»Optimistisch in die Zukunft«

52. Mülheimer Kongress im 75. Verbandsjubiläumsjahr

„Optimistisch in die Zukunft“ lautete das Motto des diesjährigen Mülheimer Kongresses in schwierigen Zeiten. Doch der Kongress rechtfertigte den zuversichtlichen Leitspruch. Unter „2G plus“ Bedingungen erlebten die Teilnehmenden ein spannendes Programm, das trotz der schwierigen Situation, in der Schulen, Schulkinder und Lehrkräfte aufgrund der sich zuspitzenden Corona-Lage sind, ein Signal des Optimismus vermittelte.

Hoch interessante Vorträge, die eine gelungene Mischung aus „harten Fakten“ und Humor bildeten, regten zum Nachdenken, Diskutieren und auch zum Lachen an.
Auch Schulministerin Yvonne Gebauer ließ es sich nicht nehmen, den Kongress zu besuchen und sich mit den Teilnehmenden auszutauschen.

Einen ausführlichen Bericht zum Mülheimer Kongress 2021 finden Sie auch auf den Seiten 20 und 21 in der Ausg. 7/2021 unserer Verbandszeitschrift von lehrer nrw.

Kongressbericht

Optimistisch in die Zukunft

Am 23. und 24. November fand der 52. Mülheimer Kongress statt. Nachdem die für den Verband als Standortbestimmung so wichtige Veranstaltung im Jahr 2020 Pandemie-bedingt ausfallen musste, konnte der Kongress nun unter entsprechenden Corona-Schutzvorkehrungen stattfinden – und war ein voller Erfolg.

„Optimistisch in die Zukunft“ ist ein gewagtes Motto in diesen Zeiten. Doch der Mülheimer Kongress rechtfertigte den zuversichtlichen Leitspruch. Unter „2G plus“ Bedingungen erlebten die Teilnehmenden ein spannendes Programm, das trotz der schwierigen Situation, in der Schulen, Schulkinder und Lehrkräfte aufgrund der sich zuspitzenden Corona-Lage sind, ein Signal des Optimismus vermittelte. Hoch interessante Vorträge, die eine gelungene Mischung aus „harten Fakten“ und Humor bildeten, regten zum Nachdenken, Diskutieren und auch zum Lachen an. Auch Schulministerin Yvonne Gebauer ließ es sich nicht nehmen, den Kongress zu besuchen und sich mit den Teilnehmenden auszutauschen.

 

Konfrontative Pädagogik

Ansteckenden Optimismus verbreitete der Erziehungswissenschaftler und Kriminologe Prof. Jens Weidner von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Dabei hat er beruflich mit einer schwierigen Klientel zu tun: mit Schülern, die durch abweichendes, provozierendes Verhalten den Klassen- und mitunter gar den Schulfrieden erheblich stören. Für Mobber, Beleidiger, Sachbeschädiger und Aggressive hat er als Gründer des Deutschen Instituts für Konfrontative Pädagogik das Programm „Cool-in-School“ entwickelt – und damit bemerkenswerte Erfolge erzielt. Für den schulischen Alltag gab Weidner den Kongressteilnehmenden drei Leitmotive mit auf den Weg:

  • Delinquentes und deviantes Verhalten verstehen, den Regel-Verletzer als Menschen mögen, aber nicht mit seinem abweichenden Verhalten einverstanden sein.
  • Auf deviant-delinquente Kleinigkeiten schnell und konsequent pädagogisch (nicht juristisch) reagieren, damit Großes erst gar nicht geschieht.
  • Grenzen ziehen, wo Gefahren drohen, wo Schüler/innen und Lehrkräfte geplagt werden und wo es das gesellschaftliche Leben erfordert.

 

Goethes Faust in zwei Minuten

Dass man über Schule auch herzhaft lachen kann, manchmal vielleicht sogar muss, bewies der Kabarettist Johannes Schröder alias „Herr Schröder“ seinem begeisterten Publikum. In Mülheim gab der studierte Deutsch- und Englischlehrer, der inzwischen ein mehrfach preisgekrönter Humorist ist, Einblick in die Segnungen der Digitalisierung für den Schulbetrieb. Dort haben Videotutorials wie „Der Dreisatz in zwei Sätzen” oder „Goethes Faust in zwei Minuten“ der analogen Pädagogik längst den Rang abgelaufen. Und dennoch, das habe die Pandemie gezeigt: Wirklich nichts ersetzt das tatsächliche Miteinander im Klassenzimmer. Da mag die Datenverbindung noch so gut sein. Herr Schröder berichtete von Schülern, die aus lauter Heimweh nach den schulischen Routinen am Ende vom Online-Unterricht bei sich zuhause den Stuhl hochgestellt haben.

