Als politisch denkender und handelnder Mensch beobachte ich seit Jahren auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen Entwicklungen, die mich sehr nachdenklich stimmen und in gewisser Weise alarmieren: Die Gruppe der verstummenden Nichtwähler wird immer größer! Gleichzeitig erleben wir, dass extreme Randgruppen als politisch hoffähig akzeptiert werden oder dass Kandidaten, die als Außenseiter ins Wahl-Rennen gingen, zu Siegern zu werden drohen. Verkehrte Welt?!
Personalratswahl mit miserabler Wahlbeteiligung
Auch die Ergebnisse unserer Personalratswahlen 2016 zeigen sehr deutlich, dass viele Wahlberechtigte nicht wählen wollten und damit kleinere Gruppierungen automatisch stärkten. Die Wahlbeteiligung liegt landesweit im Realschulbereich um vierzig Prozent! Das ist weniger als die Hälfte aller Wahlberechtigten an unseren Schulen!
Wo können die Gründe dafür liegen? Sicherlich sind viele Nichtwähler unzufrieden mit ihren bisherigen Kandidaten oder auch mit der Partei oder der Gewerkschaft und mit dem Verband, der für sie sprechen soll.
Auch die Politik oder die Philosophie derjenigen, denen sie bisher nahestanden, kann zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht nicht gefallen oder ihren Wünschen zuwider laufen. Der Wähler könnte aus diesem Grund zum Wechselwähler werden. Klar! Aber das passiert ja nicht, wie die Zahlen zeigen. Der Wähler wählt nicht andere Gruppierungen, sondern er wählt gar nicht mehr. Was treibt ihn dazu? Frust? Ist er entnervt? Verfällt er aufgrund schwieriger gesellschaftlicher Entwicklungen in unserer Gesellschaft wie in unseren Schulen durch Integration und/oder Inklusion und dem Umbau der Schullandschaft in Lethargie, Depression und Sprachlosigkeit? Hat er ‘die Schnauze voll’ oder ist er vor Entsetzen, wie sich sein Alltag neuerdings gestaltet, sprachlos geworden!?
Nichtwähler und Protestwähler
Eine zweite parallel laufende Entwicklung ist zu beobachten: Der Wähler meidet etablierte Parteien und Gruppierungen und schenkt seine Stimme extremen Parteien und Gruppierungen vom Rand, die lauthals und vollmundig Dinge und Veränderungen versprechen und sprachlich sehr forsch ‘Alteingesessene’ verunglimpfen, um sich dem Wähler anzubiedern. Dabei ist diesen Kandidaten in jedem Fall zwangsläufig sehr wohl bekannt, dass sie in der Sache nicht erfolgreich sein können, weil rechtliche und gesellschaftliche Vorgaben ihr vermeintlich Mögliches unmöglich machen werden. Schon dieser Ansatz ist also moralisch verwerflich. Darum wissen all diese Scharlatane! Und profilieren sich auf dem empfindlichen und gefährlichen Nährboden der Unlust und des Frustes des Wählers.
Zwischen Politikverdrossenheit und persönlichem Ohnmachtsgefühl
Die Donald Trumps dieser Welt passen immer zwischen Politikverdrossenheit und persönliches Ohnmachtsgefühl. Diese Newcomer geben ihren Wählern offenbar das Gefühl, gehört zu werden. Einer spricht endlich laut und deutlich aus, was sie denken – mit drastischen Worten. Und sie versprechen vollmundig Abhilfe aller Missstände, mit denen wir täglich ringen müssen. Aber diese Liebhaber des Rampenlichts bedienen in Wahrheit nur die Vorstellung von Wahrheit, nicht die politische Wahrheit selbst, auch nicht die der Wähler. »Liebster, lüg mich an – und ich bleibe dir treu ergeben!« Wir sollten noch mehr Soaps sehen!
Auf der Suche nach dem politische Prinzen
Der Wähler ist jedoch eben nicht der Betrogene, sondern der, der wegguckt und sich selbst belügt und sich nicht in der Lage sieht, seine Realität zu schultern. Seine Politikverdrossenheit ist das Ergebnis seines Verharrens zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Möglichkeit und Machbarem, zwischen klar definiertem Ziel und realistischem Kompromiss. Der Nichtwähler ist damit überfordert, er empfindet sich als ungefragt, ohne eigene Optionen, etwas zu ändern. Und er sieht sich mit seiner harten Realität täglich konfrontiert. Ein politischer Prinz soll endlich die Hecke stutzen und sein Märchen wahr werden lassen! Manchmal reichen da offenbar auch schon einige griffige Versprechungen! Schade!
Zeit, Kraft und Durchhaltevermögen sind gefragt
Was kann helfen? Veränderungen gesellschaftlicher und politischer Art treten selten plötzlich auf – sie sind das Ergebnis oft jahrelanger Kämpfe, die erst einmal geführt und gewonnen werden müssen, am Ende auch durch oder in Kompromissen. Das jeweilige Ergebnis stellt im höchsten Fall zufrieden, selten macht es glücklich. Es muss halt erarbeitet und erkämpft werden. Das braucht Zeit und Kraft und Durchhaltevermögen – und Unterstützung durch Wähler, die diesen langwierigen und schwierigen Weg begleiten. Und die – ebenso wie die Akteure – einen langen Atem besitzen. Das kann man trainieren. In den Schulen müssen wir das mit unseren Schülern üben! Das ist ein lohnendes Ziel für uns alle. Das ist ein Weg, der nicht in die Irre führt! Für Parteien, Gewerkschaften und andere Gruppierungen, die sich dieser Aufgabe widmen, heißt das künftig noch mehr als bisher mit Luther: Schaut dem Volk aufs Maul! Das wird auch verstärkt unsere Aufgabe sein!Brigitte Balbach
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