Wie Eltern mit Kindern in der 8. Klasse die Zeit der Schulschließungen im Frühjahr 2020 in Deutschland erlebt haben, zeigt eine Studie des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe.

Die Schulschließungen haben das Lehrpersonal, die Schülerinnen und Schüler und die Eltern weitgehend unvorbereitet getroffen. In kurzer Zeit mussten alternative Formen des Unterrichts gefunden werden. Der erste Bericht der Corona-Zusatzbefragungen im Rahmen des Nationalen Bildungspanels (NEPS) beschäftigt sich mit Fragen, wie gut die Familien mit der Situation zurechtkamen:

Wie lief das Lernen zuhause ab, wie sah die technische Ausstattung aus und welche Rolle spielten die Eltern? Und welche Arten von (virtuellen) Lernangeboten wurden nun genutzt?

Die temporären Schulschließungen im Frühjahr 2020 in Deutschland wurden veranlasst, um die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie zu verlangsamen. Schulen und Lehrkräfte standen ohne Vorlauf vor der Herausforderung, ihren Unterricht umzustrukturieren und neue Wege der Wissensvermittlung zu wählen. Auch die Eltern schulpflichtiger Kinder hatten unerwartet die Aufgabe, das nun überwiegend eigenständige Lernen ihrer Kinder zuhause zu unterstützen und entsprechende Bedingungen für vermehrt digitale Lernformen zur Verfügung zu stellen.

Der vorliegende Bericht beleuchtet die Wahrnehmung der neuen Lernsituation zuhause während der Corona-bedingten Schulschließungen in Deutschland aus Sicht der Eltern 14-jähriger Jugendlicher.

Deutlich reduzierte Lernzeit zuhause

Die bundesweite Befragung zeigt, dass Schülerinnen und Schüler in den Wochen der Pandemie-bedingten Schulschließungen durchschnittlich sechzehn Stunden in schulbezogene Lernaktivitäten zuhause investierten. Allerdings stellt sich die Situation zwischen den Familien sehr unterschiedlich dar. Während sich die Mehrheit der Jugendlichen wöchentlich zwischen acht und zwanzig Stunden mit den Lernmaterialien der Schule beschäftigten, lernte etwa ein Fünftel der Jugendlichen weniger als acht Stunden in der Woche. Ein weiteres Fünftel verbrachte mehr als zwanzig Stunden in der Woche mit Lernen. Die berichtete investierte Lernzeit war dabei jedoch unabhängig von einer Reihe von Hintergrundmerkmalen: Es zeigten sich keine Lernzeitunterschiede zwischen Jungen und Mädchen sowie zwischen Schülerinnen und Schülern an Gymnasien und anderen Schulformen. Auch der Bildungshintergrund der Eltern (akademisch und nicht-akademisch) hatte keinen Einfluss auf die investierte Lernzeit der Kinder. Schülerinnen und Schüler, die über bessere Lesekompetenzen (gemessen mit dem NEPS-Lesekompetenztest [I] zu Beginn der 7. Klassenstufe) verfügen, investierten während der Schulschließung gleichermaßen viel Zeit für das Lernen wie Jugendliche mit eher geringeren Lesekompetenzen.

Eltern besonders gefordert

Aufgrund der bundesweiten Schulschließungen waren insbesondere Eltern gefordert, das schulbezogene Lernen ihrer Kinder zu begleiten und zu unterstützen. Dieser Aufgabe scheinen sich Eltern in der Regel gewachsen zu fühlen: Die Mehrheit der Eltern schätzte ihre eigenen Fähigkeiten zur inhaltlichen Unterstützung der Kinder überwiegend als voll und ganz (29 Prozent) oder eher (46 Prozent) ausreichend ein.

Allerdings gaben auch 22 Prozent der Eltern an, dass ihre Fähigkeiten eher nicht ausreichten. Sehr wenige der Eltern schätzten ein, dass ihre Fähigkeiten zur Unterstützung ihrer Kinder überhaupt nicht ausreichten (drei Prozent). Das lässt darauf schließen, dass ein Viertel der Schülerinnen und Schüler von ihren Eltern bei der Aneignung des Lernstoffs keine ausreichende inhaltliche Unterstützung erhalten konnte.

Die selbst eingeschätzten Fähigkeiten zur inhaltlichen Unterstützung ihrer Kinder unterscheiden sich in Abhängigkeit vom Bildungshintergrund: Eltern mit akademischem Bildungshintergrund waren insgesamt zuversichtlicher, dass ihre Fähigkeiten eher ausreichen, um ihre Kinder inhaltlich beim Lernen zuhause zu unterstützen, als Eltern mit nicht-akademischem Hintergrund.

