3
Unter der Lupe
Leben, Lieben und
Leiden im Internet
15
Dossier
Schule zwischen
Überlastung und
Anpassungsdruck
28
Recht§ausleger
70 Jahre Schulwesen
auf Basis des
Grundgesetzes
6
Im Brennpunkt
Talentschulen
vor dem Start
Schulversuch
Talentschulen:
Zartes
Pflänzchen
Pädagogik & Hochschul Verlag
.
Graf-Adolf-Straße 84
.
40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
1781 | Ausgabe 4/2019 | JUNI | 63. Jahrgang
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
Geschäftsstelle
lehrer nrw
Nordrhein-Westfalen,
Graf-Adolf-Straße 84,
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Redaktion
Brigitte Balbach,
Sven Christoffer,
Frank Görgens, Christopher
Lange, Jochen Smets,
Sarah Wanders, Düsseldorf
Verlag und
Anzeigenverwaltung
PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
dphv-verlags-
gesellschaft mbH,
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Anzeigenpreisliste Nr. 19
vom 1. Oktober 2018
Zuschriften und
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lehrer nrw
,
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Graf-Adolf-Straße 84,
40210 Düsseldorf
Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
INHALT
lehrer nrw ·
4/2019
2
UNTER DER LUPE
Brigitte Balbach: Leben, Lieben
und Leiden im Internet
Über die Verlagerung unseres Lebens
in den virtuellen Chatroom 3
MAGAZIN
»Abitur und Bachelor für alle –
wie ein Land seine Zukunft verspielt«
5
‘Zukunft Schule’: Tagung in Köln
5
BRENNPUNKT
Sven Christoffer:
Talentschulen vor dem Start
6
JUNGE LEHRER NRW
Sarah Wanders: Viele Player
bei der Digitalisierung
8
FORUM
Johannes Schröder:
Schulen auf Digi-Talfahrt?
10
TITEL
»Sehr gute Chancen«
Interview mit Prof. Dr. Ewald Terhart 12
DOSSIER
Schule zwischen Überlastung
und Anpassungsdruck
15
SCHULE & POLITIK
Deutschland verdummt 19
Jochen Smets:
Mehr Arbeit, weniger Geld
20
Achtung, Abzocke!
22
Die
lehrer nrw
MasterCard Gold 23
Gegen Gewalt
24
SENIOREN
Tulpen, Grachten und Mühlen:
Über Land und Wasser durch Holland
25
Geplante Exkursionen –
jetzt schon anmelden!
25
FORTBILDUNGEN
Inhaltlich und geografisch breit aufgestellt
Das
lehrer nrw
-Fortbildungsprogramm –
Rückblick und Ausblick 26
Mülheimer Kongress 2019
»Die Lehrkraft zwischen analog und digital« 27
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange: 70 Jahre Schulwesen
auf Basis des Grundgesetzes
28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Wenn der
Schulhund für Ordnung sorgt
30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Vokabeltausch
Aufgabe 2: Muster erkennen
Aufgabe 3: Anagramme und Kategorien
31
Leben,
Lieben und
Leiden im Internet
Über die Verlagerung unseres Lebens
in den virtuellen Chatroom
H
H
eute schon gechattet und gepostet? Nach
dem Motto: Ich poste und chatte, also bin
ich? Kommunikation im Internet lehrt uns of-
fenbar das Fürchten – das ist zumindest das Ergeb-
nis jahrelanger Entwicklung (beschleunigt in den
letzten Wochen) in unserer Gesellschaft. Kaum zu
glauben für Ignoranten von Chatrooms und Internet-
foren. Eine Tatsache für Betroffene, die verbal per-
sönlich angegriffen werden und für Gruppierungen,
die sich zur Verteidigung ihres Denkens in der
Öffentlichkeit gezwungen sehen, um nicht selbst
im realen Leben Schaden zu nehmen.
Was macht das Chatten und Posten mit uns? Wo-
her kommt die Gier nach Likes von Fremden? Fühlen
wir unsere Persönlichkeit gestärkt? Ist unser Leben
in unseren Augen besser, wenn andere dem zustim-
men und daran teilhaben? Erleichtert es unser Le-
ben, macht es uns stärker? Empfinden wir das als
Bereicherung unseres Alltags? Ist das virtuelle Zu-
sammenleben reizvoller? Klärt es unseren möglichen
Gedankenwirrwarr, unsere Unsicherheiten, was rich-
tig oder falsch ist?
Wie Rezo die Politik
kalt erwischte
Der junge Musik- und Comedy-Produzent Rezo hat
in den letzten Wochen Geschichte in unserem Land
geschrieben – politische Geschichte! Ich weiß nicht,
ob es seine Absicht war, oder ob er einfach seinen
politischen Frust über die etablierten Parteien und
den von ihnen initiierten Stillstand in Deutschland
rauslassen wollte. Fakt ist jedoch, dass er offenbar
einen sensiblen Nerv von Politikern getroffen hat, in-
dem seine Plattform »medialer Demokratisierung«
(so seine Fans!) sich mehr als deutlich gegen etab-
lierte Parteien wendet, aktuell besonders gegen die
CDU, die dabei offenbar kalt erwischt wurde. Wa-
rum? Im Internet gibt es viele Stars dieser Art (häu-
fig selbst ernannt mit entsprechender Fangemeinde)
– und täglich füttern sie ihre Anhänger. So what?
Die aktuelle Grundstimmung zeigt nun mal, dass
Stillstand aktuell in unserem Land keine Option ist –
das ist das vorliegende Gemeinsame – es trennt
jedoch die Form!
Meinungen von Menschen, von sehr vielen
Menschen. Das sollten wir nicht unterschätzen!
Die Jugend spricht in erster Linie über diese Wege
miteinander. Wir sollten zuhören und reagieren!
Besonders mit Blick auf die Tatsache, dass Influencer
Geld mit ihrer Tätigkeit im Internet verdienen. Das
eröffnet unglaubliche Spielräume und Geldquellen.
Argumente verstehen,
gemeinsam Lösungen suchen
Die Grundproblematik einer solchen verbalen Atta-
cke kennen wir aus unserem Unterricht: Will eine
Klasse komplett anders als die Lehrkraft oder kriti-
siert gar deren Vorgehensweise, wird eine pädago-
gisch gut ausgebildete Person mit Sicherheit das Ge-
spräch mit den Schülern suchen und nicht den Wil-
len der Schüler brechen! Und schon gar nicht mit
‘Basta’ oder Verboten kommen! Der erste Schritt ist
es doch, die Argumentation der Schüler zu verstehen
und erst dann gemeinsam nach Lösungen zu su-
chen. Denn erst eine Begegnung auf Augenhöhe
macht es möglich, sich gegenseitig zu verstehen,
und erst dann kann nach Lösungen gesucht werden.
Wer weiß das besser als wir aus unserem differenten
Alltag heraus?
3
4/2019 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von BRIGITTE BALBACH
lehrer nrw ·
4/2019
4
UNTER DER LUPE
Brigitte Balbach ist Vorsitzende des
lehrer nrw
E-Mail: info@lehrernrw.de
Diejenigen, die wie Bullen auf das rote Tuch los-
gehen, zeigen lediglich ihr Unvermögen, mit diffe-
renten Meinungen umzugehen. Es disqualifiziert
diese Kollegen als Pädagogen, hier in unserem Bei-
spiel die Politiker. Denn die erste Aufgabe ist es, wie
unser großer Vorsitzender, Hansjoachim Kraus, sei-
nem Nachfolger Ulrich Brambach und mir immer
wieder einschärfte – im O-Ton: »Lass dich nicht ver-
blüffen!« In der Tat ist es am besten, in Streitsitua-
tionen zunächst einen kühlen Kopf zu bewahren
und nicht mit spontanen Erstmeinungen oder aus
einem Gefühl heraus (Empörungsgebaren) zu agie-
ren. Denn schon hat man verloren – in Beziehun-
gen, in Klassen, in Gruppen, im Internet, in der
Politik. Bätschi eben! Geht nicht, wie wir wissen.
All lost. Souverän geht anders.
Der schmale Grat zwischen
Meinungsfreiheit
und Hasskommentar
Was müssen wir unseren Schülern denn nun bei-
bringen, um sie auf diese Art der Kommunikation
vorzubereiten, die aus dem Internet heraus Politik
macht und auch durchaus Einfluss auf unseren pri-
vaten Lebensraum nimmt (gewollt oder ungewollt)?
Welches ist der Wert, der in Schule vermittelt wer-
den muss? Menschen müssen in der Lage sein, auf
der Grundlage von Fakten und von Meinungen an-
derer Menschen, diese voneinander zu trennen; sie
müssen Interpretationen als solche erkennen kön-
nen und zu einer eigenen fundierten Meinung fin-
den können – zunächst möglichst unbeeinflusst von
anderen Menschen. Ist die eigene Meinung gefasst,
sollte sie mit anderen abgeglichen werden. Influen-
cer aller Couleur müssen insofern als solche von je-
dem Menschen enttarnt und kritisch überprüft wer-
den. Dabei muss klar sein, dass die Follower-Kultur
lediglich eine Fankultur ist, in der sich die eigene
Begeisterung für eine mögliche Mainstream-Mei-
nung zeigt, die überprüft werden muss – von jedem
User und Follower! Denn der Grat zwischen Mei-
nungsfreiheit und Hasskommentar ist schmal, wie
die tägliche Praxis zeigt. Hier gilt es, klare Kante zu
zeigen!
Der Einfluss der Influencer
Wir in der Schule haben auf diese Weise Medien-
erziehung zu praktizieren, in jedem Unterricht. Ziel
muss der mündige Bürger sein, der zu einer eige-
nen, für sich klar formulierten Meinung kommen
kann und sich nicht im Follower-Dasein verliert.
Das kann eine Grundlage sein, die der Manipulation
des Internet entgegenstehen kann – es fordert alle
selbst täglich heraus und erfordert eine eigene klare
Meinung zum Leben selbst – in allen Bereichen, die
uns persönlich betreffen.
Was heißt vor diesem Hintergrund Demokratie für
unsere künftige Gesellschaft? Alle, die nicht im Inter-
net unterwegs sind, bleiben »außen vor«? Wer zu-
erst postet, gibt das Ziel und die Meinung vor? Die
Schere zwischen Jung und Alt ging bei der aktuellen
Europa-Wahl deutlich auseinander. Influencer geben
auf dem Weg übers Internet ihren Followern vor, wie
zu wählen ist (gewollt oder ungewollt).
Die Jugend meldet sich zu Wort
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist gut,
wichtig und bitter nötig, dass sich die Jugend poli-
tisch zu Wort meldet. Die mitunter hilflosen, biswei-
len panikartigen Reaktionen der etablierten Parteien
– ob nun auf Rezo oder die ’Fridays for future’-Be-
wegung – zeigen, dass da eine als politisch uninte-
ressiert abgestempelte Generation völlig unter-
schätzt wird. Ihr Forum ist das Internet. Es ist
schnell, direkt und fast überall verfügbar. Darin liegt
Chance und Risiko zugleich. Die Schnelligkeit der
Verbreitung von Nachrichten hindert so manches
Mal die Wahrheit daran, sich durchzusetzen (Stich-
wort ’Fake News’). Betrachten wir diese Entwick-
lung, so wird es Zeit, dass wir unseren Schülern bei-
bringen, wie sie sich stark machen können, um Fake
News zu erkennen oder einem Shitstorm im Internet
zu begegnen, ohne sich zu verlieren oder mental ab-
zustürzen. Wir müssen unseren Kindern und unseren
Schülern beibringen, zu sich selbst zu stehen, ohne
sich bei anderen anlehnen zu müssen! Erst wenn sie
das begriffen, erprobt und gelernt haben, können
wir sie guten Gewissens in die – auch digitale –
Welt entlassen.
Schüler fit fürs Leben machen
Die Unabhängigkeit von der Meinung anderer Men-
schen und die Besinnung darauf, was mir selbst im
Leben wichtig ist und mich für alle Situationen stählt
– das sind wesentliche pädagogische Ziele, die im
Unterricht immer mitschwingen sollten. Schüler fit
fürs Leben zu machen – das muss wieder ein Grund-
anliegen heutiger Schul-Pädagogik werden!
MAGAZIN
5
5
4/2019 ·
lehrer nrw
»Abitur und Bachelor für alle –
wie ein Land seine Zukunft verspielt«
D
D
er Bologna-Prozess zur Schaffung eines
einheitlichen europäischen Hochschul-
raums hat deutsche Politiker in einen Aka-
demisierungsrausch versetzt. Hochschulab-
schlüsse für alle werden gefordert. Neue
Studiengänge schießen wie Pilze aus dem
Boden. Bestnoten, Dissertationen, wissen-
schaftliche Publikationen und Bildungs-Zer-
tifikate erfahren eine wundersame Vermeh-
rung.
Weil die finanzielle Ausstattung der Hoch-
schulen nicht im selben Maße wächst wie
die Studentenzahlen, hat der Personalman-
gel dramatische Ausmaße angenommen.
