3
Unter der Lupe
Mutausbruch
15
Dossier
Bildung und
Digitali-Täter
28
Recht§ausleger
»Wegen der
drei Minuten«
6
Im Brennpunkt
Unterstützung für neues
Fachleitungsnetzwerk
Digitalisierung:
Zwischen
Euphorie
und Alarm
Pädagogik & Hochschul Verlag
.
Graf-Adolf-Straße 84
.
40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
1781 | Ausgabe 6/2021 | NOVEMBER | 65. Jahrgang
INHALT
lehrer nrw ·
6/2021
2
UNTER DER LUPE
Sven Christoffer: Mutausbruch 3
BRENNPUNKT
Sarah Wanders: Unterstützung
für neues Fachleitungsnetzwerk
6
JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner:
So klappt der Einstieg
8
SERIE HAUPTSCHULEN
»Wir lassen niemanden fallen« 10
BATTEL HILFT
Keine Lust mehr auf Coronathemen?! 11
TITEL
Digitalisierungsstress in Schulen 12
Schlechtes Digital-Zeugnis
14
Zwei Milliarden Euro für
die schulische Digitalisierung
14
DOSSIER
Bildung und Digitali-Täter
Was die autogerechte Stadt mit
Digitalitätskonzepten für Schulen zu tun hat
15
SCHULE & POLITIK
Es gibt keinen QR-Code
für Wertschätzung
20
Ulrich Gräler: Die ‘Mär’ vom Wert?
22
Jochen Smets: »Wir wollen
neue Wege gehen«
24
’Sprech:ZEIT 24/7’ intensiv genutzt
25
SENIOREN
Endlich wieder unterwegs! 26
Exkursion zum Gasometer Oberhausen
27
Fächermuseum und St. Jodokuskirche
in Bielefeld
27
IT-Schulung für Seniorinnen und Senioren
27
Das Programm 2022
27
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange:
»Wegen der drei Minuten…!«
28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Der digitale
Fünfjahresplan
30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Zahlenpaare
Aufgabe 2: Summ, Summ, Summ
31
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
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lehrer nrw e.V.
Nordrhein-Westfalen,
Graf-Adolf-Straße 84,
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Redaktion
Sven Christoffer,
Ulrich Gräler,
Christopher Lange,
Jochen Smets,
Sarah Wanders,
Marcel Werner
Düsseldorf
Verlag und
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PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
dphv-verlags-
gesellschaft mbH,
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Zur Zeit gültig:
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vom 1. Oktober 2020
Zuschriften und
Manuskripte nur an
lehrer nrw
,
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Graf-Adolf-Straße 84,
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Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
Mutausbruch
Der Mülheimer Kongress kann nach der
Corona-bedingten Absage im vergangenen
Jahr nun wieder stattfinden. Das Tagungsmotto
am 23. und 24. November lautet ’Optimistisch
in die Zukunft’.
E
E
r ist DAS Veranstaltungshighlight unseres Ver-
bandes und dient ihm alljährlich zur bildungs-
politischen Selbstvergewisserung. Umso
schmerzlicher war es, dass der Mülheimer Kongress
im letzten Jahr Opfer der Pandemie wurde. Zu unser
aller Erleichterung und Freude kann er in diesem
Jahr wieder in gewohnter Weise stattfinden. Das
Motto des Kongresses ist deshalb konsequenterwei-
se auch ein kleiner Mutausbruch und lautet ’Opti-
mistisch in die Zukunft’.
Die Sehnsucht nach Nähe und Normalität ist rie-
sengroß – in der Gesellschaft, in der Schule, aber
auch in unserem Verband. Wir sind eine Lehrerge-
werkschaft und setzen uns für optimale Arbeitsbe-
dingungen unserer Mitglieder ein. Wir sind ein Bil-
dungsverband und setzen uns für bestmögliche
Bildung in unserem Land ein. All das wurde jedoch
in den letzten anderthalb
Jahren an den Rand gedrängt,
über allem standen Corona und die Fra-
ge, wie sich Präsenzunterricht und Gesundheits-
schutz in Einklang bringen lassen. Das glich biswei-
len der Quadratur des Kreises und erzeugte mitunter
ein Ohnmachtsgefühl.
Der MüKo als Garant
für Nähe und Normalität
Vielleicht ist meine Vorfreude auf den diesjährigen
Mülheimer Kongress auch deshalb so groß, weil er
für Nähe und Normalität steht: Es sind nicht nur die
hochkarätigen Vorträge auf dem Podium, die dem
MüKo seinen unverwechselbaren Charakter verlei-
hen. Es sind vielmehr die vielen kleinen Gespräche
am Rande der Veranstaltung, es ist der kollegiale
Austausch, das vertraute Miteinander. Und es ist die
Rückkehr zu einer Normalität, in der es endlich wie-
der um Bildungsinhalte geht und nicht um Einschät-
zungen von Virologen und Aerosolfor-
schern. Eine Normalität, in der Bil-
dungs- und Erziehungswissenschaftler
mit ihren Thesen und Beiträgen Anstoß
geben für spannende Diskussionen un-
ter den Teilnehmerinnen und Teilneh-
mern. In der Vergangenheit hat der In-
put der geladenen Expertinnen und Ex-
perten immer wieder auch dazu geführt,
dass der Verband seine bildungs- und er-
ziehungswissenschaftlichen Positionen in
Teilen neu justiert hat. Insofern ist der
Mülheimer Kongress auch ein wertvoller
und unverzichtbarer Kompassgeber des
lehrer nrw
.
Premiere für den
neuen Vorstand
Der 52. Mülheimer Kongress vom 23. bis
24. November findet erstmals unter der Regie
des neuen geschäftsführenden Vorstands
3
6/2021 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von SVEN CHRISTOFFER
Auf nach Mülheim: Der Mülheimer
Kongress bietet wieder ein spannendes
Programm.
Foto: AdobeStock/Cevahir
UNTER DER LUPE
statt. Das ist sicherlich ein weiterer Grund dafür,
dass meine Vorfreude enorm ist. Gemäß unserem
Motto sind wir optimistisch, mit den Vortragenden
eine ausgewogene Mischung aus Wissenschaftlich-
keit, Praxisnähe und Unterhaltung gefunden zu ha-
ben. Für Letzteres steht vor allem der Deutschlehrer
und Comedian ’Herr Schröder’, der in Mülheim aus
seinem neuen Werk ’Instagrammatik’ über die Seg-
nungen der Digitalisierung für den Schulbetrieb be-
richten wird.
Garanten für Praxisnähe sind Yvonne Michel und
Michael Rudolph. Die Diplom-Sozialpädagogin und
Fachkraft für Suchtprävention bei der Suchthilfe Aa-
chen referiert darüber, wie Aspekte der Glücksfor-
schung das Wohlbefinden von Lehrkräften und Schü-
lern stärken können. Der Berliner Schulleiter Michael
Rudolph hat in wenigen Jahren die Bergius-Schule,
die einen üblen Ruf hatte, zu einer begehrten Unter-
richtsstätte gewandelt – mit klaren Regeln für ein
diszipliniertes Lernen. Für ihn sind auch Tugenden
wie Pünktlichkeit und höflicher Umgang entschei-
dend, um wieder Struktur und Verlässlichkeit in den
Schulalltag zu bringen. Michael Rudolph wird auf
dem Mülheimer Kongress beschreiben, wie man eine
schulische Umgebung schaffen kann, egal wo, in der
Lernen das wichtigste Ziel ist.
Das optimistische Menschenbild
der konfrontativen Pädagogik
Den Auftakt macht der Erziehungswissenschaftler
und Kriminologe Prof. Jens Weidner. Er zeigt auf, wie
die Konfrontative Pädagogik Konflikte in der Schule
reduzieren und ein gelingendes Miteinander evozie-
ren kann. In dem Sammelband ’Konfrontative Päda-
gogik in der Schule. Anti-Aggressivitäts- und Cool-
nesstraining’ erläutert er das Anliegen der Konfron-
tativen Pädagogik folgendermaßen: »Auf der Grund-
lage einer von Sympathie und Respekt geprägten
Beziehung gilt es, ein wiederholt abweichendes Ver-
halten einer Person, nicht aber die Person an sich ins
Kreuzfeuer der Kritik zu nehmen. Ziel ist eine Ein-
stellungs- und Verhaltensänderung beim Betroffe-
nen.« Es geht demnach um Konfrontation unter Bei-
behaltung der Wertschätzung der zu konfrontieren-
den Person. Gefördert werden Empathie, Frustrati-
onstoleranz, Ambiguitäts- oder Ambivalenztoleranz
sowie Rollendistanz. Ein spannender Ansatz, wie ich
finde.
Ich jedenfalls freue mich auf Tage der Nähe, der
Normalität und des Optimismus – denn den brau-
chen wir alle mehr denn je!
Sven Christoffer ist Vorsitzender des
lehrer nrw
sowie Vorsitzender des HPR Realschulen
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
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Unverzichtbarer Kompass: Der Mülheimer Kongress ist für
lehrer nrw
nicht nur ein Fachforum und Netzwerktreffen, sondern auch
eine Quelle der bildungspolitischen Selbstvergewisserung.
lehrer nrw ·
6/2021
6
BRENNPUNKT
Unterstützung für neues
Fachleitungsnetzwerk
Fachleitungen brauchen endlich gute Arbeitsbedingungen
und eine gerechte Bezahlung. Aus diesem Grund hat sich das
’Netzwerk Fachleiter*innen NRW’ gegründet.
l
ehrer nrw
kämpft seit Jahren für eine
adäquate Bezahlung sowie bessere Ar-
beitsbedingungen für Fachleitungen für
Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamt-
schulen (HRSGe). Wer beste Bildung in
diesem Land fordert, der muss auch die
bestmögliche Ausbildung der angehenden
Lehrkräfte sicherstellen. Unerlässlich für
diese beste Ausbildung sind gut qualifi-
zierte, engagierte und motivierte Fachlei-
tungen, deren Arbeit auch entsprechend
wertgeschätzt wird. Dies ist ein wichtiger
Baustein in der Bekämpfung des Mangels
an gut ausgebildeten Lehrerinnen und
Lehrern.
Die Missstände
Bereits seit vielen Jahren wird auf die
Missstände hingewiesen und ihre Behe-
bung gefordert.
Arbeitsbedingungen:
In den vergange-
nen Jahren haben die Aufgaben für Fach-
leitungen – wie auch die der Lehrerinnen
und Lehrer – massiv zugenommen. Die
großen Themen Inklusion, Integration,
sprachsensibler Unterricht und Digitalisie-
rung erfordern viel konzeptionelle Arbeit,
um die angehenden Lehrkräfte bestmög-
lich auf den schulischen Alltag vorzuberei-
ten. Neben den grundständig ausgebilde-
ten Lehramtsanwärterinnen und -anwär-
tern gehören zu dieser Gruppe auch die
Lehrerinnen und Lehrer im Seiteneinstieg
(OBAS, Pädagogische Einführung, Anpas-
sungslehrgang), die damit vielfältige, un-
terschiedliche Herausforderungen mit sich
bringen. Darüber hinaus hat die Verkür-
zung der Lehrerausbildung auf achtzehn
Monate bei gleichbleibender Anzahl von
Unterrichtsbesuchen dazu geführt, dass
das Arbeitsaufkommen für Fachleitungen
weiter gestiegen ist. Zusätzlich erfolgte
mit der Verabschiedung des neuen LABG
eine Reduzierung der Anrechnungsstun-
den. Hieraus resultiert die Forderung nach
einer deutlichen Anhebung der Anrech-
nungsstunden für die Planung und Durch-
führung der Seminararbeit. Die zusätzli-
chen Aufgaben können nicht einfach ne-
benbei geleistet werden, wenn die hohe
Qualität, die sich Fachleitungen zum Maß-
stab setzen, erhalten bleiben soll. Darüber
hinaus muss auch ein weiteres Anrech-
nungsdeputat für die ZfsL geschaffen wer-
den, um zusätzliche Aufgaben bewältigen
zu können.
Adäquate Bezahlung:
Absolut unver-
ständlich ist die ungerechte Besoldung von
Fachleitungen der unterschiedlichen Lehr-
ämter. A15 (Lehramt GyGe/BK) vs. A12Z
(HRSGe und G) bei gleichen Revisionsan-
forderungen und Tätigkeitsprofilen zeugt
von mangelnder Wertschätzung. Diese Un-
gerechtigkeit verärgert zu Recht viele
Fachleitungen und führt immer mehr auch
von SARAH WANDERS
Das ’Netzwerk Fachleiter*innen NRW’
setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen und eine faire
Bezahlung der Fachleitungen ein.
