Der zunehmende Antisemitismus in der Gesellschaft bringt viele Lehrer und Schüler zum Nachdenken. Wie Gedenkstättenfahrten zur Vertiefung des Unterrichts tiefe Spuren bei den Beteiligten hinterlassen, zeigt das Beispiel der Diedrich-Uhlhorn-Realschule Grevenbroich.

»Jeder Schüler ab der neunten Klasse soll in seiner Schullaufbahn verpflichtend eine KZ-Gedenkstätte besuchen!« Diese Forderung stellte der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, bereits 2015 in einem Interview mit der ’Neuen Osnabrücker Zeitung’ auf. Noch im Sommer 2019 hat die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer eine erneute Diskussion über den Pflichtbesuch an einem NS-Gedenkort für Schülerinnen und Schüler angestoßen, die nach dem Anschlag von Halle an der Saale nun noch einmal aufkommt.

Besuchspflicht geht nicht weit genug

In keinem Bundesland gibt es bisher eine Verpflichtung für alle Schulformen, eine Gedenkstätte zu besuchen. Einige Landesregierungen empfehlen aber den Besuch, beispielsweise in Bayern und Berlin. Experten und Historiker halten wenig von einer Besuchspflicht, da sie nicht weit genug geht.

So sagte Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, gegenüber dem Bayrischen Rundfunk zum Thema: »Wir können einen Beitrag leisten, aber ein Besuch allein ist sicher nicht ausreichend, um für immer gegen extremistische Haltungen zu imprägnieren.«

Den Ansatz der Freiwilligkeit, begleitet von inhaltlichen und finanziellen Unterstützungsangeboten, verfolgt auch der nordrhein-westfälische Landtag. Über das Internetportal von Bildungspartner NRW können Lehrkräfte Informationen über Angebote erhalten, Beratung zur inhaltlichen und didaktischen Vorbereitung sowie zur Durchführung eines Gedenkstättenbesuchs anfordern und auch finanzielle Fördermittel beantragen. Johannes Versante von Bildungspartner NRW ergänzt mit der Möglichkeit der individuellen Beratung.

Tipps per App und Web

Dass der nächste Erinnerungsort oft nicht weit vom Schulstandort entfernt und auch ohne großen Reiseaufwand erreichbar ist, offenbart die kostenlose App ’Erinnerungsorte für Opfer des Nationalsozialismus’ von der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie ist für alle gängigen Betriebssysteme verfügbar und listet übersichtlich und mit den wichtigsten Basisinformationen alle Gedenkorte in Deutschland auf. Für Nordrhein-Westfalen hält auch die Internetseite www.ns-gedenkstaetten.de Wissenswertes für die Vorbereitung eines Unterrichtsgangs bereit.

Grevenbroicher Realschüler zeigen großes Engagement

An der Diedrich-Uhlhorn-Realschule in Grevenbroich ist man ebenfalls von einem freiwilligen Ansatz überzeugt. Seit fünf Jahren fahren hier die Schülerinnen und Schüler aller weiterführenden Schulen Grevenbroichs freiwillig in den Osterferien zur Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz nach Polen. Nicht nur die Fahrt selbst, sondern auch die Vorbereitungsseminare finden in der Freizeit der Jugendlichen und gemeinsam statt, so dass auch Verbindungen über die eigene Schulgemeinschaft hinaus für Schülerinnen und Schüler sowie die beteiligten Kolleginnen und Kollegen entstehen.

Innerhalb weniger Jahre konnte so das Angebot auf alle weiterführenden Schulen der Stadt Grevenbroich ausgeweitet und die Teilnehmerzahlen verdoppelt werden. Ab dem nächsten Schuljahr werden zwei Fahrten angeboten, weil die 178 Anmeldungen für die Gedenkstättenfahrt 2020 nicht alle berücksichtigt werden konnten. Das hohe Interesse in der Schülerschaft wurde durch den Einsatz der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler als Multiplikatoren mit Referaten im Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten zum 9. November und zum 27. Januar erreicht, die mit Hilfe des örtlichen Geschichtsvereins vorbereitet und umgesetzt werden. Alle Beteiligten bringen hierbei ein hohes Maß an persönlichem Engagement ein, das durch eine Verpflichtung in der Form vielleicht nie zustande gekommen wäre.

Info:

Informationen und praktische Tipps bei der Vorbereitung von Gedenkstättenfahrten erhalten Interessenten auch beim Projektleiter, Geschichtslehrer an der Diedrich-Uhlhorn-Realschule Grevenbroich und Mitglied von lehrer nrw.

Kontakt: potschka@lehrernrw.de

Zur Originalausgabe (PDF-Datei)


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lehrer nrw gegen Antisemitismus

lehrer nrw wird Teil des Netzwerkes der Antisemitismusbeauftragten NRW. Der Verband engagiert sich auf vielen Ebenen gegen Antisemitismus, Rassismus und Populismus. Unter anderem vermittelt lehrer nrw Auftritte des jüdischen Rap-Musikers Ben Salomo an Schulen und unterstützt das Projekt ’Heimatsucher’.

