Die geringere Zahl der wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung von Lehrkräften an Sekundarschulen gegenüber Lehrkräften an Haupt- und Realschulen ist sachlich gerechtfertigt und verletzt nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. So jedenfalls sieht es das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.
Realschullehrer haben keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Lehrkräften an Sekundarschulen in Bezug auf die zu leistende Pflichtstundenzahl, entschied das VG Gelsenkirchen in einem am 27. Februar 2017 verkündeten Urteil (Az 1 K 1107/16).
Die Klage
Geklagt hatte die Lehrerin einer Dortmunder Realschule, die zuvor einen Antrag auf Pflichtstundenangleichung entsprechend den Lehrkräften an Sekundarschulen gestellt hatte. Begründet hatte sie den Antrag damit, dass kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Lehrkräften vergleichbarer Schulformen im Sekundarbereich I ersichtlich sei, der die verschieden hohen Pflichtstundendeputate zu rechtfertigen vermöge. Sekundarschulen seien aus der Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen entstanden. In der Zusammensetzung der Schülerschaft und der Kollegien seien die Schulformen deshalb vergleichbar.
Auch könne eine unterschiedliche Pflichtstundenzahl der Lehrkräfte, angelehnt an ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1971, nicht mit unterschiedlichen Ausbildungszielen gerechtfertigt werden: Hier wie dort könnten alle Abschlüsse der Sekundarstufe I erreicht werden. Diesen Antrag lehnte die Bezirksregierung Arnsberg im Sommer 2015 mit der Begründung ab, dass sich die Pflichtstunden aus der Verordnung zur Ausführung des §93 Absatz 2 Schulgesetz NRW ergeben. Bei der Festlegung unterschiedlicher Pflichtstunden für verschiedene Lehrergruppen sei insbesondere Art. 33 GG beachtet worden. Gegen die Antragsablehnung hat die Lehrkraft mit Unterstützung von lehrer nrw? Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, die sie mit der oben ausgeführten Argumentation begründet hat.
Das Urteil
Ihrem Vortrag vermochten sich die Richter der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Fessler nicht anzuschließen.
Die Sekundarschule ergänzt seit dem 20. Oktober 2011 vorrangig als integrierte Schulform das Angebot der Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen. Sie soll dazu beitragen, ein attraktives, umfassendes und wohnortnahes Schulangebot zu gewährleisten. Sie umfasst die Jahrgänge 5 bis 10, ist mindestens dreizügig und als Ganztagsschule angelegt. Damit besteht neben der Gesamtschule ein weiteres landesweites Schulangebot mit gebundenem Ganztag, das unterschiedlichen Lebens- und Berufsperspektiven Rechnung tragen soll: Die Schülerinnen und Schüler werden sowohl auf eine berufliche Ausbildung als auch auf die Hochschulreife vorbereitet. Die Sekundarschule bietet im Unterricht von Anfang an auch gymnasiale Standards. Sie verfügt zwar nicht über eine eigene Oberstufe, bietet aber über die verbindlich geregelte Zusammenarbeit mit der Oberstufe von Gymnasium, Gesamtschule oder Berufskolleg die Sicherheit einer planbaren Schullaufbahn bis zum Abitur: Eltern und Schülerinnen und Schüler wissen somit bereits bei der Wahl der Sekundarschule, an welcher Schule die Hochschulreife erworben werden kann. Wie die Gesamtschule bietet auch die Sekundarschule den Weg zum Abitur in neun Schuljahren an – entsprechende Leistungen vorausgesetzt.
Damit dieses Ziel bei der heterogenen Zusammensetzung der Schülerschaft, die sich an Sekundarschulen zu annähernd gleich großen Anteilen aus Schülern mit Hauptschulempfehlung (40,8 Prozent) und eingeschränkter bzw. nicht eingeschränkter Realschulempfehlung (48,8 Prozent) zusammensetzt, erreicht werden kann, ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts eine differenzierte Betrachtung sachgerecht. Zum Vergleich: An Realschulen werden mit 78,8 Prozent weit überwiegend Schülerinnen und Schüler mit eingeschränkter bzw. nicht eingeschränkter Realschulempfehlung eingeschult. Denn aufgrund der größeren Leistungsheterogenität der Schülerschaft besteht ein erhöhter Aufwand bei der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts für Sekundarschullehrer, der durch das MSW NRW als Verordnungsgeber unter anderem durch die Reduzierung der Pflichtstundenanzahl berücksichtigt werden kann. Dem steht nicht entgegen, dass der Verordnungsgeber an Sekundarschulen bereits die Schülerzahl pro Lehrer reduziert und den Richtwert für die Klassenbildung je nach Klassenstufe zwei bzw. drei Schüler unter dem Richtwert für Realschulen festgesetzt hat, so das VG Gelsenkirchen.
