3
Unter der Lupe
Und bist du nicht
willig, so brauch
ich Gewalt!
15
Dossier
Wie das Bildungssystem
die Zukunft unserer
Kinder verbaut
28
Recht§ausleger
Lehrkräfte
im Verhör
6
Im Brennpunkt
Bildungsgerechtigkeit
versus
Bildungsrealität
Schülern MINT
schmackhaft
machen
Pädagogik & Hochschul Verlag
.
Graf-Adolf-Straße 84
.
40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
1781 | Ausgabe 6/2019 | NOVEMBER | 63. Jahrgang
IMPRESSUM
lehrer nrw
– G 1781 –
erscheint sieben Mal jährlich
als Zeitschrift des
‘lehrer nrw’
ISSN 2568-7751
Der Bezugspreis ist für
Mitglieder des
‘lehrer nrw’
im Mitgliedsbeitrag enthal-
ten. Preis für Nichtmitglieder
im Jahresabonnement:
35,– inklusive Porto
Herausgeber und
Geschäftsstelle
lehrer nrw
Nordrhein-Westfalen,
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Redaktion
Brigitte Balbach,
Sven Christoffer,
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Sarah Wanders, Düsseldorf
Verlag und
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PÄDAGOGIK &
HOCHSCHUL VERLAG
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Zur Zeit gültig:
Anzeigenpreisliste Nr. 19
vom 1. Oktober 2018
Zuschriften und
Manuskripte nur an
lehrer nrw
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Für unverlangt eingesandte
Manuskripte kann keine Ge-
währ übernommen werden.
Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben die Meinung
ihrer Verfasser wieder.
INHALT
lehrer nrw ·
6/2019
2
UNTER DER LUPE
Brigitte Balbach: Und bist du nicht willig,
so brauch ich Gewalt!
3
MAGAZIN
Hauptausschuss tagte in Dortmund 4
BRENNPUNKT
Sven Christoffer: Bildungsgerechtigkeit
versus Bildungsrealität
6
JUNGE LEHRER NRW
Sarah Wanders: Im Dschungel
der Mehrarbeitsregelungen
8
BATTEL HILFT
Eine Kolumne wozu? 10
MAGAZIN
Auf dem Weg zum ‘BerufsAbitur’ 11
TITEL
Begeisterung für MINT wecken 12
MINT Schule NRW
14
DOSSIER
Wie das Bildungssystem die
Zukunft unserer Kinder verbaut
15
SCHULE & POLITIK
Anekdoten über sonderbare Menschen 19
Astrid Pradella: Textile Totalausfälle
20
Dieter Peters: Ökonomische Bildung
und das Fach Wirtschaft
22
Gerechte Bezahlung
für starke Lehrkräfte
24
SENIOREN
August Macke ganz nah’ 25
Herbstreise an den Biggesee
25
‘Horror and delight’ in Münster
25
FORTBILDUNGEN
Gewalt gegen Lehrer
Vom Mittelfinger zum körperlichen Übergriff 26
Erfolgreiche Gespräche führen
26
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange: Lehrkräfte im Verhör 28
ANGESPITZT
Jochen Smets: Der Junge
braucht seinen Schlaf
30
HIRNJOGGING
Aufgabe 1: Koordination
Aufgabe 2: Kreative Verknüpfungen
Aufgabe 3: Auf dem Kopf lesen
31
Meinungsfreiheit in Gefahr
’Jeder Mensch ahnt, dass er Abgründe des Bösen in sich
hat.’ Unter diesem Artikel vom 26. Oktober in der Zeitung
’DIE WELT’ verbarg sich die Frage: »Gibt es heute mehr
von diesen bösartigen Narzissten als früher?«, die einlei-
tend mit folgendem Hinweis ergänzt wurde: »Aus der
Forschung wissen wir, dass der Narzissmus generell zu-
nimmt, seit der Jahrtausendwende, der digitalen Revoluti-
on.«
Nun haben wir die Wahl, diese Entwicklung als gege-
ben anzunehmen – sozusagen als einen Kreislauf philoso-
phischen Denkens, nach dem alles im Leben wiederkommt
und der halt hinzunehmen ist – oder täglich aktiv dage-
gen zu halten, privat und dienstlich.
Hetze statt Argumente
Schauen wir uns doch einmal die Realität im öffentlichen
Raum aus den letzten Wochen diesbezüglich an, bevor
wir entscheiden.
Ein Professor, Wirtschaftswissenschaftler, wird daran
gehindert, in seiner Hochschule zu lehren. Sowohl die
zuständige Bildungssenatorin als auch der Präsident der
Universität stimmten dem Auftritt des Betroffenen zu,
obwohl sie wussten, dass die Person in der Öffentlichkeit
durchaus umstritten ist, weil der Betroffene, Bernd Lucke,
eben AfD-Gründer ist. Der Präsident sprach auch davon,
dass die Universität eine solch »diskursive Auseinander-
setzung« »aushalten müsse«, so die WELT. Falsch ge-
dacht!
Ein weiteres Beispiel: Anfang der letzten Woche wurde
Thomas de Maiziere (CDU), der frühere Kanzleramtschef
und Bundesinnenminister, in Göttingen von Demons-
tranten durch eine Blockade daran gehindert, eine
Lesung aus seinem Buch ’Regieren’ abzuhalten. Vorher
hatte er den Protestlern angeboten, mit ihnen über ihre
Vorwürfe zu reden – vergebens. Er wurde offenbar nie-
dergebrüllt, wie berichtet wurde. Es kam sogar zu Über-
griffen!
Der WELT-Artikel endet mit dem Hinweis aus einer Al-
lensbach-Umfrage, nach der zwei Drittel der deutschen
Bevölkerung der Ansicht sind, sie müssten »sehr aufpas-
sen, zu welchen Themen man sich wie äußert«. Und so
verkommt
unsere Gesell-
schaft dazu, nur
noch zu sagen, was
genehm ist und keinen
Ärger einbringt. Na toll!
Wer sich der Gruppe nicht
unterwirft, wird niedergemacht
Eine bedenkliche Entwicklung finden wir auch im Internet:
Das Mobben von Schülerinnen und Schülern untereinander
durch das Posten von hässlichen und verleumdenden Kom-
mentaren ist offenbar ein probates Mittel geworden, Men-
schen niederzumachen, die sich bestimmten Vorgaben und
Ansagen von Einzelnen oder Gruppen nicht unterwerfen
wollen!
Das gilt übrigens nicht nur für jugendliche Gruppen,
sondern auch zunehmend für Gruppen von Erwachsenen.
Man spricht oder grüßt sich nicht mehr, man spricht laut
oder leiser hässlich vom ’Opfer’ – und wartet, ob bzw.
wann dieses sich der Gruppe unterwirft, also quasi aufgibt.
Heißt: sich ohne klare eigene Überzeugung dem Mob und
seinen Regeln ausliefert. Es braucht schon eine große Porti-
on Selbstbewusstsein, um in einer solchen Situation nicht
mental unterzugehen.
Wie wir Lehrkräfte wissen, kann man das trainieren.
Schließlich ist das unser tägliches Brot! Wer das nicht durch
Training (Versuch, Irrtum, Erfolg? Versuch…) versucht, der
wird kaum ein guter Lehrer sein können (werden schon!)
Denn es gehört mehr zum Lehrer-Dasein als eine möglichst
gute universitäre (oder vergleichbare) Ausbildung! Liebe zu
Schülern und Eigenliebe sind vonnöten.
Können wir andere Meinungen
und Gesinnungen zulassen?
Aber selbst bei den diesbezüglich besten Vorzeichen bleibt
es dabei, dass es ein gesellschaftliches Miteinander geben
muss, welches den Diskurs von Seite und Gegenseite
schätzt und andere Meinungen und Gesinnungen zulassen
kann, egal, wie kontrovers und wie vehement diese vorge-
tragen werden. Und auch dann muss uns der gesellschaftli-
che und politische Diskurs gelingen, wenn die Gegenseite
wild und ungestüm und zunächst auch halsstarrig an der
eigenen Meinung festhält.
Gesellschaftliches Handeln in einer demokratischen
Gesellschaft
muss
vom lebhaften Diskurs leben, an-
3
6/2019 ·
lehrer nrw
UNTER DER LUPE
von BRIGITTE BALBACH
Und bist du nicht willig,
so brauch ich Gewalt!
lehrer nrw ·
6/2019
4
UNTER DER LUPE MAGAZIN
Brigitte Balbach ist Vorsitzende des
lehrer nrw
E-Mail: info@lehrernrw.de
sonsten sollten wir uns für einen totalitären Staat oder eine
Diktatur entscheiden. Dieser Zusammenhalt trotz diverser
Meinungen kann jedoch nur gelingen, wenn wir alle mutig
unsere echte Meinung sagen, Auseinandersetzungen nicht
scheuen und unseren Kindern, eigenen und uns anvertrau-
ten, beibringen, wie schön und wertvoll es ist, in einer frei-
en, pluralistischen Gesellschaft aufzuwachsen und zu leben.
Zeigen, wie frei wir sind
und wie wir frei sind
Es wird immer Menschen geben, die sich auf dem Rücken
anderer zu profilieren wissen – gebieten wir ihnen Einhalt –
täglich und überall. Das kann unbequem und mühsam sein.
Aber es ist es wert angesichts unserer Vision von einem frei-
en Land mit einer Gesellschaft, die um die Meinungsfreiheit
des Einzelnen weiß und bereit ist, täglich um sie zu kämp-
fen, auch dann, wenn der Einzelne für sein Standing in der
Öffentlichkeit kämpfen muss – und manchmal auch verliert!
Der Preis dieses leidenschaftlichen Engagements für die
Meinungsfreiheit in unserem Land kann nicht zu hoch sein!
Täglich sehen wir Menschen, die von weit her zu uns kom-
men wollen. Sie hoffen auf ein besseres Leben und auf eine
Freiheit, die sie bisher in ihrem Leben nicht hatten. Wir
könnten ihnen zeigen, wie
frei
wir sind und
wie
wir frei
sind.
Wenn Diskurs im öffentlichen Raum jedoch bei uns nicht
mehr uneingeschränkt möglich ist, müssen wir ihn in Schule
wieder trainieren, täglich und in jeder Unterrichtsstunde und
in jeder Konferenz. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass
wir diese Entwicklung als Lehrer und Bürger einfach hinneh-
men dürften und uns zu arrangieren versuchten! Wenn wir
den Mut nicht aufbringen, den Kindern zu sagen, was richtig
ist, nämlich was Freiheit heißt und wo sie ihre Grenzen hat,
wer denn dann? Das ist nicht nur unsere Aufgabe, unsere
Pflicht, sondern im besten Fall unsere Berufung. Und wer
sollte in unserer Gesellschaft mehr Hingabe an unsere ge-
sellschaftlichen, schwer errungenen christlichen Werte auf-
bringen können, als wir Lehrer, die von ihrer Tätigkeit oft
eher von einer Berufung denn von einem Job sprechen.
Schützen wir die Meinungsfreiheit
Von dieser Berufung, nämlich Kinder zu lieben und ihnen ein
gutes Rüstzeug für ihr Leben zu vermitteln – und von der
Kraft, andere Menschen und ihre Meinungen anzunehmen
und sich mit ihnen ohne Gewalt und Ressentiments ausei-
nander zu setzen – sollten wir auf keinen Fall lassen. Es ist
ein zu hohes Gut – diese Meinungsfreiheit! Sie ist zurzeit in
Gefahr! Schützen wir sie!
Hauptausschuss tagte
in Dortmund
Foto: Smets
Der Hauptausschuss von
lehrer nrw
legte
die Marschroute für die Personalratswahl 2020 fest.
D
er Wahlkampf zur Personal-
ratswahl 2020 sowie aktuelle
schulpolitische Entwicklungen
standen im Mittelpunkt der Sit-
zung des Hauptausschusses von
lehrer nrw
am 27. September in
Dortmund.
Die Verbandsvorsitzende Bri-
gitte Balbach schwor die Aus-
schussmitglieder auf die wichtige
Wahl im kommenden Jahr ein.
lehrer nrw
geht mit einer starken
Mannschaft an den Start. In den
Realschul-Personalräten lautet
das Ziel, die Position von
lehrer
nrw
als stärkste Kraft wiederzuge-
winnen bzw. auszubauen. Erfreu-
lich: Erstmals kann der Verband
im Gesamtschul-Bereich in allen
fünf Bezirkspersonalräten und im
Hauptpersonalrat Kandidaten
aufbieten. Schon 2016 bei der
letzten Personalratswahl ist es
lehrer nrw
gelungen, je einen Sitz
in den Gesamtschul-Bezirksper-
sonalräten Köln und Düsseldorf
zu erobern. Ziel für 2020 ist es, in
allen Gesamtschul-Personalräten
den Fuß in die Tür zu bekommen.
