Als Mitte März die Schulen geschlossen wurden, hatte ein Großteil der Lehramtsanwärterinnen und -anwärter die zweite Staatsprüfung bereits abgelegt. Fluch oder Segen? Den Verband wie auch den Hauptpersonalrat Realschulen erreichten zahlreiche Anfragen von Absolventen, die sich Sorgen um ihre Zukunft nach der bestandenen Prüfung machten.
Die Lehramtsanwärterinnen und -anwärter (LAA) standen vor dem Problem, dass zum 1. Mai 2020 keine regulären Einstellungen stattfinden konnten. Somit blieben für diese Gruppe drei Optionen: den Einstellungstermin zum 1. Juni 2020 abwarten und einen Monat der Arbeitslosigkeit überbrücken zu müssen, sich auf eine Vertretungsstelle zu bewerben oder eine Stelle über das Listenverfahren zu bekommen, da der Vorbereitungsdienst mit bestandener zweiter Staatsprüfung endet und auch nicht verlängert werden konnte. Für viele eine nur schwer erträgliche Ungewissheit.
Quälende Ungewissheit
Eine weitaus kleinere Gruppe von etwa 850 LAA hatte zum Zeitpunkt der Schulschließungen ihre zweite Staatsprüfung noch nicht abgelegt. Für sie war die Ungewissheit nicht geringer, wusste natürlich niemand, wann die Schulen in welchem Umfang wieder öffneten und ob überhaupt eine reguläre Prüfung für diese Gruppe würde stattfinden können. Erst relativ spät erfuhren die jungen Kolleginnen und Kollegen, wie es für sie weitergehen würde:
Im Zeitraum 11. bis 20. Mai 2020 fanden – auch zur Entlastung der Ausbildungsschulen – die rund 850 noch ausstehenden Staatsprüfungen in den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) statt. Kolloquien wurden um simulierte schulische Situationen ergänzt. Auch diese LAA konnten an den Auswahlgesprächen ab dem 7. Mai 2020 – trotz noch nicht bestandener Prüfung – teilnehmen, nachdem eine fiktive Ordnungsgruppe ermittelt wurde. Dies geschah zugunsten dieser Kolleginnen und Kollegen und verhinderte, dass sie auf den nächsten Einstellungstermin warten mussten. Auch wenn das nordrhein-westfälische Schulministerium (MSB) bemüht war, Lösungen in diesen für alle Menschen unendlich belastenden Zeiten zu finden, stellte die Ungewissheit doch für die angehenden Lehrerinnen und Lehrer eine enorme Belastung dar und das, obwohl wir gerade jetzt jede Lehrkraft in Schule brauchen.
Ausbildungsbetrieb wieder aufgenommen
Wie geht es für die nächste Kohorte weiter? In der 18. Schulmail vom 30. April 2020 teilte das MSB mit, wie der Ausbildungsbetrieb für die kommenden Jahrgänge wieder aufgenommen werden sollte. Der Präsenzausbildungsbetrieb an den ZfsL wurde ab 4. Mai 2020 schrittweise wieder aufgenommen und durch Ausbildung auf Distanz ergänzt. Dies galt zunächst für die LAA, die zum 1. Mai neu eingestellt wurden. Analog zur Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts an Schulen mussten Präsenzveranstaltungen an die jeweiligen räumlichen Gegebenheiten und die Anforderungen des Infektionsschutzes angepasst werden. Für diese Gruppe der LAA begann mit Dienstantritt ihre schulpraktische Ausbildung in den Schulen im Umfang von durchschnittlich vierzehn Wochenstunden.Einige konnten jedoch erst zum 15. Juni 2020 ihren Dienst antreten, weil an den Universitäten ausstehende Prüfungsanteile zum Erwerb des Masterabschlusses noch nicht abgeleistet werden konnten.
Nachteile für Lehramtsanwärter vermeiden!
Zur Vorbereitung auf die zweite Staatsprüfung stehen für die weiteren Ausbildungskohorten Unterrichtsbesuche an. Es kann nicht die ganze Ausbildung durch Lernen auf Distanz realisiert werden. Zu erwarten ist, dass auch bei schrittweiser Wiederaufnahme des Unterrichts an den Schulen vieles weiterhin nicht so umgesetzt werden kann wie in der Zeit vor Corona. Wie sollen Unterrichtsreihen sinnvoll geplant und umgesetzt werden, wenn man eigentlich in dieser Zeit gar nichts verlässlich planen kann und man immer wieder mit Blick auf die Fallzahlen alle Maßnahmen neu bewerten muss? Nachteile für die LAA müssen vermieden und flexible Lösungen schon jetzt auch für die Zeit nach den Sommerferien vom Ministerium für Schule und Bildung erarbeitet werden.
Gerade die LAA, die bereits kurz nach dem Ende der Sommerferien ihre zweite Staatsprüfung ablegen werden, benötigen Planungssicherheit. Wie sollen sie sich in den Sommerferien auf eine Prüfung vorbereiten, von der sie gar nicht wissen, wie diese ausgestaltet werden wird. Wird eine reguläre Prüfung überhaupt möglich sein? Wie kann eine faire Beurteilung von Unterrichtsstunden aussehen, davon ausgehend, dass viele LAA ihre Lerngruppen über Wochen gar nicht gesehen haben? Macht es nicht mehr Sinn, auch für die nächste Kohorte noch einmal eine alternative Prüfungsform zu wählen wie schon in Zeiten der Schulschließungen aufgrund von Corona? Die Zeit drängt, und das MSB muss handeln!
Flexible Lösungen sind gefragt
Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die Vorgaben zu Risikogruppen natürlich auch für LAA gelten. LAA, die einer Risikogruppe angehören, können zurzeit (nach Vorlage eines ärztlichen Attests, welches die Gefahr eines schweren Verlaufs einer Corona-Infektion bescheinigt) nicht im Präsenz-unterricht eingesetzt werden. Dies darf ihnen nicht zum Nachteil gereichen. Auch hier erwartet lehrer nrw? eine flexible Lösung. Denkbar wäre zum Beispiel eine Reduzierung der Unterrichtsbesuche (sollte die Pandemie-Entwicklung es zulassen) oder ein Prüfungsverfahren analog zum Verfahren, das für die 850 LAA angewendet wurde, die die Prüfung in diesem Jahr bei Schulschließung noch nicht abgelegt hatten.
Die letzten Monate waren für alle am Schulleben Beteiligten eine enorme Herausforderung. Sicher war nur, dass nichts mehr sicher war. Ich hoffe, dass auch diese Zeit der Unsicherheit bald ein Ende haben wird. Bis dahin wünsche ich Ihnen – hier insbesondere auch den zahlreichen Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern – viel Kraft und Durchhaltevermögen. lehrer nrw? ist und bleibt an Ihrer Seite!
Sarah Wanders
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