Von offenen Baustellen, offenen Versprechen und offenen Fragen
Wer kennt das nicht? Man hat ein Anliegen bei einem Dienstleister, der auch die besten Absichten hat, seine Klientel optimal und umfänglich zu befrieden, und dennoch geht man ziemlich irritiert und unwirsch aus dieser telefonischen Begegnung heraus.
Zunächst läuft ein Band mit einer höflichen Stimme, die uns bittet, aus drei vorgegebenen Begriffen denjenigen zu wählen, der unser Anliegen am besten trifft, und die passende Ziffer in die Tastatur einzugeben. Danach schließt sich eine weitere Befragung an, die der weiteren Spezifizierung unseres Anliegens dient, dabei werden wir weitere Ziffern eingeben. Ertönt dann endlich ein Freizeichen in der Leitung, werden wir von Hoffnung, unser Ziel nach einigen Minuten endlich erreicht zu haben, heftig durchflutet! Ja!
Die Erleichterung und Freude halten jedoch nur kurz an, bis wir begreifen, dass eine freundliche, meist weibliche Stimme, leider eine künstliche und völlig emotionslose ist: »Die Warteschleife beträgt zurzeit circa zehn Minuten. Sie können Ihr Anliegen jedoch auf unserer Internetseite vortragen. Ansonsten rufen Sie bitte zu einem späteren Zeitpunkt an!«
Und tschüss!
Frust beschreibt nicht annähernd unsere aktuellen Emotionen! So kann der Mensch aggressiv werden – auch der netteste und geduldigste Mensch.
Defizite allerorten
Rein bildungstechnisch gesehen befinden wir uns an den Schulen in unserem Land Nordrhein-Westfalen zurzeit in einer ähnlichen Situation. Es läuft seit recht langer Zeit nicht mehr rund – und das ist noch untertrieben dargestellt. Es fehlen Lehrkräfte an allen Schulformen, Stundenkontingente zur Entlastung der Lehrerinnen und Lehrer, Personen für multiprofessionelle Teams zur Unterstützung in Schulen, um nur einige wenige Defizite beim Namen zu nennen. Die Besoldungsfrage (Umsetzen der Forderung einer Anpassung der Lehrerbesoldung an die veränderte Lehrerausbildung) wird ignoriert (als hätte es keine Gespräche und Absprachen gegeben!).
Die Umsetzung des Faches Wirtschaft im bestehenden Fächerkanon zieht sich wie Kaugummi hin, obwohl vollmundig versprochen (und vor Jahren unter schwarz-gelber Regierung als Modellversuch an Realschulen initiiert und erfolgreich evaluiert!). Und es beginnen zunächst die Gymnasien, obwohl diese das Fach gar nicht wollten, und nicht etwa die Realschulen, die ja vor Jahren erste Erfahrungen bereits gemacht hatten. Was zählen schon gemachte Erfahrungen? Wir machen alles anders.
Die Fachleiterproblematik bleibt unbeachtet, obwohl immer wieder auf sie hingewiesen wurde und wird. Sie brodelt einfach vor sich hin. Qualität hat eben nicht ihren, sondern seinen Preis, den Preis der Ignoranz!
Die Weiterentwicklung und Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen an den Realschulen wie Hauptschulen und die sie betreffenden strukturellen Veränderungen in den Kommunen werden hingenommen und leise oder gar heimlich sanktioniert durch Nichthandeln und Stillhalten. Nur nicht bewegen oder sich gar mit den Kommunen anlegen, scheint die Parole zu lauten.
Ja, wo laufen sie denn?
Die Klassensituation mit Blick auf die Belastung der einzelnen Lehrkräfte bleibt seit Jahren, wie sie ist – unverändert unerträglich. Seltsamerweise wundert man sich besonders in Chefetagen von Landtag und Schulministerium darüber, dass man einfach in Nordrhein-Westfalen keine Lehrkräfte auf dem Markt finden kann. Ja, wo sind sie denn geblieben? Das fragt sich das gesamte schulpolitische Fraktionstableau zurzeit in unserem Landtag! Ja, wo laufen sie denn? Ja, wo laufen sie denn hin? Die Lehrer!
Die Hauptfrage, die sich mir stellt, ist die: Die Absicht zu Beginn, die vollmundig durch alle Reihen der Schultribünen ging, war die eines Wandels, einer deutlichen Verbesserung der bestehenden Blockade-Situation an den Schulen in Nordrhein-Westfalen – eine Veränderung, die für jeden Schüler, für alle Eltern und für alle Lehrkräfte aller Schulformen erkennbar und spürbar sein sollte. Eine Absicht, für die wir alle wählen gingen und geworben haben. Und jetzt?
Wer blockiert hier eigentlich wen? Wer hat das Sagen in der jetzigen Landesregierung?
Der Finanzminister als Sündenbock
Ich hatte kürzlich ein gutes Gespräch mit unserem Ministerpräsidenten, dem ich unsere Nöte, unsere Befürchtungen und unsere Anliegen vortragen durfte. Ich stieß auf Verständnis und den Willen, sichtbare Zeichen in der Bildungslandschaft zu setzen. Ich glaubte ihm. Er wirkte authentisch. Was ist bis heute daraus geworden? Als Buhmann der aktuellen Situation, die kein Fortkommen in der Sache zulässt, ist wohl Herr Lienenkämper, unser Finanzminister, ausgeguckt. Er scheint die breitesten Schultern zu haben oder haben zu müssen. Und fast jeder aus dem Zirkel um ihn, mit dem ich bisher geredet habe, hat ihn als Schuldigen genannt. Entweder hat er sich selbst angeboten, weil er tatsächlich sehr breite Schultern hat – oder man hat ihn zum Sündenbock auserkoren – das hat dann seinen Preis.
Wer hat das Sagen – der Staatssekretär oder die Ministerin?
Und noch etwas ist unklar: Bestimmt der Staatssekretär das Schulgeschehen im Land – oder hat die Ministerin das Sagen? Diese Frage stellt sich nach meiner Erfahrung ebenfalls für jede schwarz-gelbe Regierung im Land Nordrhein-Westfalen. Aktuell hatten wir beispielsweise die Zusage der Ministerin, dass der §?132c eine Veränderung erfahren sollte im 15. Schulrechtsänderungsgesetz, und zwar hinsichtlich der Stärkung einer äußeren Differenzierung. Die Zusage stand – auf dem Weg in die Verbändebeteiligung ist sie offenbar verloren gegangen. Sorry!
Jetzt ist Halbzeit der Legislaturperiode – die Fakten kommen auf den Tisch. Ein ’Tisch des Herrn’ ist es zurzeit nicht. Kann man das Ruder noch herumreißen?
Es ist höchste Zeit!
Zeit, das Ruder herumzureißen
Ich war gerade an der See in Urlaub. Es ist nicht einfach bei den Stürmen, die unerwartet aufkommen, das Ruder rumzureißen. Und das liegt nicht am Ruder, sondern an der Stärke der Menschen, die es fest im Griff haben. Wir sind sturmerprobt auf hoher See – lehrer nrw gibt nie auf! Noch hat die aktuelle Landesregierung die Möglichkeit, wieder auf den versprochenen und angepeilten Kurs zu kommen.
Sie müssen das Ruder nur beherzt herumreißen! Es ist noch Zeit dafür.
Brigitte Balbach
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