitzunehmen statt mitzuschlei-
fen«, damit die notwendigen Veränderungen
auch tatsächlich in der Praxis ankommen.
lehrer nrw ·
6/2024
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JUNGE LEHRER NRW
von MARCEL WERNER
Den Funken
überspringen lassen
Demokratiebildung durch gelebte Werte:
Eine ganzheitliche Aufgabe für Lehrkräfte.
D
Demokratie ist nicht nur eine Staats-
form – sie ist ein Privileg, das unsere
Gesellschaft mit Leben füllen muss.
Doch gerade an Schulen zeigt sich: Das De-
mokratieverständnis gerät zunehmend ins
Wanken. Schulen sind als wichtige Bildungs-
institutionen besonders gefordert, Demokra-
tiebildung nachhaltig und wirksam zu för-
dern. Die Lösung? Eine kontinuierliche Wer-
tevermittlung, die von Lehrkräften aktiv mit-
getragen wird.
Demokratie ist ein hohes Gut und das
Fundament unserer freiheitlichen Gesell-
schaft. Doch im schulischen Alltag zeigt sich
häufig, dass es Schülern an einem tiefen
Verständnis für demokratische Prinzipien
fehlt. Alltäglich gewordene Beobachtungen,
wie das Vergessen von Rücksichtnahme
oder das sinkende Engagement in Vereinen,
spiegeln eine zunehmend individualistische
Haltung wider, die im Kontrast zur Solidari-
tät steht, welche die Demokratie verlangt.
Diese Entwicklung erfordert ein gezieltes
Gegensteuern seitens der Schule.
Die Rolle der Schule bei
der Demokratiebildung
Es reicht nicht aus, politische Inhalte in Un-
terrichtsstunden oder Projekttagen zu ver-
mitteln. Ein solch isolierter Ansatz, der nur
punktuell auf die Bedeutung von Demokra-
tie hinweist, wird kaum zu einer grundle-
genden Veränderung beitragen. Demokrati-
sche Werte wie Respekt, Mitgefühl und En-
gagement müssen fest im Schulalltag veran-
kert werden – durch eine gelebte Wertever-
mittlung, die alle Schulbeteiligten ein-
schließt. Die Aufgabe, Demokratie zu
fördern, ist auch kein ‘Zusatzprogramm’,
sondern vielmehr ein Grundsatz, der das
Miteinander an Schulen prägen sollte. Daher
ist es wichtig, eine werteorientierte Schul-
kultur zu schaffen, um Demokratiebildung
nachhaltig zu verankern.
Schüler müssen in der Schule erleben, wie
wichtig es ist, sich für andere einzusetzen,
respektvoll miteinander umzugehen und
Verantwortung zu übernehmen. Hier kann
Gemeinsam Demokratie
leben und gestalten:
Auch das gehört in diesen Zeiten
zum Bildungsauftrag von Schule.
JUNGE LEHRER NRW
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6/2024 ·
lehrer nrw
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: werner@lehrernrw.de
eine klare und gemeinsam gestaltete Wer-
tebasis helfen, die nicht nur im Klassen-
zimmer, sondern auch in Pausen, Projekten
und außerunterrichtlichen Aktivitäten er-
lebbar wird. Lehrkräfte sollten dazu anre-
gen, dass diese Werte im Schulalltag im-
mer wieder thematisiert und reflektiert
werden: Was bedeutet Rücksichtnahme
konkret? Wie gehe ich mit Konflikten um,
ohne jemanden auszuschließen?
Damit dies gelingt, ist es besonders
wichtig, dass Schulen einen Fokus auf das
gemeinsame Leben und Lernen legen und
Demokratie durch das tägliche Verhalten
erfahrbar machen. Dabei kann ein ganz-
heitliches Classroom-Management helfen,
das die sozialen Kompetenzen der Schüler
stärkt und den Klassenraum zu einem Ort
des respektvollen Umgangs und der Zu-
sammenarbeit formt. Pädagogische Ge-
schlossenheit ist hier entscheidend: Wenn
Lehrkräfte als Vorbilder für demokratisches
Verhalten auftreten und einheitliche Werte
vermitteln, erleben Schüler Demokratie als
gelebte Realität.
Nachhaltigkeit durch Kon-
tinuität und Authentizität
Demokratiebildung und Wertevermittlung
sind Prozesse, die Zeit und Geduld erfor-
dern. Es geht nicht um kurzfristige Projek-
te, sondern um eine langfristige, kontinu-
ierliche Arbeit. Lehrkräfte sollten sich be-
wusst sein, dass die Werte, die sie vorle-
ben, tief im Gedächtnis der Schüler veran-
kert bleiben. Authentizität spielt dabei eine
wesentliche Rolle: Nur wenn Lehrkräfte die
Werte, die sie vermitteln, auch selbst le-
ben, wird der Funke auf die Schüler über-
springen und das Demokratieverständnis
der Schüler gestärkt. Verantwortung zu
übernehmen – für das eigene Verhalten,
für die Gemeinschaft und für gesellschaft-
liche Prozesse – ist eine der wichtigsten
demokratischen Kompetenzen.
Fazit: Demokratie als
Aufgabe der ganzen
Schulgemeinschaft
Demokratiebildung bedeutet, eine verant-
wortungsvolle, solidarische Haltung zu
entwickeln, die sich nicht nur auf den Klas-
senraum beschränkt. Lehrkräfte sind hier
in einer Schlüsselrolle: Sie können durch
eine konsequente Wertevermittlung, päda-
gogische Geschlossenheit und als Vorbilder
für demokratische Prinzipien ihren Schü-
lern ein nachhaltiges Demokratieverständ-
nis vermitteln. Eine gelebte Werteorientie-
rung schafft die Grundlage für eine demo-
kratische Kultur, die Schüler für ihr weite-
res Leben stärkt und ihnen zeigt, dass De-
mokratie mehr als ein Unterrichtsthema ist
– sie ist eine gemeinsame Verantwortung
für unsere Gesellschaft.
Foto: AdobeStock/alphaspirit
lehrer nrw ·
6/2024
10
MAGAZIN
Entlastung
statt Belastung
Als Schulministerin Dorothee Feller Ende 2022 ihr Handlungs-
konzept zur Unterrichtsversorgung vorstellte, warnte auch
lehrer nrw
vor Fehlentwicklungen vor allem zu Lasten der Be-
stands-Lehrkräfte. Knapp zwei Jahre später sieht sich unser
Verband in dieser Skepsis bestätigt, wie Landesvorsitzender
Sven Christoffer bei einer Expertenanhörung am 1. Oktober
im Düsseldorfer Landtag deutlich machte.
B
Beschränkungen der Teilzeitmöglichkei-
ten, mehr (auch schulformübergreifen-
de) Abordnungen und eine Erweiterung
des Einsatzradius‘ nach Rückkehr aus einer
Beurlaubung oder Elternzeit: Unter anderem
solche dienstrechtlichen Maßnahmen sorgten
und sorgen für viel Kritik – auch von
lehrer
nrw
: »Aus unserer Sicht ist das ein völlig fal-
sches Signal: Wie soll der Lehrkräfteberuf für
künftige Generationen attraktiver werden,
wenn man ihn in der Gegenwart noch unat-
traktiver macht?«, erklärte Christoffer mit
Blick auf den dramatischen Lehrkräftemangel
in Nordrhein-Westfalen. Eingeladen zu der An-
hörung hatte die FDP-Fraktion, die ein Schei-
tern des Handlungskonzeptes Unterrichtsver-
sorgung konstatiert und die Landesregierung
auffordert, umzusteuern und insbesondere die
Maßnahmen zur Verschlechterung der Arbeits-
platzattraktivität zurückzunehmen.
Dienstrechtliche Maßnahmen
setzen falsche Signale
Abordnungen seien ein Notinstrument, um
den Mangel gleichmäßig zu verteilen und
die Personalsituation an Schulen in heraus-
fordernden Lagen zu verbessern, erläuterte
der
lehrer nrw
-Vorsitzende. »Gerade diese
Schulen sind aber für eine intensive Bezie-
hungsarbeit mit den Schülerinnen und Schü-
lern sowie für eine langfristig angelegte
Schulentwicklungsarbeit auf Personalkonti-
nuität angewiesen. Diese Ansprüche können
aber für maximal zwei Jahre abgeordnete
Lehrkräfte nicht erfüllen.« Zudem hätten die
im Regierungsbezirk Münster erfolgreich
durchgeführten Klageverfahren von Lehr-
kräften gegen beabsichtigte Abordnungen
noch einmal sehr deutlich gemacht, dass die
Foto: AdobeStock/Alexander
Schwere Last:
Die Landesregierung
mutet vor allem Be-
stands-Lehrkräften
mit dem Handlungs-
konzept Unterrichts-
versorgung einiges zu.
Maßnahme der Abordnung an den abge-
benden Schulen regelmäßig zu erheblichem
Unmut und Unfrieden im Kollegium führt.
Auch die Beschränkungen bei der vo-
raussetzungslosen Teilzeit sieht
lehrer nrw
als fatales Signal: »Wer die Kolleginnen und
Kollegen gegen ihren Willen in die Vollzeit
drängt, erhöht den Druck massiv und somit
die Gefahr der Überforderung. Wenn diese
Menschen dann in die Krankheit fallen, hat
das System Schule nicht nur nichts gewon-
nen, sondern auch noch das wertvolle De-
putat einer Teilzeitkraft verloren«, mahnte
Christoffer.
Ebenso leiste die Ausweitung des Ein-
satzradius nach Rückkehr aus der Beurlau-
bung oder Elternzeit aus Sicht von
lehrer
nrw
keinen wesentlichen Beitrag zur Ver-
besserung der Unterrichtsversorgung. »Im
Gegenteil«, so Christoffer: »Auf diese Weise
werden mögliche Bestrebungen der Be-
schäftigten, möglichst frühzeitig aus einer
Beurlaubung oder Freistellung zurückzukeh-
ren, unterminiert.«
Mehr Zeit fürs Kerngeschäft
Die FDP-Forderung nach mehr Stellen für
Schulverwaltungsassistenz sowie einer
Stärkung der Schulpsychologie und der
Schulsozialarbeit unterstützt
lehrer nrw
.
»Schule muss so organisiert sein, dass das
pädagogische Personal sich auf das päda-
gogische Kerngeschäft – Unterrichten und
Erziehen – fokussieren kann. Die Zunahme
unterrichtsfremder Aufgaben in den letzten
Jahren hat den Bereich des Organisierens
und Verwaltens jedoch aufgebläht. Daraus
ergibt sich zwangsläufig, dass für das
schulische Personal weniger Zeit für das
Kerngeschäft, nämlich die sorgfältige
Planung, Vor- und Nachbereitung von
Unterricht, übrig bleibt«, betonte Chri-
stoffer. »Alle Aufgaben, die keinen pä-
dagogischen Hintergrund haben und
keinen pädagogischen Horizont erfor-
dern, müssen so weit als möglich out-
gesourct werden.« Vor diesem Hinter-
grund könne der Ausbau von Stellen für
Schulverwaltungsassistenz eine große
Hilfestellung sein.
Darüber hinaus regte er an, dass die
schulpsychologischen Dienste niedrig-
schwellige Beratung vor Ort anbieten soll-
ten – beispielsweise durch regelmäßige
Sprechstunden in den Schulen. Schulsozial-
arbeit bilde ebenfalls einen integralen Be-
standteil schulischer Arbeit. Doch längst
nicht jede Schule könne auf diese wertvolle
Personalressource zurückgreifen. »Auch un-
ter dem Aspekt der Entlastung von Lehrkräf-
ten sollte deshalb jeder Schule mindestens
eine Stelle für Schulsozialarbeit zugewiesen
werden«, forderte der
lehrer nrw
-Vorsitzen-
de.
