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6/2024 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
men nur die wenigsten Schulen im Rah-
men dieses Gesetzes die zusätzliche Mög-
lichkeit für sich in Anspruch, auch die er-
weiterten Zuständigkeiten der dienstvor-
gesetzten Stelle als so genannte ‘Selbst-
ständige Schule’ übertragen zu bekom-
men. So groß war die Begeisterung dann
doch nicht in den Schulen vor Ort.
Schulleiter nicht mehr
primus inter pares
Dennoch etablierte sich in den Schulen der
Charakter, Teil der Dienststelle mit weitrei-
chender Dienstvorgesetztenfunktion zu
sein. Schulleitungen sahen sich gestärkt
in ihrer Führungsrolle, umfangreichere
Verantwortung für das Funktionieren ‘ih-
rer’ Schule zu tragen. Die Zeiten des Schul-
leiters in der Rolle als primus inter pares in
seinem Kollegium gehören seitdem der
Vergangenheit an.
Doch wie hat sich die veränderte Rolle
von Schulleitungen auf das Schulleben
ausgewirkt, welche Folgen hat der Rollen-
wechsel auf die Führungskultur einer
Schule? Auch wenn im Öffentlichen Dienst
von Gesetzes wegen in der Diensterfüllung
ein stets gleichgearteter, neutraler An-
spruch besteht, so gibt es auch hier höchst
unterschiedliche Ausprägungen der tat-
sächlichen Dienstausübung. Und die Band-
breite in der Führungsqualität steht der in
der Privatwirtschaft in nichts nach.
Die Folgen schwachen
Führungsverhaltens
Problematisch wird es jedoch immer bei
unzureichendem bzw. unangemessenem
Führungsverhalten, das sich auf einzelne
Kollegen, aber auch auf ein ganzes Kollegi-
um auswirken kann. In der Privatwirtschaft
führt das zu ökonomischem Misserfolg, in
der Schule zur Störung des Schulklimas.
Einzelne Kollegen, Teile des Kollegiums
oder die gesamte Lehrerschaft empfinden
die Situation dann häufig als sehr belas-
tend, nicht wenige leiden gesundheitlich
unter so einem Klima. Eine Lösung vor Ort
erscheint vielfach aussichtslos. Die dienst-
rechtlich nächsthöhere Ebene erfährt lange
nichts von ungesunden Strukturen an einer
Schule. Nach außen dringt wenig von dem
unheilvollen Binnenklima. Obwohl es auch
dafür eine Zuständigkeit gibt! Nach wie vor.
Doch was ist in der Weisungsstruktur
passiert, wenn es zwischen den Hierarchie-
ebenen zu dysfunktionalen Beziehungen
gekommen ist, zum Beispiel durch wechsel-
seitige Abhängigkeiten, Rücksichtnahmen
und Verpflichtungen? Dann greifen die
dienstaufsichtlichen Kompetenzen nicht
mehr in dem Maße, wie es die Sache erfor-
dern würde.
Zum Nachteil derjenigen, die ein Anlie-
gen bei der zuständigen Dienstaufsicht mit
der Bitte um Klärung vorbringen. Konflikte
zwischen Lehrkräften und Schulleitung lau-
fen in solchen Konstellationen ins Leere.
Die Folge ist, dass Lehrkräfte für ein be-
rechtigtes Anliegen keine Rückendeckung
mehr erhalten. Personalräte kennen inzwi-
schen zahlreiche Beispiele, in denen die un-
erlässlichen Prinzipien der »Gerechtigkeit
gegen jedermann« nicht zum Tragen kom-
men.
‘Toxisches’ Schulklima
Eine unzureichend wahrgenommene
Dienstaufsicht trägt dann dazu bei, dass
sich ‘toxische’ Binnenstrukturen an Schulen
über einen längeren Zeitraum entwickeln
können, sich verfestigen und schließlich nur
noch schwer aufzulösen sind. Eine falsch
verstandene Rücksichtnahme begünstigt
die Entwicklung derartiger Zustände anstatt
sie zu heilen.
Deshalb kann dieser Prozess zunehmen-
der Eigenverantwortung durch Verlagerung
von Zuständigkeiten letztendlich nur dann
wirklich gelingen, wenn auch die dienstauf-
sichtliche Verantwortung weiter auf allen
Ebenen wahrgenommen wird, ein umsichti-
ges, unparteiisches Agieren zwischen den
Konfliktparteien stattfindet. Da lohnt sich
inzwischen doch ein genauerer Blick in das
Innere des Systems, auch unter dem Ge-
sichtspunkt der Attraktivitätssteigerung des
Arbeitsplatzes Schule!
KOMMENTAR
Kultur der
Führung?
Davon ist in Schulen selten die Rede.
Zu selten! Denn Schulen haben
sich in den letzten Jahren nicht nur in-
haltlich, sondern auch in ihrer Systema-
tik verändert. Entscheidungsprozesse
finden vermehrt nicht mehr im Plenum
statt, sondern werden vorbereitet und
gesteuert. Zum einen als Prozess der
effektiveren Durchsetzung, zum ande-
ren als ‘Change-Management’-Metho-
de, Ziele gegen den Widerstand im Kol-
legium zu erreichen.
Doch viele beschleicht bei diesem
Vorgehen ein ungutes Gefühl, das mit
den eigenen Vorstellungen gelebter
Demokratie kollidiert. Die Menschen in
den Lehrerzimmern werden immer zu-
rückhaltender, bisweilen verstummen
sie sogar. Was ist nur aus der Diskussi-
onskultur vergangener Zeiten gewor-
den?
Vorbereitende Einflussnahme auf
Entscheidungen durch Steuergruppen,
Einzelgespräche nach kritischen Wort-
meldungen in Konferenzen, dienstliche
Benachteiligungen zur Disziplinierung:
Ungebührliche Einflussnahmen gibt es
inzwischen auf vielfältige Art und Weise.
Die Folgen sind belastende bis hin zu
krankmachende Arbeitsbedingungen,
die zu duldsamen bis hin zu resignati-
ven Einstellungen führen.
Zum Glück finden sich derartige
Zustände nicht flächendeckend. Aber
Gefahren in dieser Richtung sind durch
die Strukturen und mancherorts gelebte
Praxis nicht von der Hand zu weisen.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass
Dienstaufsicht als Führungskultur auf
allen Ebenen stattfindet, und zwar als
konsequente Umsetzung demokrati-
scher Prinzipien, aber auch als umsichti-
ge, respektvolle Menschenführung, die
der Sache gerecht wird!
Führung ohne Kultur passt nicht in
die Zeit! Ulrich Gräler
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de