Rechtzeitig vor der Landtagswahl, die auch bildungspolitische Weichenstellungen nach sich ziehen wird, legt der Autor und Gymnasiallehrer Michael Felten eine kritische Bestandsaufnahme zum Inklusionsprozess an den Schulen in Nordrhein-Westfalen vor.
Michael Felten veröffentlicht mit ‘Die Inklusionsfalle. Wie eine gut gemeinte Idee unser Bildungssystem ruiniert’ ein weiteres Buch zum ‘Dauerbrenner’ Inklusion.
Felten formuliert Kritik an der Unterfinanzierung, an den fehlenden personalen und sächlichen Ressourcen und an der mangelnden Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer.
Schlussendlich kritisiert er ein gesellschafts- und schulpolitisches Klima, in dem Kritik an der gesellschaftlichen und schulischen Inklusion nicht gern gehört wird. Der Klappentext verspricht klare Worte in dieser tabubehafteten Debatte. Und Felten analysiert und kritisiert in der Tat sprachlich gewandt, in der Sache treffend, immer unterhaltsam und mit Bezug zum schulischen Alltag.
Und doch wird der Gesamteindruck dadurch etwas getrübt, dass Felten nach meiner Ansicht den Stand der gesellschaftlichen Diskussion in Teilen unpräzise konstatiert. Die Zeit, Der Spiegel und auch diverse Tageszeitungen veröffentlichen in den letzten Monaten vermehrt Artikel, in denen die unzureichenden Inklusionsprozesse thematisiert werden. Hier ist ein Wandel in der veröffentlichten Meinung im Gange.
Ich wünschte mir, dass sich die gesellschaftliche Diskussion um das Thema ‘Inklusion’ dahin entwickelt, dass wir Chancen und Gefahren bzw. Fehlentwicklungen wirklich gleichermaßen in den Blick nehmen. Felten sieht diese Chancen, das wird an einigen Stellen im Buch deutlich. Doch die quantitative Gewichtung zwischen Chancen und der Darstellung der Fehlentwicklungen scheint nicht immer ausgewogen zu sein. So wäre es wünschenswert, dass wir uns in der Diskussion mehr den Gelingensbedingungen des Inklusionsprozesses zuwenden. Und hier sind neben der Aus- und Fortbildung, den personalen und sächlichen Ressourcen auch Fragen der Unterrichts- und Schulentwicklung, der Haltung und Fragen der intelligenten und flexiblen Schulorganisation in den Blick zu nehmen.
Das gelingt in dem vorliegenden Buch bisweilen in einem zu geringen Umfang. Lesenswert und unterhaltsam ist es jedoch uneingeschränkt.
Frank Görgens
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Ist Schule Freiheitsberaubung?
Der Realschullehrer Phillip Parusel, der sich vor Gericht verantworten musste, weil er seinen Schülern wegen mangelnder Disziplin eine Strafarbeit aufgegeben und sie bis zur Erledigung am Verlassen des Klassenzimmers gehindert hatte, ist vom Vorwurf der Freiheitsberaubung freigesprochen worden.
Zu Beginn des Schuljahres hat ein Strafverfahren vor dem Amtsgericht Neuss bundesweit für Aufsehen gesorgt: Der Musiklehrer einer Kaarster Realschule hatte seine Schülerinnen und Schüler wenige Minuten über das Unterrichtsende hinaus am Verlassen des Klassenzimmers gehindert. Ein Schüler rief daraufhin per Handy die Polizei. In der Folge musste sich der Lehrer vor dem Amtsgericht verantworten, der Amtsrichter verwarnte den Lehrer wegen einer, wenn auch kurzen Freiheitsberaubung (Az. AG Neuss Ds 333/16).
Weder Freiheitsberaubung, noch Körperverletzung
Nachdem sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Lehrer selbst Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt hatten, befasste sich das Landgericht Düsseldorf mit dem Fall – und sprach den von Rechtsanwalt Andreas Vorster verteidigten Angeklagten am 17. Februar 2017 vom Vorwurf der Freiheitsberaubung frei (Az LG Düsseldorf 5 Ns 63/16). Das Gericht gelangte nach mehreren Zeugenvernehmungen und einem Ortstermin in der Realschule zu der Einschätzung, dass es weder eine Freiheitsberaubung noch die zunächst mitangeklagte Körperverletzung gegeben habe. Eine Sprecherin des Landgerichts wies darauf hin, dass die Zeugenaussagen viel zu widersprüchlich gewesen seien und bei einem Schüler sogar der Verdacht im Raum stehe, dass er in seiner Aussage zulasten des Lehrers massiv beeinflusst worden sei.