Praxisbezug in der Lehr-
kräfteausbildung stärken
Überlegungen zu einer Stärkung des univer-
sitären Anteils der Lehrerausbildung bei ei-
ner gleichzeitigen Verkürzung des Vorberei-
tungsdienstes auf zwölf Monate, wie aktuell
von der Ständigen Wissenschaftli-
chen Kommission der Kultus-
ministerkonferenz
propagiert, wies
Christoffer
scharf zu-
rück. Er
Hauptsache Hauptschule:
Aktionstag in Essen
Unter dem Motto ‘#Hauptsache Hauptschule’ fand am 25. Sep-
tember in Essen der erste Hauptschultag in Nordrhein-Westfalen statt.
In ihrer Eröffnungsrede hob Schulministerin Dorothee Feller hervor, dass
die Hauptschule ein vielseitiges Sprungbrett für verschiedene Berufsfelder
sei, aber oft nicht die Wertschätzung erhalte, die sie verdiene: »Seit Beginn
der Legislaturperiode habe ich zahlreiche Schulen besucht und an den Haupt-
schulen immer hochengagierte und leidenschaftliche Kollegien erlebt, die sich je-
den Tag für ihre Schülerinnen und Schüler einsetzen. Wir haben starke Hauptschu-
len, die ihre Kinder und Jugendlichen gut auf die Zukunft vorbereiten. Mein Dank
richtet sich an alle, die an unseren Hauptschulen arbeiten und unseren Kindern eine
gute Bildung mit auf den Weg geben.«
Unter dem Motto ‘#Hauptsache Hauptschule’ hatte das Schulministerium alle Schul-
leitungen der Hauptschulen in Nordrhein-Westfalen eingeladen. Vor Ort konnten sich
die Schulleitungen vernetzen. Auf einem Markt der Möglichkeiten und in Workshops
präsentierten sich zahlreiche Hauptschulen und Bildungsanbieter mit ihren individuellen
Unterrichtskonzepten und Unterstützungsangeboten. In einem Podiumsgespräch beant-
wortete die Ministerin Fragen von Schulleitungen und Schulaufsicht.
Wie zahlreiche Rückmeldungen zeigten, empfanden viele Teilnehmende den Haupt-
schultag als bereichernd und als Gewinn für die Sache der Hauptschulen. Dorothee Feller
bekräftigte, die vorhandenen Hauptschulen zu stärken und bei ihrer Arbeit weiter zu un-
terstützen. Nachdem sich die Zahl der Hauptschulen in den vergangenen Jahrzehnten
deutlich verringert hatte, sei inzwischen eine Stabilisierung zu erkennen. Im Schuljahr
2024/2025 gibt es in Nordrhein-Westfalen 159 Hauptschulen.
MAGAZIN
11
6/2024 ·
lehrer nrw
verwies auf eine von
lehrer nrw
initiierte
Online-Umfrage unter knapp 1200 Lehramts-
anwärterinnen und -anwärtern sowie bereits
fertig ausgebildeten Lehrkräften – mit ein-
deutigen Ergebnissen: Die Teilnehmenden
empfanden die zweite Phase der Lehrkräfte-
ausbildung als hilfreicher für die Praxis und
somit für das spätere Berufsleben als den
universitären Teil. Dies mache deutlich, dass
der Praxisbezug in der universitären Ausbil-
dung verstärkt werden sollte, unterstrich
Christoffer: »Die Umfrageergebnisse zeigen,
dass die zweite Phase der Lehrkräfteausbil-
dung elementar wichtig für die angehenden
Kolleginnen und Kollegen ist. Eine zeitliche
Kürzung zur schnelleren Behebung des Lehr-
kräftemangels wäre fatal und würde sicher-
lich nicht zur Steigerung der Unterrichtsquali-
tät beitragen.« Jochen Smets
lehrer nrw ·
6/2024
12
TITEL
»Bei uns herrscht
Aufbruchstimmung«
Die Justus-von-Liebig-Schule in Duisburg-Hamborn ist eine
Startchancen-Schule. Bund und Land fördern im Startchan-
cen-Programm Schulen in herausfordernder Lage, deren
Schülerinnen und Schüler weit überdurchschnittlich unter so-
zialer Benachteiligung aufgrund von Armut oder einem vor-
liegenden Migrationshintergrund leiden. Für die Justus-von-
Liebig-Schule ergeben sich dadurch neue Möglichkeiten.
J
Julia Leiß und Ulf Gutowski sind hoch
erfreut, um nicht zu sagen: begeistert.
Die Schulleiterin und der didaktische
Leiter der Justus-von-Liebig-Schule haben
mit ihrem siebzigköpfigen Kollegium eine
nicht eben alltägliche Chance, ihre Schule
noch besser zu machen. Denn die Sekun-
darschule in Duisburg-Hamborn gehört zu
den ersten 400 Schulen in Nordrhein-West-
falen, die für das kürzlich angelaufene
Startchancen-Programm ausgewählt wur-
den. Für Nordrhein-Westfalen stellen Bund
und Land in den nächsten zehn Jahren ins-
gesamt 4,6 Milliarden Euro zur Verfügung.
Davon werden 920 Schulen profitieren,
denn neben den bereits auserkorenen 400
kommen im nächsten Schuljahr noch ein-
mal 520 Schulen hinzu. Sie alle eint, dass
Schulleiterin Julia Leiß und der didaktische Leiter Ulf Gutowski
freuen sich über die neuen Möglichkeiten, die das Startchancen-Programm der Justus-von-
Liebig-Schule eröffnet.
Foto: Smets
sie »Schulen in herausfordernder Lage«
sind, wie es im bildungspolitischen Duktus
gern etwas euphemistisch umschrieben
wird. Soll heißen: Viele Schülerinnen und
Schüler haben entweder eine Migrationsge-
schichte oder kommen aus armutsgefährde-
ten Familien – oder beides.
»Wir wollen nicht
einfach Geld verpulvern«
Das ist auch im Fall der im Duisburger Nor-
den gelegenen Justus-von-Liebig-Schule so.
Und darum sehen Julia Leiß und Ulf Gutow-
ski die Teilnahme am Startchancen-Pro-
gramm als genau das: als große Chance.
Klar ist für beide: »Wir wollen nicht einfach
Geld verpulvern, das halt gerade mal da
ist«, betont Julia Leiß. »Wir dürfen und
können eine Vorreiter-Rolle übernehmen«,
ergänzt Ulf Gutowski. Wieviel aus dem gro-
ßen Milliarden-Topf letztlich in ihrer Schule
ankommen wird, wissen die beiden Lei-
tungskräfte noch gar nicht genau. Es ist je-
denfalls nicht so, dass in Kürze einfach ein
paar Milliönchen zur freien Verwendung auf
dem Schulkonto landen. Die Startchancen-
Schulen sollen und können das Geld in drei
Bereichen einsetzen: für Investitionen in
Ausstattung und Infrastruktur, in die Schul-
und Unterrichtsentwicklung sowie in zu-
sätzliche Fachkräfte für Schulsozialarbeit
oder multiprofessionelle Teams.
Ideen und Projekte
in vielen Bereichen
So hat die Justus-von-Liebig-Schule bereits
eine zusätzliche Stelle für die Schulsozialar-
beit ausgeschrieben. Geplant ist die An-
schaffung neuer Diagnoseinstrumente, mit
denen Lehrkräfte den Lernfortschritt ihrer
Schülerinnen und Schüler noch besser ana-
lysieren und sie noch zielgerichteter sowie
passgenauer fördern können. Angedacht ist
zudem die Einrichtung eines Aufenthalts-
TITEL
13
6/2024 ·
lehrer nrw
INFO
Justus-von-Liebig-Schule
im Kurzprofil
»Die Schule mit der Lernenergie« – so lautet die Selbstbeschreibung der Justus-von-
Liebig-Schule. Für Lernenergie sorgen innovative Programme, die leistungsstarke wie
leistungsschwächere Kinder gleichermaßen fordern und fördern, ein klarer Schwer-
punkt im MINT-Bereich und ein Kollegium von rund siebzig engagierten Lehrkräften,
die etwa 860 Schülerinnen und Schülern beste Startchancen bieten wollen.
»Viele kommen mit einer schlechten Prognose von der Grundschule zu uns«, er-
klärt der didaktische Leiter Ulf Gutowski. »Trotzdem ist die Abbrecherquote minimal.
Viele schaffen bei
uns den Weg in eine
Berufsausbildung,
manchen gelingt so-
gar die Qualifikation
für die gymnasiale
Oberstufe
Ein Faktor der er-
folgreichen Arbeit ist
die klare Fokussie-
rung auf die MINT-
Fächer. 2021 wurde
die Justus-von-Lie-
big-Schule als MINT-
Schule zertifiziert
und 2023 rezertifi-
ziert. Zum MINT-
Konzept gehören
unter anderem eine
Roboter AG (die
schon mehrere Prei-
se gewonnen hat),
das phänomexx-Labor, das ebenso wie das MINT-aktiv-Angebot die Lust am For-
schen und Experimentieren fördert, die Forscherwerkstatt als Angebot speziell für
leistungsstarke Schülerinnen und Schüler sowie natürlich neue, bestens ausgestatte
Fachräume, interaktive Whiteboards in fast allen Klassenräumen sowie eine Eins-zu-
Eins-Ausstattung mit iPads.
Sehr erfolgreich ist zudem das Berufsorientierungs-Konzept der Justus-von-Liebig-
Schule. Neben einem dreiwöchigen Blockpraktikum in der zehnten Klasse ist hier vor
allem der Praxislerntag zu nennen: Ab Klasse 9 können die Schülerinnen und Schüler
einmal pro Woche in einen Betrieb hineinschnuppern und verschiedene Berufsfelder
kennenlernen. Nicht selten mündet das nach erfolgreichem Schulabschluss in eine
Berufsausbildung. Jochen Smets
Weitere Informationen:
www.liebig-schule.de
Die Justus-von-Liebig-Schule ist als MINT-Schule zertifiziert.
Sie bietet den Schülerinnen und Schülern vielfältige Möglich-
keiten, auch im Hinblick auf die Berufsorientierung.
Foto: BW NRW
raums für die Schülerinnen und Schüler. Ziel
hier wäre es, jenseits der Smartphone-Dis-
plays die soziale Interaktion unter den jun-
gen Menschen zu fördern. Außerdem wol-
len Julia Leiß und Ulf Gutowski die bereits
recht intensive Elternarbeit weiter ausbau-
en. Schon jetzt gibt es zum Beispiel ein El-
terncafe, in dem Themen wie Mediennut-
zung und -konsum besprochen werden.
»Wir wollen die Eltern in die Schule holen,
und zwar nicht nur dann, wenn es Proble-
me gibt«, unterstreicht Ulf Gutowski. »Wir
wollen einen positiven Kontakt aufbauen
und den Eltern helfen, ihre Kinder auch zu-
hause sinnvoll zu unterstützen.«
Viel Unterstützung,
enge Vernetzung,
intensiver Austausch
Die Beantragung und Freigabe der Mittel
aus dem Startchancen-Programm erfolgt
letztlich über die Schulaufsicht. Bei diesem
Stichwort mögen bei manch leidgeprüftem
Schulleiter die Bürokratie-Alarmglocken
schrillen, doch Julia Leiß und Ulf Gutowski
geben Entwarnung. »Natürlich hatten auch
wir Befürchtungen, dass das ganze Proze-
dere mit einem unvertretbaren Mehrauf-
wand verbunden sein könnte, doch das ist
nicht der Fall. Zumindest für unsere Schule
kann ich sagen, dass der bürokratische Auf-
wand sehr überschaubar ist und dass wir
viel Unterstützung von der Schulaufsicht
bekommen«, sagt Julia Leiß. Ein weiterer
Vorteil sei zudem die enge Vernetzung und
der intensive Austausch mit den anderen
Startchancen-Schulen.
