In mehreren Bundesländern ruft die AfD Schüler und Eltern dazu auf, vermeintliche Verstöße gegen das für Lehrer geltende Neutralitätsgebot auf Beschwerdeportalen zu melden. Die Reaktionen auf diesen Vorstoß fallen höchst unterschiedlich aus – und insgesamt sehr erfreulich. Ein Überblick.

Die AfD begründet ihre Online-Portale damit, dass von den Lehrern nur noch ein einseitiges links-grünes Weltbild verbreitet und geduldet werde. Der Verband der Realschullehrer forderte die Kultusminister daraufhin auf, sich klar zu ihren Lehrkräften zu bekennen und sie zu unterstützen, die demokratischen Werte im Unterricht frei und ohne Druck von außen vermitteln zu können. Die Politik ließ sich nicht lange bitten: Bundesjustizministerin Katarina Barley diktierte der ’FAZ’: »Organisierte Denunziation ist ein Mittel von Diktaturen.« NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer schlug in eine ähnliche Kerbe: »Dass Menschen bei der Ausübung ihres Berufs bespitzelt und denunziert werden sollen, erinnert an die dunkelsten Kapitel zweier deutscher Diktaturen.« Sie ermutigte alle Lehrer, »den Unterricht in geeigneten Fächern weiterhin für eine kritische Auseinandersetzung mit völkisch-autoritären Erscheinungsformen in der Politik zu nutzen«.

»Her Brinhaus qitscht absichtlich mit der Kreide«

In ausgefallener Weise reagierten die Hamburger Bürgerinnen und Bürger auf das AfD-Beschwerdeportal in der Hansestadt. Im Netz kursierten Dutzende von Aufrufen, die AfD-Seite für eigene Kommentare zu nutzen. Seither wird das Portal mit satirischen Beiträgen geflutet:

  • »Her Brinhaus is fett und shwitzt und er qitscht absichtlich mit der Kreide. Der is voll gege mich.«
  • »Der Lehrer meiner Kinder lehrt sie jetzt das Grundgesetz. Faselte was von ’Die Würde des Menschen ist unantastbar’. Linksradikal.«
  • »Der Achmed hat bei meinem Sohn Heinz-Günter abgeschrieben.
  • Unternehmen sie was!«

Elf Geständnisse an die AfD

Meinen besonderen Respekt verdient die Berliner Lehrerschaft. In einem offenen Brief schreiben Lehrer aus der Bundeshauptstadt, sie wollten der AfD »gern die Arbeit abnehmen« und von sich aus »gestehen«. Es folgt ein Katalog von elf ’Geständnissen’ mit einem angehängten Vordruck für Unterschriftenlisten, die von Lehrern ausgefüllt werden können. Ein Auszug:

»Wir gestehen,

  • dass wir die Zeit des Nationalsozialismus nicht als kleinen ’Vogelschiss’ behandelt haben;
  • dass wir uns kontinuierlich auf den Artikel 3 des Grundgesetzes berufen und die Diskriminierung von Menschen aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, politischer oder religiöser Überzeugung im Unterricht nicht erlaubt haben;
  • dass wir sprachliche Tabubrüche vonseiten Ihrer Partei und anderen Menschen als solche im Unterricht thematisiert haben, weil rassistische und diskriminierende Aussagen als solche in unserem Land benannt werden müssen;
  • dass wir in unserem Unterricht das komplexe Thema der Migration nicht als Erklärung für alle Probleme in Deutschland gelten lassen haben;
  • dass wir überlegen, einen Längsschnitt zum Thema ’Denunziation in verschiedenen historischen Epochen (Römische Republik – Inquisition im Mittelalter – Nationalsozialismus – Deutschland 2018)’ zu entwickeln.«

Schule kann und darf nicht neutral sein

Empörung, Protest und satirischer Verriss sind nachvollziehbare Reaktionen auf den unsäglichen Vorstoß der Rechtspopulisten, wichtig ist aber auch eine inhaltliche Auseinandersetzung. Hier hat mich besonders die Position von Tim Engartner überzeugt. Er ist Professor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main für Didaktik der Sozialwissenschaften und legte in der ’Zeit’ dezidiert dar, warum die AfD das ’Neutralitätsgebot’ falsch versteht. Lehrerinnen und Lehrer müssten nicht auf eigene Wertungen politischer Sachverhalte verzichten und dürften Mitteilungen von Parteien kritisch zerpflücken, historische Parallelen ziehen und sie in einen Kontext stellen.

Die Haltung der AfD in der Migrationsfrage beispielsweise könnten Lehrerinnen und Lehrer ablehnen, wenn ihre Sichtweise im Klassenzimmer nicht absolut gesetzt werde, sondern andere Wertungen zugelassen seien. Es bestehe also kein Grund, dass Lehrkräfte sich einschüchtern ließen. Die überwältigende Mehrheit sei sogar durch den Beamtenstatus geschützt: Gemäß Amtseid seien Beamte verpflichtet, das Grundgesetz nicht nur zu achten, sondern auch zu verteidigen. Sie sollten grundgesetzwidrige und demokratiegefährdende Entwicklungen erkennen und dürften diese auch im Klassenzimmer benennen. Wenn AfD-Politiker den Mord an sechs Millionen Juden und fünfzig Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg relativierten (wie AfD-Chef Gauland mit seinem ’Vogelschiss’-Vergleich), dürften Lehrkräfte das nicht nur im Unterricht kommentieren – sie müssten es sogar tun, »um der ahistorischen Relativierung oder möglicherweise gar der strafrechtlich relevanten Leugnung des Holocaust zu begegnen«. Damit machten Lehrer sich nicht der Indoktrination schuldig, sondern verteidigten demokratische Werte.

Es kommt also wieder einmal auf den Lehrer an und darauf, sich vom Aufruf der AfD nicht abschrecken zu lassen. Überlassen wir das Feld also nicht dreisten Demagogen und Denunzianten, die es sich auf ihre rechtspopulistischen Fahnen geschrieben haben, historische und politische Fakten zu verzerren und das gesellschaftliche Klima zu vergiften!

Sven Christoffer

Zur Originalausgabe (PDF)-Format

Nach oben