BRENNPUNKT
7
6/2021 ·
lehrer nrw
dazu, dass Stellen nicht besetzt werden
können. Ein gleiches Beförderungsamt für
Fachleitungen aller Schulformen wäre so-
mit nicht nur gerecht und längst überfällig,
sondern würde auch endlich die notwendi-
ge Wertschätzung zeigen.
lehrer nrw
setzt sich ein
lehrer nrw
hat schon vor vielen Jahren
ein eigenes Referat ’Fachleitungen’ ein-
gerichtet, um diesem Thema nach innen
und außen Gewicht zu geben. Referats-
leiter ist Hardi Gruner, der auch Mit-
glied im ’Netzwerk Fachleiter*innen
NRW’ ist (gruner@lehrernrw.de).
Ulrich Brambach, ehemaliger Fachleiter
und Vorsitzender unseres Verbands, war
schon immer ein starker Fürsprecher für
Fachleitungen bei
lehrer nrw
. Dass sich
der Verband nicht erst seit Kurzem die-
sem Thema widmet, wissen langjährige
Mitglieder. So haben wir bereits 2012
ein ‘Reclam-Heft’ mit dem Titel ’Alltag
eines Fachleiters – Ein Trauerspiel’ ver-
öffentlicht und auf die Missstände auf-
merksam gemacht.
In der Ausgabe 2/2019 unserer Ver-
bandszeitschrift machten wir die Pro-
blematik, diesmal unter einer anderen
Landesregierung, erneut zum Titelthe-
ma, um Fachleitungen zu unterstützen,
die sich in Briefen an Schulministerin
Yvonne Gebauer gewandt hatten.
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende
des
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
Bei vielen Gelegenheiten hat
lehrer nrw
bereits auf die untragbare Si-
tuation der Fachleitungen HRSGe hinge-
wiesen – unter anderem mit dieser Titel-
seite der Verbandszeitschrift vor zweiein-
halb Jahren.
Im Mai 2020 war die ungerechte Besol-
dung und die hohe Belastung von Fach-
leitungen ein Tagesordnungspunkt in
der Gemeinschaftlichen Besprechung
des
lehrer nrw
-geführten Hauptperso-
nalrates für Lehrkräfte an Realschulen
mit Ministerin Gebauer.
Dies sind nur einige Beispiele für den Ein-
satz unseres Verbandes.
Gerne würde ich an dieser Stelle auch
schreiben, was sich durch den Einsatz der
Fachleiterinnen und Fachleiter sowie unter
anderem auch unseres Verbands verbes-
sert hat. Leider konnten wir außer großem
Verständnis bei den Verantwortlichen we-
nig erreichen. Und jeder weiß, dass sich
allein durch Verständnis die Bedingungen
nicht ändern. Entschlossenes Handeln statt
warmer Worte ist gefordert.
Netzwerk gegründet
In der Zwischenzeit hat sich ein Netzwerk
aus Fachleitungen nahezu aller ZfsL –
HRSGe in Nordrhein-Westfalen konstituiert
und ist mit der Bitte um Unterstützung an
Gewerkschaften und Verbände herangetre-
ten. Ein erster Austausch, an dem ich für
unseren Verband sehr gerne teilgenommen
habe, fand am 30. September 2021 statt.
Es wurden die Probleme diskutiert und
mögliche Ansätze besprochen, die Thema-
tik wieder mehr ins Bewusstsein des Schul-
ministeriums und der Politik zu rufen, um
endlich nicht nur Verständnis zu bekom-
men, sondern echte Lösungen.
lehrer nrw
hat dem Netzwerk seine Unterstützung
zugesichert.
Wir stehen zu unserem Wort und an der
Seite der Fachleitungen!
lehrer nrw ·
6/2021
8
JUNGE LEHRER NRW
von MARCEL WERNER
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Gestern noch Lehramtsanwärter – heute schon junge Lehrkraft
an einer neuen Schule. Der Start in den Lehrerberuf ist mit viel
Aufregung und noch mehr Fragen verbunden. Ein paar Tipps
für einen erfolgreichen Einstieg gibt der Vorsitzende von
junge
lehrer nrw
, Marcel Werner.
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ndlich eine feste Stelle. Nach dem doch
sehr anstrengenden Referendariat kann
es endlich losgehen. Da gibt es ein neu-
es Gebäude, viele neue Kolleginnen, die schon
eine Gemeinschaft sind. Aber keine Angst: Der
Start an einer neuen Schule ist für jede Lehr-
kraft eine ungewohnte, aber doch aufregende
Situation. Im Folgenden gebe ich Ihnen ein
paar bewährte Tipps, die Ihnen helfen werden,
den ersten Tag doch etwas weniger aufgeregt
anzugehen. Wenn es Ihnen möglich ist, besu-
chen Sie doch vor Dienstantritt die neue
Schule, so können Sie schon einige Kollegen
kennenlernen, den Weg zur Arbeit testen und
sich einen ersten Eindruck verschaffen.
Gerade wenn der erste Tag nicht nach
den Sommerferien ist, kann es schonmal
turbulent werden, die Kolleginnen befinden
sich schließlich mitten im Schuljahr und ha-
ben einiges an Arbeit zu absolvieren. Nützli-
che Ansprechpartner sind hier zum Beispiel
die Vertrauenslehrerin oder der Vertrauens-
lehrer von
lehrer nrw
oder die Kollegen des
Lehrerrates. Diese helfen Ihnen sicher sehr
gerne bei der Beschaffung von Hausord-
nung, Lehrerkalender, Passwörtern usw.
Weiterhin sollten Sie sich mit den Kürzeln,
Raumnummerierungen und dem Vertre-
tungsplan vertraut machen. Sollten Sie di-
rekt eine Klassenleitung übernehmen, ist es
hier auch hilfreich, sich mit den Kolleginnen
der Parallelklassen auszutauschen.
Das Kollegium:
Zeigen Sie Interesse
Die Gemeinschaft eines Kollegiums zeichnet
eine gute Schule aus, daher sollten Sie auch
Interesse an dieser Gemeinschaft zeigen. Ich
persönlich bin der Auffassung, dass gerade
ein Lehrerkollegium, welches unseren Ju-
gendlichen Kompetenzen in allen Bereichen
Aufregend, aber kein Grund
zur Panik:
Wer sich gut vorbereitet und
ein paar Ratschläge beachtet, wird einen
starken Start in den Lehrerberuf schaffen.
Foto: AdobeStock/stockartstudio
JUNGE LEHRER NRW
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: werner@lehrernrw.de
vermittelt, einen guten und freundschaftli-
chen Umgang miteinander hegen sollte.
Denn wer sich für den Beruf des Lehrers
entscheidet, muss ein Interesse am Umgang
mit Menschen haben. Daher sollten Sie zeit-
nah hinterfragen, ob es eine Lehrerkasse so-
wie eine Kaffeekasse gibt. Weiterhin ist es
nützlich zu wissen, ob zu Geburtstagen oder
sonstigen feierlichen Anlässen ein Ritual ge-
pflegt wird, beispielsweise das Backen eines
Kuchens. Unabhängig davon sollten Sie
nach den ersten Tagen eine Kleinigkeit aus-
geben – Kuchen oder Süßigkeiten kommen
in jedem Lehrerzimmer gut an. Langfristig
sollten Sie sich auch überlegen, wo Sie sich
mit Ihrer Expertise im Schulalltag einbringen
können. Denn die Aufgaben des Schulperso-
nals gehen weit über das Unterrichten hi-
naus. Im Laufe der Jahre wurden viele Auf-
gaben auf uns Lehrer abgewälzt, die es gilt
unter den Kollegen zu verteilen. Ein neuer
großer Baustein ist die Digitalisierung.
Der Unterricht: Nutzen
Sie Ihr Handwerkszeug
’Unterrichten’ – der Punkt, weshalb Sie ei-
gentlich vom Land Nordrhein-Westfalen ein-
gestellt wurden. Hier sollten Sie sich aller-
dings auch erstmal die Zeit nehmen und Ih-
re Lerngruppen kennenlernen. Sitzpläne er-
stellen, Kurshefte anlegen und die schulin-
terne Vorgehensweise zu Arbeits- und
Sozialverhalten erfragen. Die ersten Wochen
mit einem vollen Stundenplan werden Sie
sicher fordern, und Sie werden auch fest-
stellen, dass nicht jede Stunde eine Prü-
fungsstunde sein kann. Dennoch sollten Sie
den Anspruch an Ihren Unterricht nicht ver-
lieren und stets offen für neue Ideen, Me-
thoden, etc. sein.
Nutzen Sie das im Referendariat gelernte
Handwerkszeug und gestalten Sie Ihren Un-
terricht stets motivierend für die Schüler und
Schülerinnen. Einige organisatorische Forma-
litäten sollten Sie für die Planung Ihres Unter-
richts allerdings in Erfahrung bringen. Hierzu
sollten Sie die jeweiligen Fachvorsitzenden
Ihrer zu unterrichtenden Fächer ansprechen.
Viele Fachschaften haben zusätzliches Mate-
rial, welches oftmals sehr hilfreich sein kann.
Weiterhin ist es für Ihre langfristige Planung
wichtig zu wissen, ob fachinterne Regelun-
gen zu den Lernzielkontrollen bestehen. Oder
ob es in einzelnen Stufen gemeinsame Pro-
jekte oder Unterrichtsreihen gibt. Außerdem
können Sie die schulinternen Lehrpläne bei
Ihren Fachvorsitzenden erfragen.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Tipps
einen entspannten Start in diese doch sehr
aufregende Phase Ihres Arbeitsalltages ge-
ben konnte. Gerne stehe ich Ihnen für weite-
re Fragen zur Verfügung, und ich würde mich
auch freuen, mit Ihnen über ein mögliches
Engagement im Verband zu sprechen.
lehrer nrw ·
6/2021
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SERIE HAUPTSCHULEN
»Wir lassen
niemanden fallen«
Die Werner-von-Siemens-Hauptschule (WvS) in Bochum hat
sich mit einer erfolgreichen Ausrichtung auf Berufsorientie-
rung und einem ausgeprägten sozialen Miteinander einen
sehr guten Ruf erworben.
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er Name ist Programm: Die Bochu-
mer Werner-von-Siemens-Schule
(WvS) ist, genau wie ihr berühmter
Namensgeber, ständig unter Strom. Die
Ganztagshauptschule hat über die normale
Stundentafel hinaus eine Fülle von zusätzli-
chen Angeboten in musischen, künstleri-
schen, sportlichen und handwerklichen
Bereichen im Programm. Berufsorientierung
ist ein großer Schwerpunkt im Wahlpflicht-
bereich. »Kein Abschluss ohne Anschluss«
lautet die Devise. Das beginnt schon in der
Klasse 8 mit Potenzialanalysen und Berufs-
felderkundungen, setzt sich in Klasse 9 mit
mehrwöchigen Praktika in Betrieben fort,
ehe sich in Klasse 10 vertiefende Praktika
und Bewerbertrainings anschließen. Gerade
die Praktika sind für viele der Schlüssel für
einen erfolgreichen Übergang von der Schu-
le in den Beruf. Denn noch immer ist der
Stempel ’Hauptschule’ eine Hürde bei der
Suche nach einem Ausbildungsplatz, sagt
Kathrin Torka, stellvertretende Schulleiterin
der WvS.
Beiderseitige Aha-Erlebnisse
In den Praktika gibt es nicht selten auf bei-
den Seiten Aha-Erlebnisse: Die Schüler ent-
decken eigene Fähigkeiten und die Betriebe
vielversprechende potenzielle Azubis. »Wer
Das Gartenprojekt ist ein Beispiel für die vielen Aktivitäten,
Projekte und Aktionen an der Werner-von-Siemens-Hauptschule Bochum.
Fotos: WvS Bochum
England-Trip mit einem Abstecher nach London – inklusive obligatorischem
Schnappschuss vor einer der charakteristischen Telefonzellen.
INFO
In Nordrhein-Westfalen gibt es (immer
noch) 175 Hauptschulen, rund 6.300
Hauptschul-Lehrkräfte und über 52.000
Hauptschüler. Und doch bewegt sich die
Hauptschule in der öffentlichen Wahr-
nehmung und beim Image unter dem
Radar. Aber gerade in Zeiten, da Schlag-
worte wie Fachkräftemangel, individuel-
le Förderung oder Integration die (schul-)
politische Diskussion prägen, kann die
Hauptschule ihre Stärken ausspielen.
Höchste Zeit also, die vermeintlich ver-
gessene Schulform wieder stärker ins
öffentliche Bewusstsein zu rücken.
lehrer nrw
tut dies mit einer Serie, in der
wir in loser Folge Hauptschulen vorstel-
len, die mit innovativen Konzepten und
guter Arbeit erfolgreich sind.
sich im Praktikum gut anstellt, hat sehr gute
Chancen auf einen Ausbildungsplatz«, weiß
Kathrin Torka. Viele Partnerschaften mit loka-
len Unternehmen öffnen Türen. Daher ist der
Slogan »Kein Abschluss ohne Anschluss«
keine Floskel: In der Tat verlassen nahezu
100 Prozent eines Abschlussjahrgangs die
WvS mit einem Abschluss in der Tasche –
ein gutes Drittel davon schafft zeitnah den
Sprung in eine Ausbildung. Dank einer Koope-
ration mit zwei Berufskollegs eröffnen sich
weitere Anschlussmöglichkeiten.