Natürlich kann auch ein noch so üppig
ausgestattetes Startchancen-Programm
nicht alle Schwierigkeiten aus der Welt
schaffen. So leidet die Justus-von-Liebig-
Schule, ebenso wie viele andere, unter Per-
sonal- und Raummangel. Das lässt sich
nicht von jetzt auf gleich und schon gar
nicht auf Knopfdruck beheben, weiß die
Schulleiterin: »Geld allein löst keine Proble-
me. Aber wir haben jetzt mehr Möglichkei-
ten. In unserer Schule herrscht Aufbruch-
stimmung.«
Jochen Smets
lehrer nrw ·
6/2024
14
TITEL
4,6 Milliarden Euro für
920 Startchancen-Schulen
N
Nordrhein-Westfalen erhält aus dem
Startchancen-Programm über eine
Laufzeit von zehn Jahren rund 2,3
Milliarden Euro vom Bund und wird Mittel
bis zu demselben Umfang investieren.
Sechzig Prozent des Geldes kommen Schü-
lerinnen und Schülern im Primarbereich
zugute, vierzig Prozent Schülerinnen und
Schülern in weiterführenden allgemeinbil-
denden und berufsbildenden Schulen. Die
ersten 400 Schulen aus Nordrhein-Westfa-
len mit insgesamt über 138 000 Schülerin-
nen und Schülern sind zum Schuljahr
2024/2025 gestartet. Weitere 520 Start-
chancen-Schulen folgen zum Schuljahr
2025/2026.
Bund und Länder hatten sich im Februar
2024 auf das Startchancen-Programm geei-
nigt, mit dem deutschlandweit rund 4000
Schulen in herausfordernder Lage in den
kommenden zehn Jahren mit insgesamt bis
zu 20 Milliarden Euro gefördert werden.
Bei der Auswahl der Schulen sind vor allem
zwei zentrale Kriterien zu berücksichtigen:
der Anteil von Schülerinnen und Schülern
mit Migrationsgeschichte sowie die Ar-
mutsgefährdung von Schülerinnen und
Schülern. Diese Kriterien finden auch im
nordrhein-westfälischen Schulsozialindex
Berücksichtigung. Auf dieser Grundlage
hatte das NRW-Schulministerium die ersten
400 Schulen für eine Förderung ab dem
Schuljahr 2024/2025 ausgewählt, zur Teil-
nahme eingeladen und ausnahmslos Zusa-
gen erhalten.
Das Startchancen-Programm
beruht auf drei Säulen:
Investitions-Budget für die lernförderli-
che Infrastruktur der Schulen,
Chancen-Budget für die Schul-
und Unterrichtsentwicklung,
Personal-Budget, um Fachkräfte
für Multiprofessionelle Teams oder
für Schulsozialarbeit einzustellen.
Die Schulleiterinnen und Schulleiter der
ersten 400 Startchancen-Schulen kamen
am 18. Juni 2024 in Neuss zusammen, um
gemeinsam mit der Schulaufsicht zu erar-
beiten, wie das Startchancen-Programm
vor Ort mit Leben gefüllt werden soll. In
insgesamt 25 Workshops zu pädagogi-
schen und organisatorischen Fragestellun-
gen konnten sich die Teilnehmenden unter-
einander austauschen und miteinander
vernetzen. Das Schulministerium hat ein
umfangreiches Starterpaket zusammenge-
stellt, um die Schulen bei ihren Vorberei-
tungen auf den Programmbeginn zu unter-
stützen. »Wir stellen bewusst die Schul-
und Unterrichtsentwicklung in den Mittel-
punkt. Das heißt: Die Schulen überlegen
und entscheiden gemeinsam mit der
Schulaufsicht, wo sie den Hebel ansetzen
wollen, um die Lehr- und Lernbedingungen
vor Ort zu verbessern. So kann sinnvoll in
die notwendige Ausstattung und zusätzli-
ches Personal investiert werden.« betonte
Schulministerin Dorothee Feller.
Staatssekretär Dr. Urban Mauer sicherte
den Schulen und Schulträgern zu, Umset-
zung und Controlling möglichst unbüro-
kratisch zu organisieren: »Wir achten sehr
genau darauf, die administrativen Aufga-
ben trotz der vom Bund vorgegebenen Be-
richtspflichten so gering wie möglich zu
halten. Um die Schulen zu entlasten, sollen
die Mittel vor allem durch die Bezirksregie-
rungen bewirtschaftet werden.«
INFO
Weitere Informationen:
www.schulministerium.nrw/
startchancen
Die Schulleiterinnen und Schulleiter der ersten 400 Startchancen-
Schulen trafen sich am 18. Juni 2024 in Neuss zu einer Auftaktkonferenz.
Foto: MSB NRW/Andrea Bowinkelmann
Sprich mit mir und lies mir vor
Sprache und Lesekultur als Basis von Bildung
Lesen und Vorlesen
ist ein Schlüssel nicht nur zum
Spracherwerb, sondern auch
zur Persönlichkeitsentwicklung
15
6/2024 · lehrer nrw
von PROF. DR. RALF LANKAU
»Wenn Sie wollen, dass Ihre Kinder intelligent sind,
lesen Sie ihnen Märchen vor. Wenn Sie wollen, dass
sie intelligenter werden, lesen Sie ihnen mehr Mär-
chen vor.« Dieses Zitat wird Albert Einstein zuge-
schrieben und zeigt ein humanes Verständnis von
Bildungs- und Entwicklungsprozessen, während die
heute übliche Fixierung auf digitale Endgeräte und
Bildschirmmedien schon in der Kita auf ein techni-
zistisches und utilitaristisches Verständnis von Lern-
prozessen verweist.
Einem oder mehreren Kindern vorzulesen bedeu-
tet, Vorlesende und Zuhörerende sind präsent und
im direkten Kontakt miteinander, aufmerksam und
konzentriert. Die Stimme schafft einen gemeinsa-
men, akustischen Raum und erzählt eine Geschich-
te, die die Zuhörenden mit eigenen Vorstellungsbil-
dern füllen. Der Mensch denkt ja in Bildern und
übersetzt das Gehörte in eigene Vorstellungs-
Foto: AdobeStock/Serhii
welten. Ein einfacher Satz wie »Der Junge versteckte sich
hinter dem Baum« erzeugt Bilder sowohl des Jungen wie
des Baums. Lässt man Kinder zum Beispiel nach dem
Vorlesen Bilder zu den Geschichten malen, zeigen die
Ergebnisse nicht nur aufgrund der unterschiedlichen
motorischen Fertigkeiten eine Vielfalt an Ergebnissen,
sondern auch in dem, was Kinder imaginieren, wie der
Junge bei ihnen aussieht und welchen Baum sie sich
vorstellen.
Mit anderen zu sprechen, ist die
Voraussetzung, sprechen zu lernen
Bildungsbiografien beginnen durch den Erwerb der
Sprache, ein sich entwickelndes Sprachverständnis und
einen stetig wachsenden Wortschatz. Daher sprechen
wir schon mit Säuglingen, die zwar noch nicht den Sinn
des Gesprochenen verstehen, aber sich an die Sprach-
melodie und die Charakteristika einer Sprache gewöh-
nen. Der akustische Raum schafft, neben der Haptik und
dem Blickkontakt, Geborgenheit und Sicherheit. Kinder
lernen, Laute und Töne, mit der Zeit auch Worte zu unter-
scheiden, die sie nachsprechen. Das beginnt mit einfa-
chen Silbenwiederholungen und differenziert sich durch
die intensive Kommunikation miteinander. Mit anderen
zu sprechen, ist die Voraussetzung, dass sie sprechen ler-
nen. In der »Monographie über die seelische Entwick-
lung des Kindes« von 1907 beschreiben die Psychologen
Clara und William Stern im ersten Kapitel die Entwick-
lung der Kindersprache von den ersten Lauten bis zum
Sprechen in ganzen Sätzen und untersuchen die psycho-
logischen und sprachtheoretischen Ursachen. Ein zwei-
jähriges Kind zum Beispiel sollte über ein Vokabular von
etwa 200 bis 300 Wörtern verfügen. Die individuelle Ent-
wicklung und das Zeitfenster der Sprachentwicklung
kann zwar um ein paar Monate variieren, aber die Spra-
che ist ein entscheidendes Indiz für die Entwicklung von
Kindern.
Sprechen und kindliche Phantasie
Durch das Sprechen lernen Kinder nicht nur, sich zu ver-
ständigen, sondern auch, den sinnlichen Eindrücken die
passenden Begriffe zuzuordnen. »Nichts ist im Verstand,
was nicht zuvor in den Sinnen war« (»Nihil est in intel-
lectu quod non prius fuerit in sensibus«), heißt es bei
Aristoteles wie bei Immanuel Kant, und dieses Wechsel-
spiel aus Anschauung und Begriff ist die Grundlage
aller erkenntnistheoretischen Prozesse. Das Zitat von
Einstein hat aber noch eine zweite Ebene. Das Vorlesen
von Märchen fördert die Phantasie und Vorstellungs-
kraft, weil in Märchen und Sagen Figuren und Situatio-
nen auftauchen, die Kinder nicht aus der Realwelt ken-
nen können, weil es sie nur in der Vorstellung (oder me-
dial generiert) gibt: sprechende Tiere, fliegende Teppi-
che, ein Geist, der aus der Flasche kommt und mit dem
richtigen Spruch auch wieder darin verschwindet usw.
All das ist für Kinder kein Problem. Sie kombinieren,
was sie aus der eigenen Anschauung und Erfahrung
kennen und setzen es mit dem zusammen, was im Mär-
chen erzählt wird. Das funktioniert, weil Kinder Phanta-
sie haben und Phantasie entsteht dadurch, dass man
ihnen Raum und Zeit für das freie Spiel lässt. Dann ist
ein Bauklotz ein Auto oder eine Rakete oder etwas ganz
anderes, was gerade im Spiel gebraucht wird. Die Ent-
wicklung der eigenen Vorstellungswelten gelingt aber
nur, wenn man ihnen ‘nur’ die Geschichte vorliest, statt
fertige Bilder zu zeigen. Es ist ein Lernprozess, der sich an
Kinderbüchern für die verschiedenen Entwicklungsstu-
fen ablesen lässt. Man beginnt mit dem gemeinsamen
Betrachten von Bilder- und Wimmelbüchern, bei denen
den Abbildungen Begriffe zugeordnet werden und stei-
gert den Textanteil immer weiter, bis der Text bei Ju-
gendbüchern allenfalls noch von einem Frontispiz oder
wenigen Illustrationen begleitet wird und schließlich rei-
ne Textbücher die Transformation von Text in Bilder den
Lesenden überantworten. Individuelle Vorstellungswel-
ten entstehen im Kopf.
