55. Mülheimer Kongress
Demokratiebildung – wichtiger denn je

Ein brandaktuelles Thema, spannende Vorträge und ein mitreißendes Finale: Der Mülheimer Kongress am 6. November hatte den rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wieder einiges zu bieten.

Timing und Thema waren geradezu erschreckend aktuell. Am Tag, als ein notorischer Demagoge, Lügner und Faktenverdreher zum Präsidenten des mächtigsten Landes der Welt gewählt wurde, lud lehrer nrw zum 55. Mülheimer Kongress. Das Leitthema lautete: Demokratiebildung in der Schule. Um die Wichtigkeit des Themas zu erkennen, braucht es allerdings nicht den Blick über den großen Teich, wie der aktuelle Erfolg rechts- und linkspopulistischer Parteien gerade bei jungen Menschen in Deutschland zeigt. Demokratiebildung müsse Schülerinnen und Schüler befähigen und motivieren, kritisch zu hinterfragen, sich gesellschaftlich und politisch einzubringen sowie Verantwortung zu übernehmen, betonte der VDR-Bundesvorsitzende Ralf Neugschwender in einem Grußwort. Wie das gelingen kann und was dafür nötig ist, verdeutlichten zwei Experten für Demokratiepädagogik und Politische Bildung den rund 100 Kongressteilnehmenden.

Zu wenig Mittel für die Demokratiebildung

Zunächst sprach Dr. Wolfgang Beutel (Institut für Didaktik der Demokratie, Leibniz-Universität Hannover) über Demokratiebildung und Demokratiepädagogik und beleuchtete die damit verbundenen Querschnittsaufgaben, Grundlagen und fachliche Herausforderungen für die Schulen. Beutel kritisierte, dass es zwar aus der Politik viele Lippenbekenntnisse, aber viel zu wenig finanzielle und personelle Mittel für Demokratiebildung in der Schule gebe. Außerdem sei noch nicht klar, was Demokratiebildung eigentlich ist und was sie leisten soll, so der Wissenschaftler. Es gebe noch kein ausgearbeitetes Konzept und zu wenig Forschung in diesem Bereich. Schulen, die Demokratiebildung vorantreiben möchten, empfahl Beutel, den Schülerinnen und Schülern in bestimmten Bereichen mehr Autonomie zu ermöglichen, um zum Beispiel das schulische Umfeld und das schulische Miteinander zu verbessern. Denn Schule sei das Lebens- und Entwicklungsmilieu, in dem junge Menschen ihre individuelle, moralische und politische Sozialisation erleben. Die dort gemachten Erfahrungen tragen maßgeblich zur politischen Identität bei, unterstrich Beutel. Daher müsse eine pädagogisch-demokratische Kultur in den Schulen stetig gepflegt und weiterentwickelt werden, zum Beispiel durch unterschiedliche Projekte, Themen oder Lernsettings.

Argumentieren und Debattieren als Event

Nach Beutels wissenschaftlich-theoretisch basiertem Einstieg rückte Prof. Dr. Monika Waldis, (Leiterin des Zentrums Politische Bildung und Geschichtsdidaktik, Pädagogische Hochschule der FH Nordwestschweiz) die schulpraktischen Aspekte in den Fokus. Wie durch Debattieren im Unterricht politisches Argumentieren und Urteilen gefördert werden kann, war Thema ihres Vortrags. Sie stellte verschiedene Debatten-Settings vor. Planspiele, Parlaments-Simulationen oder Schüler-Debatten mit wechselnden thematischen Schwerpunkten und Rollenverteilungen seien wirksame Instrumente für die demokratische und politische Bildung. Wichtig sei es, Argumentieren und Debattieren zu etwas Besonderem, zu einem Event zu machen, betonte Waldis: „Eine Debatte ist kein Klassenzimmergespräch: Sie sollte einen eigenen Rahmen haben.“ Die Bildungsforscherin stellte ein Setting für eine Fishbowl-Debatte vor, in der die Schülerinnen und Schüler verschiedene Rollen einnehmen. In sechs Schritten wird dann das Thema behandelt: In Einstiegs-Statements wird das der Debatte zu Grunde liegende „Problem“ erörtert. Dem folgt eine Debatte im Plenum und ein erster Austausch in Kleingruppen. Es schließt sich eine neuerliche Plenumsdebatte – diesmal mit Entscheidungsfindung – und ein zweiter Kleingruppen-Austausch an. Der letzte Punkt in diesem Setting ist dann die Kompromissfindung und -formulierung.

Musikalischer Schluss- und Höhepunkt

Nicht minder anregend, wenn auch auf andere Weise, war der letzte Programmpunkt des von Thorsten Schmalt ebenso souverän wie unterhaltsam moderierten Kongresses: Der traditionelle – und immer wieder aus Neue begeisternde – Auftritt der Big Band der Erich-Klausener-Realschule Herten. Auch diesmal rissen die Schülerinnen und Schüler mit kraftvollem Sound und tollen Arrangements – mit Titeln von Lady Gaga über Camila Cabello bis hin zu Queen – das Publikum von den Sitzen.

Info
Der nächste Mülheimer Kongress findet – dann turnusgemäß wieder zweitägig – am 26. und 27. November 2025 in der Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim an der Ruhr statt.

Jochen Smets

Rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie zahlreiche Ehrengäste erlebten beim 55. Mülheimer Kongress ein spannendes Programm.

VDR-Bundesvorsitzende Ralf Neugschwender: Mehr Demokratiebildung in der Schule.

Dr. Wolfgang Beutel: Schülerinnen und Schülern mehr Autonomie ermöglichen.

Prof. Dr. Monika Waldis: Argumentieren und Debattieren zu einem Event machen.

Thorsten Schmalt: Souveräner und unterhaltsamer Moderator.

Die Big Band der Erich-Klausener-Realschule riss das Publikum mit tollem Sound von den Sitzen.

Die 14-jährige Greta bekam stehende Ovationen für ihre mitreißende Performance des Adele-Song

Alle Fotos: Smets