»Wir lassen niemanden fallen«, bringt
Schulleiterin Ute Meyer-Lerch die Philosophie
der WvS auf den Punkt. Viele Schülerinnen
und Schüler kommen mit einem Rucksack vol-
ler Misserfolgs-Erlebnisse an die Werner-von-
Siemens-Hauptschule. Zur Hauptschul-Päda-
gogik gehört daher auch, Selbstwertgefühl zu
fördern. Beziehungsarbeit ist das A und O. Ge-
nau das fasziniert Ute Meyer-Lerch an ihrem
Arbeitsplatz: »Wir sind an der Hauptschule als
Lehrerpersönlichkeit gefordert, nicht nur als
Wissensvermittler*innen.« Außerdem, so hebt
die Schulleiterin hervor: »Alle Abschlüsse der
Sek I sind an einer Hauptschule möglich. Nur
der Weg dorthin wird individueller betreut und
intensiver fördernd unterstützt, als einige grö-
ßere Systeme es leisten können.«
Aktionen, Projekte
und Aktivitäten
für das Wir-Gefühl
Zahlreiche Aktionen, Projekte und Aktivitäten
dienen auch der Förderung des Wir-Gefühls.
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6/2021 ·
lehrer nrw
BATTEL HILFT
Keine Lust mehr
auf Coronathemen?!
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel
gibt in seiner Kolumne regelmäßig Antworten auf
Fragen aus dem Lehreralltag.
M
ittlerweile entdecke ich bei mir einen zunehmenden Zynismus hin-
sichtlich der ganzen Dinge, die um das Thema Corona medial auf-
bereitet werden, und ich will kein Zyniker sein. Um dies zu vermeiden
heute nur eine kleine Geschichte zum Nachdenken.
Der Mullah Nasreddin ist einer der großen Meister des Querdenkens
im Osten. Eine Gruppe von Bewohnern eines Dorfes, in dem sich der
Mullah auf Durchreise befand, wollte ihm einen Streich spielen. Sie ver-
steckten seine Reisetasche, und nirgends vermochte Nasreddin sie wie-
derzufinden. »Gebt mir
unverzüglich meine Ta-
sche wieder, oder wahr-
lich, ich weiß, was ich tun
werde!«, rief Nasreddin
mit gewaltiger und zorn-
bebender Stimme aus.
Seine Stimme war so
energisch und die ge-
heimnisvolle Drohung so
einschüchternd, dass die
Dorfbewohner dem Mul-
lah seine Tasche mit
kleinlauten Entschuldi-
gungen zurückgaben. Nur
ein Kind wagte es, Nas-
reddin zu fragen, was er
denn sonst getan hätte,
wenn man ihm die Tasche
nicht zurückgegeben hät-
te. »Gar nichts«, antwor-
tete Nasreddin, »ich wäre
ohne meine Tasche wei-
tergereist.« Sprach’s,
schwang sich auf seinen
Esel und ritt davon.
Freuen wir uns doch
bald wieder auf lachende
Kindergesichter ohne …
Sie wissen schon.
Und immer dran den-
ken, frei nach Karl Valen-
tin »Die Zukunft war frü-
her auch besser
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan Battel ist seit 2007
niedergelassener Facharzt für Kinder-
und Jugendpsychiatrie und -psychothe-
rapie mit eigener Praxis in Hürth bei
Köln und seit 2012 systemischer Fami-
lientherapeut (DGSF). Im Rahmen des
lehrer nrw
-Fortbildungsprogramms
greift er in einer Vortragsreihe regel-
mäßig verschiedene Themen aus dem
Bereich der Jugendpsychologie auf.
Foto: Andreas Endermann
Ausschließlich für Mitglieder von
lehrer nrw
bietet Dr. Stefan Battel einmal pro Woche ei-
ne Telefonsprechstunde an. Lehrkräfte, die In-
formation, Rat und Hilfe im Umgang mit
schwierigen Schülern oder Eltern brauchen
oder selbst in einer psychisch belastenden
beruflichen Situation stecken, können dieses
Angebot nutzen.
Die Hotline ist jeden Dienstag von 15 Uhr
bis 16 Uhr freigeschaltet und unter der Tele-
fonnummer 0 22 33 / 961 01 20 erreichbar.
»Wir lassen niemanden fallen«,
sagt Schulleiterin Ute Meyer-Lerch.
Unter anderem geht es einmal pro Jahr zum
Wandern nach England – geschlafen wird meist
in Zelten, gekocht an der frischen Luft. In der
Adventszeit geht es alljährlich auf eine Fahrt ins
Sauerland, um Weihnachtsbäume zu schlagen,
die dann im Rahmen eines Schulevents verkauft
werden. Auch Skifreizeiten oder Surfkurse wären
hier zu nennen. Und jeden Monat wird das ’Vor-
bild des Monats’ gekürt. Wer im Schulalltag
durch Hilfsbereitschaft, Mut, Ehrlichkeit, Fleiß
oder in anderer Weise durch soziale Kompetenz
aufgefallen ist, erhält diese Auszeichnung, die ei-
nen hohen Stellenwert im Schulleben hat.
354 Schüler hat die Werner-von-Siemens-
Hauptschule aktuell. »Die Schule ist stabil, und
das sagt einiges über unsere Arbeit aus«, sagt Ute
Meyer-Lerch nicht ohne Stolz. Die WvS genießt bei
Eltern, Kooperationspartnern und nicht zuletzt der
Bezirksregierung hohes Ansehen. Nicht von unge-
fähr ist sie Standortschule im Bereich Inklusion
mit den Schwerpunkten Lern- und Entwicklungs-
störungen sowie geistige Behinderung.
Unterricht in der Regel
mit Doppelbesetzung
Zum Erfolg trägt neben einem engagierten Leh-
rerkollegium auch eine vergleichsweise gute Aus-
stattung mit multiprofessionellem Personal bei:
Drei Sonderpädagog*innen, drei Schulsozialar-
beiter*innen und vier MPT-Kräfte gehören zum
Team. »Darüber hinaus können wir in der Regel
eine Doppelbesetzung im Unterricht gewährleis-
ten«, sagt Kathrin Torka. Sie selbst kam vor gut
elf Jahren als junge Studienabsolventin über das
Programm ’Teach first’ an die WvS – damals
noch gar nicht mit dem konkreten Berufs-
wunsch, Lehrerin zu werden. Doch die Arbeit an
der Hauptschule packte sie schnell. »Man kann
hier so viel bewirken«, sagt sie und ist längst lei-
denschaftliche Hauptschullehrerin, denn: »Unse-
re Schule ist super!«
Jochen Smets
lehrer nrw ·
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TITEL
Foto: AdobeStock/Konstantin Hermann
Digitalisierungsstress
in Schulen
Dana Jarczyk hat in ihrer Masterarbeit die gesundheitlichen
Auswirkungen der Mediennutzung in Schulen auf Lehrerinnen
und Lehrer untersucht. Ihre Arbeit enthält hochaktuelle Thesen
in Zeiten von Corona und wurde nun mit einer hohen Auszeich-
nung gewürdigt.
I
I
m vergangenen Jahr wurde wie in einem
Brennglas sichtbar: Deutschlands Schu-
len hinken in der Digitalisierung hinter-
her. Wir hören hier viel von den Auswirkun-
gen auf die Schülerinnen und Schüler –
doch wie sieht es auf der anderen Seite des
Bildschirms aus? In ihrer Masterarbeit un-
tersuchte Dana Jarczyk von der Fachhoch-
schule (FH) Bielefeld die berufsbedingte
Mediennutzung von Lehrkräften und das
Entstehen von ’Technostress’. Das Ergebnis:
Für eine ’gesunde’ Digitalisierung sind pas-
sende Fortbildungen, eine angemessene
Infrastruktur und Unterstützungsangebote
nötig, um Überbelastungen zu verhindern
und Fehlzeiten entgegenzuwirken. Ihre Mas-
terarbeit wurde nun mit dem 1. Award vom
Berufsverband Deutscher Soziologinnen und
Soziologen (BDS) ausgezeichnet.
Neben dem ’klassischen’ Einsatz im Un-
terricht nutzen Lehrerinnen und Lehrer di-
gitale Medien für die Unterrichtsplanung
und zu administrativen Zwecken, wie die
Verarbeitung von Noten und Zeugnissen.
Dabei wird bereits das erste Problem
deutlich: »Viele Lehrkräfte arbeiteten da-
für auch vor Corona von zuhause an ihren
privaten Computern«, sagt Jarczyk. Denn:
Ob langsames Internet oder keine Arbeits-
laptops – an vielen Schulen fehlte es
schlichtweg an der notwendigen Infra-
struktur.
Ein weiteres Problem seien sehr
schwer einzuhaltende Datenschutzbe-
stimmungen: »Einige der Regelungen
verhindern die Handlungsfähigkeit oder
begünstigen gar einen Verstoß gegen den
Datenschutz, wenn durch die Schule kei-
ne Geräte gestellt werden und personen-
bezogene Daten dadurch am privaten
Computer verarbeitet werden müssen.
Diese rechtliche Unsicherheit ist belas-
tend und führt oftmals zu Frustration«,
so Jarczyk.
Einseitige Perspektive und
mangelnde IT-Ausstattung
als Stressfaktoren
Grundlage der Arbeit bilden Interviews mit
acht Lehrkräften von vier Schulen aus dem
Sekundarbereich, die Dana Jarczyk noch vor
Beginn der Corona-Pandemie durchführte.
»Besonders im Zusammenhang mit dem
2019 verabschiedeten DigitalPakt Schule ist
mir aufgefallen, dass bisher nur wenig aus
Sicht der Lehrerinnen und Lehrer gespro-
chen wurde«, so Jarczyk, die Angewandte
Sozialwissenschaften am Fachbereich Sozi-
alwesen der FH Bielefeld studiert hat. Meist
fokussieren sich Studien auf positive oder
negative Effekte für den Lernprozess bzw.
die Bildungsteilhabe von Schülerinnen und
Schülern.
TITEL
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lehrer nrw
Schattenseiten der
Digitalisierung:
Die berufsbedingte
Mediennutzung von
Lehrkräften kann in
’Technostress’ ausarten.
Auch wenn gezwungenermaßen seit Be-
ginn der Pandemie einiges an Schulen ver-
bessert wurde, ist Dana Jarzcyk sicher, dass
viele dieser ’Ad hoc-Projekte’ auf Kosten der
psychischen Gesundheit von engagierten
Lehrkräften durchgeführt wurden: »Digitali-
sierung hätte im Bereich Schule schon viel
früher, umfassender und systematischer an-
gegangen werden sollen, sodass nicht nur
die Schulen, die einen guten Förderverein,
eine motivierte Elternschaft und ein kleines
Kollegium haben, sich entwickeln können,
sondern dies flächendeckend geschieht.«
Immer erreichbar? –
Nachhilfe per WhatsApp
Ein weiterer Stressfaktor: Durch digitale
Medien hat sich die Kommunikation auch
an Schulen verändert. Jarczyk: »Vor allem
durch E-Mails wird oft eine unmittelbare
Reaktion von Seiten der Schülerinnen und
Schüler, Eltern oder dem Kollegium erwar-
tet. Aber auch Handys werden immer mehr
genutzt.« So kommt es durchaus vor, dass
Lehrkräfte ihre privaten Handynummern an
Schülerinnen und Schüler und das Kollegium
geben, um besser erreichbar zu sein. Whats-
App-Gruppen mit Schülerinnen und Schü-
lern sollte es aus datenschutzrechtlichen
Gründen eigentlich nicht geben, dies sei
aber dennoch oft der Fall.
Dadurch verschwimmen die Grenzen
zwischen Privatem und Dienstlichen immer
mehr. »Einerseits bieten diese Möglichkeiten
eine schnelle Informationsweitergabe und
einen guten Austausch und werden daher
oft als praktisch empfunden. Andererseits
kann dies bei nicht vorhandenen oder inef-
fektiven Strategien zur Stressbewältigung
ein Gefühl der dauerhaften Erreichbarkeit
erzeugen und auf diese Weise zu Überbelas-
tungen führen«, so Jarczyk.
Corona-Projekte auf Kosten
der engagierten Lehrkräfte
Erhoben hat Dana Jarczyk ihre Daten bereits
2019 – also noch bevor die Maßnahmen zur
Eindämmung der Corona-Pandemie Home-
schooling und Wechselunterricht zum Stan-
dard an den Schulen machten. Wie schätzt
sie die Auswirkungen durch Corona ein?
»Viele Schulen sind digital
einfach noch nicht ausrei-
chend ausgestattet, und dies
wurde durch die Corona-Pan-
demie nun noch offensichtli-
cher. Ich kann mir vorstellen,
dass Lehrkräfte, die gerne und
viel in der Schule gearbeitet
haben oder weniger technik-
affin sind, überrumpelt, wenn
nicht überfordert sind«, so die
Absolventin.