Der Papstbrief über die
Bedeutung der Literatur
Im August 2024 hat Papst Franziskus aus einer ganz an-
deren Perspektive dazu einen interessanten Beitrag ver-
öffentlicht, der die Bedeutung des Lesens und der Litera-
tur für Bildungsprozesse, Vorstellungskraft und Empa-
thiefähigkeit thematisiert. In seinem Brief »Über die
Bedeutung der Literatur in der Bildung« schreibt er
(die Absätze des Briefs sind durchnummeriert):
»Im Gegensatz zu den audiovisuellen Medien, bei de-
nen das Produkt vollständiger ist und der Spielraum und
die Zeit, die Erzählung zu ‘bereichern oder zu interpretie-
ren, in der Regel geringer sind, ist der Leser beim Lesen
eines Buches viel aktiver. Er schreibt das Werk in gewisser
Weise um, erweitert es mit seiner Vorstellungskraft, er-
schafft eine Welt, nutzt seine Fähigkeiten, sein Gedächt-
nis, seine Träume, seine eigene Geschichte voller Drama-
tik und Symbolik, und so entsteht ein Werk, das sich von
dem unterscheidet, das der Autor zu schreiben beabsich-
tigte.« (Franziskus, 2024, 3)
Die Literatur öffne gerade angehenden Priestern Erfah-
rungswelten und Sichtweisen, die sie durch ihren Weg
des Glaubens, durch Ausbildung und klerikales Studium
selbst nicht erleben, aber kennen sollten, um die Men-
schen mit ihren Ängsten, Bedürfnissen und Sorgen be-
16 6/2024 · lehrer nrw
gleiten zu können. Neben pragmatischen Aspekten
wie Steigerung der Konzentrationsfähigkeit, Erweite-
rung des Wortschatzes und Förderung von Kreativi-
tät und Phantasie (16) erweitere die Literatur durch
die Komprimierung von Geschehnissen auf wenige
Seiten Erkenntnismöglichkeiten, die man im realen
Leben nicht wahrnehme, weil es zum Teil jahrelan-
ge Prozesse seien. Lesen sei vor allem Aktion statt
Konsum vorgefertigter (Bild)Welten:
»Beim Lesen einer Geschichte stellt sich dank der
Sicht des Autors jeder auf seine Weise das Weinen
eines verlassenen Mädchens vor, die alte Frau, die
ihren schlafenden Enkel zudeckt, den Einsatz eines
kleinen Geschäftsmannes, der versucht, trotz aller
Schwierigkeiten über die Runden zu kommen, die
Demütigung eines Menschen, der sich von allen kri-
tisiert fühlt, den Jungen, der als einzigen Ausweg
aus dem Schmerz eines unglücklichen und rauen Le-
bens seine Träume besitzt. (...), wir sehen die Wirklich-
keit mit ihren Augen und werden schließlich zu Weg-
gefährten. So tauchen wir ein in die konkrete, innere
Existenz des Obstverkäufers, der Prostituierten, des
Kindes, das ohne die Eltern aufwächst, der Frau des
Maurers, der alten Frau, die immer noch glaubt, ih-
ren Prinzen zu finden. Und wir können dies mit Ein-
fühlungsvermögen und manchmal mit Duldsamkeit
und Verständnis tun.« (36)
Lesen und Bildschirmzeiten
Sich auf das Lesen konzentrieren, lesend Eigenes
imaginieren und empathisch miterleben und -lei-
den zu können sind Kulturtechniken, die aufgrund
zunehmender Bildschirmnutzungszeiten seit Jahr-
zehnten weniger geübt, weniger praktiziert und mit-
telfristig nicht mehr beherrscht werden. Lesen ge-
hört zu den Kulturtechniken, die man lernen und re-
gelmäßig üben muss, um sie zu beherrschen, wie
das Spielen eines Instruments. Wer nicht regelmä-
ßig übt, kann es zwar ‘im Prinzip’ noch, aber es wird
mühsamer, selbst nicht mehr praktiziert und nicht
mehr vermittelt. Eine selbst smartphonesüchtige
Elterngeneration entsorgt die eigenen Kinder an
Display, Touschcreen und Spielkonsole und verhin-
dert sowohl die sprachliche wie die kognitive Ent-
wicklung des Nachwuchses.
»Vier von zehn Kindern wird nicht oder nur selten
vorgelesen, viele Eltern sprechen kaum noch mit ih-
ren Kindern, weil sie selbst mit digitalen Geräten be-
schäftigt sind, den gesamten Tag der Fernseher läuft
oder weil sie Erziehung und Bildung an Kindergär-
ten oder Schulen delegiert haben.« (Schmoll, 2024)
Vor dem Bildschirm bleiben Kinder
passiv und stumm
Die Sprachentwicklung von Kindern hat Zeitfenster,
vor dem Alter, in dem Kinder in die Kita kommen.
Werden diese Zeiten nicht genutzt, das Sprechen
nicht beizeiten geübt, wird das spätere Lernen zwar
nicht generell verhindert, aber deutlich erschwert.
Das ‘kinderleichte Lernen’ ist nun mal an die Zeit
der frühen Kindheit gebunden. Sitzen Kinder statt-
dessen vor einem Bildschirm, bleiben sie passiv
und stumm.
Nach dem Untersuchungsbericht des Bildungs-
ausschusses des britischen ‚House of Commons‘
(HoC, 2024) beginnt die Bildschirmnutzungszeit von
Kleinstkindern in Großbritannien bereits mit sechs
Monaten. 20 Prozent der 3- bis 4-Jährigen haben
bereits ein Mobiltelefon, 25 Prozent der Achtjähri-
gen ein Smartphone, bei den Zwölfjährigen sind
es nahezu 100 Prozent. Kinder und Jugendliche
verbringen immer mehr Zeit vor Bildschirmen. Zwi-
schen 2009 und 2018 stieg die Zeit vor Displays von
9 auf 15 Stunden pro Woche. Die Bildschirmzeit
17
6/2024 · lehrer nrw
Prof. Dr. Ralf Lankau lehrt seit 2002 Digitalde-
sign, Medientheorie und Ethik an der Hochschu-
le Offenburg. Er setzt sich seit Jahren kritisch mit
dem Einsatz digitaler Techniken im Bildungswe-
sen auseinander, schreibt Bücher und arbeitet
aktuell am Projekt ‘Die päda-
gogischen Wende. Über die
notwendige Besinnung auf
das Erziehen und Unterrichten
siehe QR-Code oder
https://die-pädagogische-wende.de/
DER AUTOR
18 6/2024 · lehrer nrw
für 11- bis 14-Jährige beträgt laut dieser Untersuchung
mittlerweile bis zu neun Stunden – täglich.
Als Folge dieser Mediennutzung sind Kinder und Ju-
gendliche laut HoC-Studie weniger konzentrationsfähig
und leicht ablenkbar, entwickeln Lernstörungen und ein
erhöhtes Risiko für Depressionen und Angstzustände.
Dazu kommen Schlafstörungen, Bewegungsmangel und
Übergewicht sowie die Gefahr, zu früh mit nicht kindge-
rechten Inhalten konfrontiert zu werden. Letzteres kann
zwar auch mit Literatur passieren, aber ein Text adres-
siert das Vorstellungsvermögen der Lesenden und kor-
respondiert mit deren Wortschatz und Vorstellungswel-
ten, was in der Regel zu weniger drastischen Phantasien
führt als aufgezwungene Hardcore-Bilder audiovisueller,
heute oft KI-generierter Medien. Über Cybermobbing
und Seiten mit Gewaltdarstellungen oder Pornografie
berichten schon Grundschulkinder und eine Schulleite-
rin wie Silke Müller warnt eindringlich und aus der
Schulpraxis heraus, dass »wir unsere Kinder verlieren«
(Müller, 2023).
Den Fokus korrigieren
Heute erzählt man Eltern und Lehrkräften zwar, es kom-
me darauf an, möglichst früh an Bildschirmen zu arbei-
ten – verkennt aber (wissentlich), dass es für das Erlernen
des Umgangs mit digitalen Endgeräten und Techniken
keine Altersbeschränkungen gibt. Im Gegenteil. Wer sich
Neugier und Experimentierlust bewahrt hat, kann in je-
dem Alter den Umgang mit Geräten und Diensten ler-
nen, muss es sogar, weil so manches Update die erarbei-
teten Routinen durchkreuzt. Anders sieht es mit dem
Spracherwerb als Grundlage der intellektuellen und ko-
gnitiven Entwicklung aus. Wer als Kind sprachlich nicht
gefördert wird, tut sich ein Leben lang schwer mit Schule
und Beruf. Dazu kommt: Wer sich nicht ausdrücken
kann, weil er keinen Wortschatz aufgebaut hat, ist zum
Schweigen und Zuhören verdammt. Wer nicht selbst le-
sen kann, muss glauben, was andere ihm oder ihr vorle-
sen oder vorsprechen. Wir sind, nach Jahrhunderten der
schulischen Alphabetisierung auch mit dem Ziel der
Emanzipation und Mündigkeit zurückgekehrt in eine
orale (sprachbasierte) Gesellschaft. Durch immer mehr
und immer früher genutzte Bildschirmmedien mit
Spracherkennungssystemen wie Siri, Cortana und Co.
oder ChatBots und sprechenden Avataren regrediert
das Lesen zu einem funktionalen Analphabetismus,
bei dem es genügt, Icons und Symbole anzuklicken. Da
diese sprachgenerierenden IT-Systeme von den Nutzern
nicht kontrolliert werden können, entstehen quasi ne-
benbei autokratische Strukturen. Es ist eine Form von di-
gitalem Feudalismus, bei dem die Position der Allmäch-
tigen nicht mehr von Adel und Klerus beansprucht wird
wie in monarchischen Gesellschaften, sondern von Tech-
Monopolisten und ihren Vertretern.
Vom selbst Lesen zum selbst Denken
Das Gegenmittel ist, wie schon im 18. Jahrhundert, die
Aufklärung. »Sapere aude. Habe Mut, Dich Deines eige-
nen Verstandes zu benutzen«, heißt es bei Immanuel
Kant. Diesen Verstand muss man entwickeln. Dazu
braucht man die Sprache und Begriffe, entwickelt
(sprach)logische Strukturen und ethische Wertesysteme.
Die Basis dafür sind Geschichten, Märchen, Sagen. Vor-
gelesen oder selbst gelesen. Darum ist es so wichtig, mit
Kindern zu sprechen und ihnen vorzulesen, ihnen das
Lesen beizubringen und durch das eigene Vorbild zum
Lesen anzuhalten und zu fördern. Aus dem selbst Lesen
kann dann ein selbst Denken im Sinn Kants werden.
»Der Leser ist also nicht der Empfänger einer erbauli-
chen Botschaft, sondern eine Person, die aktiv aufgefor-
dert wird, sich auf unsicheres Terrain zu begeben, wo die
Grenzen zwischen Heil und Verderben nicht a priori fest-
gelegt und getrennt sind. (…) Der Leser gleicht also einem
Spieler auf dem Spielfeld: Er spielt das Spiel, aber gleich-
zeitig wird das Spiel durch ihn gespielt, in dem Sinne,
dass er völlig in das, was er tut, einbezogen ist.« (Franzis-
kus, 2024, 29)
HoC (2024): Untersuchungsbericht des Bildungsausschusses
des britischen ‘House of Commons’ über ‘Bildschirmzeit:
Auswirkungen auf Bildung und Wohlbefinden’, Vierter
Bericht der Sitzungsperiode 2023-2024, 23. Mai 2024,
https://nen.press/tag/screen-time-impacts-on-education-
and-wellbeing-report/ (24. August 2024)
Müller, Silke (2023): Wir verlieren unsere Kinder. Gewalt,
Missbrauch, Rassismus: Der verstörende Alltag im
Klassen-Chat, München
Papst Franziskus (2024): Brief des Heiligen Vaters Franziskus
über die Bedeutung der Literatur in der Bildung;
https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2024-
08/papst-franziskus-brief-lekture-literatur-ausbildung-
bedeutung-dt.html (14. August 2024)
Schmoll, Heike (2024): Sprachdefizite sind Bildungsbarrieren,
in FAZ vom 14. August 2024, S. 1, https://www.faz.net/
aktuell/politik/inland/warum-eltern-mit-kindern-sprechen-
ueben-sollten-statt-am-handy-zu-sein-19917290.html
(15. August 2024)
Stern, Clara und Wilhelm (1907): Monographie über die
seelische Entwicklung des Kindes, Verlag Johann
Ambrosius Barth, Leipzig;
https://pure.mpg.de/rest/items/item_2389845_3/
component/file_2389844/content (15. August 2024)
QUELLEN UND LITERATUR
SCHULE & POLITIK
Mangelnde Deutschkenntnisse =
mangelnde Bildungschancen
N
Nicht der Migrationshintergrund generell,
aber fehlende Deutschkenntnisse und
Bildungsferne der Eltern haben starke negati-
ve Auswirkungen auf die Bildungs- und spä-
teren Arbeitsmarktchancen von Zuwanderer-
kindern, so das Ergebnis des neuesten INSM-
Bildungsmonitors, den die Bildungsexperten
des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)
im Auftrag der Initiative Neue Soziale Markt-
wirtschaft (INSM) erstellt haben.
