Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag. Diesmal geht es um etwas, das in Corona-Zeiten abhanden zu kommen droht: Respekt.

Wie gut könnten wir es alle haben. Wir bräuchten Menschen mit anderer Einstellung nicht als Verschwörungstheoretiker oder Covidioten, Hardliner oder Mainstreamhörige abzuwatschen, sondern könnten in einem Prozess auf Augenhöhe Argumente austauschen, ohne den Anspruch, den anderen krampfhaft von irgendetwas überzeugen zu müssen. Diskussionen unter Freunden, Nachbarn etc. werden mitunter zum Spießrutenlauf, und man ist durchaus gewillt, das C-Wort irgendwie zu umschiffen, da die Befürchtung, sich in den Widerspruch zu stellen, teilweise große Ambivalenzen bis Ängste in uns auslösen könnte.

Respekt vor dem Menschen

Warum hören wir uns nicht mehr zu? Einer meiner Leitsprüche in der systemischen Betrachtungsweise ist: »Respektlos gegenüber den Ideen von Menschen, aber immer Respekt vor dem Menschen.« Wo legen wir Grundlagen eines wohlwollenden Diskurses untereinander? Richtig, wir fangen in der Reflektion bei uns selbst an, und in unserem Arbeitsfeld ermutigen wir Kinder, Dinge anders sehen zu dürfen, abzuwägen, die Meinung des anderen zu akzeptieren, im sokratischen Sinne genau nachzufragen, wohlwollend zu bleiben und bei Nichtzustandekommen einer kleinstmöglichen Schnittmenge den anderen gut dastehen zu lassen und nicht – wie ich es gerade erlebe – Schubladen aufzuziehen: hier die Verschwörungstheoretiker, da die Covidioten, da die Hardliner, da die etc. etc.

Was ist nur los mit uns? In der Arbeit mit Familien behandle ich Menschen mit verschiedensten Weltanschauungen, ja, auch mir sehr fremde Lebenseinstellungen. Um es kurz zu sagen, mir sind keine noch so skurril anmutenden Bedürfnisse von Menschen fremd. Aber eines scheint uns Menschen zu einen: Wir wollen gesehen und gehört werden, wir suchen nach Nähe, wollen in Frieden leben, machen uns Sorgen um unsere Kinder und deren Entwicklung und wollen, so abgedroschen sich das mittlerweile auch anhört, einfach anerkannt und geliebt werden. Was ist nur los mit uns?

Wendepunkt der gesellschaftlichen Entwicklung

Meine oberste Maxime ist es, sowohl den Kindern als auch deren Eltern auf Augenhöhe zu begegnen und absolut transparent in meinen Gedanken zu sein. Lassen Sie uns doch zukünftig noch mehr darauf achten, im Rahmen unserer professionellen bzw. menschlichen Begegnungen mit den Kindern aus übergroßen Kommoden mit vielen Schubladen ein offenes Regal mit Meinungsvielfalt und vor allen Dingen mit Respekt voreinander gestalten. Wir stehen mitunter diesbezüglich an einem Wendepunkt der gesellschaftlichen Entwicklung, und wir haben es in der Hand, nicht von den zukünftigen Generationen zu hören »Was war nur los mit euch?«

Ganz im Sinne von Voltaire »Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.«

Zur Person:

Dr. med. Stefan Battel ist seit 2007 niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit eigener Praxis in Hürth bei Köln und seit 2012 systemischer Familientherapeut (DGSF). Im Rahmen des lehrer nrw-Fortbildungsprogramms greift er in einer Vortragsreihe regelmäßig verschiedene Themen aus dem Bereich der Jugendpsychologie auf.

Originalbeitrag (PDF-Datei)


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