Mit einem neuen Erlass torpediert das NRW-Schulministerium sowohl die Mitbestimmung als auch die schulische Integration von Flüchtlingskindern. Der Hauptpersonalrat für Realschulen lässt derzeit auf gerichtlichem Wege klären, ob hier die Mitbestimmungspflicht ausgehebelt wurde. Trotz aller Beschwichtigungen aus dem Ministerium zeigt sich schon jetzt, dass der Erlass an vielen Schulen erhebliche Auswirkungen hat.

Der von Staatssekretär Ludwig Hecke unterschriebene Erlass regelt den ‘Unterricht für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler’. Er schafft de facto die so genannten Seiteneinsteigerklassen ab, in denen neu zugewanderte Kinder vor allem mit gezielter Förderung zum Erwerb der deutschen Sprache auf den Unterricht in Regelklassen vorbereitet werden. Stattdessen sollen die Kinder trotz mangelnder oder gänzlich fehlender Deutschkenntnisse sofort eine Regelklasse besuchen. Sprachfördergruppen könnten dann gebildet werden, wenn die Schule über entsprechende Ressourcen verfüge. Die Förderung in der deutschen Sprache soll dort »in innerer und in äußerer Differenzierung durchgeführt werden«, heißt es in dem Schreiben. Der Erlass ist mit Datum vom 28. Juni 2016 an die Bezirksregierungen versandt worden und »tritt sofort in Kraft«.

Erst Tage später wurde der Erlass den Hauptpersonalräten auf Nachfrage hin zur Kenntnis gegeben – ohne die Möglichkeit irgendeiner Art von Mitbestimmung. Die ist laut Landespersonalvertretungsgesetz zwingend vorgeschrieben, wenn sich die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften durch Erlasse oder Gesetze erheblich verändern.

Verbale Beruhigungspillen

Schulministerin Löhrmann verteilte erst kürzlich im Schulausschuss verbale Beruhigungspillen: Im Grunde bleibe alles beim Alten, und die Personalräte seien informiert. Nun ja: Die Information der Personalräte erfolgte erst nach den Ferien – als der Erlass und seine Folgen durch die Initiative des Hauptpersonalrats Realschulen unter Vorsitz von Brigitte Balbach sowie durch Proteste der Opposition im Landtag zum Medienthema geworden waren.

Und dass alles beim Alten bleibt, ist schlicht falsch. Wie in einer Besprechung von Ministeriumsvertretern mit allen Hauptpersonalratsvorsitzenden der einzelnen Schulformen deutlich wurde, haben sehr viele Schulen den Erlass bereits umgesetzt und teilweise erfolgreiche eigene Projekte oder gar eigene Integrationskonzepte eingestampft. Damit bewahrheitet sich die Befürchtung von lehrer nrw, dass künftig Kinder ohne jegliche Deutschkenntnisse gemeinsam mit Kindern, die inklusiv beschult werden müssen, und ‚regulären‘ Schülern in 30-köpfigen Klassen sitzen. Insofern ist der Erlass sowohl für die schulische Integration von Flüchtlingskindern als auch für die Qualität des Unterrichts in den Regelklassen eine Katastrophe.

Erst Deutsch lernen, dann in die Regelklasse

Die Schulministerin sieht das freilich anders. Sie hält offenbar nichts von Vorbereitungs- oder Seiteneinsteigerklassen, denn: Eine Klasse, die nur aus Integrationsschülern besteht, suggeriere Separation, nicht Integration. In Nordrhein-Westfalen solle es keine Parallelgesellschaften geben, meinte Löhrmann, ganz im Sinne der OECD und der Kultusministerkonferenz. Diese Haltung ist aus Sicht von lehrer nrw blauäugig. »Wir bleiben dabei: Zuwandererkinder müssen erst Deutsch lernen, ehe sie fließend in die Regelklassen übergehen. Ohne solide Deutschkenntnisse potenzieren sich Defizite und werden durch die gesamte Schullaufbahn hindurchgeschleppt. Das produziert Frust. Und die Separierung findet dann nach der Schule statt – weil die betroffenen Kinder den Anschluss an die Berufswelt verpassen«, betont Balbach.