Fünfzehnjährige Kinder mit Migrations-
hintergrund weisen demnach im Durch-
schnitt geringere Kompetenzen im Lesen, in
Mathematik und in den Naturwissenschaf-
ten auf. Die Analysen der IW-Bildungsexper-
ten zeigen, dass Kinder in den PISA-Kompe-
tenzen dann schlechter abschneiden, wenn
die Eltern gering qualifiziert sind, wenn
wenig Bücher zu Hause vorhanden sind und
wenn im Elternhaus nicht deutsch gespro-
chen wird. Der Migrationsstatus an sich
habe keinen signifikanten Effekt.
Dies ziehe sich durch bis hin zur Arbeits-
marktintegration: Auch hier wirke sich ein
Migrationshintergrund allein in keiner Weise
negativ aus, sondern erst dann, wenn die
Menschen mit Migrationshintergrund
schlechtere Sprachkenntnisse aufweisen und
geringer qualifiziert sind. Deshalb müsse der
volle Fokus der Bildungspolitik darauf liegen,
zielgerichtet die Kinder zu fördern, die aus
bildungsfernen Haushalten stammen und die
zu Hause nicht gut in der deutschen Sprache
gefördert werden können, so Studienleiter
und IW-Bildungsökonom Professor Dr. Axel
Plünnecke. INSM-Geschäftsführer Thorsten
Alsleben forderte eine deutliche Ausweitung
des Startchancenprogramms für benachtei-
ligte Schülerinnen und Schüler.
Gute Deutschkenntnisse sind der Schlüssel für Bildungs- und Arbeitsmarktchancen.
Foto: AdobeStock/Bonsales
lehrer nrw ·
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SCHULE & POLITIK
Gemeinsam
gegen Gewalt
Schulministerin Dorothee Feller hat ein neues Dialogformat
gestartet, um gemeinsam mit Schulleitungen und Lehrkräften
noch effektiver gegen Gewalt an Schulen vorgehen zu kön-
nen. In zwei digitalen Veranstaltungen gab es sowohl Infor-
mationen als auch die Möglichkeit des Austausches.
»Die Gründe für das gestiegene Gewaltpo-
tenzial in unserer Gesellschaft sind vielfäl-
tig. Physische und psychische Gewalt offen-
bart sich auch an Schulen und kann sich so-
wohl gegen Schülerinnen und Schüler als
auch gegen Lehrkräfte richten. Auf die Viel-
falt der Gründe für Gewalt müssen wir mit
einer Vielfalt an Gegenmaßahmen reagie-
ren«, betonte die Ministerin. Die Veranstal-
tungen boten den Teilnehmerinnen und Teil-
nehmern die Möglichkeit, Fragen an Exper-
tinnen und Experten aus dem Schulministeri-
um und externen Institutionen zu richten,
die zum Teil während der Veranstaltungen
beantwortet wurden oder noch auf der Inter-
netseite des Schulministeriums, dem Bil-
dungsportal, beantwortet werden. Thema
waren unter anderem neue Möglichkeiten
zur Gewaltprävention und Handlungsoptio-
nen in Momenten, in denen sich physische
oder psychische Aggressionen zeigen.
STANDPUNKT
Null Toleranz bei Gewalt!
Angesichts zunehmender Gewaltvorfälle an Schulen – auch
gegen Beschäftigte – steht
lehrer nrw
für eine Null-Tole-
ranz-Politik. Ein Angriff auf Einzelne muss immer auch als Angriff
auf die gesamte Schulgemeinde begriffen und sanktioniert wer-
den. Eine solche Haltung braucht aber eine konsequente Rücken-
deckung durch den Dienstherrn – und sowohl juristische als
auch seelsorgerische Begleitung im Fall der Fälle.
Die Realität sieht vielfach anders aus: Lehrkräfte in Nordrhein-
Westfalen werden nicht selten gleich zweifach traumatisiert: Das
erste Mal, wenn ihnen Gewalt widerfährt, und das zweite Mal,
wenn sie erleben müssen, dass sie mit dieser Gewalterfahrung
allein gelassen werden. Das ist beschämend und nicht hinnehm-
bar. Und es ist kein Einzelfall.
Nicht zuletzt auf Druck und Initiative von
lehrer nrw
gibt es
inzwischen erste positive Entwicklungen. Beispielsweise wurden
für einige Schulformen und in einigen Bezirksregierungen kon-
krete Ansprechpersonen benannt, an die sich Lehrkräfte und pä-
dagogisches Personal bei Gewalterfahrungen wenden können.
Doch das reicht nicht: Wir brauchen konkrete Ansprechpersonen
mit juristischer Kompetenz sowie Soziale Ansprechpartner (SAPs)
mit seelsorgerischer Expertise für alle Schulformen in allen Be-
zirksregierungen.
Gewalt an Schulen hat viele Facetten. Sie kann
sich gegen Mitschülerinnen und Mitschüler, aber auch gegen
Lehrkräfte richten. Nötig sind in solchen Fällen eine klare Haltung
der gesamten Schulfamilie und konsequente Unterstützung für
die Betroffenen.
Foto: AdobeStock/InsideCreativeHouse
SCHULE & POLITIK
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lehrer nrw
Folgende Unterstützungsmaßnahmen
bieten Schulministerium und
Bezirksregierungen zum Beispiel an:
Der Notfallordner ‘Hinsehen und Han-
deln’, der allen Schulen vorliegt, bietet Leh-
rerinnen und Lehrern als Leitfaden konkrete
Handlungsempfehlungen für verschiedene
Krisenfälle. Das neue Präventionshandbuch
als Teil des Notfallordners zeigt Lehrerinnen
und Lehrern, was sie tun können, um ihre
Schülerinnen und Schüler zu schützen.
www.schulministerium.nrw/
notfallordner-hinsehen-und-handeln
Rund 2000 Fachkräfte für Schulsozialar-
beit sind im Landesdienst mit ihrer sozialpä-
dagogischen Fachexpertise in der Schule tä-
tig. Die Schulsozialarbeiterinnen und Schul-
sozialarbeiter arbeiten eng mit den Lehrkräf-
ten, den pädagogischen Fachkräften im
Ganztag, der Jugendhilfe und der Schulpsy-
chologie zusammen.
Neben der Schulsozialarbeit ist auch die
Schulpsychologie mit ihren vielfältigen Bera-
tungs- und Unterstützungsangeboten eine
wichtige Anlaufstelle für die Schulen in
Nordrhein-Westfalen. Die 54 schulpsycholo-
gischen Beratungsstellen in NRW unterstüt-
zen Schulen durch eine systemische Bera-
tung dabei, Gewalt und Mobbing vorzubeu-
gen und bei konkreten Vorfällen handlungs-
sicher einzuschreiten.
Die Landespräventionsstelle gegen Ge-
walt und Cybergewalt an Schulen in Nord-
rhein-Westfalen bietet umfassende Informa-
tionen, insbesondere auch für den Bereich
der Prävention von Cybergewalt.
www.duesseldorf.de/lps
Der Leitfaden der Kultusministerkonferenz
namens ‘Kinderschutz in der Schule’ gibt kon-
krete Hinweise und Materialien zur Erstellung
von Schutzkonzepten in der Schule.
www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Bildung/
AllgBildung/Broschuere_Leitfaden_
KMK-16-03-2023.pdf
Im Rahmen des schulischen Arbeits- und
Gesundheitsschutzes bietet das Ministerium
durch den beauftragten überbetrieblichen
Dienst (BAD GmbH) vielfältige arbeitsmedizi-
nische und sicherheitstechnische Beratungs-
und Unterstützungsleistungen an. So steht al-
len pädagogischen Landesbeschäftigten mit
der Sprech:Zeit 24/7 eine niederschwellige,
telefonische Erstberatung zur Verfügung, in
der rund um die Uhr eine persönliche Bera-
tung zu psychosozialen Themen möglich ist.
www.schulministerium.nrw/beratungstelefon
Die Praxiseinheit ‘Verbale Deeskalation
und Konfliktlösung’ vermittelt deeskalieren-
de Gesprächstechniken anhand praktischer
Übungen.
Zudem werden die Schulleitungen der öf-
fentlichen Schulen bei der Erstellung von Ge-
fährdungsbeurteilungen unter anderem
durch die Bereitstellung von Musterchecklis-
ten und Beratung unterstützt.
Weitere Informationen:
www.schulministerium.nrw/
arbeits-und-gesundheitsschutz
lehrer nrw ·
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SCHULE & POLITIK
Wer Führung bestellt …
… der bekommt sie auch. Und zwar auf die ein oder andere Weise!
I
In Zeiten weitreichender Individualisie-
rung fällt es Menschen zunehmend
schwer, hierarchische Strukturen zu ak-
zeptieren bzw. sich dort einzufügen. Zumal
in ‘modernen’ Unternehmen oft von flachen
Hierarchien die Rede ist, die eine höhere
Produktivität und Arbeitszufriedenheit
versprechen sollen.
Wie soll das erst in einem System funktio-
nieren, das auf der einen Seite als Instituti-
on der menschlichen Begegnung von der
pädagogischen Freiheit lebt, auf der ande-
ren als staatliche Bildungseinrichtung durch
Weisungsbefugnis von oben nach unten
geprägt ist? Dieser Zwiespalt führt immer
wieder zu dem Gefühl von Übergriffigkeit
auf beiden Seiten. Und auch zu politischen
oder staatlichen Übergriffigkeiten, wenn
Einfluss genommen wird bzw. werden soll
in den Kern des Handelns im System Schule.
Wenig Begeisterung für die
‘Selbstständige Schule’
In den 2000er Jahren kamen im Zuge der
New Economy auch immer wieder politische
Bestrebungen auf, Schulen mehr ‘Selbststän-
digkeit’ zu geben. Sie sollten stellenweise
wie Unternehmen geführt werden, unter
anderem durch Schärfung ihrer inhaltlichen
Profile sowie durch Übertragung von mehr
Kompetenzen in der Personalauswahl und
-führung. Die Ausweitung der Dienstvorge-
setztenfunktion sollte Schulleitungen in der
Ausübung ihres Amtes stärken. Führung
sollte unmittelbar in größerem Maße vor Ort
stattfinden. Im Gegenzug sollten die Be-
zirksregierungen als Mittelbehörde von die-
sen Aufgaben entlastet werden.
Seit 2008 gibt es nun dieses Gesetz zur
Stärkung der Eigenverantwortung von Schu-
len. Verbunden mit einer Stärkung der Rolle
der Lehrerräte, die die Aufgabe der Perso-
nalräte in den Fällen übernehmen sollen, in
denen Schulleitungen Aufgaben des Dienst-
vorgesetzten ausüben. Darüber hinaus nah-
Foto: AdobeStock/sp3n
von ULRICH GRÄLER
Fragwürdige Führungskultur:
In vielen Unternehmen, Behörden –
und auch Schulen – herrscht bisweilen
eine spezielle Auffassung von
demokratischen Prinzipien und
respektvoller Menschenführung.
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lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
men nur die wenigsten Schulen im Rah-
men dieses Gesetzes die zusätzliche Mög-
lichkeit für sich in Anspruch, auch die er-
weiterten Zuständigkeiten der dienstvor-
gesetzten Stelle als so genannte ‘Selbst-
ständige Schule’ übertragen zu bekom-
men. So groß war die Begeisterung dann
doch nicht in den Schulen vor Ort.
Schulleiter nicht mehr
primus inter pares
Dennoch etablierte sich in den Schulen der
Charakter, Teil der Dienststelle mit weitrei-
chender Dienstvorgesetztenfunktion zu
sein. Schulleitungen sahen sich gestärkt
in ihrer Führungsrolle, umfangreichere
Verantwortung für das Funktionieren ‘ih-
rer’ Schule zu tragen. Die Zeiten des Schul-
leiters in der Rolle als primus inter pares in
seinem Kollegium gehören seitdem der
Vergangenheit an.
