Auch mir wurden Flügel verliehen – von Ihren Vertretern auf unserer Delegiertenversammlung im November 2016 in Mülheim. Ich habe als Vorsitzende von lehrer nrw bei unseren Neuwahlen ein Traumergebnis erzielt: 95,7 Prozent! Das hat mich nicht nur froh und dankbar gemacht, sondern es hat mir die Flügel verliehen, mit denen ich den Verband für die nächsten vier Jahre gut aufstellen will, denn wir Lehrer werden es weiterhin mit zahlreichen Herausforderungen zu tun haben: Inklusion, Integration und Schulformdebatten werden unser Alltagsgeschäft sein.
Ministerium kippt Differenzierung
Und während an den Schulen im Land der Frust der Kollegen wächst ob viel zu geringer zeitlicher und personeller Ressourcen, die an allen Ecken fehlen, bauen die Bildungspolitiker wegen des Blicks durch die rote Brille auf die Landesfinanzen die Qualität unserer Bildung weiter rigoros ab und lassen so die Ministerin im Regen stehen. Zuletzt geschieht dies leider auch im Zusammenhang mit der Aufnahme von Hauptschülern an Realschulen. Gleichzeitig wird nach MSW-Plan unser höchstes Gut, die noch bestehende Möglichkeit einer klaren äußeren Differenzierung, aus der Realschule herauskatapultiert. In der Regel soll binnendifferenziert unterrichtet werden – so gibt es die zur Zeit im HPR thematisierte Handreichung des MSW vor – entgegen dem Votum des Gesetzestextes, den der Landtag (Schulgesetz §132 c) verabschiedet hatte. Übrigens geschah dies unter Begleitung harter Auseinandersetzungen zwischen CDU und Rot-Grün um diese Formulierung. Der Kompromiss lautet seitdem bis heute: »hierbei sind Formen innerer und äußerer Differenzierung möglich«. Das habe auch ich als einen gangbaren Weg gesehen. Und er war schwer erkämpft worden.
Doch was stört das MSW das ‘Geschwätz’ im Landtag?
Dies ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass das MSW ungeniert den Landtag ignoriert – so ist es zum Beispiel auch beim Integrationserlass gewesen und bei den Expertenanhörungen zum Thema Inklusion. Reden ist das eine – Tun etwas anderes! Das sollten wir uns für die Landtagswahlen 2017 merken!
Auf dem Irrweg zum Lernbegleiter
Was können und wollen wir als Verband künftig tun, um uns Gehör zu verschaffen? Unser Denkansatz zeigt sich schon im Namen lehrer nrw. Diese Umbenennung war keiner Not geschuldet oder nur als neues Aushängeschild gedacht, sondern bestimmt seit 2010 unseren Weg: Der Lehrer steht im Fokus unseres Denkens und Handelns. Denn er soll zum Lernbegleiter mutieren, folgt man dem Koalitionsvertrag der jetzigen Landesregierung. Er teilt (binnendifferenziert) unterschiedliche Arbeitsblätter aus, mit denen die Schüler sich per Think, Share und Pair auf ihrer Denkebene auseinander setzen können. Der Lehrer beobachtet, wie sie lernen und bereitet die benötigten Arbeitsblätter vor und nach (siehe auch Handreichung). Unklar bleibt, was wir mit unserer mühsam erworbenen Expertise zu Didaktik und Pädagogik tun sollen?! Diese kritische Frage wird aber durch die verschulte BA/MA-Lehrerausbildung obsolet, denke ich!
Bedeutet Bildungsgerechtigkeit Bildungsgleichheit?
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Veränderungsabsichten hinsichtlich des Lehrerstatus: Die Anzahl von Lehrkräften ohne originäre Lehrerausbildung steigt und wird vom MSW unterstützt. Aktueller Trend ist in Nordrhein-Westfalen zur Zeit die gleiche Besoldung aller Lehrkräfte. Differenzierungen sind weitgehend ausgeschlossen. Interessant ist dabei: Stärkere Differenzierung im Schülerbereich (Individualisierung/Binnendifferenzierung) steht gegen Abbau jeglicher Differenzierung im Lehrerbereich! Was sagt uns das?