Foto: Patrick Pollmeier/FH Bielefeld
Dana Jarczyk
untersuchte die
gesundheitlichen
Auswirkungen der
Mediennutzung in
Schulen auf Lehre-
rinnen und Lehrer.
lehrer nrw ·
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TITEL
S
S
chulministerin Yvonne Ge-
bauer hat am 23. September
die ’Digitalstrategie Schule
NRW’ vorgestellt. Rund zwei
Milliarden Euro werden in
Nordrhein-Westfalen innerhalb
von fünf Jahren bis 2025 in das
Lehren und Lernen mit digitalen
Medien investiert. Davon sind
184 Millionen für ein zweites
Ausstattungsprogramm für
Schülerinnen und Schüler mit
digitalen Endgeräten vorgese-
hen.
Die ’Digitalstrategie Schule
NRW’ umfasst drei Handlungs-
felder:
Handlungsfeld 1: Die pä-
dagogischen und didakti-
schen Chancen der Digitali-
sierung in den Mittelpunkt
stellen – Schulen und Unter-
richt weiterentwickeln
Handlungsfeld 2: Lehrkräf-
te unterstützen und qualifi-
zieren
Handlungsfeld 3: Zugang
zu digitalen Medien und
digitaler Infrastruktur
schaffen und sicherstellen
Insgesamt stehen für die Digita-
lisierung der Schulen in Nord-
rhein-Westfalen für den Zeit-
raum 2020 bis 2025 Mittel in
Höhe von knapp zwei Milliar-
den Euro zur Verfügung. Diese
Summe umfasst die Gesamtheit
aller zum Teil auch bereits er-
folgten Investitionen in diesem
Bereich.
Aus Sicht von
lehrer nrw
ist
das Gesamtvolumen von zwei
Milliarden Euro beachtlich.
»Ob die ’Digitalstrategie Schule
NRW’ ein Erfolg wird, hängt
allerdings maßgeblich von der
Umsetzung vor Ort ab. Geld
und guter Wille allein reichen
nicht«, betonte der Verbands-
vorsitzende Sven Christoffer in
einer Pressemitteilung. Damit
aus der Digitalstrategie eine
wirkliche Digitaloffensive für
die Schulen werden kann, seien
drei Punkte entscheidend:
Mehr Personal: Die meis-
ten Schulen sind schon jetzt
personell am Limit oder da-
rüber hinaus. Um ein sinn-
volles und pädagogisch-
didaktisch passgenaues
Digitalkonzept zu implemen-
tieren, brauchen die Schulen
mehr Personal.
Mehr zeitliche Ressour-
cen:
Ab dem Schuljahr
2022/23 soll es an jeder
Schule in Nordrhein-Westfa-
len eine Digitalisierungsbe-
auftragte bzw. einen Digita-
lisierungsbeauftragen ge-
ben. Die Kolleginnen und
Kollegen, die diese Aufgabe
übernehmen sollen, brau-
chen mehr als nur eine sym-
bolische Entlastung. Digitali-
sierung nebenbei funktio-
niert nicht.
Mehr Funktionsstellen:
An den Schulen muss es Ko-
ordinatoren für Digitalisie-
rung geben, die das Binde-
glied zwischen Schulleitung
und Kollegium bilden und
den Digitalisierungsprozess
steuern. Das erfordert neue
Funktionsstellen, denn gera-
de in kleineren Systemen ist
die Führungsebene viel zu
dünn besetzt, um eine sol-
che Herkulesaufgabe zu
stemmen.
Zwei Milliarden Euro für die
schulische Digitalisierung
Schlechtes Digital-Zeugnis
D
ie Lehrkräfte in Deutschland vergeben mit Beginn des neuen
Schuljahres schlechte Noten für die digitale Ausstattung ihrer
Schulen. Einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Cloud- und
Hostinganbieters IONOS zufolge hält nach wie vor die Mehrheit
(51 Prozent) den Digitalisierungsgrad ihrer Schule für schlecht,
16 Prozent davon sogar für sehr schlecht. Gleichzeitig zeigen die
Befragten wenig Interesse am Thema Datenschutz: Mit Blick auf
digitale Lernformate gab knapp die Hälfte der Lehrkräfte (48 Pro-
zent) an, dass ihnen dieser Aspekt unwichtig ist. Für die Umfrage
befragte das Meinungsforschungsunternehmen Civey zwischen
31. August und 18. September deutschlandweit rund 250 Lehrkräfte.
Nur zehn Prozent bewerten die Ausstattung ihrer Schule mit
Hard- und Software sowie die Möglichkeiten für digitalen Unter-
richt mit sehr gut. Immerhin: 58 Prozent der Lehrenden sind der
Meinung, dass ihre Schulen oder Schulträger während der Pande-
mie deutlich mehr in die Digitalisierung investiert haben. Bei einem
Drittel der Befragten (34 Prozent) hat sich auf diesem Gebiet aller-
dings nichts getan – hier stehen weiter die Kreidetafel und der
Overhead-Projektor im Mittelpunkt.
Noch viel Unsicherheit beim
Umgang mit digitalen Lösungen
Der Wechsel zwischen Präsenz- und Distanz-Unterricht hat den Ein-
satz von onlinebasierten Formen der Zusammenarbeit unausweich-
lich gemacht. Etwa sechs von zehn Lehrenden (62 Prozent) fühlen
sich laut Umfrage sicher im Umgang mit den digitalen Lösungen,
die sie im Schulumfeld einsetzen. Mehr als ein Viertel (29 Prozent) ge-
ben allerdings an, dass sie unsicher bei der Nutzung sind (18 Prozent)
beziehungsweise sich nur teilweise damit wohlfühlen (11 Prozent).
Für die digitale Zusammenarbeit mit Kollegium und Lernenden
setzen die befragten Lehrkräfte am häufigsten auf die E-Mail mit
Schuladresse – vor der Pandemie (63 Prozent) genauso wie seit Be-
ginn (55 Prozent). Während vor Corona Messenger wie Signal oder
WhatsApp an zweiter Stelle standen (29 Prozent), findet seit Pande-
mie-Beginn der Austausch verstärkt über Microsoft Office 365/Teams
statt (39 Prozent vs. vorher 18 Prozent). Die Messenger liegen nur
noch auf Platz drei (24 Prozent). Auch der Videokonferenz-Dienst Big
Blue Button und die Lernplattform Moodle konnten zulegen.
Grafik: IONOS
Bildung und Digitali-Täter
Was die autogerechte Stadt mit Digitalitätskonzepten für Schulen zu tun hat.
Die autogerechte Stadt lässt wenig Platz
für Fußgänger, Radfahrer und Ökologie. Eine ähnli-
che Fixierung auf ein Ziel ist in der Diskussion um die
Digitalisierung (nicht nur) in Schulen zu beobachten.
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D
as Mantra der 1920er und wieder der 1960er
Jahre war »die autogerechte Stadt«. Hundert
Jahre später ist es das Mantra der digital-
gerechten, datenkompatiblen Bildungseinrichtun-
gen. Dabei sollte, wer die digitale Lehre verkündet,
hinter die Bildschirme schauen, Akteure und deren
Interessen benennen.
Die autogerechte Stadt
Das Vexierbild der autogerechten Stadt als Meta-
pher der industrialisierten und permanent mobilen
Moderne wurde erstmalig in den 1920er Jahren in
Berlin propagiert. Martin Wagner, Stadtrat für Hoch-
bau und Leiter des Amtes für Stadtplanung, setzte
sich erfolgreich für einen ’automobilorientierten
Stadtumbau ein. Stadtautobahnen und Hochstra-
ßen gehörten in den 1920er Jahren ebenso dazu
wie mehrspurige Autobahnen quer durch die Stadt,
großzügige Parkplätze und Parkhäuser sowie, im
Gegenzug, Unterführungen für Fußgänger und
Radfahrer. Freie Fahrt dem Auto-Mobil. Nach 1945
nahm der West-Berliner Senat wesentliche
Foto: AdobeStock/eyetronic
Ideen Wagners für den autogerechten Umbau der In-
nenstadt auf.
1959 erschien das Buch ’Die autogerechte Stadt – Ein
Weg aus dem Verkehrs-Chaos’ von Hans-Bernhard Rei-
chow. Alle Aspekte der Stadt- und Verkehrsplanung
sollten sich dem ungehinderten Verkehrsfluss des Autos
unterordnen. Was im Krieg stehen blieb, schleifte jetzt
die Mobilitäts-Ideologie. Die Bedürfnisse nichtmotori-
sierter Verkehrsteilnehmer wurden ebenso wenig be-
rücksichtigt wie ökologische Aspekte. Heute weiß man:
Mehr Straßen bringen mehr Verkehr, Dreck und Lärm
und gefährden die körperliche wie psychische Gesund-
heit der Menschen durch Lärm, Stress und Luftver-
schmutzung.
Die digitalgerechte Schule
An diese automobilfixierten Konzepte samt Unterord-
nung elementarer menschlicher Bedürfnisse unter die
Interessen der motorisierten Verkehrsteilnehmer erinnern
die heutigen Diskussionen über den Einsatz von Digital-
technik (nicht nur) in Schulen. Während die Konzepte
der »autogerechten Stadt« das Prinzip der Mobilität auf
Auto-Mobilität verkürzten, reduzieren heutige Konzepte
der Digitalisierung die Diskussion über den pädago-
gisch sinnvollen Einsatz von Medien (analog wie digi-
tal) im Unterricht auf Digitaltechnik. So wird etwa stolz
verkündet, alle Grundschulen vor Ort hätten jetzt WLAN.
Dumm nur, dass die Kinder aufgrund der Pandemie ge-
rade zu Hause sind. Da hilft WLAN in Schulen nichts.
Dumm auch, dass weder WLAN-Anschluss noch Endge-
räte alleine als pädagogisches Konzept tragfähig sind.
Ebenso könnte man Bücher ausliefern und sagen: Lernt
mal schön lesen oder Musikinstrumente bereitstellen
und auffordern: Musiziert mal fleißig.
Richtig doof wird dieser Technikpositivismus, wenn ei-
ne aktuelle Studie der Oxford University zur Schulschlie-
ßung und Corona belegt, dass selbst eine sehr gute digi-
tale Infrastruktur samt Endgeräten für alle Beteiligten
nicht zum Unterrichtserfolg führt. Obwohl niederländi-
sche Schulen als digitale Vorreiter gelten und die Aus-
stattung mit Geräten überdurchschnittlich gut ist, brach-
te der Fernunterricht per Netz kaum Lernfortschritte. Die
Ergebnisse der Studie von Engzell seien besonders be-
sorgniserregend, da die Niederlande so viele Dinge rich-
tig gemacht hätten, so ein Mitautor. Lehrer und Schulbe-
amte hätten »enorme Anstrengungen unternommen
und die Regierung habe sogar Laptops für alle Kinder
gekauft, die einen benötigen«. Trotzdem hätten die Er-
gebnisse des Onlineunterrichts »viele der schlimmsten
Befürchtungen [bestätigt], die Pädagogen anfangs des
ersten Lockdowns hatten«.
Computational Thinking
und informatisches Denken
Vermeintlich alles richtig gemacht und doch nichts
gelernt? Aber sollen nicht alle Kinder möglichst früh
lernen, mit Rechnern zu arbeiten, besser noch, wie Rech-
ner zu denken in einer zunehmend vollständig digitali-
sierten Welt? Das Stichwort dafür ist ’Computational
Thinking’ (Rechnerisches Denken) und zeigt bereits im
Begriff die Problematik der beabsichtigten Verkürzung
menschlicher Erkenntniskräfte. Die ’Offensive Digitale
Schultransformation’ (#Odigs) soll sowohl den Schulall-
tag wie die Lehrerausbildung ganz nach den Anforde-
rungen der Informationstechnik umformen.
»Dazu gehört unter anderem die verpflichtende infor-
matische und digitale Grundbildung in der Breite der
Lehrkräfteaus- und -weiterbildung, verpflichtender Infor-
matikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler und
mehr IT-Fachpersonal für die Schulen, das digitale Infra-
strukturen aufbauen und dauerhaft pflegen kann.«
(GI 2020)
Mehrere Lehrerverbände unterstützen diese Initiative
der IT-Wirtschaft und ihrer Lobbyverbände. Kurioserwei-
se fragt kaum jemand, was informatische Grundbildung
bzw. informatisches Denken konkret bedeutet. Computa-
tional Thinking trainiert und verkürzt das Denken auf
Fragen der Berechenbarkeit.
»Informatisches Denken beruht auf der Mächtigkeit
und den Grenzen von Berechnungsprozessen, ob sie nun
von Menschen oder Maschinen ausgeführt werden. Be-
rechnungsmethoden und -modelle geben uns Mittel an
die Hand, Probleme zu lösen und Systeme zu entwerfen,
die niemand von uns alleine zu lösen in der Lage wäre.
