Gebt den Kindern das Kommando
Sie berechnen nicht was sie tun
Die Welt gehört in Kinderhände
dem Trübsinn ein Ende
wir werden in Grund und Boden gelacht
Kinder an die Macht.
Herbert Grönemeyer
Manchmal werden öffentliche Waschräume zu Pulverfässern unserer politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Man trifft auf jemanden, der einem fremd ist, den man vielleicht noch nie gesehen oder nur am Rande des eigenen Wahrnehmungszirkels beiläufig getroffen hat – und befindet sich binnen kürzester Zeit in existentiellen Gesprächen, die zu zunächst ungeahnten Veränderungen in den Diskussionen um Wesentliches im Leben führen werden. Zur eigenen Überraschung!
So ist es mir auf der Verabschiedung in den Ruhestand eines langjährigen Schulleiterkollegen gegangen. Ich traf auf eine Mutter von drei Kindern (wie ich – das schweißt automatisch zusammen!), die sich bei mir (ohne mich zu kennen!) vehement über die neue Entwicklung in Schulen beschwerte, die zwei ihrer Kinder besuchen. Sie sprach von ‘Chillen’ und ‘Moven’ morgens früh statt Unterricht und von Fragen nach Wünschen, was gelernt werden solle, statt »klare Vorgaben zu machen. wie sie ja auch von uns in den verschiedenen Firmen, in denen wir arbeiten, gefordert werden. Wie sollen sie sich später anpassen können, um vorgegebene Ziele zu erreichen?« (O-Ton Mutter). Sie machte sich Sorgen. »Wohin werden unsere Kinder in den Schulen heute erzogen? Was für eine Bildung wird da vermittelt?«
Erziehung zum mündigen Bürger
Diese Mutter ist der Prototyp heutiger Eltern, die sich laut und deutlich melden, auf die Straße gehen, in Internetforen diskutieren und mit ihrem Missfallen über Entwicklungen in Bildung und Erziehung, aber auch in der Schulstrukturentwicklung und bei den Themen Inklusion und Integration Fehlentwicklungen öffentlich anprangern. Sie stehen für ihre Ziele, die sie als Eltern im Blick haben, ein und auf! Ich bin stolz auf sie! Als Mutter, als Lehrerin und als Gewerkschafterin! Denn diese Väter und Mütter wollen, dass ihre Kinder später einmal Verantwortung übernehmen sollen, aber sie wissen auch, dass sie das Rüstzeug dafür brauchen werden. Und die kann nur aus einer Erziehung zum mündigen Bürger erwachsen.
Da sitzt jedoch bei der Erziehungsausrichtung unserer rot-grünen Landesregierung der Haken. Zum einen legt sie eine Bildung in Nordrhein-Westfalen auf, die sich am unteren Niveau orientiert (kein Kind zurücklassen) und jetzt schon, wie aus manchen Regierungsbezirken zu hören ist, für die Bewertung bei normalen Klassenarbeiten das Niveau der ZPs fordert, nämlich siebzig Prozent richtig = Note ‘sehr gut’! Zum anderen weist sie integrativ und inklusiv zu beschulende Kinder direkt den Regelklassen zu und hat damit weder die Förderung der Kinder mit Defiziten noch die der Regelschüler im Blick. Alle Kinder bleiben im eigenen ‘Bildungsstau’ stecken.
Zwar hat die Landesregierung den Schulfrieden mit Teilen der Opposition geschlossen, um vom Thema ‘Schulstruktur’ loszukommen. Fakt ist jedoch, dass ihr die wirklich wichtigen Ziele mittlerweile aus dem Blick gerutscht sind. Und sie zu oft ihre ‘großen Ziele’ opfert, um ‘kleinklein’ die Reste der Haupt- und Realschulen auch noch zu entsorgen, bevor diese eine Retroentwicklung hinlegen, die sie zu Stilikonen machen wird (hihihi…) Sorry! Meine Pferde?…
Eltern gehen auf die Straße
Und was passiert mitten in schulpolitischen Friedenszeiten? Kaum zu glauben, aber wahr: Eltern opponieren, gehen auf die Straße, klagen vor Gericht, gründen Initiativen – und machen uns Lehrer an der Bildungsfront glücklich. Denn wo wir das Ende unserer Fahnenstange erreicht haben und zu Lernbegleitern ‘mutieren’ müssen (staatliche Order), können sie für ihre Kinder aufstehen und für die Bildung zum mündigen Bürger einstehen.