Drittmittel und digitales Lernen sollen Abhil-
fe schaffen, können aber die Auszehrung
von Forschung und Lehre nicht verhindern.
Deutschland wird, so prognostiziert der
Bildungswissenschaftler Hans Peter Klein,
einen hohen Preis für diese Entwicklung zu
zahlen haben. Auf der Grundlage von Erfah-
rungsberichten und Daten aus der universi-
tären Praxis zieht er eine ernüchternde Bi-
lanz der Bologna-Reformen. Er zeigt aber
auch, wie dem Bildungsstandort Deutsch-
land der drohende Absturz in die Zweitklas-
sigkeit erspart werden kann.
Prof. Dr. Hans Peter Klein studierte Biolo-
gie, Chemie und Sportwissenschaft in Bonn.
Lange Jahre unterrich-
tete er als Gymnasial-
lehrer. 2001 wurde er
auf den Lehrstuhl für
Didaktik der Biowis-
senschaften an der
J. W. Goethe-Universi-
tät Frankfurt berufen.
Er ist Präsident der
Gesellschaft für Di-
daktik der Biowissen-
schaften, Mitbegründer der Gesellschaft für
Bildung und Wissen und Mitglied der Bil-
dungskommission der Gesellschaft deut-
scher Naturforscher und Ärzte.
’Zukunft Schule’: Tagung in Köln
INFO
Hans Peter Klein:
Abitur und Bachelor
für alle – wie ein Land
seine Zukunft verspielt
zu Klampen Verlag
220 Seiten, Hardcover
Preis: 20 Euro
ISBN 9783866745933
W
ie werden wir im 21. Jahrhundert ler-
nen und wie können wir diese Lern-
und Arbeitswelten von morgen gestalten?
Dieser Frage geht die Tagung ’Zukunft Schu-
le’ des Zentrums für LehrerInnenbildung
(ZfL) der Universität Köln nach.
Mehr Digitalisierung, bitte! Und alles
wird besser? Werden wir oder die Schülerin-
nen und Schüler von morgen mit Kollege
Roboter arbeiten oder durch Maschinen er-
setzt werden? Der Wandel in Gesellschaft
und Arbeitswelt und die Debatten über New
Work, Future Skills, Leadership und Teilhabe
stellen uns vor neue Herausforderungen.
Auf der Tagung ’Zukunft Schule’ vom
28. bis 30. August 2019 in Köln können Inte-
ressenten drei Tage lang zukunftsfähige päda-
gogische Konzepte, Technologien und Trends
im Bildungsbereich ausprobieren und mit Ex-
perten diskutieren. In vielfältigen interaktiven
Formaten werden innovative Angebote und
praxisnahe Unterrichtsideen gezeigt.
Die Themen im Überblick:
über sechzig Vorträge & Workshops
über siebzig Expertinnen und Experten
aus Wissenschaft & Praxis
Themen: #diggi19 #bildungschancen
#genderlead #arbeitsmarkt
Get2gether, Austausch & Networking
Neue Lernwelten & innovative Projekte
entdecken
Vielfältige interaktive Formate
(zum Beispiel Inspiration Field, Future
Sessions, Open Space, Design Thinking)
INFO
Die Teilnahmegebühr für die Tagung
beträgt regulär 159 Euro. Es besteht
auch die Möglichkeit, einzelne Tage für
89 Euro zu erwerben, oder ein Abend-/
After-Work-Ticket, für den Eintritt zur
Tagung an Tag 1 und 2 ab jeweils 16
Uhr (69 Euro). Studierende und Refe-
rendarInnen erhalten bei Vorlage eines
entsprechenden Nachweises fünfzig
Prozent Preisnachlass auf alle Angebo-
te. Die Verpflegung während der Tagung
ist in den Kosten inbegriffen.
www.future19.de
lehrer nrw ·
4/2019
6
BRENNPUNKT
Talentschulen
vor dem Start
Wie kann an Schulen in herausfordernden Lagen der Bildungser-
folg von Kindern und Jugendlichen von den individuellen Voraus-
setzungen ihres Elternhauses und sozialen Umfeldes entkoppelt
werden? Dieser Thematik hat sich der Schulversuch Talentschu-
len verschrieben. Am 8. Mai kamen alle für den Schulversuch
ausgewählten Schulen aus ganz Nordrhein-Westfalen zu einer
Auftaktveranstaltung in Bochum zusammen.
S
S
chulministerin Yvonne Gebauer legte
in ihrem Grußwort dar, dass die 35 am
Schulversuch teilnehmenden Schulen
Pionierarbeit leisten würden und deshalb ei-
ne große Verantwortung trügen: »Die Erfah-
rungen an den Talentschulen sollen zukünf-
tig auch für andere Schulen beispielgebend
sein und so dazu beitragen, dass wir in ganz
Nordrhein-Westfalen unserem Ziel näher-
kommen, die Benachteiligung von Schüle-
rinnen und Schülern im Bildungsbereich zu
überwinden und allen Kindern und Jugendli-
chen faire Aufstiegschancen zu eröffnen.«
Zwanzig Prozent mehr
Ausstattung = zwanzig
Prozent bessere Abschlüsse?
Auf einer Podiumsdiskussion erörterten
Staatssekretär Mathias Richter sowie Vertre-
terinnen und Vertreter der Talentschulen,
der Auswahljury und der Schulträger die
Chancen, die der Schulversuch beinhaltet.
Richter erwartet vom Schulversuch Auf-
schluss darüber, ob zwanzig Prozent mehr
Ausstattung tatsächlich auch zwanzig
Prozent bessere Abschlüsse generieren
würden.
Die 35 Schulen (29 Schulen mit Sekun-
darstufe I und 6 Berufskollegs) wurden von
einer unabhängigen Jury aus Expertinnen
und Experten zwischen Anfang Dezember
2018 und Ende Januar 2019 aus insgesamt
149 eingegangenen Bewerbungen ausge-
wählt. Der Vorsitzende der Auswahlkom-
mission, Prof. Dr. Ewald Terhart, betonte,
dass es keinerlei Proporz-Vorgaben gege-
ben habe (zum Beispiel im Hinblick auf
regionale Ausgewogenheit oder Schul-
formzugehörigkeit). Von zentraler Bedeu-
tung bei der Auswahl der Talentschulen sei
vielmehr die Darlegung der Schule gewe-
sen, wie die Inhalte des Schulversuchs vor
dem Hintergrund der bestehenden Heraus-
forderungen umgesetzt werden sollen.
Der Jury seien dabei zur Einschätzung der
Herausforderungen Daten zur Schule und
zur Schülerschaft zur Verfügung gestellt
worden.
von SVEN CHRISTOFFER
Start mit Elan: Die Teilnehmer der Auftaktveranstaltung
zum Schulversuch ’Talentschulen’ am 8. Mai in Bochum.
INFO
Lesen Sie hierzu auch das Interview
mit Prof. Dr. Ewald Terhart, dem
Vorsitzenden der Auswahljury für
die Talentschulen, auf
Seite 10
.
BRENNPUNKT
7
4/2019 ·
lehrer nrw
Agenda des Schulversuchs
Zum Abschluss der Auftaktveranstaltung
stellte der zuständige Referatsleiter, Minis-
terialrat Engelbert Sanders, die Agenda des
Schulversuchs vor. Zu den Setzungen für
Schulen mit Sekundarstufe I zählen:
Ausdifferenzierung eines Profils im
Bereich MINT oder Kulturelle Bildung
die Ausweitung der Stundentafel im
gewählten Profil um zwölf Unterrichts-
stunden in der Sekundarstufe I
die Einführung eines durchgehenden
sozialen Trainings in den Stufen 5 bis 10
die Verankerung verbindlicher individu-
eller Beratungselemente zur Lern- und
Leistungsentwicklung ab der Klasse 5
(später in Verbindung mit Maßnahmen
der Beruflichen Orientierung).
Im Verlauf des Aufwachsens des Schulver-
suchs werden Stellen(anteile) zur Verfü-
gung gestellt für:
Schulsozialarbeit (eine Stelle
unabhängig von der Schulgröße)
die Kooperation mit externen Partnern
die innerschulische Koordination
des Schulversuchs
verwaltungsunterstützende Tätigkeiten
zur Entlastung des Leitungsteams (soweit
es sich um Landesaufgaben handelt)
Als Unterstützungselemente sind im
Schulversuch Talentschulen darüber hinaus
vorgesehen:
zusätzliche Stellen zur standortspezifi-
schen Umsetzung der Vorgaben
ein zusätzliches Fortbildungsbudget
pro Schule
an jeder Schule Schul-
entwicklungsberatung
Fachtage (zum Beispiel Kulturelle
Bildung / MINT, Schulleitungsteams,
Schulformen …)
weitere Angebote (zum Beispiel
Hospitationen, Angebote
von Stiftungen, externe Partner)
wissenschaftliche Begleitung
und Evaluation
Wie geht es weiter?
Die ersten 35 Talentschulen gehen zum
Schuljahr 2019/2020 an den Start, in einer
zweiten Auswahlphase werden zum Schul-
jahr 2020/2021 weitere Schulen bis zu einer
Gesamtzahl von 60 (45 allgemeinbildende
Schule mit Sekundarstufe I sowie 15 berufs-
bildende Schulen) in den Schulversuch auf-
genommen. Er hat eine Dauer von sechs
Jahren und wird wissenschaftlich begleitet
und evaluiert. Nach Auffassung von
lehrer
nrw
hat dieser Schulversuch eine echte
Chance verdient. Prof. Dr. Terhart brachte es
in Bochum auf den Punkt: »Talente brach
liegen zu lassen, ist nicht nur unsozial und
ungerecht, sondern auch unwirtschaftlich.«
Erst recht in einem Land, dessen kostbarste
Ressource die Bildung ist!
Sven Christoffer ist Vorsitzender des HPR Realschulen
sowie stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
Foto: MSB NRW
lehrer nrw ·
4/2019
8
JUNGE LEHRER NRW
Viele Player
bei der Digitalisierung
Die Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen nimmt so langsam
Fahrt auf. Die Bund-Ländervereinbarung ist unterzeichnet, die
entsprechende Förderrichtlinie wurde in Zusammenarbeit mit
den Bezirksregierungen unter Beteiligung der Kommunalen
Spitzenverbände erarbeitet.
L
L
aut Aussage von Staatssekretär Ma-
thias Richter soll die Förderrichtlinie
»so schlank wie möglich« gehalten
werden, was die Anträge und die Rechen-
schaftslegung betrifft. Denn es soll den
Schulen so leicht wie möglich gemacht
werden, Gelder abzurufen. Zehn Prozent
der vom Bund zur Verfügung gestellten
Mittel sind für landesweite und länderüber-
greifende Projekte wie zum Beispiel LOGI-
NEO NRW vorgesehen, der Rest geht an
die Schulen. Kleiner Wermutstropfen: Die
Gelder des Bundes stehen hauptsächlich
für die Infrastruktur zur Verfügung – und
nicht für den Erwerb mobiler digitaler End-
geräte. Lediglich zwanzig Prozent der einer
Schule zur Verfügung stehenden Gelder
können hierfür verwandt werden.
Eine gelungene Digitalisierung kann
man jedoch sicherlich nicht nur daran mes-
sen, mit wie vielen digitalen Endgeräten
eine Schule ausgestattet ist. Hier bedarf es
einer ganzheitlichen Digitalisierungsstrate-
gie, die neben der Ausstattung auch die
pädagogische Konzeption (Lehrpläne, Me-
dieneinsatz etc.) und eine qualitativ hoch-
wertige Lehrer-aus- und -fortbildung bein-
haltet. Die Angebote im Bereich der Lehrer-
fortbildung müssen breit gefächert und im
Niveau differenziert sein. Auch hier gilt es,
keinen Kollegen bzw. keine Kollegin zu-
rückzulassen. Das Ministerium für Schule
und Bildung NRW arbeitet derzeit mit
Hochdruck an dieser Digitalisierungsstrate-
gie.
Eine Mammutaufgabe
Den Hauptpersonalräten aller Schulformen
wurde in der ersten Sitzung der AG Digital-
offensive Schule NRW ein erster Entwurf
eines Papiers vorgestellt, in dem die Player
bei der Digitalisierung vorgestellt und ihre
Aufgaben skizziert werden. Der HPR Real-
schulen begrüßt dieses Papier ausdrücklich,
auch wenn es natürlich zu diesem Zeit-
punkt des Prozesses zunächst als Arbeits-
grundlage zu sehen ist. Die Personalräte
wurden eingeladen, sich an der weiteren
Ausarbeitung des Papiers zu beteiligen. Am
Ende soll es unter anderem ein Wegweiser
für Lehrkräfte im weiten Feld der Digitali-
sierung an Schule sein. Damit die Digitali-
sierung gelingen kann, müssen alle Betei-
ligten gemeinsam eine Strategie erarbeiten
und umsetzen – eine Mammutaufgabe!