Was kann der Mensch besser als ein Computer? Was
können Computer besser als Menschen? Grundsätzlich
wird die Frage behandelt: Was ist berechenbar?« (Wing
2006).
Ja oder Nein, Richtig oder Falsch,
Eins oder Null
Informatisches Denken ist, sachlogisch verstanden, eine
spezifische Art von Problemlösungsstrategie, die eine
beliebige Aufgabenstellung so lange in Teilaufgaben
zerlegt, bis diese Teilaufgaben mathematisch beschrie-
ben, in einen Algorithmus (eine Handlungsanweisung
für Computer) übersetzt und von einem Computerpro-
gramm berechnet werden können. Für jede Teilaufgabe
muss ein eindeutiger (binärer) Wert herauskommen:
Ja oder Nein, Richtig oder Falsch, Eins oder Null. Berech-
nungen können beliebig komplex werden und immer
höhere Rechenleistungen erfordern, aber das Grund-
prinzip bleibt identisch. Berechenbarkeit von Prozessen
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als Basis informatischen Denkens weist zugleich auf
die Defizite. Sehr vieles von dem, was den Men-
schen und sein Leben in Gemeinschaft ausmacht,
ist nicht berechenbar.
Umgekehrt lässt sich formulieren: Gerade das
nicht Berechenbare macht den Menschen und sei-
ne Lebenswelt aus. Man nennt es Kultur. Technik ist
ein Teilaspekt, aber menschliche Kultur beruht auf
viel mehr als nur mathematischen und/oder infor-
matischen Denkmodellen. Kultur ist Ausdruck der
Vielfalt der Menschen und ihrer Ideen, ihrer Lebens-
weisen und ihrer Phantasie, Kreativität und Schöp-
fungskraft. Kultur beruht vor allem auf Gemein-
schaft und Sozialität, die gerade nicht berechnet
werden können. Wer die Standardphrase von Start-
ups »Wir programmieren eine bessere Welt« sprach-
logisch und kultursensibel hinterfragt, wird es als
Drohung begreifen. »Nicht alles, was man zählen
kann, zählt. Und nicht alles, was zählt, kann man
zählen«, soll Albert Einstein gesagt haben. Wem im-
mer man dieses Bonmot zuschreibt: Eine berechnete
Welt ist keine humane, sondern ein auf Berechenba-
res verkürztes Dasein.
Automatisieren und Vermessen
von Lernprozessen
Exakt diese digitale Infrastruktur zum Erfassen und
Verdaten von Lernverhalten wird derzeit in den
Schulen installiert, mit den bekannten Big Five der
IT im Hintergrund und exakt den gleichen Mög-
lichkeiten der Probandensteuerung durch Rückka-
nal und personalisierte Daten. Bei der Installation
von Lernsystemen in Schulen ist die wichtigste Ap-
plikation das sogenannte Identitätsmanagement
(IM oder ID-M). Bei Microsoft heißt es Azure und er-
laubt, alle Handlungen einer Person auch über
mehrere Geräte hinweg zu verfolgen und der Per-
son zuzuordnen. Christoph Meinel (HPI) beschreibt
die Notwendigkeit der Identifizierung der Nutze-
rinnen und Nutzer am Beispiel der HPI-Schulcloud
so:
»Viele dieser interaktiven Systeme funktionieren
nur, wenn sie den Nutzer kennen. Das bedeutet,
dass Daten protokolliert werden: Was hat der Be-
treffende gestern gemacht? Welche Frage konn-
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Der gläserne Schüler? Mit digitalen Lernmitteln könnten
Kinder zu beobachteten und vermessenen Lernern werden.
Foto: AdobeStock/zinkevych
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te er nicht beantworten? Wo müssen wir wieder anset-
zen?« (Meinel, 2020a)
Dabei geht es nicht um einzelne Schülerinnen oder
Schüler als Individuum. Sie sind nur ein Fall in einer
Reihe von beobachteten und vermessenen Lernern. Im
HPI-Blog-Beitrag zu Bildungsdaten schreibt Meinel, dass
Lernsysteme ...
»… Vergleichsanalysen mit den Verhaltensdaten aller
anderen jemals eingeloggten Lerner durchführen und
darauf aufbauend die weiteren Interaktionen dem anvi-
sierten Lernziel entsprechend steuern (könne).« (Meinel,
2020b)
Lernsysteme würden sich ’erinnern’ (genauer: spei-
chern) welche Matheaufgaben nicht richtig gelöst wür-
den, oft sogar die Ursache erkennen. Das System spei-
chert, »welche Vokabeln nicht richtig sitzen und deshalb
weiter geübt und trainiert werden müssten«. Solche klein-
teiligen Lernleistungsprüfungen könnten Lernmanage-
mentsysteme viel besser umsetzen, als es Lehrkräften je
möglich wäre. Durch ’passgenaue Angebote’ (ein be-
liebtes Wort der Prozessoptimierer) würden Schwächen
der Schüler/innen erkannt und überwunden und ’zielge-
nau’ (ein ebenso beliebter Begriff) Stärken individuell
gefördert. Die Lernziele gibt das Lernprogramm vor und
ist für Lernende ebenso intransparent wie die Leistungs-
messung. Dafür müsse man allerdings personenbezoge-
ne Daten und Klarnamen speichern. Das System müsse
schließlich ’wissen’, wer vor dem Bildschirm sitzt und da-
zu alle Interaktionen mit dem System aufzeichnen.
»In dieser Lern- und Arbeitsumgebung sind Klarna-
men unerlässlich. Lehrer müssen Ihre Schüler erkennen,
Schüler ihre Klassenkameraden, Teilnehmer ihre Arbeits-
gemeinschaften.« (Meinel, 2020b)
Digital basierte Überwachungs-
pädagogik
Klarnamen im System und Abgleich von Lernleistungen
mit allen jemals eingeloggten Probanden dürften klar
machen: Hier geht es nicht um individuelle Lernprozesse
und Verstehen, sondern um Ergebnismessung und Pro-
zessoptimierung. Hier gilt es, IT-Strukturen insgesamt neu
zu denken und vom Menschen her zu konzipieren, bevor
man diese Technologien in Schulen einsetzen kann.
Stichworte sind: Kappen des Rückkanals für Daten und
damit das Unterbinden von Datensammlung und Profi-
lierung, Dezentralisierung und Datensparsamkeit sowie
Datenhoheit und Löschoption bei den Nutzerinnen und
Nutzern. Andernfalls etabliert man in Schulen Kontroll-
und Steuerungssysteme, die Shoshana Zuboff für das
kommerzielle Web als ’Zeitalter des Überwachungskapi-
talismus’ charakterisiert und aus denen in Bildungsein-
richtungen eine digital basierte Überwachungspädago-
gik wird.
Ralf Lankau ist Grafiker, Philologe und Kunstpäda-
goge. Er unterrichtet seit 1985 Gestaltungstechniken
mit analogen und digitalen Techniken, seit 2002 als
Professor für Mediengestaltung und Medientheorie
an der Hochschule Offenburg. Er leitet die grafik.
werkstatt an der Fakultät Medien und Informations-
wesen, forscht (praktisch und theoretisch) zu Experi-
menteller Medienproduktion in Kunst, Lehre und Wis-
senschaft und publiziert zu Design, Kommunikations-
wissenschaft und (Medien-) Pädagogik.
DER AUTOR
Engzell, P., Frey, A., & Verhagen, M. D.: Learning Inequality
During the Covid-19 Pandemic (29. Oktober 2020).
https://doi.org/10.31235/osf.io/ve4z7; https://osf.io/
preprints/socarxiv/ve4z7
GI (2020) Pressemeldung Gesellschaft für Informatik: GI star-
tet ’Offensive Digitale Schultransformation’ (18. Mai 2020),
Web: https://offensive-digitale-schultransformation.de/
Meinel, Christoph (2020a): Im internationalen Vergleich sind
wir nicht gut aufgestellt, didacta-Themendienst;
https://bildungsklick.de/schule/detail/im-internationalen-
vergleich-sind-wir-nicht-gut-aufgestellt (19. Februar 2020)
Meinel, Christoph (2020b): Bildungsdaten der Schüler schüt-
zen (16. September 2020) https://blog.hpi-schul-cloud.de/
individuelle-foerderung-mit-interaktiven-lernsystemen/
(22. Oktober 2020)
Wing, Jeannette M. (2006): Computational Thinking. Com-
munications of the ACM, vol. 49, no. 3, pp. 33-35, März
2006; deutsche Übersetzung: ’Computational Thinking –
Informatisches Denken’ von Hermann Hellwagner (AAU
Klagenfurt), Gerti Kappel und Radu Grosu (TU Wien)
QUELLEN & LINKS
In seinem neuen
Werk ’Insta-
grammatik’
geht Herr Schröder auf
eine waghalsige Reise
in die Welt der sozialen
Medien und der schuli-
schen Digitalisierung.
lehrer nrw ·
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SCHULE & POLITIK
Es gibt keinen QR-Code
für Wertschätzung
Der Deutschlehrer und Kabarettist Johannes Schröder tritt
am 23. November beim Mülheimer Kongress auf, um über
die Segnungen der Digitalisierung für den Schulbetrieb zu
berichten. Hier ein kleiner Vorgeschmack.
W
W
issen Sie, wie spät es ist? Der
Zeiger der Smartwatch steht auf
digitales Zeitalter’. Kreidezeit vor-
bei. Das klassische Kästner-Klassenzimmer
hat ausgedient. G8 wurde durch G5 auf
links gedreht, und der Overheadprojektor
steht mit gesenktem Kopf in der Besenkam-
mer. Der Medienwagen hat Netflix. Die
Schulbücher gibt es als Podcast, und tausen-
de externe Nachhilfelehrer:innen graben
uns Lehrer:innen auf YouTube das Wasser
ab. Videotutorials wie: »Der Dreisatz in zwei
Sätzen« oder »Effi Briest effizient erklärt«.
Da wirkt unsereiner mit seiner Doppelstun-
de Deutsch natürlich wie ein Waffeleisen auf
einer Thermomix-Party.
Gewiss: Wir stehen an der Schwelle einer
Zeitenwende. Aber keine Sorge: Als damals
das Feuer erfunden wurde, haben auch viele
geflucht und sich die Pfoten verbrannt. Der
Topflappen wurde ja erst Jahre später erfun-
den.
Höhlenmenschen
und Quer-Zündler
Als damals das Feuer-Update in Umlauf
gebracht werden sollte, haben bestimmt
auch die meisten erstmal auf ’später erin-
nern’ geklickt. Die damaligen sogenannten
Quer-Zündler haben auch lange versucht,
das Feuer mit Fackeln aus der Stadt zu ver-
jagen. »Unsere Jugend verblödet! Die Kin-
der gucken den ganzen Tag nur ins Feuer.
Danke Merkel!« Irgendwann dämmerte
aber auch dem letzten Höhlenmenschen,
dass Stockbrot warm einfach besser
schmeckt. Wahrscheinlich war es damals
auch eher die junge Generation, die die
Chancen des Feuers erkannt hat. Mit 280
Rauchzeichen konnten sie untereinander
kommunizieren. »Später treffen am Wasser-
loch. Bring Shisha mit. CU Sven.« Gut, dass
es auch damals besonnene Politiker:innen
gab, die öffentlich einräumten: »Das Feuer
ist für uns alle Neuland.«
Und nun ist das Internet wie ein zweites
Feuer in unserem Dachstuhl ausgebrochen
und wir kriegen es kaum gebändigt. Jetzt
heißt es: Stockbrot reinhängen und die Gar-
zeit beachten.
Homöopathischer
Unterricht
Die Corona-Krise und die damit einherge-
henden Schulschließungen haben aber ver-
deutlicht: Der Unterricht – vor allem digital
– ist nur ein homöopathischer Teilaspekt
schulischen Lernens. Das Wesentliche pas-
siert immer noch außerhalb des Stunden-
plans. In den sozialen Lehrstunden des
Lebens. Der Weg zum Schulbus, das Zettel-
chen, das einem unter der Bank zugesteckt
wird, die heimliche Zigarette in der Fünfmi-
nutenpause, die Lehrerin, die ein Auge zu-
drückt. Diese Erfahrungen sind viel ent-
scheidender als 45 Minuten Hybrid-Unter-
richt. Was nützt mir der Satz des Pythago-
ras, wenn niemand mit mir spricht? Was
nützt mir Bruchrechnung, wenn ich mit
meinen Mitschülern nicht auf einen Nenner
komme? Es gibt keinen QR-Code für Wert-
schätzung.
