Der 49. Mülheimer Kongress war einmal mehr ein voller Erfolg. Das Tagungsmotto ‘Was Lehrer stark macht’ erwies sich als Volltreffer. Die rund 150 Teilnehmer nahmen aus Mülheim viel Stärkendes für den schulischen Alltag, viel Gemeinschaft und viel Zusammenhalt mit.
Was macht Lehrer stark? Die lehrer nrw-Vorsitzende Brigitte Balbach griff das Kongressmotto in ihrem einleitenden Vortrag auf. Begeisterung, Wahrhaftigkeit, Achtsamkeit und Persönlichkeit prägen nach ihrer Auffassung das Bild eines starken Lehrers im beruflichen Alltag. Dem müssten im Privaten aber auch Inseln der Ruhe, Stille Langsamkeit und Entschleunigung gegenüberstehen.
Wie zwischen Menschen Resonanz entsteht
Den Schlüssel sieht Prof. Dr. Joachim Bauer in einer funktionierenden Beziehung zwischen Lehrer und Schülern. Zentraler Aspekt dabei sei die Resonanz, die in einer guten Beziehung zwischen Menschen entsteht. Der Neurowissenschaftler zog in seinem glänzenden Vortrag das Bild einer Stimmgabel heran, die – wenn sie angeschlagen wird – eine andere Stimmgabel in Schwingung versetzen kann. Das ist Resonanz im physikalischen Sinne. Auch zwischen Menschen könne Resonanz entstehen – durch Respekt, Motivation, Sympathie, Ausstrahlung, Wertschätzung. Wie das gelingen kann, vermittelt Bauer im Freiburger Modell. Dieses Lehrer-Coaching-Programm wird seit fünf Jahren mit großem Erfolg praktiziert.
Lehrer am Limit
Angesichts einer »entfesselten Kontroll- und Steuerungsmanie« sieht Prof. Dr. Ursula Forst von der Uni Köln die »Lehrer am Limit«. Einerseits werde Lehrkräften immer mehr zugemutet: Sie sollen – neben ihrer Kernaufgabe – ungelöste gesellschaftliche Probleme in vorderster Front bearbeiten, zum Beispiel Inklusion, Integration oder Digitalisierung. Anderseits werde ihnen aber immer weniger zugetraut, die ihnen anvertrauten Menschen nach eigenem Urteil und eigenen Möglichkeiten zu unterrichten. Denn Lehrkräfte seien eingeengt in einem immer engeren Netz von Vorgaben, Kontrollen und Standardisierungen.
Bildung als Ware
Die teils absurden Auswüchse der Reformwellen seit PISA und Bologna nahm Prof. Dr. Hans Peter Klein aufs Korn. Bildung sei im Zuge ihrer fortschreitenden Ökonomisierung zur Ware geworden. Anhand von jüngeren Abituraufgaben aus verschiedenen Bundesländern zeigte Klein einen dramatischen Niveauverfall. Er hatte in einem Versuch nachgewiesen, dass schon Neuntklässler heutige Abituraufgaben respektabel lösen können, weil dafür vielfach nicht mehr als Lesekompetenz vonnöten sei.
Konzept zur Gesundheitsprävention
Das Thema Gesundheitsprävention, das in vielen Vorträgen und Workshops beim Mülheimer Kongress anklang, will lehrer nrw als neues Themenfeld erschließen. Der Arzt Dr. Wimar Lemmer stellte in Mülheim ein Konzept vor, das Gesundheitsprävention durch aktives Gesundheitsmanagement zum Ziel hat. Verschiedene Module ermöglichen einen individuellen Ansatz, um zu einer fundierten (Selbst-)Einschätzung der persönlichen Situation zu kommen. Im nächsten Schritt werden dann Risiken und Gefährdungspotenziale ermittelt und Lösungsvorschläge im Hinblick auf Gesundheitsvorsorge sowie eine dauerhaft stabile psychische und physische Konstitution aufgezeigt.