Über die aktuelle schulpoliti-
sche Agenda berichtete Sven
Christoffer, stellvertretender Vor-
sitzender von
lehrer nrw
und Vor-
sitzender des Hauptpersonalrats
Realschulen. Er kritisierte den
Stillstand bei der Weiterentwick-
lung der §132c-Schulen, die von
der Landesregierung in Person
von Finanzminister Lutz Lienen-
kämper blockiert wird. Problema-
tisch sei auch die von der Landes-
regierung geplante schulscharfe
Veröffentlichung der Unterrichts-
ausfall-Statistik. Damit könnten
Schulen öffentlich an den Pranger
gestellt werden.
lehrer nrw
hat
im Hauptpersonalrat Realschulen
sehr deutlich Bedenken geäußert
und erreicht, dass künftig neben
der Ausfallquote auch die Perso-
nalausstattungsquote öffentlich
gemacht wird. Auf diesem Weg
entsteht ein erheblich aussage-
kräftigeres Bild.
Jochen Smets
lehrer nrw ·
6/2019
6
BRENNPUNKT
Bildungsgerechtigkeit versus
Unter der Überschrift ’Auf Schatzsuche in NRW: Unsere
Schulen zu Schatzsucher-Schulen ausstatten’ hat die SPD-
Fraktion einen Antrag in den Landtag eingebracht, der sich
als Gegenentwurf zum Modell der Talentschulen der Lan-
desregierung begreift. Der Antrag verheißt mehr Bildungs-
gerechtigkeit, scheitert aber an der Bildungsrealität.
D
D
er Antrag der Fraktion der SPD
beinhaltet die Forderung nach Ein-
führung eines harten, schulschar-
fen Sozialindex nach Hamburger Vorbild
zur bedarfsgerechten Verteilung von
Ressourcen in Form von Personal und
Ausstattung mit dem Ziel, Verteilungs-
gerechtigkeit herzustellen.
Sozialindex statt
Standortfaktor
In Zeiten einer guten Lehrkräfteversorgung
kann eine Ungleichbehandlung ungleicher
Schulen anhand eines solchen Index grund-
sätzlich einen Beitrag dazu leisten, die Bil-
dungschancen von Schülerinnen und Schü-
lern in schwierigen sozialen Ausgangslagen
zu verbessern. Dabei muss allerdings mitbe-
dacht werden, dass die Zuordnung einer
Schule zur ersten Belastungsgruppe (Sozial-
index 1: Die meisten der Schülerinnen und
Schüler kommen aus bildungsfernen Schich-
ten und sozial-schwierigen Verhältnissen)
eine Stigmatisierung der Schule nach sich
zieht und möglicherweise zu einem verän-
derten Schulwahlverhalten der Eltern führt.
Unabhängig davon stellt sich die Frage,
ob der Erhebungsaufwand zur Berechnung
des Sozialindex in einem vernünftigen Ver-
hältnis zum Ertrag steht. Immerhin werden
fünf Kriterien (Soziale Raumdaten auf Ebene
der statistischen Gebiete der Schülerinnen
und Schüler, Kulturelles Kapital, Ökonomi-
sches Kapital, Soziales Kapital, Migrations-
hinweise) mit insgesamt 24 (!!!) berücksich-
tigten Variablen zur Berechnung herangezo-
gen. Dazu müssen Daten des Statistischen
Landesamts, Eltern- und Schülerfragebögen
von SVEN CHRISTOFFER
Die SPD will sich auf Schatzsuche
begeben.
Schulen in schwierigem sozialem
Umfeld sollen besonders gefördert werden. Wer
die Schatzkiste der SPD öffnet, wird allerdings
eher auf heiße Luft als auf Gold stoßen.
BRENNPUNKT
7
6/2019 ·
lehrer nrw
Bildungsrealität
ausgewertet werden – in einem kleinen
Stadtstaat wie Hamburg offensichtlich leist-
und finanzierbar, aber auch in einem Bun-
desland von der Größe Nordrhein-Westfa-
lens? Deshalb erscheint es ratsam, zuvor-
derst stichprobenartig zu überprüfen, ob eine
Einteilung der Schulen nach dem Hamburger
Sozialindex überhaupt zu signifikanten Ab-
weichungen von der in Nordrhein- Westfalen
bereits vorhandenen Einteilung der Schulen
nach Standortfaktoren führen würde.
Maßnahme würde
ins Leere laufen
Kern meiner Kritik ist jedoch, dass die avi-
sierte Maßnahme, Schulen an besonders
schwierigen Standorten zusätzliche Stellen
zuzuweisen, in Zeiten des grassierenden
Lehrkräftemangels ins Leere laufen wird. Das
Hauptproblem dieser Schulen ist nicht, dass
nicht genug Stellen für Lehrkräfte, Schulso-
zialarbeit, Sonderpädagogik oder multipro-
fessionelle Teams ausgeschrieben werden
können, sondern dass diese Ausschreibun-
gen an Schulen mit herausfordernden
Standorten regelmäßig leerlaufen. Zusätzli-
che Stellen auf dem Papier, die nicht in reale
Köpfe umgemünzt werden können, führen
nicht zu mehr Verteilungsgerechtigkeit.
Anreize schaffen
Die entscheidende Frage lautet also: Wie
kann es gelingen, Schulen mit herausfor-
dernden Standortfaktoren für Lehrkräfte
attraktiver zu machen? Monetäre Anreize
zu schaffen, scheint nicht zu verfangen, wie
das Beispiel des Freistaats Sachsen zeigt.
Der Versuch, Lehramtsanwärterinnen und
-anwärtern eine Zulage zu gewähren, um sie
in ländliche Regionen zu locken, ist mehr
oder weniger fehlgeschlagen.
Insofern müssen den Lehrkräften Rahmen-
bedingungen offeriert werden, die sie an an-
deren Schulen nicht antreffen, insbesondere
über die Absenkung des Pflichtstundendepu-
tats. Weniger Pflichtstunden bedeuten mehr
Systemzeit – und die ist gerade an Schulen
in sogenannten sozialen Brennpunkten von
enormer Bedeutung für die Schulgemein-
schaft.
Eine Ressource für alle
Die Fraktion der SPD fordert, Ungleiches un-
gleich zu behandeln, will dann aber im An-
trag alle Schulen mit schwierigen Standort-
faktoren flächendeckend gleich behandeln:
Alle Schulen sollen einheitlich kleinere Lern-
gruppen mit nicht mehr als 23 Schülerinnen
und Schülern bilden, Beratungslehrkräfte
durch Reduzierung der Unterrichtsstunden
entlasten, Schulsozialarbeit mit einer Min-
destkapazität von 20 Prozent versehen,
Multiprofessionelle Teams und Ganztagsan-
gebote ausbauen sowie die Elternarbeit in-
tensivieren. Die Ressourcen werden also
’mit der Gießkanne’ verteilt.
Wesentlich effizienter erscheint es mir zu
sein, zusätzliche Ressourcen am tatsächlichen
Bedarf orientiert und passgenau auf die indi-
viduelle Schule zugeschnitten zu verteilen.
Ein Instrumentarium ist bereits vorhanden:
Die Qualitätsanalyse stellt in ihrem Bericht
Handlungsbedarfe für die jeweilige Schule
heraus, anschließend werden die Schulen
aber mit den Ergebnissen alleine gelassen.
Hätten die Schulen stattdessen die Möglich-
keit, in Abhängigkeit von den ausgemachten
Handlungsbedarfen in eigener Entschei-
dungsverantwortung auf zusätzliche Ressour-
cen zuzugreifen (zum Beispiel für pädagogi-
sches oder Verwaltungspersonal, für Sachan-
schaffungen, für mehr Systemzeit, für Fortbil-
dungen etc.), würde diese Herangehensweise
einem modernen Ressourcenmanagement si-
cherlich mehr entsprechen als die im Antrag
festgeschriebene Einheitsressource für alle.
Sven Christoffer ist Vorsitzender des HPR Realschulen
sowie stellv. Vorsitzender des
lehrer nrw
E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
Foto: AdobeStock/lassedesignen
lehrer nrw · 6/2019
8
JUNGE LEHRER NRW
Im Dschungel der
Mehrarbeitsregelungen
In jeder Lehrerräteschulung und ’Recht im Schulalltag’-Fortbil-
dung ist es ein zentrales Thema: Mehrarbeit. Was gilt als Mehr-
arbeit? Wie rechne ich Mehrarbeit ab? Welche Unterschiede gibt
es zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten? Wie sieht es mit
Tarifbeschäftigten und Beamten aus – gibt es Unterschiede?
Hier die wichtigsten Regelungen.
M
M
ehrarbeit sind alle zu erteilenden
Unterrichtsstunden, die über die
individuelle Unterrichtsverpflich-
tung hinausgehen. Nach § 61 LBG sind ver-
beamtete Lehrer zur Mehrarbeit verpflichtet,
wenn »zwingende dienstliche Verhältnisse«
(Erledigung unaufschiebbarer, vorüberge-
hender Aufgaben zum Beispiel zur Siche-
rung der Aufsichtspflicht) es erfordern.
Grundsätzlich soll Mehrarbeit für Beamte
sowie für Tarifbeschäftigte durch Freizeit
ausgeglichen werden. Da dies für den Schul-
dienst jedoch nicht möglich ist, wird ab der
vierten Mehrarbeitsstunde pro Monat die
Mehrarbeit ab der ersten Stunde bezahlt.
Das bedeutet für Sie: Leisten Sie drei Stun-
den Mehrarbeit, wird keine Stunde bezahlt.
Leisten Sie vier Stunden Mehrarbeit,
werden alle vier Stunden be-
zahlt.
Ausnahme Teilzeit
Eine Ausnahme der obigen Regel gilt bei
Teilzeitbeschäftigung
. Teilzeitbeschäftigte
Lehrkräfte haben einen Anspruch auf Vergü-
tung ab der ersten zusätzlich geleisteten
Unterrichtsstunde. Die Vergütung von zu-
sätzlich geleisteten Stunden erfolgt bis zum
Erreichen des Vollzeitdeputats auch nicht
nach den Vergütungssätzen für Mehrarbeit
(Mehrarbeitsvergütungsverordnung –
MVergV), sondern diese Stunden werden
anteilig vergütet. Arbeiten Sie zum Beispiel
an einer Realschule mit 24/28 Stunden in
Teilzeit und leisten vier zusätzliche Stunden,
so werden Sie für diesen Monat wie eine
Vollzeitkraft bezahlt und erhalten nicht nur
eine Vergütung nach MVergV, welche we-
sentlich geringer ausfallen würde. Ab der
29. Unterrichtsstunde an Grund-, Haupt-
und Realschulen bzw. ab der 26,5. Unter-
richtsstunde an Gymnasien, Gesamt- und
Sekundarschulen gelten dieselben Regelun-
gen wie für Vollzeitbeschäftigte. Als teilzeit-
beschäftigte Lehrerinnen und Lehrer gelten
auch Lehrkräfte in der Ansparphase einer
Teilzeit im Blockmodell.
Lehramtsanwärterinnen und -anwärter
können maximal zwei Stunden Mehrarbeit
pro Woche erteilen. Mehrarbeit wird bei ih-
nen grundsätzlich ab der ersten Stunde ver-
gütet.
Befristet beschäftigte Lehrkräfte
dürfen
keine Mehrarbeit leisten. Selbiges gilt auch
für Beschäftigte in einer
Wiedereingliede-
rung
oder
schwangere Kolleginnen
.
Spontane oder
regelmäßige Mehrarbeit
Es wird unterschieden zwischen zwei Arten
von Mehrarbeit:
Ad-hoc-Mehrarbeit
entsteht durch kurz-
fristigen Ausfall einer Lehrkraft und wird in
der Regel durch den Einsatz im Vertretungs-
plan angeordnet.
Regelmäßige Mehrarbeit
erstreckt sich
über eine Dauer von mehreren Wochen und
muss im Stundenplan der Lehrkraft ausge-
wiesen werden. Die Schulleitung muss re-
gelmäßige Mehrarbeit bei der Schulauf-
sichtsbehörde beantragen und genehmigen
lassen.
Vertreten Sie einen Kollegen bzw. eine
Kollegin, wenn Ihr eigener Unterricht zum
Beispiel wegen Abwesenheit der Schülerin-
von SARAH WANDERS
In Zeiten des
Lehrermangels
ist Mehrarbeit an vielen
Schulen zur Regel gewor-
den. Doch Lehrkräfte haben
Anspruch auf Ausgleich.
JUNGE LEHRER NRW
9
6/2019 · lehrer nrw
nen und Schüler durch Klassenfahrt ausfällt,
so können Sie dies nicht als Mehrarbeit ab-
rechnen.
Anrechenbare und nicht
anrechenbare Ausfallstunden
Es wird zwischen anrechenbaren und nicht
anrechenbaren Ausfallstunden unterschie-
den: Nicht anrechenbare Ausfallstunden
(zum Beispiel durch wetterbedingten Unter-
richtsausfall, Praktika etc.) müssen mit den
Mehrarbeitsstunden verrechnet werden. An-
rechenbare Ausfallstunden (zum Beispiel
durch Schulveranstaltungen, Eltern- und
Schülersprechtage etc.) werden auf die
Pflichtstundenzahl angerechnet und somit
nicht bei der Mehrarbeit verrechnet. Lesen
Sie dazu bitte den Runderlass in der BASS
21-22 Nr. 21, wo aufgelistet wird, wann an-
rechenbare bzw. nicht anrechenbare Ausfall-
stunden vorliegen. Sollten Sie weniger
Mehrarbeit geleistet haben, als Sie anre-
chenbare Ausfallstunden in einem Monat
haben, wird Ihnen das Gehalt natürlich
nicht gekürzt.
