Seit dem Schuljahr 2018/2019 wird der erteilte und ausgefallene Unterricht durch die ’Flächendeckende Unterrichtsausfallstatistik mit Detailerhebung’ – kurz:UntStat – erhoben. Das Ministerium plant nun, die Ergebnisse nicht nur landesweit, sondern auch schulscharf zu veröffentlichen. Dadurch wächst der Druck auf die Schulen und der Konkurrenzkampf zwischen ihnen.
Um ganzjährig Informationen über das Unterrichtsgeschehen an allen Schulen zu erhalten, besteht das Verfahren der ’Flächendeckenden Unterrichtsaufallstatistik mit Detailerhebung’ aus zwei Erhebungsteilen. Bei der flächendeckenden Erhebung wird für jede Unterrichtswoche eine auf zentrale Kennziffern reduzierte wöchentliche Rückmeldung durch alle öffentlichen Schulen der teilnehmenden Schulformen abgegeben. Um weitergehendes Steuerungswissen zu gewinnen, wird diese Meldung ergänzt durch die Detailerhebung. Hierbei handelt es sich um eine differenziertere Rückmeldung, die von den teilnehmenden Schulen einmal pro Schuljahr zusätzlich zur flächendeckenden Erhebung für einen zugewiesenen Zeitraum von zwei Unterrichtswochen erfolgt und die unter anderem über die Ursachen der Abweichungen vom regulären Stundenplan Auskunft gibt.
Veröffentlichung auf Schulebene steht bevor
In der ersten Erhebung sind die Daten zur Unterrichtsstatistik lediglich landesweit veröffentlicht worden. Der landesweite Unterrichtsausfall im ersten Schulhalbjahr 2018/ 2019 betrug demnach über alle Schulformen hinweg 4,8 Prozent. Darin enthalten waren sowohl ersatzlos ausgefallene Unterrichtsstunden (3,3 Prozent) als auch das Eigenverantwortliche Arbeiten (1,5 Prozent). Nunmehr plant das Schulministerium (MSB), die Daten auch auf Schulebene zu veröffentlichen, »um die zugesagte Transparenz hinsichtlich der Unterrichtserteilung in Nordrhein-Westfalen herzustellen«.
Obwohl diese Veröffentlichung nicht der förmlichen Mitbestimmung durch den Hauptpersonalrat (HPR) unterliegt, hat das Gremium das Gespräch mit der Dienststelle gesucht, um seine Bedenken zu äußern. Der Druck auf die Schulen und der Konkurrenzkampf zwischen ihnen wird durch das ’Ranking’ zwangsläufig wachsen. Schon jetzt haben den Hauptpersonalrat zahlreiche Rückmeldungen aus den Kollegien erreicht, dass Schulleitungen aus Angst um den Ruf ihrer Schulen noch konsequenter als bisher Mehrarbeit anordnen, um jedweden Unterrichtsausfall zu vermeiden. Die Ängste der Schulleitungen sind nachvollziehbar, die Folgen für die ohnehin schon über alle Maßen belasteten Kollegien verheerend.
Informationsfreiheitsgesetz als Hebel
Das Ministerium zieht sich auf das Informationsfreiheitsgesetz zurück, das den Bürgerinnen und Bürgern im Grundsatz freien Zugang zu allen bei öffentlichen Stellen des Landes vorhandenen Informationen gewährt. Es begründet einen Rechtsanspruch auf Information, der an keine besonderen Voraussetzungen geknüpft ist. Verwaltungen und Behörden sind grundsätzlich verpflichtet, den Bürgerinnen und Bürgern die gewünschte Auskunft zu erteilen. Sie dürfen einen Antrag auf Informationszugang nur aus den im Informationsfreiheitsgesetz vorgesehenen Gründen ablehnen. Vor diesem Hintergrund argumentiert die Dienststelle wie folgt: Da die Daten (mit öffentlichen Mitteln) erhoben sind und sie den Anträgen auf Informationszugang von interessierten Eltern oder Journalisten für jede einzelne Schule oder für alle Schulen eines Schulträgers ohnehin stattgeben müsste, veröffentlicht die Behörde die Daten stattdessen quasi in vorauseilendem Gehorsam.
HPR erreicht zwei Verbesserungen
Da der Wille des Ministeriums zur schulscharfen Veröffentlichung unumstößlich war, hat der Hauptpersonalrat versucht, auf die Art und Weise der Veröffentlichung Einfluss zu nehmen und dabei erreicht, dass im Bildungsportal neben dem Unterrichtsausfall der Einzelschule nur der landesweite Durchschnitt des Unterrichtsausfalls der jeweiligen Schulform (und nicht der landesweite Durchschnitt des Unterrichtsausfalls aller Schulformen) veröffentlicht wird. Das hätte nämlich bedeutet, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden. So erfährt man nun, wie sich der Unterrichtsausfall an der Realschule X darstellt und wie hoch der durchschnittliche Unterrichtsausfall an allen Realschulen des Landes im Erhebungszeitraum war. Noch wichtiger war dem Hauptpersonalrat jedoch, dass neben dem Unterrichtsausfall auch die Personalausstattungsquote der jeweiligen Schule veröffentlicht wird. Eine schlechte Personalausstattung generiert (und erklärt zugleich) einen hohen Unterrichtsausfall. Dieser Zusammenhang sollte auch dem interessierten Betrachter offengelegt werden. Das MSB hat zugesagt, die Vorschläge des HPR umzusetzen.
Wie ich es sehe
Die schulscharfe Veröffentlichung des Unterrichtsausfalls setzt die Schulen unnötig unter Druck. Ein Großteil des Unterrichtsausfalls resultiert aus der katastrophalen Lage auf dem Lehrerarbeitsmarkt. Wer den Unterrichtsausfall minimieren möchte, muss eine politische Grundsatzentscheidung treffen und erheblich mehr Geld für Bildung in die Hand nehmen. Nur wenn finanzielle Anreize geschaffen werden und die Arbeitsbedingungen erhebliche Verbesserungen erfahren, werden sich künftig genügend junge Menschen für diesen Beruf entscheiden.
Die Ergebnisse der Erhebung aus dem ersten Schulhalbjahr 2018/2019 lese ich übrigens anders als viele andere Menschen: Es gilt nicht darüber zu klagen, dass 4,8 Prozent Unterricht ausgefallen sind, sondern es gilt, Anerkennung und Respekt dafür auszudrücken, dass über 95 Prozent des Unterrichts trotz einer miserablen Personalausstattung an unseren Schulen erteilt werden konnten. Dafür haben unsere Lehrkräfte unendlich viele Mehrarbeitsstunden geleistet und sind täglich über ihre Belastungsgrenzen hinausgegangen. Chapeau!
Sven Christoffer
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