Schon am ersten von insgesamt drei Verhandlungstagen hatte sich angedeutet, dass die Kammer des Landgerichts Zweifel an der Anklage hatte. Die Richter hatten vergeblich eine Einstellung des Verfahrens angeregt und dazu ausgeführt, dass der Sachverhalt ungeeignet sei, um von einem Strafgericht entschieden zu werden. Einer Einstellung des Verfahrens ohne eine Geldauflage hatte sich die Staatsanwaltschaft jedoch widersetzt. Es überrascht deshalb nicht, dass die mit dem Verfahren befasste, engagierte Düsseldorfer Staatsanwältin Laura de Bruyne bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf Revision gegen den Freispruch des Musiklehrers eingelegt hat. Der Verfahrensausgang ist damit, sehr zum Leidwesen für den Pädagogen, wieder offen.
Wie ich es sehe
Im Fokus steht die Sozialadäquanz der Freiheitsberaubung. Zwar liegt objektiv eine Freiheitsberaubung vor, wenn ein Lehrer die ihm anvertrauten Schülerinnen und Schüler daran hindert, den Klassen- oder Fachraum während des Unterrichts nach Belieben zu verlassen. Nichts anderes gilt, wenn er seine Schüler einsperrt und so in der Fortbewegungsfreiheit hindert. Die Tathandlung muss aber auch rechtswidrig sein, woran es bei sozialadäquatem Handeln in Ausübung des Sorgerechts, beispielsweise durch Unterricht oder allgemein: Beaufsichtigung in der Schule, fehlt. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf muss sich meines Erachtens der Frage stellen, ob das sozial vertretbare, dienstrechtlich geschuldete (!) Handeln des Lehrers, der seine Schüler erziehen und beaufsichtigen muss, vgl. § 57 Abs. 1 SchulG NRW, überhaupt tatbestandsmäßig sein kann. Lehrkräften stehen heute kaum noch Mittel zur Disziplinierung zur Verfügung – und viele sehen sich hilflos der Respektlosigkeit ihrer Schüler gegenüber, denen »dank« des antiautoritären Erziehungsstils auch zu Hause Respekt im Umgang miteinander kaum noch vermittelt wird. Die Grenze zwischen »gerade noch sozialadäquat« und »schon rechtswidrig« verläuft fließend. Durch die Revision entwickelt sich der Lehrerberuf weiter zu einer gefahrgeneigten Tätigkeit, weil fehlende Rechtssicherheit und die Angst vor strafrechtlicher Verfolgung zunehmend mehr Kolleginnen und Kollegen verunsichern. Und das MSW schweigt.
Michael König
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Die Richtung stimmt!
Die Tarifverhandlungen 2017 für Angestellte sind zu Ende. Aus Sicht der angestellten Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen lautet das Fazit: Gutes Ergebnis mit kleinem Wermutstropfen.
Gemessen an den Forderungen, die neben der linearen Entgelterhöhung vor allem strukturelle Verbesserungen umfassten, kann man mit dem Ergebnis der Tarifverhandlungen zufrieden sein. Die Entgelte erhöhen sich rückwirkend zum 1. Januar 2017 um 2,0 Prozent, ein Jahr später zum 1. Januar 2018 nochmals um weitere 2,35 Prozent.
Wichtige Strukturfragen angepackt
Neben dieser linearen Entgelterhöhung standen strukturelle Forderungen im Vordergrund, die die Verwerfungen aus der Umstellung auf das neue Tarifrecht im Jahr 2006 beseitigen sollen. Hierzu zählten vor allem die Forderungen nach einer Weiterentwicklung der Lehrerentgeltordnung mit der Fortsetzung des Angleichungsprozesses, der Einführung einer Entgeltstufe 6 sowie der stufengleichen Höhergruppierung.