Doch wie hat sich die veränderte Rolle
von Schulleitungen auf das Schulleben
ausgewirkt, welche Folgen hat der Rollen-
wechsel auf die Führungskultur einer
Schule? Auch wenn im Öffentlichen Dienst
von Gesetzes wegen in der Diensterfüllung
ein stets gleichgearteter, neutraler An-
spruch besteht, so gibt es auch hier höchst
unterschiedliche Ausprägungen der tat-
sächlichen Dienstausübung. Und die Band-
breite in der Führungsqualität steht der in
der Privatwirtschaft in nichts nach.
Die Folgen schwachen
Führungsverhaltens
Problematisch wird es jedoch immer bei
unzureichendem bzw. unangemessenem
Führungsverhalten, das sich auf einzelne
Kollegen, aber auch auf ein ganzes Kollegi-
um auswirken kann. In der Privatwirtschaft
führt das zu ökonomischem Misserfolg, in
der Schule zur Störung des Schulklimas.
Einzelne Kollegen, Teile des Kollegiums
oder die gesamte Lehrerschaft empfinden
die Situation dann häufig als sehr belas-
tend, nicht wenige leiden gesundheitlich
unter so einem Klima. Eine Lösung vor Ort
erscheint vielfach aussichtslos. Die dienst-
rechtlich nächsthöhere Ebene erfährt lange
nichts von ungesunden Strukturen an einer
Schule. Nach außen dringt wenig von dem
unheilvollen Binnenklima. Obwohl es auch
dafür eine Zuständigkeit gibt! Nach wie vor.
Doch was ist in der Weisungsstruktur
passiert, wenn es zwischen den Hierarchie-
ebenen zu dysfunktionalen Beziehungen
gekommen ist, zum Beispiel durch wechsel-
seitige Abhängigkeiten, Rücksichtnahmen
und Verpflichtungen? Dann greifen die
dienstaufsichtlichen Kompetenzen nicht
mehr in dem Maße, wie es die Sache erfor-
dern würde.
Zum Nachteil derjenigen, die ein Anlie-
gen bei der zuständigen Dienstaufsicht mit
der Bitte um Klärung vorbringen. Konflikte
zwischen Lehrkräften und Schulleitung lau-
fen in solchen Konstellationen ins Leere.
Die Folge ist, dass Lehrkräfte für ein be-
rechtigtes Anliegen keine Rückendeckung
mehr erhalten. Personalräte kennen inzwi-
schen zahlreiche Beispiele, in denen die un-
erlässlichen Prinzipien der »Gerechtigkeit
gegen jedermann« nicht zum Tragen kom-
men.
Toxisches’ Schulklima
Eine unzureichend wahrgenommene
Dienstaufsicht trägt dann dazu bei, dass
sich ‘toxische’ Binnenstrukturen an Schulen
über einen längeren Zeitraum entwickeln
können, sich verfestigen und schließlich nur
noch schwer aufzulösen sind. Eine falsch
verstandene Rücksichtnahme begünstigt
die Entwicklung derartiger Zustände anstatt
sie zu heilen.
Deshalb kann dieser Prozess zunehmen-
der Eigenverantwortung durch Verlagerung
von Zuständigkeiten letztendlich nur dann
wirklich gelingen, wenn auch die dienstauf-
sichtliche Verantwortung weiter auf allen
Ebenen wahrgenommen wird, ein umsichti-
ges, unparteiisches Agieren zwischen den
Konfliktparteien stattfindet. Da lohnt sich
inzwischen doch ein genauerer Blick in das
Innere des Systems, auch unter dem Ge-
sichtspunkt der Attraktivitätssteigerung des
Arbeitsplatzes Schule!
KOMMENTAR
Kultur der
Führung?
Davon ist in Schulen selten die Rede.
Zu selten! Denn Schulen haben
sich in den letzten Jahren nicht nur in-
haltlich, sondern auch in ihrer Systema-
tik verändert. Entscheidungsprozesse
finden vermehrt nicht mehr im Plenum
statt, sondern werden vorbereitet und
gesteuert. Zum einen als Prozess der
effektiveren Durchsetzung, zum ande-
ren als ‘Change-Management’-Metho-
de, Ziele gegen den Widerstand im Kol-
legium zu erreichen.
Doch viele beschleicht bei diesem
Vorgehen ein ungutes Gefühl, das mit
den eigenen Vorstellungen gelebter
Demokratie kollidiert. Die Menschen in
den Lehrerzimmern werden immer zu-
rückhaltender, bisweilen verstummen
sie sogar. Was ist nur aus der Diskussi-
onskultur vergangener Zeiten gewor-
den?
Vorbereitende Einflussnahme auf
Entscheidungen durch Steuergruppen,
Einzelgespräche nach kritischen Wort-
meldungen in Konferenzen, dienstliche
Benachteiligungen zur Disziplinierung:
Ungebührliche Einflussnahmen gibt es
inzwischen auf vielfältige Art und Weise.
Die Folgen sind belastende bis hin zu
krankmachende Arbeitsbedingungen,
die zu duldsamen bis hin zu resignati-
ven Einstellungen führen.
Zum Glück finden sich derartige
Zustände nicht flächendeckend. Aber
Gefahren in dieser Richtung sind durch
die Strukturen und mancherorts gelebte
Praxis nicht von der Hand zu weisen.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass
Dienstaufsicht als Führungskultur auf
allen Ebenen stattfindet, und zwar als
konsequente Umsetzung demokrati-
scher Prinzipien, aber auch als umsichti-
ge, respektvolle Menschenführung, die
der Sache gerecht wird!
Führung ohne Kultur passt nicht in
die Zeit! Ulrich Gräler
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
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FORTBILDUNGEN
KI, Recht, Stress und Widerstand
Für manche der im Jahr 2024 verbleibenden Fortbildungen sind noch einige wenige Plätze frei.
Es geht um Künstliche Intelligenz, um kreative Stressbewältigung, den richtigen Umgang mit Wider-
ständen und um Recht im Schulalltag, speziell für Berufseinsteiger. Anmeldungen sind online möglich.
Fortbildung für KI-Explorer
F
Für Lehrkräfte, die bereits erste Erfahrungen mit KI-Tools wie ChatGPT gesam-
melt haben, jedoch noch kaum bis gar nicht im Bildungskontext angewendet
haben, bieten wir die Fortbildung für KI-Explorer an. Vertiefen Sie Ihr Wissen über
spezifische KI-Anwendungen im Bildungsbereich, wie personalisiertes Lernen und
die Automatisierung von Bewertungen. In Workshops lernen Sie, wie Sie mit Hilfe
von KI-Tools eigenes Lehrmaterial erstellen können und erhalten Strategien zur
sinnvollen Integration von KI in Ihre Lehrpläne. Sie werden in die neuesten Ent-
wicklungen im Bereich KI eingeführt und ermutigt, interdisziplinäre KI-Projekte
zu entwickeln. Bitte beachten Sie, dass Sie vor der Teilnahme am Webinar einen
Account bei ChatGPT erstellt haben.
Fortbildung für KI-Explorer
Referent: Anton Luków (Geschäftsführer educaite)
Seminar-Nr.: 2024-1115
Art: Online-Seminar
Termin: Freitag, 15. November 2024
von 14:00 bis 16:30 Uhr
Kosten: 120 Euro für
lehrer nrw
Mitglieder,
150 Euro für sonstige Teilnehmer
Anmeldeschluss: auf Anfrage
Lehrkräfte am Limit –
kreative Stressbewältigung in schwierigen Zeiten
W
Was lässt uns Stress unbeschadet überstehen? Lehrkräftemangel, hohe Kranken-
stände, wachsende Zusatz- und Integrationsaufgaben – Lehrkräfte sind im
Schulalltag oft bis an die Grenzen der Belastbarkeit gefordert. Wer hier als Pädago-
gin bzw. Pädagoge bestehen will und dabei gesund, freudvoll und motiviert bleiben
möchte, braucht eine gute Portion psychischer Widerstandskraft. Wie die Teilnehmen-
den individuelle Bewältigungsstrategien entwickeln und ausweiten können, zeigt Se-
minarleiterin Gabi Schmidt (www.happy-teachers.de, Autorin von ‘Präsenz & Stimme.
Für mehr innere Stärke und Freude im Lehrberuf’) anhand des hochwirksamen BA-
SIC-PH Modells für Resilienzstärkung. Dieses wissenschaftlich erprobte Modell des
Psychologen Mooli Lahad zeigt auf strukturierte und praxisnahe Weise, wie Sie un-
entdeckte Ressourcen aktivieren und in Ihre persönliche Widerstandskraft hinein-
wachsen können. Dadurch können Sie nicht nur psychische Entlastung, körperliche
und geistige Entspannung, sondern auch mehr Freude, Verbundenheit und Sinnhaf-
tigkeit erfahren.
Lehrkräfte am Limit –
kreative Stressbewältigung in
schwierigen Zeiten
Referentin: Gabriele Schmidt
Seminar-Nr.: 2024-1125
Termin: Montag, 25. November 2024
von 9:00 bis 16:30 Uhr
Ort: Leonardo Düsseldorf City Center,
Ludwig-Erhard-Allee 3, 40227 Düsseldorf
Kosten: 140 Euro für
lehrer nrw
Mitglieder,
190 Euro für sonstige Teilnehmer
(inklusive Tagesverpflegung)
Anmeldeschluss: auf Anfrage
Bis zur Erschöp-
fung: Lehrkräfte
geraten angesichts der
Arbeitsbelastung und
der Arbeitsbedingun-
gen oft an ihre Gren-
zen – oder darüber hi-
naus. Im Seminar ler-
nen die Teilnehmenden
Strategien zur Stär-
kung ihrer Resilienz.
Foto: AdobeStock/Andrej Zhuravlev
ANMELDUNG
www.lehrernrw.de/lehrernrw-de-fortbildungen/lehrernrw-de-fortbildungsuebersicht/
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lehrer nrw
FORTBILDUNGEN
M
Motivation zu Veränderung oder gar zu Anstrengung? »Och…, muss das sein?« »Wozu
denn?« – Häufig erleben Lehrkräfte Widerstand bei ihren Schülerinnen und Schülern,
wenn sie Erwartungen des intensiveren Lernens und Vorbereitens an sie richten. Um diesen
Widerstand zu verstehen und ggf. in eine möglicherweise konstruktive Richtung zu lenken,
kann es hilfreich sein, die theoretischen Grundlagen von Motivation und Veränderung zu
betrachten. Darauf aufbauend ergeben sich praktische Ideen, die dazu beitragen können,
dass Schülerinnen und Schüler ihr Verhalten reflektieren und ggf. ändern. Des Weiteren kön-
nen Lehrkräfte eigene entlastende Gedanken stärken. Im Seminar fokussieren wir uns auf An-
lässe zu Veränderung, die jenseits von Gehorsam und disziplinarischen Gegebenheiten liegen.
Ziel des Seminars: Die Teilnehmenden erweitern ihre theoretischen Erkenntnisse über Mo-
tivation und Veränderung, fügen ihrem Handlungsrepertoire weitere Interventionen hinzu, er-
langen eine erhöhte fachliche Distanz zu herausforderndem Widerstand, erleben in der Lehr-
gruppe Unterstützung. Dies wird in Impulsvorträgen, Diskussionen zur Vertiefung in wechseln-
den Settings sowie in praktischen Übungen (ohne Rollenspiele) erarbeitet und eingeübt.
