Unter der Überschrift ’Auf Schatzsuche in NRW: Unsere Schulen zu Schatzsucher-Schulen ausstatten’ hat die SPD-Fraktion einen Antrag in den Landtag eingebracht, der sich als Gegenentwurf zum Modell der Talentschulen der Landesregierung begreift. Der Antrag verheißt mehr Bildungsgerechtigkeit, scheitert aber an der Bildungsrealität.

Der Antrag der Fraktion der SPD beinhaltet die Forderung nach Einführung eines harten, schulscharfen Sozialindex nach Hamburger Vorbild zur bedarfsgerechten Verteilung von Ressourcen in Form von Personal und Ausstattung mit dem Ziel, Verteilungsgerechtigkeit herzustellen.

Sozialindex statt Standortfaktor

In Zeiten einer guten Lehrkräfteversorgung kann eine Ungleichbehandlung ungleicher Schulen anhand eines solchen Index grundsätzlich einen Beitrag dazu leisten, die Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern in schwierigen sozialen Ausgangslagen zu verbessern. Dabei muss allerdings mitbedacht werden, dass die Zuordnung einer Schule zur ersten Belastungsgruppe (Sozialindex 1: Die meisten der Schülerinnen und Schüler kommen aus bildungsfernen Schichten und sozial-schwierigen Verhältnissen) eine Stigmatisierung der Schule nach sich zieht und möglicherweise zu einem veränderten Schulwahlverhalten der Eltern führt.

Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob der Erhebungsaufwand zur Berechnung des Sozialindex in einem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag steht. Immerhin werden fünf Kriterien (Soziale Raumdaten auf Ebene der statistischen Gebiete der Schülerinnen und Schüler, Kulturelles Kapital, Ökonomisches Kapital, Soziales Kapital, Migrationshinweise) mit insgesamt 24 (!!!) berücksichtigten Variablen zur Berechnung herangezogen. Dazu müssen Daten des Statistischen Landesamts, Eltern- und Schülerfragebögen ausgewertet werden – in einem kleinen Stadtstaat wie Hamburg offensichtlich leist- und finanzierbar, aber auch in einem Bundesland von der Größe Nordrhein-Westfalens? Deshalb erscheint es ratsam, zuvorderst stichprobenartig zu überprüfen, ob eine Einteilung der Schulen nach dem Hamburger Sozialindex überhaupt zu signifikanten Abweichungen von der in Nordrhein- Westfalen bereits vorhandenen Einteilung der Schulen nach Standortfaktoren führen würde.

Maßnahme würde ins Leere laufen

Kern meiner Kritik ist jedoch, dass die avisierte Maßnahme, Schulen an besonders schwierigen Standorten zusätzliche Stellen zuzuweisen, in Zeiten des grassierenden Lehrkräftemangels ins Leere laufen wird. Das Hauptproblem dieser Schulen ist nicht, dass nicht genug Stellen für Lehrkräfte, Schulsozialarbeit, Sonderpädagogik oder multiprofessionelle Teams ausgeschrieben werden können, sondern dass diese Ausschreibungen an Schulen mit herausfordernden Standorten regelmäßig leerlaufen. Zusätzliche Stellen auf dem Papier, die nicht in reale Köpfe umgemünzt werden können, führen nicht zu mehr Verteilungsgerechtigkeit.

Anreize schaffen

Die entscheidende Frage lautet also: Wie kann es gelingen, Schulen mit herausfordernden Standortfaktoren für Lehrkräfte attraktiver zu machen? Monetäre Anreize zu schaffen, scheint nicht zu verfangen, wie das Beispiel des Freistaats Sachsen zeigt. Der Versuch, Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern eine Zulage zu gewähren, um sie in ländliche Regionen zu locken, ist mehr oder weniger fehlgeschlagen.

Insofern müssen den Lehrkräften Rahmenbedingungen offeriert werden, die sie an anderen Schulen nicht antreffen, insbesondere über die Absenkung des Pflichtstundendeputats. Weniger Pflichtstunden bedeuten mehr Systemzeit – und die ist gerade an Schulen in sogenannten sozialen Brennpunkten von enormer Bedeutung für die Schulgemeinschaft.

Eine Ressource für alle

Die Fraktion der SPD fordert, Ungleiches ungleich zu behandeln, will dann aber im Antrag alle Schulen mit schwierigen Standortfaktoren flächendeckend gleich behandeln: Alle Schulen sollen einheitlich kleinere Lerngruppen mit nicht mehr als 23 Schülerinnen und Schülern bilden, Beratungslehrkräfte durch Reduzierung der Unterrichtsstunden entlasten, Schulsozialarbeit mit einer Mindestkapazität von 20 Prozent versehen, Multiprofessionelle Teams und Ganztagsangebote ausbauen sowie die Elternarbeit intensivieren. Die Ressourcen werden also ’mit der Gießkanne’ verteilt.

Wesentlich effizienter erscheint es mir zu sein, zusätzliche Ressourcen am tatsächlichen Bedarf orientiert und passgenau auf die individuelle Schule zugeschnitten zu verteilen. Ein Instrumentarium ist bereits vorhanden: Die Qualitätsanalyse stellt in ihrem Bericht Handlungsbedarfe für die jeweilige Schule heraus, anschließend werden die Schulen aber mit den Ergebnissen alleine gelassen. Hätten die Schulen stattdessen die Möglichkeit, in Abhängigkeit von den ausgemachten Handlungsbedarfen in eigener Entscheidungsverantwortung auf zusätzliche Ressourcen zuzugreifen (zum Beispiel für pädagogisches oder Verwaltungspersonal, für Sachanschaffungen, für mehr Systemzeit, für Fortbildungen etc.), würde diese Herangehensweise einem modernen Ressourcenmanagement sicherlich mehr entsprechen als die im Antrag festgeschriebene Einheitsressource für alle.

Sven Christoffer

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