Die wichtigsten Player
MSB: Hier laufen die Fäden zusammen.
Die nötigen Prozesse werden gesteuert und
die Rechtsgrundlagen zum Datenschutz
Foto: AdobeStock/volff
von SARAH WANDERS
JUNGE LEHRER NRW
9
4/2019 ·
lehrer nrw
und zur Informationssicherheit im Schulbe-
reich geprüft bzw. geschaffen.
QUA-LiS: Die Überarbeitung von Kern-
lehrplänen, die Entwicklung von Konzep-
ten, Materialien und Unterstützungsange-
boten sowie die Weiterentwicklung des
Referenzrahmens Schulqualität stehen im
Zentrum der Arbeit von QUA-LiS.
Medienberatung NRW: Die Medienbe-
ratung entwickelt landesweite Konzepte
sowie Kriterien zur Ausstattung an Schu-
len, begleitet die pädagogisch fachliche
Weiterentwicklung von LOGINEO NRW,
wirkt an den Arbeitskreisen ’Bildung in der
digitalen Welt’ mit und qualifiziert Medien-
beraterinnen und Medienberater.
Abteilung 4 der
Bezirksregierungen
Generalisten und Generalistinnen ’Bil-
dung in der digitalen Welt’ richten einen
entsprechenden Arbeitskreis auf Ebene
der Bezirksregierungen ein, leiten die Aus-
wahlverfahren für Medienberater und
Medienberaterinnen und koordinieren die
Arbeit dieser mit Blick auf ihren Einsatz
und deren Weiterqualifizierung. Sie wirken
an Kooperationsvereinbarungen mit Krei-
sen und kreisfreien Städten als Träger der
Medienzentren mit und kooperieren mit
der Geschäftsstelle Gigabit.NRW.
Medienberater und Medienberaterin-
nen beraten unter anderem ZfsL, Schulen
und Schulträger zur ZfsL- bzw. Schulent-
wicklung im Bereich der ’Bildung in der
digitalen Welt’. Das MSB arbeitet zurzeit
an einem Erlass zur Qualifizierung von
Medienberaterinnen und Medienberatern.
Medienkoordinatorinnen und Medien-
koordinatoren sollen an möglichst allen
Schulen des Landes installiert werden. Sie
unterstützen das Kollegium wie auch die
Schulleitung im Prozess der Digitalisie-
rung, ermitteln den Fortbildungs- und Aus-
stattungsbedarf im Rahmen des Medienkon-
zepts in Abstimmung mit den Verantwortli-
chen des technischen Supports und dem/der
Fortbildungsbeauftragten. Sie sollen für die
Kolleginnen und Kollegen eine Lotsenfunkti-
on übernehmen und bei Problemen an die
richtige Stelle weiterleiten können. Da es
sich bei den Medienkoordinatoren um Lehr-
kräfte handelt, die diese Aufgabe zusätzlich
übernehmen, muss die Entlastung stimmen.
Wer will, dass Digitalisierung in Schule rei-
bungslos funktioniert, darf nicht an den
Ressourcen sparen.
Behördliche Datenschutzbeauftragte
unterrichten und beraten sowohl Schullei-
tung als auch Kolleginnen und Kollegen
bezüglich ihrer Pflichten, überwachen die
Einhaltung der Datenschutzvorschriften und
sind Anlaufstelle für Anfragen aller am
Schulleben Beteiligten (Lehrkräfte, Eltern
und Schülerinnen und Schüler).
Der Hauptpersonalrat Realschulen wie
auch
lehrer nrw
werden den Prozess kon-
struktiv und gewohnt kritisch im Sinne der
Beschäftigten begleiten. Denn Digitalisie-
rung in Schule in Nordrhein-Westfalen muss
zügig und professionell vorangetrieben
werden, aber nicht – wie schon so oft – auf
dem Rücken der ohnehin überlasteten Kolle-
ginnen und Kollegen.
Sarah Wanders ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
Der Digitalpakt soll
die vielfach miserable digita-
le Infrastruktur der Schulen
verbessern, zum Beispiel
durch schnelle Glasfaseran-
schlüsse und W-LAN-Netze.
Für digitale Endgeräte ist
hingegen nur ein kleines
Stück vom großen Kuchen
vorgesehen.
lehrer nrw ·
4/2019
10
FORUM
Schulen auf
Digi-Talfahrt?
Gastkommentar: Der Deutschlehrer und Kabarettist
Johannes Schröder nimmt Risiken und Nebenwirkungen
der schulischen Digitalisierung aufs Korn.
E
E
in neues Angst-Szenario hält die
Nation in Atem: Geht der Bildungs-
standort Deutschland ohne Tablet-
Klassen vor die Hunde? Lassen sich die
Lernleistungen unserer Schüler durch das
digitale Klassenzimmer wirklich verbes-
sern? Und warum hat Studienrätin Rita
Westermann (Deutsch/katholische Religion)
schon wieder mit dem schwarzen Edding
auf das Smartboard geschrieben?
Da kann man als Pädagoge schon ver-
zweifeln: Jetzt haben wir die Schüler jahr-
zehntelang mit immer neuen Sozial-Curricu-
la, Streitschlichter-Seminaren und Fächern
wie ’Soziales Lernen’ auf eine bessere face-
to-face Kommunikation vorbereitet und
müssen jetzt bedröppelt feststellen, dass
diese analoge Form der Interaktion einem
untergegangenen Zeitalter angehört und in
der Lebenswelt der Schüler so gar nicht
mehr stattfindet. Oder wie Goethe sagen
würde: »In seinen Armen das Kind war tot.«
Aus dem Stuhlkreis ist die Whatsapp-Gruppe
geworden, die Ich-Botschaft wurde durch
das Selfie ersetzt und für die Subtilität der
Körpersprache steht längst ein Arsenal an
Emoticons in den Startlöchern. Was haben
wir uns bemüht, die Jugendlichen in der be-
hutsamen Technik der gewaltfreien Kommu-
nikation zu stärken? Streitschlichter stellten
Regeln des respektvollen Miteinanders auf,
die doch jetzt in der befreienden Anonymität
des Internets so gar nicht mehr nötig sind.
Aber begegnen wir mutig den Anforde-
rungen der digitalen Zeitenwende. Auch
wenn bisher keine einzige wissenschaftlich
valide Studie den Nutzen von digitaler
Technik für schulische Lernprozesse hat
nachweisen können. Was inzwischen jedes
mittelständische Unternehmen kann, kön-
nen wir schon lange. Stellt uns ein paar ver-
altete Atari-Rechner in das ungenutzte
Sprachlabor im Keller. Irgendein motivierter
Junglehrer wird sich sicherlich finden und
für eine halbe Deputatsstunde ein zu-
kunftsfähiges Konzept zimmern. Lehrer-
mangel haben wir ja nicht. Mit Fortbildun-
gen müssen wir das Cholerikum ebenfalls
nicht behelligen, denn die IT-Industrie wird
uns in ihrer genuin selbstlosen Art schon mit
tragfähigen pädagogischen Inhalten treu
zur Seite stehen.
WLAN, Tablets und Smartboards im
Klassenzimmer. Das eigentliche Problem
ist doch: Wie kommen wir mit der Häme
der Schüler klar, die uns Lehrern die neuen
Geräte erklären? Lehrer meiner Generation
waren doch schon mit der Komplexität eines
VHS-Rekorders komplett überfordert. Als da-
mals der Medienwagen ins Klassenzimmer
gerollt wurde, da hast du als Schüler intuitiv
gewusst: »Das dauert!«
Wenn wir unsere Schüler ’fit fürs digitale
Zeitalter’ machen wollen, dann muss das
vor allem folgendes heißen: Wie entwickeln
wir in ihnen eine mündige Distanz zu den
IT-Konzernen, wie bewahren wir sie vor digi-
talem Mobbing und der Beliebigkeit des
Netzes? Wie schützen wir sie im Straßenver-
kehr und verwandeln ihren aufs Smartphone
gesenkten Blick in eine in jeder Hinsicht auf-
rechte Haltung? Nur indem sich Schule of-
fensiv einmischt, indem sie die Dinge an-
packt und nicht nur an der Seitenlinie steht,
quasi am Korrekturrand der Gesellschaft.
Dazu braucht es zeitgemäße Hardware vor
Ort und eine moderne digitale Infrastruktur.
Die Reihenfolge sollte aber sein: erst ein
durchdachtes Konzept für die Vermittlung
von Medien-Kompetenz ausarbeiten, das
Lehrpersonal entsprechend entlasten und
fortbilden und dann die Geräte an den
Schulen verteilen.
Das wichtigste ist, einen kühlen Kopf zu
bewahren: »Ganz egal, ob ich das Abitur
schaffe, ich werd’ sowieso Influencer!« –
»Keine Sorgen, Torbi, du bist geimpft!«
ZUR PERSON
Johannes Schröder ist studierter Deutschlehrer und Comedian/Kabarettist. Nach zwölf
Jahren Schuldienst und dem Nebenjob als Pausenaufsicht befindet sich der inzwischen
mehrfach preisgekrönte Humorist alias ’Herr Schröder’ gegenwärtig mit seinem ersten
Comedy-Soloprogramm ’World of Lehrkraft – Ein Trauma geht in Erfüllung’ auf großer
Live-Tour durch Deutschland.
www.herrschröder.de
Foto: Robert Maschke
Johannes Schröder alias ’Herr Schröder’
lehrer nrw ·
4/2019
12
TITEL
»Sehr gute
Chancen«
Im Schuljahr 2019/2020 gehen die ersten 35 Talentschulen in
Nordrhein-Westfalen an den Start. Mit diesem Schulversuch,
der zum Schuljahr 2020/2021 um weitere 25 Talentschulen
erweitert wird, will das nordrhein-westfälische Schulminis-
terium Schulen in Stadtteilen mit besonderen sozialen
Herausforderungen mit zusätzlichen Ressourcen fördern.
Über die Ziele und Hintergründe sprach
lehrer nrw
mit dem
Vorsitzenden der Auswahljury, Prof. Dr. Ewald Terhart.
?
Nach welchen Kriterien wurden die
Talentschulen ausgesucht?
TERHART:
TERHART: Die Kriterien waren bzw. sind
in der Ausschreibung umrissen. Es geht um
den Aufbau von ’Fördersäulen’ mit MINT-
Schwerpunkt oder einem Schwerpunkt im
sprachlich-kulturellen Bereich. Es geht um
Verbesserung des Unterrichts, um die Be-
reitstellung von Förderung und Beratung,
um die Zusammenarbeit zwischen den pä-
dagogischen Professionen, um Elternarbeit
etc., aber auch um die Zusage von Unter-
stützung durch den Schulträger, die Kom-
mune vor Ort. Da insgesamt in der ersten
Runde 149 Anträge eingereicht worden
sind, und in der ersten Runde 35 ausge-
wählt werden sollten, gab es eine sehr
starke Konkurrenz. Die Qualität der Anträ-
TITEL
13
4/2019 ·
lehrer nrw
Jeder Antrag wurde von zwei Mitgliedern
der Jury unabhängig voneinander bewer-
tet. In den Sitzungen sind diese Bewertun-
gen zusammengetragen und diskutiert
worden. Durch ein schrittweises Vorgehen,
durch intensive, und am Ende dann durch,
nun ja, sagen wir mal: besonders intensiv
werdende Debatten wurden dann schließ-
lich 35 Anträge befürwortet. Alle Mitglie-
der der Auswahljury haben dieser Liste zu-
gestimmt. Wichtig an dieser Stelle: Im Rah-
men der in diesem Sommer beginnenden
zweiten Auswahlrunde, an deren Ende
weitere 25 Talentschulen ausgewählt wer-
den, können sich auch diejenigen Schulen
erneut bewerben, die je in der ersten Run-
de nicht zum Zuge gekommen sind.
?
Gab es von Seiten des Ministeri-
ums Vorgaben, zum Beispiel dass
bestimmte Schulformen oder Regio-
nen stärker oder weniger stark be-
rücksichtigt werden sollten?
TERHART:
TERHART: Nein, es gab solche Vorgaben
nicht – bis auf die von Anfang an offenge-
legte Vorgabe, dass 60 Schulen in den
Schulversuch einbezogen werden sollten:
45 Schulen mit Sekundarstufe I und 15 Be-
rufskollegs. Entscheidend war die Qualität
der Anträge. Eine gewisse Rolle spielte
auch die vorlaufende Beurteilung von
Seiten der Bezirksregierung, an die wir als
Jury aber nicht gebunden waren. Insge-
samt waren wir bei den laufenden Debat-
ten natürlich daran interessiert, ein balan-
ciertes Ergebnis zu erzielen. Dabei haben
wir die Bildungslandschaft in Nordrhein-
Westfalen vor Augen gehabt. Und wenn
man sich die anschaut, dann liegen die
Schulen in schwierigem sozialem Umfeld
eher nicht auf dem Lande und auch nicht
in den Villenvierteln von Universitätsstäd-
ten. Aber noch einmal: Es gab keine Vorga-
ben, und die Auswahljury hat sich auch
selbst keine formal-mechanischen Zielvor-
gaben gegeben und diese dann gewisser-
maßen durchgezogen. Noch einmal:
Die Qualität der Anträge war entschei-
dend!