Geschmeidiger Umgang
mit Widerstand
Referentin: Tanja Schmitz-Remberg
Seminar-Nr.: 2024-1216
Termin: Montag, 16. Dezember 2024
von 09:30 bis 16:00 Uhr
Ort: Leonardo Düsseldorf City Center,
Ludwig-Erhard-Allee 3,
40227 Düsseldorf
Kosten: 140 Euro für
lehrer nrw
Mitglieder, 190 Euro für sonstige
Teilnehmer (inklusive Tagesverpflegung)
Anmeldeschluss: 14. November 2024
Geschmeidiger Umgang mit Widerstand
Recht im Schulalltag – speziell für
Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger
D
Der Fachunterricht steht an erster Stelle, ist aber nicht alles. Schule
bietet schließlich noch mehr: Zum Schulleben gehören unter ande-
rem Ausflüge, sportliche und kulturelle Aktivitäten oder der Einsatz neu-
er Medien. Und nicht zuletzt spielen auch Themen wie Gewalt unter
Schülerinnen und Schülern sowie gegenüber Lehrkräften oder das Ver-
hältnis zu Eltern eine Rolle im beruflichen Alltag. Gerade junge Kollegin-
nen und Kollegen sind mit dem rechtlichen Rahmen ihrer Tätigkeit in
den diversen Szenarien häufig überfordert. Unsere speziell auf die Be-
dürfnisse von Berufsanfängerinnen und -anfängern zugeschnittene Fort-
bildung beantwortet deshalb kompetent die Fragen der Teilnehmerinnen
und Teilnehmer zu ausgewählten Rechtsthemen aus dem Schulalltag.
Recht im Schulalltag – speziell für
Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger
Referent: Christopher Lange (Justitiar,
lehrer nrw
)
Seminar-Nr.: 2024-1205
Termin: Donnerstag, 5. Dezember 2024 von 14:00 bis 17:00 Uhr
Ort: GDL Sitzungsraum, 1. OG, Graf-Adolf-Str. 84,
40210 Düsseldorf
Kosten: 35 Euro für
lehrer nrw
Mitglieder, 65 Euro für
sonstige Teilnehmer (inklusive Snacks und Getränken)
Anmeldeschluss: 21. November 2024
lehrer nrw ·
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SENIOREN
Ab in
den Süden
Die jährlich stattfindende ‘große Fahrt’ führte vom 30. Septem-
ber bis zum 7. Oktober nach Mallorca. 19 Seniorinnen und Senio-
ren des
lehrer nrw
waren dabei und erkundeten bei bestem
Wetter und toller Stimmung die Schönheiten der Baleareninsel.
D
Die Herbstfahrt war diesmal für alle
Beteiligten ein Novum. Zum ersten
Mal haben sich die Senioren für ei-
ne Flugreise nach Mallorca begeistern kön-
nen. Unser Ziel war Cala Millor auf der Ost-
seite der Insel. Die Flugreise begann am
Flughafen Paderborn Lippstadt. Der kleine
Flughafen gab uns einen stressfreien Start
für die Reise. Voller Vorfreude und der Aus-
sicht auf gutes Wetter vor Ort begann un-
ser recht ruhiger und angenehmer Flug
zum Reiseziel. Vor Ort trafen wir es bestens
an: Der Strand war direkt vor unserem Ho-
tel. Das Meerwasser war sauber, warm und
lud zum Baden ein. Auch der Hotelpool bot
viel Platz, und auf der Dachterrasse konnte
man im Whirlpool oder den Sonnenliegen
verweilen. Bei idealem Wetter und toller
Verpflegung genossen alle die Tour in vol-
len Zügen.
Dass Mallorca viel Schönes zu bieten
hat, konnten wir auf unseren Ausflügen er-
leben. Auf der Fahrt nach Formentor be-
suchten wir in Sineu einen Bauernmarkt
mit vielfältigen Angeboten von Handwerks-
kunst, Bekleidung, Gewürzen und lokalen
Spezialitäten. Die Weiterfahrt erfolgte über
Inca und Pollenca. Sie bot uns einen Blick
auf die 198 Kilometer lange Bergkette der
Serra de Tramuntana. In Port Pollenca wur-
den wir mit dem Boot an die Platja de For-
mentor gebracht und konnten dort den
Strand mit seinen Pinienwäldern sowie das
türkisblaue Wasser genießen. Danach ging
es weiter zum Aussichtspunkt Mirador del
Colomer, der uns einen traumhaften Aus-
blick auf die Halbinsel bescherte. Die Rück-
fahrt über die Bucht von Alcudia führte uns
vorbei an der wichtigsten römischen Aus-
grabungsstätte bei Pollenca. Nach der Rück-
kehr konnten wir uns noch mit einem Bad
im Meer entspannen und uns auf das
Abendessen freuen.
Am nächsten Tag besuchten wir Son Ser-
vera. Beim Anblick der nie fertiggestellten
Iglesia nuovo konnten wir die besondere
Atmosphäre des Ortes spüren. Aus Kosten-
gründen wurde die Kirche nie vollendet.
Es fehlt das Dach, aber gerade deswegen ist
dies ein ganz besonderer Ort. Nicht umsonst
Mallorca bot viele Perspektiven, zum
Beispiel diesen traumhaften Blick vom
Aussichtspunkt Mirador es Colomer
finden in dieser einmaligen Kulisse Festi-
vals, Open Air Konzerte und andere Auffüh-
rungen statt, auch Hochzeiten werden hier
gefeiert. Anschließend fanden wir auf dem
Marktplatz ein schönes Plätzchen im Frei-
en, um einen Mittagsimbiss oder einen Eis-
café in dem alten Zentrum von Son Servera
zu genießen, bevor es wieder zurück nach
Cala Millor ging.
Am Nachmittag bot sich ein Rundgang
um die Halbinsel Punta de n‘Amer zum
Castell an. Das Castell selbst ist ein Relikt
aus vergangenen Zeiten, als man sich noch
gegen Seeräuber schützen musste. Heute
ist dies ein toller Aussichtspunkt und ein
Platz zum Verweilen.
Ein Ausflug nach Palma durfte nicht feh-
len. Die sachkundige Führung unseres Rei-
sebegleiters gab uns wichtige Einblicke in
die Geschichte der Stadt und seiner Se-
henswürdigkeiten. Der Ab-
schluss der Führung erfolgte
in der Kathedrale. Sie beein-
druckt schon von außen al-
lein durch ihre Größe, noch
mehr aber von innen durch
die faszinierenden Lichtef-
fekte der sakralen Fenster.
Wir erkundeten nach Pal-
ma noch den Ort Valldemos-
sa an der Costa Nord der In-
sel. Durch die informative
Führung erhielten wir auch
hier Einblicke in Vergangen-
heit und Gegenwart des
malerischen Dorfes mit dem
Karthäuser Kloster und sei-
nen wunderbaren Ausbli-
cken. Sehenswert sind auch
der Turm von La Cartuja und
der Turm der Pfarrkirche San
Bartolomé. Viele kleine Ge-
schäfte verführen zum Bum-
meln, Cafés laden im Freien
unter alten Mandel- und
Olivenbäumen zu Kaffee
und lokalen Leckereien ein.
Die letzten zwei Tage un-
serer Reise haben alle ge-
nutzt, um das zu sehen oder
zu erleben, was noch auf dem Wunschzet-
tel stand: eine erneute Fahrt nach Palma
oder nach Arta, baden im Meer, entspan-
nen am Pool, chillen auf der
Dachterrasse, Besuch der
Sauna oder shoppen in der
Einkaufszone. Eine Gruppe
besuchte noch die traumhaf-
te Drachenhöhle in Porto
Christo. Abends traf man
sich in der Bar und tauschte
die Erlebnisse und Erfahrun-
gen aus. Nur zu schnell
mussten wir wieder die Kof-
fer packen und den Heimflug
antreten. Glücklich und ge-
sund kamen wir wieder im
Flughafen Paderborn Lipp-
stadt an.
Alle Teilnehmerinnen und
Teilnehmer haben neben
dem betreuenden Reisebüro
zum Gelingen der Herbstrei-
se beigetragen. Dafür gilt
allen Beteiligten mein Dank.
Auch der Humor kam nicht
zu kurz, es konnte viel ge-
lacht werden und so manche
persönlichen Gespräche ka-
men zustande. Neue Kontak-
te konnten geknüpft und vie-
le neue Erfahrungen gesam-
melt werden.
Eine Reise, die noch lange nachwirken
wird und uns allen sehr gefallen hat, ging
zu Ende. Monika Holder
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lehrer nrw
SENIOREN
Malerische Gasse in Valldemossa
19 Seniorinnen und Senioren des
lehrer nrw
traten am 30. Septem-
ber die Flugreise nach Mallorca an
Gruppenbild vor der
Iglesia nuovo (Gaudi-
Kirche) in Son Servera
Faszinierendes Lichtspiel in
der Kathedrale von Palma
Fotos [alle]: Monika Holder
lehrer nrw ·
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Masernimpfung
bleibt Pflicht
Das Oberverwaltungsgericht NRW (OVG NRW) schafft für Nordrhein-
Westfalen weitere Klarheit im Zusammenhang mit der Nachweispflicht
für die Durchführung einer Masernimpfung bei schulpflichtigen Kindern.
B
Bekanntermaßen müssen Eltern
schulpflichtiger Kinder seit 2020
grundsätzlich den Erfolg einer Ma-
sernimpfung ihrer Kinder gegenüber der
Schule nachweisen. Zu Anfang des Jahres
ließ jedoch eine Meldung in der Presse
aufhorchen: Der Bayerische Verwaltungs-
gerichtshof (Bayerischer VGH) hatte im
Januar 2024 entschieden, dass die Vorlage
eines Masernimpfnachweises nicht mit
Zwangsgeld durchgesetzt werden dürfe
(Beschluss vom 15. Januar 2024, Az. 20 CD
23.1910, 20 CE 23.1935). Diese Entschei-
dung hatte das Zeug, das Vertrauen vieler
Eltern schulpflichtiger Mädchen und Jun-
gen darin zu erschüttern, dass ihre Kinder
in der Schule in möglichst geringem Maße
der Gefahr der Ansteckung mit Masern
ausgesetzt sind. Denn ohne die Möglich-
keit, eine Impfung gegen Masern insbe-
sondere auch mit Zwangsmitteln durchset-
zen zu können, steigert sich nach mensch-
lichem Ermessen auch die Wahrscheinlich-
keit, dass einzelne Eltern versuchen wer-
den, eine Masernimpfung ihrer
schulpflichtigen Sprösslinge und deren
anschließenden Nachweis zu umgehen.
Hohes Ansteckungsrisiko
Dies kann gerade vor dem Hintergrund
Anlass zur Besorgnis sein, dass Masern auch
in Deutschland nach wie vor eine der anste-
ckendsten Krankheiten überhaupt sind und
sich schlicht dadurch verbreiten, indem
Menschen andere anstecken. Damit nicht
genug – die Zahl der Menschen, die an Ma-
sern erkrankt sind, hat sich in Deutschland
in diesem Jahr in außergewöhnlichem Maße
erhöht1.
Eine Erkrankung an Masern kann lebens-
bedrohlich sein, sie kann zu Gehirn- und zu
Lungenentzündungen oder sogar zum Tode
führen. Eine Maserninfektion startet nach
Angaben des Robert-Koch-Instituts, der zen-
RECHT§AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
1000 GESUNDHEITS-WOCHEN ab 380 €
0631-47472, fasten-wander-zentrale.de
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Klare Rechtslage: Das Oberverwaltungsgericht NRW
hat die Rechtmäßigkeit der mit Zwangsgeld bewehrten
Pflicht des Nachweises einer Impfung oder Immunität
gegen Masern bei schulpflichtigen Kindern bestätigt.
Masernimpfung
bleibt Pflicht
Das Oberverwaltungsgericht NRW (OVG NRW) schafft für Nordrhein-
Westfalen weitere Klarheit im Zusammenhang mit der Nachweispflicht
für die Durchführung einer Masernimpfung bei schulpflichtigen Kindern.
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lehrer nrw
tralen Einrichtung der Bundesregierung für
Krankheitsüberwachung und -prävention,
im Regelfall damit, dass eine Person
Schnupfen, Husten, Kopfschmerzen, Fieber,
eine Bindehautentzündung oder Flecken
auf der Mundschleimhaut bekommt. Später
steigt das Fieber und es bilden sich die für
Masern typischen Flecken auf der Haut. Eine
Übertragung geschieht über Aerosole bezie-
hungsweise Tröpfchen durch Husten, Niesen
oder auch Sprechen.