Digitale Kommunikationswege

Die kurzfristige Umstellung von Präsenz- auf Distanzunterricht und das selbstständige Lernen zuhause erforderte von Schulen, Lehrkräften als auch den Familien die Nutzung neuer und virtueller Lehr-Lern-Angebote. Die Mehrheit der Eltern berichtete, dass die technische Ausstattung bei ihnen zuhause für die Umstellung auf digitale Lernformen voll und ganz ausreichend (61 Prozent) oder eher ausreichend (26 Prozent) war. Damit kann die technische Ausstattung für 87 Prozent der Schülerinnen und Schüler als adäquat angesehen werden. Andererseits bedeutet dies auch, dass 13 Prozent der Schülerinnen und Schüler in der Zeit der Schulschließungen für das Lernen zuhause eher unzureichend oder gar nicht technisch ausgestattet waren. Die Einschätzung der technischen Ausstattung unterschied sich dabei nicht systematisch zwischen akademischen und nicht-akademischen Haushalten.

Die Übermittlung von Lernmaterialien erfolgte überwiegend digital über Onlineplattformen, Onlinekurse oder digitale Klassenzimmer und Schul-Clouds. 63 Prozent der Eltern gaben an, dass die Schulen und Lehrkräfte in der Zeit der Schulschließungen diese Systeme nutzen, um mit ihnen bzw. den Schülerinnen und Schülern Kontakt zu halten und Unterrichtsmaterialien zu übermitteln. Diese Angaben sind erwartungskonform vor dem Hintergrund von Befunden der ICILS-Studie von 2018 [II], wonach ungefähr 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler eine Schule besuchen, in der ein Lernmanagement-System (zum Beispiel Moodle, Logineo, mebis, itslearning) verfügbar ist. Die aktuellen NEPS-Befunde weisen darauf hin, dass der Anteil an Schulen mit digitalen Lern- und Kommunikationssystemen mittlerweile bereits höher liegen könnte. Gymnasien (69 Prozent) nutzten diese nach Angaben der Eltern häufiger als andere Schulformen (58 Prozent).

Neben den digitalen Lern- und Kommunikationssystemen wurden E-Mails als zweithäufigster Übermittlungsweg von Lernmaterialien und Informationen genannt (27 Prozent). In der etwas früher durchgeführten Studie des Deutschen Schulbarometers Spezial [III] zur Corona-Krise (April 2020) berichteten noch knapp 80 Prozent der Lehrkräfte, dass sie am häufigsten per E-Mail mit Eltern und Schülerinnen und Schülern kommunizierten. Somit scheint ein schneller Wandel in der Etablierung neuer digitaler Kommunikationswege stattgefunden zu haben. Lernmanagement-Systeme oder Onlineplattformen mussten verfügbar gemacht werden und konnten erst nach und nach von den Schulen genutzt werden. Die offenen Angaben der teilnehmenden Eltern lassen erkennen, dass die Übermittlung der Lernmaterialien für ihre Kinder teilweise über zunächst vielfältige Zugänge stattfand und sich erst mit der Zeit ein primär genutzter Kommunikationsweg herauskristallisierte. Im Zuge der Corona-Krise und der damit verbundenen Notwendigkeit, neue Kommunikationswege zu finden, sind viele Möglichkeiten vermutlich auch ausprobiert, neu bewertet und vorläufig eingesetzt worden. Zukünftige Erhebungen werden zeigen, wie nachhaltig die Voraussetzungen zum digitalen Austausch in den Schulen umgesetzt werden konnten.

Nutzung von Lernangeboten

Auch lässt sich eine Veränderung in der Nutzung von Lernangeboten feststellen: weg von konventionellen Lernmedien hin zu digitalen Lernformen. Insbesondere virtuell-rezeptive Lernangebote, bei denen Lernvideos angeschaut oder Aufgaben in einer Lernsoftware selbstständig bearbeitet werden, wurden während der Schulschließungen deutlich häufiger genutzt (53 Prozent) als zu Zeiten des regulären Schulbetriebs vor der Corona-Krise. Aber auch virtuell-interaktive Lernangebote mit wechselseitigem Austausch in einer virtuellen Lernumgebung, wie in Onlinekursen oder virtuellen Lerngruppen, wurden laut 38 Prozent der Eltern in dieser Zeit häufiger genutzt als vorher. Der Anstieg in der Nutzung virtueller Lernangebote (sowohl rezeptiv als auch interaktiv) wurde vor allem von Eltern berichtet, deren Kinder ein Gymnasium besuchen.