Menschen reagieren wie Musikinstrumente
Das unumstrittene Highlight des gesamten Kongresses kam ganz zum Schluss. Der Pädagoge und Regisseur Wolfgang Endres sprach über »Respekt und Anerkennung im Resonanzraum Schule« und schloss die thematische Klammer zum Vortrag von Prof. Bauer am Vortag. Auch Endres betonte die Bedeutung der Resonanz zwischen Lehrern und Schülern. In vielen Beispielen, mit sprachlicher Klarheit und großer Wärme und Zugewandtheit zeigte er Wege für eine konfliktfreiere, optimistischere Bildungskultur auf. Ein Kernsatz: »Menschen reagieren wie Musikinstrumente: Ihre Resonanz hängt davon ab, wer sie berührt.«
Ministerin will Lehrer unterstützen
Einen warmherzigen Empfang bereitete der Kongress der neuen Bildungsministerin Yvonne Gebauer, die schon in vielen Jahren zuvor als bildungspolitische Sprecherin der FDP ein Stammgast in Mülheim war. Gebauer gab einen Überblick über die schulpolitischen Baustellen in Nordrhein-Westfalen. In Anspielung auf das Tagungsmotto sagte sie, ihr Ziel sei es, jede Schulform, jede Schule und mithin jede Lehrkraft stark zu machen. »Wer Lehrkräften die Flügel stutzt, darf nicht auf Überflieger hoffen«, betonte sie.
Bei der Inklusion will die Ministerin umsteuern. Dabei gelte die Devise ‘Qualität vor Tempo’. Wohnortnahe Förderschulangebote sollen aufrechterhalten werden – gegebenenfalls auch durch Förderschulgruppen an Regelschulen. Auch die Bildung von Schwerpunktschulen, die sich auf einzelne Förderbereiche spezialisieren, sei geplant.
Zur schulischen Integration von Flüchtlingskindern kündigte Gebauer einen neuen Integrationserlass an. Schulen, an denen, wie inzwischen an mehreren Standorten in Nordrhein-Westfalen praktiziert, ausschließlich Zuwandererkinder unterrichtet werden, sieht sie kritisch: »Das ist nicht der Ansatz, den ich unter Integration verstehe.«
Gebauer kündigte angesichts des akuten Lehrermangels eine Kampagne zur Lehrergewinnung an. Auch die Einführung des von lehrer nrw seit Jahren geforderten Schulfachs Wirtschaft will die Ministerin vorantreiben.
Wohin geht es mit der Bildung in Nordrhein-Westfalen?
Die Schulpolitik hat sich nach der Landtagswahl und dem Machtwechsel in Nordrhein-Westfalen neu sortiert. Einen ersten Einblick in Ideen und Konzepte der einzelnen Parteien gab in Mülheim eine Podiumsdiskussion mit den bildungspolitischen Sprechern der wichtigsten Parteien: Petra Vogt (CDU), Franziska Müller-Rech (SPD), Jochen Ott (SPD) und Verena Verspohl (Grüne). Titel: »Wohin geht es mit der Bildung in NRW?«.
Moderator Frank Görgens klopfte die wesentlichen Positionen im Hinblick auf Themen wie Lehrermangel, Inklusion, Integration und den Sanierungsstau an vielen Schulgebäuden ab. Dabei mussten sich insbesondere die beiden Vertreter der abgewählten rot-grünen Landesregierung einige Kritik aus dem Publikum anhören.
Musik und Gesundheit
Das Rahmenprogramm des Mülheimer Kongresses bot auch diesmal wieder viel Spannendes, Lehrreiches und Unterhaltsames. In drei Workshops stand das Thema Lehrergesundheit im Fokus. So zeigte die Atempädagogin Birgit Moonen, wie man durch Atemübungen Kraft und Gelassenheit gewinnt. Die Life Kinetik Trainerin Heike Loosen brachte das Gehirn ihrer Workshop-Teilnehmer in Bewegung. Und die Physiotherapeutin Sabine Robbers demonstrierte, was den Rücken stärkt.
Musikalisch blieben ebenfalls keine Wünsche offen: Für Begeisterung sorgte einmal mehr die Big Band der Erich-Klausener-Realschule Herten mit tollem Sound und mitreißenden Arrangements. Herausragend: Die erst vierzehnjährige Mercedes, die das Publikum mit ihrer beeindruckenden Stimme mitten ins Herz traf.
Anders, aber nicht minder begeisternd, war das zweite musikalische Highlight des Mülheimer Kongresses: Bei der Abendveranstaltung sorgte das ‘Loreley Ginsters Tanz Tee Terzett’ um lehrer nrw-Mitglied Sebastian Dold für Hochbetrieb auf der Tanzfläche.
Jochen Smets