SCHULE & POLITIK
Wirklich nichts ersetzt das tatsächliche
Miteinander im Klassenzimmer. Es soll sogar
Schüler geben, die aus lauter Heimweh nach
Survival-Training
im Lockdown
Eine Gesamtschule in Siegen hat dieses Jahr
ihren Schüler:innen zwei Zeugnisse ausge-
stellt. Ein ganz herkömmliches mit den Zah-
len 1 bis 6. Das andere befasst sich damit,
wie die Corona-Krise individuell gemeistert
wurde. Denn das dürfen wir niemals verges-
sen: Diese Kinder haben eine Ausnahmesi-
tuation bewältigt, für die es kein Protokoll
gab. Wenn jetzt also öffentlich besprochen
wird, ob es sich bei diesen Jahrgängen um
eine ’verlorene Generation’ handelt, miss-
achten wir alles, was in dieser Zeit gelernt
wurde. Diese Kinder haben ein Survival-Trai-
ning bestanden. Sie haben ihr Softskill-Re-
pertoire um zahlreiche Learnings erweitert.
Allen voran Selbstorganisation, Durchhalte-
vermögen und ein ungefähres Gefühl für
globale Zusammenhänge. Gerne würde ich
ihnen dafür ein eisernes Verdienstkreuz an
den Fjallraven-Rucksack hängen.
den schulischen Routinen am Ende vom
Online-Unterricht bei sich zuhause den
Stuhl hochgestellt haben.
Johannes Schröder ist
studierter Deutschlehrer
und Comedian/Kabarettist.
Nach zwölf Jahren Schul-
dienst und dem Nebenjob
als Pausenaufsicht startet
der inzwischen mehrfach
preisgekrönte Humorist ali-
as ’Herr Schröder’ nach
dem großen Erfolg seines
Comedy-Soloprogramms
’World of Lehrkraft’ nun mit
seinem neuen Werk ’Insta-
grammatik – das streamen-
de Klassenzimmer’ durch.
www.herrschröder.de
ZUR PERSON
Foto: Robert Maschke
lehrer nrw ·
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SCHULE & POLITIK
Die ‘Mär’ vom Wert?
[mɛ:r] [ve:rt]
Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder blockiert auch in
der zweiten Runde die Verhandlungen! Dies ist umso unver-
ständlicher, als der Öffentliche Dienst, auch und besonders
in den Schulen, system- beziehungsweise gesellschaftsrele-
vante Bedeutung hat.
D
D
er öffentliche Dienst genießt in zahl-
reichen Umfragen der letzten Jahre
hohe Anerkennungswerte bei der
Bevölkerung. Insbesondere in der Pandemie
erwies sich dieser vor allem in sozialen Ein-
richtungen wie Kitas und schulischen Bil-
dungseinrichtungen als Stütze im gesell-
schaftlichen Miteinander. Das Engagement
der Beschäftigten ging dabei oftmals weit
über die tarifvertraglich vereinbarte Arbeits-
zeit hinaus. Applaus gab es dafür nicht!
Vieles im öffentlichen Dienst wird als
Selbstverständlichkeit hingenommen. Eine
Dienstleistung, die der Bürger erwartet.
Aber auch erwarten kann, schließlich haben
wir unser Staatswesen unter anderem auch
auf einen starken öffentlichen Dienst aufge-
baut. Die Rufe nach einer Verschlankung
des Staates sind vollends verhallt, nun-
mehr gelten sie einer Stärkung
schulischen Bereich sind auf den ersten
Blick nicht sofort erkennbar, wohl aber über
einen längeren Zeitraum. Die Folge sind
Mängel und Lücken in der Ausbildungsreife
und Studierfähigkeit der Schulabsolventen.
Die Betriebe klagen seit Jahren über ein sin-
kendes Ausbildungsniveau, so dass sie ent-
weder auf Bewerber verzichten oder Bewer-
ber versuchen ’nachzuschulen’. Der Fach-
kräftemangel spricht in dieser Hinsicht Bän-
de.
Die Politik, die die Augen vor dieser Ent-
wicklung nun nicht mehr verschließen kann,
versucht bisweilen durch eine Ausweitung
der Unterrichtszeit diesen Prozess aufzuhal-
ten. Allzuoft gelingt ihr das nur äußerst un-
zureichend. Denn bei einem akuten Bewer-
bermangel an geeigneten Lehrkräften fehlt
das qualifizierte Personal für diese zusätzli-
von ULRICH GRÄLER
Gute Bildung ist mehr wert: Dieser Mehrwert spiegelt sich allerdings nicht in der aktuellen
Entlohnung wider – und die Arbeitgeber scheinen (noch) nicht gewillt, daran etwas zu ändern.
der Effektivität durch Digitalisierung und
Beschleunigung der Verwaltungsabläufe /
Genehmigungsverfahren.
Von Menschen
für Menschen
Neben diesen eher verwaltungstechnischen
Aufgaben stehen jedoch nach wie vor die per-
sonenintensiven Arbeitsbereiche des öffentli-
chen Dienstes im Vordergrund. Tätigkeiten, die
‘von Menschen für Menschen’ geleistet wer-
den und daher ’unverzichtbar’ sind, wie der
dbb immer wieder zurecht betont. Wer hier
Einsparungen vornimmt, der nimmt billigend
’Verlust’ in Kauf, quantitativ und qualitativ,
zum Beispiel bei der Strafverfolgung der Poli-
zei, der Steuerfahndung der Finanzämter, der
Intensivpflege in den Krankenhäusern, aber
auch bei der Ausbildung der nachwach-
senden Generation.
Die Verluste im
23
6/2021 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
HESSEN VORWEG!
In der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) haben sich mit einer Ausnahme alle Bun-
desländer zusammengeschlossen, um gemeinsame Tarifverhandlungen mit den Verbän-
den und Gewerkschaften auf Landesebene zu führen und Tarifverträge abzuschließen.
Einzige Ausnahme bildet derzeit das Land Hessen, das eigene Tarifverträge herbeiführt.
Da die Inhalte und Laufzeiten der Tarifverträge unterschiedlich ausfallen (können),
kann es wie in diesem Jahr zu der Situation kommen, dass das Land Hessen dem Ab-
schluss für die übrigen Bundesländer vorangeht. Dabei hat sich nun gezeigt, dass Hessen
in manchen Bereichen einem Nachholbedarf wie zum Beispiel bei der Vereinbarung über
eine Lehrerentgeltordnung nachgekommen ist, in anderen Bereichen sich aber auch als
Vorreiter wie zum Beispiel beim Abschluss eines Digitaltarifvertrags hervorgetan hat und
damit als Modell für die anderen Bundesländer gelten kann.
Ulrich Gräler
Foto: AdobeStock/blende11.photo
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender
des
lehrer nrw
E-Mail: graeler@lehrernrw.de
schon ihre je eigenen Erfahrungen gemacht.
Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort konn-
ten die Auswirkungen hautnah miterleben
und mussten diese in der Folge dann auch
mehr oder minder kompensieren. Eine in-
haltliche Begründung für die Verkürzung
des Referendariats gibt es nicht.
chen Unterrichtsangebote. Vielleicht wäre
es eben doch sinnvoller, die vorhandene
oder mögliche Unterrichtszeit mit dem zur
Verfügung stehenden Personal qualitativ
hochwertiger zu gestalten.
Gutes Personal braucht
gute Arbeitsbedingungen
Qualifiziertes Personal gibt es aber nur,
wenn die Arbeitsbedingungen ‘alles in al-
lem’ stimmig sind. Wohl wahr, das Entgelt
allein richtet es nicht, sondern nur der
Gleichklang von umfassender grundständi-
ger Lehrerausbildung bzw. Qualifikation,
adäquaten äußeren und inneren Unter-
richtsbedingungen sowie einer gerechten
und konkurrenzfähigen Entlohnung. Brö-
ckelt eine dieser Säulen, gerät die gesamte
Statik für eine gute Schule ins Wanken!
Insofern ist es aktuell völlig unverständ-
lich und ein falsches Signal, dass das Land
Mecklenburg-Vorpommern die Ausbil-
dung für die Lehramtsanwärter
weiter kürzen will. Andere Bun-
desländer haben damit
Systemrelevant und
gesellschaftsrelevant
Bei den Aufgaben des öffentlichen Dienstes
von Menschen für Menschen darf es keine
Abstriche geben. Sie sind nun einmal un-
verzichtbar, und auch das Qualitätsniveau
ist unverzichtbar, sowohl der Ausbil-
denden wie auch der Auszubilden-
den, erst recht in einem Staat, der
auf kluge Köpfe angewiesen
ist. Schließlich braucht die
Gesellschaft in Zukunft
stetig mehr Menschen für
Aufgaben jenseits der
Routine, sowohl im indus-
triellen Sektor als auch im
sozialen Bereich.
Es wird Zeit, dass die
Arbeitgeber den Wert die-
ses Teils des öffentlichen
Dienstes dauerhaft schät-
zen lernen und entspre-
chend würdigen. Ansons-
ten wären alle politischen
Äußerungen dazu nur eine
‘Mär’ vom Wert dieser sys-
tem- oder besser gesell-
schaftsrelevanten Tätig-
keiten. Bildung ist aber
mehr wert (fünf Prozent),
denn gute Bildung ist ein
wahrer Mehrwert
[me:rve:rt].
lehrer nrw ·
6/2021
24
SCHULE & POLITIK
»Wir wollen neue Wege gehen«
In der münsterländischen Gemeinde Wettringen ist eine neue
Realschule gegründet worden. Ihr Konzept, das konsequent auf
Digitalisierung setzt, bricht in vielerlei Hinsicht mit üblichen
Lernformen und Rollenbildern.
»
»
H
H
ier entsteht die Zukunftsschule«
steht ebenso unmissverständlich
wie selbstbewusst auf einem Banner über
dem Eingang der Realschule Wettringen.
Moment mal: Die Realschule, in den Augen
mancher Schulbürokraten und Bildungs-
ideologen ein Auslaufmodell, als Zukunfts-
schule? Aber ja doch! In der münsterländi-
schen Gemeinde hat sich eine neue Real-
schule gegründet – und zwar als Privat-
schule. Entstanden ist sie aus einer Eltern-
initiative heraus – in der Überzeugung,
dass eine Realschule als überschaubares
System ein ideales Sprungbrett sowohl in
Richtung Berufsausbildung als auch hin zu
akademischen Wegen sein kann.
Klassengröße
maximal 21 Kinder
Die Resonanz war überwältigend: Zum
Start im August 2021 wollten rund sechzig
Schülerinnen und Schüler an die Realschule
Wettringen. Genommen wurden schließlich
42, verteilt auf zwei Eingangsklassen. Denn
keine Klasse der Realschule Wettringen hat
mehr als 21 Kinder – so steht es im Kon-
zept, das Helmut Evers maßgeblich erarbei-
tet hat. Es ist ein Konzept, das es in sich
hat. Denn es bricht mit vielen alten Ge-
wohnheiten. »Wir wollen neue Wege ge-
hen«, sagt der Pädagogische Leiter des
Trägers. Dazu gehört zum Beispiel ein völlig
neues Raumkonzept. Statt einem Klassen-
raum pro Klasse gibt es zwei: Das Audito
ist der Inputraum. Hier werden Inhalte in
der Klassengemeinschaft erarbeitet, erklärt
Evers. Das Silentium ist das Lernatelier. Hier
hat jeder Schüler einen festen Platz, an
dem in Stillarbeit zum Beispiel Hausaufga-
ben erledigt werden. Hinzu kommt das
Forum, ein gemütlicher Gemeinschaftsraum,
in dem zum Beispiel das morgendliche
Assembly stattfindet, Gruppenarbeiten
möglich sind, oder einfach nur eine Pause
gemacht wird.
’Flipped Classroom’ und
neues Rollenverständnis
Der Unterricht selbst folgt auch dem Prinzip
des ’Flipped Classroom’. Das heißt soviel
wie ‘umgedrehter Unterricht’ und versucht,
den Frontalunterricht durch einen dynami-
schen Unterrichtsverlauf zu ersetzen. Immer
wieder sind die Kinder aufgefordert, selbst
oder in Gruppen erarbeitete Inhalte der ge-
samten Klasse zu präsentieren. Die Lehrkraft
Flipped Classroom: Die Realschule Wettringen
versucht, den klassischen Frontalunterricht durch
einen dynamischen Unterrichtsverlauf zu ersetzen.
Im Silentium-
Raum
werden in
Stillarbeit und unter
Betreuung einer
Lehrkraft zum Bei-
spiel Hausaufgaben
erledigt.
Foto: Realschule Wettringen
Foto: Smets
25
6/2021 ·
lehrer nrw
SCHULE & POLITIK
’Sprech:ZEIT 24/7’
intensiv genutzt
D
ie ’Sprech:ZEIT 24/7’, das tele-
fonische psychosoziale Bera-
tungsangebot für Lehrerinnen und
Lehrer in Nordrhein-Westfalen,
wurde während der Pandemie häu-
figer in Anspruch genommen als in
Vor-Corona-Zeiten. Das geht aus
dem Jahresbericht 2020 des ar-
beitsmedizinischen Dienstes BAD
hervor, der die Telefonberatung im
Auftrag des Ministeriums für Schu-
le und Bildung anbietet. Danach
gingen im vergangenen Jahr 2020
durchschnittlich mehr als 260 Anru-
fe pro Monat bei der ’Sprech:ZEIT
24/7’ ein, mehr als doppelt so viele
wie im Vorjahr. Besonders im April,
Mai und August war die Zahl der
Anruferinnen und Anrufer erhöht.