Die Nutzung konventioneller Lernangebote, wie Lehr- und Sachbücher oder Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, scheint sich dagegen wenig verändert zu haben: Immerhin 53 Prozent der Eltern gaben an, dass diese in der Zeit der Schulschließungen genauso häufig genutzt wurden wie vorher. Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulformen unterscheiden sich nicht in der Nutzung konventioneller Lernangebote.

Inwiefern bestimmte Medien oder Lernangebote genutzt werden, ist häufig von individuellen und/ oder familiären Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler abhängig. Für Jugendliche, die bereits in der Grundschule (Klasse 3) höhere Kompetenzen in computer- und informationsbezogenen Technologien (gemessen mit dem NEPS-ICT-Kompetenztest [IV] zu Beginn der 3. Klassenstufe) aufwiesen, berichteten die Eltern eine verstärkte Nutzung virtuell-interaktiver Lernangebote in der Zeit der Schulschließungen. Berücksichtigt man die besuchte Schulform und den Bildungshintergrund, unterscheidet sich die Nutzung dieser Lernangebote jedoch nicht zwischen Jugendlichen mit unterschiedlichen Kompetenzen. Vor allem der Bildungshintergrund und die besuchte Schulform hängen stärker mit der Nutzung virtuell-interaktiver Lernangebote zusammen. Schülerinnen und Schüler aus Familien mit einem akademischen Bildungshintergrund nutzen auch konventionelle Lernangebote häufiger als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler mit Eltern mit einem nicht-akademischen Bildungshintergrund. Interessanterweise zeigen unsere Befunde zudem, dass die Veränderung der Nutzung von konventionellen wie auch virtuellen Angeboten nicht davon abhängt, wie groß die Lernfreude im Schuljahr zuvor war.

Digitale und technische Kenntnisse von Eltern

Im Zuge der teilweise neuen Kommunikationswege und veränderten Lernangebote standen Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrkräfte und Eltern, vor der Aufgabe, ihre Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien auszubauen und zu verbessern. Die überwiegende Mehrheit der Eltern schätzte ihre eigenen Kenntnisse im technischen und digitalen Bereich, zum Beispiel im Umgang mit dem Internet, Tablets oder Laptops, dabei als vollkommen ausreichend (53 Prozent) oder eher ausreichend (38 Prozent) ein, um ihre Kinder in der Zeit der Schulschließungen zu unterstützen. Umgekehrt befanden sich nur wenige Eltern (9 Prozent) in der Situation, ihre Kinder in der Zeit der Schulschließungen eher unzureichend oder gar nicht bei technischen Fragen unterstützen zu können. Die Einschätzung der technischen und digitalen Kenntnisse zur Unterstützung der Schülerinnen und Schüler ist unabhängig vom Bildungshintergrund der Eltern

Zusammenfassung

Die Corona-Krise und die damit verbundenen Schulschließungen haben Eltern und ihre Kinder ebenso wie Schulen und Lehrkräfte vor neue Herausforderungen gestellt. Die überwiegende Mehrheit der Eltern der NEPS-Startkohorte 2 berichteten, dass sie ihre Kinder beim Lernen zuhause inhaltlich gut unterstützen konnten. Auch die dafür notwendige technische Ausstattung in Form von Computern, Tablets oder Druckern wird von den meisten Familien als ausreichend eingeschätzt. Gleichzeitig wurde deutlich, dass in den Familien große Unterschiede bestehen bezüglich der investierten Lernzeit der Kinder. Bezüglich der selbst eingeschätzten Fähigkeiten der Eltern, ihre Kinder beim Lernen inhaltlich zu unterstützen, zeigten sich Unterschiede zwischen Familien mit akademischem und nicht-akademischem Bildungshintergrund. Unsere Studie zeigt auch, dass ein Großteil der Lehrkräfte Onlineplattformen oder Schul-Clouds nutzen, um Lernmaterialien und weitere Informationen zu übermitteln. Auch die Schülerinnen und Schüler passten ihre Lerngewohnheiten den veränderten Gegebenheiten an und nutzen vermehrt virtuelle Angebote.

