Die Corona-Pandemie hat nicht nur die Bildungsarbeit in unserem Land erschüttert, sondern auch die Personalratsarbeit auf eine harte Probe gestellt. Die Dienststelle sah sich in der Krise mehrfach veranlasst, Erlasse als vorläufige Regelungen mit sofortiger Wirkung in Kraft treten zu lassen, ohne zuvor die Zustimmung des Personalrats einzuholen.
Die Kernvorschrift des Mitbestimmungsverfahrens ist § 66 LPVG: Soweit eine Maßnahme der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt, kann sie nur mit seiner Zustimmung getroffen werden. In einem ersten Schritt unterrichtet die Dienststelle den Personalrat von der beabsichtigten Maßnahme und beantragt seine Zustimmung. Sofern der Personalrat beabsichtigt, der Maßnahme nicht zuzustimmen, hat er dies innerhalb von zwei Wochen (in dringenden Fällen innerhalb einer Woche) der Dienststelle mitzuteilen. Sodann ist die Maßnahme mit dem Ziel einer Verständigung zwischen der Dienststelle und dem Personalrat zu erörtern. Ergibt sich auch in der Erörterung keine Einigung, kann die sogenannte Einigungsstelle angerufen werden. Sie ist ein unabhängiges Schlichtungsorgan, das in solchen Streitfällen grundsätzlich eine für alle Seiten verbindliche Regelung trifft.
§ 66 Absatz 8 regiert
§ 66 Absatz 8 gibt der Dienststelle jedoch die Möglichkeit, von der oben beschriebenen Verfahrensweise abzuweichen: »Die Dienststelle kann bei Maßnahmen, die der Natur der Sache nach keinen Aufschub dulden, bis zur endgültigen Entscheidung vorläufige Regelungen treffen. Sie hat dem Personalrat die vorläufige Regelung mitzuteilen und zu begründen und unverzüglich das Verfahren nach den Absätzen 2, 3, 5 und 7 [also das reguläre Mitbestimmungsverfahren] einzuleiten oder fortzusetzen.«
Übersetzt bedeutet das, dass Erlasse als vorläufige Regelungen mit sofortiger Wirkung in Kraft treten können, ohne zuvor die Zustimmung des Personalrats einzuholen. Parallel dazu muss zwar das reguläre Mitbestimmungsverfahren eingeleitet werden. Fatal ist jedoch (abseits der Problematik, dass es natürlich strittig sein kann, ob eine Maßnahme tatsächlich »der Natur der Sache nach keinen Aufschub duldet«), dass insbesondere befristete Maßnahmen bereits umgesetzt und verfristet sind, bevor das reguläre Mitbestimmungsverfahren abgeschlossen ist.
Inflationärer Gebrauch
Erstmalig hat das Ministerium in der Corona-Pandemie von § 66 Abs. 8 LPVG im Zusammenhang mit der Ausweitung der Notbetreuung auf die Osterferien sowie auf drei Wochenenden Gebrauch gemacht. Dass diese Maßnahme tatsächlich keinen Aufschub duldete, war für den Hauptpersonalrat Realschulen unstrittig, das Gremium hat der Vorlage deshalb im Nachgang zugestimmt. Auch bei der Einführung eines LOGINEO NRW-Lernmanagementsystems (LMS) argumentierte die Dienststelle, dass »nach Lage der Dinge in der gegenwärtigen Situation der Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens nicht abgewartet werden kann«. Dabei sind es gerade die Hauptpersonalräte gewesen, die in der Vergangenheit immer wieder darauf gedrungen haben, dass das Land dem Wildwuchs an Systemen, die zum Teil unter Datenschutzaspekten nicht bedenkenfrei sind, ein eigenes Angebot entgegenstellt. Es ist deshalb das ureigene Interesse aller Beschäftigtenvertretungen, das Lernen auf Distanz effektiv und rechtssicher zu gestalten.
Ein weiteres Beispiel: In einer Telefonkonferenz mit Vertretern der Dienststelle hatte ich darauf aufmerksam gemacht, dass es Regelungsbedarf bezüglich anstehender Beurteilungsverfahren gebe, da nicht alle Beurteilungselemente wie vor der Zeit der Corona-Pandemie durchgeführt werden könnten. Mittlerweile hat das MSB ’Regelungen zur Durchführung des Beurteilungsverfahrens für die Zeit der Wiederaufnahme des Schulbetriebes’ erlassen. Dabei ist erneut § 66 Abs. 8 angewandt worden, so dass auch hier die Möglichkeit einer echten Mitgestaltung durch den HPR ausgehebelt wurde.
Festlegung der Risikogruppen
Sämtliche Regelungen zur Festlegung der Risikogruppen sind dem Hauptpersonalrat im Wege des § 66 Abs. 8 LPVG vorgelegt worden: die Definition der Risikogruppen gemäß 15. Schulmail, ergänzende Maßnahmen zur 15. Schulmail, die Verlängerung der Regelungen bis zum 24. Mai 2020, der Einsatz von Risikolehrkräften sowie schwangeren und stillenden Lehrerinnen in mündlichen Prüfungen und der Runderlass ’Regelungen zum Einsatz des Personals; Umgang mit der Corona-Pandemie’ mit der Neuregelung zum Personaleinsatz ab dem 3. Juni 2020. Aufgrund unterschiedlicher Bedenken hat der Hauptpersonalrat Realschulen mehrere dieser Vorlagen mit dem Ziel der Erörterung abgelehnt, die Spielregeln des §?66 Abs. 8 verunmöglichen jedoch eine wirkungsvolle Einflussnahme. Insofern bleibt festzuhalten, dass die Mitbestimmung in der Corona-Pandemie in der Krise ist. Und das in einer Zeit, die eigentlich einer besonders vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Dienststelle und Beschäftigtenvertretung bedurft hätte?…
Sven Christoffer
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