Impfung oft zu spät
oder unvollständig
Dabei handelt es sich bei Masern um eine
Erkrankung, die grundsätzlich mit einer Imp-
fung vollständig verhindert werden kann2.
Trotz Impfpflicht bei Schulpflicht von Kindern
erfolge nach Angaben des Robert-Koch-Insti-
tuts die Masernimpfung zuweilen zu spät
oder unvollständig, das heißt nicht mit zwei
Impfstoffdosen.
Warum zudem die Zahl der Erkrankten in
diesem Jahr auf 550 Fälle nach 79 Fällen
(2023) und 15 Fällen (2022) gestiegen ist3,
hat offenbar nicht einen einzelnen Grund.
Möglich ist ein Rückgang der Immunität der
Bevölkerung infolge der Kontaktbeschrän-
kungen während der Corona-Pandemie. Es
zeigt sich außerdem in Studien, dass die all-
gemeine Impfbereitschaft schwindet. Schon
eine geringe Zahl von Personen, die sich
nicht impfen lassen, kann offenbar zu Krank-
heitsausbrüchen führen4.
Gericht: Mit Zwangsgeld
bewehrte Impfpflicht
ist rechtmäßig
In diesem Kontext wird eine kürzlich ergan-
gene Entscheidung des OVG NRW für eine
gewisse Beruhigung in Nordrhein-Westfalen
gesorgt haben, wenn auch nicht bei Impf-
gegnern. Dabei hatten sich Eltern einer
Grundschülerin vor dem Verwaltungsgericht
Minden (VG Minden) und danach vor dem
OVG NRW im Eilverfahren dagegen gewehrt,
die Masernimpfung ihrer Tochter nachzuwei-
sen. Das OVG hat aber wie zuvor das VG
Minden entschieden, dass die mit Zwangs-
geld bewehrte Pflicht, die Impfung oder Im-
munität gegen Masern bei schulpflichtigen
Kindern nachzuweisen, rechtmäßig ist (Be-
schuss vom 16. Juli 2024, Az. 13 B 1281/23).
In dem betreffenden Fall hatte das Ge-
sundheitsamt die Eltern mit Bescheid gemäß
§20 Abs. 12 Satz 1 Infektionsschutzgesetz
(IfSG) zum Nachweis über die Masernimp-
fung oder Impfunfähigkeit der Tochter unter
Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von
500 Euro aufgefordert. Die Eltern wehrten
sich dagegen, hauptsächlich unter Berufung
auf die in Frage stehende Verfassungsmäßig-
keit des IfSG, indem sie auf die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur
Masernimpfung in Kitas verwiesen (Be-
schluss vom 21. Juli 2022, Az. 1 BvR 469/20
u.a.). Das BVerfG,so die Eltern, habe die Ver-
fassungsmäßigkeit der Nachweispflicht da-
mit im Endeffekt begründet, dass die Imp-
fung letztlich freiwillig sei, weil es keine
Kita-Pflicht gebe. Da für Schulkinder die
Pflicht zum Nachweis einer Masernimpfung
oder Immunität aber an die Schulpflicht ge-
bunden sei, sei sie faktisch zwingend und
damit verfassungswidrig.
OVG NRW schafft Klarheit
Diese Argumentation der Eltern vollzieht
das OVG NRW nicht nach. Es hält die Situa-
tion bei Kitas und Schulen für annähernd
vergleichbar. Denn auch bei Kindern im Vor-
schulalter sei keine wirkliche Entscheidungs-
freiheit gegeben, da Betreuungsplätze in ei-
ner nicht erlaubnispflichtigen Tagespflege
kaum verfügbar oder finanzierbar seien. Ei-
ne Entscheidungsfreiheit wegen fehlender
Kita-Pflicht könne im Beschluss des BVerfG
nicht ausschlaggebend gewesen sein.
Damit ist letztlich auch nochmal klarge-
stellt, dass in Nordrhein-Westfalen eine
Masernimpfpflicht für schulpflichtige Kinder
und die zwangsgeldbewehrte Nachweis-
pflicht rechtmäßig sind, was Fälle von ent-
sprechenden Vermeidungsversuchen eher
gering halten könnte.
1 ‘Masern: Warum die Fälle dieses Jahr in Deutschland
steigen (faz.net)’, https://www.faz.net/aktuell/gesell-
schaft/gesundheit/masern-warum-die-faelle-dieses-jahr-
in-deutschland-steigen-110015639.html,
abgerufen am 17. Oktober 2024
2 So Leif Erik Sander, Leiter der Infektiologie der Charité
Berlin, Masern: Warum die Fälle dieses Jahr in Deutsch-
land steigen (faz.net)’, ‘https://www.faz.net/aktuell/ge-
sellschaft/gesundheit/masern-warum-die-faelle-dieses-
jahr-in-deutschland-steigen-110015639.html‘,
abgerufen am 17. Oktober 2024
3 In früheren Jahren gab es allerdings auch bereits teilwei-
se höhere Zahlen wie 2470 Fälle 2015 und 1770 Fälle
2013, Masern: Warum die Fälle dieses Jahr in Deutsch-
land steigen (faz.net)’, ‘https://www.faz.net/aktuell/ge-
sellschaft/gesundheit/masern-warum-die-faelle-dieses-
jahr-in-deutschland-steigen-110015639.html‘,
abgerufen am 17. Oktober 2024
Dies allerdings vor der gesetzlichen Impfpflicht für
Schulpflichtige.
4 Warum die Masernfälle in Deutschland ansteigen | BR24,
https://www.br.de/nachrichten/wissen/masern-faelle-in-
deutschland-warum-steigen-sie-an,UPwBLM6,
abgerufen am 17. Oktober 2024
RECHT§AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
Foto: AdobeStock/Zerbor
lehrer nrw ·
6/2024
30
ANGESPITZT
Ex und
weg!
B
Bevor wir zur Sache kommen,
möchten wir Sie, liebe Leserinnen
und Leser, in aller Form um Ent-
schuldigung bitten. Es ist zugegebener-
maßen starker Tobak, dass wir Sie an
dieser Stelle schon zum zweiten Mal in
Folge mit Markus Söder behelligen müs-
sen. Aber der Mann ist einfach ein steter
Quell der Inspiration.
Neulich hat er mal wieder ein kra-
chendes Machtwort gesprochen. Es geht
um unangekündigte Schultests, die an
vielen Schulen in Bayern Usus sind. Das
kann das spontane Abfragen eines
Schulkinds vor der Klasse sein – das
wird dann Rechenschaftsablage genannt
und beschreibt schon in der Begrifflich-
keit ziemlich präzise den damit verbun-
denen Spaßfaktor. Eine andere Option
sind unangekündigte schriftliche Tests,
so genannte ‘Exen’. Das klingt immerhin
lustiger, ist es aber nicht wirklich.
Nun hat eine 17-jährige Schülerin aus
München eine kleine Revolution im Frei-
staat angezettelt. »Schluss mit Abfragen
und Exen« lautet der Titel einer von ihr
gestarteten Petition, mit der sie nicht
weniger als eine Änderung des Schulge-
setzes erreichen will. Ziemlich schnell
outete sich eine illustre Schar von Unter-
stützern – von Aktion Humane Schule’
bis ‘Teachers for Future Germany’.
Prominenteste Befürworterin war
Bayerns Kultusministerin Anna Stolz
(Freie Wähler). Sie kündigte zu Beginn
des Schuljahrs an, Zahl und Art der Leis-
tungsnachweise unter die Lupe nehmen
zu wollen.
Und dann: Auftritt Söder! Der volks-
nahe Ministerpräsident mit dem monar-
chischen Habitus räumte das Thema bei
der CSU-Fraktionsklausur im oberfränki-
schen Kloster Banz mit der Sanftmut ei-
ner Planierraupe ab. »Exen und Abfra-
gen werden natürlich bleiben«, verkün-
dete Söder mit der Basta-Attitüde des
späten Gerhard Schröder. Wo kommen
wir denn da hin, wenn zwei Frauen jahr-
hundertelange Traditionen auf den Kopf
stellen?
Nun hat Markus Söder, gestählt durch
unzählige Fassanstiche und tausende
geleerter Maßkrüge, natürlich eine viel
innigere Beziehung zum Thema ‘Exen’.
Wenn das Maß voll ist, muss halt ge-ext
werden. Na dann: Prost!
Jochen Smets
Stroop
In dieser Aufgabe geht es darum, automatisierte
kognitive Verarbeitungsprozesse zu unterdrücken
und stattdessen, etwas zu tun, was mehr
Aufmerksamkeit verlangt.
Benennen Sie laut und schnell die Farben,
in denen die folgenden Farbworte geschrieben
sind. Beim ersten Wort sagen Sie somit ‘Gelb’.
Kindern, die noch nicht lesen können, fällt das
sehr leicht. Sie als Erwachsene sind aber durch Ihr
jahrelanges Lesetraining so auf die zu lesenden
Worte geprägt, dass Sie vermutlich anfangs eher
Schwierigkeiten damit haben werden.
Tabu
Kennen Sie das Spiel ‘Tabu’? Der
Spieler muss einen Begriff be-
schreiben, der oben auf einer Karte
abgedruckt ist. Unter dem Begriff
gibt es eine Liste mit Tabu-Wör-
tern, die bei der Beschreibung nicht
verwendet werden dürfen. Denn
dies würde es einerseits der raten-
den Mannschaft zu leicht machen
und außerdem ist es schwierig,
schnell alternative Umschreibun-
gen des Tabu-Wortes zu finden.
Ihre Aufgabe:
Schulen Sie Ihre Denkflexibilität und spielen Sie
Tabu! Entweder Sie haben tatsächlich ein richti-
ges Spiel im Haus oder Sie versuchen es mal
mit dem Wort ‘Pausenhof’. Beschreiben Sie ei-
nem Freund oder einer Kollegin diesen Begriff
und vermeiden Sie dabei die Wörter ‘Pause’ und
‘Hof’ (Wortbestandteile sind immer auch verbo-
ten) und zusätzlich auch diese Wörter:
Schule, Kinder, Spielen, Lärm, Bewegung
Gar nicht so einfach, oder?
Zusatzaufgabe/Variante:
Unterhalten Sie sich mit einem Freund oder einer
Freundin und erzählen Sie von irgendeinem Erleb-
nis. Ihr Gegenüber darf Fragen stellen und versu-
chen, Sie aufs Glatteis zu führen. Denn vorab ver-
einbaren Sie ein Tabu-Wort, das Sie im Gespräch
nicht verwenden dürfen. Das sollte ein häufig
vorkommendes Wort, wie ‘ein’ oder ‘und’ sein. Sie
werden merken, dass es gar nicht so einfach ist,
den Automatismus des Sprechens abzustellen
und passende Alternativen zu finden, die den
Satz nicht unnatürlich wirken lassen.
Palindrome
Übungen zur Wortfindung aktivieren Ihren Wortschatz und bereichern so Ihre sprachliche Ausdrucksfähigkeit.
Wie wäre es heute mal mit ein paar Palindromen? Palindrome sind Wörter, die vorwärts und rückwärts gele-
sen das gleiche Wort ergeben. Das bekannteste Wort ist sicherlich der Name ‘Otto’ aber auch der ‘Rentner’
oder das ‘Radar’ sind Palindrome.
Spannend sind ganze Sätze oder Satzfragmente, die als Palindrom gelesen werden können. »Erika feuert nur
untreue Fakire« wäre ein Beispiel hierfür.
Ihre Aufgabe lautet:
Finden Sie weitere Palin-
drome. Das können einfache
Wörter mit drei oder vier
Buchstaben sein. Oder finden
Sie auch längere Wörter?
HIRNJOGGING
31
6/2024 ·
lehrer nrw
Über Feedback zu meinen Gehirnjogging Übungen würde ich mehr sehr freuen: mail@heike-loosen.de Heike Loosen
AUFGABE 1
AUFGABE 2
AUFGABE 3