 

Erziehung braucht Beziehung

Dass Schröders Bonmot einen sehr wahren Kern hat, verdeutlichte Sven Christoffer in seiner ersten MüKo als Verbandsvorsitzender. Denn die Antwort auf die Frage, warum der digitale Distanzunterricht nie die Qualität des – wenn man so will – analogen Präsenzunterrichts erreicht hat, ist eindeutig: „Weil Erziehung Beziehung braucht. Und weil Beziehung Nähe braucht. Beziehungen auf Distanz sind nun mal schwierig, und deshalb war der Unterricht auf Distanz so unbefriedigend für alle Beteiligten. Wenn wir also eine Sache aus der Pandemie gelernt haben sollten, dann ist es das unumstößliche Faktum, dass am Ausgangs- und am Endpunkt jedes Lehr- und Lernprozesses die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schüler steht.“ Der Distanzunterricht habe den Praxisbeweis erbracht für John Hatties datenbasierte Erkenntnis, dass es auf den Lehrer ankommt.

 

Bildungserfolg braucht Leistung

Jürgen Böhm, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Realschullehrer, hob in seiner Festrede hervor, dass Individualität Differenzierung braucht und nicht Vereinheitlichung. Er erteilte Bestrebungen nach der Einheitsschule und dem Einheitslehrer eine klare Absage. Klar war für Böhm auch: „Bildungserfolg braucht Leistung.“ Der Verzicht auf Leistungsanforderungen bedeute den Verlust von Bildungsqualität. Und schließlich, so der VDR-Vorsitzende, brauche Zukunftsfähigkeit starke Abschlüsse. Der Über-Akademisierung und dem damit verbundenen Fachkräftemangel stellte er die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung entgegen.

 

Schule braucht klare Regeln

Ein absolutes Highlight des Kongresses lieferte Michael Rudolph. Der erfahrene Schulleiter, seit vierzig Jahren im Schuldienst, hat in wenigen Jahren die Berliner Bergius-Schule, die einen üblen Ruf hatte, zu einer begehrten Unterrichtsstätte gewandelt – mit klaren Regeln für diszipliniertes Lernen. Dabei musste er viele Widerstände überwinden, aber, so sagte er in Anspielung auf das Kongressmotto: „Ich habe nie den Optimismus verloren.“ Die fünf Minuten, die es früher vor jeder Schulstunde brauchte, damit die Klasse überhaupt ruhig wurde, werden nun pädagogisch sinnvoll genutzt, zum Beispiel mit simplen, unkomplizierten Übungsroutinen. Sie trugen wesentlich dazu bei, gravierende Lerndefizite in den „Basics“ – von Kopfrechnen bis Rechtschreibung – zu beheben. Klare Regeln, von Pünktlichkeit bis Handyverbot im Schulgebäude, stehen nicht nur auf dem Papier, sondern sind in den Köpfen – auch weil Zuwiderhandlungen mit empfindlichen Sanktionen belegt sind: Wer sich mit einem Smartphone erwischen lässt, muss vier Wochen darauf verzichten. Wer zu spät kommt, darf erst zur nächsten Stunde in den Unterricht – und verrichtet bis dahin gemeinnützige Arbeit. Rudolph hat seiner Schule ein klares Leitbild gegeben: „Leistung fordern, Sozialverhalten fördern, Berufsfähigkeit erreichen. Jeder kommt ans Ziel.“ Den Weg dahin beschreibt Rudolph in seinem sehr lesenswerten Bestseller „Wahnsinn Schule – Was sich dringend ändern muss“.

 

Was geht?

Einen fröhlichen Schlusspunkt unter das Kongressprogramm setzte die Sozialpädagogin Yvonne Michel, die erklärte, wie Erkenntnisse aus der Glücksforschung den Lehreralltag erleichtern und bereichern können. Sie riet zu einem Perspektivwechsel: Denn oft konzentrieren wir uns im Alltagsstress auf das, was nicht klappt oder was uns ärgert. Der optimistische Mensch, so Michel, fragt nicht: „Was geht gerade nicht?“ Er fragt: „Was geht?“

Jochen Smets

 

 

 

 

 

 

 

Fotos vom 52. Mülheimer Kongress

 

Prominentester Gast: Schulministerin Yvonne Gebauer, begrüßt vom lehrer nrw Vorsitzenden Sven Christoffer.

Verfechter der konfrontativen Pädagogik: Prof. Jens Weidner

Lachen als pädagogisches Prinzip: Herr Schröder

Auf den Lehrer kommt es an: Sven Christoffer

Ohne Leistung keine Bildungsqualität: Jürgen Böhm

Mit klaren Regeln zum (Schul)Erfolg: Michael Rudolph

„Was geht?“ statt „Was geht nicht?“: Yvonne Michel

Einmal mehr ein exzellenter Moderator: Thorsten Schmalt