Teilnahme an
Klassenfahrten
Teilzeitbeschäftigte Lehrerinnen
und Lehrer im Beamtenverhältnis
können keine Mehrarbeit für die
Teilnahme an
Klassenfahrten
gel-
tend machen. Dies ist nur für teil-
zeitbeschäftigte Kolleginnen und
Kollegen im Tarifbeschäftigungsver-
hältnis möglich und muss beantragt wer-
den.
Häufig gibt es jedoch die Möglichkeit,
dass Schulleitungen verbeamtete Teilzeit-
kräfte, die an Klassenfahrten teilnehmen,
anderweitig entlasten, indem zum Beispiel
die Teilnahme an Konferenzen oder anderen
außerunterrichtlichen Veranstaltungen redu-
ziert wird. Sprechen Sie hierüber im Vorhi-
nein mit Ihrer Schulleitung.
Die Mehrarbeitsvergütung muss auf ge-
sonderten Formularen beantragt werden,
die Sie in Ihrer Schule erhalten. Es ist von
Schule zu Schule unterschiedlich, ob die
Formulare von Ihnen oder von Ihrer Schul-
leitung ausgefüllt werden. Sollte die Schul-
leitung die Formulare ausfüllen, so sollten
Sie diese auf jeden Fall noch einmal kontrol-
lieren, bevor sie an das LBV geschickt wer-
den. Es kann immer passieren, dass im hek-
tischen Schulalltag die ein oder andere ad-
hoc Vertretungsstunde nicht im System er-
fasst wurde.
Fristen zur Abrechnung
Tarifbeschäftigte müssen Mehrarbeit inner-
halb von sechs Monaten abrechnen – sonst
erlischt der Anspruch. Bei beamteten Kolle-
ginnen und Kollegen sind es drei Jahre.
Sollten Sie Fragen rund ums Thema Mehr-
arbeit haben, scheuen Sie sich nicht, Kon-
takt zu Ihren
lehrer nrw
-Personalräten auf-
zunehmen.
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Sarah Wanders ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
junge
lehrer nrw
E-Mail: wanders@lehrernrw.de
lehrer nrw ·
6/2019
10
BATTEL HILFT
Eine Kolumne wozu?
Probleme mit verhaltensoriginellen Schülern, schwierigen Eltern,
nicht immer ganz einfachen Kollegen oder ganz allgemein Stress
im Beruf kennt jede Lehrkraft. Darum startet
lehrer nrw
ab die-
ser Ausgabe eine neue Kolumne mit Dr. Stefan Battel. Der Kinder-
und Jugendpsychiater wird künftig regelmäßig Antworten auf
Fragen aus dem Lehreralltag geben.
D
D
as Mitwirken in meiner Profession
als Kinder- und Jugendpsychiater
und systemischer Familienthera-
peut in eigener Praxis mit familienthera-
peutischem Schwerpunkt in der Zeitschrift
lehrer nrw
’ ist in der Hauptsache durch
zwei Umstände motiviert. Durch meine
schulbiographische ’Selbsterfahrung’ als
sogenannter ’Schulversager’ mit nachge-
holtem Abitur entwickelte sich hinsichtlich
Schule und Lernen bei mir die Maxime,
»der erste Schritt zum Lernen ist die Liebe
zum Lehrer«.
Auf die Beziehung
zwischen Lehrer und
Schüler kommt es an
Für mich heißt das übersetzt, dass das Ler-
nen auch in der heutigen digitalen Zeit
wesentlich von der Beziehungsgestaltung
Lehrer – Schüler abhängig ist. Daraus er-
klärt sich auch meine zweite Motivations-
quelle, die gespeist ist durch meine Tätig-
keit als Kinder- und Jugendpsychiater und
der daraus resultierenden Zusammenarbeit
mit den verschiedensten Schulformen. Bei
ungefähr achtzig bis neunzig Prozent der
Anmeldungen in unserer Praxis ist ein un-
mittelbares oder zumindest randständiges
Thema im Rahmen des Schulkontextes Vor-
stellungsgrund.
Die verschiedensten Vorstellungsanlässe
wie Konzentrationsstörungen, Abklärung
von Teilleistungsstörungen, Verdacht auf
ADHS/ADS, Schulvermeidung, drohende
Suizidalität, süchtiges Verhalten etc. sind
meiner Ansicht nach nur in einem gelunge-
nen Kooperationsmiteinander zwischen
Pädagogik/Psychologie/Psychiatrie im Sin-
ne des Kindes/Schülers und dessen Familie
aufzulösen. Im ersten Schritt ist zu analy-
sieren, welche Gefühlsgrundlage bzw. wel-
che Leidensgrundlage zur entsprechenden
Symptomatik geführt hat und in welchem
Kontext diese spürbar wird.
Den schulischen Kontext
einbeziehen
Gerade im Sinne eines systemischen An-
satzes ist für mich die Einbeziehung des
schulischen Kontextes durch die persönli-
che Beziehungsaufnahme zu den entspre-
chenden Lehrern unabdingbar für das Ver-
ständnis der vorgebrachten Herausforde-
rungen, die für den Klienten nicht mehr
als diese gesehen werden, sondern teil-
weise als massive unüberwindbare Le-
bensprobleme interpretiert werden. Die
Herausforderung in der Kooperationsge-
staltung bezieht sich auf ganz alltägliche
Erscheinungen wie Terminabsprachen,
Erreichbarkeit, Ferien, Motivation etc.
Alltagsanforderungen, denen wir alle mit
mehr oder weniger Schwierigkeiten be-
gegnen.
Gleichwohl zeigt sich die oftmals über
Jahre gewachsene, als gut erlebte Koope-
ration hinsichtlich der uns anvertrauten
Schüler mit ihren Familien als ein entlas-
tendes Momentum auf allen Seiten. Symp-
tome bzw. eine Diagnose sind in den je-
weiligen Kontexten in der Regel selten
scharf begrenzt. Emotional erlebte Über-
forderungen spielen in unterschiedlicher
Ausprägung mit unterschiedlichen Adres-
saten und im jeweiligen Kontext (Schule,
Familie, Therapeut etc.) unterschiedliche
Rollen.
In den folgenden Kolumnen werde ich
versuchen, an alltagsnahen Beispielen die
Thematik zu verdeutlichen. Ich freue mich
auf einen spannenden Diskurs.
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan
Battel
ist seit 2007
niedergelassener
Facharzt für Kinder-
und Jugendpsychia-
trie und -psychothe-
rapie mit eigener Pra-
xis in Hürth bei Köln
und seit 2012 syste-
mischer Familienthe-
rapeut (DGSF). Im
Rahmen des
lehrer
nrw
-Fortbildungspro-
gramms greift er in
einer Vortragsreihe
regelmäßig verschie-
dene Themen aus
dem Bereich der Ju-
gendpsychologie auf.
MAGAZIN
11
6/2019 ·
lehrer nrw
Auf dem Weg zum ’BerufsAbitur’
S
S
eit diesem Schuljahr können in Nord-
rhein-Westfalen Jugendliche, die eine
duale Ausbildung im Handwerk beginnen,
vom ersten Tag an gezielt auf einen Doppel-
abschluss hinarbeiten: Mit dem ’BerufsAbi-
tur’ wird Auszubildenden die Perspektive
eröffnet, innerhalb von vier Jahren mit dem
Gesellenbrief einen Berufsabschluss und in
einem zweiten Schritt die Allgemeine Hoch-
schulreife zu erwerben.
Schulministerin Yvonne Gebauer: »Wir
wollen bei der Stärkung der beruflichen
Bildung in Nordrhein-Westfalen auch neue
Wege gehen und innovative Ansätze einbe-
ziehen. Ein vielversprechendes Modell ist
das ’BerufsAbitur’, in dem sich für die Ju-
gendlichen in nur vier Jahren durch den
Doppelabschluss beide Karrierewege öff-
nen: Beruf und Studium.«
Beim ’BerufsAbitur’ können Jugendliche
bereits im Rahmen der Berufsausbildung
durch zusätzliche Unterrichtsleistungen und
eine Abschlussprüfung nach drei Jahren die
Fachhochschulreife erwerben. Den hier er-
folgreichen Absolventinnen und Absolven-
ten steht anschließend die Möglichkeit of-
fen, an der Fachoberschule in einem weite-
ren Schuljahr die Allgemeine Hochschulreife
zu erwerben. Eine Teilzeitoption für Berufs-
tätige ist bei entsprechender Nachfrage
ebenfalls möglich.
Für die Erprobung des ’BerufsAbiturs’ in
Nordrhein-Westfalen machen sich das
Schulministerium und der Westdeutsche
Handwerkskammertag (WHKT) gemeinsam
stark. Das im ’BerufsAbitur’ enthaltene Mo-
dell des Fachhochschulreife-Erwerbs wäh-
rend der Berufsausbildung ist an den Be-
rufskollegs in Nordrhein-Westfalen bereits
flächendeckend eingeführt. Ergänzt durch
die Durchstiegsoption zum Abitur entsteht
in der Kombination das berufliche geprägte
’BerufsAbitur’.
Perspektiven zur Verbindung einer dualen
Ausbildung mit der Erlangung einer Hoch-
schulzugangsberechtigung gibt es nicht nur
im Handwerk, sondern auch für Auszubil-
dende anderer Fachrichtungen.
Foto: AdobeStock/industrieblick
Berufsabschluss und Abitur als
Doppelabschluss.
Diese Option bietet sich nun
für Azubis im Handwerk und anderen Fachrichtungen.
lehrer nrw ·
6/2019
12
TITEL
Begeisterung
für MINT wecken
Das Projekt MINTplus will Kin-
der und Jugendliche nachhaltig
für MINT-Themen begeistern.
Entwickelt wurde es an der
Technischen Hochschule Bingen
(TH), die in Rheinland-Pfalz mit
mehreren regionalen Koopera-
tionspartnern zusammenarbei-
tet. In den MINTplus-Laboren
experimentieren Schülerinnen
und Schüler unterrichtsbeglei-
tend mit Lego Education Mate-
rialien zu Themen aus Mathe-
matik, Informatik, Naturwis-
senschaften und Technik
(’MINT’).
I
I
m Dezember 2014 wurde an der Kaiser-
pfalz-Realschule plus in Ingelheim ein
MINTplus Labor (Schülerlabor) mit
einem umfangreichen Angebot der Lego
Education Serie eingerichtet. Der Platz und
die Materialien bieten den Schülerinnen und
Schülern einen Raum zum Tüfteln und Expe-
rimentieren.
Das Projekt startete 2015 zunächst mit
drei Partnerschulen in Rheinhessen: Der Kai-
serpfalz-Realschule plus und dem Sebasti-
an-Münster-Gymnasium in Ingelheim sowie
der Rochus-Realschule plus in Bingen. Im
darauffolgenden Jahr schloss sich eine vier-
te Schule, die Integrierte Gesamtschule
Mainz-Bretzenheim, dem Projekt an.
2017 wurde das Projekt mit der Errich-
tung eines weiteren MINTplus Labors sowie
einer eigenen MINTplus Koordinierungsstel-
le vor Ort auf die Region Kirn ausgeweitet.
Die beiden Realschulen plus Auf Halmen
und Auf Kyrau starteten im ersten Schul-
halbjahr 2017/2018 als fünfte und sechste
Partnerschule.
MINTplus Pädagogik
MINTplus ist ein interdisziplinär ausgerich-
tetes Projekt, das auf der organisatorischen
Ebene die Institutionen Schule und Hoch-
schule sowie die Unternehmen, d.h. Partner-
unternehmen und deren Ausbildungsberei-
Fotos: TH Bingen
Im Unterricht werden Materia-
lien der Lego Education Serie einge-
setzt, mit denen die Schülerinnen und
Schüler tüfteln und experimentieren
können.
TITEL
13
6/2019 ·
lehrer nrw
che, vernetzt. Auf der inhaltlichen Ebene
werden durch das Projekt Lego Education
Materialien zur Veranschaulichung von
MINT-Themen/Phänomenen/Aspekten in
den Schulunterricht und Ausbildungsbereich
integriert und nach erfolgreichem Einsatz
auch in den Regelunterricht implementiert.
Dafür arbeiten die Projektmitarbeiterinnen
und Projektmitarbeiter eng mit den Lehre-
rinnen und Lehrern zusammen und entwi-
ckeln gemeinsam Unterrichtskonzepte und
Module. Beim Einsatz dieser Module im Un-
terricht werden die Lehrkräfte der Partner-
schulen von Studierenden der Technischen
Hochschule oder Auszubildenden der Indus-
triepartner unterstützt.
Das Projekt ist konstruktivistisch ausge-
richtet, d.h. das Lehren und Lernen im
MINTplus Labor und an den Projektschulen
mit den MINTplus Materialien bietet einen
Rahmen, in welchem Lernende gemeinsam
situiert, entdeckend, kreativ, selbstständig
sowie problemlösungsorientiert lernen kön-
nen. Die Lehrenden haben hierbei die Aufga-
be, den Rahmen für den projektorientierten
Unterricht festzulegen und als Berater und
Begleiter für Fragen und Probleme im Lö-
sungsprozess einer Aufgabe zur Verfügung
zu stehen. Je nach Klasse und Eigenschaften
der Schülerinnen und Schüler, kann der pro-
jektorientierte Unterricht von ’sehr offen’ bis
’gemäßigt offen’ gestaltet werden.