Ein nicht unwesentlicher Hintergrund der Verhandlungen zu diesen Fragen beruhte zudem auf der Tatsache, dass die im Jahr 2015 verabschiedete Lehrerentgeltordnung auf Arbeitnehmerseite nur von einem Tarifpartner unterzeichnet wurde, nämlich dem dbb und tarifunion, in dem auch lehrer nrw? über seinen Dachverband VdR (Verband deutscher Realschullehrer) vertreten ist. Die Arbeitgeber hätten somit die Verhandlungen zu diesem Themenbereich der Fortentwicklung der Lehrerentgeltordnung allein weiter mit dem dbb verhandelt und wohl auch abgeschlossen.
Kurz vor der abschließenden dritten Verhandlungsrunde haben sich jedoch auch verdi und GEW dazu durchgerungen, die Tarifvereinbarung zur Lehrerentgeltordnung nachzuzeichnen, um in der dritten Verhandlungsrunde zu diesem Themenbereich überhaupt mitwirken und mitentscheiden zu können.
Entgeltstufe 6 kommt
Die Arbeitgeber, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), lehnten die strukturellen Forderungen als insgesamt deutlich zu hoch ab. Die Verhandlungen gerieten in eine Sackgasse und drohten zu scheitern. Letztendlich zeichnete sich jedoch eine Kompromisslinie ab, die neben der linearen Entgelterhöhung auch eine wesentliche strukturelle Verbesserung umfasste, nämlich die Einführung einer Entgeltstufe 6 in den Entgeltgruppen 9 bis 15. Diese Entgeltstufe 6 gibt es bereits für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen sowie im Länderbereich in den Entgeltgruppen bis EG 8. Somit ist die neue Entgeltstufe 6 auch als ein überfälliges tarifpolitisches ‘Nachziehen’ im Länderbereich für die bislang noch nicht berücksichtigten höheren Entgeltgruppen zu betrachten.
Bitterer Wermutstropfen
Gleichzeitig war diese Kompromisslinie aber nur über den vorläufigen Verzicht der Fortsetzung des Angleichungsprozesses zu erreichen. In der Tat ein bitterer Wermutstropfen, hatte der dbb und tarifunion doch unter großen Mühen und negativen Begleiterscheinungen (siehe Kommentar auf Seite 22) diesen schwierigen Tarifkomplex des Abschlusses einer Lehrerentgeltordnung bewältigt.Dieser Wermutstropfen ist jedoch aus zweierlei Gründen vielleicht nicht so bitter, wie er auf den ersten Blick scheint: Zum einen haben sich die Tarifvertragsparteien in dem diesjährigen Abschluss auch darauf verständigt, dass der weitere Angleichungsprozess in den nächsten beiden Jahren, d.h. vor Beginn der nächsten Tarifverhandlungen, abschließend ausverhandelt werden muss. Zum anderen kommen über die jetzt neu eingeführte Entgeltstufe 6 alle Tarifbeschäftigten in den Genuss der strukturellen Verbesserung, die meisten aufgrund ihres höheren Dienstalters sofort, die übrigen nach Ablauf der noch zurückzulegenden Zeiten in den anderen Entgeltstufen.
Breite Akzeptanz
Alles in allem dürfte das Tarifergebnis auf breite Akzeptanz unter den Beschäftigten stoßen, vor allem wegen der weiteren strukturellen Verbesserung. Zudem ist erkennbar, dass die Arbeitgeber zunehmende Bereitschaft zeigen, auch strukturelle Fragen in den Tarifgesprächen zu verhandeln und zu lösen. Schließlich hat das neue Tarifrecht zu viele Verwerfungen mit sich gebracht, die sich nun in Zeiten eines drohenden Arbeitskräftemangels negativ auswirken. Wer in diesen Zeiten nicht schnell für Abhilfe bei den Mängeln des Tarifrechts sorgt, könnte seine Untätigkeit einmal bereuen.
Wichtige Hinweise:
Verkürzung der Frist
Wer im Zuge der Einführung der neuen Lehrerentgeltordnung einen Antrag auf Höhergruppierung bzw. Gewährung der Angleichungszulage (30 €) stellen möchte, hat nach diesem Tarifabschluss nur noch bis zum 31. Mai 2017 Zeit (Ausschlussfrist!). lehrer nrw bietet dazu seine Beratung an.