?
Welche Chancen geben Sie dem
Schulversuch Talentschulen?
TERHART:
TERHART: Ich bin davon überzeugt, dass
der Versuch sehr gute Chancen hat. Es ist
richtig, dass Sie in Ihrer Frage den Versuchs-
charakter erwähnen: An der Art und Weise,
wie die Talentschulen die erweiterten
»Wenn man sich die
die Bildungslandschaft
in Nordrhein-Westfalen
anschaut, dann liegen die
Schulen in schwierigem
sozialem Umfeld eher nicht
auf dem Lande und auch
nicht in den Villenvierteln
von Universitätsstädten.«
»Die Erfolgskriterien sind dabei
nicht einmal zuallererst oder gar
allein steigende Schülerleistun-
gen. Es geht um eine breitere
Perspektive, um die Qualität des
Schullebens, um die Beurteilung
der Schule und ihrer Lehrkräfte
durch die Schüler und Eltern, um
die Kooperation der verschiede-
nen pädagogischen Fachkräfte
in einer Schule, um die Verbesse-
rung der Wahrnehmung einer
Schule in ihrem direkten Umfeld etc.«
Foto: AdobeStock/Robert Kneschke
In vielen Schülern steckt mehr,
als sie zeigen oder selbst glauben.
Der Schulversuch Talentschulen will
solche Potenziale entdecken und heben.
Foto: privat
Ewald Terhart ist (seit 2018 emeritierter) Professor
für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt
Schulpädagogik/Allgemeine Didaktik an der Univer-
sität Münster.
ge war sehr unterschiedlich. Es war auch
nicht so, dass die bedürftigsten Schulen
automatisch nach vorne gerutscht sind.
14
TITEL
INFO
Ausführliche Informationen zum Schulversuch und zu den im ersten Schritt ausgewähl-
ten 35 Talentschulen gibt es online beim Bildungsportal NRW unter der Web-Adresse
www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulentwicklung/Talentschulen/index.html
lehrer nrw ·
4/2019
14
Ressourcen (Personalstellen etc.) und die Un-
terstützung nutzen, wird sich zeigen, mit
welchen Strategien, mit welchen Konzepten
man in schwieriger Lage dann doch langsam
besser werdende Ergebnisse erzielt. Die Er-
folgskriterien sind dabei nicht einmal zualler-
erst oder gar allein steigende Schülerleistun-
gen. Es geht um eine breitere Perspektive,
um die Qualität des Schullebens, um die Be-
urteilung der Schule und ihrer Lehrkräfte
durch die Schüler und Eltern, um die Koope-
ration der verschiedenen pädagogischen
Fachkräfte in einer Schule, um die Verbesse-
rung der Wahrnehmung einer Schule in ihrem
direkten Umfeld etc. Insofern wird die wis-
senschaftliche Begleitung und Auswertung
des Schulversuchs hoffentlich neue wichtige
Erkenntnisse über unterstützten, gezielten
Schulwandel in schwieriger Lage erbringen.
?
Wo sehen Sie die Stärken des Schul-
versuchs und der einzelnen Talent-
schulen?
TERHART:
TERHART: Das Problem der Schulen in
schwieriger Lage ist auch von früheren Lan-
desregierungen schon angegangen worden.
Meiner Ansicht nach steht da die gegenwär-
tige Regierung in einer gewissen Traditionsli-
nie und setzt zugleich eigene Akzente. Ver-
schwinden wird dieses Problem der Bil-
dungsungerechtigkeit bzw. der Förderung
von benachteiligten Gruppen bzw. besonders
belasteten Schulen nie – in Nordrhein-West-
falen nicht, in Deutschland nicht, auf der
Welt nicht. Man muss trotzdem daran arbei-
ten, man kann Ungerechtigkeiten gewisser-
maßen verklei-
nern. Ganz wich-
tig wird zum Bei-
spiel sein, wie
man nach Auslau-
fen des Pro-
gramms die Res-
sourcen an den
Schulen stabili-
siert und sichert.
Wichtig wird
auch sein, wie
man Erfahrungen aus dem Versuch in die
Breite des Schulsystems bringen kann. Jeden-
falls werden sich auch alle zukünftigen Lan-
desregierungen – welcher politischen Cou-
leur auch immer – sowie die Schulträger vor
Ort diesem Problem der Unterstützung von
Schulen und Schülern in schwieriger Lage zu-
wenden müssen.
?
Was entgegnen Sie Kritikern, die
monieren, dass 35 (und später wei-
tere 25) Talentschulen nur ein Tropfen
auf den heißen Stein sind und andere
Schulen, die ebenfalls Unterstützung
nötig hätten, abgehängt werden?
TERHART:
TERHART: Für den sechsjährigen Versuch
werden insgesamt 132 Millionen Euro zur
Verfügung gestellt. Das ist nicht wenig! Die
Erkenntnisse, die man gewinnt, können und
müssen dann, wie erwähnt, Schritt für Schritt
und gegebenenfalls in Teilen auf andere
Schulen übertagen werden. Das klingt jetzt
irgendwie mechanisch, aber allen Beteiligten
ist klar, dass es eine solche Mechanik im
Schulsystem nicht gibt, nicht geben kann.
Wichtig ist es aber, die kritischen Punkte, die
entscheiden Faktoren zu identifizieren und zu
gestalten. Auf diese Weise wird ein Gewinn
für weitere und der Idee nach: möglichst wei-
te Teile der Schullandschaft entstehen.
Umgekehrt muss man sich auch vor Augen
halten, und bisherige Schulforschung hat
dies leider bestätigt, dass das Hineinstreuen
DIE AUSWAHLJURY
Für die zwölfköpfige Auswahljury für
die Talentschulen hat das NRW-Schul-
ministerium Expertinnen und Experten
verschiedener Fachrichtungen sowie
Persönlichkeiten des öffentlichen Le-
bens berufen. Den Vorsitz der Jury hat
Prof. Dr. Ewald Terhart übernommen.
Die weiteren Jurymitglieder:
Prof. Dr. Marcus Baumann
Marlene Bücker
Björn Freitag
Prof. Dr. Christine Heil
Helmut E. Klein
Thomas Meyer
Andreas Meyer-Lauber
Prof. Dr. Susanne Prediger
Prof. Dr. Kerstin Schneider
Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
Dr. Michael Vesper
»Verschwinden wird dieses
Problem der Bildungsungerech-
tigkeit bzw. der Förderung
von benachteiligten Gruppen
bzw. besonders belasteten
Schulen nie. Man muss trotzdem
daran arbeiten, man kann
Ungerechtigkeiten gewisserma-
ßen verkleinern. Ganz wichtig
wird zum Beispiel sein, wie man
nach Auslaufen des Programms
die Ressourcen an den Schulen
stabilisiert und sichert.«
»Für den sechsjährigen Versuch werden
insgesamt 132 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt. Das ist nicht wenig! Die Erkenntnisse,
die man gewinnt, können und müssen
dann, wie erwähnt, Schritt für Schritt
und gegebenenfalls in Teilen auf andere
Schulen übertagen werden.«
von Geld ins System nach dem Gießkannen-
prinzip nichts bringt oder gar zu paradoxen
Ergebnissen führt. Insofern halte ich diese
Form der gezielten und begleitend analysier-
ten besseren Ausstattung von geeigneten
Schulen in schwieriger Lage, einen dezidier-
ten Willen gezeigt und ein entsprechendes
Programm aufgestellt haben, für richtig.
Schule zwischen Überlastung
und Anpassungsdruck
Die zweite Auflage der Tagung ‘Time for Change’ am 4. Mai 2019 in Wup-
pertal thematisierte kontraproduktive Bildungsreformen. Hochkarätige
Referenten hinterfragten kritisch den politisch forcierten Reform-Aktionis-
mus, der Schulen und Lehrkräfte enorm unter Druck setzt, aber nichts
besser macht.
Time for Change:
Rund 400 Teilnehmer (nicht nur) aus Schule und
Wissenschaft diskutierten an der Universität Wuppertal
über aktuelle (Fehl-)Entwicklungen im Schulsystem.
15
4/2019 · lehrer nrw
Lehrer stöhnen heute oft über Überlastung: Unter-
richt und Erziehung würden immer anspruchsvoller
und schwieriger. Und viele Lehrpersonen fühlen
sich durch Reformmaßnahmen nicht unterstützt,
sondern noch mehr wie ’im Hamsterrad’. Eine so
betitelte Tagung an der Bergischen Universität
Fotos: Jochen Krautz/Bergische Universität Wuppertal
:
Wuppertal fragte genauer nach. Auf Einladung von
Prof. Dr. Jochen Krautz kamen nach einer ersten Tagung
im letzten Jahr erneut fast 400 Teilnehmer aus Schule,
Wissenschaft, Schulverwaltungen und weitere Interes-
sierte wie Eltern und Ärzte an der Bergischen Universität
Wuppertal zusammen. Die Teilnehmer aus ganz
Deutschland, der Schweiz und Österreich diskutierten:
Was geht vor in den Schulen? Helfen bildungspolitische
Maßnahmen, Unterricht und Erziehung zu verbessern?
Warum empfinden viele Lehrerinnen diese Dauerrefor-
men als kontraproduktiv? Und warum sehen sie sich in
ihrer pädagogischen Freiheit und Verantwortung ge-
gängelt statt unterstützt? So wurden insgesamt bedenkli-
che Entwicklungen in Bildungspolitik, Schulpraxis und
Wissenschaft erörtert, die mit subtilen Steuerungsmaß-
nahmen Lehrpersonen und auch Wissenschaft auf ei-
nen gewünschten Kurs zu bringen versuchen.
Überlastung als Change-Management
Zur Eröffnung fragte Jochen Krautz, Professor für Kunst-
pädagogik an der BUW und Vorsitzender der Gesell-
schaft für Bildung und Wissen, kritisch, ob die empfunde-
ne Überlastung von Lehrerinnen und Lehrern tatsächlich
allein an den größeren Herausforderungen in Bildung
und Erziehung liege, oder ob sie nicht auch gezielt geför-
dert werde, um Lehrpersonen in ihren Überzeugungen
aufzubrechen und bereit für bestimmte Reformmaßnah-
men zu machen. Hierzu verwies er auf eine Technik des
sogenannten ’Change-Managements’: Man ’taue’ Men-
schen auf, indem man sie unter inszenierte Überlastung
und Stress setze. So verunsichere man sie in ihren Haltun-
gen und Überzeugungen und mache sie bereit, den Im-
perativen scheinbar alternativloser Reformen zu folgen.
Das Hamsterrad als ’Partizipationsattrappe’
Insofern, so Krautz, hätte das schulische ’Hamsterrad’
verschiedene Ausprägungen: Es führe zum Burnout und
sorge dafür, die strukturellen Defizite als eigene zu erle-
ben. Dies führe zur Entpolitisierung von Lehrerinnen und
Lehrern, weil sie die ’Schuld’ für ein erlebtes Versagen
bei sich suchten. So sei das Hamsterrad zugleich ’Partizi-
pationsattrappe’, das durch Steuergruppen, Schulent-
wicklungsgremien oder andere Instrumente Mitbestim-
mung suggeriere, ohne dass diese im demokratischen
Sinne aber gewünscht sei. Dafür sei vor allem anfällig,
wer sich selbst als ’innovativ’ verstehe. Doch sei auch zu
erwähnen, dass Lehrerinnen und Lehrer auch schlicht
mit Aussichten auf ’Karriere’ für das Mitmachen gekö-
dert würden.
Die weiteren Referate beleuchteten vor diesem Hinter-
grund grundsätzliche Fragen und beispielhafte Phäno-
mene, gaben aber immer auch konstruktive Ausblicke
auf Bildungsarbeit und Schulführung, die nicht auf
Drangsalierung und manipulatives ’Change-Manage-
ment’ setzt, sondern Lehrerinnen und Lehrer in ihrem
pädagogischen Ethos und ihrer pädagogischen Freiheit
ernst nehmen und unterstützen.
Besinnungsloses Rotieren
So zeigte Prof. Dr. Silja Graupe (Cusanus Hochschule) auf,
dass und wie Überlastung die Zeitwahrnehmung be-
schleunigt: Aus dem zyklischen Zeiterleben der Vormo-
derne sei in dieser die getaktete Zeit geworden. Diese
würde sich aber heute zur beschleunigten Zeit entgren-
zen, was besinnungsloses Rotieren nach sich ziehe. Doch
sei es auch in einer getakteten Zeit wie der des schuli-
schen Stundenplans sehr wohl möglich, im Unterricht
Momente der erfüllten, entschleunigten Zeit zu ermögli-
chen, worin Bildung überhaupt erst möglich wird. Dabei
sei der Widerstand gegen das Machtinstrument der
Beschleunigung nicht als individuelle ’Achtsamkeit’
möglich, sondern nur als gemeinsames und solidari-
sches Handeln.