»Als wir das Beratungstelefon
2018 gestartet haben, gab es die
Pandemie noch nicht. Heute, drei
Jahre später, bin ich froh, dass wir
dieses niedrigschwellige, vertrauli-
che und für Lehrkräfte kostenfreie
Angebot haben. Jede Lehrerin und
jeder Lehrer kann dort zu jeder Zeit
und mit jedem Problem anrufen
und bekommt Hilfe. Entweder kön-
nen die Beraterinnen und Berater
direkt am Telefon mit Rat und Tat
zur Seite stehen oder den Weg zu
einer weiteren Unterstützung auf-
zeigen. In den vergangenen Mona-
ten hat sich gezeigt, wie wertvoll
die Sprechzeit ist. Sie hilft uns da-
bei, die Folgen der Pandemie bes-
ser zu bewältigen. In dieser Zeit ist
die Sprechzeit für Lehrerinnen und
Lehrer mit Sorgen und Nöten eine
wichtige erste Anlaufstelle. Deswe-
gen werden wir das Angebot
selbstverständlich weiterführen«,
betonte Schulministerin Yvonne
Gebauer.
Wie der BAD-Jahresbericht zeigt,
war die arbeitsmedizinische Be-
treuung der Lehrkräfte im Jahr
2020 durch die mit der Pandemie
verbundenen Herausforderungen
geprägt. Die BAD GmbH hat zahl-
reiche Beratungen im Zusammen-
hang mit Corona durchgeführt. Der
größte Teil der Anruferinnen und
Anrufer hatte Beratungsbedarf in
den Themenbereichen ’Belastungen
durch die Auswirkungen von
Krankheit’ und ’Psychische Belas-
tungen’. Fragestellungen aus ande-
ren Themengebieten, wie zum Bei-
spiel ’Konflikte’, nahmen dagegen
deutlich ab.
Rund um die Uhr können Lehre-
rinnen und Lehrer in allen fünf
Regierungsbezirken des Landes
die ’Sprech:ZEIT 24/7’ nutzen und
erhalten dort eine erste und ver-
trauliche Unterstützung. Auf
Wunsch kann eine persönliche
Beratung direkt vor Ort vermittelt
werden. Beide Beratungen sind für
alle Lehrkräfte in NRW frei zugäng-
lich und unentgeltlich. Jede Lehre-
rin und jeder Lehrer kann die Ange-
bote unmittelbar für sich in An-
spruch nehmen.
Die BAD GmbH ist als überbe-
trieblicher Dienst mit der arbeits-
medizinischen und sicherheitstech-
nischen Betreuung und Beratung
der Lehrerinnen, Lehrer und Schul-
leitungen in Nordrhein-Westfalen
beauftragt.
INFO
Die ’Sprech:ZEIT 24/7’
ist rund um die Uhr unter
folgender Telefonnummer
erreichbar: 0800 / 00 77 15
greift bei Bedarf steuernd, korrigierend, erklä-
rend und motivierend ein.
Das führt zu einem neuen Rollenverständ-
nis, erläutert Evers: »Wir wollen das Hierar-
chische im Verhältnis zwischen Schülern und
Lehrern aufbrechen.« Darum heißen die Schü-
ler Lernpartner und die Lehrer Lernbegleiter.
Evers weiß, dass gerade Letzteres bei vielen
Lehrkräften allergische Reaktionen hervorruft.
»Wir verstehen den Begriff ’Lernbegleiter’
aber nicht abwertend, sondern ganz im Ge-
genteil als eine viel umfassendere Sichtweise
des Lehrer-Seins. Lernbegleiter haben einen
besonders aktiven Part.« Das bisher achtköp-
fige Kollegium zieht jedenfalls voll mit.
Fokus auf digitales Lernen
Eine weitere Säule des Schulkonzepts ist die
konsequente Ausrichtung auf digitales Ler-
nen. Jedes Kind bekommt ab der fünften
Klasse ein eigenes Tablet zur Verfügung ge-
stellt. Es ist das Haupt-Arbeitswerkzeug.
»Wir ermuntern und befähigen die Kinder
zu einem selbstbestimmten und kritischen,
aber auch zu einem produktiven und kreati-
ven Umgang mit den Anforderungen der heu-
tigen und zukünftigen digitalen Medien-
welt«, so Evers. Dementsprechend ist die
technische Infrastruktur exzellent – vom flä-
chendeckenden WLAN über leistungsstarke
Server bis hin zu hochmodernen Touchboards
in allen Unterrichtsräumen.
Die bisherigen Rückmeldungen aus der
Schüler- und Elternschaft sind fast durchweg
positiv. Auch die lokale Wirtschaft ist in Zei-
ten des Fachkräftemangels äußerst interes-
siert an der neuen Schule – was sich bereits
in diversen Patenschaften und Kooperationen
widerspiegelt. Die Profilbildung in den Fä-
chern Sport und Musik sowie im MINT-Be-
reich, in Verbindung mit bilingualem Unter-
richt und Französisch als zweiter Fremdspra-
che, ist hoch attraktiv und in der Region ein-
zigartig. Nicht von ungefähr blickt die Real-
schule Wettringen über ihr Schulgebäude
hinaus: Lernräume und Lernerfahrungen in
Unternehmen und gemeindlichen Einrichtun-
gen sind Teil des Schulkonzepts.
Die Zukunftsschule gedeiht.
Jochen Smets
lehrer nrw ·
6/2021
26
SENIOREN
Endlich wieder unterwegs!
Nach langer Corona-bedingter Pause konnte am 1. Oktober die ers-
te Tagesexkursion der
lehrer nrw
-Seniorinnen und -Senioren seit
dem Frühjahr 2020 stattfinden. Die begeisterten Teilnehmer konn-
ten sich im Schloss Moyland und anschließend in Kalkar umsehen
und über Beuys-Kunstwerke und Kirchenschätze informieren.
A
A
m 1. Oktober besuchten elf Senio-
rinnen und Senioren von
lehrer
nrw
das Schloss Moyland in Bed-
burg-Hau. Dabei ließen sie sich über zwei
Stunden durch die Parkanlage und das
Museum führen. Alle Teilnehmer waren
begeistert, mit welcher Fachkunde und
Empathie die Führerin die Gruppe über
die Historie des Schlosses und die Kunst-
sammlung in ihren Bann gezogen hat.
Schloss Moyland ist als Beuys-Museum
weltweit bekannt. Die Sammlung der Brü-
der van der Grinten aus Kranenburg bildet
den Grundstock der gezeigten Werke. Ob-
wohl die aktuelle Ausstellung ’Beuys und
die Schamanen’ kürzlich zu Ende gegangen
ist, erfuhr die Gruppe anhand ausgewählter
Exponate viel über den Schamanismus in
der Beuysschen Kunstauffassung. Nach ei-
ner kurzen Pause auf der Terrasse des Mu-
seums Cafés ging die Exkursion weiter in
das mittelalterliche Städtchen Kalkar, wo
die Gruppe von den Kunstschätzen in der
Nicolaikirche überrascht wurde. Ehren-
amtliche Mitglieder der Nikolaus-Bruder-
schaft erläuterten Details zu den aus dem
15. Jahrhundert stammenden Schnitzaltä-
ren und den in den 2010er Jahren geschaf-
fenen Kirchenfenstern, die eine Verbindung
zwischen religiöser Schöpfungsgeschichte
und moderner Physik abbilden.
Den Abschluss des Tages bildeten ein
gemeinsames verspätetes Mittagessen in
einem Restaurant am historischen Markt-
platz, ein kurzer Stadtrundgang und für die
Unermüdlichen eine ausführliche Besichti-
gung einer Galerie.
Das Organisationsteam, Monika Holder
und Horst Joosten, sind froh, dass sie sich
nach kurzem Zaudern getraut haben, die
Veranstaltung als Versuchsballon nach
Corona zu starten: Start gelungen! Weitere
Exkursionen und mehrtägige Fahrten be-
finden sich bereits in der Planung.
Horst Joosten
Bester Laune besichtigte die lehrer nrw Gruppe Schloss Moyland und die dortige Kunstausstellung.
Die Kirchenschätze der Kalkarer
Nicolaikirche beeindruckten die
Besucherinnen und Besucher sehr.
27
6/2021 ·
lehrer nrw
SENIOREN
Das Programm 2022
Exkursion zum
Gasometer
Oberhausen
Am 17. Februar 2022 besuchen die
lehrer nrw
-Seniorinnen und
Senioren den Gasometer in Oberhausen zur Ausstellung ’Das zer-
brechliche Paradies’.Treffpunkt ist vor dem Eingang des Gasome-
ters um 10:45 Uhr. Die Führung beginnt um 11 Uhr und dauert
eine Stunde. Danach sollte noch eine Stunde zur eigenen Erkun-
dung der Erdkugel und der Aussichtsplattform eingeplant werden.
Kosten für die Führung mit Eintritt je nach Gruppengröße:
etwa 17 Euro (bei 10 Teilnehmern)
Anmeldung: Bis 31. Januar 2022 bei Monika Holder,
Telefon: 0 27 39 / 18 99 oder holder@lehrernrw.de
Fächermuseum und
St. Jodokuskirche in Bielefeld
Am 15. März besichtigen die
lehrer nrw
-Seniorin-
nen und -Senioren das Fächermuseum und die
St. Jodokuskirche in Bielefeld. Treffpunkt ist um 10:30
Uhr am Rathaus. Die Führung für zehn Personen im
Fächermuseum kostet 40 Euro, die Führung in der
Kirche ist kostenfrei, eine Spende aber willkommen.
Anmeldung: Bis 28. Februar 2022 bei Monika Hol-
der, Telefon: 0 27 39 / 18 99 oder holder@lehrernrw.de
IT-Schulung für
Seniorinnen und Senioren
Vom 20. April bis 22. April 2022 soll in der dbb-Akademie Königswinter die traditio-
nelle IT-Schulung für Seniorinnen und Senioren durchgeführt werden. Die aus vielen
vorherigen Schulungen bekannte Expertin Pia di Lauro bringt die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer zu diesen Themen auf den neuesten Stand: Weiterentwicklung und
Neuigkeiten bei Microsoft Office 2019, digitale Plattformen und GIMP Bildbearbei-
tung, Zoom, Skype, PowerPoint, GIMP Arbeitsoberfläche, Bildbearbeitung, Filter.
Näheres zum Programm und zur Anmeldemöglichkeit wird in Kürze bekannt ge-
geben.
Die eintägigen Veranstaltungen führen nach
Oberhausen (17. Februar 2022) in den Gasometer mit der Ausstellung ’Das zerbrechliche Paradies’
Bielefeld (März 2022) ins beinahe einmalige Fächermuseum und das Citykloster
Dortmund (18. August 2022) zu einem Präventionskurs ’Sicher im Alltag’
Essen (September 2022) ins Folkwang-Museum und in die Gruga
Soest (Dezember 2022) zum Weihnachtsmarkt
Als mehrtägige Veranstaltungen sind geplant:
eine dreitägige IT-Schulung in Königswinter (April 2022)
eine fünf- bis sechstägige Reise voraussichtlich in Richtung Pfalz mit Speyer, Mannheim etc. (Mai 2022)
eine Herbstkurzreise in den Harz (Oktober 2022)
Wir werden Sie möglichst frühzeitig in unserem Senioren-Infobrief, in der Verbandszeitschrift und
natürlich auch immer ganz aktuell auf der Verbandshomepage über detaillierte Veranstaltungsda-
ten und -preise informieren.
Manfred Berretz
Am 5. Oktober haben sich
sieben Kolleginnen und
Kollegen des Referats Se-
nioren in Düsseldorf ge-
troffen, um mehrtägige
Reisen und eintägige Ex-
kursionen für die Seniorin-
nen und Senioren im
lehrer
nrw
zu planen. Vorgesehen
sind, wenn sich alles reali-
sieren lässt, fünf eintägige
und drei mehrtägige Ver-
anstaltungen.
Im Oberhause-
ner Gasome-
ter läuft die
Ausstellung
’Das zerbrech-
liche Para-
dies’. Ein
Highlight ist
die gewaltige
Erdskulptur.
Foto: Dirk Böttger
lehrer nrw ·
6/2021
28
»Wegen
der drei
Minuten…!«
Die pädagogische und persönliche Freiheit von Lehrkräften
hat Grenzen. Lehrerinnen und Lehrer müssen eine Reihe von
Pflichten beachten, die teils selbstverständlich, teils aber
auch kleinkariert anmuten.