Der Terroranschlag auf die Synagoge in Halle vom 9. Oktober, verübt ausgerechnet an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, bestärkt einen besorgniserregenden Verdacht. Innerhalb unserer Gesellschaft verbreitet sich ein neuer Antisemitismus, oder alte Formen von Antisemitismus treten wieder deutlicher zu Tage. Auch die Politik bemüht sich auf verschiedensten Ebenen wieder stärker um das Nachkriegsversprechen Deutschlands, dass nie wieder von unserem Boden Unsägliches wie der Holocaust ausgehen darf. Dabei lediglich zuzuschauen, gilt hier nicht – jeder, der Ansatzpunkte findet, selbst Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung von Menschen zu begegnen, sollte aktiv werden. Lehrerinnen und Lehrer haben besonderen Einblick und Zugang in Schulen. Sie sind Bezugspersonen für Schülerinnen und Schüler, erziehen diese und gehören zu denjenigen mit den größten Möglichkeiten, das Denken junger Menschen kennenzulernen.

Antisemitismus im Schulalltag

Auch vor diesem Hintergrund mag die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in ihrer Funktion als neue Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen Ende des vergangenen Sommers, noch vor dem Anschlag in Halle, auf lehrer nrw? zugekommen sein. Leutheusser-Schnarrenberger soll präventive Maßnahmen der Antisemitismusbekämpfung initiieren, koordinieren und Ansprechpartnerin für Opfer antisemitischer Übergriffe sein. In dem Zusammenhang geht es ihr auch darum zu klären, welchen Stellenwert Antisemitismus im Schulalltag hat und inwieweit Lehrerinnen und Lehrern in diesem Zusammenhang Probleme begegnen. Sie hatte lehrer nrw? daher auch eingeladen, Kooperationsmöglichkeiten mit unserem Verband auszuloten.

Türöffner, Vermittler und Plattform

Wir folgten dieser Einladung gerne. Denn wir begrüßen die Initiative und stehen an der Seite der Landesregierung und bedeutender gesellschaftlicher Institutionen im Kampf gegen jede Art antisemitischer, rassistischer, undemokratischer und populistischer Tendenzen. Das Engagement auf diesem Terrain entspricht unseren christlichen Werten und Zielen. Es entspricht auch unserer Expertise auf den Feldern Bildungspolitik, Schule und Wertevermittlung an junge Menschen. Wir können zudem Türöffner, Vermittler und Plattform sein für Projekte, Maßnahmen und Ideen im Zuge der Stärkung menschlichen Miteinanders unter Kindern und Jugendlichen als Zukunft der Gesellschaft.

lehrer nrw? wird daher Teil des Netzwerkes der Antisemitismusbeauftragten NRW. Wir werden an dem von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für das kommende Jahr ins Leben gerufenen Runden Tisch zum Thema teilnehmen. Wir sammeln innerhalb unserer Verbandsgemeinschaft Erwartungen und Vorschläge unserer Mitglieder und fördern diese. Ebenso bringen wir die Arbeit anderer Personen, Gruppen und Unternehmungen voran, die Lehrerinnen und Lehrern bei ihren Bemühungen im Schulalltag unterstützen. Unser Dachverband VDR trägt unsere Haltung und unser Engagement mit.

Rap-Musik und Heimatsucher

Eine der ersten Schritte war – und ist weiterhin –, den jüdischen Rap-Musiker Ben Salomo zu Auftritten an die Schulen unserer Mitglieder zu vermitteln. Salomo tritt an Schulen auf, reißt Schülerinnen und Schüler mit durch Rap-Einlagen, erzählt aber auch von seinen Erfahrungen, die er als Jude in Deutschland gemacht hat, mit welchen Vorurteilen er zu kämpfen hat und warum er sich aufgrund eines latenten Antisemitismus in der Rapper-Szene von dieser distanzierte.

Ein weiteres beachtenswertes didaktisches Konzept führt der Verein Heimatsucher e.V. mit seinem Zweitzeug/innen-Projekt durch, das mehrfach hochklassig ausgezeichnet wurde. Auch hier rufen wir auf, Heimatsucher e.V. an Schulen einzuladen und stellen auch gerne eine Verbindung her. Heimatsucher e.V. baut persönliche Kontakte zu Überlebenden der Shoah auf und trägt deren Lebensgeschichten in Schulklassen ab der vierten Jahrgangsstufe. Schülerinnen und Schüler helfen, die Überlebensgeschichten vor dem Vergessen zu bewahren – als Zweitzeuginnen und Zweitzeugen der Zeitzeugen.

Indem die Vertreter von Heimatsucher e.V. von persönlichen Begegnungen mit den Überlebenden und deren Lebensgeschichten berichten, können Kinder und Jugendliche eine emotionale Nähe zu den Überlebenden aufbauen. Da die Geschichten in der Kindheit beginnen, bieten sie eine Identifikationsmöglichkeit für junge Menschen. Über diesen niederschwelligen Ansatz haben in den letzten sieben Jahren bereits über 8200 Kinder und Jugendliche eine Zweitzeug/innen-Bildung erhalten und über 3500 Briefe an die Überlebenden gesendet. Ziel des Projektes ist es, junge Menschen für Diskriminierung und Ausgrenzung zu sensibilisieren und die Entwicklung einer reflektierten Haltung gegenüber Vorurteilen zu ermöglichen.

Info:

www.heimatsucher.de

www.land.nrw/de/antisemitismusbeauftragte-neu

www.bensalomo.de

Originalbeitrag (PDF-Datei)

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