Die Durchführung der Module im Regelun-
terricht – angelehnt an die Themenfelder des
rheinland-pfälzischen Rahmenlehrplans – er-
möglicht zunächst eine genderneutrale An-
sprache der Schülerinnen und Schüler. Je
nach klassenspezifischer Situation lassen
sich aber auch gezielte Angebote speziell für
Mädchen oder für Jungen realisieren.
Klare Strukturen und
Handlungsspielräume
Um dem konstruktivistischen Grundgedan-
ken, welchen das Projekt verfolgt, gerecht
werden zu können, ist es wichtig, eine Lern-
umgebung für das ’selbstgesteuerte Lernen’
zu etablieren, die klare Strukturen und
Handlungsspielräume definiert, die ein
handlungsorientiertes, praxisnahes und ent-
deckendes Lernen überhaupt erst ermögli-
chen. Im Folgenden werden beispielhaft
Aspekte zur Ausführung und somit für den
Ablauf im Unterricht aufgeführt:
Der Unterricht mit den Lego Education
Materialien enthält klare Aufgabenstel-
lungen und Themen, die hauptsächlich in
Teamarbeit und eigenständig bearbeitet
werden. Der Einstieg in den Unterricht er-
folgt nach einer kurzen Einführung ins
Thema zunächst ’haptisch’, d.h. mit dem
Bau eines Lego-Modells:
Praxispart:
Bau eines Modells, d.h. eine Bauanleitung
genau lesen und umsetzen; Probleme/
technische Fehler erkennen und im Zwei-
erteam lösen, gegebenenfalls Optimie-
rung der Mechanik und somit Ideen wei-
terentwickeln.
Damit während des Praxisparts keine
größeren Zeitprobleme entstehen, wird
von Seiten des MINTplus Projektes für
ausreichend Unterstützung der Kleingrup-
pen durch Assistenten und Assistentinnen
der Partnerunternehmen gesorgt. An
manchen Schulen ist es auch möglich,
eine zweite Lehrkraft für den Unterricht
einzuplanen.
Nach dem Bau des Modells erfolgen je
nach Bedarf kurze Theoriephasen,
MINTplus Labor an der Kaiserpfalz-Realschule plus in Ingelheim
lehrer nrw ·
6/2019
14
TITEL
I
n Nordrhein-Westfalen hat die Landesvereini-
gung der Unternehmensverbände NRW, un-
ternehmer nrw, in Zusammenarbeit mit MINT-
Experten aus Schulen, Unternehmen, Hoch-
schulen und Ministerien ein eigenes MINT-Zer-
tifizierungsverfahren entwickelt und den Auf-
bau eines Exzellenz-Netzwerks für Schulen der
Sekundarstufe I initiiert: ’MINT Schule NRW’.
NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer hat die
Schirmherrschaft übernommen.
Adressiert werden alle Schulformen der
Sekundarstufe I (außer Gymnasien), die über
eine vollständige Sekundarstufe I verfügen.
Zertifizierte Schulen werden in das Exzellenz-
Netzwerk MINT Schule NRW aufgenommen
und profitieren von speziellen MINT-Förder-
angeboten wie MINT-Camps für Schülerinnen
und Schüler, MINT-Lehrfortbildungen und
dem landesweiten Netzwerk-Treffen ’MINT-
Tag NRW’. Nach Angaben der Initiatoren ist
MINT Schule NRW mit 66 Schulen das bun-
desweit größte MINT-Exzellenz-Netzwerk für
die Sekundarstufe I. Eine ehrenamtlich täti-
ge MINT-Jury mit Vertretern aus Schulen,
Unternehmen, Hochschulen, Ministerien und
Verbänden übernimmt die Begutachtung
der Bewerbungsunterlagen und die Durch-
führung der Schulaudits. Das Siegel MINT
Schule NRW ist drei Jahre lang gültig, da-
nach werden die Schulen zur Rezertifizie-
rung eingeladen.
MINT Schule NRW
INFO
https://bwnrw.de/schulewirtschaft/aktivitaeten/MINT
Eigenständig oder in Teamarbeit
entwerfen und bauen die Schülerinnen und Schüler
aus den Lego-Materialien verschiedene Modelle.
KONTAKT
TH Bingen – MINTplus
Prof. Dr.-Ing. Peter Leiß
Dipl.-Päd. Maria Müller
Dipl.-Päd. Hannah Hoffmann
mintplus@th-bingen.de
http://mintplus.th-bingen.de
um Fachbegriffe, Inhalte sowie gegebe-
nenfalls Verständnisprobleme hinsichtlich
Mechanik, Funktionsweisen und Alltags-
bezug des Modells zu klären.
Theoriepart:
Erarbeitung von Fachwissen, d.h. vor,
während und nach dem Praxispart finden
entweder kleinere Theorie-Inputs durch
die Lehrkraft oder in den Zweierteams in
Gruppenarbeit statt. Es können unter-
schiedliche Informationsquellen genutzt
werden, hierzu wird individuell angeleitet.
Mit Hilfe von Transferaufgaben werden
Funktionen und dazu passende Fachinhal-
te visualisiert und in Form von Versuchen
dokumentiert. Somit wird das Modell
nicht nur haptisch von der Zweidimensio-
nalität in die Dreidimensionalität transfe-
riert, sondern es werden direkt Bezüge zu
Fachinhalten am Modell hergestellt.
Hierfür ist auch der Einsatz von digita-
len Medien als Dokumentationswerkzeu-
ge sinnvoll, da der ’Blick durch die Kame-
ra’ oft einen ’anderen Blickwinkel’ auf das
Lego Modell ermöglicht und somit even-
tuell neue Erkenntnisse ermöglicht oder
Fragen, die bisher ungelöst waren, gelöst
werden können. Die Dokumentationen
können zum Beispiel in Form von Portfo-
lios/ePortfolios oder kleineren Videotutori-
als, in denen das Modell von den Schüle-
rinnen und Schülern erklärt wird, in eine
Bewertung einfließen.
Beide Phasen fördern somit:
· Teamarbeit/Konzentration
· Haptik/Fingerfertigkeit
· Logisches Denken –
Bildung individueller Wissensnetzwerke
· Bildung systematischer Denkweisen
· Medienkompetenz
· kollaboratives und eigenständiges
Lernen
Ausblick
Unsere Erfahrungen aus den letzten vier
Jahren MINTplus Projekt haben uns gezeigt,
dass das Projekt auf vielen Ebenen positive
Effekte für den naturwissenschaftlichen Re-
gelunterricht an Schulen erzeugt. Inwiefern
dies ein Modell für weitere Schulen sein
könnte, bleibt in den nächsten Projektjahren
zu untersuchen.
Der in 2018 ausgeschriebene Förderwett-
bewerb für MINT-Regionen in Rheinland-
Pfalz ermöglichte es uns, das Projekt auch
auf Landesebene bekannter werden zu las-
sen. Die hieraus entstehenden MINT-Netz-
werke mit Partnern aus unterschiedlichsten
Bereichen sind eine Bereicherung für das
Projekt. Wir hoffen, in Zukunft auch für
weitere Schulen (außerhalb des Projektes)
Best-Practice Beispiele zur Verfügung stel-
len zu können, aus denen Unterrichtskon-
zepte für den Nawi-Unterricht resultieren,
die fest in den Schullehrplan eingeplant
werden.
Deutschland verdummt –
auch, weil heute vielfach schon Klein-
kinder auf Smartphones und Tablets
konditioniert werden. Darum fordert
Dr. Michael Winterhoff, Kinder bis zum
zehnten Lebensjahr möglichst umfas-
send vor Digitalisierung zu schützen.
15
6/2019 · lehrer nrw
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen!
»Wir schaffen Lehrer und Erzieher als Bezugsper-
sonen ab und degradieren sie zu Lernbegleitern –
und das finden einige auch noch toll und fort-
schrittlich.«
S
chule ist zu einem Spielfeld für Ideologen ver-
kommen, die sich eine Lernmethode nach der
anderen einfallen lassen. Der gemeinsame Nenner:
Kinder sollen autonom lernen. Doch genau das ist
ihnen definitiv nicht möglich. Was die Kinder
Foto: AdobeStock/Ermolaev Alexandr
:
Wie das Bildungssystem die
Zukunft unserer Kinder verbaut
Der bekannte Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff stellt in seinem neuen Buch
eine schonungslose Diagnose: »Deutschland verdummt«. Dies ist zugleich auch der Titel des
Werks, aus dem wir hier einige Thesen vorstellen.
am dringendsten brauchen, wird ihnen verweigert: Er-
wachsene, die sie an die Hand nehmen und ihnen den
Weg in die Selbstbestimmtheit zeigen. Ohne diese Unter-
stützung kann sich ihre Psyche nicht entwickeln. So wer-
den aus auf sich gestellten Kindern beziehungs- und ar-
beitsunfähige Erwachsene, ohne Chance auf ein erfüll-
tes Leben. Sie werden zu einer Gefahr für die mühsam
erkämpften Errungenschaften einer funktionierenden
Solidar-Gesellschaft.
Die Grundschule muss
eine digitalfreie Zone sein!
»Je früher Kinder mit Smartphones, Tablets und
Computern konfrontiert werden, desto autistoider
werden sie, von den narzisstischen und egomani-
schen Verhaltensweisen eines Kleinkindes kommen
sie dann nicht los.«
W
as mir als Kinder- und Jugendpsychiater beson-
ders wichtig ist: Kindergärten und Grundschu-
len müssen digitalfreie Oasen sein; wir müssen Kinder
bis zum zehnten Lebensjahr möglichst umfassend vor
Digitalisierung schützen, statt sie auch noch willent-
lich hineinzustoßen. Sie werden nicht nur von Bewe-
gung, direkten Erfahrungen und direkter Kommunika-
tion abgehalten, sie werden auch in ihrem Kleinkind-
Weltbild bestätigt: Ich wische, also passiert etwas. Das
Internet sorgt für permanente Lustbefriedigung. Nicht
entwickelte Kinder und Jugendliche werden in ihrer
Kleinkind-Vorstellung bestätigt, sich jederzeit bedie-
nen und alles steuern zu können. Gleichzeitig werden
sie durch die Reizüberflutung völlig überfordert und
rutschen in eine Parallelwelt ab. Wir brauchen keine
Kinder, die mit Computern umgehen können, sondern
Kinder, die über eine entwickelte Psyche verfügen. Ein
Mensch mit entwickelter Psyche kann sich mit jeder
Technik auseinandersetzen, für die er sich interessiert.
Viel mehr brauchen wir Erwachsene, die Ideen haben,
die umsichtig sind, weitsichtig, im Voraus und kreativ
denken.
Ohne Anleitung keine Entwicklung
»Skandalös ist: die Ideen kommen nicht von Lehrern,
sondern von der OECD, Wirtschaft und Ideologen.
Über die Köpfe von Eltern und Lehrern hinweg wurde
von Bildungspolitikern unser gesamtes Bildungs-
wesen verändert zum großen Schaden unserer Kinder
A
uch wenn die Anhänger des ’offenen Unterrichts’
dies nicht wahrhaben wollen – vor die Wahl gestellt,
suchen sich Kinder meist das aus, was sie schon können
(das tun wir Erwachsenen übrigens auch). Damit ein Kind
Fortschritte macht, braucht es die Aufforderung des Er-
wachsenen: »Komm, versuch das mal! Ich denke, du
schaffst das!« Die Ideologen, die uns das aktuelle Bil-
dungssystem mit seinem Konzept des ’offenen Unterrichts’
eingebrockt haben, und ihre Fans glauben ganz aufrich-
tig, die Kinder damit zu befreien. Möglich ist dieser Irrtum
nur durch eine Beziehungsstörung, die in der Psychoana-
lyse Projektion genannt wird: Ein Erwachsener projiziert
seine eigenen Wünsche und Gefühle auf das Kind. Das
heißt, er sieht das Kind gar nicht als Kind, das eigene Be-
dürfnisse hat und auf seinen Schutz angewiesen ist, son-
dern sozusagen als Avatar, den er mit eigenen Wünschen
und Bedürfnissen ’füllt’. Kurz gesagt: Das Kind muss einen
Pullover anziehen, weil die Mutter schnell friert.
Emotionale und soziale Intelligenz
»Auch der heute vielerorts zur Normalität gewordene
Schullärm ist ein unübersehbares Zeichen dafür, dass
die verfehlte Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte
ihre Schutzbefohlenen allein lässt – genau das ist
eine unglaubliche Katastrophe.«
W
enn ich also sage: Deutschland verdummt, dann
meine ich damit nicht nur, dass die Kinder in der
Schule immer weniger lernen und immer weniger über
die emotionale und soziale Intelligenz verfügen, die sie
für ein Miteinander in der Gesellschaft dringend benöti-
gen würden. Dass es so ist, ist ein großes Versagen der Er-
wachsenen. Doch die Sache mit der Dummheit und Ver-
wahrlosung geht ja noch viel weiter. Aus Kindern mit
nicht entwickelter Psyche werden Erwachsene mit nicht
entwickelter Psyche. Es ist eine große Not, in der sich un-
sere Gesellschaft in zehn, zwanzig Jahren befinden wird.