Die längsschnittliche Anlage des Nationalen Bildungspanels erlaubt es, zukünftig die langfristigen Auswirkungen dieser veränderten Lernbedingungen auf die Kompetenzen der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler zu untersuchen und mit der Entwicklung von gleichaltrigen Kindern anderer Startkohorten, die regulär zur Schule gingen, zu vergleichen.

Info:

Hinweise zu Stichprobe und Methodik

Die folgenden Ergebnisse beruhen auf einer Zusatzbefragung der Startkohorte 2 des Nationalen Bildungspanels (NEPS) zur Corona-Krise (NEPS-C). Die Daten wurden von Mai bis Juni 2020 erhoben.
Die konkreten Frageformulierungen sowie zusätzliche Tabellen finden sich im Supplement zum Bericht (https://www.lifbi.de/Portals/13/Corona/Supplement_ Bericht%201.pdf).

Die Startkohorte 2 des NEPS ist im Jahr 2010 mit Kindern im Kindergarten in ganz Deutschland gestartet. Die Kinder waren bei der ersten Erhebung im Durchschnitt knapp fünf Jahre alt. Mit Beginn der Grundschulzeit wurden weitere Mitschülerinnen und -schüler in die Startkohorte aufgenommen. Insgesamt nahmen 1452 Eltern dieser Kinder, die mittlerweile zumeist die 8. Klasse einer weiterführenden Schule besuchen, an der Zusatzbefragung teil.

Die Daten gehen gewichtet und poststratifiziert in die Analysen ein, so dass die Aussagen verallgemeinerbar sind. Die Familien weisen zu 66 Prozent einen nicht-akademischen und zu 34 Prozent einen akademischen Bildungshintergrund auf, was bedeutet, dass in einem Drittel der Familien mindestens ein Elternteil ein Studium absolviert hat. 57 Prozent der Schülerinnen und Schüler besuchten zu Beginn des Schuljahres 2019/2020 ein Gymnasium und 43 Prozent der Schülerinnen und Schüler eine andere Schulform.

Weitere Hinweise zum NEPS, zur Startkohorte 2 und zur Zusatzbefragung NEPS-C finden sich online (https://www.neps-data.de/Datenzentrum/Daten-und-Dokumentation/).

Kommentar:

Die Förderung von Benachteiligten darf nicht warten

Die Befunde zeichnen ein facettenreiches Bild der Situation während der Schulschließungen in Deutschland. Eltern fühlten sich mehrheitlich in der Lage, ihre vierzehnjährigen Kinder beim Lernen inhaltlich zu unterstützen, und auch die technischen Ausstattungen in den Familien schienen den digitalen Anforderungen der Kommunikation und Übermittlung von Lernangeboten in der Regel gewachsen zu sein. Schulen, besonders Gymnasien, nutzen verstärkt Lernplattformen, und über die Hälfte der Eltern gab an, dass auch originär digitale Lernangebote genutzt wurden.

Der positive Eindruck darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen den befragten Familien große Unterschiede in Bezug auf die Bedingungen des häuslichen Lernens bestehen und dass weniger Zeit fürs Lernen aufgebracht wurde als vor der Schulschließung. Die investierte Lernzeit liegt im Schnitt bei sechzehn Stunden pro Woche und damit deutlich unter der Zeit, die im Regelbetrieb (rund dreißig Unterrichtsstunden pro Woche plus Zeit für Lernen und Hausaufgaben) zu erwarten wäre. Ein Fünftel der Achtklässlerinnen und Achtklässler investierte dabei weniger als acht Stunden pro Woche.

Anders als während des regulären Schulbetriebs (Präsenzlernen) herrschen beim Distanzlernen keine durch Lehrpläne und Stundentafeln standardisierten Lernbedingungen vor. Die Qualität und das Ausmaß der Lernaktivitäten hängen damit stärker vom Engagement, den Voraussetzungen und Bedingungen in den Familien ab. Die Ergebnisse zeigen, dass fast ein Viertel der Eltern (insbesondere Nicht-Akademiker) sich wenig bis gar nicht in der Lage fühlten, ihre Kinder beim Lernen inhaltlich zu unterstützen. Auch ist die technische Ausstattung bei über zehn Prozent der Familien für die Erfordernisse des häuslichen Lernens nicht adäquat. Virtuell-interaktive Formate wurden ‘nur’ in 38 Prozent der Fälle häufiger genutzt. Über den Umfang und die Art und Weise, in dem dies jeweils geschah, kann nichts ausgesagt werden.