Aufstocken statt absenken?
Obwohl die Sekundarschule eine Schulform aus Haupt- und Realschule ist, verbietet sich eine Gleichbehandlung der Klägerin mit Sekundarschullehrern nach Auffassung des erkennenden Gerichts. Folge man der Prämisse der Klägerin, dass die Sekundarschulen mehr den Realschulen als den Gesamtschulen gleichen – eine verbindlich geregelte Zusammenarbeit ist eben keine eingerichtete Oberstufe – bedeute dies, dass bei der Sekundarschule die Rechtfertigung für die Stundenreduktion auf 25,5 Pflichtstunden entfiele. Vielmehr wäre es dann angezeigt, die Pflichtstunden an den Sekundarschulen entsprechend der Stundenzahl der Grund-, Haupt- und Realschulen auf 28 Stunden festzusetzen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bietet keine rechtliche Grundlage für die Beanspruchung von per se ungerechtfertigten Privilegien. Die Folge wäre die Angleichung der Pflichtstunden der Sekundarschule an diejenigen der Realschule – und nicht umgekehrt.
Kleiner Trost: Nach Auffassung der Kammer ist die Ungleichbehandlung zwischen Realschulen und Sekundarschulen bezüglich der Pflichtstundenzahl im Ergebnis zwar gerechtfertigt. Die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache allerdings explizit zugelassen. Die grundsätzliche Bedeutung besteht nach Ansicht des Gerichts jedenfalls mit Blick auf die Auslegung der das Urteil tragenden einschlägigen Vorschriften des SchulG NRW und der APO SI.
Wie ich es sehe
Die Sekundarschule, von der Bezirksregierung Arnsberg als »kleine Schwester der Gesamtschule« bezeichnet, ist in ihrer systemischen Konzeption eine Meisterleistung: Kleinere Klassen ermöglichen eine bessere individuelle Förderung. Den Lehrkräften wird infolge geringerer Pflichtstunden mehr Zeit für Vor- und Nachbereitung, Beratung und Diagnostik ermöglicht. Die Lehrer-Schüler-Relation ist ausgewogener. Ressourcen, die an Haupt- und Realschulen seit Jahrzehnten (erfolglos) gefordert werden, stehen hier zur Verfügung. Lehren und Arbeiten an den Schulen des längeren gemeinsamen Lernens wird durch kleine Verbesserungen bewusst attraktiv gestaltet. Die besseren Rahmenbedingungen an Sekundarschulen sind die Antwort von Schulministerin Sylvia Löhrmann auf dieselbe gesellschaftliche und schulische Realität wie an Schulstandorten ohne Schulen des längeren gemeinsamen Lernens. Nur wird dort weiter auf fehlende Haushaltsmittel und die ohnehin nicht vergleichbare, da geringere Arbeitsbelastung der Lehrkräfte verwiesen. Das ist Ideologie. Fair ist es nicht. Kleine Nettigkeiten aus Düsseldorf, die Lehrer scheinbar von ihrer Last erlösen und ihnen eine leuchtende Zukunft versprechen. Vorausgesetzt, sie wechseln die Schulform.Nicht allein im Interesse der Lehrkräfte, sondern auch aller Schülerinnen und Schüler an Haupt- und Realschulen ist eine Optimierung der Rahmenbedingungen ihrer Schulen dringend nötig. Eine Angleichung der Pflichtstunden der Sekundarschule an diejenigen der Realschule wäre als ein möglicher Verfahrensausgang einer Berufung für lehrer nrw hingegen völlig inakzeptabel – gerade weil verbesserte Rahmenbedingungen so wichtig sind, dürfen sie meines Erachtens nicht einem unkalkulierbaren Risiko ausgesetzt werden. Denn damit wäre letztlich keiner Lehrkraft gedient.Michael König
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