Wie weit geht die Erste-Hilfe-Pflicht des Sportlehrers? Der Bundesgerichtshof hat dazu ein maßgebliches Urteil gesprochen.

Erste-Hilfe-Pflicht für Sportlehrer in der Turnhalle oder auf den Außensportanlagen – ist das nicht eine Selbstverständlichkeit? Ganz so selbstverständlich und eindeutig ließ sich die Frage jedoch bislang nicht beantworten. Der Bundesgerichtshof (BGH) (Urteil vom 4. April 2019, Az. III ZR 35/18) hat für Klarheit gesorgt.

Ein tragischer Fall als Auslöser

Zugrunde liegt ein überaus tragischer Fall aus dem Jahr 2013. Ein damals achtzehnjähriger Schüler sackte plötzlich beim Aufwärmtraining während des Sportunterrichts an einer Wand zusammen und war nicht mehr ansprechbar. Die Sportlehrerin und ein weiterer hinzu gerufener Sportlehrer alarmierten den Notarzt und brachten den Jungen in die stabile Seitenlage, ohne allerdings weitere Maßnahmen der Ersten Hilfe zu ergreifen. Die Notärzte begannen nach dem Eintreffen sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen und brachten den Jungen in eine Klinik. Im Klinikbericht wird eine »beim Eintreffen der Notärzte bereits acht minütige Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation« aufgeführt.

Der Junge erlitt schwerste Schädigungen des Gehirns und ist heute zu 100 Prozent schwerbehindert. Er verklagte das Land Hessen auf Schadensersatz und begründete dies damit, dass sein Zustand direkte Folge des erlittenen hypoxischen Hirnschadens sei, der durch mangelnde Sauerstoffversorgung des Gehirns entstanden sei. Dies sei ausschließlich Folge der Unterlassung von Wiederbelebungsmaßnahmen durch die beiden Sportlehrer. Hätten sie den Atem kontrolliert, daraufhin den Atemstillstand bemerkt und dann Reanimationsmaßnahmen vorgenommen, wäre es nicht zu den Hirnschäden gekommen, so der klagende Schüler.

BGH: Sportlehrer müssen notfalls Erste Hilfe leisten

Dass sich der BGH mit dem Fall befassen musste, lag daran, dass die Vorinstanzen der Argumentation des Jungen nicht gefolgt waren. Auch ein deshalb zur Klärung vom Kläger beantragtes Gutachten wurde abgelehnt. Dies sah der BGH als Verfahrensfehler an, was zur Zurückweisung an das Oberlandesgericht Frankfurt führte.

Im Zuge seiner Entscheidung betonte der BGH aber bereits Maßgebliches: So stellte er fest, dass Sportlehrer notfalls Erste-Hilfe-Maßnahmen erforderlicher und zumutbarer Art ergreifen müssen. Völlig banal, selbstredend oder überflüssig ist diese Feststellung nicht, denn schließlich sind Sportlehrer keine professionellen Helfer in Notsituationen, andererseits kann ja ohnehin jedermann dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung ausgesetzt sein.

Sportlehrer können bei leichter Fahrlässigkeit in die Haftung geraten

Zu den Amtspflichten von Sportlehrern gehöre es, die Schüler geistig, körperlich und charakterlich zu erziehen sowie sie im Schulbetrieb tatsächlich möglichen und zumutbaren Umfang vor Schäden an Gesundheit und Vermögen zu bewahren. Dies umfasse auch die Pflicht zur Leistung von Erster Hilfe und zwar der im Notfall gebotenen Maßnahmen. Von Sportlehrern seien bessere Kenntnisse der Ersten Hilfe zu erwarten als von sonstigen Personen, die an einem Unfallort eintreffen und spontan entscheiden müssen, wie sie sich verhalten. Lehrkräfte müssten schon allein durch das ihnen anvertraute Amt Gesundheitsschäden von Schülern abwenden, so das Gericht.

Kommt eine Privatperson an einen Unfallort, kann sie nur bei grober Fahrlässigkeit haftbar gemacht werden. Sportlehrer können hingegen angesichts der genannten Pflichten auch bereits bei leichter Fahrlässigkeit haften. Es sei nicht angemessen, wenn der Staat einerseits Schüler zur Teilnahme am Sportunterricht verpflichte, andererseits in Notfällen der Lehrer im Sportunterricht nur im Falle grober Fahrlässigkeit hafte.

Unterscheidung zwischen Sportlehrer und Arzt

Die Pflicht zur Leistung der gebotenen Ersten Hilfe stuft der BGH aber nur als Nebenpflicht ein. Es handele sich um eine Amtspflicht, die neben die eigentlichen Unterrichts- und Erziehungspflichten tritt. Daher kann sich der Schüler im zugrundeliegenden Fall wiederum nicht auf eine Beweislastumkehr berufen, wie sie im Arzthaftungsrecht gilt. Es ist daher nicht so, dass die Sportlehrerin selbst beweisen muss, dass der Gesundheitsschaden auch eingetreten wäre, wenn sie weitere Maßnahmen getroffen hätte; es bleibt dabei wie in anderen Schadensersatzfällen, dass der Schüler den Zusammenhang zwischen dem untätigen Verhalten der Lehrerin und dem Gesundheitsschaden beweisen muss. Denn nach Ansicht des BGH ist immer noch zwischen Sportlehrern und Ärzten zu unterscheiden. Sportlehrer treffe nicht die Kernpflicht, »spezifisch dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer zu dienen.«

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass ein Sportlehrer im Falle von Unfällen, in denen Schüler zu Schaden kommen, zwar nicht wie ein professioneller Helfer – ein Arzt – selbst beweisen muss, dass der Schaden nicht auf eigenes Verhalten zurückzuführen ist. Jeder Sportlehrer sollte sich aber im Klaren sein, dass er bei Unfällen nicht durch das Haftungsprivileg geschützt ist, wie es für Nothelfer an Unfallorten gilt.

Christopher Lange

Originalausgabe (PDF-Datei)


 

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