Digitale Lernformate, die prägend für Modelle des Distanzlernens sind, sind in Deutschland in vielen Schulen ein Novum. Um für die absehbare Entwicklung einer Verbindung von Präsenz- und Distanzlernen gerüstet zu sein, müssen verstärkt Elemente der Lernförderung (Feedback, altersgerechte Motivierung und Unterstützung, virtueller Unterricht) in die auch digitalen schulischen Angebote für das häusliche Lernen einfließen. Nicht nur für Kinder, die im familiären Umfeld wenig Unterstützung finden, ist dies ein wichtiger Schritt.

Ob und in welchem Ausmaß die Schulschließungen zu einem Abfall der Leistungsentwicklung und zu einer weiteren Öffnung der Leistungsschere führen, werden wir in zukünftigen NEPS-Erhebungen sehen. Mit Maßnahmen der Verbesserung digitaler Angebote und der Förderung von leistungsschwachen und durch die Schließung in besonderer Weise benachteiligten Kinder warten sollten wir bis dahin nicht.

Prof. Dr. Cordula Artelt,
Direktorin des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe

Zur Originalausgabe (PDF-Format)


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Die Förderung von Benachteiligten darf nicht warten

Die Befunde zeichnen ein facettenreiches Bild der Situation während der Schulschließungen in Deutschland.

Eltern fühlten sich mehrheitlich in der Lage, ihre vierzehnjährigen Kinder beim Lernen inhaltlich zu unterstützen, und auch die technischen Ausstattungen in den Familien schienen den digitalen Anforderungen der Kommunikation und Übermittlung von Lernangeboten in der Regel gewachsen zu sein. Schulen, besonders Gymnasien, nutzen verstärkt Lernplattformen, und über die Hälfte der Eltern gab an, dass auch originär digitale Lernangebote genutzt wurden.

Der positive Eindruck darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen den befragten Familien große Unterschiede in Bezug auf die Bedingungen des häuslichen Lernens bestehen und dass weniger Zeit fürs Lernen aufgebracht wurde als vor der Schulschließung. Die investierte Lernzeit liegt im Schnitt bei sechzehn Stunden pro Woche und damit deutlich unter der Zeit, die im Regelbetrieb (rund dreißig Unterrichtsstunden pro Woche plus Zeit für Lernen und Hausaufgaben) zu erwarten wäre. Ein Fünftel der Achtklässlerinnen und Achtklässler investierte dabei weniger als acht Stunden pro Woche.

Anders als während des regulären Schulbetriebs (Präsenzlernen) herrschen beim Distanzlernen keine durch Lehrpläne und Stundentafeln standardisierten Lernbedingungen vor. Die Qualität und das Ausmaß der Lernaktivitäten hängen damit stärker vom Engagement, den Voraussetzungen und Bedingungen in den Familien ab.

Die Ergebnisse zeigen, dass fast ein Viertel der Eltern (insbesondere Nicht-Akademiker) sich wenig bis gar nicht in der Lage fühlten, ihre Kinder beim Lernen inhaltlich zu unterstützen. Auch ist die technische Ausstattung bei über zehn Prozent der Familien für die Erfordernisse des häuslichen Lernens nicht adäquat. Virtuell-interaktive Formate wurden ‘nur’ in 38 Prozent der Fälle häufiger genutzt. Über den Umfang und die Art und Weise, in dem dies jeweils geschah, kann nichts ausgesagt werden.

Digitale Lernformate, die prägend für Modelle des Distanzlernens sind, sind in Deutschland in vielen Schulen ein Novum. Um für die absehbare Entwicklung einer Verbindung von Präsenz- und Distanzlernen gerüstet zu sein, müssen verstärkt Elemente der Lernförderung (Feedback, altersgerechte Motivierung und Unterstützung, virtueller Unterricht) in die auch digitalen schulischen Angebote für das häusliche Lernen einfließen. Nicht nur für Kinder, die im familiären Umfeld wenig Unterstützung finden, ist dies ein wichtiger Schritt.

Ob und in welchem Ausmaß die Schulschließungen zu einem Abfall der Leistungsentwicklung und zu einer weiteren Öffnung der Leistungsschere führen, werden wir in zukünftigen NEPS-Erhebungen sehen. Mit Maßnahmen der Verbesserung digitaler Angebote und der Förderung von leistungsschwachen und durch die Schließung in besonderer Weise benachteiligten Kinder warten sollten wir bis dahin nicht.

Prof. Dr. Cordula Artelt,
Direktorin des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe

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