»
»
W
W
egen der drei Minuten kann
doch so ein Aufriss nicht sein,
oder?« – Diesen oder einen ähnlichen Satz
hat die eine oder andere Lehrkraft viel-
leicht schon einmal auf den Lippen gehabt,
nachdem sie ein eher unangenehmes Ge-
spräch mit der Schulleitung hatte, weil sie
drei Minuten zu spät in den Unterricht ge-
kommen ist. Dabei stellt diese Situation
nur eine von unzähligen nicht nur theore-
tisch denkbaren Sachlagen dar, in denen
eine Diskrepanz in der Beurteilung hin-
sichtlich eines Tuns oder eines Unterlassens
einer Lehrkraft vorliegt. Häufig empfindet
eine Lehrerin oder ein Lehrer ihr bezie-
hungsweise sein Verhalten als korrekt oder
allenfalls vernachlässigbar nachlässig,
während insbesondere die Schulleitung
oder der Dienstherr ihr beziehungsweise
ihm eine Dienstpflichtverletzung vorhalten
und gegebenenfalls sogar saftige Konse-
quenzen im Raum stehen.
Rechte und Pflichten
Dahinter verbirgt sich allzu oft ein grund-
sätzlicher Konflikt. Bei diesem stehen auf
der einen Seite nicht nur Selbstbestim-
mungsrechte, sondern vor allem die päda-
gogische Freiheit der Lehrerinnen und Leh-
rer bei ihrer Aufgabe der Erziehung und
Unterrichtung von Schülerinnen und Schü-
lern. Auf der anderen Seite ist eine Schule
ein öffentlicher Dienstleistungsbetrieb, in
dem Verantwortlichkeiten und organisatori-
sche Strukturen geregelt sein müssen, im
Rahmen derer das pädagogische Wirken
stattfindet
1
.
Damit Missverständnisse und Probleme
im Schulbetrieb gering bleiben, sollten
Lehrkräfte ihre Rechte, aber auch ihre all-
gemeinen Pflichten möglichst genau ken-
nen. Für beamtete Lehrerinnen und Lehrer
ergeben sich diese aus dem Beamtensta-
tusgesetz (BeamtStG), dem Beamtengesetz
für das Land Nordrhein-Westfalen (LBG
NRW) und den schulgesetzlichen Vorschrif-
ten, so § 3 Absatz 1 Allgemeine Dienstord-
nung (ADO). Für Lehrkräfte im Tarifbeschäf-
tigungsverhältnis gelten diese allgemeinen
Pflichten entsprechend (§ 3 Tarifvertrag der
Länder (TV-L)), so § 3 Absatz 4 ADO. Eine
beispielhafte Pflichtenaufzählung enthält
§ 3 Absatz 2 ADO.
Pünktlichkeit ist eine
Dienstpflicht
Zu den allgemeinen Pflichten gehört bei-
spielsweise die Pflicht zum vollen persönli-
chen Einsatz in ihrem Beruf (§ 34 Absatz 1
Satz 1 BeamtStG; für Tarifangestellte § 3
Absatz 4 ADO, § 3 Absatz 1 Satz 1 TV-L).
Diese umfasst die Pflicht zum vollen Ein-
satz der Arbeitskraft, zur gewissenhaften
Aufgabenerledigung und zur Pünktlichkeit.
Bei der oben dargestellten Diskussion um
RECHT
§
AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
Foto: AdobeStock/Kitty
Spät dran? Auch eine
vermeintlich vernachlässi-
genswerte Fehlzeit von we-
nigen Minuten ist eine
Dienstpflichtverletzung. Allzu
häufig sollte man sich eine
solch lässige Interpretation
des Pünktlichkeitsbegriffs
nicht erlauben.
29
6/2021 ·
lehrer nrw
drei Minuten geht es daher nicht nur um
Gebote der Höflichkeit, sondern um hand-
feste Dienstpflichten.
Was generell zunächst selbstverständlich
oder geradezu etwas pathetisch klingen
mag, kann im Einzelfall zudem auch als Ein-
griff in die eigene Lebensführung empfun-
den werden. So wird aus der Pflicht zum
vollen persönlichen Einsatz nach allgemei-
ner Auffassung auch die Pflicht zur Gesund-
erhaltung abgeleitet. Es muss alles vermie-
den werden, was der eigenen Leistungsfä-
higkeit schaden kann. Dazu gehört unter an-
derem der übermäßige Genuss von Alkohol.
Alkoholismus ist zwar als Krankheit aner-
kannt. Der Dienstherr kann aber von Betrof-
fenen verlangen, eine ambulante oder sogar
stationäre Entwöhnungsbehandlung durch-
zuführen und an Maßnahmen der Nachsor-
ge teilzunehmen
2
.
Fortbildungen auch über
die Unterrichtszeit hinaus
Eine weitere, leicht unterschätzbare Pflicht
ist die zur eigenen Fortbildung, das heißt die
Verpflichtung, an Maßnahmen der dienstli-
chen Qualifizierung zur Erhaltung oder Fort-
entwicklung ihrer Kenntnisse und Fähigkei-
ten teilzunehmen (§ 42 LBG NRW, § 57 Ab-
satz 3 Schulgesetz NRW (SchulG), § 11 Ab-
satz 1 ADO). Diese sind auch über die Unter-
richtszeit hinaus wahrzunehmen. Da die
Schulleiterin oder der Schulleiter die Fortbil-
dung der Lehrkräfte nach § 21 Absatz 1
ADO fördern soll und Fortbildungen nach
§ 14 Absatz 2 ADO zu den sogar in den Feri-
en wahrzunehmenden Aufgaben gehören,
darf sich letztlich grundsätzlich niemand
wundern, wenn eine Schulleiterin oder ein
Schulleiter eine Lehrkraft zu einer bestimm-
ten Fortbildungsveranstaltung entsendet,
wenn diese eigentlich daran denkt, eine
ausgiebige schulfreie Zeit zu genießen
3
.
Weiterhin unterliegen Lehrkräfte nach
§ 33 BeamtStG der Pflicht zur Neutralität.
Sie nehmen ihre Aufgaben unparteilich
wahr und dürfen in der Schule zum Beispiel
keine politischen Bekundungen abgeben,
die die Neutralität des Landes gegenüber
der Schülerschaft und Eltern oder den politi-
schen Schulfrieden gefährden, wie auch
§ 2 Absatz 8 Satz 2 und 3 SchulG ausfor-
men. Da Politik nicht nur im gleichlautenden
Fach, sondern in verschiedensten Zusam-
menhängen und nicht zuletzt anlässlich re-
gelmäßig wiederkehrender Wahlen von
Kommunal- bis EU-Ebene Thema in der
Schule ist, sollte sich jede Lehrkraft überle-
gen, wie sie ihre politische Meinung äußert.
Es gilt zwar kein ’Maulkorb’, aber eine be-
sondere Pflicht zu ausgewogener Darstel-
lung und Zurückhaltung. Diese schließt ein-
seitige politische Werbung aus
4
.
Die Lehrkraft als Vorbild
Nach § 34 Absatz 1 Satz 3 BeamtStG be-
steht außerdem eine Allgemeine Wohlver-
haltenspflicht, der bei Lehrerinnen und Leh-
rern eine ganz besondere Bedeutung zu-
kommt. Denn diese müssen, um ihre Aufga-
be der Erziehung und Unterrichtung erfüllen
zu können, bei Eltern und Schülerschaft und
in der Öffentlichkeit das notwendige Anse-
hen, die Autorität sowie das Vertrauen in die
korrekte Amtsführung besitzen. Sie müssen
in ihrer gesamten Lebensführung innerhalb
und außerhalb des Dienstes durch regel-
rechtes Verhalten Vorbild sein. Es wird daher
erwartet, dass sie sich aufgrund ihres Erzie-
hungsauftrages gegenüber allen Schülerin-
nen und Schülern in jeglicher Hinsicht regel-
gerecht verhalten
5
.
Wenn es denn umgekehrt genauso wä-
re…
1 Vgl. Einführung in die neue ADO, Kap. E, RN. 5 f.
in ADO Kommentar, begr. v. Jülich, Stand April 2021
2 Siehe dazu die Seiten der Bezirksregierung Düsseldorf
(https://www.brd.nrw.de/themen/schule-bildung/
qualitaetsanalyse/organisationsstruktur/die-
wichtigsten-dienstpflichten-im)
, abgerufen am
29. Oktober 2021
3 Vgl. ADO Kommentar, begr. v. Jülich,
Stand September 2021, zu § 11 RN. 4a
4 Vgl. Schulrechtshandbuch NRW, hrsg. v. Jülich, van den
Hövel, Fehrmann, Stand September 2021, zu § 2 RN. 21
5 Siehe dazu die Seiten der Bezirksregierung Düsseldorf
(https://www.brd.nrw.de/themen/schule-bildung/
qualitaetsanalyse/organisationsstruktur/
die-wichtigsten-dienstpflichten-im)
, abgerufen
am 29. Oktober 2021
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
6/2021
30
ANGESPITZT
V
V
on 2020 bis 2025 will die nord-
rhein-westfälische Landesregierung
rund zwei Milliarden Euro in die digitale
Ausstattung der Schulen investieren.
Holla, die Waldfee! ’Digitalstrategie
Schule NRW’ haben die Marketingstra-
tegen im Schulministerium das XXL-
Nachhilfepaket getauft. Von einer ‘digi-
talen Aufholjagd’ sprach Schulministe-
rin Yvonne Gebauer bei der Präsentati-
on. Klar, wer den Start verpennt hat,
muss aufholen. Denn Landesregierun-
gen unterschiedlicher Couleur haben es
sich in den Startblöcken bequem ge-
macht, während die Welt drumherum
auf der Datenautobahn auf die Über-
holspur wechselte. Und so hat die Coro-
na-Pandemie doch ziemlich schonungs-
los offenbart, dass die Schulen (nicht
nur) in Nordrhein-Westfalen – nun ja –
nicht auf dem allerneuesten Stand wa-
ren. Mancherorts galt ein Overheadpro-
jektor als das modernste technische Ge-
rät, und das erfolgreiche Versenden ei-
ner E-Mail als der Gipfel des Fortschritts
(aber bitte nicht mit zu großem Anhang
– Sie wissen ja, ab 800 kb bricht die Da-
tenleitung zusammen).
Nun also die ’Digitalstrategie Schule
NRW’. Zwei Milliarden bis 2025. Ein
waschechter Fünf-Jahres-Plan. Dieses
Instrument hat sich in der DDR absolut
bewährt. Auch Nordkorea feiert damit
große Erfolge. Als Vollzugskraft soll ab
dem nächsten Schuljahr ein Digitalisie-
rungsbeauftragter oder eine Digitalisie-
rungsbeauftragte an jeder Schule fun-
gieren. Das klingt erstmal vielverspre-
chend. Man darf davon ausgehen, dass
die Bewerber*innen Schlange stehen
werden. Denn der Ehrentitel ’Digitalisie-
rungsbeauftragte/r’ ist mutmaßlich mit
viel Stress, wenig Ehre, keinem Hinzu-
verdienst und nicht messbarer Entlas-
tung verbunden. In einem komplexen
Auswahlverfahren wird also jemand be-
stimmt, der halbwegs digitalaffin und
nicht bei ’drei’ auf den Bäumen ist.
Bei so viel Fortschrittseuphorie traut
man sich fast gar nicht, den kleingeisti-
gen Einwand vorzubringen, dass es
nicht reicht, die Schulen einfach mit
Geld zuzuschütten. Sinnvoll wären zum
Beispiel mehr Funktionsstellen, um den
Digitalisierungsprozess wirkungsvoll zu
gestalten. Das steht einstweilen nicht
im Fünfjahresplan, kann aber gern als
Antrag für die nächste Sitzung des Digi-
talisierungs-Zentralkomitees 2025 ein-
gereicht werden.
Jochen Smets
Der digitale Fünfjahresplan
Lösung Aufgabe 1: A2+A3 = D4+D5 | A3+A4 = C1+C2 | C3+C4 = E1+E2 | C4+C5 = E2+E3
Lösung Aufgabe 2: (1) PROPOLIS | (2) BIEN | (3) SCHWARM | (4) KOENIGIN | (5) WACHS | (6) HONIG | (7) DROHNE | (8) BEUTE
Zahlenpaare
Finden Sie möglichst viele
Kombinationen, bei denen je-
weils zwei Zahlenpaare die
gleiche Summe haben. Die
Zahlenpaare müssen horizon-
tal nebeneinander liegen.
Beispiel: B3+B4 = D1+D2
Summ, Summ, Summ
Wie gut kennen Sie sich
mit Bienen aus?
Gesucht werden:
Horizontal
(1) Das Antibiotikum
im Bienenstock
(4) Eier legt nur die …
(5) Der Baustoff
der Bienenwohnung
(7) Männliche Bienen heißen …
Vertikal
(2) Alle Individuen eines
Volkes nennt an auch …
(3) Im Mai teilt sich das
Volk und bildet einen …
(6) Wird aus Nektar gewonnen
(8) Die Bienenwohnung
nennt der Imker …
HIRNJOGGING
31
6/2021 ·
lehrer nrw
AUFGABE 1:
AUFGABE 2:
Über Feedback zu mei-
nen Gehirnjogging
Übungen würde ich
mich sehr freuen:
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Heike Loosen
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