Entgeltstufe 6
Anspruch auf die Entgeltstufe 6 haben Tarifbeschäftigte nach einer Laufzeit von fünf Jahren in der Entgeltstufe 5. Die Entgeltstufe 6 wird in zwei Tranchen eingeführt, die erste zum 1. Januar 2018, die zweite zum 1. Oktober 2018.
Ulrich Gräler
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Dissonanter Nachklang
Die Tarifverhandlungen 2017 sind erfolgreich zum Abschluss gekommen, obwohl das Ergebnis von 2015 noch lange nachgewirkt hat. Die damals verabschiedete Lehrerentgeltordnung wurde allein vom dbb und tarifunion unterzeichnet, verdi und GEW haben sie strikt abgelehnt. Schon auf der Pressekonferenz zum damaligen Tarifabschluss hatten einige Mitglieder ihrer Verhandlungskommission den Verhandlungsführer des dbb massiv verunglimpft.
Fragwürdiges Verhalten der GEW
Im Verlauf der letzten zwei Jahre haben zudem einige Vertreter der GEW wiederholt versucht, die Lehrerentgeltordnung öffentlich in Misskredit zu bringen und dabei mit hämischen Kommentaren nicht gespart (zum Beispiel auf Personalversammlungen, zuletzt noch auf der großen Demo in Düsseldorf vor der dritten Verhandlungsrunde). Das hat nicht nur die gewerkschaftliche Zusammenarbeit belastet, sondern auch zahlreiche nicht-organisierte Lehrkräfte verunsichert.
Gleichzeitig hat aber eine Vielzahl von GEW-Mitgliedern sich nicht abhalten lassen, den Antrag auf Zahlung der Angleichungszulage zu stellen und dadurch die Lehrerentgeltordnung faktisch zumindest zu akzeptieren. Somit hat die Basis der GEW in dieser Frage der offiziellen Gewerkschaftspolitik ganz offensichtlich die Gefolgschaft gekündigt.
Jahrzehntelang hatten die Lehrkräfte auf eine tarifliche Eingruppierung gewartet. Genauso lang hatten sich die Arbeitgeber, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), geweigert, eine Lehrerentgeltordnung zu vereinbaren, obwohl die gleichen Landesregierungen für alle übrigen Branchen des Wirtschaftslebens derartige Tarifverträge stets nachdrücklich eingefordert haben. Nun hatten die Arbeitgeber 2015 ihre Bereitschaft signalisiert, einen Tarifvertrag über die Eingruppierung abzuschließen, der trotz der Komplexität in sich weitgehend sachlogisch aufgebaut und inhaltlich nachvollziehbar war. Deshalb hatte der dbb und tarifunion diesen Tarifvertrag auch unterzeichnet.
Ein unrühmliches Kapitel tarifpolitischer Arbeit
Diesen Tarifvertrag jedoch abzulehnen, zwei Jahre lang vehement zu bekämpfen und dann »in letzter Minute« nachzuzeichnen, zeugt nicht von maßvoller, realistischer sowie weitsichtiger Gewerkschaftspolitik der GEW, von fairem Umgang mit dem Tarifpartner ganz zu schweigen. Ein unrühmliches Kapitel gemeinsamer tarifpolitischer Arbeit.
Jetzt gilt es aber, die kommenden zwei Jahre für die weitere Ausgestaltung der Lehrerentgeltordnung gemeinsam zu nutzen, um für den Schulbereich einen weiteren Zugewinn an Attraktivität zu erzielen.
In der traditionellen Musiktheorie waren dissonante Intervalle und Akkorde nur als »musikalische Durchgänge« erlaubt, die sich in konsonante Akkorde mit Wohlklang aufzulösen hatten. Dies ist nun geschehen, auch wenn die Dissonanzen noch nachklingen. Für den Fortgang des Stücks gilt jedoch, dass nur der harmonische Gleichklang am Ende ein spürbar besseres Musikerlebnis ermöglicht. Dessen sollten sich alle Beteiligten bewusst sein!
Ulrich Gräler
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