Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag. Diesmal geht es um die Vor- und Nachteile des Home Schoolings.

Home sweet home – der Satz kommt vielen im Moment nur sehr gequält über die Lippen. In den letzten Wochen und Monaten der Corona-Krise haben wir in unserer kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis relativ im Normalbetrieb gearbeitet mit nur sehr wenigen Absagen, teilweise anfänglich auch durch Corona bedingt. Unsere Eingangsfrage zum Beginn eines Gespräches war/ist fast immer: »Und wie geht es Ihnen in der Corona-Krise? Was macht das Home-Schooling/Home-Office?«

Hier erlebe ich die vielfältigsten Antworten. Ja, wir erleben hier die Nebenwirkungen der Maßnahmen, wie das Aussetzen vieler Psychotherapien bzw. Psychotherapie über wackelige Videogespräche, die Nichtaufnahme in Tageskliniken/Kliniken, Verschlimmerung von Ängsten, Depressionen etc. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Festzuhalten ist: Ja es gibt sie, die sogenannten Kollateralschäden, und dies in einem nicht unerheblichen Maße.

Was nehmen wir an Erfahrungen im schulischen/therapeutischen Kontext nach der Corona-Krise mit? (Wer entscheidet eigentlich, wann die Krise vorbei ist?) Es gibt Eltern und Schüler, die berichten, es sei super, zuhause zu lernen. Ausformuliert klingt das dann so: »Ich schaffe viel mehr und spüre nicht den immensen Druck aus der Schule.« Eltern erleben erstmalig, wie eigenständig und strukturiert ihre Kinder lernen können. Nicht wenige sagen, »es wäre ja cool, wenn wir nur zwei Tage die Woche zur Schule müssten und drei Tage selbst für uns lernen könnten«.

Für mich nehme ich mit: Sicherlich sollte in ferner Zukunft die Schulanwesenheitspflicht nochmal neu diskutiert werden. Eindeutig positive Ergebnisse zeigt die Verkleinerung der Klassen, so dass Grundschullehrer mit zum Teil nur acht Kindern Unterricht machen und dies sowohl von Lehrern als auch Schülern als extrem positiv bewertet wird. Viele Dinge, die in unterschiedlichen Fachrichtungen schon lange diskutiert werden, finden nun unter Auflage der Hygienemaßnahmen auch einen rechtlich bedeutsamen Rahmen und können ausprobiert werden. Dass dafür extra eine Corona-Krise »kommen musste« … geschenkt.

Auf jeden Fall bewahrheitet sich die alte Weisheit: Das Leben ist bunt. Eins spiegelt sich jedoch in allen Aussagen von Eltern, Lehrern und Schülern wider: Vermisst wird der persönliche Kontakt, denn die Sozialkontakte machen uns Menschen aus (keine wirklich neue Erfindung), sind elementare Teile des Menschseins. Auf Mikroebene heißt das, sich bei der Begrüßung in den Arm nehmen, »give me five« mit dem Mathelehrer nach einer einigermaßen guten Note und so weiter und so fort.

So habe ich zwei Herzen in meiner Brust: einerseits diskussionswürdige, jetzt gelebte Änderungen im Schulsystem über die Dauer hinweg und andererseits die oben genannten »unerwünschten Nebenwirkungen« mancher Maßnahmen, die sicherlich noch in den nächsten Jahren nachwirken werden in den mikrokosmischen zwischenmenschlichen Begegnungen und den in diesem Zusammenhang spürbaren Ängsten. Es werden auf jeden Fall spannende und wichtige Auseinandersetzungen in den nächsten Zeiten.

Zur Person:

Dr. med. Stefan Battel ist seit 2007 niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit eigener Praxis in Hürth bei Köln und seit 2012 systemischer Familientherapeut (DGSF). Im Rahmen des lehrer nrw?-Fortbildungsprogramms greift er in einer Vortragsreihe regelmäßig verschiedene Themen aus dem
Bereich der Jugendpsychologie auf.

Originalbeitrag (PDF-Datei)


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