Manchmal braucht es einen konkreten Anlass, um sich einer Thematik in besonderer Weise zuzuwenden. In meinem Fall war das die Personalversammlung für Lehrkräfte an Realschulen im Bezirk Köln am 6. Dezember 2017, an der ich als Vertreter des Hauptpersonalrates teilgenommen habe. Die alarmierenden Berichte der Kolleginnen und Kollegen zum Thema Aggression und Gewalt in der Schule haben mich dazu bewogen, mich im Nachgang zu dieser Personalversammlung verstärkt mit dem Thema ‘Gewalt gegen Lehrkräfte’ auseinanderzusetzen – auch mit Blick auf die Frage, wie unser Verband die Kolleginnen und Kollegen vor Ort beim Umgang mit dieser Problematik unterstützen kann.

Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können, als ein Realschullehrer aus dem Bezirk Köln auf der Personalversammlung ans Mikrofon trat, um in eindrucksvoller Weise darüber zu berichten, wie ein Schüler ihm unlängst ins Gesicht geschlagen hat. Das Gefühl, an diesem Tag nach Hause zu kommen und seiner Familie berichten zu müssen, dass er in Ausübung seiner Tätigkeit Opfer eines massiven physischen Angriffs geworden sei, sei kaum in Worte zu fassen. Zu Recht verwies der Kollege darauf, dass es kaum Berufe gebe, in denen man einer solchen Gefahr ausgesetzt sei.

Ich habe den Mann dafür bewundert, dass er den Mut hatte, über diesen unsäglichen Vorfall in so großer Runde zu berichten. Und ich habe sehr genau registriert, dass er für weitere Kolleginnen und Kollegen als Mutmacher fungiert hat, die im Anschluss über ihre Gewalterfahrungen berichtet haben. Dabei wurde eines sehr schnell deutlich: Gewalt gegen Lehrkräfte ist schon längst kein außergewöhnlicher Einzelfall mehr und hat viele hässliche Gesichter.

 

Gewaltformen sind vielfältiger geworden

Neben die ‘klassischen’ Gewaltformen sind neue getreten oder haben an Bedeutung gewonnen. So finden Formen der psychischen Gewalt zusehends im virtuellen Raum der Online- und Handy-Kommunikation statt. Grundsätzlich kann zwischenmenschliche Gewalt vielfältige Formen annehmen:

Körperliche Gewalt (Schläge, Tritte etc.), psychische Gewalt (Ausgrenzung, [Cyber-] Mobbing, Stalking, Nachstellen), Androhung von Gewalt, verbale Gewalt (Beleidigung/Beschimpfung), sexuelle Gewalt (erzwungene Körperkontakte, sexualisierende Äußerungen), Vandalismus/sächliche Gewalt.

 

Fehlende Rechtssicherheit, mangelnde Unterstützung

Gerade die Vielfalt der Gewaltformen führt dazu, dass Lehrkräfte in der Einordnung und Anwendung der ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen oft nicht sicher sind, so dass eine erforderliche klare Reaktion auf aufkommende Gewaltanwendung häufig unterbleibt. Es darf aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass immer wieder Kolleginnen und Kollegen darüber klagen, dass wichtige Ansprechpartner wie Schulleitung und Schulaufsicht nicht in der Weise unterstützend tätig werden, die zwingend geboten ist. Hier bedarf es eines Umdenkens: Die Bedrohung einer Lehrperson muss als Bedrohung der Schulgemeinschaft und der Institution Schule angesehen und konsequent verfolgt werden.

Wird eine Lehrperson im Zusammenhang mit ihrer Arbeit beleidigt oder verletzt, kann sie grundsätzlich in eigener Sache Anzeige (rechtlicher Begriff = Strafantrag) erstatten. Unabhängig davon kann das Land von sich aus Anzeige erstatten und einen eigenen Strafantrag stellen, wenn eine Person in Ausübung öffentlicher Aufgaben beleidigt (§194 StGB) bzw. verletzt (§230 StGB) worden ist. Das Antragsrecht des Dienstherrn ergibt sich aus der Tatsache, dass mit der Beleidigung oder Verletzung einer Person, die öffentliche Aufgaben wahrnimmt, auch ‘der Staat’ angegriffen wird.

 

Intervention und Prävention: Handlungsempfehlungen

Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Handreichung ‘Gewalt gegen Lehrkräfte’ der Bezirksregierung Münster, die sehr konkrete Interventionsmaßnahmen auf der persönlichen Ebene, auf der Ebene der Organisation Schule und durch Einbeziehung externer Institutionen (Bezirks- und Schwerpunktdienst der Polizei, Schulpsychologische Dienste und regionale Schulberatungsstellen, Betriebsärztlicher und sicherheitstechnischer Dienst, jeweils zuständiges Amt für Jugendhilfe) aufzeigt sowie unterschiedliche Aspekte der Prävention (Verhaltens-prävention, Verhältnisprävention, außerschulische Unterstützungsangebote) thematisiert.

 

Den Lehrer stärken als Verbandsaufgabe

Aus meiner Sicht darf ein Verband seine Mitglieder hier nicht im Regen stehen lassen.

Der geschäftsführende Vorstand von lehrer nrw wird dem Hauptausschuss in der nächsten Sitzung deshalb vorschlagen, ein Fortbildungskonzept zu entwickeln, das die Lehrperson noch viel stärker in den Blick nimmt als bisher. Dabei wird es sicherlich darum gehen, die einzelne Lehrkraft und die Institution Schule in akuten Situationen der Gewalt handlungsfähig zu machen und Expertise im Hinblick auf gewaltpräventive Maßnahmen zu vermitteln.

Aber auch andere Themen, die den Lehrer in der Ausübung seiner Profession stärken – beispielsweise wenn es um Gesundheitsprävention oder um die Frage des Umgangs mit psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz geht – werden in den Fokus rücken.

Informationen

  • Broschüre ‘Gewalt gegen Lehrkräfte’ – Neuauflage 2017 (als Download auf der Homepage der Bezirksregierung Münster)
  • Broschüre ‘Konflikte bearbeiten – Mobbing verhindern’ 2007 (als Download auf der Homepage der Bezirksregierung Münster)
  • Broschüre ‘Lehrerinnen und Lehrer in pädagogischen Grenzsituationen. Handlungssicherheit bewahren, zurückgewinnen, erlangen’ 2007 (als Download auf der Homepage der Bezirksregierung Detmold)
  • Handlungsempfehlungen bei Mobbing von Lehrkräften im Internet 2009 (MSW)
  • Notfallordner für die Schulen in Nordrhein-Westfalen – Hinsehen und Handeln 2015 (MSW) (www.notfallordner.nrw.de)
  • Flyer ‘Schulische Gewaltprävention’ der Unfallkasse NRW (als Download auf der Homepage der Unfallkasse NRW)
  • Checkliste Aggression gegen Lehrkräfte der BAD GmbH (im geschützten Bereich des Bildungsportals NRW)
  • Das Tabu brechen – Gewalt gegen Lehrkräfte. Ergebnisse und Analysen der vom VBE in Auftrag gegebenen, repräsentativen forsa-Umfrage 2017

Sven Christoffer

Zur Originalausgabe (PDF)-Format

Nach oben