Steht die Nivellierung eines vielfältigen differenzierten Schulsystems (innere und äußere) einer falsch verstandenen Bildungsgerechtigkeit entgegen? Ist Bildungsgerechtigkeit tatsächlich Bildungsgleichheit? Ist philosophisch gesehen Gleiches gleich gerecht?
Wie ist lehrer nrw für diese sicherlich unruhige Zukunft aufgestellt?
Sieht man die Personalratswahlen 2016 und die Neuwahlen des Landesvorstands unseres Verbandes einmal im Zusammenhang, so können wir zuversichtlich sein. Entgegen vielen Prognosen sind wir aus den letzten Jahren gestärkt hervorgegangen. Wir spielen in den Personalräten für die Schulform Realschulen eine entscheidende Rolle, unsere ersten Pioniere sind auf der Gesamtschul-Scholle gelandet. Der HPR Realschulen im MSW hat wieder eine Mehrheit erreicht – das verschafft uns Kraft. Im Landtag sind wir regelmäßiger Gast bei wichtigen Schul-Themen. Zahlreiche Einladungen bis in den Schulausschuss und die Enquetekommission des Landtags sowie in den Ausschuss für Bildung und Kultur des Europaparlaments hinein sowie mehrere Einflussmöglichkeiten über den DBB und unseren Bundesverband VDR auf die Bildung auf der Bundesebene zeichnen uns mittlerweile aus.
Der Stachel im Fleisch
Wir sind streitbar, deutlich, angstfrei, selbstbewusst, sachkompetent. Unsere Aussagen in der Öffentlichkeit sind von der Basis geprägt. Wir lassen uns nicht verbiegen, und wir lassen uns nicht den Mund verbieten. Gerade in Zeiten, da einige Bezirksregierungen wieder fröhlich Maulkörbe verteilen (das MSW wäscht dazu seine Hände in Unschuld), wissen das viele Kollegen zu schätzen. Wir sind der Stachel im Fleisch des MSW und der Regierungsparteien. Wir sind die außerparlamentarische Opposition in der Bildungspolitik.
Und – wie gesagt – das gute Ergebnis bei der Delegiertenversammlung verleiht dem Vorstand Flügel. Der Verband hat sich innen wie außen stark aufgestellt: Wir haben jetzt drei kompetente Stellvertreter gewählt, eine Rechtsabteilung mit zwei Juristen und einem Strafverteidiger (angegliedert) sowie eine Controlling-Abteilung mit zwei Schatzmeistern und einem Vorstandsreferenten für unser umfangreiches Fortbildungsangebot für alle Lehrkräfte, für Schulleitungen, für Lehrerräte und Personalräte sowie für Interessierte von außen.
Und für unsere Seniorenarbeit gilt dieser Ausbau ebenfalls. Die Gruppe ist nicht nur sehr aktiv, sondern auch auf Bundesebene gut vernetzt. Das ist wichtig für die Garantie einer regelmäßigen Anpassung der Pensionen und Renten an die jeweiligen Besoldungserhöhungen. Ohne den Einfluss der Verbände wäre dies so nicht möglich. Ein neuer Akzent wird jetzt die frisch initiierte Zusammenarbeit mit dem Verband DEPB und seinen Bildungsreisen für alle Mitglieder sein. Denn Europa leben ist mehr als nur in andere Länder reisen – es heißt auch, die Bildung, das Land und die Menschen dort im gemeinsamen Austausch kennen zu lernen.
Gut aufgestellt für die Zukunft
Diese Gesamtstruktur wird uns Stärke und Sicherheit geben und es möglich machen, den Lehrer und seine Schulsituation mehr noch als bisher in den Blick zu nehmen. Diese starke Verbandsaufstellung kann uns Zuversicht geben, auch auf hoher See nicht nur zu überleben, sondern ab heute noch stärker als bisher unseren Weg zu machen.Breiten wir unsere Flügel der Zuversicht, aus und steigen wir auf in den weiten Himmel der Möglichkeiten!
Brigitte Balbach
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