RECHT
§
AUSLEGER
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4/2019 ·
lehrer nrw
Das Grundgesetz –
ein Exportschlager
Das Grundgesetz findet dabei nicht nur
in Deutschland höchste Akzeptanz;
es untermauert sogar den Ruf unseres
Landes als ’Exportweltmeister’, weil
auch andere Demokratien auf unter-
schiedlichsten Erdteilen Elemente davon
übernommen haben. Bereits in den
sechziger Jahren des vorherigen Jahr-
hunderts adaptierte Südkorea Aspekte
der Grundrechte und unserer Verfas-
sungsgerichtsbarkeit. Auch Taiwan,
Griechenland und Spanien orientierten
sich daran.
Die Redakteure des Nachrichtenmaga-
zins ’Der Spiegel’ haben zum Jubiläum
über fünf ihrer Ansicht nach besonders
wichtige Wertentscheidungen des
Grundgesetzes geschrieben unter der
Überschrift ’Diese fünf Artikel müssen
Sie kennen’, darunter die Unantastbar-
keit der Menschenwürde, der Gleich-
heitsgrundsatz und das Recht auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit.
Artikel 7: der Schulartikel
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betrachtet noch einen weite-
ren Artikel als bedeutend: Artikel 7
Grundgesetz, den ’Schulartikel’. Obwohl
sich seit 1949 sowohl das Land als auch
die Gesellschaft in Deutschland teils
massiven Wandlungen und Entwicklun-
gen unterworfen sahen, meistert diese
eine Norm noch immer Herausforderun-
gen, denen sich das Schulwesen ausge-
setzt sieht.
Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der
Schulartikel aus mehreren Bestimmun-
gen besteht, die unterschiedlichen Cha-
rakter und Inhalt aufweisen.
Artikel 7 Absatz 1 Grundgesetz ist ei-
ne organisatorische Regelung. Mit ’Auf-
sicht des Staates’ ist dabei nicht nur die
Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht ge-
meint, sondern der umfassende staatli-
che Auftrag, das Schulwesen inhaltlich
zu gestalten. Dieses ist unabhängig von
den elterlichen Erziehungsrechten nach
Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz, so dass
die allgemeine Schulpflicht durchaus mit
Elternrechten in Einklang zu bringen ist.
Gerade Konflikte mit Vorstellungen der
Eltern über Unterricht und Schulveran-
staltungen können mannigfaltig sein. In
den wohl umfangreichsten Fällen, wenn
Eltern ihre Kinder komplett zu Hause un-
terrichten wollen, konnten diese ihre Plä-
ne bislang nicht gegenüber der allgemei-
nen Schulpflicht durchsetzen. Dies führte
wie im Falle einer hessischen Familie so-
gar so weit, dass aufgrund besonderer
gefährdender Umstände das Sorgerecht
für die Kinder entzogen wurde.
Das Gestaltungsrecht ist dabei ein
fortlaufendes und nicht eines, das mit
der erstmaligen und einmaligen Arbeit
abgeschlossen sein musste. Dies kann
man beispielsweise daran erkennen, dass
nicht schon vor siebzig, sondern erst vor
fünfzig Jahren der erste schulische Sexu-
alkunde-Atlas erschienen ist.
Artikel 7 Absatz 2 Grundgesetz be-
stimmt das elterliche Erziehungsrecht
für den Religionsunterricht näher. Die Er-
ziehungsberechtigten legen danach fest,
ob ihr Kind am Religionsunterricht teil-
nimmt.
Religionsunterricht
als Wertentscheidung
Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz beinhal-
tet die Garantie des Religionsunterrichts
an staatlichen Schulen (soweit nicht ge-
mäß Artikel 141 Grundgesetz anderweiti-
ges Landesrecht schon am 1. Januar
1949 bestand, wie in Bremen und Ber-
lin).
Diese Norm zeigt, wie umfassend und
vorausschauend Wertentscheidungen für
unseren Staat im wahrsten Sinne des
Wortes ’verfasst’ wurden: Schon damals
waren ausweislich der Formulierung
nicht nur die Kirchen der beiden christli-
chen Konfessionen gemeint. Aber bereits
damals wurde von einer Religionsge-
meinschaft verlangt, eine ausreichende
Organisationsstruktur zu besitzen und
die Aufgaben für die Identität der Ge-
meinschaft allseitig leisten zu können.
Schließlich müssen Glaubensgemein-
schaften die Gewähr dafür bieten, an-
stelle des neutralen Staates Verantwor-
tung für bekenntnisgebundenen Unter-
richt zu übernehmen, religiöse Grundsät-
ze zu formulieren und gegenüber Schü-
lern zu lehren.
Unproblematisch war dies – damals
wie heute – für die christlichen Kirchen.
Unklar ist heutzutage aber immer noch
im Endeffekt für Muslime, wer als Verei-
nigung und Partner dem Staat gegen-
übertreten kann. Gerade in Nordrhein-
Westfalen ist diese Thematik hoch aktu-
ell, denn nach Auslaufen einer Über-
gangsvorschrift debattiert der Landtag
zur Zeit über eine neue dauerhafte ge-
setzliche Grundlage, die umfassend alle
Fragen klärt, damit islamischer Religi-
onsunterricht auch mit in Deutschland
ausgebildeten Lehrkräften allgemein ein-
geführt werden kann.
Privatschulen
und das Grundgesetz
Artikel 7 Absatz 4 bis 6 Grundgesetz ent-
halten ebenfalls Freiheiten mit integrati-
ven Grenzen, diese jedoch in gänzlich
anderer Hinsicht. So erlaubt das Grund-
gesetz Privatschulen, es muss allerdings
gewahrt sein, dass eine Sonderung nach
Besitzverhältnissen der Eltern nicht ge-
fördert wird. Tatsächlich aber besuchen
ausweislich von Studien Kinder von El-
tern mit hohem Einkommen häufiger Pri-
vatschulen als solche aus einkommens-
schwächeren Familien. Es stellt sich da-
her die Frage, inwieweit hinsichtlich des
Verfahrens der Schülerauswahl (Schul-
geld, Stipendien u.a.) die Behördenauf-
sicht und die unter dem Grundgesetz
stehenden Normen dem Grundgesetz
hier gerecht werden. Der Schulartikel
bietet damit auch ein Anschauungsbei-
spiel dafür, wie auch der Staat selbst
immer wieder gefordert sein kann, das
Grundgesetz mit Leben zu füllen.
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de