Ein soziales Miteinander kann nur einen begrenzten An-
teil an Menschen vertragen, die sich wie Autisten, Nar-
zissten, Egomanen benehmen. Wird nicht umgehend die
Bildungspolitik wieder auf die Bedürfnisse des Kindes
eingestellt und mit der Irrlehre aufgeräumt, dass ein Kind
weder Bindung noch Beziehung braucht, ist das gesamte
Gefüge unserer Gesellschaft in Gefahr. Wenn wir es so
weiterlaufen lassen wie bisher, wird gegen das, was auf
uns zukommt, der heutige dramatische Fachkräfteman-
gel nur ein laues Lüftchen vor dem Sturm sein.
16
6/2019 · lehrer nrw
Leistung nicht erreicht?
Anforderungen senken!
»An einer mir bekannten Hauptschule lautete
die Begründung für die Abschaffung der
Hausaufgaben: ‘Die Kinder machen sie ja
sowieso nicht.‘«
E
s ist immer dasselbe: Leistungsanforderun-
gen werden heruntergesetzt oder gar ganz
gestrichen, weil man sie unter den gegebenen
Bedingungen gar nicht mehr durchsetzen kann,
und man redet sich ein, es wäre viel besser so.
Basierend auf diesem Ansatz wurden zuletzt die
Verbundschreibschrift und die Rechtschreibung
in den Grundschulen abgeschafft. Und weil die
Leistungen der Kinder immer weiter abrutschen,
lautet die Devise: »Der Unterricht ist eben noch
nicht offen genug, die Erwachsenen müssen sich
noch mehr aus dem Lernprozess herausnehmen,
damit sich der Erfolg einstellt!« Das ist so, als
wenn ein Arzt seinem Patienten, dem er wegen
einer Fehleinschätzung ein falsches Medikament
verschrieben hat und dem es immer schlechter
geht, immer höhere Dosen des gleichen Medika-
ments verabreichen würde. »Irgendwann muss es
doch wirken!«
Reden ist nur Silber
»Das Wichtigste, was wir Menschen in der
Gesellschaft brauchen (wichtiger als Lesen,
Schreiben und Rechnen zu erlernen), ist die
Entwicklung der emotionalen und sozialen Psy-
che. Nur wenn das Kind angeleitet und beglei-
tet wird, wenn ihm viele Dinge abverlangt und
eingeübt werden, kann sich die Psyche bilden.«
E
s ist ein Trugschluss, man könne Kindergar-
ten- und Grundschulkindern die Welt übers
Reden und Erklären begreiflich machen. Die
Grundvoraussetzung des Lernens ist die Entwick-
lung der Psyche, welche allein über Bindung und
Orientierung der Kinder geschieht. Ohne diese
Grundvoraussetzungen jeder Pädagogik kann
keine Entwicklung der kindlichen Psyche stattfin-
den. Durch das heute an Schulen vorgeschriebe-
ne ’autonome Lernen’ wird sie sogar aktiv verhin-
dert.
17
6/2019 · lehrer nrw
DAS BUCH
Bildung in Deutschland: eine Katastrophe. Kin-
der und Gesellschaft nehmen Schaden! In sei-
nem neuen Buch redet Bestsellerautor
Michael
Winterhoff
Klartext, zeigt anhand vieler Beispiele
aus seiner langjährigen Praxis als Kinder- und
Jugendpsychiater, aber auch aus zahlreichen
Rückmeldungen zu seinen Büchern und Vorträ-
gen, was heute in Kitas und Schulen falsch läuft
– so falsch, dass in seinen Augen die Zukunft un-
serer Gesellschaft gefährdet ist. Leidtragende
sind für ihn die Kinder, die man quasi sich selbst
überlässt. Winterhoff verharrt nicht bei der Be-
standsaufnahme und Analyse, er zeigt konkrete
Lösungen und Maßnahmen auf und fordert un-
ter anderen eine groß angelegte Bildungsoffensi-
ve: Weg von Kompetenzorientierung und den un-
freiwillig zu Lernbegleitern degradierten Lehrern,
hin zu echter Bildung und Pädagogen, die den
Kindern wieder ein Gegenüber sein dürfen.
Denn nur die Orientierung an Bezugspersonen
ermöglicht die Entwicklung von emotionaler
und sozialer Psyche.
Michael Winterhoff:
Deutschland verdummt. Wie
das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder
verbaut,
20,00 Euro (empfohlener VK-Preis)
ISBN: 978-3-579-01468-5
18
6/2019 · lehrer nrw
Deutschland verdummt –
eine Leseprobe
Vor der Jahrtausendwende konnte ein Kind mit hoher
Wahrscheinlichkeit noch darauf zählen, dass seine Psy-
che in Elternhaus, Kindergarten und Schule durch Bin-
dung und Beziehung entwickelt und es so fit fürs Leben
gemacht wurde. Die Erwachsenen erschlossen ihm intui-
tiv den Zugang zu gedanklichem Reichtum und geisti-
ger oder handwerklicher Kreativität. Heute dagegen
sieht es für die meisten Kinder ganz anders aus. Sie müs-
sen viel Glück mit ihren Eltern, Erziehern und Lehrern
haben, damit sie zu selbstständigen Erwachsenen wer-
den, die gut mit sich selbst und anderen Menschen zu-
rechtkommen und zum Erfolg der Gesellschaft beitra-
gen. Diejenigen, die dieses Glück nicht haben, finden
sich auf einem ganz anderen Gleis wieder:
1. Sie werden sich selbst überlassen und sind auf sich
allein gestellt.
2. Sobald sie als Jugendliche Elternhaus und Schule
verlassen, zeigt sich, dass sie nicht in der Lage sind,
sich in der Welt zurechtzufinden.
Diese beiden Feststellungen will ich in diesem Kapitel
ausleuchten. Zuerst zum ersten Punkt. Wenn ein Kind
– wie in modernen Bildungskonzepten gewünscht –
autonom lernen soll, werden Bindung und Beziehung zu
Erziehern und Lehrern aktiv unterbunden. Gerade in Kin-
dergarten und Grundschule sind Kinder jedoch sehr
stark an Erwachsenen orientiert. Ohne Gegenüber ha-
ben sie weder Halt, noch Orientierung, noch Sicherheit.
Der große Irrtum der Erwachsenen, die Kinder als kleine
Erwachsene sehen, die ihre Hilfe nicht benötigen, über-
fordert das Kind und führt zu abstrusen Situationen. Eine
Begebenheit, von der mir eine Mutter berichtete, soll hier
als Beispiel dafür dienen, welche völlig überzogenen Er-
wartungen schon an die Kleinsten gestellt werden:
In einer Kita geht ein zwei Jahre und drei Monate alter
Junge bei Regenwetter in den Garten. Als die Mutter ihn
nachmittags abholt, sind seine Schuhe zum Auswringen
nass. Auf ihre Frage an die Kita-Leiterin, warum denn
niemand darauf geachtet hat, dass ihr Sohn die Gummi-
stiefel anzieht, bekommt sie die Antwort: »Er hat es selbst
so entschieden.«
Genau das, was das Kind von Natur aus braucht,
nämlich liebevolle Zuwendung und Schutz, bekommt es
heute vielerorts nicht. Es wird in seiner Bedürftigkeit
nicht gesehen, emotional vernachlässigt und ist auf sich
allein gestellt. Ich weiß, für all jene engagierten Lehrer
und Erzieher, denen in ihrer Ausbildung fälschlich bei-
gebracht wurde, dass Kinder sich von ganz allein genau
das holen, was sie brauchen, ist diese Aussage ein Tief-
schlag. Ihre Schüler emotional zu vernachlässigen ist
das Letzte, was sie im Sinn haben. Und doch muss ich als
Kinderpsychiater sagen: Der Rückzug der Lehrer aus der
Beziehung zum Kind, so wie er heute vor allem in der
Grundschule stattfindet, gibt den Kindern keine Chance
auf eine Entwicklung in ihrer emotionalen und sozialen
Psyche oder auch Intelligenz. […]
Wenn nicht umgehend wieder die Beziehung zwi-
schen Lehrer und Schüler in den Mittelpunkt des Unter-
richts gesetzt wird, dürfen wir uns darauf einstellen, dass
Schulen, an denen Lehrer sich nicht mehr durchsetzen
können und sogar Angst vor den Schülern haben müs-
sen, vollends zur Normalität werden. Die Sicht, dass
Schüler in vieler Weise auf sich gestellt sein sollen und
der Lehrer nur noch begleitet, verbunden mit der Igno-
ranz, die hohe Anzahl an problematischen nicht schul-
reifen Kindern berücksichtigen zu wollen, und die damit
verbundene Gewalt an den Schulen sind die Ernte, die
die Schulpolitik der letzten zwanzig Jahre gesät hat. Na-
türlich stehen auch die Eltern in der Pflicht. Doch gerade
dann, wenn Eltern ihren Kindern kein orientierendes Ge-
genüber mehr sind, dürfen die betroffenen Kinder nicht
allein gelassen werden. Wenn immer weniger Kinder in
den Familien eine kindgerechte Förderung erfahren,
müssen die Schulen dringend die Pflichten der Eltern
mit übernehmen. Aber das tun sie nicht. Ganz im Ge-
genteil. Indem auch sie die Kinder alleinlassen, nehmen
sie ihnen ihre letzte Chance auf eine Entwicklung.
DER AUTOR
Dr. Michael Winterhoff,
geboren 1955, Dr. med.,
ist Facharzt für Kinder-
und Jugendpsychiatrie
sowie Psychotherapie in
Bonn. In seinen bisheri-
gen sehr erfolgreichen
Büchern analysiert er
gesellschaftliche Ent-
wicklungen mit Schwer-
punkt auf den gravie-
renden Folgen verän-
derter Eltern-Kind- Bezie-
hungen für die psychische Reifeentwicklung junger
Menschen und bietet Wege aus diesen Beziehungs-
störungen an. Winterhoff lebt und arbeitet in Bonn.
Über sein neues Buch und über die Situation des
Bildungswesens in Deutschland spricht Winterhoff als
Referent beim Mülheimer Kongress am 27./28.11.2019.
Foto: Peter Wirtz
SCHULE & POLITIK
Anekdoten über sonderbare Menschen
E
E
lke Massin, die im französischen Salles
d’Aude lebt, ist seit fünfzig Jahren Mitglied
des Realschullehrerverbandes/
lehrer nrw
. Sie
unterrichtete Fremdsprachen an diversen
Realschulen in Dortmund, Herne, Schwerte
und Hagen und war in einem vierzehn Jahre
währenden Afrika-Engagement Deutschlehre-
rin an einer Militärakademie in Obervolta
(jetzt Burkina-Faso) und an einem renommier-
ten Gymnasium in Dakar (Senegal).
Ihr Ehemann, Dr. Rolf Massin, war dort in
der Fortbildung afrikanischer Deutschlehrer
und als Autor des vierbändigen, in acht Län-
dern Westafrikas eingeführten Lehrbuches
’Ihr und wir’ (1. und 2. Fremdsprache) tätig.
Rolf Massin hat nach ’Strumpf – aus dem
Leben eines afrikanischen Hundes’ und ’Der
Weg zum Miteinander’ (eine Sammlung von
Geschichten aus der europäischen Städte-
partnerschaftsbewegung), beide erschienen
im ANNO-Verlag (Ahlen), nun ein Buch ge-
schrieben, das das Ergebnis von Erlebnissen
und Beobachtungen des Ehepaars in seiner
Wahlheimat Südfrankreich ist.
Es trägt den Titel ’Nous sommes tous
aimables’ (’Wir sind alle freundlich’). In der
Tat stehen im Mittelpunkt der Anekdoten
sonderbare Menschen, die in ihrer Schlicht-
heit und ihrer Bescheidenheit trotz oder
vielleicht auch wegen ihrer Fehler und
Schwächen einfach nur liebenswert sind.
Das Buch umfasst 180 Seiten und ist er-
schienen im IfB Verlag, Paderborn.
Foto: privat
Dr. Rolf Massin und Elke Massin
lehrer nrw · 6/2019
20
SCHULE & POLITIK
Textile
Total-
ausfälle
Schlabberlook, zerrissene Jeans und bauchfreie Outfits mit freier
Aussicht aufs Bauchnabelpiercing verursachen an mancher Schule
nicht nur Bekleidungs-Ästheten Augenschmerzen. Eine Realschule
in Ostwestfalen zeigt klare Kante gegen modische Ausfälle.
E
E
s war einmal eine Realschule in Ost-
westfalen, an der Schülerinnen und
Schüler in legerer Freizeitkleidung –
also am liebsten mit Jogginghosen in der
Lieblingsfarbe grau – chillige Unterrichtsta-
ge verbrachten und ’Lernen’ sowie ’Arbei-
ten’ zu Fremdwörtern geworden waren.