Dr. Claudia Schadt-Krämer trug danach aus ihrer lan-
gen Berufserfahrung als Deutsch- und Philosophielehre-
rin vor, dass und wie auch heute ganz konkret mit Schü-
16
4/2019 · lehrer nrw
Prof. Dr. Jochen Krautz hatte
zu der Tagung eingeladen.
lerinnen und Schülern solche Momente bildenden
Unterrichts möglich sind. Wenn man ihnen dies zu-
traue, nähmen junge Menschen auch heute Ange-
bote der Sinnbildung etwa durch Literatur an und
können sehr wohl auch selbst formulieren, was sie
unter Bildung im Gegensatz zu Kompetenz verste-
hen, nämlich, so ein Schüler prägnant, »dass man
nicht verarscht wird«.
Kreative Zerstörung zugunsten
permanenter ’Innovation’
Das Steuerungsarsenal der sogenannten ’Schulent-
wicklung’ entfaltete Dr. Matthias Burchardt, Universi-
tät zu Köln: Gewachsene Strukturen von Kollegiali-
tät und Vertrauen würden heute zunehmend durch
Mittel managerialer Steuerung ersetzt. Schleichend
würden dazu alte durch neue Begriffe und Konzep-
te ersetzt: Aus Kollegien würden Teams, die dann im
’Teambuilding’ mit gruppendynamischen Techni-
ken nacherzogen würden. Statt in kollegialer Füh-
rung würden daher Schulleitungen in Personalent-
wicklung ausgebildet, wozu Fortbildungen dezidiert
und ungefragt die Veränderung der Persönlichkeit
von Lehrerinnen und Lehrern anstrebten. Und auch
die Institution Schule insgesamt sei als sogenannte
’lernende Organisation’ dem Dauerbeschuss durch
Reformen aller Art ausgesetzt und verliere so ihre ei-
gentlich stabilisierende und alle Beteiligten schüt-
zende Funktion. Insofern wertete Burchardt Schul-
entwicklung in Anschluss an Josef Schumpeters
Charakterisierung des Kapitalismus als ’kreative
Zerstörung’ zugunsten permanenter ’Innovation’.
Ob dieses ’Neue’ aber tatsächlich besser ist, sei hier
wie dort mehr als fragwürdig.
Humane Energie erwächst aus Freiheit
Im Anschluss plädierte daher Prof. Dr. Carl Bossard
aus der Schweiz für pädagogische Freiheit und Ver-
antwortung als Elixier lebendiger Pädagogik: Um
Verantwortung wahrzunehmen, brauche es Frei-
heit. Darum dürfe Freiheit in den Schulen nicht er-
sticken. Mit zwei ’W’ (Wilhelm Tell und Wilhelm von
Humboldt) für ’F’ wie Freiheit zeigte Bossard, dass
Freiheit nicht nur Freiheit von etwas bedeutet, son-
dern eben Freiheit zu: Hier zu pädagogischer Ver-
antwortung. Er plädiere also nicht für Schlendrian,
sondern dafür, besser Freiheitskonflikte zu wagen,
als in der Konformität friedlich zu verkümmern. Mit
dem auch in der Schweiz grassierenden diagnosti-
schen Kompetenzfetischismus etwa könne man
17
4/2019 · lehrer nrw
Der direkte Austausch zwischen Referenten
und Zuhörern kam sehr gut an.
18
4/2019 · lehrer nrw
Schülerinnen und Schülern nicht gerecht werden, denn
humane Energie erwachse aus Freiheit, nicht aus lehr-
methodischen Direktiven und operativ engen Vorga-
ben.
Schulinspektion als
’Erziehung der Uneinsichtigen
Dass daher auch die Kontrolle durch umstrittene ’Schul-
inspektionen’, in Nordrhein-Westfalen als ’Qualitätsana-
lyse’ (QA) bekannt, wenig hilft, sondern eher weitere kon-
traproduktive Bürokratie produziert, wies Prof. Dr. Karl-
Heinz Dammer von der PH Heidelberg nach. Er zeigte,
dass die Versprechungen der empirischen Bildungsfor-
schung, Schule durch Messen und entsprechende Steue-
rung besser zu machen, erkenntnistheoretisch haltlos
und uneinlösbar sind: Durch Messen weiß noch nie-
mand, wie denn besserer Unterricht auszusehen hat und
umzusetzen sei. Das sollten daher die Schulinspektionen
lösen, die gewissermaßen diejenigen Daten liefern, mit
denen sich Schulen selbst verbessern, also sozusagen
am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen sollen. ’Schul-
governance’ bedeute demnach, dass sich Schulen ge-
mäß den Vorgaben selbst kontrollieren und steuern sol-
len, aber eben nicht in Freiheit und Verantwortung
selbst gestalten. Schulinspektion ziele daher auf die ’Er-
ziehung der Uneinsichtigen’, indem diese lernen, »aus
freien Stücken das Richtige zu sagen«. Im Ergebnis solle
so deren Praxis umprogrammiert werden. Dies scheitere
unter anderem aber an der schon immer unüberbrück-
baren Kluft zwischen der Logik der Verwaltung und der
der Pädagogik. Die faktische Nutzlosigkeit dieser Verfah-
ren führe in einigen Bundesländern bereits zum Umden-
ken.
Erziehung und Unterricht im Mittelpunkt
Michael Rudolph, Schulleiter der Berliner Bergius-Schule,
machte aus seiner Erfahrung an der ’Brennpunktschule’
klar, dass und wie Erziehung und Unterricht im Mittel-
punkt von Schulführung zu stehen haben und wie Schul-
leiter die Kollegien dabei unterstützen können. Rudolph,
der für seine erfolgreiche Arbeit von der Berliner Schulin-
spektion negativ bewertet wurde, weil es an seiner Schu-
le zu wenig Teamarbeit, keine erweiterte Schulleitung,
zu viel Frontalunterricht und keine Schulentwicklung ge-
be, machte als Ausgangspunkt klar, dass nur eine Schu-
le, die Erziehung und Unterricht in den Mittelpunkt stellt,
sozial schwachen Schülerinnen und Schülern eine Mög-
lichkeit bieten würde, sich aus ihren Verhältnissen zu
emanzipieren. Dazu sei zuallererst eine klare Stellung-
nahme gegen jede Gewalt nötig, sonst könne niemand
lernen. Schülerinnen und Schüler seien sowohl im Unter-
richt wie im sozialen Verhalten zu fordern, doch dazu
müsse man sie jederzeit ernst nehmen. Eine so positive
Entwicklung wie die seiner Schule, die kurz vor der
Schließung stand, sei aber nur durch eigenständigen
Entschluss der ganzen Schulgemeinschaft möglich,
niemals durch von außen gesetzte Vorgaben, Reformen
oder Druck.
Irrwege in der Lehrerbildung
Abschließend analysierte Prof. Dr. Volker Ladenthin,
Universität Bonn, dass und wie mittlerweile vorgefasste
Normierungen von internationalen Organisationen die
Wissenschafts- und Lehrfreiheit im Lehramtsstudium un-
terlaufen und künftige Lehrerinnen und Lehrer immer
weniger lernen, wissenschaftlich zu denken und eigen-
ständig zu urteilen. So führe derzeit etwa das ’Praxisse-
mester’ dazu, dass Universitäten nun lehren sollten, was
von staatlicher Seite gewünscht wird. Das aber wider-
spreche der Freiheit von Forschung und Lehre funda-
mental. So sollten nun Universitäten bestimmte Leitbilder
wie etwa die Inklusion nicht mehr systematisch nach
Begründung befragen und auch kritisch untersuchen,
sondern Lehrerbildung solle ’neue Sichtweisen’ als ’posi-
tiv’ vermitteln, also in eine vorgegebene Weltsicht ein-
üben. Das unterlaufe aber den Auftrag wissenschaftli-
cher Lehrerbildung in der Moderne. Die viel beschwore-
ne ’Verzahnung von Theorie und Praxis’ erweise sich da-
her nur als möglich, wenn die Zähne der Zahnräder in ei-
ne bestimmte, normierte Form geschliffen würden. Damit
aber sei es mit der Autonomie beider Bereiche vorbei.
Daran anschließend und die Tagung abschließend
warf ein künstlerischer Beitrag des Berliner ’Art Coaches’
Arno M. Feld einen satirischen Blick auf die Absurditä-
ten der auch im Referendariat eingesetzten Rhetorik des
’Change-Managements’. Und so wechselten sich bei den
Zuschauern seiner Performance beklemmende Irritation
und befreiendes Lachen beständig ab.
Schule braucht Freiheit, nicht Gängelung
Für die von regen und auch kontroversen Diskussionen
begleitete Tagung fasste Prof. Krautz im Ausblick zusam-
men, dass Schule nicht Gängelung, sondern Freiheit
brauche, damit Lehrerinnen und Lehrer der ihnen anver-
trauten heranwachsenden Jugend möglichst optimal
gerecht werden können. Ein Bildungswesen in der De-
mokratie könne nicht durch sachwidrige Reglementie-
rung und Kontrolle gesteuert werden, sondern müsse
Lehrpersonen das gewähren, worauf Unterricht zielt:
Selbstbestimmung in Verantwortung.
Ein Tagungsband, der die Vorträge dokumentiert, ist
in Vorbereitung.
SCHULE & POLITIK
19
4/2019 ·
lehrer nrw
Deutschland
verdummt
Der Jugendpsychiater und Autor Dr. Michael Winterhoff stürmt
wieder die Bestsellerlisten. ’Deutschland verdummt’ heißt sein
aktuelles Werk und präzisiert im Untertitel: ’Wie das Bildungs-
system die Zukunft unserer Kinder verbaut.Wie es zu dieser
Entwicklung kam und wie sie zu stoppen ist, erläutert Winter-
hoff in seinem Buch – und demnächst auch live auf dem Mül-
heimer Kongress von
lehrer nrw
.
W
W
interhoff zeichnet Bildung in
Deutschland als Katastrophen-
Szenario, in dem Kinder und
Gesellschaft Schaden nehmen. Der Autor
redet Klartext, zeigt anhand vieler Beispie-
le aus seiner langjährigen Praxis als Kin-
der- und Jugendpsychiater, aber auch aus
zahlreichen Rückmeldungen zu seinen
Büchern und Vorträgen, was heute in Kitas
und Schulen falsch läuft – so falsch, dass
in seinen Augen die Zukunft unserer Ge-
sellschaft gefährdet ist. Leidtragende sind
für ihn die Kinder, die man quasi sich
selbst überlässt.
Schon im Vorwort seines neuen Buches
kommt Winterhoff zu einem ebenso
beunruhigenden wie eindeutigen Befund:
»In den vergangenen zwanzig Jahren
wurde – natürlich unbeabsichtigt – viel
Energie darauf verwendet, die Bedingun-
gen für die Kinder exakt so zu gestalten,
dass sich ihre Psyche eben nicht entwi-
ckeln kann. Weil der lehrerzentrierte
Unterricht durch das schülerzentrierte
Lernen ersetzt wurde, wird dies sogar
aktiv verhindert.«
Winterhoff verharrt freilich nicht bei
der Bestandsaufnahme und Analyse, er
zeigt konkrete Lösungen und Maßnah-
men auf und fordert unter anderem eine
groß angelegte Bildungsoffensive: Weg
von Kompetenzorientierung und den un-
freiwillig zu Lernbegleitern degradierten
Lehrern, hin zu echter Bildung und Päda-
gogen, die den Kindern wieder ein Ge-
genüber sein dürfen. Denn nur die Orien-
tierung an Bezugspersonen ermöglicht
die Entwicklung von emotionaler und
sozialer Psyche.
Viele
lehrer nrw
-Mitglieder werden
Winterhoff noch vom Mülheimer Kon-
gress 2011 kennen, wo er fast allen
Gästen mit seinen Analysen und Schluss-
folgerungen aus der Seele sprach. Schon
vorab sei verraten: Winterhoff hat zuge-
sagt, als Referent beim Mülheimer Kon-
gress 2019 (27./28. November) aufzutre-
ten.
INFO
Michael Winterhoff:
Deutschland verdummt – Wie das
Bildungssystem die Zukunft unserer
Kinder verbaut
Hardcover mit Schutzumschlag
224 Seiten, ISBN: 978-3-579-01468-5
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
empfohlender VK-Preis: 20 Euro
KURZVITA
Dr. Michael Winterhoff,
geboren 1955, Dr. med.,
ist Facharzt für Kinder- und
Jugendpsychiatrie sowie
Psychotherapie in Bonn. In
seinen bisherigen, sehr er-
folgreichen Büchern analy-
siert er gesellschaftliche
Entwicklungen mit Schwer-
punkt auf den gravierenden
Folgen veränderter Eltern-
Kind-Beziehungen für die
psychische Reifeentwick-
lung junger Menschen und
bietet Wege aus diesen
Beziehungsstörungen an.