Eine geniale Entwicklung! Bisher haben sich Lehrer und Lehrende an Schulen, Universitäten und Hochschulen lauthals gemeldet – jetzt revoltieren die Eltern in Kommunen und Städten. Sie haben die Zukunft ihrer Kinder, aber auch die der gesamten Gesellschaft im Blick – und greifen auf ihre Erfahrungen und die der gesamten Menschheit zurück: Erziehen zur Mündigkeit ist ihnen wichtig, Leistung in der Bildung bedeutet ihnen viel, Gleichmacherei im Klassenzimmer ist ihnen ein Gräuel, und sie wehren sich oft sehr erfolgreich gegen politische und ideologische Fremdbestimmung in der Bildungslandschaft.
Leistung ist gefragt
Eines ist als Trend dieser Entwicklung abzulesen: Eltern wollen, dass Leistung im Schulsystem wieder eine entscheidende Rolle spielt. Sie hängen an Schulformen, die äußere Differenzierung vorhalten wie Gymnasien und Gesamtschulen. Letztere haben während der lautstarken landesweiten Diskussion über Schulen des längeren gemeinsamen Lernens und der Binnendifferenzierung in den Klassen auch an Realschulen (+HS) klammheimlich und leise eine Entwicklung hin zu einer Schulform mit der größtmöglichen zugelassenen äußeren Differenzierung (E- und G-Kurse!) hingelegt. Sauber – das Lieblingskind der Landesregierung! Dennoch! Eltern lassen nicht locker! Sie toben weiter! Und das Schönste ist: Kein Maulkorb kann sie stoppen. Ja – keiner darf sie hindern! Sie sind das Volk! Sie sind die Wähler! Und es geht um ihre Kinder!
In Kleve drückten sie erfolgreich die Kommune an die Wand, um ihre Schulwahl für ihr Kind durchzudrücken und nicht ihre Kinder einem Losverfahren zu unterwerfen, für das es keinerlei Sachgründe gab. Was Sachgründe sind, wollten sie entscheiden! Eltern in Düsseldorf kämpfen für ihr Wunschgymnasium – der Elternwille ist virulent! Und auch Hauptschulen blühen auf, wenn Eltern aktiv das Wohl ihrer Kinder im Blick haben. Schon Luther hatte die Erkenntnis, wie wichtig es ist, ‘dem Volk aufs Maul zu schauen’! Eltern lieben Lehren und Lernen mit äußerer Differenzierung, das sich am Leistungsgedanken orientiert, das ihren Kindern etwas abverlangt, das zur Mündigkeit und Selbstständigkeit erzieht und das den Schülern eine selbstbestimmte Zukunft eröffnet, die sich nicht gängeln oder fremdbestimmen oder fernlenken lässt oder gar einer Ideologisierung unterwirft. Ihr Ziel ist, ihre Kinder an die ‘Macht’ lassen zu können, an ‘ihre’ Macht und ihre Vorstellungen und Zukunftsvisionen. Dafür kämpfen sie.
Ideologie statt Kindeswohl
Dass gerade der rot-grünen Landesregierung im Internet unsoziale Schulpolitik durch Ideologie statt Kindeswohl unterstellt wird, mag heftig sein. Ich erinnere jedoch noch einmal an Olaf Scholz von der SPD, der vor Jahren schon die Hoheit über den Kinderbetten gefordert hatte. Das ist lange her – sollte es jetzt etwa wahr werden?!
Die Hoheit über die Betten aller Kinder haben ihre Eltern!
Gebt sie ihnen zurück! Sonst schicken wir – frei nach Grönemeyer
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einfacher Plan
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Brigitte Balbach
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