Gerichtliche Prüfung läuft

Derzeit lässt der Hauptpersonalrat Realschulen – auf einstimmigen, verbandsübergreifenden Beschluss aller Fraktionen – gerichtlich prüfen, ob die Landesregierung mit dem Erlass gegen die Mitbestimmung verstoßen hat. Ein Eilantrag dazu läuft gerade, das Hauptsacheverfahren könnte sich anschließen. Unterdessen werden, wie schon jetzt deutlich wird, an den Schulen Fakten geschaffen.Jochen Smets

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Vertrauensvolle Zusammenarbeit?

Das Vorgehen des NRW-Schulministeriums im Zusammenhang mit dem umstrittenen Integrationserlass ist äußerst fragwürdig – ein Lehrbeispiel für unseriöse und holprige Informationspolitik.

Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist ein tragender Grundsatz des Personalvertretungsrechts. Er bestimmt den Geist des Miteinanders von Personalrat und Dienststellenleitung. Dazu besagt §?2 LPVG NRW, dass die Dienststelle und die Personalvertretung zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben und zum Wohle der Beschäftigten im Rahmen der Gesetze und Tarifverträge vertrauensvoll zusammenarbeiten. Die Dienststelle und der Personalrat haben alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden in der Dienststelle zu beeinträchtigen.

Unbemerkte Neuregelung

Grundlage einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sind Offenheit und gegenseitige Unterstützung. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW hat den Runderlass ‘Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte, insbesondere im Bereich der Sprachen’ von 2009 – von den Hauptpersonalräten weitgehend unbemerkt – überarbeitet und am 28. Juni 2016 durch den Runderlass ‘Unterricht für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler’ ersetzt. Der Hauptpersonalrat Gymnasien, der durch einen Zufall von der Neufassung Kenntnis hatte, hinterfragte dem Ministerium gegenüber die Beteiligungsfähigkeit des neuen Erlasses, wollte also wissen, ob der Erlass der Mitbestimmung der Personalräte unterliegt. Diese Frage wurde verneint, da die Neuregelungen keine bestehenden schulrechtlichen Vorgaben ändern würden.

Öffentlicher Druck

Da das Wortverständnis nahelegt, dass Unterricht für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise aber etwas anderes ist als der Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte, die teils seit ihrer Geburt in Deutschland leben, fragte ein Mitglied der GEW-Fraktion bei seiner Gewerkschaft nach, ob die beabsichtigten inhaltlichen Änderungen dort bekannt seien. Dem war nicht so, so dass die Gewerkschaft Angehörige weiterer Hauptpersonalräte fragte, ob diese Näheres wüssten. Dies war ebenfalls nicht der Fall. Erst unter dem beginnenden öffentlichen Druck wurde der Hauptpersonalrat Gymnasien informiert, erhielten die anderen Hauptpersonalräte den bereits in Kraft gesetzten Runderlass nachrichtlich. Am 8. Juli 2016 wandte sich das MSW NRW mit einer Information zur Neufassung des Integrationserlasses an die Öffentlichkeit, und teilte nebenbei mit, dass die Hauptpersonalräte »im Sinne der vertrauensvollen Zusammenarbeit über die Inhalte des Erlasses informiert wurden«. Ah ja.

Wertloses Gebot

Wo das Vertrauen fehlt, spricht der Verdacht. Sagt Laotse. Die Frage, ob der Runderlass ‘Unterricht für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler’ vom 28. Juni 2016 der Mitbestimmung unterliegt, lässt sich – zur Not – auch im Nachgang verwaltungsgerichtlich klären. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist jedenfalls dann wertlos, wenn Hauptpersonalräte erst nach Rücksprache mit ihren Gewerkschaften und auf Nachfrage ihrer Vorsitzenden über topaktuelle Neuerungen wie den Runderlass zur Integration informiert werden. Wenn man einander vertrauen kann, erübrigen sich Gesetze. Wenn man einander nicht trauen kann, ist auch ein Gesetz nutzlos. Die Informationspolitik gegenüber den Hauptpersonalräten war unseriös und holprig – und das Ministerium für Schule und Weiterbildung ist gut beraten, seine Politik zukünftig zu überdenken.Heribert Brabeck

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