Winterhoff lebt und arbeitet
in Bonn.
www.michael-
winterhoff.com
Foto: Peter Wirtz
lehrer nrw ·
4/2019
20
SCHULE & POLITIK
Mehr
Arbeit,
weniger
Geld
Das Thema Besoldung – Stichwort A13 für alle’ – bewegt die
Basis. Immer wieder erreichen
lehrer nrw
Anfragen, Anregungen
und Argumente zu diesem Thema. Exemplarisch sei hier der Fall
zweier Kolleginnen einer Realschule im Rheinland geschildert.
C
C
laudia Ludwig und Sarah Mankowski
(Namen geändert, Personen der Re-
daktion bekannt) haben die Lehrbe-
fähigung für die Sekundarstufe II für Eng-
lisch, Französisch und Pädagogik bzw. Eng-
lisch und evangelische Religion und unter-
richten zurzeit an einer Realschule.
Claudia Ludwig hat eineinhalb Jahre an
einer Gesamtschule im TV-L 13 als Vertre-
tungslehrkraft gearbeitet, bevor sie 2015
eine Planstelle an ihrer jetzigen Schule an-
nahm. Obwohl sie an der Gesamtschule ein
volles Unterrichtsdeputat inklusive Unter-
richt in der gymnasialen Oberstufe in beiden
Fächern hatte, fühlte sie sich bei Weitem
weniger belastet als heute. Die Hürde, um
auf der jetzigen Stelle nach A12 verbeamtet
zu werden, war jedoch enorm.
Geringere Bezahlung,
höhere Belastung
Zunächst musste sie nach der sechsmonati-
gen Probezeit eine Revision ablegen, bevor
sich nach einem knappen Jahr die Dezer-
nentin zu einer erneuten Revision ankündig-
te. Hinzu kamen die beiden Revisionen, die
regulär für die Verbeamtung auf Lebenszeit
verpflichtend sind. Außerdem musste Clau-
dia Ludwig das didaktische Grundlagenstu-
dium in einem zweitägigen Seminar nach-
holen. »Bei geringerer Bezahlung sehe ich
mich einer höheren Belastung ausgesetzt,
die sicherlich viele Interessenten aus der
Sekundarstufe II abschreckt, eine ebensol-
che Laufbahn einzuschlagen. Angesichts des
Lehrermangels in der Sekundarstufe I ist
dies ein Ding der Unmöglichkeit«, kritisiert
sie.
Dieses Schicksal tragen an ihrer Schule
noch vier andere Kolleginnen und Kollegen,
die nicht ihrer Ausbildung entsprechend be-
zahlt werden. Sowohl Claudia Ludwig als
auch Sarah Mankowski betonen unisono,
dass sie sehr gerne in der Sekundarstufe I
Foto: AdobeStock/ilkercelik
Bei A12 ist für viele Lehrkräfte
auf der Karriereleiter Endstation.
Eine Brücke könnte den Lehrerberuf insbesondere
im Sek I Bereich attraktiver machen –
zum Beispiel in Form einer
Bezahlung nach A13.
SCHULE & POLITIK
unterrichten, da sie hier verstärkt zum Ent-
wicklungsprozess der Schülerinnen und
Schüler beitragen können. Mehr pädagogi-
sche Arbeit bedeute jedoch nicht, dass diese
weniger fordernd wäre als die kognitiv-in-
tellektuelle Arbeit in der gymnasialen Ober-
stufe.
Gerichtsverfahren verloren
Sarah Mankowski ist ursprünglich nach
Lehramt für die Sekundarstufe I ausgebildet
worden und hat berufsbegleitend neben ih-
rer Vollzeitstelle den Master of Education
Berufskolleg in drei Fächern, davon zwei
Mangelfächern, nachgeholt, um sich beruf-
lich weiterentwickeln zu können. Sie sah
sich im Anschluss mit folgenden Problemen
konfrontiert: Zunächst hatte sie versucht, im
Sekundarstufe I-Bereich zu bleiben und sich
an einer Sekundarschule auf eine A14-Stelle
beworben. Da es so gut wie keine A13-Stel-
len gibt, war eine Bewerbung auf eine Lauf-
bahnwechselstelle nicht möglich. Dieser Be-
werbungsprozess mündete in ein Gerichts-
verfahren, das Sarah Mankowski mit der Be-
gründung verlor, dass eine Beförderung von
A 12 zu A 14 über A 13 nicht möglich sei. Sie
hat unterdessen jedoch an der betreffenden
Schule eine Lehrerin kennengelernt, die ge-
nau diesen Werdegang eingeschlagen hat.
»Es ist sehr enttäuschend, wenn man trotz
einer Qualifikation, die höher ist, als sie die
meisten Lehrer im Sekundarstufe I-Bereich
vorweisen können, nicht in Betracht gezo-
gen wird, obwohl die Schule dringenden Be-
darf in Englisch hatte«, sagt sie.
Sarah Mankowski ist sicher: Eine Bezah-
lung nach A13 und die damit verbundene
Vereinheitlichung der Beförderungschancen
für alle Lehrkräfte würde Frust dieser Art gar
nicht erst aufkommen lassen. »Ich möchte
betonen, dass ich mich explizit für einen
Verbleib an meiner jetzigen Schule entschie-
den habe, und ich strebe eine A13-Stelle an
meiner Schule an, die aktuell ausgeschrie-
ben ist.«
Kolleginnen und
Konkurrentinnen
Prekär an der Situation ist, dass Claudia
Ludwig und Sarah Mankowski einerseits
Kolleginnen sind, die sich gut verstehen,
andererseits aber auch Konkurrentinnen, die
sich beide für diese Beförderungsstelle inte-
ressieren. Neben den beiden gehen auch
noch weitere Kolleginnen und Kollegen ins
Rennen, sodass ungewiss ist, ob sie über-
haupt in Betracht gezogen werden. Eine
Besoldung nach A13 für alle Lehrerinnen
und Lehrer würde diese Situation entschär-
fen, weil das Konkurrenzdenken minimiert
würde, sind sich Claudia Ludwig und Sarah
Mankowski einig. »Mit einem Unterrichts-
deputat von 28 Stunden zuzüglich umfang-
reicher Elternarbeit bei voller Stelle finden
wir die derzeitige Situation dringend verbes-
serungswürdig und halten es daher für fair,
gleich bezahlt zu werden«, so ihre Forde-
rung.
Jochen Smets
lehrer nrw ·
4/2019
22
SCHULE & POLITIK
AAcchhttuunngg,, AAbbzzoocckkee!!
D
D
ie Kontaktaufnahme erfolgt oft über
E-Mails an die Sekretariate der Schu-
len. Im Anschreiben wird dann da-
rauf verwiesen, dass sich Lehrkräfte der
betreffenden Schule bei dem besagten Un-
ternehmen gemeldet hätten, um Auskünfte
über die Entwicklung ihrer künftigen Pensi-
onsansprüche zu erhalten. In der E-Mail
heißt es weiter, dass die Namensliste von
einer Mitarbeiterin des Unternehmens ver-
sehentlich vernichtet worden sei. Daher
werden die interessierten Lehrkräfte der
Schule gebeten, sich zu einer bestimmten
Zeit unter einer bestimmten Telefonnummer
zu melden. Vor dieser Masche warnen zum
Beispiel die Verbände der Lehrerinnen und
Lehrer an Wirtschaftsschulen sowie an be-
ruflichen Schulen (vlbs) im Saarland sowie
der Verband der Lehrer (VDL) Hessen.
»Plumper Versuch«
Der vlbs Saarland hält das für »den plum-
pen Versuch, an die Adressen der Kollegin-
nen und Kollegen zu gelangen«. Der VDL
Service für
lehrer nrw
-
Mitglieder
Mitglieder von
lehrer nrw
sind ohnehin auf
der sicheren Seite:
lehrer nrw
berät seine
Mitglieder in Fragen der zu erwartenden Ru-
hestandsbezüge, zur Altersteilzeit, zur Jahres-
freistellung im Blockmodell und zur Versor-
gung bei Dienstunfähigkeit. Dafür steht in
Horst Joosten ein sehr erfahrener
und kompetenter Ansprechpartner
zur Verfügung. »Wir bieten Ihnen
Ruhegehaltsberechnungen auf der
Grundlage Ihrer Angaben und be-
sprechen Alternativen mit Ihnen. Sie
können uns auch in Fragen der Hin-
terbliebenenversorgung kontaktie-
ren, ebenso prüfen wir auf Ihren
Wunsch hin die Bescheide des LBV
und erläutern die rechtlichen Rah-
menbedingungen für die Hinterblie-
benenversorgung«, erklärt Joosten.
Zwei Mal im Jahr bietet
lehrer nrw
zudem Fortbildungen zum Thema
’Wege in den Ruhestand’ an. Dort
können sich die Teilnehmer rechtzei-
tig über alle Möglichkeiten informieren, um
langfristig planen zu können.
INFO
Kontakt: Telefon 0211/1640971
Foto: AdobeStock/Andrey Popov
Per E-Mail auf Phishing-Tour: Private Unternehmen versuchen unter
einem vermeintlich seriösen Deckmantel an Daten von Lehrkräften zu kommen.
Hessen weist zusätzlich darauf hin, dass das
Unternehmen mit wechselnden Websites und
wechselnden Namen
in Erscheinung tritt.
Der Verband rät: »Wir
möchten Sie darauf
hinweisen, sensibel
mit Ihren Daten umzu-
gehen und sich durch
solche Mails nicht ver-
unsichern zu lassen.
Ihre persönlichen In-
formationen sollen
und dürfen zu keinem
Zeitpunkt durch Sekre-
tariate oder andere
Lehrkräfte an Versiche-
rungsunternehmen
weitergegeben wer-
den, wenn Sie es nicht ausdrücklich wün-
schen. Dubiose Versicherungsmakler versu-
chen über solche Winkelzüge ihr Glück. Ver-
eiteln Sie diese Versuche und achten Sie auf
fragwürdige Mails
In mehreren Bundesländern kursieren derzeit Phishing-Mails,
mit denen dubiose Versicherungsvertreter oder vermeintliche
Behörden versuchen, Daten von Lehrkräften abzugreifen. Meist
verbergen sich dahinter private Unternehmen, die gegen Auf-
wandsentschädigung Pensionsberechnungen durchführen.
Horst Joosten berät Mit-
glieder von
lehrer nrw
in allen Fragen rund
um Ruhestandsbezüge,
Altersteilzeit oder
Dienstunfähigkeit.
Foto: Endermann
SCHULE & POLITIK
Die
lehrer nrw
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Immer mehr
lehrer nrw
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karte. Gerade im Hinblick auf die bevorstehende Urlaubssaison lohnt sich der Ein- bzw. Umstieg.
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lehrer nrw ·
4/2019
24
SCHULE & POLITIK
Gegen
Gewalt
Schulministerin Yvonne Gebauer hat einen Aktionsplan gegen
Gewalt und Diskriminierung an Schulen vorgestellt. Mit den
darin enthaltenen Maßnahmen will das Schulministerium die
Präventionsarbeit der Schulen unterstützen und die Bedingun-
gen für ein respektvolles Miteinander verbessern.
O
O
bwohl sich die Zahl der bekanntge-
wordenen (d.h. angezeigten) Fälle
von Gewaltkriminalität an Schulen
in Nordrhein-Westfalen von 2008 bis 2016
halbiert hat (sie sank von 1.782 auf 879
Fälle), sei seit 2017 wieder ein leichter An-
stieg auf 1.034 Delikte festzustellen.
Ausbau der schulpsycho-
logischen Dienste
Vor diesem Hintergrund hat das Schulmi-
nisterium den Aktionsplan ’Für Demokratie
und Respekt – Entschieden gegen Diskri-
minierung und Gewalt’ aufgelegt. Im
Mittelpunkt steht ein deutlicher Ausbau
der schulpsychologischen Dienste: Zum
1. August 2019 stellt das Land insgesamt
54 Stellen zusätzlich für Beratungslehrkräf-
te oder sozialpädagogische Fachkräfte zur
Verfügung. Gemeinsam mit der Schulauf-
sicht sollen sie den Schulen vor allem bei
der Gewalt- und Extremismusprävention
beratend zur Seite stehen. 100 weitere
Stellen für Schulpsychologinnen und Schul-
psychologen sollen folgen, um den Kinder-
schutz zu stärken. Diese Stellen sollen vor
allem dazu dienen, Hinweisen und konkre-
ten Verdachtsfällen aus den Schulen nach-
zugehen. Acht zusätzliche Stellen für die
Schulpsychologie hat das Land dafür in
diesem Jahr bereits kurzfristig eingerichtet,
teilt das Ministerium mit.