Stattdessen flegelten sie sich in den Unter-
richtsstunden auf den Stühlen und Tischen
herum. Bei Unterrichtsgängen benahmen
sich diese Schülerinnen und Schüler wie ei-
ne Horde Affen ohne jegliches Benehmen
und hinterließen einen peinlichen Eindruck
in der Öffentlichkeit. Insbesondere dies
missfiel den Lehrkräften, da sie sich für ihre
Klasse schämten, und sie beschlossen auf
einer Konferenz, über eine neue Kleiderver-
ordnung nachzudenken.
Wie aus Affenhorden
disziplinierte Schüler-
gruppen werden
Die mutigsten Lehrkräfte gingen vorweg
und gaben ihren Schülerinnen und Schülern
Foto: AdobeStock/areebarbar
einfach die Anordnung, sie mögen bitte bei
außerschulischen Aktivitäten ordentlich ge-
kleidet erscheinen, andernfalls blieben sie in
der Schule und nähmen am Unterricht in
einer anderen Klasse teil. Da Schülerinnen
und Schüler im Allgemeinen alles außerhalb
von Schule gut finden, war es ein Leichtes,
sie so in zivilisierte Menschen zu verwan-
deln. Sie fanden in ihren Kleiderschränken
plötzlich gute Jeans und passende T- oder
Sweatshirts. Auf diese Art und Weise wur-
den sie ganz ungewollt zu Forschungsobjek-
ten. Ihre Lehrerinnen und Lehrer stellten
überraschenderweise ein verändertes Ver-
halten fest: Aus den Affenhorden wurden
disziplinierte Schülergruppen, die sich ent-
sprechend der Situation geradezu vorbild-
Mehr Löcher als Stoff: Angemessene Kleidung im
Schulalltag wird in immer mehr Schulen zum Thema. Eine
Realschule in Ostwestfalen hat klare Regeln erlassen.
SCHULE & POLITIK
lich in der Öffentlichkeit zu benehmen wuss-
ten. Dieser Erfolg motivierte nun alle Lehr-
kräfte dieser Schule, den gleichen Weg ein-
zuschlagen.
Falsche Klamotten an?
Ab zum Umziehen!
Dann bekam man eines Tages überraschend
Schützenhilfe von einer anderen Realschule
in Ostwestfalen, die ganz konsequent eine
Kleiderverordnung für jeden Schultag be-
schlossen hatte, und dieses in der Presse
veröffentlichte. Das war die Vorlage für un-
sere Realschule, die sich daraufhin in der
Schulkonferenz über bereits gemachte Er-
fahrungen austauschte und nun ihrerseits
einstimmig beschloss, dass die neue Kleider-
verordnung für jeden Schultag offiziell auch
an ihrer Schule Gültigkeit erlangt. Wer sich
nicht an die neue Verordnung hält, wird zum
Umziehen nach Hause geschickt. Statt halb
leerer Klassenzimmer, die man nun erwartet
hatte, sieht man gepflegte und gut geklei-
dete Jungen und Mädchen, die nun auch an
heißen Tagen auf bauch- und schulterfreie
Oberteile verzichten müssen. Was niemand
zu glauben gewagt hatte, ist eingetreten:
Die ’Chill out Zone’ im Klassenraum ist wie-
der zu einem Ort des Lernens und Arbeitens
zurück mutiert. Kleider machen Leute und
salonfähige Kleidung einen effektiven
Schulalltag.
Astrid Pradella
Karl Lagerfeld soll mal gesagt haben: »Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle
über sein Leben verloren.« Angesichts der (Bein)Kleidung in manchen Schulen dürf-
te sich der Modezar schon manches Mal im Grab umgedreht haben.
In manchen Schulordnungen finden sich deshalb klare Regeln. Die ’Westdeutsche
Zeitung’ und der WDR zum Beispiel berichten über eine Realschule in Bad Oeyn-
hausen, die Schmuddel-Jogginghosen aus dem Schulalltag verbannt hat. Auf Be-
schluss der Schulkonferenz sei ein Verbot für Jogginghosen und Kappen im Unter-
richt erlassen worden. Wer sich nicht daran halte, werde dreimal verwarnt und
beim vierten Mal zum Umziehen nach Hause geschickt. Die Realschule in Bad
Oeynhausen ist kein Einzelfall. Die ’Westdeutsche Allgemeine Zeitung’ (WAZ) be-
richtet von zwei Duisburger Schulen, die ebenfalls ein Jogginghosen-Verbot be-
schlossen haben.
Das Schulgesetz mache zur Kleiderordnung an Schulen keine Vorgaben, erlaube
es den Schulen jedoch, selbst entsprechende Regelungen zu fassen.
jos
KAMPF DER JOGGINGHOSE
Fotos (2): HWK Düsseldorf / Wilfried Meyer
Andreas Ehlert, Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf (Mitte), mit Schulministerin Yvonne Gebauer (6.v.r.) und den Tagungsteilnehmenden.
Rechts und links der Schulministerin die beiden
lehrer nrw
-Vertreter Brigitte Balbach und Dieter Peters.
lehrer nrw · 6/2019
22
SCHULE & POLITIK
Ökonomische Bildung und
Fach Wirtschaft
Das Schulfach Wirtschaft stand im Mittelpunkt einer Bildungs-
konferenz zum Thema ’Ökonomische und berufliche Bildung’
am 26. September in der Handwerkskammer Düsseldorf.
Neunzehn Wissenschaftler, Politiker, Praktiker aus der
Wirtschaft und Pädagogen brachten ihre Expertise ein.
W
W
elche Perspektiven ergeben sich
aus der Einführung des neuen
Faches Wirtschaft für die Berufs-
orientierung und Berufsvorbereitung an
allgemeinbildenden Schulen? Welcher Stel-
lenwert kommt der ökonomischen Bildung
innerhalb der beruflichen Bildung zu? Die-
se Fragestellungen bildeten die Leitfragen
im Austausch zwischen Wirtschaft, Schul-
praktikern, Wirtschafts- und Berufspädago-
gen in der Handwerkskammer Düsseldorf
am 26. September 2019.
Nach dem Einführungsvortrag über
Stand und Perspektiven der ökonomischen
Bildung in Deutschland von Prof. Dr. Dirk
Loerwald beschäftigten sich die Workshops
mit den Erwartungen von Schulen und Un-
ternehmen hinsichtlich der ’Orientierung in
der Arbeits- und Berufswelt in der Sekun-
darstufe I’, der ’Vorbereitung auf die Ar-
beitnehmer- und Unternehmerrolle’ und
der ’Vorbereitung auf die Staats- und Wirt-
schaftsbürgerrolle’.
Acht Lehrpläne in Arbeit
Große Erwartungen richteten sich auf
den Vortrag von Schulministerin Yvonne
Gebauer zum aktuellen Stand des Schul-
faches Wirtschaft. Fünf Kommissionen er-
stellen zurzeit acht Lehrpläne: einen für die
Hauptschule, vier für die Realschule, drei
für die Gesamtschule/Sekundarschule. Die
Inkraftsetzung erfolgt zum 1. August 2020.
Die Verbändebeteiligung ist für Februar bis
April 2020 vorgesehen. Signifikant erkenn-
Wissenschaftler, Politiker, Praktiker aus der Wirtschaft und Pädagogen
befassten sich in Düsseldorf mit Chancen und Perspektiven der ökonomischen Bildung.
SCHULE & POLITIK
bar sollen auch Anforderungen der Bildung
in der digitalen Welt und der Berufsorien-
tierung sein. Die Einführung des Faches
Wirtschaft gehe nicht zu Lasten der politi-
schen Bildung, betonte Gebauer.
Eigenständiges Fach
für die Realschulen
An der Realschule gibt es ein eigenständi-
ges Fach Wirtschaft im Kernbereich, die
Erfahrungen aus dem erfolgreichen Mo-
dellversuch (2010 bis 2014) werden be-
rücksichtigt. Das bestehende Fach Politik
wird inhaltlich neu konturiert. Aus dem Be-
reich der Ergänzungsstunden werden drei
bis vier Wochenstunden verlagert, so dass
für beide Fächer elf Wochenstunden zur
Verfügung stehen. Es gibt auch im Sinne
einer ’gestärkten pädagogischen Freiheit’
der Realschulen die Option, einen Verbund
mit Politik anzubieten, um ein erhöhtes
Stundenvolumen zu erreichen (durchgängi-
ger Unterricht in der Sekundarstufe I wäre
möglich).
In der Hauptschule heißt das Fach ’Wirt-
schaft und Arbeitswelt’. An der Gesamt-
schule/Sekundarschule wird das Fach Wirt-
schaft-Politik dem Lernbereich Gesell-
schaftslehre zugeordnet, Arbeitslehre wird
aufgelöst, Technik und Hauswirtschaft wer-
den Einzelfächer. Interessant dürfte jeweils
die inhaltliche Abgrenzung des Kernfaches
Wirtschaft zum Wahlpflichtbereich Wirt-
schaft sein.
Lehrkräfte werden insbesondere in Form
von Zertifikatskursen ’Wirtschaft-Politik’
qualifiziert. Die Bezirksregierung Köln hat
seit dem Schuljahr 2019/2020 damit be-
gonnen, weitere werden folgen. Ein Erwei-
terungsstudiengang Wirtschaft wird ange-
boten, mit dem Lehrkräfte eine (dritte)
Lehrbefähigung erlangen können.
Podiumsdiskussion mit
lehrer nrw
-Beteiligung
lehrer nrw
wird die Konzeption der Kernlehr-
pläne und die Einführung weiterhin kritisch
begleiten. Bei der anschließenden Podiums-
diskussion, an der auch die
lehrer nrw
-Vor-
sitzende Brigitte Balbach teilnahm, ging es
um die Fragen, was das Fach Wirtschaft zur
Vorbereitung auf die Berufs- und Arbeitswelt
sowie zur Berufs- und Studienorientierung
leisten kann und was getan werden muss,
damit Jugendliche keine falschen Vorstellun-
gen vom Berufsalltag haben und zu wenig
über die betriebliche Ausbildung wissen. Im
Rahmen des Programms ’Kein Abschluss
ohne Anschluss’ (KAoA) solle das Fach Wirt-
schaft ein ’Ankerfach’ sein.
lehrer nrw
wird
sich dafür einsetzen, die Zusammenarbeit
und den Austausch mit den Berufskollegs zu
intensivieren.
Dieter Peters
lehrer nrw ·
6/2019
24
SCHULE & POLITIK
GGeerreecchhttee BBeezzaahhlluunngg
ffüürr ssttaarrkkee LLeehhrrkkrrääffttee
lehrer nrw
hat eine Plakat-Kampagne gestartet, um schulpoliti-
sche Kern-Forderungen des Verbandes zu unterstreichen. Die Pla-
kate werden im Rahmen des Wahlkampfes zur Personalratswahl
2020 in den Schulen in Nordrhein-Westfalen verteilt. Wir stellen
die einzelnen Motive in den kommenden Ausgaben vor.
eingestellte Lehrkräfte in der Sekundarstufe
II gleich mit der Besoldungsstufe A 13 Z star-
ten, müssen sich die Kolleginnen und Kolle-
gen in der Sekundarstufe I sowie in der Pri-
marstufe mit A 12 begnügen. Es wird höchs-
te Zeit, dass die Landesregierung die Ge-
rechtigkeitslücke bei
der Besoldung endlich schließt.
lehrer nrw
fordert:
Gleicher Lohn bei gleicher Ausbildung
A13 im Eingangsamt für alle
grundständig ausgebildeten Lehrkräfte
Stufenweise Besoldungsanpassung für
alle Lehrkräfte, die bereits im System sind
Lohngerechtigkeit auch für
tarifbeschäftigte Lehrkräfte
Funktionsamt für Fachleitungen
im Sekundarbereich I
Z
Z
ur Bekämpfung des Lehrkräftemangels
braucht es keine teuren Werbekampagnen,
sondern handfeste finanzielle Anreize. Es ist
durch nichts zu rechtfertigen, dass Lehrkräf-
te zwar die gleiche Ausbildung absolvieren,
aber ungleich bezahlt werden. Während neu
Um Gerechtigkeit
bei der Lehrerbesoldung
herzustellen, braucht es eigentlich
keine Superhelden. Entscheidend ist der
politische Wille!
SENIOREN
25
6/2019 ·
lehrer nrw
’August Macke ganz nah’
D
D
er berühmte Expressionist August
Macke steht im Mittelpunkt einer
Sonderausstellung im Sauerlandmuseum
Arnsberg. Interessierte
lehrer nrw
-Senio-
ren können die Ausstellung ’August
Macke ganz nah’ in einer gemeinsamen
Exkursion am 12. November besuchen.
Macke wurde am 3. Januar 1887 in
Meschede im Sauerland geboren und war
einer der bekannten Künstler, die auch die
Werke des ’Blauen Reiters’ in der Periode
des Expressionismus mitgestalteten. Sein
Schaffen betraf eine große Anzahl von
Gemälden unter den verschiedenartigsten
Einflüssen der Kunst und auch seiner Zeit-
genossen. Er starb als Soldat im Ersten
Weltkrieg mit nur 27 Jahren 1914 an der
Westfront in der Champagne. Sein in sei-
ner großen Schaffensperiode von nur
zehn Jahren entwickelter Stil ist sehr farb-
kräftig und ausdrucksstark. Immer wieder
strahlt die Sonne der südlichen französi-
schen Landschaften oder das Leben in
Paris, aber auch des Allgäu und der Alpen in
Licht, Schatten und kräftiger Farbe durch.
