Über die fehlende Nach-Qualifizierung von Seiteneinsteigern
Wenn ein Schreiben des MSW schon mit einer Entschuldigung beginnt, die an das Verständnis der Hauptpersonalräte appelliert, dass diese (leider) erst nach der Schlusszeichnung des Staatssekretärs über einen Erlass informiert werden können, liegt die Sache selbst schon im Argen – das lehrt mich meine langjährige Erfahrung mit Personalratsarbeit.
So ist es auch in diesem Fall: Bei dem Erlass geht es um die Aufstockung von entfristeten Arbeitsverträgen zur Deckung des steigenden Bedarfs an Lehrkräften, die keine originäre Lehrerausbildung durchlaufen haben und auch keinen Anspruch auf Anerkennung anderweitiger vorheriger Tätigkeiten haben, der ihnen den Weg über die OBAS oder die pädagogische Einführung in den Lehrerberuf ermöglichen könnte.
Auf Seiteneinsteiger angewiesen
Mit anderen Worten: Es handelt sich um Personen wie zum Beispiel Dachdecker oder Bäcker, Menschen mit nur ein paar Fach-Semestern an einer Universität oder Hochschule oder ähnlichen Qualifikationen, wie zum Beispiel einer Berufsausbildung. Zahlreiche Schulen, besonders auch in ländlichen Gebieten, sind mittlerweile auf diese Menschen angewiesen, da sie über das Wissen und ausreichende Kompetenzen verfügen, die sie an diesen Schulen in den Fächern, die sie unterrichten können, unentbehrlich machen. Dieser sogenannte Seiteneinstieg garantiert uns also in Nordrhein-Westfalen eine Stundentafel, die den für die Schulen des Landes festgeschriebenen Vorgaben entspricht. Würden diese Menschen nicht in der Not des Lehrermangels einspringen, müsste der jeweilige Fachunterricht schlichtweg ausfallen. Das wäre nicht zu verantworten.
Seit ein paar Jahren spielt die Gerichtsbarkeit beim Seiteneinstieg eine große Rolle: Zunächst befristete Verträge werden aus unterschiedlichen Gründen in unbefristete umgewandelt, meist gilt als Grund der Zeitraum der Beschäftigung (aktuell nach etwa fünf bis sieben Jahren, je nach Arbeitsgericht). Der betroffene Seiteneinsteiger wird in der Regel mit der Stundenzahl weiterbeschäftigt, die im letzten Vertrag festgeschrieben war. Mit oben genanntem neuen Erlass soll diesen Kollegen ermöglicht werden, ihre Stundenzahl bis zur Vollzeittätigkeit aufstocken zu können. Damit sind sie voll in unserem System und in unseren Kollegien. Willkommen! Wo Not ist, muss oft neu gedacht werden!
Lehrer erster und zweiter Klasse?
Wie kann denn nun eine möglichst volle Integration in die Lehrerkollegien erfolgen? Oder haben wir mit dieser neuen Entwicklung jetzt Lehrer erster und zweiter Klasse, also mit und ohne Lehrerausbildung in unseren Schulen? Denn Fakt bleibt ja zunächst, dass diese Kollegen zwar über eine Qualifikation für mindestens ein Fach verfügen – wie steht es aber mit Pädagogik und Didaktik? Sie haben das Lehren ja nicht gelernt! Ich halte noch einmal fest: Aus einer Flexmittel-Stelle geht es in die Vollzeit ohne jegliche Ausbildung, sei sie auch noch so komprimiert? Wie kann das sein? Was ist mit der Absicherung der Unterrichtsqualität? Wer besucht die Unterrichtsstunden dieser Kollegen, um sich ein Bild davon zu machen? Und zwar mit dem Ziel, dass diese Kollegen künftig Vollzeitlehrkräfte sein sollen, die mit allen Konsequenzen Teil des Kollegiums werden. Soll eine Teilung von Kollegien in Lehrer unterschiedlicher ‘Klassen’ festgeschrieben werden? Wo bleibt die Nachjustierung des MSW?
Auf Nachfrage des Hauptpersonalrates Realschule nach einer Qualifizierungsmöglichkeit irgendeiner Art, musste das MSW zunächst passen. Das hatte keiner ‘auf dem Schirm’. Die Bereitschaft, darüber im Haus nachzudenken, war jedoch vorhanden. Und nach unserer Einlassung gab es bereits eine erste Rückmeldung: In zwei Gesprächsrunden mit der Abteilung ‘Lehrerausbildung’ kam man übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass eine Qualifizierung dieser Seiteneinsteigergruppe wegen fehlender Qualifikation nicht möglich sei. Denn wer über keine Qualität verfüge, könne auch nicht eine Qualitätserweiterung erhalten. Logisch, nicht wahr?
Von Fortbildung ausgeschlossen
Wer mit einer ausreichenden Qualifizierung ins System Schule kommt, wird weitergebildet, er kann sein Qualitätsniveau kontinuierlich durch Teilnahme an Fortbildungen und Weiterbildungen erhöhen. Wer mit weniger kommt, kann per OBAS oder Pädagogischer Einführung eine Verbesserung und eine Anerkennung als reguläre Lehrkraft erreichen. Wer mit so gut wie nichts Erlerntem aus dem Bereich Pädagogik/Didaktik kommt (außer seiner täglich zunehmenden Erfahrung), wird noch zusätzlich »unten in der Lehrerbildungskette« gehalten, weil es »ohne Qualität keine Qualitätserweiterung« geben kann. Das heißt: Er ist auch von Fort- und Weiterbildung systemisch ausgeschlossen!
Können Sie das glauben? Ich auch nicht. Die Gespräche im MSW gehen nach unserer erneuten Einlassung in die zweite Runde. Ich habe angeregt, die ZfsL einzubinden, denn die sind letztlich für diese Erstausbildung in Pädagogik, Didaktik und Methodik zuständig.
Kritische Stimmen aus den Kollegien
Noch ein Wort zu uns in den Kollegien. Schon zu oft habe ich erste kritische Stimmen zu dieser Entwicklung gehört, so nach dem Motto: »Warum hab’ ich dann so lange studiert, wenn es auch mit weniger Aufwand geht?« Was soll das werden – Neid, Missgunst, Ausgrenzung oder Bewahren der eigenen Bildungshoheit? Ich möchte Sie anregen, alle am Schulleben Beteiligten mitzunehmen: Das Spartendenken und das Denken in Kategorien muss auch in unseren Schulen und besonders in unseren Kollegien ein Ende haben! Unsere jetzigen Zeiten sind unruhig, durchaus gefährlich, politisch oft irritierend! Das heißt für uns Lehrer: Zusammenhalt ist nötig, Zeichen müssen wir setzen, Werte vermitteln, falsche Entwicklungen deutlich negieren, für etwas stehen. Damit müssen wir – wie immer – bei uns selbst anfangen, in unserem Kollegium! Die Schule von Morgen wird anders aussehen müssen, bunter, vielfältiger, anders eben. Das müssen wir im Blick haben.Das MSW muss die Qualität der Lehrkräfte im Blick haben, und zwar bevor sie ein Arbeitsleben lang vor der Klasse stehen; das Haus muss eine Grundqualifikation jeder Lehrkraft systemisch sicherstellen. Denn auch eine spätere Qualitätsanalyse macht nur Sinn, wenn ich vorher einen Mindeststandard für Lehrer festgeschrieben habe. Das tut zurzeit not.Quer denken wünsche ich mir manchmal im MSW – verquer denken ist leider öfter mal der Fall – wie unser Beispiel zeigt.Brigitte Balbach
Zur Originalausgabe (PDF-Format)