Darüber hinaus plant das Schulministeri-
um erstmals wissenschaftliche Forschungs-
aufträge zu vergeben, um vor allem die Ur-
sachen von Gewalt im schulischen Kontext
systematisch zu erfassen. Die so gewonne-
nen Erkenntnisse sollen dazu dienen, die
schulische Prävention künftig noch zielge-
richteter anzulegen. Im Jahr 2020 erhalten
alle Schulen den aktualisierten und erwei-
terten Notfallordner ’Hinsehen und Han-
deln’ in digitaler und gedruckter Form mit
umfangreichen Handlungsempfehlungen
für den Umgang mit verschiedensten Kri-
sen- und Notfallsituationen im schulischen
Kontext. Darüber hinaus werden Melde-
wege und die Erfassung von Straftaten an
Schulen auf Grundlage eines Erlasses neu
geregelt. Dabei prüft die Landesregierung
auch eine erweiterte Meldepflicht, etwa
für antisemitische Straftaten.
Beratung rund um die Uhr
Neben diesen organisatorischen Maßnah-
men sieht der Aktionsplan konkrete Unter-
stützungsangebote für das schulische Per-
sonal vor: Der Umgang mit Gewalt und
Diskriminierung soll vertieften Eingang in
die Aus- und Fortbildung von Schulleitun-
gen finden. Auch die Fortbildung von
Lehr- und Fachkräften soll auf Grundlage
wissenschaftlicher Erkenntnisse bedarfs-
gerecht ausgeweitet werden. Mit der
’Sprech:ZEIT 24/7’ bietet das Schulministe-
rium den Lehrerinnen und Lehrern öffentli-
cher Schulen zudem ein kostenfreies Bera-
tungstelefon, das rund um die Uhr erreich-
bar ist.
INFO
Der vollständige Aktionsplan ’Für Demokratie und Respekt – Entschieden gegen
Diskriminierung und Gewalt’
ist unter dieser Online-Adresse zu finden:
www.schulministerium.nrw. de/docs/Schulsystem/Praevention/Gewaltpraevention/
Aktionsplan/index.html
Foto: AdobeStock/Jonathan Stutz
Gewalt darf an Schulen keinen Platz haben.
Deshalb hat das NRW-Ministerium einen Aktionsplan aufge-
legt, um die Schulen bei der Präventionsarbeit zu unterstützen.
Tulpen, Grachten und Mühlen:
Über Land und Wasser durch Holland
Z
Z
ur Tulpenblüte nach Holland führte die
große Frühjahrs-Fahrt der
lehrer nrw
-
Senioren. Vom Hafen in Köln Deutz ging es
den Rhein abwärts, vorbei an Düsseldorf,
Duisburg, Emmerich, über die Grenze in die
Niederlande und dann weiter über Kanäle bis
nach Amsterdam. Bei einem Landgang im be-
rühmten Keukenhof, einer großen Parkanlage
eines ehemaligen kleinen Schlosses, entfaltete
sich vor den Besuchern eine fantastische Tul-
penpracht. Später erkundete die
lehrer nrw
-
Gruppe Amsterdam – per Bus und per Grach-
tenboot. Die sehr unterschiedlich gestalteten
Giebelhäuser spiegeln den einstigen Reichtum
der Stadt wegen des aufblühenden Handels.
Mit dem Schiff ging es weiter durch Kanäle
und über das Ijsselmeer zu dem malerischen
Ort Enkhuizen. Spannend war der Bus-Abste-
cher von dort zum Museumsdorf ’Zaanse-
Schanz’, in dem alte Fischer- und Bauernhäu-
ser sowie verschiedenste Windmühlen –
als Wasserheber, Getreide- und Ölmühlen –
zu bewundern waren.
Faszinierend auch die Erkundung Rotter-
dams mit einer Führung durch die Stadt
und die außerhalb gelegenen supermoder-
nen Hafenanlagen. Die letzte Station war
Nimwegen, niederländisch Nijmegen, das
sich von den Zerstörungen des Zweiten
Weltkrieges sehr gut erholt hat.
Geplante Exkursionen – jetzt schon anmelden!
Insel Hombroich: Kunst und Natur
A
m 27. August erkunden die Senioren der
lehrer nrw
die Insel Hombroich, die sich als Museum und
Künstlerstätte, Landschaft und Architektur in Einheit präsentiert. Das Tageslichtmuseum besteht aus
zehn begehbaren, in die Natur eingebetteten Skulpturen. Die Führung auf der Museumsinsel ist auf
25 Personen begrenzt. Die Exkursion beginnt am 27. August mit einem gemeinsamen Mittagessen um
11:30 Uhr in einer Gaststätte in Neuss (Lokal wird noch bekannt gegeben).
Kosten: 15 Euro Eintritt, 4 Euro für die Führung.
Anmeldung: Ingrid Langenbach, Telefon: 0 21 51 / 30 11 83, E-Mail: ingrid@falaba.de
Betörende Tulpenpracht: Die
lehrer nrw
-Senioren im Keukenhof.
Kunst und Natur: Blick in ein Ausstellungs-Areal auf der Museumsinsel Hombroich.
Hamm:
Hindutempel
und Ölmühle
A
m 5. September besu-
chen die
lehrer nrw
-
Senioren Hamm in West-
falen. Dabei stehen zwei
Programmpunkte auf dem
Plan: zum einen die Besich-
tigung des Hindutempels in
Uentrop und zum anderen
eine Exkursion zur Ölmühle
im Hafen.
Anmeldung: Klaus Köller
E-Mail: klauskoeller@
unitybox.de
SENIOREN
25
4/2019 ·
lehrer nrw
Inhaltlich und geografisch
breit aufgestellt
Das
lehrer nrw
-Fortbildungsprogramm – Rückblick und Ausblick
lehrer nrw
hat im Schuljahr 2018/2019 ein
pralles Fortbildungspaket geschnürt. The-
matisch gliederte sich das Programm in die
folgenden Rubriken:
Arbeitsorganisation und Techniken
Kommunikation und Zusammenarbeit
Internet und Social Media
Rechtliche Grundlagen
Vortragsreihe ’Jugendpsychologie’
Workshopreihe ’Stärkung
der Lehrerpersönlichkeit’
Fortbildungen für schulische
Führungskräfte
Ein Highlight war die Neuauflage der
Vortragsreihe ’Jugendpsychologie’, in der
Dr. Stefan Battel, Facharzt für Kinder und
Jugendlichenpsychiatrie/Psychotherapie,
Einblick in die Lebens- und Seelenwelt jun-
ger Menschen gab. Battel befasste sich mit
ADHS und Süchten, Trauma und Mobbing
sowie Schulverweigerung. Auch die be-
währten Veranstaltungen zu Classroom-
Management, Lehrerpräsenz, Umgang
mit schwierigen Schülern, Elterngespräche
erfolgreich führen oder IT-Schulung für
Senioren kamen wieder sehr gut an.
Gleiches gilt für die neuen Angebote zu
Gesundheitsprävention, Psychosoziale
Belastungen, Gewalt gegen Lehrkräfte.
Nicht nur inhaltlich, sondern auch geo-
grafisch stellte sich
lehrer nrw
im Fortbil-
dungsprogramm 2018/2019 breiter auf.
Denn neben den Seminaren in Düsseldorf,
Dortmund und Königswinter tauchten nun
erstmals Köln und Bielefeld auf der Land-
karte der Veranstaltungsorte auf – mit po-
sitiven Teilnehmerzahlen.
Eine erfolgreiche Premiere feierte in die-
sem Schuljahr ein eigenes Fortbildungspro-
gramm für junge Lehrer: Dabei bot die
Sprech- und Kommunikationstrainerin,
Sprecherin und Schauspielerin Karin Punit-
zer einen vierstufigen Rhetorik-Kurs an,
der bei der Zielgruppe sehr gut ankam.
lehrer nrw
Justitiar Christopher Lange
sprach mit zwei Veranstaltungen über
’Recht im Schulalltag’ insbesondere Be-
rufsanfängerinnen und -anfänger an. Auf-
grund der großen Resonanz werden diese
Themenschwerpunkte im kommenden
Schuljahr erneut angeboten und um neue
Fortbildungen im Bereich Stärkung der
Lehrergesundheit und Lehrerpersönlichkeit
ergänzt.
INFO
Das ausführliche Fortbildungsprogramm
für das kommende Schuljahr 2019/2020
werden Sie in der nächsten Ausgabe
dieser Zeitschrift finden. Informationen
über Seminare, Anmeldemöglichkeiten,
Kosten und Teilnahmebedingungen gibt
es unter
www.lehrernrw.de/
fortbildungen.html
Foto: AdobeStock/Monkey Business
Den eigenen Horizont erweitern:
Die Teilnehmer der
lehrer nrw
-Fortbildungen
nahmen viele Impulse mit in den schulischen Alltag.
lehrer nrw ·
4/2019
26
FORTBILDUNGEN
27
4/2019 ·
lehrer nrw
FORTBILDUNGEN
Mülheimer Kongress
2019
»Die Lehrkraft zwischen analog und digital«
I
I
st die Schule der Zukunft nur noch digi-
tal und der analoge Lehrer ein Auslauf-
modell? Dieser spannenden Frage geht
der 51. Mülheimer Kongress nach und lotet
dabei Chancen und Risiken der Digitalisie-
rung des Unterrichts aus. Der ’MüKo’,
längst eine der bedeutendsten Fachveran-
staltungen zum Thema Schule in Nord-
rhein-Westfalen, findet in diesem Jahr am
27. und 28. November statt, wie gewohnt
in der Katholischen Akademie ’Die Wolfs-
burg’ in Mülheim an der Ruhr.
Das genaue Programm steht noch nicht
fest, aber einige hochkarätige Referenten
haben bereits zugesagt. Dazu zählt zum
Beispiel der Jugendpsychiater und Autor Dr.
Michael Winterhoff, der mit seinem aktuel-
len Buch ’Deutschland verdummt’
(siehe
Bericht auf Seite 19)
wieder einen Bestsel-
ler gelandet hat. Erstmals beim Mülheimer
Kongress spricht der Psychologe und Hirn-
forscher Dr. Markus Kiefer, der den ’Spuren
der Handschrift im Gehirn’ nachgeht. Wie
Bildung in der digitalisierten Welt aussehen
könnte, erörtert Hans Ulrich Baumgarten,
Philosophie-Professor und Leiter der Grup-
pe Weiterbildung im nordrhein-westfäli-
schen Ministerium für Kultur und Wissen-
schaft. Dem Thema Datenschutz und Urhe-
berrecht widmet sich auf originelle Weise
der Jurist und Lehrer Dr. Günther Hoegg.
Der Pädagoge und Publizist Michael Felten,
der den Mülheimer Kongress schon mehr-
fach bereichert hat, spricht über ’Hattie und
die Konsequenzen der Digitalisierung im
Unterricht’. Wenn es der parlamentarische
Zeitplan erlaubt, wird auch Schulministerin
Yvonne Gebauer den Gästen des Mülhei-
mer Kongresses Rede und Antwort stehen.
Beim Rahmenprogramm gibt es ein Wie-
dersehen und -hören mit alten Bekannten:
Schon zum Inventar des MüKo gehört die
Big Band der Erich-Klausener-Realschule
Herten, die es schon seit Jahren immer wie-
der schafft, mit ihrem grandiosen Sound
das Publikum von den Sitzen zu reißen. Und
bei der Abendveranstaltung am ersten Kon-
gresstag wird das Loreley Ginster Tanztee
Terzett erneut zuverlässig die Tanzfläche
füllen.
INFO
Das genaue Programm mit Anmelde-
möglichkeit wird ab Anfang August un-
ter
www.lehrernrw.de/fortbildungen/
muelheimer-kongress.html veröffent-
licht.
Foto: Smets
Gern gesehener Gast auf dem Mülheimer Kon-
gress: Schulministerin Yvonne Gebauer, hier
neben der
lehrer nrw
-Vorsitzenden
Brigitte Balbach.
lehrer nrw ·
4/2019
28
RECHT
§
AUSLEGER
70 Jahre Schulwesen auf Basis
des Grundgesetzes
Eine Würdigung
D
D
eutschland feiert sich selbst, genauer
gesagt: Politik und Gesellschaft huldi-
gen einer Sammlung von mehr als 146
von CHRISTOPHER LANGE
Foto: AdobeStock/E. Zacherl
Rechtsnormen, die unsere Verfassung bilden.
Anlass ist der 23. Mai 2019, als sich zum
70. Mal der Tag jährte, an dem das Grundge-
setz der Bundesrepublik Deutschland ver-
kündet wurde. Ursprünglich war es nur als
provisorische Lösung gedacht, weil die sow-
jetische Besatzungsmacht für den Ost-Teil
Deutschlands andere Vorstellungen hatte,
und wurde daher bewusst nicht Verfassung
genannt. Seit der Wiedervereinigung hat es
jeden Übergangs-Charakter verloren – sei-
nen Namen Grundgesetz dennoch behalten.
