Egal ob man die Freitags-Demonstrationen von Schülern für den Klimaschutz gut oder schlecht findet: Sie fordern uns auf eine positive Weise pädagogisch heraus.
Im März 2019 findet im Düsseldorfer Landtag eine Anhörung zu zwei entgegengesetzten Anträgen zur Einführung des Faches Wirtschaft an den weiterführenden Schulen im Sekundarbereich I und II statt. Allerdings zielen die Anträge wie so oft nicht direkt aufs Thema, sondern verschleiern dies, indem diesmal über ’Demokratie’ gestritten wird.
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen stellen den Antrag: »Mehr Demokratie wagen – Stärkung der Demokratiekompetenz in der Schule als Garant für eine demokratische Gesellschaft«. Die Fraktionen der CDU und der FDP halten den Entschließungsantrag »Politische Bildung als Querschnittsaufgabe – Bewährtes erhalten und Neues denken« dagegen. Für alle Leser, die mit den Untiefen einer Landtagsdebatte besonders auch bei Anhörungen nicht so vertraut sind, hier im Klartext: Die Opposition will das Fach Wirtschaft nicht (das wollte sie noch nie – deshalb hat sie es nach der Ära Rüttgers auch wieder abgeschafft!). Die Regierungsparteien hingegen halten am Erhalt des Ziels eines mündigen Bürgers auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten fest. Soweit – so gut! Vielleicht schütteln Sie jetzt ungläubig den Kopf oder lachen lauthals über diese Absurdität, das Eine gegen das Andere ausspielen zu wollen: Wirtschaft gegen Demokratie!
Schüler überholen Politiker
Aber, wie es so oft im Leben ist: Während noch in den Parlamenten über das Erlernen von Demokratie gestritten wird, werden die Landtagsabgeordneten in unserer aktuellen Wirklichkeit von unseren Kindern freitags draußen auf den Straßen mit deren demokratischem Handeln überholt. Und Landtag, Ministerium und Schulen bemühen sich seitdem, mit diesem ziemlich selbstsicheren Phänomen vor Ort fertig zu werden.
Selbst der Landtag hat sich damit bereits in einer aktuellen Stunde beschäftigt, die übrigens sehr interessant und oft auch amüsant war. Es ist immer wieder erstaunlich, auf welches sprachliche Niveau sich Landtagsabgeordnete in ihrer Argumentationsnot begeben!
Während also dort wie in den Schulen des Landes von Lehrern, Eltern und Schülern Umgangsarten mit diesem freitäglichen Phänomen diskutiert, erprobt, verworfen werden und sich die beteiligten Erwachsenen gegenseitig zurechtweisen, üben sich unsere Kinder in Demokratie, jeden Freitag neu. Einfach klasse, diese Situation! Was nun? Selbst der Vorwurf an die Schüler, lediglich einem Mädchen aus Schweden einfach zu folgen, führt keineswegs zur Aufgabe des Schulstreiks, sondern im Gegenteil wachsen bei den Schülern offenbar Leidenschaft und Engagement zeitgleich.
Engagement nicht abwürgen
Was machen wir Erwachsenen nun damit? Demokratische Aktionsmöglichkeiten und Argumentationskreativität scheinen diese Kinder ja durchaus bereits zu beherrschen! Da muss ja wohl nicht mehr viel gelernt werden. Denn der Puck auf diesem glatten Eis liegt gerade bei den Lehrkräften, Schulleitern, Bezirksregierungen und dem Schulministerium! (Ich weiß nicht, warum mich das als Lehrerin gerade so immens freut?!)
Was ist zu tun? Diese Leidenschaft, dieses Engagement kann ja wohl nicht einfach ernsthaft abgewürgt werden, wenn man im Landtag gleichzeitig Diskussionen zur Stärkung von Demokratie führt! Damit wäre nämlich eine Bildungsinsolvenz offenbar geworden. Also – was jetzt?!
Schüler gehen auf die Straße statt ins Internet
Schauen wir doch einmal genau hin! Was sehen wir: Schüler, die in großer Zahl auf die Straße gehen, um für ihre eigene und unser aller Zukunft einzutreten, um mehr Bewusstsein in der Bevölkerung für ein lebenswertes Leben und eine tatsächliche Zukunft zu schaffen. Als Pädagogin bin ich darüber sehr begeistert: Was kann uns Besseres passieren, als dass unsere Kinder sich nicht im Alltag, in Netzwerken, in Internetforen und auf Internetplattformen verlieren oder sich gar mit Drogen, Alkohol und anderen Ablenkungsmöglichkeiten volldröhnen, um den Alltag mit seinen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten und Zukunftsängsten zu vergessen oder einfach auszuhalten. Das war bisher mit Blick auf die junge Generation meine große Sorge: Wohin führen die angeblich »neuen digitalen Pfade« bei den kommenden Generationen?
Die Kinder schaffen es, im Jetzt zu leben, in die Zukunft zu schauen – und es erschreckt sie, was sie sehen. Sie ersticken ihre Ängste nicht mit ’Dingen’, die sie betäuben – sie stellen sich der Wirklichkeit, die kommen kann – und sie werden aktiv, und sie fordern uns Erwachsene damit heraus!
Wir sind pädagogisch gefordert
Und was tun wir? Wir ersticken dieses Ringen um eine gute Zukunft im Keim, weil wir nicht sofort wissen, wie wir damit umgehen sollen. Jede Lehrkraft, jede Schule, alle Eltern sind jetzt pädagogisch gefordert. Lassen Sie uns dieses leidenschaftliche politische Engagement ernst nehmen und wertschätzen! Beenden wir nicht diese hoffnungsvollen Denkansätze, sondern zeigen wir, wie diese engagierte Zielgerichtetheit in gute und machbare Strukturen einfließen kann, ohne politische Leidenschaft zu unterdrücken.
Nicht mehr und nicht weniger. Hören wir mehr zu, statt Reglementierungen aufzulegen. Begegnen wir dieser Leidenschaft mit Offenheit und Ernsthaftigkeit, damit nichts davon für unser aller Zukunft verloren geht! Lehrer und Eltern haben die Aufgabe, den Streikenden zu zeigen, wie es geht. Nehmen wir die Schüler ernst und beginnen wir, ernsthaft zu diskutieren und reale Handlungskonzepte zu entwickeln!
Pädagogen können das! Pädagogen können Politiker dabei unterstützen! Denn wir Lehrer haben gelernt, unsere Schüler ernst zu nehmen und sie mit uns gemeinsam und auf Augenhöhe für eine bessere Welt fit zu machen.
Um das klarzustellen: Wenn Schüler systemisch und über Wochen die Schule boykottieren, muss das Konsequenzen haben. Denn Bildung ist nicht minder wichtig als Klimaschutz. Doch mit einer Portion Kreativität und ein bisschen gutem Willen – auf beiden Seiten – sollte es möglich sein, politisches Engagement und Schule zusammenzubringen.
Brigitte Balbach
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