Termin und Treffpunkt: 12. November
2019 um 11:30 Uhr im Lokal ’Altes Back-
haus’ | Alter Markt 27 | 59821 Arnsberg.
Ab 13:45 Uhr Beginn der Ausstellungsbe-
sichtigung.
Anmeldung: Klaus Köller
Tel. 02932/ 3 26 55 (Anrufbeantworter)
oder E-Mail: klauskoeller@unitybox.de
Herbstreise an den
Biggesee
D
D
ie Herbstreise der
lehrer nrw
-Senioren
führte vom 24. bis 26. Oktober ins schö-
ne Sauerland. Erster Programmpunkt war
eine Besichtigung der Attahöhle. Anschlie-
ßend ging es zur Biggetalsperre. Bei sonni-
gem Herbstwetter genossen die Teilnehmer
die Schifffahrt auf dem Deck.
Ein Besuch der Fischereiökologie in Kirch-
hundem und die Besichtigung des Bigge-
damms standen bei goldenem Oktoberwet-
ter an den Folgetagen auf dem Plan.
’Horror and delight’ in Münster
D
D
ie
lehrer nrw
-Senioren treffen sich am
12. Dezember zum Besuch der Turner-
Ausstellung ’Horror and delight’ im LWL-
Museum Münster.
Die Teilnehmer erwartet eine neunzigmi-
nütige Führung durch die Ausstellung mit
achtzig Werken von William Turner, dem be-
rühmten englischen Maler der Romantik.
Die Ausstellung zeigt unter anderem Werke,
die er nach seinen Reisen in die Schweiz
und nach Italien aus seinen Skizzenbüchern
erstellt hat. Für ihn war das Erlebnis der
Alpen das besondere Ereignis, das er dem
Betrachter widerspiegeln will.
Der Titel der Ausstellung könnte irritieren,
da von ’Schrecken und Freude’ die Rede ist.
Gemeint sind die nah beieinander liegenden
Schrecken und Schönheiten der Berge mit
Gefahren unter anderem durch Lawinenab-
gänge, Wasserläufe, Wasserfälle und Stürme,
aber eben auch die Freude an der Vielfalt
und Pracht der Natur.
Nach dem Museumsbesuch gibt es ab
13:30 Uhr im Lux, dem Restaurant im Muse-
um, ein gemeinsames Mittagessen, ehe es
zum Foucaultschen Pendel in der Dominika-
nerkirche geht.
Termin und Treffpunkt: 12. Dezember
2019 um 11:30 Uhr in Münster im Foyer des
Landesmuseums am Domplatz 10.
Anmeldung: Konrad Dahlmann
Tel. 02534/ 3 47 oder
E-Mail: dahlmann@lehrernrw.de
Das LWL-Museum in Münster.
Hier findet am 12. Dezember die Besichtigung der Turner-Ausstellung statt.
Die
lehrer nrw
-Gruppe vor
der Attahöhle im Sauerland.
lehrer nrw ·
6/2019
26
FORTBILDUNGEN
Gewalt
gegen
Lehrer
Vom Mittelfinger zum
körperlichen Übergriff
G
G
ewalt von Schülern gegen Lehrer ist
Thema eines Seminars mit dem Kin-
der- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Bat-
tel. Es häufen sich zunehmend Äußerun-
gen von Lehrern, Opfer von verbaler und
nicht selten auch körperlicher Gewalt ih-
rer eigenen Schüler geworden zu sein. Ziel
des Seminars ist es, Eskalations- und Prä-
ventivstrategien kennen zu lernen und zu
wissen, wie man als betroffene Lehrkraft
mit Gewalt umgehen kann. Welche Gefüh-
le lösen Gewalterlebnisse bei Lehrkräften
aus? Wo können Betroffene Hilfe holen?
Welche Konzepte könnten individuell für
Schulen entwickelt werden? Diese und
weitere Fragen stehen im Mittelpunkt des
Seminars am 22. Januar 2020 in Düssel-
dorf.
Erfolgreiche Gespräche führen
W
W
ir alle führen täglich Gespräche – und sind hinterher mit dem
Erfolg nicht immer zufrieden. Mit den richtigen Techniken und
Strategien können Lehrkräfte Gespräche besser vorbereiten und im
Gespräch mehr erreichen. Wie das gelingt, erläutert die Referentin
Corinna Kriesemer (www.cpwconsulting.de).
Inhalte
Die Beziehung zum Gesprächspartner
Positive Atmosphäre schaffen und aufrecht erhalten
Sprache und Körpersprache als Indizien für den Gesprächsverlauf
Die eigene Rolle im Gespräch finden
Gesprächsphasen
Gesprächsziel und Gesprächsthema
Die einzelnen Gesprächsphasen: Worauf kommt es an?
KURZINFO
Titel: Vom Mittelfinger zur konkreten
körperlichen Übergriffigkeit von Schü-
lern zu Lehrern
Datum: 22. Januar 2020
Ort: Düsseldorf
Anmeldeschluss: 18. Dezember 2019
Referent: Dr. Stefan Battel
Anmeldung: www.lehrernrw.de/
fortbildungen.html
KURZINFO
Titel: Erfolgreiche Gespräche führen, Datum: 23. Januar 2020
Ort: Düsseldorf, Anmeldeschluss: 5. Dezember 2019
Referentin: Corinna Kriesemer
Anmeldung: www.lehrernrw.de/fortbildungen.html
Kernelement: die Vorbereitung
Gespräche steuern und strukturieren
Ohne Abschluss kein Gespräch
Techniken für eine souveräne Gesprächsführung
Wer fragt führt – auch im Gespräch
Aktives Zuhören
Probleme erkennen und frühzeitig gegensteuern
Gewalt gegen Lehrkräfte
hat viele Facetten:
der ausgestreckte
Mittelfinger ist
eine davon.
Foto: AdobeStock/diego cervo
27
6/2019 ·
lehrer nrw
Seminar-
Nr.
Titel
Thema
Wann
Uhrzeit
Wo
Referenten
Kurzinhalt
Gebühr
Mitglied
Gebühr
Nicht-
mitglied
Anmelde-
schluss
2020-0114
Lehrer-Präsenz und
Classroom
Management
Stärkung
Lehrer-
persönlichkeit
Dienstag
14.01.2020
09:00 bis
16:30 Uhr
Intercity Hotel
Düsseldorf
Graf-Adolf-Straße 81-87
40210 Düsseldorf
Gabi
Schmidt
Präsenz, Körpersprache und Ausstrahlung als Tor zur
Aufmerksamkeit der Schüler, Präsenz und Achtsamkeit
als Psychoprophylaxe, Präsenz als elementarer Faktor
für eine offene Lernatmosphäre und eine gute
Schüler/Lehrer-Beziehung.
130 EUR
180 EUR 03.12.2019
2020-0115
Recht im Schulalltag –
Speziell für Berufs-
anfängerinnen und
-anfänger
Fortbildungen
für junge
Lehrkräfte
Mittwoch
15.01.2020
15:00 bis
18:00 Uhr
GDL Sitzungsraum
1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Christopher
Lange,
Sarah
Wanders
Junge Kolleginnen und Kollegen sind mit Rechts-
fragen oft überfordert. Die Fortbildung beantwortet
die wichtigsten Fragen aus dem Schulalltag.
25 EUR 50 EUR 11.12.2019
2020-0120
Umgang mit
schwierigem
Schülerverhalten
Arbeits-
organisation
und
-techniken
Montag
20.01.2020
09:00 bis
16:00 Uhr
Ringhotel Drees
Hohe Straße 107
44139 Dortmund
Dorthe
Leschni-
kowski-
Bordan
Souverän mit auffälligem Schülerverhalten umgehen.
Im Mittelpunkt stehen Strategien, wie man sich als
Lehrkraft sowohl in akuten als auch in langfristigen
Situationen souverän verhalten kann.
130 EUR
180 EUR
09.12.2019
2020-0121
Rente:
Wer? Wann? Wie(viel)?
Rechtliche
Grundlagen
Dienstag
21.01.2020
15:00 bis
17:00 Uhr
GDL Sitzungsraum
1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Ria
Weinbrenner
Sie erhalten erste Informationen zur Rente für
Angestellte und haben die Möglichkeit, im Anschluss
persönliche Beratungsgespräche mit der Deutschen
Rentenversicherung zu vereinbaren.
20 EUR 40 EUR 17.12.2019
2020-0122
Vom Mittelfinger
zur konkreten
Übergriffigkeit
Jugend-
psychologie
Mittwoch
22.01.2020
14:00 bis
18:00 Uhr
GDL Sitzungsraum
1. OG
Graf-Adolf-Straße 84
40210 Düsseldorf
Dr. Stefan
Battel
Ziel des Seminars ist es, Eskalations- und Präventiv-
strategien kennen zu lernen und zu wissen, wie man
als betroffene Lehrkraft mit Gewalt umgehen kann.
60 EUR
90 EUR 18.12.2019
2020-0123
Erfolgreiche Gespräche
führen
Kommuni-
kation und
Zusammen-
arbeit
Donnerstag
23.01.2020
09:00 bis
16:00 Uhr
Intercity Hotel
Düsseldorf
Graf-Adolf-Straße 81-87
40210 Düsseldorf
Corinna
Kriesemer
Wir alle führen Gespräche – und sind hinterher mit
dem Erfolg nicht immer zufrieden. Mit den richtigen
Techniken und Strategien kann man Gespräche besser
vorbereiten und im Gespräch mehr erreichen.
140 EUR
190 EUR
05.12.2019
2020-0129
Stil kennt kein Alter
Workshop Farb- und
Stilberatung
Fortbildung
für Senioren
Mittwoch
29.01.2020
10:00 bis
16:00 Uhr
Intercity Hotel
Düsseldorf
Graf-Adolf-Straße 81-87
40210 Düsseldorf
Anke
von Garell
In einer persönlichen Farbanalyse werden Sie IHRE
Farben entdecken und erfahren, wie Sie diese effekt-
voll einsetzen. Dazu gibt es viele Empfehlungen zu
den Farben und Formen Ihres Schmucks, der Brille,
Make-up und der Haarfarbe. Sie erfahren auch, wie
Sie Ihre Figur optimal zur Geltung bringen.
140 EUR 190 EUR
05.12.2019
FORTBILDUNGEN
lehrer nrw ·
6/2019
28
Lehrkräfte
im Verhör
Wenn es um das Wohl ihrer Kinder geht, sind man-
che Eltern unerbittlich. Zielscheibe ihres pädagogi-
schen Eifers sind jedoch oft gar nicht die Spröss-
linge selbst, sondern deren Lehrer. Diese Spezies
Eltern verlangt von der Lehrkraft Information
und Rechenschaft – allumfassend, überall und
jederzeit. Doch wo sind die Grenzen?
S
S
chülereltern sind unterschiedlich,
welch‘ Binsenweisheit für jede Lehr-
kraft. Mit dem einen Extremtypus
kommt man gar nicht in Kontakt, bekommt
ihn nie zu sprechen, geschweige denn ein-
mal zu Gesicht, weder am Elternsprechtag
noch am Schulfest. Auf manchen konnte
man noch nicht einmal vor dem Schultor ei-
nen flüchtigen Blick erhaschen, wenn er im
Hol- und Bringdienst der Sprösslinge tätig
ist.
Der andere Extremcharakter hingegen ist
der Lehrkraft nicht nur bekannt, sondern
oftmals geradezu fast stets präsent vor Au-
gen. Beispielsweise wegen der letzten de-
taillierten Nachfrage zu den Hausaufgaben
der Tochter oder des Sohnes. Diese erfolgt
oft telefonisch – gerne spätabends – oder
man passt die Lehrkraft ebenso erwartungs-
voll wie unangekündigt direkt vor Stunden-
beginn vor dem Klassenraum ab.
Wie weitreichend ist
der Informationsanspruch
der Eltern?
Um die letztgenannte Thematik soll es in
diesem Artikel gehen: den umfassenden
Informations- und Beratungsanspruch der
Eltern zur schulischen Entwicklung ihrer Kin-
der. Wie weitreichend ist dieser eigentlich?
Eltern stützen ihre Erziehungsaufgabe auf
Art. 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz (GG)
und Art. 8 Absatz 1 Satz 2 Landesverfassung
Nordrhein-Westfalen (LV). Dem Staat und
damit der Schule steht ein eigenständiger
Bildungs- und Erziehungsauftrag nach Art. 7
Absatz 1 GG und Art. 8 Absatz 3 Satz 2 LV
zu. Beide Rechtspositionen sind gleich ge-
ordnet und schaffen eine Erziehungsgemein-
schaft. Eltern werden deshalb an der schuli-
schen Bildungs- und Erziehungsarbeit betei-
ligt. Es gibt Rechte und Pflichten zwischen
den Eltern und der Schule hinsichtlich ihrer
Tochter oder ihres Sohnes, §§ 42 ff. Schulge-
setz NRW (SchulG), und Regelungen zur ge-
meinsamen Beteiligung aller Eltern an der
Ausgestaltung der Schule, das heißt der
Schulverfassung, §§ 62, 42 Absatz 4 SchulG.