Die Basis allen gesellschaftlichen Miteinanders
ist im ersten Artikel des Grundgesetzes unverrückbar formuliert:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
RECHT
§
AUSLEGER
29
4/2019 ·
lehrer nrw
Das Grundgesetz –
ein Exportschlager
Das Grundgesetz findet dabei nicht nur
in Deutschland höchste Akzeptanz;
es untermauert sogar den Ruf unseres
Landes als ’Exportweltmeister’, weil
auch andere Demokratien auf unter-
schiedlichsten Erdteilen Elemente davon
übernommen haben. Bereits in den
sechziger Jahren des vorherigen Jahr-
hunderts adaptierte Südkorea Aspekte
der Grundrechte und unserer Verfas-
sungsgerichtsbarkeit. Auch Taiwan,
Griechenland und Spanien orientierten
sich daran.
Die Redakteure des Nachrichtenmaga-
zins ’Der Spiegel’ haben zum Jubiläum
über fünf ihrer Ansicht nach besonders
wichtige Wertentscheidungen des
Grundgesetzes geschrieben unter der
Überschrift ’Diese fünf Artikel müssen
Sie kennen’, darunter die Unantastbar-
keit der Menschenwürde, der Gleich-
heitsgrundsatz und das Recht auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit.
Artikel 7: der Schulartikel
lehrer nrw
betrachtet noch einen weite-
ren Artikel als bedeutend: Artikel 7
Grundgesetz, den ’Schulartikel’. Obwohl
sich seit 1949 sowohl das Land als auch
die Gesellschaft in Deutschland teils
massiven Wandlungen und Entwicklun-
gen unterworfen sahen, meistert diese
eine Norm noch immer Herausforderun-
gen, denen sich das Schulwesen ausge-
setzt sieht.
Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der
Schulartikel aus mehreren Bestimmun-
gen besteht, die unterschiedlichen Cha-
rakter und Inhalt aufweisen.
Artikel 7 Absatz 1 Grundgesetz ist ei-
ne organisatorische Regelung. Mit ’Auf-
sicht des Staates’ ist dabei nicht nur die
Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht ge-
meint, sondern der umfassende staatli-
che Auftrag, das Schulwesen inhaltlich
zu gestalten. Dieses ist unabhängig von
den elterlichen Erziehungsrechten nach
Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz, so dass
die allgemeine Schulpflicht durchaus mit
Elternrechten in Einklang zu bringen ist.
Gerade Konflikte mit Vorstellungen der
Eltern über Unterricht und Schulveran-
staltungen können mannigfaltig sein. In
den wohl umfangreichsten Fällen, wenn
Eltern ihre Kinder komplett zu Hause un-
terrichten wollen, konnten diese ihre Plä-
ne bislang nicht gegenüber der allgemei-
nen Schulpflicht durchsetzen. Dies führte
wie im Falle einer hessischen Familie so-
gar so weit, dass aufgrund besonderer
gefährdender Umstände das Sorgerecht
für die Kinder entzogen wurde.
Das Gestaltungsrecht ist dabei ein
fortlaufendes und nicht eines, das mit
der erstmaligen und einmaligen Arbeit
abgeschlossen sein musste. Dies kann
man beispielsweise daran erkennen, dass
nicht schon vor siebzig, sondern erst vor
fünfzig Jahren der erste schulische Sexu-
alkunde-Atlas erschienen ist.
Artikel 7 Absatz 2 Grundgesetz be-
stimmt das elterliche Erziehungsrecht
für den Religionsunterricht näher. Die Er-
ziehungsberechtigten legen danach fest,
ob ihr Kind am Religionsunterricht teil-
nimmt.
Religionsunterricht
als Wertentscheidung
Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz beinhal-
tet die Garantie des Religionsunterrichts
an staatlichen Schulen (soweit nicht ge-
mäß Artikel 141 Grundgesetz anderweiti-
ges Landesrecht schon am 1. Januar
1949 bestand, wie in Bremen und Ber-
lin).
Diese Norm zeigt, wie umfassend und
vorausschauend Wertentscheidungen für
unseren Staat im wahrsten Sinne des
Wortes ’verfasst’ wurden: Schon damals
waren ausweislich der Formulierung
nicht nur die Kirchen der beiden christli-
chen Konfessionen gemeint. Aber bereits
damals wurde von einer Religionsge-
meinschaft verlangt, eine ausreichende
Organisationsstruktur zu besitzen und
die Aufgaben für die Identität der Ge-
meinschaft allseitig leisten zu können.
Schließlich müssen Glaubensgemein-
schaften die Gewähr dafür bieten, an-
stelle des neutralen Staates Verantwor-
tung für bekenntnisgebundenen Unter-
richt zu übernehmen, religiöse Grundsät-
ze zu formulieren und gegenüber Schü-
lern zu lehren.
Unproblematisch war dies – damals
wie heute – für die christlichen Kirchen.
Unklar ist heutzutage aber immer noch
im Endeffekt für Muslime, wer als Verei-
nigung und Partner dem Staat gegen-
übertreten kann. Gerade in Nordrhein-
Westfalen ist diese Thematik hoch aktu-
ell, denn nach Auslaufen einer Über-
gangsvorschrift debattiert der Landtag
zur Zeit über eine neue dauerhafte ge-
setzliche Grundlage, die umfassend alle
Fragen klärt, damit islamischer Religi-
onsunterricht auch mit in Deutschland
ausgebildeten Lehrkräften allgemein ein-
geführt werden kann.
Privatschulen
und das Grundgesetz
Artikel 7 Absatz 4 bis 6 Grundgesetz ent-
halten ebenfalls Freiheiten mit integrati-
ven Grenzen, diese jedoch in gänzlich
anderer Hinsicht. So erlaubt das Grund-
gesetz Privatschulen, es muss allerdings
gewahrt sein, dass eine Sonderung nach
Besitzverhältnissen der Eltern nicht ge-
fördert wird. Tatsächlich aber besuchen
ausweislich von Studien Kinder von El-
tern mit hohem Einkommen häufiger Pri-
vatschulen als solche aus einkommens-
schwächeren Familien. Es stellt sich da-
her die Frage, inwieweit hinsichtlich des
Verfahrens der Schülerauswahl (Schul-
geld, Stipendien u.a.) die Behördenauf-
sicht und die unter dem Grundgesetz
stehenden Normen dem Grundgesetz
hier gerecht werden. Der Schulartikel
bietet damit auch ein Anschauungsbei-
spiel dafür, wie auch der Staat selbst
immer wieder gefordert sein kann, das
Grundgesetz mit Leben zu füllen.
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
4/2019
30
ANGESPITZT
W
W
ie man hört, ist es mit der
Wertschätzung gegenüber
Lehrkräften nicht allzu weit
her. Ein joviales »Was geht, Alter?«, das
der dreizehnjährige Kevin seinem Pauker
entgegenschmettert, geht ja noch als an-
gemessene Respektsbekundung durch.
Problematischer wird es schon, wenn Ke-
vin seinen Lieblingslehrer dann liebevoll
in den Schwitzkasten nimmt. Das kann
ein Pädagoge mit niedriger Frustrations-
toleranz schonmal als tätlichen Angriff
werten. Auch eine rustikale Ansprache
(»Du hast mir gar nichts zu sagen,
Du…«) oder ein aufgeschlitzter Autoreifen
auf dem Lehrerparkplatz siedeln manche
empfindlichen Kolleginnen und Kollegen
knapp unterhalb der Humorgrenze an.
Wie also lässt sich das bisweilen pre-
käre Binnenverhältnis zwischen Schü-
lern und Lehrkräften zur beiderseitigen
Zufriedenheit regeln? Eine famose Idee
ist ein Schulhund. Solche vierbeinigen
pädagogischen Hilfskräfte sind bereits
an über eintausend Schulen in Deutsch-
land im Einsatz, wie der geneigte
Besucher auf dem Internetportal
www.tierisch-gute-schule.de erfährt.
Das nordrhein-westfälische Schulminis-
terium hat zu diesem Thema sogar eine
Handreichung herausgegeben. Darin
wird in erfreulicher Deutlichkeit klarge-
stellt: »Bei einem Schulhund handelt es
sich nicht um ein Lernmittel im Sinne
des § 30 Abs. 1 SchulG, so dass das Tier
auch keiner Zulassung nach § 30 Abs. 2
SchulG bedarf.« Das vereinfacht die Sa-
che natürlich enorm.
Dem Einsatz eines Schulhundes liegt
die Erfahrung zugrunde, dass Kinder ei-
nen Hund meistens süß finden, einen
Lehrer aber nicht unbedingt. Der erzie-
herische Effekt: Wenn alles gut geht,
bekommt der zweibeinige Pädagoge ein
bisschen von der Zuneigung ab, die die
Klasse dem vierbeinigen Kollegen ent-
gegenbringt. So ein niedlicher Schmuse-
hund macht auch renitente Pennäler
zu handzahmen Zeitgenossen, die im
Idealfall auch zugänglicher sind für
Prozentrechnung und Futur zwei.
Bei sehr aufsässigen Klassen, die der
Lehrer meist nur noch mit Helm betritt,
kann ein Schulhund ebenfalls Wunder
wirken. Hier bietet sich dann eher ein
Vertreter der Gattung Bullmastiff oder
American Staffordshire Terrier an. Lehr-
kräfte mit einschlägigen Erfahrungen
berichten wahre Wunderdinge. Da hat
so ein kleiner Racker mit einem beiläufi-
gen Zähnefletschen so manche Hard-
core-Klasse in andächtiges Schweigen
versetzt.
Jochen Smets
Wenn der Schulhund für Ordnung sorgt
Muster erkennen
Frühling lässt sein blaues Band … Die Natur ist erwacht, und es blüht
überall. Da darf man schon mal genau hinsehen. Sie sehen acht Blütenpaare,
die jeweils zweimal in den insgesamt fünfzig Blütenpaaren versteckt sind.
Suchen Sie alle vorgegebenen Muster heraus. Alle kommen doppelt vor.
Anagramme
und
Kategorien
Bei dieser Aufgabe sind die Buchstaben der Wörter in
der linken Spalte durcheinander geschüttelt worden.
Können Sie sie sortieren und den dazu passenden
Oberbegriff aus der rechten Spalte zuordnen?
Der Baum ist ein wenig knifflig herauszufinden.
Vokaltausch
Bei den folgenden Worten sind jeweils einige Vokale falsch.
Dabei gibt es zwei Wörter, bei denen die Vokale untereinander vertauscht werden können,
so dass zwei sinnvolle Wörter entstehen. Die Reihenfolge der Vokale wird dabei nicht verändert.
Welche beiden Wörter sind es?
WEHRHEOT BRUESU AULO ZOATENG
ERINGU TALEFIN FLAGZUEG STEWERDUSS
VUALETT FLIGHOFEN SOIGOL EITE
HUCHZAOT LOFTBELLIN PERUDE SCHLOTTSCHAHE
TIMUTE FAAER WERKZAEG HIREZENT
AUFGABE 1:
AUFGABE 2:
AUFGABE 3:
Über Feedback zu meinen
Gehirnjogging Übungen
würde ich mehr
sehr freuen:
mail@heike-loosen.de
Heike Loosen
HIRNJOGGING
31
4/2019 ·
lehrer nrw
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einen Gutschein über
50 Euro. Wenn Sie
drei neue Mitglieder*
für
lehrer nrw
begeis-
tern können, verdoppelt sich der Gutschein auf 100 Euro. Wel-
chen Wunsch Sie sich damit erfüllen möchten, liegt ganz an
Ihnen: Zur Auswahl stehen Gutscheine u.a. für Saturn/
Media Markt, Jacques‘ Weindepot, die Parfümerie-Kette
Douglas, die Mayersche Buchhandlung, Amazon,
ein Fußball-Bundesligaspiel Ihrer Wahl oder ein
Zeitungs- bzw. Zeitschriftenabonnement.
Sie wollten schon immer mal nach
Berlin oder Hamburg, Wien oder Paris?
Sie könnten ein neues, schickes
Smartphone, einen Flachbildfernseher
oder eine hochwertige Digitalkamera
gebrauchen? Sie möchten sich eine er-
lesene Flasche Wein, ein gutes Buch,
ein Sport-Event oder ein anderes klei-
nes Highlight gönnen? Mit
lehrer nrw
ist das kein Problem. Die Erfüllung ei-
nes dieser Wünsche kostet Sie nur
ein wenig Überzeugungskraft.
Informationen gibt es über die
lehrer nrw
-Geschäftsstelle,
02 11 / 164 09 71 info@lehrernrw.de
Die Mitglieder-
Werbeaktion
läuft bis zum
15. Februar
2020.
Hinweis: Alle Fotos haben nur Symbolcharakter. Die Abbildungen sind nicht identisch mit den Artikeln,
die
lehrer nrw
im Rahmen der Mitglieder-Werbeaktion als Gewinn auslobt.
* nur Vollzahler, keine Lehramtsanwärter oder Pensionäre
Fotos: PIXELIO/MEV/Fotolia