Damit der Standort nicht länger über die Schülerleistung entscheidet.
Gastbeitrag von Helmut E. Klein
Spätestens seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Ergebnisse im Jahr 2001 gilt für das deutsche Schulsystem das Diktum, dass die soziale Herkunft maßgeblich den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern beeinflusst. Auch aktuelle Schülerleistungsvergleiche wie Lernstand 8 bescheinigen den allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen erhebliche Mängel bei der Vermittlung von basalen Kompetenzen und beim Ausgleich herkunftsbedingter sozialer Disparitäten. So ist nach Lernstand 8 NRW 2016 an fast allen allgemeinbildenden Schulformen des (privilegierten) Standorttyps 1 die Schülergruppe, die sowohl in Deutsch-Leseverstehen als auch in Mathematik ein Kompetenzniveau erreicht, das über den Regelstandards liegt, im Mittel doppelt so groß wie an Schulen des (sozial benachteiligten) Standorttyps 5. Hier setzt der ’Schulversuch Talentschulen’ an. Es gilt, Schulen in Stadtteilen, die objektiv als soziale Brennpunkte wahrgenommen werden, so zu unterstützen, dass benachteiligte Kinder und Jugendliche bessere Bildungschancen erhalten.
’Belastete’ Schulen, benachteiligte Schulstandorte
Das Thema Bildungsdisparitäten geistert wahrlich schon seit vielen Jahrzehnten durch die deutschen Lande – wenn auch lange Jahre vornehmlich im Diskurs der Bildungsforschung. Helmut Fend hat in seiner Theorie der Schule (1981) darauf verwiesen, dass der soziale Hintergrund von größter Bedeutung für die Aufklärung der Varianz von Schülerleistung ist. Fünfundzwanzig Jahre später lenkte Martin Senkbeil mit seiner Studie ’Schulmerkmale und Schultypen im Vergleich der Länder’ (2005) den Blick auf ’belastete’ Schulen im Sinne benachteiligter Schulstandorte. Doch statt diese Schulen bedarfsgerecht – auch finanziell – zu fördern, war die Politik an mehr Evidenz interessiert. Die Kultusministerkonferenz beschloss eine Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring und verständigte sich auf ’Vergleichsarbeiten in Anbindung oder Ankoppelung an die Bildungsstandards zur landesweiten Überprüfung der Leistungsfähigkeit einzelner Schulen’ (2006).
Immerhin: Im Jahr 2007 startete Wilfried Bos in Kooperation mit hessischen Schulämtern mit der Erstellung eines schulbezogenen Sozialindexes. Einige Bundesländer (wie Hamburg und Nordrhein-Westfalen) haben diesen Ansatz für die Schulfinanzierung aufgegriffen – von einer sozialindizierten Ressourcensteuerung kann in Nordrhein-Westfalen dennoch nicht die Rede sein. Dabei befindet sich Nordrhein-Westfalen – im Vergleich zum Gros der Bundesländer – in der besonderen Lage, mit dem Cluster der fünf Schulstandorttypen für einen ’fairen Vergleich’ der Schülerleistungen zu sorgen.
Adressaten des Schulversuchs
Der Schulversuch Talentschulen fokussiert auf Schulen in sozial herausfordernden Milieus. Adressaten sind vorrangig Schulen des Standorttyps 5 (unter anderem liegt hier der Migrantenanteil im Durchschnitt bei 61 Prozent und der Anteil der Personen mit Bezug von SGB-II-Leistungen bei zwanzig Prozent). Etwa jede zweite Hauptschule, jede vierte Realschule und jede fünfte Schulform des längeren gemeinsamen Lernens wird aktuell dem Standorttyp 5 zugeordnet.
Alleine die Mittel für zusätzliche Personalstellen (einschließlich Schulsozialarbeit) summieren sich auf geschätzte vierzig Millionen Euro. Damit diese Ressourcen effektiv eingesetzt werden, ist die Mittelvergabe an ein Bewerbungsverfahren gekoppelt. Engagierte Schulen mit einem schlüssigen pädagogischen Konzept sind die beste Voraussetzung für einen zielgerichteten und erfolgreichen Mitteleinsatz, Selbstredend, dass diese Schulen auch beratend zu unterstützen und in ein Netzwerk einzubinden sind, um nachhaltige Selbstwirksamkeit zu fördern.
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