Lehrer als Ausführungs-
bevollmächtigte
elterlicher Wünsche
Soweit die rechtlichen Grundlagen. Aus der
Praxis hört man aber leider immer wieder,
RECHT
§
AUSLEGER
von CHRISTOPHER LANGE
Der anklagende Zeigefinger:
Manchmal artet ein Eltern-Lehrer-Gespräch
in ein Verhör aus – und die Rollen des Klägers
und die des Beschuldigten sind klar verteilt.
dass Eltern die Lehrer ihrer Kinder als eine
Art Ausführungsbevollmächtigte ihrer Vor-
stellungen betrachten und so behandeln, sei
es aus Unkenntnis oder aus Missverstehen
der beschriebenen Grundsätze. Eltern schie-
ben dabei vielfach auch eine im Vergleich zu
den Lehrkräften vermeintlich engere zeitli-
che Verfügbarkeit vor. Unter anderem durch
Elternvereine werden sie zudem über ihre
entsprechenden Rechte dezidiert informiert.
Lehrersein auf der anderen Seite ist ein Be-
ziehungsberuf, der ein starkes Verantwor-
tungsgefühl mit sich bringt. Dies ist schwie-
rig für die Distanzierungsfähigkeit. Es kommt
daher immer wieder vor, dass Lehrkräfte sich
dazu treiben lassen, situationsbedingt auch
unberechtigten Forderungen nachzugeben,
weil sie unsicher sind, wann und wo die An-
sprüche der Eltern ihre Grenzen haben.
Die Informations- und
Beratungspflicht …
§ 44 SchulG und § 9 Allgemeine Dienstord-
nung (ADO) legen eine Informations- und
Beratungspflicht der Eltern durch die unter-
richtenden Lehrer fest. Diese betrifft die in-
dividuelle Lern- und Leistungsentwicklung
wie auch das sonstige Verhalten. Verstöße
gegen die Schul- oder Hausordnung der
Schule, Fernbleiben vom Unterricht oder
Suchtprobleme sind beispielhaft dafür. Mit
der Informations- und Beratungspflicht kor-
respondiert eine Pflicht der Eltern, sich nicht
erst dann informieren und beraten zu las-
sen, wenn Probleme auftauchen.
Eine Art der grundsätzlichen Information
über den Leistungsstand ist durch die Aus-
gabe von Zeugnissen, ’Blauen Briefen’ so-
wie individuellen Lern- und Förderempfeh-
lungen zwar vorgegeben (§ 50 SchulG), da-
rüber hinaus bestimmt die Schule aber
selbst, wie der Beratungspflicht nachzukom-
men ist. Den organisatorischen Rahmen da-
für legt die Schulkonferenz fest (§ 65 Absatz
4 Nr. 14 SchulG). Übliche Formate sind der
halbjährliche Elternsprechtag und die El-
ternsprechstunde.
Bereits in diesem Kontext kann es im
Schulalltag zu einem Missverständnis kom-
men, und zwar von Lehrerseite: Sollten El-
tern nicht teilnehmen, gilt nicht einfach
»Dann beim nächsten Mal!«, sondern man
muss ihnen in Ausnahmefällen an individu-
ell verabredeten Terminen zur Verfügung
stehen, so § 9 Absatz 3 ADO.
Wie die Information und Beratung der El-
tern abgesehen von diesen festen Terminen
verlaufen kann, ist von der Lehrkraft zu be-
stimmen – in dem erwähnten von der Schul-
konferenz gezogenen Rahmen und – soweit
angebracht – mit Erläuterung der Bewer-
tungsmaßstäbe (§ 44 Absatz 2 Satz 2
SchulG). Im Regelfall läuft dies auf ein Ge-
spräch in der Schule, ein Telefonat oder ei-
nen Austausch per E-Mail hinaus. Dies kann
auf Initiative der Lehrkraft oder auf Bitten
der Eltern zustande kommen. Wichtig ist
dreierlei: Die Lehrkraft muss die Informatio-
nen und die Beratung so vermitteln können,
wie sie es beabsichtigt und es zum Wohle
des Kindes gereicht. Die Eltern müssen sich
ausreichend informiert und beraten fühlen.
Und das Ganze sollte dabei nach allgemein
üblichen Regeln gesellschaftlicher Konven-
tionen ablaufen.
… hat auch ihre Grenzen
Dies bedeutet zum Beispiel, dass gegen den
Willen der Lehrkraft ein Gespräch nicht am
Abend und nicht am Wochenende stattfin-
den muss, nur weil es den Eltern gerade zeit-
lich passt. Ebenso wenig muss es über eine
private Verbindung, sei es Festnetz oder Mo-
bilfunk, geführt werden. Ohnehin darf die
Lehrkraft nicht von der Schulleitung zur
Herausgabe privater Telefonnummern oder
E-Mail-Adressen angehalten werden. Aus-
künfte müssen auch nicht erteilt werden,
wenn dadurch Unterrichtsstunden oder
dienstliche Veranstaltungen im Ablauf ge-
stört würden. Ebenso kann ein Austausch mit
Eltern abgebrochen werden, wenn sich Emo-
tionen aufschaukeln oder sich die Lehrkraft
Beleidigungen, Bedrohungen oder nötigen-
dem Verhalten ausgesetzt sieht. Treffen sich
Eltern und Lehrkräfte zufällig im Supermarkt
oder anderen Orten, muss die Gelegenheit
nicht genutzt werden, Auskünfte zu erteilen.
Eltern im Unterricht
So nachvollziehbar es oft ist, wenn sich Lehr-
kräfte durch Eltern bedrängt fühlen, was ja
meistens dann der Fall ist, wenn das Verhält-
nis zu ihnen oder dem Kind ohnehin konflikt-
beladen ist – einer Forderung sollten sie
nicht ablehnend gegenüberstehen: der nach
Teilnahme an einer Unterrichtsstunde. Denn
auch wenn man dies verständlicherweise als
Kontrolle empfindet und es Überwindung
kosten kann, die Klassentür zu öffnen, so
bleibt dies ein ausdrückliches Recht der El-
tern (§ 44 Absatz 3 Satz 1 SchulG), welches
auch deren Information dienen kann. Letzt-
lich kann es sich als probates Mittel zur
Förderung eines partnerschaftlichen Zusam-
menwirkens von Lehrern und Eltern erwei-
sen.
RECHT
§
AUSLEGER
Christopher Lange leitet die Rechtsabteilung
des
lehrer nrw
E-Mail: Rechtsabteilung@lehrernrw.de
29
6/2019 ·
lehrer nrw
Foto: AdobeStock/kritchanut
lehrer nrw ·
6/2019
30
ANGESPITZT
K
K
alifornien macht Ernst’, titelte
das Redaktionsnetzwerk
Deutschland kürzlich. Zwischen San
Diego und San Francisco dürfen weiter-
führende Schulen bald erst frühestens
ab 8:30 Uhr mit dem Unterricht starten.
Der spätere Unterrichtsbeginn werde
»einen enormen Effekt auf die Gesund-
heit und die schulische Leistung unserer
Kinder haben«, schwärmte Staatssena-
tor Anthony Portantino.
Da hat der Mann selbstverständlich
Recht. Denn die Ewiggestrigen, die ihre
noch im Halbschlaf dämmernden Eleven
um 8:00 Uhr mit Stochastik, Alliteratio-
nen und Shakespeare quälen, handeln
natürlich völkerrechtswidrig. Gerade ab
der Pubertät brauchen Jugendliche min-
destens acht, besser zehn Stunden
Schlaf, empfehlen Schlafforscher. Ist ja
auch logisch. Denn der moderne Teen-
ager muss mindestens bis Mitternacht
WhatsApp-Nachrichten abarbeiten, den
Instagram-Account pflegen und Snaps
verschicken. Letzteres ist extrem wichtig,
weil sonst Flammen verfallen, die bei
Snapchat eine Art Freundschaftswährung
sind. Klingt komisch? Is’ aber so!
Jedenfalls ist der Otto-Normaljugend-
liche abends schwer im Social-Media-
Stress und daher erst nach Mitternacht
schlafbereit. Bei zehn Stunden Schlaf
plus Zeitzuschlag für Frühstück und
Busfahrt wäre also ein Unterrichtsbe-
ginn ab 11:30 Uhr ratsam. Sollte das
aus organisatorischen Gründen nicht
möglich sein, plädieren Wissenschaftler
dafür, zwischendurch Pausen einzubau-
en. So ein schulischer Mittagsschlaf von
elf bis halb eins kann Wunder wirken.
Natürlich müssten die Schulträger dafür
entsprechende Möglichkeiten schaffen,
etwa durch den Anbau eines Schlaftrak-
tes. Für die Zukunft unseres Landes soll-
te uns das nicht zu teuer sein.
Zumal der Nutzen die Investition
locker wieder aufwiegt, wie eine Studie
der amerikanischen RAND-Corporation
ergeben hat. Langfristig spare der Staat
Milliarden ein. Die bestechende Begrün-
dung: Ausgeschlafene Schüler bringen
bessere Leistungen, lernen mehr und
sind ergo von größerem Nutzen für die
Volkswirtschaft. Außerdem prognosti-
zieren die Wissenschaftler eine geringe-
re Selbstmordrate und einen Rückgang
der Fettleibigkeit unter Teenagern.
Worauf warten wir also noch? Frau
Gebauer, übernehmen Sie!
Jochen Smets
Der Junge braucht seinen Schlaf!
Kreative
Verknüpfungen
Basis aller Gedächtnistechniken ist die kreative
Assoziation. Wenn ich mir zum Beispiel merken
möchte, dass ‘pencere’ (gesprochen: pendschere) auf
Türkisch Fenster heißt, dann stelle ich mir vor, dass
ich mit einem pen auf dem Fenster male und dieses
anschließend mit einer Schere ausschneide. So habe
ich die phonetischen Merkbilder der Vokabel mit der
Übersetzung verknüpft. Dazu darf man kreativ wer-
den. Und man darf es üben.
1. Finden Sie mindestens fünf weitere Möglichkei-
ten, wie man pen, Schere und Fenster miteinander
verknüpfen kann?
2. Finden Sie für die Problemvokabeln Ihrer Schüle-
rinnen und Schüler interessante Merkbilder?
Auf dem Kopf lesen
In meinen Speed Reading Kursen stellen meine Teilnehmer immer wieder
fest, dass es gar nicht so schwer ist, Texte rückwärts zu lesen. Da das Gehirn
Wortbilder abgespeichert hat, kann es leicht die Bedeutung erkennen, auch
wenn es auf dem Kopf oder von hinten nach vorne gelesen wird. Allerdings
ist dafür volle Konzentration erforderlich. Sie nutzen den Arbeitsspeicher
Ihres Gehirns optimal aus, und der Geist geht während des Lesens nicht auf
Wanderschaft.
Lesen Sie einmal einen Artikel von hinten nach vorne oder auf dem Kopf.
Sie werden merken, dass Sie den Sinn trotzdem erfassen.
Koordination
Mit der folgenden Übungsbasis können Sie sich selber immer
wieder neue Übungen zusammenstellen. Es gibt vier verschiedene
Ausgangspositionen:
1. Die Hand vor den Bauch halten
2. Mit angewinkeltem Arm, die Hand nach oben halten
3. Den ausgestreckten Arm nach oben halten
4. Den ausgestreckten Arm zur Seite halten
Übung: Nun starten Sie mit dem rechten Arm auf Position 1 und
mit dem linken auf Position 2. Sie durchlaufen den Ablauf somit
versetzt. Das sieht dann so aus:
31
6/2019 · lehrer nrw
Diese Positionen können Sie nun beliebig mit beiden Armen
kombinieren.
Vorbereitung: Beginnen Sie damit, den Ablauf von 1 bis 4 mehr-
fach mit dem linken Arm zu durchlaufen, danach mehrfach mit
dem rechten. Nachdem Sie ein Gefühl für den Ablauf haben,
nehmen Sie nun beide Arme gleichzeitig. Das sieht dann ein
wenig so aus wie Brustschwimmen.
Wichtig: Versuchen Sie die Übung rein aus dem Kopf durchzufüh-
ren. Nicht abgucken! Die Bilder sollen nur den Ablauf illustrieren,
damit Sie besser verstehen, was gemeint ist.
Übungsvarianten: Diese Übung können Sie nun in jeder Hinsicht
neu kombinieren. Die Möglichkeiten sind so zahlreich, dass Sie al-
leine mit dieser Übung sehr lange immer wieder etwas Neues trai-
nieren können.
1. Sie starten weiter versetzt:
Links auf Position 1, rechts auf 3 oder 4
2. Sie durchlaufen den Ablauf rückwärts. Also von 1 auf 4 auf 3…
3. Sie kombinieren einen Arm vorwärts mit einem Arm rückwärts
4. Sie wechseln nach jedem Durchgang vorwärts und rückwärts
5.
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Über Feedback zu meinen Gehirnjogging Übungen
würde ich mehr sehr freuen: mail@heike-loosen.de
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